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Table of Contents

Titel

Impressum

Vorwort

Einleitung

In Afghanistan

Mein Glaube

Ramadan

Meine Mutter

Mein Vater

Meine Onkel

Meine Geschwister

Mein Alltag in Afghanistan

Über das Land Afghanistan

Streit in der Nachbarschaft

Die Reise in den Iran

Im Iran

Ich bin Verkäufer

Das erste Opferfest im Iran

Streit mit Jugendlichen

Persisches Neujahr

Lesen und schreiben lernen

Husseins Hochzeit

Doch kein Anzug

Lesen und schreiben lernen – der zweite Versuch

Das geschenkte Fahrrad

Schule

Der Weg zur Schule und ein Überfall

Beerdigung und Sekundenkleber im Auge

Missglückter Fahrradtrick

Als Motorradmechaniker

Ferienzeit

Familienbetrieb Verkaufsstand

Zwischenfazit

Die Hochzeit meines Bruders

Afghanische Hochzeit

Die Hühnerfabrik

Die Hochzeit meines zweiten Bruders

Unser Haus

Mein Hobby

Mein Cousin

Wieder in der Hühnerfabrik

Vorwort

Einleitung

Teil I

Beginn der langen Reise

Ungewisse Weiterreise

Wieder bei meiner Familie

Zu Fuß zur türkischen Grenze

In der Türkei

Der neue Schlepper

Schlepper-Gauner oder Helfer?

Dem Schlepper vertrauen

Das große Hindernis

Wieder zurück nach Istanbul

Über das Meer – diesmal wirklich?

Zum ersten Mal auf der Insel Lesbos

Im Camp

Befreit

Vorbereitung auf die Weiterreise

Nach Mazedonien

Getrennt von meinem Bruder und Cousin

Wieder glücklich

In Ungarn

Nach Deutschland

Teil II

Mit vielen Leuten leben

Über die Stadt Marburg

Vielleicht neue Heimatstadt

Wieder zusammen

Besucherin

Neue Wohnung

Erste Nacht in der neuen Wohnung

Das erste Mal im Schwimmbad

Im Stadtbüro

Freitagsgebet

Neue Sachen kaufen

Ein Jugendlicher aus unserer Gruppe

Zum Essen

Basketball gucken

Lehrerbesuch

Vorbereitung auf die Schule

Schulalltag

Baby Rostam

Neue Sachen kaufen

Alltag in Deutschland

Ein Handy für Sohrab

In einem fremden Land mit einer anderen Kultur

Eine Stufe höher

Erste Weihnachten

Erster Ausflug in eine andere Stadt

Silvester

Mein Geburtstag

Fahrradführerschein

Nachhilfe

Meine Familie

Reise meiner Familie

Zuckerfest

Schule

Erster Urlaub

Nachhilfe

Abschiedsfeier

Über mich

Noch einmal über mich

Anhörung

Meiner Meinung nach

AFGHANISTAN – EIN PAAR FAKTEN

Ich weiß nicht

Etwas schreiben

Schulwechsel

Abschluss

Klassenfahrt

Abschlussfeier

Dankbar sein

Werde ich meine Familie wiedersehen?

Über den Autor

Danksagung

 

 

Rostam Nazari

 

 

 

Rostams Reise

– Von Afghanistan nach Deutschland

 

 

Autobiografischer Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Rostam Nazari

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2018

ISBN: 9783957535436

Umschlaggrafik Copyright by Giovanni Cancemi

 

Vorwort

Ich lernte Rostam Nazari im Sommer 2017 kennen. Er besuchte mich in meinem Haus, um mir sein Buchprojekt vorzustellen und sich über diverse Möglichkeiten einer Veröffentlichung zu informieren. Schon vor diesem Gespräch hatte ich Gelegenheit, Teile des Manuskripts zu lesen, die mir gut gefielen. Ich mochte die einfache, schnörkellose Sprache, den Detailreichtum und den ganz und gar unsentimentalen Stil des jungen Autors.

Nachhaltig beeindruckt war ich dann von der Person, die mir an diesem Sommernachmittag auf der Terrasse gegenübersaß. Rostam war zu diesem Zeitpunkt siebzehn Jahre alt und sah auch keinen Tag älter aus. Ein heiterer, selbstbewusster und unendlich wissbegieriger junger Mann, dessen Optimismus und unbeirrbarer Glaube an sich selbst durch die Härten seines bisherigen Lebensweges in keiner Weise gelitten hatten. Afghanistan, Iran, die Türkei und schließlich Deutschland – Rostam Nazari hat in siebzehn Jahren vermutlich mehr erlebt und durchgemacht, als die meisten Deutschen in ihrem ganzen Leben. Sehr gut verstand ich seinen unbändigen Wunsch, darüber zu schreiben.

Völlig überrascht allerdings war ich, dass er das auf Deutsch in Angriff nahm. In einer Sprache also, die er erst zwei Jahre zuvor zu lernen begonnen hatte. Der schlichte Grund dafür war, dass er in seiner Muttersprache Dari, einer alten persischen Sprache, die in Afghanistan und Tadschikistan gesprochen wird, weder lesen noch schreiben kann. Um das Wagnis dieses Projekts zu würdigen, sei ein kleines Gedankenexperiment erlaubt: Man stelle sich einen siebzehnjährigen deutschen Analphabeten vor, den es mit fünfzehn nach Afghanistan verschlägt und der zwei Jahre später den Entschluss fasst, seine Autobiografie in Dari oder Paschtu zu verfassen.

„Rostams Reise“ ist ein autobiografischer Erlebnisbericht von beinahe schmerzlicher Sachlichkeit. Ohne Larmoyanz, Schuldzuweisungen oder Bitterkeit. Im Gegenteil: Unbesiegbarer Optimismus und Zuversicht prägen diesen schmalen Band, der den Allerweltsbegriff „Flüchtlingsschicksal“ auf großartige Weise mit Leben füllt.

Lukas Erler

 

Einleitung

Mein Lehrer hat mir empfohlen, dass ich viel schreiben soll, weil ich meine Muttersprache nicht schreiben und lesen kann. Dafür musste ich jetzt viel nachholen und ich habe mir überlegt, was ich machen kann, das mir auch Spaß macht. Ich habe ungefähr eine Woche lang nachgedacht. Ich wusste nicht, über was ich schreiben kann und ob ich es schaffen würde, weil ich nur ungefähr ein Jahr in dem Sprachkurs war. Ich hatte die Idee, ein Buch zu schreiben, damit Menschen wissen, dass unsere Leben sehr interessant sind. Ich habe mir überlegt, meine Familie und mich als ein Beispiel zu nehmen.

Im September 2016 habe ich Jannis (ein Ehrenamtlicher, der mich oft besuchen kommt), meine Probleme erklärt und auch meinen Wunsch erzählt. Jannis sagte mir: „Mach das, was du dir wünschst … Ich finde, dein Wunsch ist auch für alle Menschen sehr interessant, die nicht so viel über afghanische Ausländer wissen.“ Trotzdem wusste ich nicht, ob ich über Afghanistan bzw. den Iran oder Deutschland schreiben sollte.

Jannis sagte mir, dass ich eine Seite schreiben soll und er würde sie gerne nächste Woche korrigieren. Es war sehr schwierig, etwas zu schreiben. Als ich das Buch angefangen habe, wusste ich nicht, wie es werden sollte. Ich habe mit Jannis einen Plan gemacht, aber es ist nicht nach Plan gelaufen. Das Buch wurde jeden Tag anders, fast wie ein Kind. Ich habe in diesem Buch über das Leben mit meiner Familie geschrieben, über das Leben in Afghanistan und im Iran.

In meinem Leben hatte ich viele Schwierigkeiten und ich habe immer noch viele. Tatsächlich glaube ich, dass wir Schwierigkeiten haben sollten, denn wenn wir sie nicht haben, dann sind unsere Leben langweilig. Durch die Schwierigkeiten lernen wir, was wir machen können und unsere Leben werden spannender. Ich bin selbst sehr gespannt, was ich noch durch das Leben lernen kann.

Ich bin offen für alle, die mit mir Projekte starten möchten oder für Leute, die denken, dass sie mir helfen können. Aber ich bin auch immer bereit, jemandem zu helfen. Es ist mein Hauptziel, dass wir Menschen Probleme zusammen lösen und auch Wünsche gemeinsam erfüllen. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich es geschafft habe, das Buch fertigzustellen. Ich habe mich entschieden, dass ich weitere Bücher verfassen möchte. Im zweiten Buch werde ich über meinen Weg nach Deutschland und das Leben dort schreiben.

Ich hoffe, dass das Buch interessant ist und ich den Lesern vielleicht etwas beibringen kann. Ich möchte mit dem Buch kein Geld verdienen, weil ich denke, dass andere Menschen das Geld mehr brauchen als ich. Das Geld, das ich bekomme, würde ich an Bedürftige geben. Wenn ihr auch helfen wollt, könnt ihr so viel Geld bezahlen, wie ihr wollt, aber ihr müsst nicht. Ich freue mich, euch kennenzulernen. Aber jetzt wünsche ich euch erst einmal viel Spaß beim Lesen des ersten Teils.

 

In Afghanistan

Mein Heimatort heißt Sorabi und liegt in Afghanistan. Im Februar 2000 wurde ich dort geboren und habe bis zu meinem siebten Lebensjahr dort gelebt. Meine Muttersprache ist Dari, eine alte persische Sprache, die heute noch in Afghanistan und Tadschikistan gesprochen wird.

Das Leben in Afghanistan war nicht einfach und es ist sehr schwierig, dort Kinder großzuziehen. Meine Familie hatte nur durchschnittlich viel Geld – wir waren weder arm noch reich. Wir haben in einem großen Haus gelebt und ein paar Hühner und Lämmer gehalten. Für den Lebensunterhalt musste die ganze Familie arbeiten. In unserem Haus gab es kein Gas und keinen Strom, deswegen haben wir Feuer zum Kochen, als Lichtquelle und zum Wärmen genutzt. Feuer haben wir mit Stroh und Rinderdung gemacht, den die ganze Familie gesammelt hat.

 

Mein Glaube

Ich bin Moslem und glaube an Allah. Meine Familie und ich gehören zu der Gruppe der Sunniten. Wir beten fünfmal am Tag und gehen am Freitag in die Moschee.

Der islamische Glaube:

Jeder gläubige Moslem sollte, wenn möglich, fünf heilige Pflichten erfüllen. Sie heißen: Schahāda, Salāt, Zakāt, Saum und Haddsch.

Schahāda (Bekenntnis): Das islamische Glaubensbekenntnis ist ein Ritual, das ähnlich der christlichen Taufe ist. Da jeder Moslem, bevor er stirbt, den Schahāda sagen sollte, spreche ich es jeden Abend.

Salāt (Gebet): Muslime sollten fünfmal am Tag bestimmte Textauszüge aus dem Koran auf Arabisch beten. Danach kann man noch frei mit Allah sprechen.

Mittlerweile stelle ich mir für das Morgengebet den Wecker, dann gehe ich auf die Toilette. Sobald ich fertig bin, wasche ich dreimal u. a. meine Hände, Mund, Nase, Gesicht, Arme und Füße. Danach rolle ich den Gebetsteppich auf dem Boden Richtung Süden nach Mekka aus. Dann bete ich. Jeweils einmal mittags, nachmittags, abends und nachts wird gebetet.

Zakāt (Almosensteuer): Wir sollten ein paar Prozent von unserem Geld armen Menschen geben, damit diese auch das Nötigste kriegen. Für jeden lässt sich anhand von bestimmten Richtlinien errechnen, wie viel Steuer gezahlt werden muss. Ich muss nicht bezahlen, weil ich kein Geld habe.

Saum (Fasten): Im Koran steht, dass wir im Monat Ramadan fasten sollen.

Haddsch (Pilgerfahrt). Man soll einmal in seinem Leben nach Mekka pilgern. Es gibt allerdings ein paar Ausnahmen. Man muss z. B. nicht reisen, wenn man nicht genug Geld hat, jemand das Geld dringender braucht oder die eigenen Kinder noch nicht verheiratet sind.

 

 

Ramadan

Ramadan beginnt nach Neumond und endet mit Neumond. Er dauert ungefähr 30 Tage. Der Fastenmonat verschiebt sich jedes Jahr um elf Tage nach vorne, weil er mit dem Mondkalender zusammenhängt. Ab der Pubertät sollte man fasten. Wenn jemand krank, auf Reisen oder schwanger ist, muss nicht gefastet werden. Die Tage sollten aber nachgeholt werden. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wird gefastet. Fasten bedeutet, dass wir in dieser Zeit nicht trinken, essen, rauchen und keinen Geschlechtsverkehr haben sollen. Im ganzen Monat sollte man keinen Alkohol trinken (obwohl man eigentlich sowieso keinen Alkohol trinken darf, trinken trotzdem viele Alkohol) und sich besonders gut benehmen. Es ist nicht schlimm, dass Freunde einer anderen Religion nicht fasten, es wäre aber schön, wenn diese Rücksicht nehmen und in dieser Zeit nicht vor uns essen. Am Ende des Fastenmonats haben wir ein großes Fest, es heißt Zuckerfest. Für das Fest sollte man sich vorbereiten, wie zum Beispiel das Haus putzen und neue Kleidung kaufen.

Am Morgen nach Ende des Ramadans beginnt das Fest mit einem Besuch in einer Moschee. Dort beten wir zusammen und bitten Gott um Verzeihung, zum Beispiel für die schlechten Dinge, die wir im Jahr getan haben. Man bittet auch um Unterstützung für das kommende Jahr.

Nach dem Beten gehen alle zu ihrer Familie und sagen sich auf Deutsch übersetzt: „Herzlichen Glückwunsch zum Fest.“ Dann frühstücken sie mit Freunden und Familie zusammen. Der Vater oder ein Bruder gibt den Kleinen Geld. Wenn man genug Geld hat, gibt man auch den armen Menschen Geld, damit sie auch feiern können.

Falls während des Jahres jemand gestorben ist, besucht man dessen Grab und Familie, damit diese nicht so viel über ihn nachdenken. Man soll nicht traurig sein am Zuckerfest.

 

Meine Mutter

Meine Mutter (auf Dari sagt man „Maman“) kümmerte sich um die ganze Familie. Sie ist 1970 in meinem Heimatort Sorabi geboren. Ihre Mutter, also meine Großmutter, hat zweimal geheiratet, weil ihr erster Mann gestorben ist. In der ersten Ehe hatte sie ein paar Kinder bekommen, in ihrer zweiten Ehe wurde nur meine Mutter geboren. Alle in der Familie meiner Mutter waren sehr schüchtern – genau wie meine Mutter selbst. Obwohl ihre Familie ganz normale Leute waren, hatten sie wenig Kontakt mit anderen Menschen (im Gegensatz zu der Familie meines Vaters). Bevor meine Mutter mit meinem Vater verheiratet war, hat sie nicht so viel gearbeitet. Als sie sich mit meinem Vater verlobt hatte, kannten sie sich noch nicht. Deswegen haben die Freundinnen meiner Maman immer Witze gemacht und sie geärgert, dass ihr zukünftiger Ehemann bestimmt alt, verrückt und krank ist. Sie hat wegen ihnen viel geweint und ihre Mutter, meine Oma, gefragt, ob das denn stimme. Sie betonte aber immer wieder: „Nein, dein Mann ist ein sehr kluger Mann.“ Im Alter von 19 bzw. 23 Jahren haben sie dann geheiratet und meine Mutter ist zu meinem Vater gezogen. Weil meine Mutter noch nicht so viele Dinge konnte, hat die Oma väterlicherseits ihr viel beigebracht. Von da an hat sie immer Hausarbeiten gemacht – und es war viel Arbeit. Morgens ist sie früh aufgestanden und hat erst gebetet. Dann musste sie im Tandur Feuer machen, um Brot zu backen. Ein Tandur ist ein runder Ofen, der meistens aus Stein gefertigt ist. Um Brot zu backen, wird der Teig fladenförmig an den Ofenrand geklebt. Wenn der Tandur nicht heiß genug ist, dann fällt der Brotfladen runter. Deswegen musste Maman immer aufpassen, um die Temperatur zu halten. Nach dem Backen bereitete sie das Frühstück für unsere zehnköpfige Familie vor. Danach ist sie zu jedem Einzelnen hingegangen und hat gesagt: „Du musst aufstehen und zur Arbeit oder zur Schule gehen.“ Dann haben wir alle zusammen gefrühstückt. Anschließend hat meine Mutter den gesammelten Kuhkot mit Stroh und Wasser vermischt, daraus kleine Kugeln geformt und diese zum Trocknen an die Wand gedrückt. Das war unser Brennmaterial für den Winter. Da es in dem Teil Afghanistans, in dem wir gewohnt haben, kein fließendes Wasser gibt, musste meine Maman Wasser aus dem Fluss holen. Später hat sie den Hühnerstall gefegt und schließlich das Abendessen zubereitet.

Meine Oma war damals schon sehr alt, ungefähr 75 Jahre. Sie konnte meiner Mutter nicht mehr bei der Hausarbeit helfen, weswegen meine Maman so viel zu tun hatte. Wir Kinder haben geholfen, wo wir konnten, aber viele Sachen musste Maman trotzdem alleine machen.

 

Mein Vater

Mein “Baba“ ist morgens erst in die Moschee zum Beten gegangen und hat danach Wasser vom Fluss nach Hause gebracht. Dann frühstückte er mit uns. Er hatte in der Stadt einen eigenen Schuhladen, in dem er jeden Tag von acht bis sechzehn Uhr gearbeitet hat. Anschließend kam er nach Hause und zählte unsere Hühner und Lämmer, um zu sehen, ob noch alle Tiere da waren. Manchmal kam es vor, dass Tiere weggelaufen sind, gestohlen wurden oder wir sie nicht mehr gefunden haben. Am Ende des Tages ging er wieder zum Beten in die Moschee und aß mit uns zu Abend. Baba ist in einer ganz normalen afghanischen Familie aufgewachsen, auch meine Großeltern hatten weder viel noch wenig Geld. Sie waren Analphabeten und auch Baba konnte nicht lesen und schreiben, aber er war sehr schlau. Obwohl er so ein kluger Mensch war, hatte er ein großes Problem: Er hatte eine Krankheit, von der die Ärzte nicht sagen konnten, was es genau war. Wenn er sich zu sehr aufregte oder freute, wurde er ohnmächtig. Sobald er wach wurde, ging es ihm mehrere Tage sehr schlecht und er konnte sich kaum bewegen. Deswegen haben wir uns immer bemüht, Baba nicht so viel zu ärgern.

Auf diesem Foto kann man meinen Vater sehen.

Baba wusste alles, aber statt es uns vorzusagen, wollte er, dass wir die Dinge selbstständig lernen. Wenn wir etwas kaufen wollten, hat er uns zwar erklärt, wo wir hingehen sollen, aber er wollte, dass wir selbst entscheiden, was wir einkaufen. Wenn wir mit den Einkäufen nach Hause gekommen sind, hat er uns hinterher erklärt, was wir richtig und falsch gemacht haben.

 

Meine Onkel

Mein Vater hatte zwei Brüder, die Zwillinge waren. Am Morgen hatten sie den gleichen Ablauf wie mein Vater. Allerdings haben sie nach dem Frühstück die Tiere in die Berge zum Weiden geführt. Nachdem sie die Tiere dort hingebracht hatten, sind meine Onkel mit dem Esel zum Holzhacken in eine andere Region weitergezogen. Weil wir kein Auto hatten, mussten sie das Holz auf dem Esel transportieren. Im Frühling sind sie zum Weizen anbauen auf unser Feld gegangen. Nach drei Monaten wurde der Weizen geerntet. Die eine Hälfte haben wir für den eigenen Gebrauch behalten, die andere Hälfte haben sie in der Stadt verkauft. Mit dem eingenommenen Geld haben sie Dünger gekauft, zum Beispiel für Reis. Auch der Reis wurde nach ungefähr drei Monaten geerntet.

 

Meine Geschwister

Ich habe drei ältere Brüder. Sie sind jeden Tag nach dem Frühstück zur Schule gegangen, dort hatten sie von acht bis zwölf Uhr Unterricht. In unserem Dorf gab es kein Schulgebäude, der Unterricht fand in einer Moschee oder in aufgeschlagenen Zelten statt. Nur im Winter hatten alle Schüler drei Monate frei, weil es dann weder Licht noch Heizung in der Schule gab. Nach der Schule sind meine Brüder nach Hause gekommen und nach dem Mittagessen haben wir zusammen die Hühner und Lämmer von der Weide geholt.

 

Mein Alltag in Afghanistan

Ich bin in dieser Zeit noch nicht in die Schule gegangen, weil ich noch zu jung war. Nach dem Familienfrühstück habe ich meiner Maman geholfen. Wenn ich fertig war, habe ich den Tag hauptsächlich mit Freunden gespielt und herumgetobt. Ein beliebtes Spiel ging so: Jeder hält seinen Fuß mit einer Hand hinten hoch, sodass man auf einem Bein steht. Das Ziel des Spiels ist es, dass man durch Körpereinsatz versucht, seinen Gegner dazu zu bringen, den Fuß loszulassen. Man kann sich dabei aussuchen, ob man eins gegen eins oder Mannschaft gegen Mannschaft spielen möchte. Es ist alles erlaubt, aber man darf keine Gewalt anwenden. Gewonnen hat derjenige, der am Längsten seinen Fuß festhält.

Manchmal sind wir auch im Fluss schwimmen gegangen. Um nicht unterzugehen, haben wir unsere Hosen mit Luft, wie zu einem Rettungsring, aufgeblasen. Einmal haben wir versucht, einen Fisch zu fangen. Allerdings hatten wir keine Angel und haben die Fische mit Brotkrümeln geködert, um sie dann mit einem Handtuch zu fangen. Einen Fisch haben wir so auch bekommen und ihn in ein mit Wasser gefülltes Loch im Sand gesetzt. Kurze Zeit später war das Wasser versickert und der Fisch auf wundersame Weise verschwunden.

 

Über das Land Afghanistan

Afghanistan war früher ein sehr reiches und starkes Land. Es war das Herz Asiens mit vielen Sehenswürdigkeiten. In Masar-e Scharif gibt es z. B. die Blaue Moschee, die komplett aus blauen Steinen gebaut wurde und als eine der schönsten Moscheen der Welt gilt. Afghanistan ist nicht nur bekannt für Lapislazuli (ein leuchtend blauer Halbedelstein), sondern auch für andere besondere Edelsteine, Öl und Gold. Anders als in den Nachbarländern gibt es viele Flüsse, von denen die Menschen trinken können.

Trotzdem sind viele Einheimische arm. In kaum einem anderen Land sterben so viele Babys und Mütter bei der Geburt wie in Afghanistan. 75 % der Afghanen sind – wie Baba – Analphabeten. Die Mehrheit des weltweit angebauten Opiums (88 %) kommt dorther. Außerdem gibt es viel Korruption: Wenn man Geld hat, kann man leben, wie man will und alles kaufen – sogar einen Führerschein oder Zeugnisse.

Seit fast 40 Jahren herrscht hier Krieg, sodass alle Menschen denken, dass der Krieg normal ist. Schon Baba ist so aufgewachsen. Damals führte Russland gegen Afghanistan Krieg. Mein Vater hat einmal erzählt, dass die Russen in unser Dorf kamen und die Häuser angezündet haben. Einige Männer und Frauen haben sie mitgenommen, aber zurück kamen nur die Frauen; die Männer blieben für immer verschwunden. Entweder wurden die Männer umgebracht oder sie mussten für die Taliban arbeiten.

Heute gibt es neue Auseinandersetzungen, auch mit den USA. Die meisten Afghanen denken, dass die USA wegen der Rohstoffe in unserem Land bleiben. Sie möchten viel von dem Gold, den Steinen und Öl in ihr Land bringen, weil es diese Dinge dort kaum gibt und sie dadurch noch reicher werden wollen. Aber mehr noch als die amerikanischen Soldaten hassen die Afghanen die Taliban. Die Taliban sind eine terroristische Vereinigung, die im Namen des Islam schlimme Dinge macht, wie Menschen töten, Kinder entführen oder Ländereien wegnehmen und verkaufen. Die Taliban verstecken sich in den Bergen. Aber weil sie viel Geld brauchen, um ihre kriminellen Machenschaften zu finanzieren, kommen sie manchmal in die Dörfer und bedrohen die Menschen. Sie nehmen uns nicht nur Geld weg: Wenn du eine Ehefrau oder Tochter hast, nehmen sie sie einfach mit. Aber sie bauen ihre Waffen nicht selbst. Ich bin mir sicher, dass ein anderes Land den Taliban hilft, an Waffen zu kommen.

Ich denke, die Taliban sind keine echten Muslime; zumindest nicht in dem Sinne, wie ich meine Religion verstehe. Wenn die Taliban Muslime wären, würden sie die Menschen nicht töten. Ich glaube, dass sie eigentlich möchten, dass alle Menschen glauben, der Islam sei schlecht, was aber nicht stimmt. Der Islam, den ich praktiziere, ist keine schlechte Religion.

 

Streit in der Nachbarschaft

Früher hat der Sultan Land auf eine bestimmte Weise vergeben. Jeder sollte einen Stein so weit werfen, wie er konnte, und bis zu dieser Stelle sollte ihm das Land gehören. So haben es auch meine Vorfahren gemacht. Sie waren sehr reich und hatten viele Äcker, die sie uns vererbt haben. Meine Familie hatte das Land für ein oder zwei Jahre vermietet, weil wir es nicht benutzen konnten. Nach einiger Zeit wollten sie das Land nicht mehr vermieten. Aber der Mieter behauptete, das Land wurde von meiner Familie an sie verkauft. Wir haben uns ein Jahr lang immer wieder bei der Polizei beschwert. Eines Tages meinten die Polizisten, dass unsere Akte verloren gegangen sei. Wir haben gemerkt, dass der Mieter mit den Polizisten zusammenarbeitet. Meine Familie war sehr beliebt und die Leute aus dem Dorf sind zu uns gekommen, weil sie Angst um uns hatten. Wir konnten nichts dafür, wir wollten doch nur unser Land wieder. An einem ganz normalen Abend waren wir wie immer zu Hause, aber irgendwann sind ein paar Taliban in unser Haus gekommen und haben meinen Vater und meine beiden Onkel gerufen. Sie sind zu ihnen gegangen. Als wir verstanden, dass die Taliban in unserem Haus sind, hat meine Maman sich versteckt, weil wenn sie sie gut oder hübsch fänden, würden die Taliban meine Maman wegnehmen. Später sind mein Vater und meine Onkel zurückgekommen. Sie hatten unbeschreibliche Angst, sodass man sie kaum wiedererkannt hat, so „schwarz“ waren sie. Mein Vater sagte: „Packt schnell ein! Wir gehen!“ Meine beiden Onkel wollten nicht mitkommen und sagten: „Wir gehen nicht weg. Als die Russen in unser Dorf gekommen sind und die Hälfte der Menschen weggegangen ist, sind wir auch geblieben. Ihr könnt weggehen, weil ihr eine Familie habt, ich und mein Bruder bleiben!“ Wir haben unsere Wertsachen eingepackt und sind nach Kabul gefahren, zu meinem anderen Onkel mütterlicherseits. Als wir ein paar Wochen dort waren, haben wir gehört, dass es in unserem Dorf eine Schießerei gab, bei der meine Onkel drei der Mieter getötet haben, bevor sie getötet wurden. Wir haben erfahren, dass der Mieter mit den Taliban und der Regierung zusammengearbeitet hat. Wenn wir nicht fortgegangen wären, hätte der Mieter uns innerhalb von zwei Monaten gefunden. Meine Familie hat sich entschieden in den Iran zu gehen, weil meine Tante dort lebte und auch die Sprache der unseren sehr ähnlich war.

 

Die Reise in den Iran

Als die Reise begann, war ich sieben Jahre alt. Dabei waren meine drei Brüder, meine Schwester, meine Großmutter, meine Mutter, mein Vater und ich. Dann sind wir von Kabul nach Herat gefahren, einer Stadt zwischen Kabul und der iranischen Grenze, und haben dort in einem Hotel übernachtet. Nach dem Frühstück hat mein Baba für uns Bustickets gekauft und wir sind über die Grenze Irans nach Maschhad gefahren. Wir wollten in einem Hotel schlafen und haben auch eins gefunden. Wir waren schon im Zimmer, als mein Baba sagte, dass ihm die Preise zu hoch seien und er vorschlug: „Wir können hier nicht bleiben, aber wir können in eine Moschee gehen.“ Wir haben zwei Taxen genommen, um dort hinzukommen. Bevor wir in die Moschee gegangen sind, hat unser Baba uns vorgewarnt, weil er gehört hatte, dass dort sehr viele Leute seien. Weil Frauen und Männer getrennt in die Moschee gehen müssen, haben wir einen Treffpunkt ausgemacht, damit wir uns nachher auch wiederfinden. Wir sind in den Männerteil der Moschee gegangen und es war so voll, dass wir nicht mal in die Nähe des Schreins gekommen sind. Irgendwann mussten wir auf die Toilette. Im Vorhof der Moschee haben wir auf dem Weg eine Rolltreppe gesehen. Wir haben uns erschreckt, da wir so etwas noch nie zuvor gesehen hatten und nicht wussten, was das überhaupt war. Wir haben gesehen, dass Menschen damit hoch- und herunterfahren. Ich traute mich hochzufahren, aber hatte Angst, wieder runterzufahren. Ich habe daraus ein Spiel gemacht: Ich bin immer wieder mit der Rolltreppe hochgefahren und dann wieder auf der normalen Treppe runtergelaufen. Auf der Toilette habe ich noch eine Entdeckung gemacht: Bis zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass es möglich ist, dass warmes Wasser aus dem Wasserhahn kommt. Das habe ich zum ersten Mal dort erlebt. Nach einiger Zeit sind wir alle zum Treffpunkt gekommen. Wir haben dort nur unsere Großmutter gesehen, aber meine Mutter und meine Schwester waren nicht da. Wir dachten zunächst, sie kommen ein bisschen später, aber so war es nicht – sie hatten sich verlaufen. Mein Vater wollte sie suchen, und wir sollten am Treffpunkt auf ihn warten. Nach ein paar Stunden kam er zurück, aber er hatte sie nicht gefunden. Wir machten uns große Sorgen und wollten schon zur Polizei gehen, da haben wir sie endlich vor der Eingangstür gesehen.

Wir waren so froh, sie gefunden zu haben! Wir sind zusammen zum Bus-Terminal gegangen und haben Tickets für eine Fahrt nach Isfahan gekauft. Im Iran ist es üblich, dass man ein Drittel des Preises an der Busstation zahlt und den Rest direkt beim Busfahrer.

Wir sind in den Bus eingestiegen und der Fahrer hat unser Geld genommen und uns versichert, dass er uns nach Isfahan bringt. Später erst haben wir gemerkt, dass der Bus nicht nach Isfahan fährt, sondern nach Teheran! Mein Vater ist zum Busfahrer gegangen, um sich zu beschweren, aber dieser sagte nur: „Halt’ die Klappe und steig’ aus!“ Mein Vater hat sich ein paar Stunden mit dem Fahrer gestritten und die Fahrt ging währenddessen nicht weiter. Schließlich ist der Chef des Busunternehmens dazu gekommen und hat versucht, den Streit zu schlichten. Er meinte, wir könnten die Polizei rufen und den Fahrer anzeigen, aber dafür müssten wir ca. drei Tage warten und uns einen Schlafplatz suchen. Alternativ hat er uns angeboten, noch mal etwas weniger Geld zu bezahlen, und er selbst würde uns nach Isfahan bringen. Also hat mein Vater das Angebot schließlich angenommen.

 

Im Iran

Ich finde, der Iran ist ein gutes Land – für die Iraner. Das Land ist selbstständig und hat viel Öl, Sehenswürdigkeiten sowie eine gute Kultur mit vielen Festbräuchen und einer weltbekannten Literatur. Iraner sind meistens nett und höflich zueinander. Aber für Afghanen ist es dort sehr, sehr schwierig. Wir als Sunniten dürfen nicht in der Moschee beten, da die meisten Iraner Schiiten sind. In den meisten Städten gibt es aber keine sunnitische Moschee. Und wenn man schlecht über den schiitischen Islam spricht, steht darauf die Todesstrafe.

Afghanen, die in den Iran kommen, werden oft ganz plötzlich zurückgeschickt, denn eine Aufenthaltsgenehmigung kostet jeden Monat viel Geld. Nur zu bestimmten Zeiten vergibt der iranische Staat Aufenthaltsgenehmigungen, doch seit mehreren Jahren werden überhaupt keine mehr erteilt.

Auch die Polizei ist nicht gut zu den Afghanen, manchmal beleidigen sie uns einfach auf der Straße. Afghanen dürfen auch keine Geschäfte eröffnen, sondern nur z. B. als Bauern harte Lohnarbeit verrichten. Ihre Kinder dürfen nicht zur Schule gehen, wenn sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben. Außerdem ist es egal, ob man das afghanische oder iranische Abitur hat, denn man darf sowieso nicht ohne Aufenthaltsgenehmigung studieren, selbst wenn man im Iran geboren wurde. Afghanen dürfen auch keinen Führerschein machen oder Autos kaufen. Kurz gesagt: Afghanen leben dort wie Esel – arbeiten, essen, nach Hause gehen, arbeiten, essen usw.

Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass es sehr schwierig ist, als Afghane im Iran zu leben und die Lage ziemlich hoffnungslos ist – und das hat auch meine Familie zu spüren bekommen.

 

Ich bin Verkäufer

Als wir in Tiran – eine kleine Stadt im Iran, die zu Isfahan gehört – ankamen, haben wir zwei Wochen nur auf Kartons in einem kleinen unbeheizten Haus ohne Licht geschlafen, das uns irgendwelche netten Unbekannten zur Verfügung gestellt haben. Danach haben wir ein besseres Haus gemietet und ich habe angefangen, als Verkäufer auf dem Markt zu arbeiten. Da war ich 7 Jahre alt. Hierfür musste ich jeden Tag um 7 Uhr aufstehen, habe mit meiner Familie gefrühstückt und bin dann zusammen mit meinem Bruder um 8 Uhr arbeiten gegangen. Wir waren selbstständig und hatten einen Stand, an dem wir z. B. Socken, Hosen, Schminke und Schuhcreme verkauft haben. Diese Sachen haben wir einmal in der Woche in der großen Stadt eingekauft. Eigentlich durften wir als Afghanen keinen Stand haben, deshalb mussten wir am Anfang sehr aufpassen, nicht erwischt zu werden.

Zu Beginn haben wir unsere Waren am Boden auf einem Handtuch vor einer Apotheke und einem Handtuchladen in der Stadt verkauft. Eines Tages hat der Besitzer des Geschäftes uns geraten, uns einen Tisch zu kaufen, damit wir besser verkaufen können. Außerdem hat er uns angeboten, den Tisch bei sich im Laden abzustellen. Ohne dieses Angebot hätten wir ihn nicht benutzen können, weil der Weg nach Hause zu lang war. Das war sehr nett von ihm. Und es war ein sehr guter Tipp, denn als wir den Tisch gekauft haben, hatten wir viel mehr Erfolg.