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Table of Contents

Titel

Impressum

"… DAS bist du nicht!"

"He, Freund! Träumst du?“

Beschützerinstinkt. Sag ich doch!

"Was willst du hier?"

"Okay, Mila. Rede!"

"Hör auf dein Herz, nicht auf den Verstand, Mila."

Das Bauchgefühl hat entschieden.

"Mein EGO?!"

"Wo willst du hin?"

"Verdammt noch mal!"

"Er hat mich zum Wagen verfolgt."

"Du Glücklicher!"

"Dahai?"

Mehr Fantasy von Nicole Lübke bei DeBehr

 

 

 

 

 

Nicole Lübke

 

 

 

Die Hüter des Almaron

Band 1

Verschiedene Welten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

FANTASY-ROMAN

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Nicole Lübke

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

ISBN: 9783957535481

Erstauflage: 2018

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by Fernando Cortéz

 

"… DAS bist du nicht!"

Die Stimme der Frau klang gequält und ging durch Mark und Bein. Ein unbeeindrucktes, höhnisches Lachen erklang.

"Doch genau DAS bin ich! Ich habe mein Selbst verleugnet – wegen dir! Doch nun kannst du mich nicht mehr umgarnen! Mit deinem Wohlwollen, dem Verständnis, deinem unerschütterlichen Glauben an das Gute!"

Die männliche Stimme hat in ihrem Ton einen Hauch von Ekel, als sie von diesen Dingen sprach. Eine große Hand schoss aus dem Nichts hervor und umschloss die schmale Kehle der Frau, die mit dem Rücken in die Ecke gedrängt dastand.

"Und? Glaubst du auch jetzt – kurz vor deinem Ende – noch an das verdammte "Gute“, in mir?"

"Du bist mein Mann …"

Die Stimme der Frau versagte, als die Hand sich fester um ihren Hals schloss.

"Nein! DU bist meine Frau. Die Frau, welche mir einen Sohn gebären sollte, einen starken Sohn! Doch du hast versagt! Du hast ihn mit deinen Ansichten vergiftet, das hat ihn schwach gemacht! Er ist nutzlos für mich! DU bist nutzlos für mich! "“

"DU bist schwach!", bäumte sich die Frau mit einem Mal auf. "Dein Selbst ist eine Krankheit, ein Defekt, den du an deinen Sohn vererbt hast! Aber er wird stark genug sein, um diesen Teil seines Wesens zu kontrollieren. ER ist nicht wie DU!"

Bei diesen Worten lockerte die Hand unwillkürlich ihren Griff und die Frau rutschte an der Wand hinunter, da ihre Beine sie nicht mehr tragen wollten. Als sie den Kopf hob und in Richtung ihres Angreifers sah, weiteten sich ihre Augen und im gleichen Augenblick fing sie gellend an zu schreien. Und sie schrie und schrie und schrie …

… und gleichzeitig fuhr ein junger Mann in seinem Bett erschrocken auf, mit Schrecken erfüllt und der Gewissheit, dass er alleine war.

Ganz alleine.

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Mila

Ich sitze auf der obersten Stufe der Metalltreppe, eine dampfende Teetasse zwischen den Händen und betrachte die Stadt, welche mir scheinbar zu Füßen liegt. Es ist dunkel, doch die unzähligen Lichter erwecken den falschen Eindruck von Helligkeit und damit verbundener Sicherheit. Wenn ich nach vorne blicke, sehe ich schwarze Umrisse von Gebäuden, große, kleine, für meinen Geschmack eigentlich viel zu viele auf zu engem Raum. Und doch liebe ich diese Enge der Steinbauten. Es ist ein unnatürliches, gelbstichiges Licht, das dieses Bild beleuchtet, der Schein wirkt ungesund. Doch er gehört zu meiner Stadt dazu.

Für mich ist der Anblick der Stadt, die in jenes seltsame Licht getaucht ist, normal. Ich kenne es nicht anders, denn ich lebe schon immer an diesem Ort. Nicht genau hier, in der Wohnung zu der die Treppe, auf der ich sitze, gehört, aber doch hier, in der immer selben Stadt. Ich habe diesen Ort noch nie in meinem Leben verlassen. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich es jemals schaffen werde. Hier hat mein Leben begonnen. Es gab gute Momente, schlechte und auch Momente, die mich in meinen Träumen bis heute verfolgen. Das ist auch der Grund, weshalb ich meist nachts hellwach bin und, wenn es denn wirklich unvermeidlich ist, tagsüber schlafe. Wenn die Erinnerungen in diesen unkontrollierbaren Zeiten über mich kommen, hilft mir die Helligkeit der Sonne beim Aufwachen, die Schreckensbilder schneller abzuschütteln.

Ein tiefes Maunzen hinter mir reißt mich aus meinen Gedanken. Es ist Oz, mein Waldpanther. Langsam streiche ich ihm über sein samtiges schwarzes Fell und er lässt sich zu meinen Füßen nieder. Er ist ein besonderes Haustier, denn seine Mutter ist eine Waldkatze, sein Vater hingegen einer der letzten Panther, die bis vor einiger Zeit noch hier außerhalb der Stadtgrenzen lebten. Oz hat inzwischen die Größe eines mittelgroßen Hundes und mir schon öfter als einmal die Luft geraubt, wenn er sich wie früher, als er noch klein war, auf meinem Bauch zusammenrollen wollte. Ich liebe ihn, denn er steht mir zur Seite, seit ich hier eingezogen bin. Als ich das erste Mal die Tür zu dieser Wohnung öffnete, saß er als kleines schwarzes Wollknäuel auf der Fensterbank. Und er ist einfach geblieben. Heute weiß ich, das hat einen guten Grund. Ich erinnere mich daran, dass ich abends auf der Couch lag, mein namenloser neuer Mitbewohner auf mir und ich den Fernseher einschaltete. Der erste Kanal, der ansprang, zeigte einen wirklich uralten Film, den "Zauberer von Oz". Bevor ich noch umschalten konnte, sprang das schwarze Knäuel wie ein Blitz von mir herunter und stand wild fauchend vor dem Gerät, welches gerade den ängstlichen Löwen zeigte, der sich so sehnsüchtig nach Mut sehnte. Na ja, und ab diesem Moment nannte ich ihn Oz.

Der Kater sitzt neben mir auf der Treppe, stolz wie eine ägyptische Gottheit. Seine grünen Augen beobachten die Nacht, genau wie meine. Wieder einmal kommt mir der Gedanke, dass wir uns ähnlich sind, er und ich. Von unserem Wesen und auch von manchem Verhalten. Bei dem Gedanken muss ich lächeln.

Ich heiße übrigens Mila. Als ich vor einem Jahr endlich einundzwanzig wurde und es mir damit offiziell erlaubt war, in eine eigene Wohnung zu ziehen, habe ich das sofort getan. Natürlich war meine Granny ein wenig traurig über mein Fortgehen, aber sie wusste auch, dass ich ab sofort meinen eigenen Weg finden musste. Und ich meine, sie hat mich darauf, so gut sie konnte, vorbereitet. Meine Granny ist eine Almarondona, ebenso wie ihre Tochter, nämlich meine Mutter, eine war. Und ich bin auch eine. Unsere Familie gehört damit von weiblicher Seite her schon über Generationen zu den sogenannten Magiales. Wir sehen aus wie normale Menschen, welche von Mitgliedern der Magiales als Hombriales bezeichnet werden, doch wir besitzen Fähigkeiten, die den Menschen nicht innewohnen.

Und als ob das nicht schon genug wäre, fließt in meinen Adern noch ein weiteres Erbe, nämlich die Magie. Mein Vater war ein Hexer und hat mir seine Fähigkeiten ebenfalls hinterlassen. Das ist eine ungewöhnliche Zusammensetzung, auch für die Welt der Magiales. Denn normalerweise ist immer nur ein Teil einer Familie mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet, entweder die weibliche oder die männliche Linie. Damit soll die Reinheit der Fähigkeiten erhalten bleiben. Doch meine Eltern haben gegen diese ungeschriebene Regel verstoßen und damit in Kauf genommen, dass bei mir beide Linien zusammenfallen könnten. Und das Schicksal hat dann, warum auch immer, beschlossen, mich mit den Fähigkeiten einer Almarondona und der Magie auszustatten. Leider beherrsche ich den väterlichen Teil von mir nicht wirklich, da niemand mehr da war, der mich die Anwendung dieser Kräfte ausreichend hätte lehren können. Manchmal fällt die Magie einfach über mich her und macht mich zu ihrem Spielzeug. Daher ist es nun wichtig, diesen Teil von mir genauer kennenzulernen. Bisher habe ich das immer verdrängt und anderen Dingen den Vorrang gegeben. Doch nun, da ich meinen Abschluss in der Tasche habe, mein eigenes Geld verdiene und für mich selbst verantwortlich bin, kann ich diesen Teil meines Inneren nicht länger verleugnen.

Doch nicht heute Nacht. Ich stehe auf, was von Oz mit einem leicht vorwurfsvollen Maunzen kommentiert wird, und gehe in die Wohnung. Nachdem ich die leere Teetasse auf der Küchentheke abgestellt habe, gehe ich weiter in mein kleines Schlafzimmer, um mir meine Trainingsklamotten anzuziehen. Ich schlüpfe in eine schwarze Jogginghose, ein Top und ziehe meine liebste Sweatjacke über, unter deren Kapuze ich meine Haare, aber auch mein Gesicht vor neugierigen Blicken verbergen kann. Als alle Lichter gelöscht sind, gehe ich die Metallstufen der Außentreppe hinunter, bis meine Füße den kalten Asphalt berühren. Und ich laufe los hinaus in die Nacht.

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Huck

Es ist Montag, der schlechteste Tag für mein Geschäft. Ich hasse den Montag, gleichzeitig warte ich nach den ereignisreichen Wochenendtagen auch darauf. Das Partyvolk fehlt, nur vereinzelt halten sich Leute an der Bar auf, die Tanzfläche ist leer, sodass sich nur die flackernden Lichter in vorgegebener Reihenfolge auf dem Boden spiegeln. Ein gelangweilter Seufzer entfährt mir unwillkürlich, als ich meinen Blick über die unbesetzten Tische und die Bühne schweifen lasse. Trotz des geringen Publikums versucht Katey, hinter dem Tresen gute Stimmung zu verbreiten. Dieses Mädchen tut meinem Geschäft gut, denn sie besitzt hell strahlendes Almaron. Natürlich können es die Gäste im Gegensatz zu mir nicht sehen, aber sie spüren es. Deshalb fühlen sich alle sofort zu ihr hingezogen. Gerade als ich meine Augen weiter wandern lassen will, lenkt eine mir nur zu bekannte Bewegung meine Aufmerksamkeit auf eine Gestalt an der Bar. Ehe die Drehung dieser Hand zu Ende gebracht ist, stehe ich schon neben dem Mann, der auf lächerliche Weise versucht, seine Person mit einem langen Trenchcoat unkenntlich zu machen.

"Noch eine weitere Bewegung“, knurre ich und mustere ihn scharf, "und du wirst diese Hand nie wieder benutzen können! Weder im normalen Leben, noch für das, was du gerade tun wolltest!"

Der Typ hält inne und dreht sich zu mir, um mir ins Gesicht zu sehen. Er muss seinen Blick nach oben wenden, denn ich habe mich in meiner ganzen Größe vor ihm aufgebaut. Meine Gestalt lässt die seine im Schatten verschwinden.

"Was willst du? Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß!"

"Das hier IST mein verdammter Scheiß, du Freak!"

Meine Stimme ist tief und bedrohlich, ebenso wie meine gesamte Körperhaltung. Der Typ vor mir scheint allerdings nicht von der hellsten Sorte zu sein, denn er wagt es wirklich, seine Fäuste gegen mich zu erheben. Wie lächerlich. Doch es macht den bisher öden Montag ein wenig interessanter. Aber ich muss mich zurücknehmen, wir haben Publikum und ich möchte kein unnötiges Aufsehen erregen. Also fange ich seine unkontrollierten Schläge auf der Hälfte des Weges zu mir ab und verdrehe ihm unsanft die Arme auf den Rücken. Er hat keine Chance in irgendeiner Weise auf meine Geschwindigkeit zu reagieren. Wie gesagt: lächerlich. In dieser verschlungenen Haltung schiebe ich ihn unsanft zum Ausgang. Ich spüre, dass uns Blicke verfolgen. Als ich mich vor der Tür umsehe, stelle ich fest, dass kein Mensch auf der Straße ist. Ich schubse diesen Freak von mir und er dreht sich wie ein wütender Stier in meine Richtung.

"Dich mach ich fertig!“, zischt er zwischen den Zähnen hervor. "Du hast ja keine Ahnung, mit wem du dich gerade angelegt hast!"

Mein freudloses Lachen reizt ihn offensichtlich noch mehr, denn ohne Vorwarnung stürzt er in meine Richtung. Na gut, er will es ja nicht anders. Unter seinem ersten Schwinger ducke ich mich locker hinweg und auch dem nachfolgenden Arm weiche ich schlicht aus.

"Bist du dir ganz sicher, dass du das tun willst?"

Meine Stimme ist ruhig. Okay, ich habe ihn gewarnt, doch er versteht es mit seinem beschränkten Geist wohl nicht. Wäre ich nicht ich, würde er mir fast leidtun. Sein Almaron umgibt ihn nur noch wie ein schwacher grauer Dunst. Tja, Pech für ihn. Ich bin nun mal ich, mir ist langweilig und ich hasse es, wenn solche Typen wie er versuchen, in meinem Gebiet diesen Mist abzuziehen. Als er erneut auf mich zukommt, spanne ich meine Muskeln an und er läuft mir direkt in die rechte Faust. Er taumelt und noch während er versucht, sich zu fangen, folgt meine Linke und lässt ihn, getroffen in der Magengrube, wie eine Puppe zusammenklappen. Als er nun so vor mir auf der kalten, leeren Straße auf dem Boden kniet und ächzend nach Luft schnappt, hebe ich mit meiner Hand sein Kinn an und zwinge ihn, mir ins Gesicht zu sehen.

"Ich glaube, DU hast keine Ahnung, mit wem du dich angelegt hast!“, erklingt meine Stimme. Leise und bedrohlich. "Sieh mich an, Freak! Du weißt nicht, WER ich bin, aber schau mir in die Augen und du wirst erkennen, WAS ich bin!"

Mein Blick fixiert ihn und an der Weitung seiner Pupillen sehe ich, dass er mein inneres Wesen erkannt hat. Und nun zeigt er endlich das gebührende Verhalten: Angst.

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Mila

Die Nacht ist herrlich. Meine Füße tragen mich locker voran, Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug. Das ist die Zeit im Laufe des Tages, in der ich das Gefühl habe, frei atmen zu können. Na ja, eigentlich ist es Nacht. Genau daran liegt es, dass ich mich wohlfühle. Die Dunkelheit und die Stille der Stadt umgeben mich wie eine beruhigende Decke, in die ich mich sicher einhüllen kann. Ich bin alleine und laufe in regelmäßigem Tempo zwischen den Bäumen entlang, welche den Weg an der Flussmauer einrahmen. Es ist die kleine Oase in der sonst so hektischen Stadt, welche sich Seite an Seite mit dem Fluss durch die Stadt schlängelt. Hier laufe ich immer. Weit ab von Menschenmassen, Straßenverkehr und Lärm. Und um diese Tageszeit gilt die Aufmerksamkeit der Dunkelheit nur mir.

Als wollte mich dieser letzte Gedanke Lügen strafen, kommt mir eine Gestalt entgegen. Aus der Ferne erkenne ich nur an der Bewegung selbst, dass dort jemand ist. Bei näherer Betrachtung sehe ich auch weshalb: Die Person ist bekleidet mit schwarzer Hose und einer ebensolchen Weste. Es ist ein junger Mann, der wohl genauso verrückte Angewohnheiten hat wie ich. Er ist noch einige Meter von mir entfernt, als ich ihn unter meiner Kapuze heraus heimlich mustere. Seine Gestalt ist groß, er wirkt durchtrainiert. Die Weste, die er trägt, ist ärmellos, doch seine Haut strahlt nicht wie erwartet hell von dem dunklen Stoff ab. Die muskulösen Arme zieren schwarze Tätowierungen, welche sich von den Handgelenken bis zu den Schultern winden und den eigentlichen Hautton fast komplett verdecken. Während er in stetem Tempo auf mich zugelaufen kommt, kann ich schwarze Haare erkennen, welche ihm in kurzen gestylten Stacheln vom Kopf abstehen. Er ist auf meiner Höhe und ich ducke mein Gesicht unwillkürlich tiefer in die Geborgenheit meiner Kapuze. Ich bin mir ziemlich sicher, ihm noch nie begegnet zu sein und doch spüre ich eine vertraute, aber nicht bedrohliche  Anspannung tief im Inneren. Es ist ein kribbelndes Gefühl, als würden wir uns kennen. Seine Nähe lässt meinen Körper reagieren, mein Herz pocht plötzlich schneller, Härchen richten sich erschrocken auf und mein Atem beschleunigt sich. Doch dann ist er an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Irgendwie erleichtert stoße ich die Luft aus und laufe weiter.

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Huck

Die Begegnung mit diesem Freak hat mich mehr aufgewühlt, als ich vor mir zugeben will. Ich muss mich beruhigen, die Kontrolle über meine Gefühle zurückgewinnen. Daher überlasse ich es meinen Leuten, die letzten Gäste allmählich hinauszukomplimentieren und den Laden dichtzumachen. Heute wird eh nichts mehr passieren. Nachdem das geklärt ist, wende ich mich der Tür zu, welche mit dem Schild "Privat“ gekennzeichnet ist. Ohne darüber nachdenken zu müssen, tippe ich auf dem daneben angebrachten Kästchen eine Zahlenkombination und mit einem sachten Klicken springt die Tür für mich auf. Die dahinterliegende Treppe führt nach oben und endet direkt in meiner Wohnung. Eigentlich war dieser Teil des Gebäudes der Grund, weshalb ich dem Kauf zugestimmt habe. Der untere Bereich war schon ideal für das geplante Geschäft, doch dieser obere Teil hatte es mir sofort angetan. Ich habe die große, leere Fläche gesehen und wusste, hier werde ich wohnen. Abgeschirmt von allem anderen. Eigentlich besteht meine Wohnung aus einem großen Raum. Allerdings gibt es eine schmale Treppe, welche zu einer zweiten Ebene führt. Dort ist mein Schlafbereich und ein kleines Bad. Ansonsten gibt es hier keine trennenden Mauern oder Türen. Dafür habe ich auf der einen Hausseite große Panoramafenster einbauen lassen, welche mir einen weiten Blick auf den Park und den Fluss gestatten. Und doch liegt das Gebäude so hoch, dass niemand von außen zu mir Einblick hat. Meine Privatsphäre ist mir sehr wichtig und niemand, der mich kennt, würde es wagen, sie zu stören.

Minuten später verschwinde ich in meinen Trainingssachen durch den zweiten Ausgang, welcher direkt hinter dem Haus mündet. Ich muss mich bewegen. Das ist das Einzige, was mir hilft, meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen.

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Mila

Ohne weitere Zusammenstöße mit anderen Menschen habe ich meine tägliche, nein, nächtliche Runde, beendet. Auf dem Rückweg mache ich einen Zwischenstopp bei Dahais kleinem Laden. Ich kaufe dort gerne ein, denn das Geschäft ist klein, trotzdem gut sortiert und vor allem hat es auch um diese Zeit geöffnet. Dahai ist ein Mann von unschätzbarem Alter, mit gebräuntem Teint, unzähligen Falten und Runzeln im Gesicht, aber mit wachen und aufmerksamen Augen. Er nickt mir stumm zu, als ich den Laden betrete. Mit dem Korb in der Hand schlendere ich durch die ordentlichen Regalreihen. Nach und nach lege ich Paprika, Pilze, Zucchini, Salat, Tomaten und Äpfel hinein. Dazu noch braune Nudeln, dunkles Brot, Quark und Joghurt. Futter für Oz vergesse ich auch nicht und natürlich Schokorosinen. Ich liebe Schokorosinen. An der Kasse stelle ich Dahai meinen gefüllten Korb zum Abrechnen hin und lege noch eine Tageszeitung dazu.

"Hallo, Mila“, grüßt mich Dahai, während er meine Einkäufe abwiegt und Preise in die altmodische Kasse eintippt. "Ich habe heute von dem großen Ziegenkäse bekommen, nach dem du das letzte Mal gefragt hast. Möchtest du davon etwas mitnehmen?"

Ich nicke zustimmend, worauf er in dem hinteren Raum verschwindet. Er kommt mit einer weißen Rolle und einem Messer zurück und bedeutet mir zu zeigen, wie dick er eine Scheibe abschneiden soll. In Papier eingewickelt wandert auch der Käse zu meinen Einkäufen. Als ich ihm Geld reiche, fragt er beiläufig: "War alles ruhig bei deiner Runde heute?"

"Ja, die Stadt schläft, so wie es sein soll“, bestätige ich ihm. "Nur ein Mann ist mir auf meinem Weg am Fluss begegnet."

"Mann oder Razzio?“, hakt Dahai stirnrunzelnd nach.

"Er hat mir keine Beachtung geschenkt, also würde ich sagen, es war einfach nur ein Mann“, erwidere ich lächelnd. Dahai macht sich immer Sorgen um mich. "Und du weißt doch, mir geschieht nichts."

"Sei trotzdem wachsam!"

Ich verspreche es ihm und verlasse das Geschäft. Als ich zu Hause ankomme, sitzt Oz auf der untersten Stufe der Metalltreppe und wartet auf mich. Ich kraule ihn kurz hinter den Ohren und steige dann zu meiner Wohnung hinauf. Oz folgt mir auf leisen Pfoten. Nachdem ich die Einkäufe verstaut habe, stelle ich mich unter die Dusche. Das heiße Wasser rinnt mir prickelnd den Körper hinab. Seufzend drehe ich mich unter dem Strahl hin und her. Ich gebe einen Klecks Shampoo auf die Handfläche und massiere ihn in meine Haare ein. Sofort erfüllt der Duft von Orange die Duschkabine. Mhm, ich atme den frischen Geruch durch die Nase ein. Nach einer gefühlten Ewigkeit verlasse ich mein kleines Bad, ziehe mir frische Sachen über und lege mich aufs Bett. Während andere Menschen nun allmählich aufstehen und sich für die tägliche Arbeit fertigmachen, beginnt für mich die Ruhe.

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Mila

Meine Augen sind geschlossen, doch ich spüre, dass Oz mich anschaut. Sein durchdringender Blick ist durch die Augenlider für mich deutlich spürbar. Als ich trotzdem nicht reagiere, stupst er mich mit einer Pfote sanft an. Kurz darauf fühle ich sein weiches Fell an meinen Armen, als er sich quer über mich legt.

"Oz, geh runter von mir!“, stöhne ich und schiebe den schweren Körper von mir. Widerwillig öffne ich die Augen. Ich bin mir sicher, wenn er es könnte, dann würde der Kater jetzt triumphierend grinsen. Als könnte ihn kein Wässerchen trüben, maunzt er mich nur an.

"Ja, du hast ja recht, Großer. Zeit zum Aufstehen. Es ist fast Mittag."

Nachdem ich ihm sein Futter hingestellt und mir kurz im Bad etwas kaltes Wasser ins Gesicht geworfen und die Zähne geputzt habe, gehe ich in die Küche. Ich koche mir einen Tee und nehme mir einen Joghurt aus dem Kühlschrank. Mit beidem nehme ich meinen Lieblingsplatz auf der Treppe ein. Während ich in aller Ruhe frühstücke, sehe ich dem Leben unter mir zu. Im Gegensatz zu ein paar Stunden zuvor herrscht nun hektische Betriebsamkeit in den Straßen. Die Stadt summt vor sich hin. Alle sind wach, laut und anscheinend sehr beschäftigt. Es ist warm und die Luft kommt mir schon sehr verbraucht vor. Seufzend gehe ich hinein, schließe die Tür hinter mir und schalte den großen Deckenventilator ein. Die umherwirbelnde Luft suggeriert wenigstens das Vorhandensein von etwas Sauerstoff.

Ich fülle den inzwischen kaltgewordenen Tee zusammen mit einer Handvoll Eiswürfel in eine Trinkflasche und setze mich damit an den Schreibtisch. Dort fahre ich meinen Computer hoch und fange an zu arbeiten.

Ich liebe meine Arbeit, denn sie ermöglich mir die Freiheit, mein Leben so zu leben, wie ich es tue, da ich von zu Hause aus mein Geld verdiene. Übersetzungen, das ist es, was ich mache. Ich arbeite für einen der größten Verlage hier in der Stadt und übersetze Bücher in die mir geläufigen Sprachen. Konzentriert mache ich mich ans Werk.

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Huck

Sei wachsam, mein Sohn!

Die Frau, welche eindringlich auf mich einzusprechen scheint, ist mir wohlbekannt. So nah und doch so fern. Sie formt die Worte mit ihren Lippen:

Lass deine Chance nicht aus Unachtsamkeit verstreichen! Sie wird dir begegnen. Kümmere dich um sie, so wie sie sich um dich sorgen wird. Zusammen steht ihr für das Richtige. Denke daran, was ich dich gelehrt habe!

Schlaftrunken schrecke ich hoch. Es dauert einen Augenblick, bis mir bewusst wird, dass ich in meinem eigenen Bett liege und alleine bin. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal von ihr geträumt habe, also warum ausgerechnet jetzt? Hat es etwas mit dem Razzio zu tun, den ich gestern vor die Tür gesetzt habe? Nein, ich glaube nicht. Diese Freaks kommen fast wöchentlich in meinen Laden. Natürlich, wo sich viele Menschen treffen, werden sie unweigerlich hingezogen. Das kann es eigentlich nicht sein. Also, was ist der Grund? Ich mag diese Träume nicht. Jedes Mal, wenn ich von meiner toten Mutter träume, passiert irgendetwas. Es ist immer, als wolle sie mich darauf vorbereiten. Ja, sie war eine Almarondona, doch ich bin mehr als das. Sie wollte immer, dass aus mir ein Almarondon wird, dabei wusste sie, dass dies nicht uneingeschränkt möglich ist. Aber eine Mutter glaubt eben doch immer nur an das Gute in ihrem Kind. Bei dem Gedanken muss ich gequält grinsen.

Ich wollte mich nie auf irgendeine Seite schlagen. Das Bewahren von Almaron ist mir eigentlich scheißegal. Ich gehe gegen die Razzios in meinem Laden an, weil ich sie einfach nicht ausstehen kann und das Gesindel sich seinen Stoff woanders besorgen soll. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass ich gut bin, nur weil ich das Böse nicht mag. Diesen Unterschied hat sie nie verstanden. Allerdings wusste meine Mutter, was in mir schlummert. Vielleicht wollte sie deshalb immer meine gute Seite stärken. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob ihr das gelungen ist. Es gibt Tage, da traue ich mir selbst nicht über den Weg.

Ich stelle mich unter die Dusche und versuche, die Bilder aus dem Traum von mir abzuschütteln. Doch ich sehe sie schrecklich deutlich vor mir. Sie deutet mit dem Finger auf eine junge Frau. Ich sehe ihr Gesicht nicht, doch der Körperbau verrät mir, dass sie klein und zierlich ist, sie bewegt sich geschmeidig am Fluss entlang. Was soll das? Das ist nicht der Typ Frau, den ich normalerweise beachten würde. Klein und beschützenswert, das ist ja so gar nicht mein Fall! Ich brauche kein weibliches Wesen an meiner Seite, um mich vollwertig zu fühlen. Ich habe, je nach Lust und Laune, Sex. Unverbindlichen Sex. Nur zum Spaß und auf keinen Fall mehr als einmal mit derselben Frau. Damit erst gar keine falschen Hoffnungen aufkommen! Die meisten meiner Freunde und Geschäftspartner sind liiert und ich habe bei fast allen beobachten können, wie schrecklich einnehmend und anhänglich ihre Frauen und Freundinnen sind. Sie scheinen alle blind dafür zu werden, zu erkennen, wie gefährlich diese Wesen sind. Sehen hübsch aus und wollen doch nur nehmen, nehmen, nehmen. Wie viele habe ich schon an ihrer sogenannten großen Liebe kaputtgehen sehen! Das wird mir nicht passieren.

Ich stelle das Wasser ab. Nachdem ich mich abgetrocknet und angezogen habe, gehe ich nach unten. Katey ist schon bei der Arbeit. Als sie mich sieht, nickt sie freundlich und stellt mir unaufgefordert eine Tasse heißen schwarzen Kaffee hin. Sie wartet, bis ich das Gebräu hinuntergestürzt habe, füllt mir die Tasse ein zweites Mal und schiebt mir dann die Bestelllisten über den Tresen. Ja, Katey arbeitet schon lange hier. Sie weiß, dass sie mich vor dem ersten Kaffee nicht ansprechen sollte. Bei dem Gedanken muss ich unwillkürlich lächeln, was Katey mit einem Stirnrunzeln quittiert. Doch sie sagt nichts, sondern kümmert sich weiter um die Bestückung der Bar. Ich nehme die Listen, gehe an der Bar vorbei. Jedoch wende ich mich nicht zu der Tür, welche hoch in die Wohnung führt, sondern durchquere den Flur bis zum Ende. Dort wartet mein Büro darauf, dass ich anfange, mein Geld zu verdienen.

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Mila

Ich drücke auf das Symbol zum Speichern und strecke mich dann auf meinem Stuhl. Als ich auf die Uhr schaue, merke ich erschrocken, dass ich sechs Stunden ununterbrochen gearbeitet habe. Dieses Buch hier ist aber auch sehr spannend! Manchmal sind die Bücher so öde und langweilig, dass ich mich regelrecht zwingen muss, an der Übersetzung dran zu bleiben. Da frage ich mich schon, welchen Lesergeschmack sie damit erreichen wollen. Aber dieses Manuskript hier, das fesselt mich. Ich werde eine Kopie für mich machen und in meinem reichhaltigen Vorrat an guten Geschichten abspeichern. Tja, noch so ein Vorteil an meinem Job: Man kommt als Erste an die neusten Bücher!

Im Vorbeigehen drücke ich den Knopf der Stereoanlage und sofort erklingt ein mitreißender Rhythmus aus den Boxen. Oz spitzt erschrocken die Ohren und flüchtet nach draußen. Ich durchquere tanzend den Raum zu meiner Kochnische hin und beginne damit, Gemüse zu putzen und in kleine Stücke zu schneiden. Als ich damit fertig bin, hole ich eine Pfanne mit hohem Rand unter der Spüle hervor, gieße etwas Öl hinein und als es heiß ist, wandern Zwiebeln und Knoblauch dazu. Es zischt leise. Nach und nach gebe ich die restlichen Gemüsestücke in die Pfanne. Dann öffne ich den Kühlschrank und nehme das Stück Ziegenkäse heraus, welches Dahai mir heute Nacht verkauft hat. Es kommt in eine kleine, steinerne Schale und wird mit Honig beträufelt. Dann schiebe ich es unter den schon vorgewärmten Grill im Ofen. Ich esse gerne Käse. Und Gemüse. Aber kein Fleisch. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, etwas zu essen, das tot ist. Und so ist es ja genau genommen bei Fleisch und auch bei Fisch. Ich möchte lebendige Sachen essen, die mir positive Energie geben. Bei allem anderen habe ich immer das Bild vor Augen, dass da ein Tier gestorben ist und da dies ja keine gute Erfahrung ist, kann dabei doch auch nur negative Energie ausgestrahlt werden. In Zeiten, in denen es so wichtig geworden ist, auf ein gesundes Almaron zu achten, möchte ich da keinerlei Risiko eingehen. Das ist übrigens eine Entscheidung, welche ich ganz alleine nur für mich getroffen habe. Ich verurteile es nicht, wenn Menschen Fleisch essen. Sollen sie. Ich kann es nur nicht leiden, wenn mich jemand überzeugen möchte, dies auch zu tun. Meiner Meinung nach geht das nämlich niemanden außer mir selbst etwas an.

Als das Essen fertig ist, setze ich mich damit an die Frühstückstheke. Einen Esstisch besitze ich gar nicht. Ich schalte die Musik aus und dafür den Fernseher an. Die Nachrichten berichten gerade über den Anstieg der an Depressionen erkrankten Personen. Forscher können sich nicht erklären, warum sich die Symptome der Schwermütigkeit so häufen. Ich seufze und zappe einen Kanal weiter. Tja, ich könnte ihnen erklären, woher das kommt. Da sie aber nicht um die Tatsache wissen, dass jeder Mensch von Almaron umgeben ist, welches sich auf sein Wohlbefinden auswirkt, würden sie mir wohl keinen Glauben schenken. Das ist ja genau das Fatale. Dieses Unwissen machen sich die Razzios zu Nutzen. Sie saugen Almaron von den Menschen ab, um sich selbst damit zu stärken. Die Menschen jedoch werden traurig und beeinflussbar, sind je nach Verlustgrad ihres Almarons nicht mehr sie selbst. Bis zu einem gewissen Punkt heilt sich das Almaron selbst, wird mit der Zeit und guten Erfahrungen der Person wieder hell und strahlend. Die Menschen bezeichnen das fälschlicherweise als Karma oder Charisma. Doch mit jedem Angriff eines Razzios wird das Almaron geschwächt, erscheint mir, die es sehen kann, in dunklerer Farbe und trübe, nicht mehr klar und strahlend. Sehr ausgehungerte Razzios saugen manchmal das komplette Almaron eines Menschen ab, weil sie ihre Lust nicht kontrollieren können. Das ist das Allerschlimmste. Denn ohne Almaron stirbt man.

Ich schüttele diese unangenehmen Gedanken von mir ab und versuche, mich auf den gezeigten Film zu konzentrieren und mein Abendessen zu genießen.

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Er drückte einen Knopf und im gleichen Augenblick schaltete sich der Bildschirm aus. Alles lief wie geplant. Er konnte die Genugtuung über den reibungslosen Ablauf in sich aufsteigen spüren. Seine Leute leisteten gute Arbeit. Der Bericht eben hatte es ihm bestätigt. Selbst diese dämlichen Hombriales, also die gewöhnlichen Menschen, hatten JETZT endlich bemerkt, dass die Leute zunehmend trauriger und depressiver wurden. Tja, wüssten diese Kreaturen um das sie umgebende Almaron und was es für sie bedeutete, dann könnten sie sich diesen Anstieg wohl erklären. Aber Hombriales waren dumme Kreaturen. Sie waren nur dazu nutze, Bedürfnisse seiner Art zu nähren und ein hilfreiches Werkzeug, um seine Pläne wahr werden zu lassen.

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Huck

Der Tag ist so dahingeflogen. Ich habe mich um Bestellungen und Abrechnungen gekümmert, ein paar Reparaturen im Laden veranlasst, konnte eine gute Live Band für das kommende Wochenende engagieren. Ein Glückstreffer, denn der Manager der eigentlich vorgesehenen Band hat es doch wirklich gewagt, mir kurzfristig abzusagen. Nachdem ich am Telefon ein bisschen mit ihm gestritten und ihn auf die im Vertrag stehende Rücktrittsklausel aufmerksam gemacht hatte, habe ich ihm schlicht aufgelegt. Mit dem, was der Idiot mir an Strafe bezahlen muss, weil seine Leute den Gig nicht machen, kann ich locker die andere Band bezahlen. So liebe ich das! Gewinn für mich.

Bevor nachher das Leben hier im Club beginnt, muss ich mich dringend bewegen. Also wechsle ich die Businesskleidung gegen meine Trainingsklamotten und laufe los Richtung Fluss.

Während ich locker vor mich hin laufe und die inzwischen kühler gewordene Luft einatme, spüre ich, wie sich mein Körper entspannt. Die Sonne ist bereits untergegangen und der Weg liegt dunkel und einsam vor mir, unterbrochen von gelegentlichen Lampen, die vor Kurzem entflammt sind. Wenn ich, wie heute, so viele verschiedene Menschen um mich hatte, dann habe ich immer das Bedürfnis, alleine zu sein und die Stille zu genießen. Da kann ich dann endlich auch mal wieder meine eigenen Gedanken hören. Ich brauche diese zeitlich begrenzte Einsamkeit, sonst drehe ich durch. Und das meine ich wörtlich. Die Attacken von Wut, das Bedürfnis, um mich zu schlagen, der zornige Ärger, der in mir hochkriecht, sind gefährlich.

Ich bin dann gefährlich.

Oh, ich liebe es, meine Kraft und Schnelligkeit im Kampf gegen andere einzusetzen, mich zu behaupten, keine Frage. Doch es soll mit meinem Einverständnis geschehen, ich will es unter Kontrolle haben. Ich hasse es, die Kontrolle zu verlieren, egal über was. Deshalb bin ich ein Einzelkämpfer, privat wie auch geschäftlich. Ich bin nur mir selbst Rechenschaft schuldig, sonst niemandem.

In der Ferne sehe ich, dass auf einer der Bänke zwei Gestalten sitzen. Noch einige hundert Meter weit weg kommt ein weiterer Jogger in meine Richtung gelaufen. Viel Betrieb um diese Tageszeit. Ungewöhnlich. Während ich mir noch Gedanken darüber mache, weshalb man in dunkler Nacht auf einer Bank rumsitzt, bin ich auf Höhe der beiden. Schneller als ich erwartet hätte, stehen sie auf und stellen sich mir in den Weg. Ich verlangsame mein Tempo.

"Da ist er ja!"

Die Stimme kommt mir bekannt vor. Woher nur?

"So weit weg von der Sicherheit seines Clubs!“, höhnt der Zweite.

Ah, jetzt dämmert es mir! Der Freak von gestern wagt es doch glatt, mit Verstärkung wiederzukommen. Ich bleibe mit etwas Abstand vor den beiden Männern stehen.

"Du hast gesehen, was ich bin und wagst es doch, mir noch einmal unter die Augen zu treten?“, frage ich scharf.

"Nun, wir sind wohl in der Überzahl. Was willst du da schon machen?"

"Und dein Almaron strahlt verheißungsvoll!“, ergänzt der andere und leckt sich über die trockenen Lippen.

"Na, dann fangt mal an. Ich hab heute noch was vor!"

Ich stelle mich in lockerer, aber kampfbereiter Stellung hin und warte. Die Feiglinge greifen natürlich gemeinsam an. Damit habe ich im Stillen gerechnet. Also ducke ich mich unter dem ersten hinweg und ramme dem zweiten die Faust in die Magengrube. Während er nach Luft ringt, nehmen sich meine geballten Fäuste den zweiten vor. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, dass sich der erste Mann wieder aufgerappelt hat und erneut auf mich eindringen will. Ehe er mich erreicht, reißt ihn jedoch etwas von mir weg. Für einen kurzen Augenblick lasse ich mich von meinem Gegner ablenken und schaue zur Seite. Der Jogger, den ich eben noch in weiter Ferne gesehen habe, hat den Mann mit einem heftigen Fußtritt von seinem Weg zu mir abgelenkt. Dieser schaut sich irritiert um und dringt nach kurzer Überlegung auf den neuen Gegner ein. Sehr schön, kümmere ich mich um den anderen. Doch ich habe den Fehler begangen, mich ablenken zu lassen. Als ich den Blick wieder dem Mann vor mir zuwende, sehe ich im schummrigen Licht eine silbrig glänzende Klinge aufblitzen. Den Schmerz, der mich trifft, kann ich spüren, doch der Zorn, der in mir hochkocht, überdeckt den Schmerz. Unkontrolliert hämmern meine Schläge auf den Gegner ein. Ich höre ihn stöhnen, das Messer entgleitet ihm. Er kommt gegen meinen Angriff nicht an, versucht nur noch, seinen Körper zu schützen.

Ich bemerke, dass der Jogger neben mir seinen Gegner ebenfalls gekonnt unter Kontrolle hält. Obwohl er mindestens anderthalb Köpfe kleiner ist als ich, lässt er dem Mann durch seine Tritte und Schläge keine Gelegenheit zur Erholung. Der Gegner fällt in sich zusammen und liegt reglos am Boden. Okay, dann beende ich das Spiel mit diesem Freak hier nun auch endgültig! Ich hebe erneut die Fäuste.

"Hör auf! Du bringst ihn noch um!"

Die Stimme dringt wie durch Nebel zu mir. Sie ist seltsam rau und klingt doch hell in meinen Ohren. Zwei Hände ziehen mich sehr energisch am Arm von dem am Boden liegenden Mann weg. Seltsamerweise lasse ich es geschehen.

"Hör jetzt auf!“, wiederholt die Stimme, deren Ton keinen Widerspruch zulässt. "Er ist längst durch!"

Ich lasse mich an den Laternenpfahl sinken. Jetzt spüre ich die Schmerzen wieder. Der Jogger mustert mich unter seiner verdeckenden Kapuze heraus.

"Du bist verletzt“, stellt er sachlich und völlig unaufgeregt fest. "Hast du ein Handy bei dir?"

Als ich nicke, streckt er fordernd danach die Hand aus. Schmale Hand für einen Mann. Ich höre dem Telefonat zu.

"Ja, genau. Auf dem Parkweg neben dem Fluss, Höhe Monrose Bäckerei. Zwei Angreifer. Sie sind beide im Moment außer Gefecht. Er wurde mit einem Messer verletzt. Stichwunde an der linken Seite. Er blutet stark, also beeilen Sie sich!"

Die Stimme verstummt einen Moment. Dann erklingt sie erneut: "Wer ich bin? Völlig unwichtig. Kommen Sie her und kümmern Sie sich um ihn.“

Ein kurzes Piepsen zeigt mir, dass das Telefonat beendet wurde. Der Jogger hält mir mein eigenes Handy wieder vor die Nase. Als er die Hand zurückziehen will, packe ich sie und ziehe ihn näher an mich heran. Im gleichen Augenblick habe ich das Gefühl, als ob ein Stromschlag durch mich fahren würde.

"Danke. Wäre nicht nötig gewesen,“, höre ich mich trotzdem selbst sagen. Alle Haare an meinem Körper scheinen sich panisch aufgerichtet zu haben.

"Gern geschehen“, sagt die Stimme in einem, wie es mir erscheint, verächtlichen Ton und die Hand wird ruckartig weggerissen. Ich erhasche einen flüchtigen Blick unter die Kapuze. Grüne Augen schauen mich ertappt an, das schmale Gesicht ist umrahmt von braunen Löckchen.

Ich sehe die Gestalt auf die am Boden liegenden Männer zutreten. Wie in Trance erfasse ich ein leises Gemurmel, das Leuchten eines Medaillons und zwei kurze Lichtstrahlen, welche von den Männern ausgehen und spurlos in dem Schmuckstück zu verschwinden scheinen. Aus der Ferne kommt der Klang von Sirenen näher.

"Ich hab dir geholfen“, höre ich die helle Stimme sagen. "Also vergiss, dass ich hier war!“ Damit dreht sich der Jogger um und verschwindet in der Dunkelheit. Ich sitze an meinem Laternenpfahl und fühle mich seltsam überrumpelt. Das ist mir schon lange nicht mehr, nein – eigentlich so noch nie passiert.

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Mila

Verdammt, verdammt, verdammt!

Was ist bloß in mich gefahren! Ich hätte heute Nacht auffliegen können! Aber ich konnte ihnen ja auch nicht einfach dabei zusehen, wie sie ihn fertigmachen. Oh man …

Ich bin von meinem nächtlichen Ausflug zurückgekommen, habe geduscht und mir sein Blut von den Händen gewaschen. Wie eklig! Nun sitze ich sauber in einer lockeren Pyjamahose und Top auf der Couch und in meinen Fingern drehe ich ruhelos das Medaillon hin und her. Meine Gedanken kreisen. Er muss gesehen haben, was ich gemacht habe. Na ja, zumindest, dass ich etwas gemacht habe. Normale Menschen können das Almaron ja nicht sehen. Ich habe es den Razzios abgesaugt, allerdings nicht alles. Ich konnte sie ja schließlich nicht vor einem Menschen, auch wenn er durch seine Verletzung vielleicht geschwächt war, canceln. Canceln heißt völlig auslöschen. Wie hätte ich die sich auflösenden Körper erklären sollen! Also habe ich ihnen noch ein Quäntchen Energie gelassen und bin abgehauen.

Meine Gedanken wirbeln zu dem verletzten jungen Mann zurück. Ich habe ihn natürlich erkannt: Es war der tätowierte Jogger, der mir letzte Nacht schon begegnet ist. Wow, der konnte ja kämpfen! Wenn es nur ein Gegner gewesen wäre, hätte ich mich gar nicht einmischen müssen, den hätte er wohl locker alleine geschafft. Aber zwei und dann noch mit Messer bewaffnet, das war ein Ungleichgewicht. Deshalb habe ich ohne nachzudenken eingegriffen. Seine Bewegungen waren kraftvoll und stark. Ich konnte die Energie spüren, die ihn umschwirrte und im Nachhinein wirkte er faszinierend gefährlich.

Faszinierend gefährlich?! Mila, geht’s noch? Was ist nur los mit dir? Was sind das für Gedanken, die da in meinem Kopf herumwüten? Ich bin eine Almarondona. Meine Aufgabe ist es, gegen Razzios zu kämpfen und sie zu canceln. Nicht mehr und nicht weniger. Basta!

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Huck

Ich stehe mit nacktem Oberkörper vor dem Badezimmerspiegel und betrachte die Stichwunde. Es ist nicht wirklich schlimm, die Klinge hat mich nur seitlich erwischt. Da hatte ich nun wirklich schon andere Arten von Verletzungen. Außerdem heilt sich mein Körper ja schneller als der von anderen. Ein Vorteil, wenn man kein gewöhnlicher Hombriales ist. Nachdem ich die Haut gereinigt habe, desinfiziere ich die Stelle und mache mir einen festen Verband. Ich ziehe ein frisches Hemd und Hose an und begebe ich mich nach unten in den Club, in dem allmählich das Leben beginnt. Ich werde wegen so einem lächerlichen Zwischenfall sicher nicht meinen Job vernachlässigen.

Um kurz vor drei morgens betrete ich erneut die Wohnung. Die Feierwütigen sind gegangen, klar, es ist ja mitten in der Woche, der Club hat geschlossen und ich habe nun endlich auch Feierabend. Als das heiße Wasser der Dusche über die Wunde läuft, zucke ich unwillkürlich zusammen. Dieser Penner! Wie konnte er es wagen, mir mit einem Messer aufzulauern! Aber er und sein nicht minder lebensmüder Kumpel haben dafür bezahlt. Die werden nie wieder jemandem in die Quere kommen! Der Gedanke befriedigt mich nicht in der Weise, wie er es eigentlich sollte. Hm, warum nur? Ich schüttele mir das Wasser aus den Haaren. Ach, keine Ahnung. Es war ein verdammt langer Tag, vielleicht sollte ich einfach ein bisschen schlafen. Nur mit schwarzen Boxershorts bekleidet lasse ich mich aufs Bett fallen und bin auch sofort weggedämmert.

Doch der Schlaf ist nicht erholsam. In meinen Träumen spuken seltsam grüne Augen herum, die mich scharf mustern. Ich habe das Gefühl, dass sie über mich lachen. Der Jogger kämpft gegen beide Angreifer und lacht mich aus, weil ich nur zusehe. Ich bin an diesen verdammten Laternenpfahl gefesselt und kann nichts tun. Dann steht er vor mir, er reicht mir gerade mal bis zur Brust, hebt den Kopf und diese grünen Augen blitzen mich an.

"Na Großer, doch nicht so stark wie du dachtest, hm?“, lästert eine hell klingende Stimme. Vor Wut reiße ich mich los und will die Gestalt packen. Da schrecke ich aus meinem Traum hoch.

Ich sitze im Dunkeln aufrecht im Bett und mein Atem geht schnell. Verdammt, was soll das? Wieso drehen sich meine Träume um diese grünen Augen? Normalerweise verschwende ich an Vergangenes keine unnötigen Gedanken, ich hake es ab und fertig. Aber Träume kann ich nicht kontrollieren. Ich hasse das!

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Mila

Ich bin so wütend auf mich selbst! Noch nie habe ich so einen fatalen Fehler gemacht! Noch während mein Kopf überlegt, was jetzt zu tun ist, haben meine Hände mein Handy vom Tisch genommen und angefangen zu tippen.

Yuan, hast du Zeit? Ich hab was Blödes gemacht …

Ich muss nicht lange warten, dann summt der Nachrichtenton auf.

Was ist passiert? Bist du verletzt? Wo bist du?

Der Gute. Als Erstes macht er sich Gedanken um meine Gesundheit. Das ist so typisch für ihn. Ich tippe schnell eine Antwort, damit er sich keine unnötigen Sorgen macht.

Mir geht es gut, bin zu Hause. Hatte eine blöde Begegnung am Fluss. Hab Angst, ich könnte aufgeflogen sein.

Yuan schreibt fast augenblicklich zurück. Nur zwei Worte. Aber genau die beiden richtigen.

Ich komme.

Etwa eine Viertelstunde später höre ich Schritte auf der Metalltreppe. Dieses Material ist ein prima Vorwarnsystem. Nur Oz schafft es, lautlos die Stufen zu erklimmen. Ehe Yuan klopfen kann, mache ich die Tür auf und er schlüpft in die Wohnung. Nachdem er seinen grauen Parka auf einen der Hocker an der Eßtheke gelegt hat, zieht er mich in seine Arme. Ohne Worte. Einfach nur so. Yuan ist mein Seelenverwandter. Einen besseren Freund kann man sich nicht wünschen.

"Okay, erzähl mir, was passiert ist!“, meint er kurze Zeit später und setzt sich mit mir auf die Couch. Dort sitzen wir. Ich berichte, was auf dem Weg am Fluss geschehen ist und er hört aufmerksam zu, ohne mich nur einmal zu unterbrechen. Als ich geendet habe, sieht er mich zunächst prüfend an und runzelt nachdenklich die Stirn.

"Mila, wenn er ein normaler Mensch war, dann kann er nicht gesehen haben, dass du den beiden Almaron abgesaugt hast. Er wird denken, du hast über den beiden gestanden, um nachzuschauen, ob sie wirklich k. o. sind. Wenn er ein Razzio gewesen wäre, hätten die beiden ihn wohl nicht angegriffen, oder? Und wäre er ein Almarondon, dann hättest du das doch direkt gespürt! Also würde ich der ganzen Begegnung keine so große Wichtigkeit zugestehen."

"Klingt logisch“, höre ich mich selbst sagen, doch meinem Tonfall ist zu entnehmen, dass ich nicht hundertprozentig überzeugt bin. "Ich hoffe, er ist nicht zu schwer verletzt. Ich konnte es im Dunkeln nicht genau erkennen!"

"Die Frage können wir doch klären“, meint Yuan und greift nach seinem Handy. Er tippt eine Nummer und dann spricht er mit jemandem. Da er dabei in der Wohnung herumwandert, verstehe ich nur Sprachfetzen wie "Ja, Flussweg Höhe Monrose Bäckerei", "zwei bewusstlose Männer, ein Verletzter", "Krankenwagen". Das Gespräch dauert eine Weile. Ich ziehe die Beine auf die Couch und lege meinen Kopf auf die Knie. Ich höre Yuan murmeln, nachfragen, schweigen, etwas erwidern. Dann setzt er sich wieder neben mich.

"Und?"

"Hm, es ist etwas seltsam."

"Was ist seltsam?"

"Na ja. Die Kollegen waren an der gemeldeten Stelle. Es war auch deutlich zu erkennen, dass dort ein Kampf stattgefunden haben muss. Nur war dort niemand mehr. Weder die beiden Razzios noch der verletzte Jogger."

"Das ist allerdings seltsam“, entfährt es mir. "Dass er verschwunden ist, könnte ich ja noch nachvollziehen, aber wo sollen die Razzios hin sein? Ich habe den beiden so viel ihres Almarons abgesaugt, dass sie nicht mehr imstande gewesen sein können, sich in irgendeiner Art und Weise fortzubewegen. Das verstehe ich echt nicht!"

"Gib mir das Almaron“, fordert mich Yuan auf und sofort ziehe ich das Medaillon unter meinem Top hervor. Er breitet seine Hände darüber und ich öffne es. Ein gleißender Strahl schießt hervor und verschwindet in seinem Körper. Yuan atmet tief ein.

"Ja, du hast recht: Bei dieser Menge Almaron waren sie eindeutig bewegungsunfähig. Eigenständig können sie nicht von dort geflohen sein."

"Hast du jemandem, dem du das Almaron abgeben kannst?"

Yuan nickt. Wem er es gibt, verrät er nie, es ist sein Geheimnis, welches er als Serdar wahrt. Wir sind ein gutes Team. Er, der Serdar, welcher unbegrenzt Almaron in sich aufnehmen, aber auch weitergeben kann und ich, die Almarondona, die Razzios cancelt und ihm die abgesaugten Kräfte liefert. Zudem ist Yuans Job bei der Polizei auch nicht der Schlechteste, um an wichtige Informationen zu kommen. Auch bei anstehenden kritischen Situationen kann er mich immer vorwarnen. Durch dieses Zusammenspiel wahren wir beide unsere Identität und profitieren auch noch voneinander.

"Ich halte Augen und Ohren offen“, sagt er zu mir. "Mal sehen, ob wir noch etwas über den verletzten Jogger herausfinden können. Hast du eine Beschreibung für mich?"

Ich erzähle ihm von den tätowierten Armen, seiner Kleidung, dass er etwa anderthalb Köpfe größer als ich ist und schwarze kurze Haare hat. Eine sehr dürftige Beschreibung, aber mehr kann ich ihm leider nicht sagen.

"Nicht schlimm“, tröstet er mich und steht von der Couch auf. "Sei mir nicht böse, aber ich habe nachher, also quasi gleich, Frühschicht. Ich muss mich noch kurz mal hinlegen. Wenn ich etwas erfahre, dann sage ich dir sofort Bescheid, okay?"

Ich nicke und sehe ihm nach, wie er mit federnden Schritten die Stufen hinuntergeht und in der Nacht verschwindet.

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Huck

Ich betrachte die Narbe im Badezimmerspiegel. Es ist nur noch eine zarte weiße Linie, die Wunde ist sauber verheilt. Wurde auch Zeit. Das Ganze hat mich jetzt schon viel zu lange vom Trainieren abgehalten. Na ja, meine Wunden heilen zwar extrem schnell, doch da ich nicht wirklich viel Geduld besitze, kam es mir trotzdem wie eine Ewigkeit vor. Ich merke, dass ich nicht ausgelastet bin. Das macht mich mürrisch und unausstehlich. Heute Abend gebe ich die Verantwortung für den Club ausnahmsweise ab. Es ist mal wieder Montag, der schlechteste Tag der Woche, also wird eh nicht viel passieren hier. Ich muss mich endlich mal wieder körperlich austoben, damit ich nicht allmählich durchdrehe. Deswegen habe ich mich mit Simon verabredet. Simon ist Trainer in dem Studio, in das ich gerne gehe. Man kann dort normal an Geräten trainieren, was mich allerdings nicht wirklich interessiert. Aber dort gibt es eine sehr gute Abteilung für Kickboxen und andere Kampfsportarten. Und das ist genau mein Fall! Simon und ich, wir waren schon zusammen in der Schule und wir sind einfach vom gleichen Schlag. Als Team waren wir gefürchtet. Da wir jedoch beide Alphatiere sind, besteht unsere Freundschaft auch aus nicht endenden Rivalitätskämpfen. Ich weiß, ein wenig krank, aber ich mag das. Und er offensichtlich auch.

Mein Rucksack ist gepackt. Ich ziehe die Lederjacke über, nehme den Helm von der Ablage und gehe die Hintertreppe hinunter. Neben der Ausgangstür öffnet sich nach Eingabe eines Codes das daneben liegende Garagentor und ich kann meine Maschine holen. Ich besitze zwar ein Auto, doch es wird selten genutzt. Auf dem Motorrad fühle ich mich freier, kann überall durchschlüpfen und die Geschwindigkeit lässt mein Adrenalin hochschnellen. Noch während sich das Tor wieder schließt, bin ich schon röhrend um die Ecke verschwunden.