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Ursula Kunze und Karl J. Wittmann (Hg.)

Der Mensch in Umwelt, Familie und Gesellschaft

Ein Lehr- und Arbeitsbuch für den ersten Studienabschnitt Medizin

13., stark veränderte Auflage



Autoren der Einzelbeiträge

Borsoi Livia

Degn Barbara

Dorner Thomas E.

Egger Andrea

Fischer-Kern Melitta

Frischenschlager Oskar

Godnic-Cvar Jasminka

Grabovac Igor

Gundacker Claudia

Hagemann Sylvia

Haidinger Gerald

Hexel Martina

Hladschik-Kermer Birgit

Hoffmann Kathryn

Holzhammer Elisabeth

Homolka Peter

Hutter Hans-Peter

Jordakieva Galateja

Kadi Ulrike

Kirschner Alexander

Kunze Ursula

Kutalek Ruth

Litschauer Brigitte

Maier Manfred

Miller Wolfgang

Niederkrotenthaler Thomas

Pinsker Wilhelm

Retschitzegger Harald

Rieder Anita

Schoberberger Rudolf

Schwarz Bernhard

Sommer Regina

Strasser Ingwald

Till Benedikt

Waldhör Thomas

Wallner Peter

Wittmann Karl J.

Alle an der Medizinischen Universität Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

13., stark veränderte Auflage 2018
Copyright © 2018 Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien, Austria
facultas Universitätsverlag

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der

Verbreitung sowie der Übersetzung sind vorbehalten.

Satz: Facultas Verlags- und Buchhandels AG; Druck: Finidr, Tschechien

Umschlag: © artdee2554 – istock.com

eISBN 978-3-99111-020-0

ISBN 978-3-7089-1692-7

Vorwort

Bei der Planung des Medizin-Curriculums (MCW) hat die Medizinische Universität Wien mit dem Block 6 „Der Mensch in Umwelt, Familie und Gesellschaft“ im zweiten Studiensemester eine inhaltlich besonders breit gefächerte Unterrichtseinheit angesiedelt. Als Ausbildungsziele wurden vorgesehen:

„Nach tendenziell detail-wissenschaftlich zentrierten Inhalten soll das bisher im ersten Studienjahr Gelernte zusammengeführt werden und in eine Synthese aus ökologischen, humanwissenschaftlichen, psychologischen und geisteswissenschaftlichen Inhalten münden. Die mit dieser Synthese verbundenen Kenntnisse, Haltungen und Einstellungen sollen ein geistiges Fundament für klinisches Denken und Handeln legen, wie es in den folgenden Studienabschnitten zunehmend vermittelt wird. Im einzelnen sollen Grundlagen der äußeren Ursachen von Krankheiten sowie der evolutionsbiologischen, psychischen, sozialen und transkulturellen Bedingtheit von Gesundheit und Krankheit und der Familienmedizin gelehrt werden. Nicht zuletzt soll die individuelle ärztliche Haltung durch Motivation und Sensibilisierung für ethische Fragen gefördert werden“.

Derart breit gefächerte Inhalte, wenn auch nicht bei sehr großer Detailtiefe, hätten bereits im ersten Studienjahr einen breiten Fächer an zu empfehlenden Lehrbüchern erfordert, da die meisten verfügbaren Lehrbücher fachspezifisch, aber kaum fächerübergreifend ausgelegt sind, und keines die Gesamtheit der obigen Lehrziele umfasst. Das Planungsteam von Block 6 hatte sich daher zur Herstellung eines eigenen Lehrbuches entschlossen. Dieses soll eine wertvolle Hilfe im Unterricht und beim Selbststudium darstellen, aber weder den Besuch der Lehrveranstaltungen ersetzen noch das Spektrum möglicher Prüfungsfragen einengen oder erweitern. Auch soll es nicht als Lehrveranstaltungsskriptum verstanden werden, das man vor der Prüfung schnell einmal durchpaukt. Vielmehr enthält es neben dem Prüfungsstoff viel Anschauungsmaterial, Begleitinformation und Anregungen für weitergehend Interessierte.

Nach einer Vorausversion im Jahre 2002 wurde das revidierte und erheblich erweiterte Werk im Jahre 2003 an einen einschlägig tätigen Verlag übergeben, um damit die Nachhaltigkeit von Herstellung und Vertrieb zu gewährleisten. Das Autorenteam sieht es als Bestätigung seines Konzeptes, dass seit der Erstausgabe dieses Buches zahlreiche weitere “Blockbücher“ zur Unterstützung der Lehre im Rahmen des Wiener Curriculums erschienen sind.

Die bisherigen Auflagen wurden von den Studierenden als Vorbereitung für den Unterricht in Vorlesungen, Seminaren und Praktika, als Arbeitsunterlage und zur Prüfungsvorbereitung stark nachgefragt und haben sich in diesen Bereichen bewährt. Zahlreiche positive Rückmeldungen haben AutorInnen und HerausgeberInnen ermutigt mit der nunmehr vorliegenden Auflage weiterzumachen. Vielen Dank an alle LeserInnen, die Änderungen und Korrekturen vorgeschlagen haben. Die wenigen negativen Rückmeldungen haben wir uns, so wie bisher, besonders zu Herzen genommen. Neben den direkten Rückmeldungen gab auch die Prüfungsstatistik des MCW wichtige Hinweise, wo Bedarf an klarerer oder ausführlicherer Darlegung der Inhalte besteht.

Im Vergleich zur vorhergehenden Auflage wurden Text und Abbildungen im Ausmaß von ca. 25% erneuert, wobei der Gesamtumfang beinahe gleichblieb. Am meisten geändert wurden die Themen 1, 4, 5, 7, 9, 11 und 12. Das Thema 7 wurde weitgehend, die Themen 5, 11 und 12 hingegen völlig neu angelegt. Die Themen 4, 9 und 12 wurden außerdem gekürzt. Teile von Thema 4 wurden vom Thema 1 in wesentlich überarbeiteter Form übernommen. Die Kürzungen, Verlagerungen und Neufassungen von Inhalten reflektieren Änderungen im Unterrichtsplan, welche ab dem Sommersemester 2018 wirksam werden.

Ursula Kunze und Karl Wittmann

Wien, im März 2018

INHALTSÜBERSICHT

Kapitel I: Der Mensch in Umwelt und Arbeitswelt

Thema 1: Umwelteinflüsse und Gesundheit

1.1 Grundbegriffe von Umwelt und Gesundheit

1.1.1 Gesundheitsdefinitionen

1.1.2 Definition von „Umwelt“ und „Ökologie“

1.1.3 Interaktion Umwelt-Mensch-Umwelt

1.1.4 Geschichtliche Entwicklung

1.1.5 Definitionen und Aufgaben von Umwelthygiene/Umweltmedizin

1.1.6 Ärztliche Aufgaben und Tätigkeitsbereiche

1.2 Umweltmedien und ihre Bedeutung für den gesunden Menschen

1.2.1 Transport und Verhalten von Schadstoffen

1.2.2 Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung von Stoffen

1.2.3 Wirkung und Wirkungsschwellen – Exposition und Dosis – Dosis-Wirkungs-Beziehungen

1.2.4 Exposition und Festlegung von Richt- und Grenzwerten

1.3 Einflussfaktoren

1.3.1 Positive und negative Effekte physikalischer, chemischer, biologischer und psychosozialer Einflussfaktoren

1.3.2 Systematische Übersicht über Umweltfaktoren

1.3.3 Risiko und Risikoabschätzung

1.3.4 Subjektive Wahrnehmung von Risiken und Risikokommunikation

1.3.5 Ziel-, Richt- und Grenzwerte

1.3.6 Prävention/Vorbeugung (prevention) und Vorsorge (precaution)

1.3.7 Umweltethik und Umweltgerechtigkeit

1.4 Umweltmedien / Problemfelder

1.4.1 Luft

1.4.2 Klima

1.4.3 Strahlung und Mutagentien

1.4.4 Lärm und Schall

1.4.5 Gerüche

1.4.6 Ernährung

1.4.7 Verkehr und Transport

1.4.8 Wohnen und Innenraumhygiene

1.4.9 Wasser

1.4.10 Boden

1.5 Zusammenfassung

Thema 2: Bestimmung und Messung von Umweltbelastungen

2.1 Messstrategie

2.1.1 Kenngrößen für Messverfahren

2.1.2 Auswahl des Messverfahrens

2.2 Ionisierende Strahlung und Strahlenschutz

2.2.1 Allgemeines

2.2.2 Beschreibung der Dosis

2.2.3 Strahlungswirkungen

2.2.4 Die effektive Dosis

2.2.5 Strahlenquellen

2.2.6 Strahlenschutz

2.2.7 Vergleich von Effektivdosiswerten in der Medizin

2.2.8 Messmethoden im Strahlenschutz

2.3 Luftschadstoffe (Air Pollution)

2.3.1 Allgemeines

2.3.2 Messung von Gasen

2.3.3 Messung von Particulate Matter (PM)

2.4 Darstellung von Messergebnissen

Thema 3: Arbeitsmedizin

3.1 Aufgaben der modernen Arbeitsmedizin

3.1.1 Definition der Arbeitsmedizin

3.1.2 Der Wandel in der Arbeitswelt

3.1.3 Belastung, Prävention, Grenzwerte

3.2 Belastungs-Beanspruchungs-Konzept

3.3 Präventionskonzepte in der Arbeitsmedizin

3.4 Biomonitoring und Arbeitsmedizinische Grenzwertkonzepte

3.4.1 Biomonitoring und Biomarker

3.4.2 Arbeitsmedizinische Grenzwertkonzepte

3.5 Berufskrankheiten

3.6 Ergonomie und Menschliche Faktoren

3.6.1 Zuverlässigkeit des Systems

3.6.2 Mensch-Maschine und Mensch-Computer Interaktion

3.6.3 Spezialgebiete im Bereich der Ergonomie

Thema 4: Einführung in die Medizinische Ökologie

4.1 Aufgaben der Medizinischen Ökologie

4.2 Medizinische Aspekte der globalen Umweltbelastung

4.2.1 Umwelt- und Ressourcenverbrauch

4.2.2 Umweltbelastungen

4.2.3 Stoffkreisläufe und Anreicherung

4.2.4 Globaler Umweltwandel (environmental change)

4.3 Ökologie von Entwicklungszyklen und Infektionswegen

4.3.1 Parasitismus als enge ökologische Nische

4.3.2 Lokalisation und Übertragungswege von Parasiten

4.3.3 Wirtszyklen, Wirtstypen und Parasitenreservoirs

4.4 Anpassungsformen und Strategien der Giftwirkung von Organismen

4.4.1 Ökologische Strategien von Giftorganismen

4.4.2 Bakterientoxine

4.4.3 Pilztoxine

4.4.4 Pflanzentoxine

4.4.5 Tiergifte

Kapitel II: Der Mensch im sozialen und evolutionären Kontext

Thema 5: Einführung in das Stressmodell

5.1 Einleitung

5.2 Physiologische Grundlagen

5.3 Stress und Geschlecht

5.4 Umgang mit eigenem Stress

Thema 6: Grundlagen der Epidemiologie

6.1 Demografie

6.1.1 Fertilität

6.1.2 Zahl der Lebendgeborenen

6.1.3 Lebenserwartung

6.1.4 Mortalität (Sterblichkeit)

6.1.5 Wanderbewegung (Migration)

6.1.6 Bevölkerungsentwicklung

6.2 Grundlagen der Epidemiologie

6.2.1 Epidemiologische Maßzahlen

6.2.2 Statische Population

6.2.3 Dynamische Population

6.2.4 Zusammenhang zwischen Inzidenz, Prävalenz und Letalität

6.3 Deskriptive Epidemiologie

6.3.1 Ziele deskriptiver Studien

6.3.2 Standardisierung

6.3.3 Deskriptive Studien

6.3.4 Gesundheitsbericht

6.3.5 Mikrozensus

6.4 Analytische Epidemiologie

6.4.1 Querschnittsstudie

6.4.2 Fall-Kontroll-Studie

6.4.3 Kohorten-Studie

6.4.4 Risiko

6.5 Nachweis kausaler Zusammenhänge, Bias, Confounder

6.5.1 Zufallsfehler

6.5.2 Systembedingte Fehler (Bias)

6.5.3 Störfaktor (Confounder)

6.5.4 Kontrolle von Störfaktoren bei der Studienplanung

6.5.5 Kontrolle von Störfaktoren bei der Auswertung von Studien

6.6 Experimentelle Epidemiologie

6.6.1 Randomisierte klinische Studie

6.6.2 Bevölkerungsbezogene Interventionsstudien

6.6.3 Evaluation und Qualitätssicherung ärztlicher Leistungen

6.7 Früherkennung – Screening

6.7.1 Screening – Voraussetzungen

6.7.2 Screening – qualitative Kriterien

6.7.3 Screening – Berechnung der Kenngrößen

6.7.4 Screening – Überprüfung der Wirksamkeit

6.7.5 Screening – Organisation

Thema 7: Einführung in Gesundheitsförderung und Prävention

7.1 Gesundheit und Gesundheitsdeterminanten

7.2 Gesundheitsförderung und Prävention

7.2.1 Gesundheitsförderung

7.2.2 Risikofaktoren und Modifikation von Risikofaktoren

7.2.3 Primäre Prävention

7.2.4 Sekundäre Prävention

7.2.5 Tertiäre Prävention

7.2.6 Verhaltensprävention und Verhältnisprävention

7.3 Gesundheitsförderung und Prävention am Beispiel Ernährung

7.3.1 Determinanten in Bezug auf Ernährung

7.3.2 Prävention und Gesundheitsförderung und Ernährung

7.4 Gesundheitsförderung und Prävention am Beispiel Bewegung

7.4.1 Determinanten in Bezug auf Bewegung

7.4.2 Prävention, Gesundheitsförderung und Bewegung

7.5 Reduktion von Risikofaktoren am Beispiel Rauchen

7.5.1 Tabakassoziierte Krankheiten

7.5.2 Tabakkontrolle

7.5.3 Jugendliches Rauchen

7.5.4 Raucherdiagnostik

7.5.5 Rauchertherapie

7.6 Reduktion von Risikofaktoren am Beispiel Alkohol

7.6.1 Gesellschaftliche Einbettung des Alkoholkonsums

7.6.2 Die „Harmlosigkeitsgrenze“ und die „Gefährdungsgrenze“

7.6.3 Akute Auswirkung von Alkohol

7.6.4 Individuelle Unterschiede der Alkoholverträglichkeit

7.6.5 Jugend und Alkohol

7.6.6 Alkohol und Straßenverkehr

7.6.7 Alkohol am Arbeitsplatz

7.6.8 Klassifikation und Epidemiologie des Alkoholismus

7.6.9 Mortalität durch Alkohol

7.7 Prinzip der primären Prävention am Beispiel Impfungen

7.7.1 Immunsystem: ein kurzer Überblick

7.7.2 Der österreichische Impfplan

7.7.3 Impfung spezieller Personengruppen

7.7.4 Der Impfpass

7.7.5 Ziele von Impfprogrammen

7.7.6 Herauforderungen für das österreichische Impfwesen

7.8 Prinzip der Prävention am Beispiel von Herz-Kreislauferkrankungen

7.8.1 Einflussfaktoren auf die KHK und primäre Prävention

7.8.2 Screening bei Herz-Kreislauferkrankungen (Sekundäre Prävention)

7.8.3 Tertiäre Prävention bei Herz-Kreislauferkrankungen

7.9 Prävention am Beispiel Arbeitsmedizin

7.9.1 Arbeitsinduzierte Erkrankungen

7.9.2 Suchterkrankungen am Arbeitsplatz

7.10 Suizidalität und Suizidprävention

Thema 8: Evolution des Menschen und seiner Krankheiten

8.1 Evolutionstheorien und Evolutionsmechanismen

8.1.1 Evolutionstheorien

8.1.2 Evolutionsmechanismen

8.1.3 Ähnlichkeit und Verwandtschaft

8.2 Hominidenevolution

8.2.1 Die Stellung des Menschen innerhalb der rezenten Hominoidea

8.2.2 Die Evolution der Hominiden

8.3 Die Evolution von Genen und Krankheiten

8.3.1 Die Globingene des Menschen und deren Evolution

8.3.2 Veränderungen des Hämoglobins und dadurch bedingte Krankheiten

Kapitel III: Psyche, Lebenszyklus und Familie

Thema 9: Der Mensch im psychosozialen Kontext

Tiefenpsychologische Aspekte

9.1 Was ist Psychoanalyse?

9.2 Metapsychologische Konzepte

9.3 Bemerkungen zur psychoanalytischen Entwicklungstheorie

9.4 Aspekte der psychoanalytischen Behandlungstechnik

Thema 10: Psyche und Lebenszyklus

10.1 Grundlagen der medizinischen Psychologie und Soziologie

10.2 Frühkindliche Entwicklung

10.3 Frühkindliche Bindung und ihre medizinische Bedeutung

10.4 Psychotraumatologie

10.5 Erwachsenenalter

10.5.1 Pubertät und Adoleszenz

10.5.2 Der Einfluss der Familie auf Gesundheit und Krankheit der Mitglieder

10.6 Sterben und Tod

Thema 11: Allgemein- und Familienmedizin

11.1 Einleitung

11.2 Definition

11.2.1 Berufsfelder

11.3 Kernkompetenzen der Allgemein- und Familienmedizin

11.3.1 Schlüsselfach der Primärversorgung im Gesundheitswesen

11.3.2 Spezifische Problemlösungs-Fähigkeiten

11.3.3 Individuelle, patientenzentrierte Betreuung

11.3.4 Ganzheitliche Sichtweise

11.3.5 Umfassende Betreuung der Menschen

11.3.6 Kommunale Ausrichtung

11.4 Spezifische Aspekte in der Allgemein- und Familienmedizin

11.4.1 Definition Begrifflichkeiten

11.4.2 Häufige Beratungs- und Behandlungsanlässe in der allgemeinmedizinischen Ordination

11.4.3 Forschung in der Allgemein- und Familienmedizin

11.5 Ausgewählte spezifische Handlungsfelder der Allgemein- und Familienmedizin

11.5.1 Familienmedizin

11.5.2 Der Hausbesuch

11.5.3 Die Bedeutung der Allgemeinmedizin im Rahmen palliativmedizinischer Maßnahmen

11.5.4 Weitere spezifische Handlungsfelder

Thema 12: Medizinanthropologie und globale Gesundheit

12.1 Was ist Medizinanthropologie?

12.2 Erklärungsmodelle von Krankheit

12.3 Medizinanthropologische Perspektiven von Infektionskrankheiten

12.4 Widerstand gegen Public Health Maßnahmen

12.5 Das Einbeziehen von lokalen Gemeinschaften in Entscheidungsfindungen

Glossar

Stichwortverzeichnis

Quellenverzeichnis

Die Autorinnen und Autoren

Anhang

Kapitel I: Der Mensch in Umwelt und Arbeitswelt

Lehrziele: Die Stellung des Menschen in der Umwelt, wie er diese verändert und wie das auf seine Gesundheit zurückwirkt. Grundlagen der Präventivmedizin; Problematik von möglichen Gesundheitsschäden durch Umweltnoxen und Krankheitserreger bis hin zu psychosozialen Problemen am Arbeitsplatz; Bedeutung des individuellen Verhaltens und von Schutzmaßnahmen.

Thema 1: Umwelteinflüsse und Gesundheit

1.1 Grundbegriffe von Umwelt und Gesundheit

Von Hans-Peter Hutter und Peter Wallner

1.1.1 Gesundheitsdefinitionen

Der Gesundheits- und auch der Krankheitsbegriff sind in das jeweilig vorherrschende Denken eingebettet und unterliegen daher einem zeitlichen Wandel. Nähert man sich dem Begriff „Gesundheit“ zunächst von der Etymologie her, so zeigt sich, dass das Wort „gesund“ ursprünglich „stark, kräftig“ bedeutete.

Auf jeden Fall ist Gesundheit mehr als das Gegenteil von Krankheit und gar nicht so einfach zu definieren. Die heute zumeist verwendete Definition von Gesundheit stammt aus der Gründungserklärung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 22. Juli 1946. Darin heißt es: Gesundheit ist ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht bloß das Freisein von Krankheit oder Behinderung.

Diese sehr umfassende, zunächst einleuchtende Definition ist jedoch in der Praxis schwer verwendbar, da auch beim „Gesunden“ Zustände völligen Wohlbefindens wohl die Ausnahme darstellen.

Eine wesentliche Voraussetzung für Gesundheit sind nach jüngerer Auffassung intakte Regulationsmechanismen: Der Organismus kann sich mit Hilfe dieser Regulationsmechanismen bis zu einem gewissen Grad an neue Anforderungen anpassen. Es kommt also zu einer Veränderung oder Reaktion des Organismus innerhalb der physiologischen Schwankungsbreite, ausgelöst durch einen externen Stimulus.

Ziel dieser Adaptation ist die Aufrechterhaltung der Funktion des Gesamtorganismus, wobei quasi die „funktionelle Reserve“ des Organismus bzw. des betroffenen Organsystems durch diese Anpassungsvorgänge geringer wird.

Bei Überschreitung des physiologischen Normbereiches aufgrund von Belastung, die länger andauert oder hohe Intensität aufweist, kann es zu einer Überforderung bzw. Erschöpfung der Regulationsmechanismen und zu entsprechenden, länger anhaltenden (noch reversiblen) Störungen und/oder Beeinträchtigungen des Organismus kommen. Der Übergang zu irreversiblen Veränderungen (Schäden) ist fließend und wird durch weitere Moderatorvariablen (z. B. genetische Suszeptibilität und konstitutionelle Faktoren) beeinflusst. Ab welchem Punkt in diesem Kontinuum von der (zumindest vorübergehend kompensierbaren) Belastung bis zur irreversiblen Schädigung von „Krankheit“ zu sprechen ist, unterliegt vielfachen Konventionen.

Im biologischen Sinne bedeutet Gesundheit, dass sich alle Organsysteme des menschlichen Körpers in einem physiologischen Gleichgewicht befinden und Regelkreise auf Belastung reagieren können. Das physische Wohlbefinden ist allerdings nicht isoliert zu betrachten, sondern ist eng mit dem psychischen, sozialen und kulturellen Wohlbefinden verbunden Der Begriff „Gesundheit“ überschreitet damit die Grenzen der rein physiologischen Betrachtungsweise und ist Ausdruck für das gesamte Wohlbefinden eines Individuums. Ein Mensch ist somit gesund, wenn sich sein Körper, seine Umwelt und seine Psyche im Gleichgewicht befinden. Oder wenn er sich, wie Hurrelmann (2006) formuliert hat, „im Einklang mit den eigenen Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet.“

Insgesamt unterliegt die Definition von Gesundheit neben dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft auch den technischen, religiösen, philosophischen, psychologischen, gesellschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Normen einer Zeit. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass „Gesundheit“ auch immer subjektiv empfunden wird und diese subjektiven Gesundheitsvorstellungen einer Person von großer Bedeutung für ihre Gesundheitserhaltung etc. sind.

Schutz, Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit sind wesentliche Säulen in der Medizin. Dies soll etwa mit Hilfe der Gesundheitsförderung – im Sinne der Ottawa-Charta der WHO aus 1986 – erreicht werden. Darin heißt es: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl Einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern beziehungsweise verändern können“.

Damit besteht unser ärztliches Handlungsspektrum aus der Heilung und der Verhütung von Krankheiten sowie der Förderung von Gesundheit. Um Prävention und Gesundheitsförderung umzusetzen ist ein starkes Engagement der Medizin hinsichtlich der Gestaltung der gesundheitsrelevanten Faktoren und Umweltbedingungen erforderlich.

Als gesundheitsrelevante Faktoren sind dabei im Sinne eines weit gefassten Umweltbegriffes physikalische, chemische und biologische Faktoren der Umwelt, aber auch psychische und soziale Bedingungen zu sehen, mit denen wir in unserer Umwelt konfrontiert werden. Alle diese Faktoren können unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden und Handeln negativ bzw. positiv beeinflussen.

1.1.2 Definition von „Umwelt“ und „Ökologie“

Die Beziehungen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt sind vielfältig. Zum besseren Verständnis werden im Folgenden die Begriffe „Umwelt“ und „Ökologie“ dargestellt.

Goethe gebrauchte „Umwelt“ in seiner „Italienischen Reise“ im Sinne von „Umgebung“ oder „umgebende Welt“. Später wurde der Begriff im Sinne von Milieu für das soziale Umfeld in den Humanwissenschaften verwendet.

Nach der von Jakob von Uexküll (1864-1944) begründeten Umweltlehre ist Umwelt als ein System zu verstehen, das sich durch die Beziehungen zwischen Subjekt und Außenwelt ergibt. Danach ist es auch möglich von Umwelten zu sprechen: Jedem Subjekt bzw. jeder Spezies ist eine spezifische Umwelt zu Eigen. Dabei handelt es sich um die Ausschnitte aus der Außenwelt, die für das jeweilige Lebewesen von Bedeutung sind, die seine Existenzgrundlage bilden und auf die es selbst Einfluss ausübt.

Eine modernere Auffassung von Umwelt lautet folgendermaßen: „Gesamtheit aller Prozesse und Räume, in denen sich die Wechselwirkung zwischen Natur und Zivilisation abspielt“ (Wissenschaftsrat; Publ. 1994).

Ökologie nach Ernst Haeckel (1834-1919): „Ökologie ist die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle Existenzbedingungen rechnen können.“

1.1.3 Interaktion Umwelt-Mensch-Umwelt

Die Interaktion zwischen Umwelt und Mensch darf nicht statisch und eindimensional gesehen werden. Vielmehr stehen Mensch und Umwelt in einem dynamischen wechselseitigen Bedingungsgefüge. Nur wenn ein dynamisches Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Menschen und den notwendigen Voraussetzungen für die Erhaltung einer intakten Umwelt gefunden wird, kann mit einer dauerhaften gesundheitsfördernden Umwelt-Mensch-Umwelt Interaktion gerechnet werden.

1.1.4 Geschichtliche Entwicklung

Hygiene ist die Lehre von der Erhaltung der Gesundheit und der Vermeidung von Krankheit. Sie setzt sich mit den Wechselbeziehungen zwischen dem Menschen und seiner belebten und unbelebten Umwelt auseinander. Geschichtlich gesehen hat sich die Medizin schon sehr früh mit Umwelteinflüssen auf die Krankheitsentstehung und Gesunderhaltung befasst. So reicht die Geschichte der Hygiene (neben der Heilkunde) bis in die ersten Hochkulturen zurück.

Beispielsweise waren in ägyptischen Schriftrollen Vorschriften, Gebote und Verbote zur Gesundheitslehre bzw. zur Hygiene enthalten, auch in der heiligen Schrift der Perser, der „Aresta“.

Der römische Arzt Galen (Claudius Galenus, 129-199 n. Chr.) – neben Hippokrates der bedeutendste Arzt der Antike – schuf ein umfassendes System der Medizin, das mehrere Jahrhunderte die Heilkunde beherrschte. Er formulierte erstmals, dass die Hygiene der Krankheitsverhütung dient.

Spätestens mit Max von Pettenkofer (1818-1901), der die Abhängigkeit der Seuchenentstehung von der Beschaffenheit der menschliche Umgebung (von Bodenverunreinigungen und Grundwasserstand) betonte, zeigte sich, dass die „klassische“ Hygiene auch als „Umwelthygiene“ bezeichnet werden könnte.

Seit Beginn der 80er Jahre werden Umweltfaktoren zunehmend als (Teil-)Ursache für unterschiedliche Befindlichkeits- und Gesundheitsbeeinträchtigungen diskutiert. Dies hat im Wesentlichen drei Gründe:

Die Belastung der Umwelt durch eine wachsende Anzahl und Menge an Chemikalien, über deren langfristige Effekte auf die komplexen Zusammenhänge innerhalb der Biosphäre und auf die menschliche Gesundheit wenig gesichertes Wissen vorliegt.

Die teilweise unsachlich geführten Diskussionen in der Öffentlichkeit über tatsächlich nachgewiesene und potenzielle Risiken, die sich aus der Umweltbelastung für die menschliche Gesundheit ergeben können.

Die Tendenz gesundheitliche Beschwerden kausal mit Umweltfaktoren in Verbindung zu bringen sowie das Gefühl in der Bevölkerung durch Umweltnoxen bedroht zu sein.

Dies führte zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fragen zu Umwelt und Gesundheit, aber auch auf Patienten- und Arztseite zu vermehrter Nachfrage nach adäquater umweltmedizinischer Versorgung.

Exkurs Geschichtliches: 110 Jahre „Allergie“

Obwohl um die vorletzte Jahrhundertwende Heuschnupfen und Asthma bekannt waren, standen damals doch ganz andere medizinische Probleme im Vordergrund: Infektionskrankheiten wie Pocken, Tuberkulose und Diphtherie grassierten und führten in einer beträchtlichen Anzahl der Fälle zu schweren Erkrankungen oder auch zum Tod (Abb. 1). Jedoch begann man die Erfahrung zu sammeln, dass manche Patienten, die vormals bereits erkrankt waren, nun vor einer weiteren Infektion mit demselben Erreger geschützt waren. Da die Erreger krank machten, wurde ihnen die Produktion von Giften, Toxinen, zugeschrieben und man machte sich auf die Suche nach einem Gegengift, einem Antitoxin. Es wurde vermutet, dass der Körper natürliche Abwehrstoffe produziert, die als Antitoxine fungieren und Schutz vor einer neuen Infektion bieten. Tatsächlich konnte bewiesen werden, dass man Personen durch Infusion gereinigter „Antitoxine“, quasi durch eine Art von Leihimmunität effektiv schützen konnte. Erst viel später wurde erkannt, dass diese Antitoxine eigentlich lösliche Eiweißkörper waren, die heute als Antikörper oder Immunglobuline bezeichnet werden. Stammen sie vom Tier, betrachtet sie unser Immunsystem natürlich als fremd und reagiert dagegen.

Abb. 1 Der Wandel der Gefahren für unsere Kinder im Laufe des letzten Jahrhunderts.

Ein weiterer Meilenstein war die Beobachtung, dass Antitoxine in Tieren generiert werden konnten, indem man diese einem Erreger aussetzte, wobei speziell Pferde dazu herangezogen wurden. Antitoxine wurden in der Folge aus Tierseren in großem Maßstab gereinigt um es Patienten zu verabreichen oder Gefährdete zu schützen. Die Ära der sogenannten passiven Immuntherapie hatte begonnen, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein industrielles Ausmaß erlangte.

Bald jedoch beobachtete man gefährliche Nebeneffekte solcher Therapien: Wurden Personen mehrmals mit den tierischen Antitoxinen behandelt, hatte die Therapie eine beträchtliche Rate an Todesfällen zur Folge. Im Jahre 1890 lag die Rate negativer Auswirkungen bei immerhin 60 % der Behandelten (Metropolitan Asylums Board, 1911). Man wusste, dass einerseits Symptome wie Fieber und Gelenksschwellungen nach etwa zehn Tagen auftreten konnten (Serumkrankheit) und sich oft von selbst wieder rückbildeten. Andererseits wurde beobachtet, dass sich besonders nach wiederholten Gaben auch gefährliche Schockreaktionen entwickeln konnten, die aber sofort auftraten. Da die Infektionskrankheiten jedoch mit noch einer weit höheren Lebensgefahr einhergingen, und antibiotische Therapie erst mit der Entdeckung des Penicillins 1928 durch Sir Alexander Fleming ihre Entwicklung nahm, nahm man die Risiken einer Antitoxin-Therapie damals in Kauf.

Unabhängig davon, wurde im Jahre 1902 von den Franzosen Paul Portier und Charles R. Richet eine sehr rasche, lebensgefährliche Schockentwicklung experimentell bei Hunden beobachtet. Sie injizierten den Tieren ein Gift aus Seeanemonen und beobachteten, dass die Tiere nach wiederholten Gaben an plötzlich auftretender Atemnot, Kollaps und Herztod verstarben. Ohne jemals den genauen Mechanismus der Auslösung zu kennen, dokumentierten sie diese Zwischenfälle als Anaphylaxie, also sehr rasch einsetzende Schockreaktion.

Zu diesem Zeitpunkt kam Clemens Freiherr von Pirquet ins Bild. Nachdem er das von seinen adeligen Eltern erwünschte Theologiestudium verweigert hatte, studierte er in Wien Medizin, und entschloss sich dann Kinderarzt zu werden. Nach Studien in Berlin und bei Professor Escherich in Graz, wurde er daraufhin nach Wien an die Universitätskinderklinik zurückgerufen, die damals im Hause des St. Anna Kinderspital ansässig war. Dort behandelte er an Diphtherie erkrankte Kinder mit Diphtherie-Antitoxin, also Immunglobulinen aus Tierseren, wobei oft verblüffend gute klinische Resultate erzielt werden konnten. Wie auch seine Vorgänger beobachtete er Serumkrankheit, aber auch Schockreaktionen und erkannte den Zusammenhang mit den Studien Richets und Portiers. Er definierte, dass die Reaktion spezifisch war, also direkt mit der Behandlung durch das Antitoxin zu tun hatte, und nur bei wiederholter Gabe auftrat. Die Reaktion war in diesen Patienten also verändert im Vergleich zur Normalsituation. Aus dem Griechischen allos – verändert und ergos – Aktion setzte er den Begriff Allergie zusammen, worin er eigentlich auch die Serumkrankheit mit einbezog. Seine Erkenntnisse publizierte er in dem angesehenen medizinischen Fachjournal Münchner medizinische Wochenschrift im Jahre 1906 (von Pirquet, 1906). Wenn wir den Begriff „Allergie“ heute verwenden, verstehen wir darunter meist die allergische Sofortreaktion (der dieses Kapitel größtenteils gewidmet ist), sowie das langsamer entstehende Kontaktekzem, aber in jedem Fall meinen wir eine krankmachende Überempfindlichkeit. Laut Allergiebericht (2006) beträgt die Prävalenz von Allergien (selbst berichtet) rund 20 Prozent der Bevölkerung (Tendenz steigend). Hochgerechnet bedeutet das, dass etwa 1,6 Millionen Österreicher an Allergien leiden. 200.000 von ihnen leiden an einer Pollenallergie, gefolgt von Tierallergien mit rund 130.000 Betroffenen. Generell sind Frauen etwas häufiger als Männer von Allergien betroffen.

1.1.5 Definitionen und Aufgaben von Umwelthygiene/Umweltmedizin

Dieses interdisziplinäre Fachgebiet gilt heute bei uns als junge Wissenschaft (Herkunftsfachgebiet: Hygiene) in der Medizin, deren Bedeutung in letzter Zeit zugenommen hat. Umweltmedizin befasst sich in Theorie und Praxis mit den gesundheits- und krankheitsbestimmenden Aspekten der Mensch-Umwelt-Beziehung, also mit der Erforschung, Früherkennung und Prävention umweltbedingter Gesundheitsrisiken und Gesundheitsstörungen und mit Möglichkeiten der Gesundheitsförderung durch Umweltgestaltung. Gegebenenfalls beschäftigt sie sich auch mit der unterstützenden Diagnostik, Therapie und Prophylaxe umweltassoziierter Erkrankungen. Als zentraler Fachgegenstand gelten anthropogene (physikalische, chemische, biologische, psychische und psychosoziale) Umweltveränderungen/-belastungen und deren (schädigende oder fördernde) Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Umweltmedizin schafft somit die Verbindung zwischen Gesundheit (als Gleichgewichtszustand und Sollwertstabilität) und Umwelt (als Prozesse und Räume der Zivilisation-Natur-Interaktion).

Innerhalb der Umwelthygiene/Umweltmedizin unterscheidet man einen bevölkerungs- von einem individualmedizinischen Ansatz.

Umwelthygiene/Umweltmedizin hat eine Abwägung der Gesundheitsrisiken vorzunehmen, auf deren Grundlage individuelle und kollektive Maßnahmen zum Schutz vor Schadwirkungen erarbeitet werden können und diese Maßnahmen hinsichtlich ihrer Effizienz, ihrer Effektivität und ihrer Akzeptanz zu evaluieren.

Interdisziplinär bedeutet, dass neben Medizinern auch Fachleute aus nicht medizinischen Disziplinen (z. B. Biologie, Psychologie, Soziologie, Technik) am Fach Umwelthygiene/Umweltmedizin wesentlichen Anteil haben.

Zur Erforschung der Zusammenhänge zwischen Umwelteinflüssen und Gesundheit bedienen sich Umweltmedizin und Umwelthygiene v. a. epidemiologischer, toxikologischer, klinischer und psychologischer Methoden.

1.1.6 Ärztliche Aufgaben und Tätigkeitsbereiche

Probleme des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes sind nicht nur für die Umweltpolitik von erheblicher Bedeutung, sondern haben auch in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert. So werden immer mehr umweltbezogene Fragestellungen an die medizinisch Tätigen herangetragen. Deshalb sind Kenntnisse über umweltmedizinische Grundlagen für die ärztliche Arbeit unabdingbar.

Erkennen von Umweltnoxen als Ursache von Erkrankungen, Beratung von Patientinnen bzw. Patienten (Allgemeinmediziner, Dermatologen, Pädiater, Pulmologen usw.)

Stellungnahme zu und Beratung bei kommunalen Umweltproblemen, medizinische Gutachten im Behördenverfahren (Gemeindearzt, Amtsarzt)

Beurteilung, Planung und Abhilfe bei Problemen am Arbeitsplatz (Arbeitsmediziner)

1.2 Umweltmedien und ihre Bedeutung für den gesunden Menschen

Von Hans-Peter Hutter und Peter Wallner

Die Diskussionen über Luftreinhaltung, Boden- und Gewässerschutz, über Reststoffverwertung und -deponierung oder Altlastensanierung beweisen ein zunehmendes Bewusstsein um die Bedeutung des Umweltschutzes für unsere Zukunft. Dabei sind folgende Umweltmedien zu berücksichtigen: Luft (Außen-, Innenraumluft), Wasser (Oberflächen-, Grund-, Trink-, Bade-, Abwasser), Boden, Vegetation, Nahrungsmittel. Ebenso müssen Aspekte der sozialen und gesellschaftlichen Umwelt in ihrer gesundheitlichen Bedeutung untersucht werden.

1.2.1 Transport und Verhalten von Schadstoffen

Alle Fälle von Umweltverschmutzung haben bestimmte Merkmale gemeinsam: 1) ein schädigendes Agens, 2) eine Schadstoffquelle, 3) ein Transportmedium (Luft, Wasser, Boden) und 4) ein Zielobjekt (Organismen, Ökosysteme oder Güter, auf die sich der Schadstoff auswirkt).

Unter einer Umweltbelastung versteht man die von einer Quelle ausgehenden Emissionen (Stoffabgaben wie z. B. Luftverunreinigungen und/oder Energieabgaben wie z. B. Strahlen), welche als Immissionen über die Umweltmedien (Wasser, Boden, Luft) auf Menschen, Tiere, Pflanzen oder Sachgüter einwirken, und Gefahren, nachteilige Wirkungen oder Belästigungen hervorrufen können.

1.2.2 Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung von Stoffen

Die Aufnahme eines Stoffes in den Organismus ist abhängig von der Qualität (physikalische, chemische Eigenschaften), vorhandenen Menge und Konzentration, Art und Dauer der Exposition (z. B. Luft, Wasser, Boden, Lebensmittel), Aufnahme (Resorption) durch das Körperorgan, mit dem der Stoff in Kontakt steht (Respirationstrakt [inhalativ], Magen-Darm-Trakt [oral], Haut und Schleimhäute [dermal], über die Sinnesorgane [z. B. aural, retinal]).

Die Verteilung der Stoffe im Organismus ist davon abhängig, ob es sich um fettlösliche (lipophile) oder wasserlösliche (hydrophile) Stoffe handelt. Lipidlösliche Stoffe reichern sich in den Organen je nach Fettgehalt an und verbleiben normalerweise länger im Organismus als wasserlösliche. Allerdings können einige wasserlösliche Fremdstoffe sehr effizient gebunden werden, falls sie Affinität zu spezifischen Bindungsstellen im Organismus besitzen, wie etwa die Affinität bestimmter Schwermetallverbindungen zu SH-Gruppen an Cystein enthaltenden Proteinen.

Die Aktivität der am Stoffwechsel beteiligten Enzyme kann zwischen einzelnen Tierspezies, Tierstämmen und dem Menschen, aber auch genetisch bedingt innerhalb der menschlichen Population große Unterschiede aufweisen. Diese stellen eine der wichtigsten Ursachen für vorhandene Unterschiede in der Empfindlichkeit gegenüber Chemikalien dar.

Die Ausscheidung erfolgt durch Urogenital-, Verdauungs-, Atmungstrakt und Haut.

1.2.3 Wirkung und Wirkungsschwellen – Exposition und Dosis – Dosis-Wirkungs-Beziehungen

Aufgenommene Schadstoffe verursachen nicht notwendigerweise eine Wirkung bzw. Schadwirkung. Von einer Wirkung wird dann gesprochen, wenn eine Veränderung der normalen physiologischen Prozesse messbar, fühlbar oder auf sonstige Weise erkennbar ist. Diese Veränderung kann sofort oder verzögert eintreten, sowie kurz oder lang dauernd sein. Bisweilen umstritten ist, wann eine Wirkung als „advers“ zu bezeichnen ist.

Mit den Begriffen Exposition/Belastung wird die „Ausgesetztheit“ eines Organismus gegenüber chemischen, biologischen oder physikalischen Umwelteinflüssen bezeichnet, die je nach Art, Intensität und Dauer der Einwirkung eine Reaktion im Organismus auslösen und damit (Teil-)Ursache von Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, von Gesundheitsstörungen und Krankheiten sein können.

Die quantitative Beschreibung der Belastung bzw. Exposition erfolgt in der Regel durch Angabe von Konzentration x Zeit = Dosis (Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahresdosis).

Die Wirkung eines Stoffes ist im wesentlichen von seiner aufgenommenen Dosis (Menge pro Kilogramm Körpergewicht) abhängig, d. h. die Wahrscheinlichkeit der Wirkung (response) sowie deren Stärke (effect) nehmen mit der Dosis zu (dose-response, dose-effect = Dosis-Wirkungs-Beziehung; Abb. 2).

Abb. 2 Dosis-Wirkungs-Beziehung von essentiellen und von toxischen Agenzien. Bei einem essentiellen Agens ist sowohl eine zu geringe als auch (oft) eine zu hohe Dosis für den Organismus schädlich, bei toxischen Agenzien ist (im Allgemeinen) mit zunehmender Dosis eine zunehmend schädliche Wirkung für den Organismus zu verzeichnen.

Die aufgenommene Menge eines Schadstoffes hängt außer von Expositionsdauer und -höhe („äußere Dosis“) von Eigenschaften des Organismus (toxikokinetische Variable wie z. B. Atemminutenvolumen) ab. Die Bestimmung von Körperkonzentrationen (z. B. Blutkonzentration) kann bei Schadstoffen, die erst nach Resorption zur Wirkung kommen, alle Angaben zur äußeren Dosis, Bioverfügbarkeit und Toxikokinetik ersetzen und macht unterschiedliche Expositions- und Aufnahmebedingungen besser vergleichbar, weil durch Wegfall der Variabilität bei der individuell aufgenommenen Dosis die biologische Streuung auf die Seite der Wirkungen reduziert wird. Auch dabei kann aber noch die Kontrolle eines Zeitverlaufes erforderlich sein, wie z. B. durch Bestimmung des Flächenintegrals unter der Plasmakonzentrationskurve als „innere Dosis“. Allerdings kann eine wiederholte oder kontinuierliche Exposition sowohl zu einer Verminderung der Wirkung (Gewöhnungs- bzw. Toleranzeffekt wie z. B. durch Enzyminduktion) als auch zu einer Verstärkung der Wirkung führen, z. B. bei Stoffen, die im Körper akkumulieren oder ihn sensibilisieren.

1.2.3.1 Stoffe mit einer Wirkungsschwelle

Viele Substanzen besitzen bei Mensch und Tier eine Wirkungsschwelle, unterhalb der nach dem aktuellen Wissensstand keine adversen Effekte auftreten (no-effect level). Dieser Schwellenwert ist einerseits abhängig von der Spezies, von individuellen Besonderheiten des Stoffwechsels und andererseits von Abwehr- und Reparaturmechanismen des Körpers.

Die Wirkungsschwelle (untere Schädigungsgrenze) wird nach toxikologischen und epidemiologischen Daten bemessen. Oft basiert dies auf Befunden, die Arbeits- oder Umweltmedizinern aufgefallen waren. Dies kann oder muss nötigenfalls durch Experimente ergänzt werden. Je nach vermuteter Wirkungsart werden Versuche mit niederen (z. B. Bakterien, Hefen) oder höheren Organismen (Tierversuch, meist an Ratten oder Mäusen) oder in sensiblen Fällen auch mit größeren Säugern wie Hund oder Schwein durchgeführt. Der Grad der Notwendigkeit ist jedenfalls gegenüber den sehr ernst zu nehmenden Tierschutz-ethischen Bedenken abzuwägen. Jeder Test bedarf schließlich verpflichtend der Genehmigung durch eine gesetzlich legitimierte Ethik-Kommission.

Beispiele für Stoffe mit festgestellter Wirkungsschwelle sind Kohlenmonoxid, Toluol, Ethanol und Naphthalin.

1.2.3.2 Stoffe ohne Wirkungsschwelle

Es gibt Stoffe, für die sich keine wirkungsfreien Konzentrationen angeben lassen und daher das Konzept eines Dosis-Schwellen-Bereiches zumindest umstritten ist.

Diese Problematik betrifft v. a. kanzerogene Chemikalien (z. B. Benzol, Asbest, Chrom-VI) und ionisierende Strahlung. Die Wirkung ist oft kumulativ, d. h. es treten nach erstem Kontakt mit den entsprechenden Noxen kaum Wirkungen auf. Diese zeigen sich erst nach mehrfacher und/oder langfristiger Exposition. Häufig ist die Wirkung irreversibel.

Folglich bedeuten bereits kleinste Belastungen ein Risiko. In diesem Fall kann das so genannte Unit-Risk-Konzept angewendet werden. Es basiert auf der Abschätzung der zusätzlichen Erkrankungs- (oder Todes-)Fälle bei lebenslanger Exposition gegenüber einer Einheit (meist 1 μg/m3