Cover

Table of Contents

Titel

Impressum

Widmung

Namen

Einhundertsechzig

Veränderungen

Spannungen

Naturschutz und Disco

Der Storch

Micks Fünfundzwanziger

Frieder

Freizeit ade

Alles Computer, oder was

Ein dramatisches Jahr

Besucher

Milchmatten

Das Familiengeheimnis

Der Herzinfarkt

Theo pflegt nicht

Selbstständig

Der Super-GAU

Bis zum Ende der Wünsche

Eigentlich war die Geschichte damit zuende geschrieben.

Nachwort

LANDKARTE

NATURBILDER AUS DER REGION

ÜBER DEN AUTOR

Hans Joachim Gorny

 

 

Frida und Frieder

 oder

Naturschutz ist alles

 

 

Roman

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Hans Joachim Gorny

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2018

ISBN: 9783957535573

 

 


Für Klaus,

der uns viel zu früh genommen wurde,

und

für Ursel,

 weil sie mir meine Aktivitäten ermöglicht.

 

Namen           

Frida Josephina Enzbach

1976 geboren

Herbert Enzbach

Vater

Frauke Enzbach

Mutter

Klaus Alfred Enzbach

Bruder

Monika Miriam Enzbach

Schwester

Josephina Schossel Enzbach

Oma

Tante Sonja

Schwester von Mutter

Tante Klärle

Schwester von Vater

Theodor Spannriegel

BUND-Vorsitzender

Sebastian Hierlich

NABU-Vorsitzender, Bio-Lehrer

„Mick“ Frieder Müller

NABU, Betonbauer, 1970 geboren

Karl Schmieder

NABU, Schlosser und Hobby-Landwirt

Ska Wollojcek

NABU, Krankenschwester

Ulli Furtwängler

NABU, Feuerwehrmann

Gerda und Pia

NABU, Grundschullehrerinnen

Reinhardt Sutter

NABU, Psychologiestudent

Rüdiger Vogt

NABU, Steinkäuze

Diana Fichte und Lorenz

NABU, Fledermausbetreuer

Seima Tülcip

NABU, Fridas Handballfreundin

Joachim Luchtenauer

Lokalredakteur der Badischen Zeitung

Mathias Brunnengräber

Architekt, Fridas Chef

Hermann Brunnengräber

jüngerer Bruder des Architekten

Martina und Heiko

Angestellte bei Brunnengräber

Elvira Hansen 

Fridas neue Mitarbeiterin

Felix Unhold

Fridas Architekt-Kollege

Tatjana

neue Bauzeichnerin

Alexander Teurer

Medizinstudent

Hellgin

Winzer

Leon Höfler   

neuer Bürgermeister

Heidingen

Fridas Wohnort

Lohberg

Ortsteil

Schurburg       

Ortsteil

Waldheim       

Ortsteil

Keilbach

Tal der Vorbergzone

Katzenbach

Tal der Vorbergzone

Milchmatten   

alte Wässer-Wiesen in der Rheinebene

Torgasse

Büro Brunnengräber

Almend-Straße           

Adresse Oma

Eichgasse

Hohlweg bei Oma

Eichberg

höchster Hügel

 

Einhundertsechzig

Schon im zarten Alter von dreizehn Jahren legte Frida Enzbach sich einen permanenten Schatten auf ihr Leben.

Zu ihrer Familie schien sie weder äußerlich noch charakterlich zu passen. Mutter Frauke, eine Norddeutsche und Vater Herbert waren groß, schlank und blond. Diesen Vorgaben folgte auch Fridas sechs Jahre älterer Bruder Klaus, der in seinem Internat, das er seit der sechsten Klasse besuchte, gerade sein Abitur machte. Seltsamerweise wollte er von seiner Familie nicht viel wissen. In seiner Heimat verbrachte er nur die Weihnachtsfeiertage und zwei Wochen der großen Ferien, die er lesend in seinem Zimmer totschlug. Die meiste Zeit lebte er im Internat, das anscheinend sein Lebensinhalt war, oder in den Familien irgendwelcher Freunde. Klaus, der nach dem Abi Philosophie studieren wollte, war noch größer als sein Vater. Über einsneunzig.

Auch Fridas drei Jahre ältere Schwester Monika war groß, schlank, blond und mit sechzehn Jahren fast schon so groß, wie ihre einsneunundsiebzig lange Mutter. Sie sah atemberaubend aus, wie ein Fotomodell, und dahingehend zielten auch ihre Berufswünsche, die von den Eltern unterstützt wurden. Um die Materie von der Pike auf zu lernen, arbeitete Monika in den Ferien unentgeltlich in einem Fotostudio für Modeaufnahmen im nahen Freiburg.

Vom Charakter her wirkten die vier zurückhaltend reserviert, mit Charme, Witz und Lachen gingen sie eher sparsam um.

Nur das Nesthäkchen Frida war braunhaarig, spaßig, übermütig und unruhig. Unverkennbar kam sie nach ihrer Oma Josephina, der Mutter des Vaters, die Josephin gerufen wurde, im örtlichen alemannischen Sprachgebrauch aber Schossel. Für die Eingesessenen war sie nur s’Enzbachers Schossel. Bis in die sechziger Jahre hinein hatte jeder Einheimische einen oft wenig schmeichelhaften Über-Namen, der mit dem amtlichen nicht unbedingt etwas zu tun hatte. Diese Über-Namen machten jeden unverwechselbar, Namensgleichheit war nicht möglich.

Frauke und Herbert Enzbach hatten ihren drei Kindern als Zweitnamen die Namen der Großeltern angehängt. So hieß Fridas Bruder offiziell Klaus Alfred, nach dem verstorbenen Opa Enzbach, ihre Schwester Monika Miriam, nach der Mutters Mutter und Frida hatte als Zweitnamen den von Oma Enzbach bekommen. Frida Josephina hörte sich für sie so altbacken an wie Franz-Joseph. Ihr Zweitname unterlag der höchsten Geheimhaltung, damit niemand auf die Idee kam, sie Frida Schossel zu rufen.

Aber mit dem Namen ihrer Oma schien sie auch deren Charakter und Sprache angenommen zu haben. Denn als Einzige ihrer Familie sprach Frida den örtlichen Dialekt, den sie sich im Kindergarten angeeignet hatte, obwohl zu Hause nur Hochdeutsch gesprochen wurde. Wenn sie ihre Mutter ärgern wollte, sprach sie ein extra breites Alemannisch, sodass die Norddeutsche ihre eigene Tochter nicht verstehen konnte. Alle Versuche, ihr den Dialekt auszutreiben, weil er sie angeblich in der schulischen Entwicklung behindert, waren an Fridas rebellischem Wesen, das Vater Herbert stark an seine Mutter erinnerte, gescheitert. So lebte Frida, seit sie sprechen konnte, quasi als Fremdkörper in ihrer Familie. Weil Frida so stark seiner Mutter ähnelte, konnte der Vater ein Kuckuckskind ausschließen.

Und noch etwas machte Frida in ihrer Familie zur Außenseiterin: Als einzige Enzbach war sie pummelig, im Kindergarten war die Braunhaarige auseinandergegangen. Frida bewunderte ihre große Schwester Monika, doch sie neidete ihr ihre schlanke, hohe Gestalt und ihre langen blonden Haare. Mit dem Aufkeimen der Eitelkeit im dreizehnten Lebensjahr schmiedete sie Pläne, wie sie ihrer Schwester ähnlicher werden konnte. Dabei war das Färben der Haare noch der einfachste Teil.

In den großen Ferien fuhr die Familie, ohne Klaus, seit Jahren mit dem Wohnwagen für drei Wochen in den Süden, um sich auf irgendeinem italienischen Campingplatz zu erholen. Oder was die Eltern so unter Erholen verstanden, denn faul am Strand liegen war nicht. Unglücklicherweise befanden sich nicht weit der Zeltplätze immer einige Berge, alte Kirchen und historische Monumente. So waren die Sommerferien jedes Mal von sehr vielen Steinen geprägt. Entweder von den Steinen der lästigen Wandertouren oder den Mauersteinen der diversen Sehenswürdigkeiten. Frida empfand das von Jahr zu Jahr öder und bestand darauf, die Ferien bei Oma Josephin zu verbringen. Nach wochenlangen Streitereien, in deren Verlauf sie vom Vater einige Ohrfeigen kassierte, hatte sich Frida tatsächlich durchgesetzt. „Mit so was wie dir will ich überhaupt nicht in den Urlaub“, hatte der Vater klein beigegeben, wobei die Mutter nicht nach ihrer Meinung gefragt wurde und Monika, die mit ihrer nervigen Schwester nichts anfangen konnte, sich schon auf diverse Extras freute, die sie den Eltern abschmeicheln würde.

Kurzum, die auf drei Köpfe geschrumpfte Familie Enzbach verschwand nach Italien, verbrachte dort ohne Frida einen entspannten Urlaub und kam nach drei Wochen erholt und gebräunt zurück. Und erkannte ihr jüngstes Familienmitglied nicht mehr. Frida hatte die drei Wochen genutzt und radikal abgenommen, um ihrer Schwester ähnlicher zu werden. Im Prinzip hatte sie nur gehungert, damit schon heimlich vor den Ferien angefangen und war an deren Ende so geschwächt, dass ihr beim Aufstehen und bei jedem schnellen Schritt schwindlig wurde. Als die Eltern Frida und ihr Gepäck bei Oma abholten, stand ihnen das Entsetzen ins Gesicht geschrieben.

„Was ist denn mit dir passiert?“, hauchte die Mutter entgeistert in Omas Flur.

„Bist du krank, hast du Durchfall, wart ihr beim Arzt?“, wollte der Vater, der die Hausmittelchen seiner Mutter mit schlechten Erinnerungen verband, sofort wissen.

„Nein, nein“, wehrte sich Frida, die ihre Mattigkeit kaum verbergen konnte. „Ich habe nur etwas abgenommen. Ich will ja schließlich so schlank sein wie meine Schwester, damit ich zu meiner Familie passe.“ Nun hätte ihr der Vater gerne wegen Unverstand, wie er es immer bezeichnete, eine seiner Ohrfeigen verpasst, mit denen er nicht sparsam umging. Aber er traute sich nicht, weil seine so filigran erscheinende Tochter vermutlich auseinandergefallen wäre.

„Du bist nicht schlank, du bist abgemagert und siehst schlecht aus“, wurde die Mutter deutlicher.

Der Vater nahm sich seine Mutter vor. „Wie kannst du nur so eine Dummheit zulassen? Das Kind sieht ja aus wie frisch aus dem Kerker.“

„Deine Tochter hat unter ihrer Körperfülle gelitten“, wehrte sich Oma in bestem Hochdeutsch, was das Zeichen für Kampfbereitschaft war. „Der größte Wunsch in ihrem Leben ist, schlank zu sein.“

„Aber doch nicht so radikal. Bist du noch klar bei Verstand, das macht man schonend, über Monate“, schimpfte Herbert, dessen Jugend von den skurrilen Einfällen seiner Mutter geprägt war.

Sofort plärrte Frida dazwischen: „Die Oma ist unschuldig. Sie hat nur gemacht, was ich von ihr verlangt habe.“ Ihre Mutter maß derweil mit ihren Fingern Fridas minimalen Bizepsumfang.

Vater: „Du hast der Oma zu gehorchen und nicht umgekehrt.“

Frida: „Sie hat es aber gut gefunden, dass ich etwas für meine Figur mache.“

Oma: „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“

Vater blies seine schmalen Backen auf. „Seid ihr beide überhaupt zurechnungsfähig? Die Oma hat zugesehen, wie du deine Gesundheit ruinierst. Was sie zugelassen hat, war fahrlässig. Wer abnehmen will, muss auch Sport treiben.“

„Das wäre mir zu anstrengend“, meinte Frida, die sich einen Stuhl herbeisehnte. „Ich will ja eine Figur wie meine Schwester und nicht eine, die an meinen Vater erinnert.“

Des Vaters Hand zuckte. „Wenn es um Unsinn geht, passt ihr zwei wunderbar zusammen, ihr seid sozusagen im Blödsinn vereint.“

„Herbert, hör jetzt auf zu schimpfen und mache lieber einen Arzttermin“, klagte die Mutter.

Der Vater wurde bissig. „Es ist echt ein Wunder, dass sie zwei Kinder groß bekommen hat.“ Er hatte noch eine Schwester, Tante Klärle.

Auf einmal fing Oma Josephin an zu lästern. „Du und Klärle wart ja so was von langweilig, bei euch war nie etwas los, nie habt ihr was gewagt. Ich hätte lieber lebendige Kinder gehabt, ihr seid ja so was von gewöhnlich.“

„Für Abwechslung hat ja immer deine Sprunghaftigkeit gesorgt“, giftete ihr Sohn zurück.

„Das ist nicht zum Aushalten. Ich bleibe den Rest der Ferien bei Oma, dann muss ich mir nicht mehr eure Sprüche anhören. Ich bin jetzt schlank und zufrieden und ihr macht mir das kaputt.“ Im Vollbesitz ihrer physischen und psychischen Kräfte hätte Frida vermutlich die Verlängerung durchgesetzt. Doch ihre Eltern zerrten sie aus dem Flur und da sie ihre Tochter dabei stützen mussten, hatte Frida verloren.

Ihr Hausarzt verschrieb dem Hungeropfer eine Reihe Präparate wie Vitamine und Mineralien und Frida bekam Omaverbot, was sich leicht umgehen ließ, da Omas Haus am Schulweg lag. Das Verhältnis zwischen Enkelin und Oma änderte sich dann doch ein wenig, denn das Mädchen bekam keine Süßigkeiten mehr. Dafür wurde das Omataschengeld aufgestockt, von dem die Eltern nichts wissen durften, und sie verbrachte in dem alten Häuschen in der Unterstadt immer mehr Zeit.

An ihrem dreizehnten Geburtstag, dem ersten September, maß Frida knapp einhundertsechzig Zentimeter, die maß sie auch noch an ihrem vierzehnten und an ihrem fünfzehnten. Nach mehreren Arztbesuchen, die dem Wachstumsstopp geschuldet waren, kristallisierte sich ein für Fridas Zukunft vernichtendes Bild heraus. Ihr Körper hatte ihr die Nahrungsunterbrechung sehr übel genommen, er hatte das als Zäsur verstanden, sich auf zukünftigen Nahrungsmangel eingestellt und das Wachstum beendet. Nicht groß und schlank werden zu können wie ihre Schwester, muss ein junges Mädchen erst einmal verkraften. Zu Hause bekam sie keinen Trost, eher noch unsensible Bemerkungen, was ihr Schicksal als Zwerg noch bitterer macht. Nur Oma Josephin, sogar sie überragte Frida um mindestens zehn Zentimeter, überzeugte sie in mühseliger Kleinarbeit, dass auch kleine Menschen Spaß haben und Großes leisten können, indem sie sich mehr trauen als andere. Bis zu ihrem sechzehnten Geburtstag wurde noch alles Mögliche probiert, um Frida zu ein paar zusätzlichen Zentimetern zu verhelfen.

Aber es blieb dabei. Nach ihrer Hungerkur im dreizehnten Lebensjahr war sie, der vielen Behandlungen zum Trotz, keinen Zentimeter mehr gewachsen. Sie blieb bei einhundertsechzig Zentimetern, die sie aber auch nur erreichte, wenn sie sich morgens maß, dabei ordentlich streckte und das Lineal schräg hielt, wie festgenagelt.

 

Veränderungen

Das Hauptereignis nach Fridas dreizehntem Geburtstag war die Maueröffnung, das begeisterte sogar ihre sonst wenig begeisterungsfähigen Eltern. Als sie der Vater darauf ansprach, wie toll das sei, dass die zwei Teile Deutschlands wieder vereinigt würden, meinte seine Jüngste nur: „Das wurde auch Zeit.“

In den folgenden Ferien musste Frida, während die anderen wieder mit dem Wohnwagen gen Süden fuhren, zu Tante Klärle nach Stuttgart. Es gab auch noch eine Tante Sonja in Düsseldorf, die Schwester von Mutter Frauke, die aber aus irgendeinem Grund mit ihrem Schwager nichts zu tun haben wollte. Frida wurde von ihrer Mutter in Freiburg in den Zug gesteckt und in Stuttgart von Tante Klärle abgeholt. In Stuttgart herrschte dann drei Wochen lang Essenszwang, Tante Klärle kannte natürlich das Ereignis der letzten großen Ferien, als Frida sich von sechzig auf vierzig Kilo abgemagert hatte. Die Tante bekam von ihrem Bruder strikte Anweisungen, so etwas Ähnliches zu verhindern.

Frida quälte sich durch drei unlustige Jahre, in denen sie sich mit dem Schulalltag abmühte, darauf wartete, groß und dünn zu werden, in denen sich aber immer mehr Frust ansammelte. Zuerst kam die Erkenntnis, dass sie trotz ihrer Magerkeit der Schwester nicht ähnlicher wurde. Irgendwie sah ihre Figur anders aus, überhaupt nicht ansprechend und sexy, irgendwie falsch. Dazu kamen die Besuche bei mehreren Ärzten, das Hoffen auf Wachstum, die Leiden und die Niedergeschlagenheit. Als sich ihr Körper endlich ausdehnte, erfolgte das in die Breite, Frida überkam die Verzweiflung. Mit Entsetzen registrierte sie, wie ihre Figur sich rundete. Sie wurde zwar nicht fett, bekam aber einen kräftigen Body mit strammen Brüsten, Schenkeln und Pobacken. Und ihrer unauffälligen Nase zum Trotz, bekam ihr Gesicht energische Züge, wodurch es sich auch von den reserviert blickenden Gesichtern ihrer Familie unterschied.

Als Frida auf ihren sechzehnten Geburtstag zusteuerte, feierte Monika ihr bestandenes Abitur. Fridas große Schwester war nun 181 Zentimeter groß, die auffälligste Erscheinung des Gymnasiums und jede und jeder beneidete sie. Monika wurde von der Schulbank weg, durch Hintertreiben des Vaters, von einer Modeagentur als Modell eingestellt und konnte sich eines lukrativen Vertrages erfreuen. Während manche ihrer Mitschüler sich um Studienplätze bemühten, oder noch nicht wussten, was sie machen sollten, oder auch ganz einfach erst einmal faulenzten, steckte die lange blonde Monika schon mitten in einer anstrengenden Arbeit.

Auf einmal war es ruhig im Haus, das Mannequin kam nur noch selten heim und so oft es möglich war, besuchte Mutter Frauke ihre große Tochter an deren Arbeitsplatz und ergötzte sich an ihrer Aura. Vater Herbert war zufrieden und verbrachte seine Zeit vermehrt in seinem Büro, auf dem Golfplatz, beim Joggen oder sonst wo. Für Frida wurde das Leben ruhiger und entspannter. Da sie ihre Schwester nicht mehr zu Gesicht bekam, von der sie nur Stumpen genannt wurde, offenbarte sich, dass auch als Stumpen ein Leben möglich war.

Ihren Geburtstag feierte Frida nicht. Vor Unterrichtsbeginn ließ sie sich von ihren Eltern hundert Mark schenken, setzte sich am Nachmittag in Oma Josephins Wohnzimmer und leerte mit ihr eine Flasche Wein. Alkoholische Getränke waren für das Geburtstagskind weder unbekannt noch verboten, bei ihr zu Hause wurde ständig etwas getrunken. Zum Essen Weißwein, danach einen Schnaps zur Verdauung, zur Sportschau Bier, bei der Oma Rotwein und Eierlikör. Und immer durften die Kinder zur Belustigung der Erwachsenen probieren und ein wenig mittrinken. Frida wusste wie Whiskey, Cognac, Wodka, Wein und Bier schmeckten, weil solche Getränke in ihrer Familie allgegenwärtig waren und zu den Lebensmitteln zählten. Deshalb wunderte sie sich auch nicht, als sie von ihrer Oma mit einer Flasche Wein empfangen wurde.

„Du könntest jetzt den Moped-Führerschein machen oder den zum Traktorfahren“, meinte die Alte verschmitzt.

„Dann würde ich lieber Traktor fahren“, meinte die Enkelin, die in ihr Weinglas starrte und es fortlaufend drehte. „Mopeds stehen schon genug vor dem Gymi. Ich würde dann mit dem Traktor ganz früh kommen und mich auf dem Moped-Parkplatz breitmachen.“

„So musst du es machen“, klopfte die Oma dem Geburtstagskind auf die Schulter. „Du darfst nie das machen, was das Herdenvieh macht. Du darfst dich nie an anderen orientieren, wenn du was Besonderes sein willst.“

„Genau. Wenn alle groß und schlank sein wollen, bleibe ich eben klein und kräftig.“ Frida hob ihr Glas und stieß mit der Oma an.

Oma erhob den Zeigefinger ihrer Rechten: „Wenn du einzigartig werden willst, musst du deinen eigenen Weg gehen.“

„Jawohl“, bekräftigte Frida. „Und man darf die Erwartungen der Eltern nicht erfüllen.“

„Man muss nicht unbedingt das tun, was die Gesellschaft von einem erwartet. Weißt du, was ich meine?“ Frida zuckte mit den Schultern. „Man muss nicht unbedingt das Abi haben, (Oma Josephin hatte es nicht) man muss auch nicht studieren, man muss keine Karriere machen und auch nicht heiraten und Kinder in die Welt setzen. Man muss in keinen Verein gehen, in keine Partei eintreten, man muss sich auch nicht für irgendwas engagieren.“

„Auf das trinken wir noch einen Schluck“, und das Mädchen streckte ihrer Oma zum weiteren Anstoß das Weinglas entgegen. „Muss man überhaupt etwas?“

„Man sollte der Gesellschaft nicht zur Last fallen und eigenes Geld verdienen.“

„Also ohne Arbeit geht es wohl nicht?“, erkannte die Enkelin. „Einen Haken hat das Leben immer.“

Die Oma kicherte. „Dein Vater hat das immer falsch gemacht. Für den war alles immer ganz arg wichtig gewesen. Schule, Studium, Sport, Architekturbüro, Familie, Kinder. Alles ist er mit einem humorlosen Ernst angegangen, nichts wurde dem Zufall überlassen.“

„Seine Pläne sind dann wohl an mir gescheitert“, kicherte nun auch Frida.

Auch die Oma kicherte wieder. „Und das tut mir absolut gut. Da ist bei deinem Bruder schon etwas schiefgelaufen. Klaus hat die Erwartungen eures Vaters in keiner Weise erfüllt.“ Der große Bruder, der nun zweiundzwanzig Jahre alt war, hatte nach dem Abitur seiner Familie sofort den Rücken gekehrt. Niemand wusste, wo er wohnte und von was er sich ernährte.

„Das ist in unserer Familie ein absolutes Tabuthema. Wenn Klaus erwähnt wird, herrscht sofort eisiges Schweigen. Richtig gruselig.“ Frida schüttelte sich.

„Du könntest dir eine Leck-mich-am-Arsch-Einstellung zulegen, das macht vieles einfacher. Wenn du den Angelegenheiten ihre Wichtigkeit nimmst“, riet die Oma mit amtlichem Gesichtsausdruck, „sind sämtliche Probleme leichter zu ertragen.“ Beide waren nicht mehr nüchtern.

„Oma, das ist ein guter Rat. Wenn ich den Dingen ihre Bedeutung nehme, können sie mir den Buckel runterrutschen.“ Sie stießen wieder an und tranken ihre Gläser leer.

Dann wurde die Alte ernst. „Vor allem musst du dich so nehmen, wie du bist. Wenn du das nicht kannst, ist dir dein Leben verdorben. Finde dich damit ab, dass du klein bleibst und keine Traumfigur hast. Nimm es einfach hin, ohne mit dir zu hadern, und mache das Beste draus.“

„Oma, hiermit verspreche ich dir, nicht mehr zu leiden und zu hoffen, mich kritiklos so zu nehmen, wie ich geworden bin und es allen Großen zu zeigen.“

„Das muss bekräftigt werden. Darauf müssen wir noch einen trinken.“ Oma Josephin holte aus dem Wohnzimmer-Buffet eine Flasche und füllte zwei Schnapsgläschen mit Obstwasser. Das Gespräch fand, wie zwischen diesen beiden üblich, in einem schleppenden Alemannisch statt, das von vielen Ähs und Schs geprägt war, und unmöglich schriftlich wiedergegeben werden kann. Danach verabschiedete sich die Enkelin von ihrer Großmutter, bedankte sich für die guten Ratschläge und schwankte den Berg hinauf, ihrem Elternhaus entgegen. Dort gelang es ihr, obwohl sie eine voluminöse, frischluftverdrängende Alkoholfahne hinter sich herzog, unerkannt in ihr Zimmer zu kommen. Sie beschloss den Vorsatz, ab sofort das Leben leichter zu nehmen, augenblicklich umzusetzen und legte sich, ohne die Zähne zu putzen, mit der Kleidung ins Bett. Es sollte aber noch Jahre dauern bis sie ihre Träume, in denen sie hungerte und schrumpfte, loswurde.

Mit dem Eintritt in die elfte Klasse begann für Frida das richtige Leben.

Die eine große Veränderung in ihrem Leben kam in Gestalt einer neuen Sportlehrerin. Sie war Frida zwar nicht sympathisch, aber weil sie sich vorgenommen hatte, nicht so bequem zu werden wie ihre Mitschülerinnen, machte der Stumpen alles eifrig mit. Diese neue Sportlehrerin suchte eines Tages Spielerinnen für eine Handballmannschaft. Dabei dachte die Lehrerin an die großen und kräftigen Mädels. „Sollte das nicht Handballfrauschaft heißen“, wurde gewitzelt. Die Einzige, die sich meldete, war die kleine Frida, was der Lehrerin nicht gerade recht war. „Sonst noch jemand“, bettelte sie, „unsere Mannschaft braucht dringend Verstärkung.“ Frida verstand das so, dass sie nicht unbedingt eine Verstärkung darstellte, ließ sich aber dadurch nicht abwimmeln.

Schon länger hatte sie sich vorgenommen, irgendeinen Sport zu treiben. Wenn schon klein, dann wollte sie fit wie ein Turnschuh sein. Durch die Landschaft zu joggen, wie es gerade bei einigen namhaften Einwohnern Mode wurde, empfand sie als öde. Außerdem konnte sie dabei ihrem Vater begegnen, der es sich bestimmt nicht nehmen ließ, einen unpassenden Spruch ins Gelände zu setzen. Sehr gerne wäre sie dem Leichtathletikverein der Kreisstadt beigetreten, leider befand sich die Sportstätte in zwölf Kilometern Entfernung. Sie hätte nach dem Training, Sommer wie Winter, bei jedem Wetter erschöpft mit dem Fahrrad nach Hause fahren müssen, das schreckte sie ab. Deshalb stand sie kurz davor, der lokalen Damenfußballmannschaft beizutreten. Aber Handball war auch nicht schlecht, da war man immer im Trockenen und musste nicht so weit laufen. Frida bevorzugte das Angebot der Lehrerin.

Das Handballtraining fand freitagabends statt. Schon nach dem ersten Training war sie für diesen Sport Feuer und Flamme. Nicht so sehr für die Gymnastik am Anfang des Trainings, die Trainerin wollte gelenkige Spielerinnen, auch nicht für den folgenden Kraftsport. Es war die Herumhetzerei, wenn am Ende des Trainings gespielt wurde. Der etwas zu kurz geratenen Frida gefiel vor allem, wenn sie hektisch herumtoben konnte. Sich zu verausgaben, wurde ihre Leidenschaft, danach fühlte sie sich toll, lebendig und angenehm erschöpft. Schon bald entdeckte sie, wie man in gebückter Haltung hakenschlagend unter den Armen der Großen hindurchschlüpft. Eine der großen Spielerinnen erkundigte sich bei der Trainerin, ob Handballspielen in Kniehöhe erlaubt sei.

Was Frida fehlte, war Ballsicherheit. Sie war keine gute Fängerin und eine ebenso unsichere Werferin und weil auch ihre Aktionen überhastet waren, durfte sie noch nicht in der Mannschaft spielen. Aber sie fehlte in keinem Training, verausgabte sich mit Freude und bekam eine hervorragende Kondition. Die bekam sie allerdings auch nach dem Sport beim Biertrinken in der Wirtschaft. Hatte eine Spielerin Geburtstag, spendierte sie einen Humpen. Frida war sehr schnell von Fanta auf Export umgestiegen, das berauschende Alkoholgefühl im Körper wurde zur Gewohnheit. Obwohl sie nicht mitspielen durfte, eine der Jüngsten und die Kleinste war, gehörte sie bald schon voll dazu. Und voll war sie öfters, sie konnte von Glück sagen, dass das Training in der hiesigen Halle stattfand und während der großen Ferien auf dem hiesigen Sportplatz. Nachdem sie sich auf dem Heimweg mit drei Halbe Bier im Kopf mit dem Rad überschlagen hatte und locker wie eine Katze in einem städtischen Blumenbett gelandet war, ging sie meist zu Fuß ins Training. Nach dem Wirtshausaufenthalt brauchte sie manchmal ewig, bis sie berghoch zu Hause ankam. Die Eltern taten so, als ob sie nichts mitbekämen, denn sie waren froh, dass ihre Jüngste in eine Gemeinschaft gefunden hatte, in der sie sich wohlfühlte.

Wenn allerdings sonntags ein Punktspiel anstand, durften die Spielerinnen nach dem Freitagstraining nichts trinken, auch Ersatzspielerinnen wie Frida nicht. Dann ging die Trainerin sogar mit in das Stammlokal, um höchstpersönlich den Bierkonsum zu überwachen. Ein halbes Jahr nach Fridas Vereinsbeitritt, wurden am Mittwochabend zwei Hallen-Stunden frei, die der Gemeinderat den erfolgreichen Handballerinnen zugestand. Damit kam Frida zu einem zweiten Trainingsabend und der Alkoholkonsum war einmal die Woche garantiert.

Die andere große Veränderung brachte der Biologielehrer. Sebastian Hierlich, von den Schülerinnen als Basti Herrlich verehrt, war schlank, von charmanter Jugendlichkeit, was vor allem durch seine üppige blonde Mähne ausgedrückt wurde. Hierlich war von der freundlichen Sorte und bei den Schülern beliebt. Er war bei den Grünen, was 1992 noch etwas Bedrohliches an sich hatte, weshalb er im CDU-dominierten Südbaden von manchen Eltern abgelehnt wurde. Und er engagierte sich für den Naturschutz.

Im Herbst des Jahres fragte er die elfte Klasse, wer denn gerne etwas für den lokalen Artenschutz tun wolle. Die meisten Schüler dachten dabei an Vögel und Blumen, aber nicht daran, dass es im Herbst bei Vögeln und Blumen nichts mehr zu machen gab. Mehrere Mädchen und Jungs hoben ihre Hand. „Der örtliche BUND, was Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland heißt“, so erklärte Hierlich mit der Stimme eines Messias, „braucht dringend einige Krötenretter. Die armen Tiere müssen, damit sie eine Überlebenschance haben, über die Straßen getragen werden. Dazu werden vorgefertigte niedere Zäune aufgestellt und dahinter in gewissen Abständen Eimer im Boden versenkt. Die Kröten und auch andere Amphibien wie Grasfrösche und Molche, stoßen bei ihrer Wanderung auf den Zaun, gehen an ihm entlang und plumpsen schließlich in einen Eimer. Ihr müsst die Kröten nicht anfassen, ihr könnt sie im Eimer über die Straße tragen und auf der gegenüberliegenden Seite ins Gelände entlassen.“

Soweit war alles klar, jeder dachte, er darf mit seinem Lieblingslehrer aktiven Naturschutz betreiben. „Wer von euch würde bei der Krötenrettung mitmachen?“ Mehrere Mädchen, darunter Frida, und auch zwei Jungs, hoben die Hand. „Sehr schön“, freute sich Hierlich. „Ihr müsst euch nun bei Herrn Theodor Spannriegel, dem Chef des örtlichen BUND melden, der euch dann einteilt.“ Die Gesichter wurden länger, die Schüler waren enttäuscht und fühlten sich getäuscht. Doch Frida meldete sich trotzdem bei Spannriegel, denn Tiere retten, fand sie sinnvoll.

Kurz darauf lernte sie diesen Theodor Spannriegel kennen, welcher sich als seltsamer Typ herausstellte. Die Schüler trafen sich am Samstagmorgen hinter dem Städtchen an einem Sträßchen, das über einen Hügel in das nächste Dorf führte. Spannriegel erschien in seinem olivfarbenen Ford Transit, der ein halbes Menschenalter der Bundeswehr gedient hatte, mit leichter Verspätung und brachte die Krötenzäune. Er war bestimmt schon fünfzig Jahre alt, höchstens zehn Zentimeter größer als Frida, leicht übergewichtig und langhaarig. Und wie sich sofort herausstellte, redete er gerne und ausdauernd.

Er zeigte dem Jungvolk wie die Eisen in die Erde gesteckt und die Zäune gespannt werden. Er redete und redete und betonte, wie wichtig diese Arbeit sei, wie nützlich die Kröten wären, weil sie auf den Äckern die Schadinsekten fressen und die armen Viecher in der modernen Welt nicht überleben können. Er konnte sehr überzeugend sein und fühlte sich als Bekehrer. Die BUND-Mitglieder, zu denen Frida bald gehörte, trafen sich monatlich an einem Dienstagabend in einem Wirtshaus, scharten sich um ihren Vorsitzenden und lauschten andächtig seinen Worten. Meistens erzählte Spannriegel von seinen laufenden Projekten, von seinen Erfolgen, ließ sich von den Jugendlichen, die wie seine Jünger um einen langen Tisch saßen, bewundern, weigerte sich aber, diese in seine Projekte einzubeziehen. Das ginge nicht, meinte er, weil er das alles morgens mache, während andere bei der Arbeit oder in der Schule sind. Später sollte Frida feststellen, dass Spannriegel nicht deshalb Erfolge verbuchen konnte, weil er die richtigen Argumente hatte, sondern weil er die Behörden unendlich nervte und man ihm um des Friedens willen ein ums andere Mal nachgab.

Bei kühler, feuchter Herbstwitterung begann die Krötenwanderung. Frida ließ sich für den Dienstagmorgen, wo sie die erste Stunde freihatte, und den Sonntagmorgen eintragen. Mit dem Fahrrad fuhr sie gegen Osten aus dem Städtchen hinaus, kettete es an das Schild „Vorsicht Krötenwanderung“, legte eine Warnweste an und marschierte mit einer Zählliste Dutzende Eimer ab. Die Eimer waren nummeriert und jedes Tierchen, das sich in ihnen befand, musste eingetragen werden. Zudem lehnten in den Eimern Stöcke, damit die Mäuse, die hineinpurzelten, wieder hinaus konnten. Doch bei ihren ersten beiden Einsätzen sah Frida außer großen schwarzen Käfern, weder Kröte, Frosch noch Molch und war schwer enttäuscht. Für so was stand sie Sonntag früh auf.

„Die Hauptwanderung ist erst im Frühjahr“, erklärte Spannriegel. Es wurde immer von Kröten geredet, doch gemeint waren Erdkröten. Als sie nach einem Herbstregen ihre Amphibien endlich zu sehen bekam, musste Frida erst einmal lernen, Kröten von Fröschen zu unterscheiden und dann konnte sich unter den vielen Erdkröten auch eine seltene Knoblauchkröte befinden und außer Gras- gab es auch noch Springfrösche und alle mussten korrekt schriftlich erfasst werden. Natur konnte schon kompliziert sein. Aber Frida lernte diese Tiere alle kennen.

Den Super-GAU erlebte sie im Frühjahr nach der Fasnacht. Nach längerer Trockenheit regnete es ausgerechnet in der Nacht von Montag auf Dienstag. Sie hatte zwar die erste Stunde frei, in der zweiten aber war Mathe, und an diesem Dienstag schrieben sie eine Arbeit. In der Regel joggte Frida an den Eimern entlang, sah währenddessen hinein und notierte sich die wenigen Tiere. Auch an diesem Morgen eilte sie wie üblich mit dem Fahrrad und Schreibblock zum Ortsrand, und konnte es nicht fassen. In jedem Eimer befanden sich Kröten, manchmal zwanzig Stück. Das Zählen und Bestimmen kostete unglaublich viel Zeit, Frida kam kaum vorwärts, die Mathearbeit rückte immer näher, sie wurde immer verzweifelter. Sie wusste inzwischen, dass die Tiere tagsüber in den Eimern vertrocknen konnten oder von Krähen geholt wurden. Nach dem fünfzehnten Eimer begann sie, die Anzahl der Tiere zu schätzen. Nach dem zwanzigsten notierte sie sich nichts mehr, die Zahlen musste sie sich nach der Schule aus den Fingern saugen, sie trug nur noch die vollen Eimer im Laufschritt über die Straße, warf die Kröten und was sonst noch dabei war, mit Schwung ins Gras und platzte später völlig verschwitzt in die Mathearbeit, die schon eine geraume Zeit im Gange war. Dadurch fehlte ihr die Zeit, alle Aufgaben zu lösen, sie bekam eine schlechte Note und zu Hause ordentlich Ärger. Naturschutz konnte so schädlich sein.

„Du trägst Kröten über die Straße?“, fragte Oma ungläubig. „Ist das nicht ein bisschen unsinnig?“

„Die Erdkröten müssen zu ihren Laichgewässern. Bei dem vielen Verkehr haben sie überhaupt keine Chance mehr, über die Straße zu kommen“, rechtfertigte sich ihre Enkelin. „Die werden von Jahr zu Jahr weniger.“

Oma Josephin hatte ihre Hände auf dem Schoß liegen und wunderte sich über die Welt. „Ich habe gedacht, die Zäune stehen da, damit die Autos nicht auf den vielen Kröten ausrutschen und verunglücken. “

„Das ist sogar eine richtig wissenschaftliche Arbeit. Alle Amphibien werden gezählt. So erkennt man über Jahre, ob sie zu- oder abnehmen.“ Ihre Mogelei beim Zählen verschwieg sie aber.

„Wenn wir früher bei Regenwetter vom Feld nach Hause gerannt sind, waren manche Feldwege voller Kröten, man wusste gar nicht, wo man hintreten soll“, schwelgte die Alte in Erinnerung.

Frida erklärte weiter. „Die Kröten sind auch sehr wichtig. Sie fressen das Ungeziefer auf den Äckern.“

„Davon haben wir früher nicht viel gemerkt“, zweifelte die Oma. „Ungeziefer war allgegenwärtig. Im Sommer gab es so viele Stechmücken und Bremsen, dass manchmal die Zugtiere samt Wagen durchgegangen sind. Diese Mistviecher waren überall gewesen, vor allem an den Eutern der Kühe und auf den verschwitzten Hemden. Und die Windschutzscheiben der Autos waren sofort voller toter Insekten. Das sieht man heutzutage überhaupt nicht mehr, alles weggespritzt. Kann es vielleicht sein, dass es deshalb weniger Kröten gibt, weil das Ungeziefer weggespritzt wird?“

Da kam Frida echt ins Grübeln. „Unser Biolehrer meint, dass auch die Vogelreviere weniger geworden sind. Das könnte mit den Insektiziden zusammenhängen. Denn wenn es weniger Insekten gibt, ist es doch logisch, dass die Vögel weniger zu fressen finden und weniger Junge groß bekommen.“

„Sag ich doch. Aber Kröten über die Straße tragen, finde ich doch etwas übertrieben. Kann man denn nicht die Straße nachts sperren, die rasen da hinten sowieso wie die Irren.“ Die Krötenstrecke war ein beliebtes Promillesträßchen, das zu einem gut frequentierten Gasthaus im Nachbarort führte.

„Oma, die Idee ist nicht schlecht. Ewig will ich das ja auch nicht machen.“

„Und wegen der Kröten hast du in der letzten Mathearbeit eine Vier geschrieben?“ Frida verdrehte ihre Augen und stöhnte, weil sie sofort wieder an das Drama dachte, das ihre Eltern wegen der Vier aufgeführt hatten.

Die dritte Veränderung in der elften Klasse sollte Frida noch mehr beschäftigen als Handball und Naturschutz. Sie entdeckte ihr Verlangen nach dem anderen Geschlecht.

Ihre Handballkameradin Edith Grafried wurde achtzehn und wollte mit einer Party dem Ereignis die nötige Wichtigkeit verschaffen. In Ediths Elternhaus befand sich im Keller ein großer Tischtennisraum. Wenn ihre Eltern, zum Beispiel an Silvester oder Fasnacht, eine Fete veranstalteten, wurde der Raum ausgeräumt und umgestaltet, was sie nun auch für ihre Tochter taten, damit diese gebührend ihre Volljährigkeit feiern konnte. Zu diesem Großereignis lud das Geburtstagskind ihre Handballfrauschaft ein. Weil einige Mitspielerinnen an diesem Abend keine Zeit - andere schon verheiratet waren und keine Lust auf eine Jung-Spund-Party hatten, war Edith auf jede Weiblichkeit angewiesen. Sie hatte, Edith lernte Bankkauffrau, einige Arbeitskollegen und Klassenkameraden eingeladen, die Flirtmaterial brauchten.

So wurde auch die kleine Frida von ihr eingeladen. Doch die zierte sich und fragte, was sie dort soll. „Ich habe jede Menge Jungs eingeladen“, versuchte Edith, der Sechzehnjährigen die Party schmackhaft zu machen. Fridas Mine erhellte sich nicht. „Es gibt auch ganz tolle Musik, mein Vater hat eine spitze Stereoanlage.“ Keine Reaktion. Dann die Frage: „Gibt’s was zu trinken?“

„Jede Menge“, versicherte das Geburtstagskind mit aufgerissenen Augen.

„Ich komme“, versprach Frida.

Mit vierzehn war Frieda auf ihrer bislang ersten und letzten Geburtstagsparty gewesen und hätte abends um zehn Uhr zu Hause sein sollen. Die Party hatte sie nicht einmal als besonders vergnüglich in Erinnerung, es wurden einige Spiele gemacht wie Reise nach Jerusalem und Fanta und Cola getrunken. Im Wesentlichen wurde getratscht, weshalb sie auch erst vierzig Minuten nach der mit dem Vater vereinbarten Zeit zu Hause klingelte. Diese Eigenmächtigkeit hatte ihr die vorerst letzte Ohrfeige beschert.

Als sie mit Verspätung auf Ediths Fete aufkreuzte, tauchte sie in eine gänzlich andere Atmosphäre ein. Die Gäste waren alle über achtzehn, es wurde geraucht, die Musik war aktuell und es roch nach Alkohol. Frida begrüßte sie artig mit Bussi und überreichte Edith ein bunt eingepacktes Witzebüchlein. Weil die meisten der Geladenen die Bar blockierten, ging die Jüngste der Gäste hintenherum und fischte sich eine Flasche Export aus einer Kiste. „Wir haben auch alkoholfreies“, verriet ein Unbekannter. Damit war er bei Frida an der falschen Adresse. „Später, für den Heimweg“, meinte sie. Sie stellte sich an der Flasche nuckelnd zu ihren Handballkameradinnen, die belangloses Zeug von sich gaben und öfters zu den Jungs schielten. Diese taxierten unauffällig potenzielle Baggermöglichkeiten.

„Darf hier auch getanzt werden“, fragte ein kerniger südländischer Typ den Discjockey, den Ediths Vetter verkörperte.

„Aber unbedingt“, meinte der etwas kleinere Blondschopf. „Was hättest du denn gerne?“

„Hast du „It‘s My Life“, von Dr. Alban?”, erkundigte sich der Schwarzhaarige, der einen enormen Bartschatten hatte.

„Selbstverständlich. In meiner Sammlung befinden sich alle neuen Hits.“ Schon kam das Gewünschte und der Südländer, der aber in ortsüblicher Mundart redete, begann tatsächlich in Raummitte, sich nach der Musik zu bewegen. Alle beobachteten den Tänzer, die Damen vor allem seinen Hüftbereich. „Das kann der echt gut“, musste Frida anerkennend feststellen, „das sieht super aus, was der macht.“ Ausgerechnet als Ediths Vetter, der Eddy hieß, von Genesis „We Can‘t Dance“ abspielte, begaben sich auch viele andere auf die imaginäre Tanzfläche. Kurz darauf, als er von Salt’N‘Pepa „Let‘s Talk About Sex“ auflegte, wurde um einiges wilder getanzt. Frida holte sich ein zweites Export und lehnte sich beobachtend an die nun freie Bar.

Unter den knapp zwanzig Gästen kam es zu einigen Umgruppierungen‚ später auch zu Paarbildungen. Frida schaute in gespannter Erwartung, was sich daraus entwickelt, vor allem interessierte sie es, wie sich so etwas entwickelt. Mit der dritten Flasche, es ging auf Mitternacht zu, begab sie sich zu Eddy und wünschte sich einen Song. „Wirst du dann auch tanzen?“, fragte der. „Nicht mein Ding“, sagte Frida erschrocken und schlenderte zur Bar zurück. Um Mitternacht wurde dem Geburtstagskind gratuliert, niemand war mehr nüchtern, alle fielen über Edith her und küssten sie mehr oder weniger intensiv ab.

Danach legte der Discjockey langsame Musik auf und die Paare, die sich angenähert hatten, wiegten sich umschlungen nach ihr. Er überraschte Frida, die gerade die dritte Flasche austrank. „Ich zeige dir jetzt, wie getanzt wird.“ Er nahm eine Hand von ihr und zog die Schreckerstarrte an sich. Anfangs quasselte er noch ein bisschen von einer Hand hier, die Füße so, dann schaukelten sie gemütlich hin und her. Eddy hatte sich Frida aus gutem Grund ausgesucht, denn die anwesenden Mädchen und Frauen waren alle größer als er, oder zumindest gleichgroß. Frida tanzte zum ersten Mal mit einem Mann und dazu auch noch mit einem völlig fremden. Sie hätte nicht wissen wollen, was sie mit drei Halben im Kopf gemacht hätte, wenn er auf Tuchfühlung gegangen wäre. Da es sonst nichts war, konnte man ja die Sache über sich ergehen lassen. Mit „nicht weglaufen“, eilte Eddy am Ende des Liedes zur Anlage und legte ein ähnliches auf. Nun sah er sie beim Hin- und Herwiegen manchmal an.

„Das geht doch schon ganz gut, gefällt es dir auch?“, wollte er von seiner schweigsamen Tanzpartnerin wissen.

„Jo, ganz nett“, meinte sie.

„Man kann dabei noch etwas schlenkern, damit es nicht zu langweilig wird“, tat gleich wie angekündigt und aufgrund ihrer alkoholbedingten Lockerheit, war sie leicht zu führen. Jetzt bekam sie endlich ein amüsiertes Gesicht und Gefallen an dem Geschiebe.

Im Vorbeitanzen machte Edith eine Bemerkung zu Eddy, die Frida nicht verstand. Der Cousin hob den rechten Arm und zeigte zwischen sich und Frida irgendwohin. Bei dieser Bewegung streifte er, unabsichtlich oder mit Absicht, über ihren Busen. Frida durchfuhr ein Gefühl, das sie noch nicht kannte. Sie war elektrisiert, ihr wurde heiß, ihre Kopfhaut kribbelte vor Entzücken und ihr Busen vor Verlangen. Schlagartig wusste sie: „Von diesem Gefühl will ich noch mehr.“ Eddy legte wieder die Hand an ihre Hüfte, tanzte zu Ende, verabschiedete sie galant und legte danach schnelle Musik auf. Nun tat es Frida den Erwachsenen nach, flippte zu wilder Rockmusik und überlegte die ganze Zeit, wie sie Eddy dazu bringen konnte, nochmals mit ihr zu tanzen. Sie öffnete eine weitere Flasche, trank sie aber ganz langsam, denn sie fürchtete sich vor den blöden Bemerkungen, die ihr unter Biereinfluss gerne herausrutschten.

Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als nochmals unsittlich berührt zu werden. Nach gefühlt endlos rockigen Liedern, ihre Flasche war schon wieder leer, sagte sie Scheiße zu sich und ging zum Discjockey hinüber. „Können wir noch mal tanzen, ich glaube es gefällt mir jetzt.“ So direkt angesprochen legte er wieder was Langsames auf. Nun aber legte Frida, wie sie es bei den anderen gesehen hatte, ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn. Er drückte sie etwas an sich, Frida spürte Verlangen und wünschte sich mehr Körperkontakt. Er streichelte sanft ihren Rücken. Tiefer, streichle mich doch bitte tiefer, wünschte sie sich verzweifelt. Wie gerne würde sie seine Hände auf ihren Pobacken spüren, innerlich streckte sie sich nach oben, damit er besser rankam. Er hielt sich leider zurück. Dann sah sie ihn eindringlich an, weil sie küssen wollte. Doch entweder war es so dunkel, dass er nicht erkennen konnte, was sie wollte, oder er hatte Schiss. Oder er findet mich hässlich, was aber eine Möglichkeit war, an die sie nicht denken wollte.

Eddy sagte: „Schön war’s“, ging wieder zur Anlage und spielte was Schnelleres.

Frida nahm ihren ganzen Mut zusammen und fragte ihn mit ihrem schönsten Lächeln: „Können wir uns mal irgendwo treffen, vielleicht beim Tanzen?“

„Lieber nicht. Mit einer Sechzehnjährigen möchte ich nichts anfangen. Halte dich lieber an Gleichaltrige.“

Frida war auf einen Schlag ernüchtert, in Zeitlupe erlosch ihr Lächeln. Den Rest der Party wurde sie von Eddy demonstrativ ignoriert. Bei so viel Ernüchterung brauchte sie noch eine Flasche Bier. Sie wusste genau, dass sie mit der fünften Flasche dem Vollrausch gefährlich nahekam. An eine Wand gelehnt, damit sie spürte, wie sicher sie noch stehen konnte, brütete sie vor sich hin. Mit dem letzten Schluck verließ sie die Party, ohne sich zu verabschieden und torkelte mal wieder ihrem Heim entgegen, das sich ungeschickterweise in Hanglage befand. Es war kurz vor drei, um Mitternacht hätte sie zu Hause sein sollen, hatte aber einen Hausschlüssel dabei. Falls der Vater sie nach langer Zeit mal wieder ohrfeigen sollte, würde sie dieses Mal der Länge nach auf den Boden schlagen. Doch, oh Wunder, sie kam unbehelligt ins Bett.

„Boa, riecht es hier nach Alkohol. Es ist zwölf, Mittagessen“, wurde Frida von ihrer Mutter aus dem traumlosen Schlaf gerissen. Es war Sonntag, da wurde gemeinsam gegessen, egal wie wenige im Haus waren. Nachdem sie einen halben Liter Wasser hinuntergestürzt hatte, war Frida bedingt bereit zur Nahrungsaufnahme. Sie bemühte sich, eine normale Portion zu verzehren. Mitten im Kampf mit dem Rollbraten meinte ihr Vater: „An Fasnacht kommt Monika zu Besuch. Die wird bestimmt interessante Sachen zu erzählen haben.“

Frida horchte auf. „Wann ist denn Fasnacht?“

„In drei Wochen.“

„Wird da auch getanzt?“ Ihre Eltern sahen sich überrascht an. Bei den tollen Tagen hatte die Familie noch nie mitgemacht.

In der Folge informierte sich Frida bei den Klassenkameraden und den Handballerinnen eingehend über Fasnacht, die bei den Einheimischen Fasent hieß. Vom Schmutzigen Dunschdig bis zur dritten Stunde an Aschermittwoch war immer schulfrei, eine Zeit, die sie sonst auf ihrem Zimmer und vor dem Fernseher verbrachte. Sie bräuchte ein weißes Nachthemd, bekam sie zu hören, zur Not täte es auch ein Bademantel. Am Donnerstagabend beteiligte sie sich mit ein paar Mädels im Bademantel am Hemdklunkerumzug, lauschte den launigen Worten des Narrenvorsitzenden, der anschließend die Fasent eröffnete und die Narren in die Wirtshäuser entließ. Dort machten sich mehr alte als junge maskierte Frauen den Spaß, Männern auf den Schoß zu sitzen, sie am Kinn zu kraulen und um ein Getränk zu bitten. Schnurren und Schnorren wurde das genannt. In allen Kneipen wurde Musik gespielt, es wurde wild getanzt, wobei so junge Leute wie Frida weniger tanzten, sondern mehr hüpften. Irgendwann wurde auch geschwoft und Frida hing sich an Kerle, mit denen sie dann herumschlenkerte, wie sie es von Eddy gelernt hatte.

Sie ging auch Freitagabend weg und Samstagabend wieder. Zwischendurch besuchte sie ihre Oma, um sich Geld zu leihen und ihr zu berichten, was so alles abging. Oma erzählte auch gerne, was ihre Generation an Fasent getrieben hatte. „Früher sind die Leute nicht zimperlich miteinander umgegangen. Damals hatte man sich sehr grobe Streiche gespielt, da würde heute jeder zur Polizei rennen und Anzeige erstatten.“ Zum Glück reichten Frida zwei, drei Flaschen Bier pro Nacht, um übermütig und fidel zu bleiben. In der Nacht von Samstag auf Sonntag fragte sie einen Jungen, den sie nicht kannte, der ihr aber gefiel, ob sie ihn küssen dürfe? Der Junge war entzückt, knutschte mit ihr ewig herum und wollte überhaupt nicht aufhören. Nach einem Toilettengang kam er aber nicht mehr zurück. Zuerst war Frida enttäuscht und ärgerte sich, doch nach einigem Nachdenken meinte sie: „Das war doch mal was. Morgen suche ich mir einen anderen, es ist schließlich Fasnacht.“

Sonntagabend marschierte sie mit anderen jungen Leuten an ihrer Krötenstrecke entlang über den Hügel in das Nachbardorf Lohberg. Mädchen und Jungs gingen mit Bierflaschen in den Händen, die Straßenbreite voll ausnutzend, untergehakt nebeneinander einem bestimmten Lokal entgegen. In Lohberg, wo nur achthundert Leute wohnten, war der Adler die einzige Wirtschaft. Aber zum Adler gehörte ein Saal, in dem sich alle Dorffeste abspielten, legendär waren die Fasnachtsveranstaltungen.

Jedes Jahr am Fasentsundig spielte eine Musikkapelle, die mit Schunkel-, Schlager- und Rockmusik eine Wahnsinnsstimmung in die Bude zauberte. In den Pausen, die Musiker waren genauso durstig wie die Gäste, durfte jedermann selbstgedichtete Büttenreden vortragen, die selten jugendfrei waren. Die anwesenden Jugendlichen lachten jedoch immer am lautesten.

Frida, die sich als Tiger geschminkt hatte, hüpfte und rockte, bis ihr die Streifen herunterliefen. Zur vorgerückten Stunde fand sie einen Kerl, mit dem sie Brüderschaft trinken konnte, was in einer deftigen Knutscherei endete. Alkoholumnebelt tanzte sie schließlich eng umschlungen mit einem Unbekannten, was auch nicht ohne eine feuchte Abschleckerei auskam. Frida hatte am Küssen so viel Gefallen gefunden, dass sie mit jedem knutschte, der es sich gefallen ließ. Nüchtern hätte sie es wohl nicht gemacht.

Traditionell wurde der Adler gegen fünf Uhr morgens geschlossen. Dann schwankte und torkelte die ganze Bagage grölend den Weg zurück, um Punkt sechs in der Heimatgemeinde vor dem Rathaus zu stehen. Unterwegs halfen einige Narren, die Kröteneimer zu kontrollieren und auszukippen. Wie sie das am Dienstagmorgen bewerkstelligen sollte, war Frida noch ein Rätsel. Vor dem Rathaus begann das Wecken, das an Fasent besonders leidenschaftlich durchgeführt wurde. Mit allem was Krach machte, von Trompeten über Topfdeckel und Rätschen, bis hin zu Fässern und Badewannen, die total Übermütige hinter sich herzogen, marschierten die Narren durch die Straßen und Gassen des Städtchens. Anschließend aßen sie bei den Bäckereien heiße Brezeln und tranken ein letztes Bier, bevor es bis zur nächsten Veranstaltung ins Bett ging. Erstaunlicherweise ließen Fridas Eltern sie gewähren, machten keine Szene wegen zu spätem Heimkommen, bekam sie keinen Ärger wegen des Durchmachens, hörte keine Anklage wegen dem Alkoholgeruch in ihrem Zimmer. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund gönnten die Eltern ihr diese kurzfristige Freiheit. Oder der Vater testete ihre Vernunft.

Am Dienstagabend war Frida völlig blank, die Oma wollte sie auch nicht mehr anpumpen, die Stimmbänder waren ruiniert und ihre Muskeln vom wilden Hüpfen genauso verkatert, wie der Rest ihres Körpers. Eigentlich hatte sie gehofft, in diesen wilden Tagen einen Freund zu finden, der mit ihr das macht, was sie in ihren Wachträumen begehrte. So ging sie nüchtern zur Fasentverbrennung