cover

Daniela Vitek

Gerontologische und gerontopsychiatrische Gesundheits- und Krankenpflege

Ein Lehrbuch für Pflegeberufe

Mag.a Daniela Vitek, BSc MSc

Gesundheits- und Krankenpflege (BSc./DGKP), Studium Advanced Nursing Education, FH Campus Wien, Studium der Pflegewissenschaft an der Universität Wien, Lehre und Forschung, stv. Masterlehrgangsleitung an der FH Campus Wien.

Vorwort

Aufgrund unterschiedlichster Einflussfaktoren durch den unmittelbaren Kontext von Betroffenen, wie beispielsweise Umwelt und schnelllebige soziale Veränderungsprozesse, sind alte und alternde Menschen in Österreich mit großen Herausforderungen und der Notwendigkeit großer Anpassungsfähigkeit und Flexibilität konfrontiert. Dies ist nicht immer einfach für alle Betroffenen und stellt damit die professionelle Gesundheits- und Krankenpflege im Versorgungskontext vor die Notwendigkeit, alte und alternde Menschen in ihren Adaptationsfähigkeiten zu unterstützen.

Das Praxisfeld der gerontologischen Gesundheits- und Krankenpflege umfasst neben der Gerontopsychiatrie auch den allgemeinen Akutbereich, wie beispielsweise Akutgeriatrie und Remobilisierung, oder den extramuralen Versorgungskontext durch Tageszentren sowie die mobile Gesundheits- und Krankenpflege.

Die Unterstützung und Pflege von Betroffenen und Angehörigen bzw. zugehörigen Personen nimmt in der Betreuung durch die gerontologische Gesundheits- und Krankenpflege eine zentrale Rolle ein. Die Pflegenden sehen sich im Setting zunehmend nicht nur mit dem Faktor „Multimorbidität“, sondern auch mit einer wachsenden Zahl von Menschen mit Demenz konfrontiert.

Um dieser Entwicklung zukünftig gerecht werden zu können, bedarf es einerseits der transparenten Darstellung von Maßnahmen und Interventionen, andererseits aber auch der Forcierung von Pflegeforschung in der gerontologischen Pflege und eine Attraktivitätssteigerung für zukünftige Mitarbeiter*innen.

Wien, im März 2020

Daniela Vitek

Inhaltsverzeichnis

1Der Begriff „Alter“

2Soziologische Alterstheorien und deren Bedeutsamkeit für die Gesundheits- und Krankenpflege

3Die Begriffe „Gerontologie“, „gerontologische Pflege“ und „Geriatrie“

4Die gerontologische Gesundheits- und Krankenpflege in Österreich

4.1Einrichtungen und Angebote in Österreich

4.2Qualitätsmanagement und Qualitätsmerkmale im Setting „gerontologische Gesundheits- und Krankenpflege“

4.3Versorgungsplan in Österreich – Demenzstrategie

5Herausforderungen im Kontext von Versorgung und Betreuung

6Besonderheiten in der gerontologischen Gesundheits- und Krankenpflege

6.1Weiterbildung „psychogeriatrische Gesundheits- und Krankenpflege“

6.2Ansätze der Geragogik

6.3Förderung des Interesses von bestehenden Mitarbeiter*innen und zukünftigen Absolvent*innen

7Bedürfnisse alter und alternder Menschen

7.1Herausforderungen und Problematiken alter und alternder Menschen

7.2Lebensqualität im Alter

8Häufige somatische und gerontopsychiatrische Krankheitsbilder bei Menschen höheren Alters

8.1Seh- und Hörbeeinträchtigungen

8.2Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises sowie des Bewegungs- und Stützapparates

8.3Onkologische Erkrankungen

8.4Demenz, Delir, Altersdepression, Deprivation, Angst- und Zwangserkrankungen

9Betreuungskonzepte in der gerontologischen Gesundheits- und Krankenpflege

10Konfliktpotenziale im Rahmen professioneller Versorgung und Betreuung

10.1Mögliche Konflikte

10.2Gewalt, Aggression und Regression

10.3Umgang mit „BPSD“

11Unterstützung und Begleitung von (pflegenden) An- und Zugehörigen

11.1Die Situation der pflegenden An- und Zugehörigen

11.2Belastungserleben von (pflegenden) An- und Zugehörigen

12Palliative Versorgung und Begleitung am Lebensende älterer Menschen

12.1Palliative Care von Personen mit Demenz

12.2Schmerzmanagement

13Zukünftige Veränderungen des Settings und damit verbundene Rollen

13.1Digitalisierung

13.2Veränderung der Versorgungsstrukturen (Primary-Care-Zentren)

13.3Demenzsensibles Krankenhaus und „Senior friendly Hospitals“

13.4Skill- und Grade-Mix

13.5Kompetenzprofile

Literatur

1Der Begriff „Alter“

Es ist nicht einfach, den Begriff „Alter“ festzulegen. Dennoch nimmt er in der Gesellschaft einen besonders wichtigen Stellenwert ein, da viele Verpflichtungen, Erwartungen, aber auch Rechte und Bedürfnisse daran geknüpft sind. Häufig gehen auch Vorurteile und stereotype Vorstellungen damit einher.

Zu altern bedeutet oftmals, Verantwortungsbereiche zu übernehmen, aber auch abzugeben (wie beispielsweise durch Job und Pensionierung) und durch Einflüsse von außen im täglichen Tun und Sein auf vielfache Weise gelenkt zu werden. Dadurch ist der Alterungsprozess hochindividuell und durch sogenannte „life events“ gekennzeichnet. Zu altern bedeutet auch, dass in verschiedenen Phasen des Lebens unterschiedliche Leistungen erbracht und dass diese auch unterschiedlich bewertet werden. In einer leistungsorientierten Gesellschaft ist hohes Ansehen besonders mit der Erbringung zielorientierter Leistung verknüpft.

Auch das kalendarische Alter und der biologische Veränderungsprozess, welcher unabhängig vom kalendarischen Alter zu sehen ist und auch nicht unmittelbar damit verknüpft werden kann, kann ein Indikator für einen Alterungsprozess sein (Steidl/Nigg, 2011). Die World Health Organization (WHO, 2015) definiert gesundes Altern als oberstes Ziel für die ältere Bevölkerung. Darüber hinaus muss die globale Strategie eine sein, die Altersdiskriminierung und auch Altersarmut bekämpft. Altersarmut als solche ist eine große Hürde für gesundes Altern. Gesundes Altern ist leider nicht immer in allen Bereichen für alle Beteiligten in gleicher Weise möglich, wenn Altersarmut vorherrscht. Durch Altersarmut gefährdet sind in erster Linie Frauen und jene Personen, die in ihrem Berufsleben überwiegend einer Teilzeitbeschäftigung nachgingen. Gesundes Altern schließt auch aktives Altern mit ein, wozu die World Health Organization bereits im Jahr 2002 Stellung bezog.

Die WHO kategorisiert das Alter folgendermaßen:

1. Ältere Menschen (60–75 Jahre)

2. Alte (75–90 Jahre)

3. Hochbetagte (über 90 Jahre)

4. Langlebige (100 Jahre >)

und hebt hervor, dass eine eindeutige Kategorisierung nur anhand des kalendarischen Alters zwar möglich ist, dass jedoch aufgrund dessen nicht immer Rückschlüsse auf die Person selbst gezogen werden können. Grundsätzlich wird zukünftig wahrscheinlich beobachtet werden, dass – so wie die WHO es betitelt – 70 das neue 60 ist (WHO, 2002).

Allerdings ist es notwendig, jede Person sehr differenziert und individuell zu betrachten – Pauschalisierungen sind ebenso fehl am Platz wie Stigmatisierung und Stereotype.

Grundsätzlich kann laut WHO neben dem kalendarischen Alter auch die sogenannte Funktionalität berücksichtigt werden – also das, was ausführen und ausüben zu können sich der alte/alternde Mensch noch in der Lage sieht. Die bloße Tatsache, dass ein Mensch älter wird, ist nicht automatisch mit einer Zunahme der Abhängigkeit gleichzusetzen. Aktives Altern ist laut WHO einerseits vom Kontext (wie Kultur und Geschlecht) abhängig, andererseits von anderen Faktoren wie sozialen und wirtschaftlichen, aber z. B. auch persönlichen und verhaltensbezogenen Einflüssen (WHO, 2002).

Höpflinger (2014) unterscheidet insgesamt vier Alternsphasen – darin können auch Anlehnungen an die eben beschriebenen Ausführungen der WHO gefunden werden:

1. Alternsphase: noch erwerbstätige Senior*innen 50 plus,

2. Alternsphase: gesundes Rentenalter/drittes Lebensalter

3. Alternsphase: Lebensalter verstärkter Fragilisierung („frailty“)/ viertes Lebensalter

4. Alternsphase: Pflegebedürftigkeit gegen Lebensende (Höpflinger, 2014)

Es ist wichtig, hervorzuheben, dass diese Übergänge zwischen den einzelnen Alternsphasen oftmals fließend und nicht immer klar voneinander zu trennen sind. Besonders Personen der ersten und zweiten Alternsphase sind eine wichtige Zielgruppe in Werbung und Wirtschaft geworden. Ein hohes Alter erreicht zu haben, bedeutet allerdings nicht unweigerlich, auch hohes Ansehen in der Gesellschaft zu genießen. Immer wieder ist in den Medien sehr kritisch von einer „Ghettoisierung/Ausgrenzung von Alten und Pflegebedürftigen“ bzw. „einer Gesellschaft ohne Alte, wenn sie mal alt sind“ zu lesen – gleichzeitig tauchen aber auch schriftliche Wortmeldungen bezüglich der Unvereinbarkeit des Alltags von Vollzeitberufstätigen mit der Pflegeübernahme der Eltern oder An- und Zugehörigen auf.

Es werden also unweigerlich sehr wichtige soziologische, aber auch ethische Fragestellungen aufgeworfen, sofern man sich mit der Thematik „Alter/-n“ und mit der Frage, was es bedeutet, „gut und selbstbestimmt zu altern“, näher beschäftigt.

Es braucht daher neue Versorgungsstrukturen in den Bereichen Prävention sowie Gesundheits- und Krankenpflege. Bei Personen der ersten beiden Alternsphasen nach Höpflinger (2014) muss primär Beratung bezüglich Präventionsinhalten – beispielsweise wie aktives und gesundes Altern positiv beeinflusst werden kann – geleistet werden.

Reflexion

Wann ist jemand für mich „alt“? Welche Vorstellungen habe ich von Alterungsprozessen? Und auch: Wie würde ich Alter definieren und kategorisieren?

2Soziologische Alterstheorien und deren Bedeutsamkeit für die Gesundheits- und Krankenpflege

Die Wissenschaft des Alterns hat eigenständige Theorien und Modelle entwickelt, welche beispielsweise Alterungsprozesse veranschaulichen sollen. Sogenannte gerontologische Alterstheorien sind – ebenso wie die Wissenschaft selbst – sehr vielfältig und werden durch die Zeit, in der sie entstehen, oftmals stark geprägt. Die gerontologischen Alterstheorien sind auch besonders eng mit der sogenannten Altersforschung verknüpft.

Schneider (2007) erklärt, dass gerontologische Alterstheorien vorwiegend ab den 1960er-Jahren entwickelt wurden. Eine Auswahl dieser Alterstheorien soll hier nur kurz präsentiert werden.

Das Defizitmodell bezieht sich in erster Linie auf nachteilige Entwicklungen aufgrund des Alterns an sich. Es thematisierte in den 1960er-Jahren erstmals einen Zusammenhang zwischen dem Altern und einem Prozess des Abbaus (Schneider, 2007). Dieses Modell dient daher vorwiegend dazu, negative Auswirkungen in den Mittelpunkt zu stellen, und kann dem Altern nichts Positives abgewinnen.

Die sogenannte Aktivitätstheorie erweitert das Spektrum um jene Annahme, dass die selbst wahrgenommene Lebensqualität und Gesundheit immer dann positiver ausfällt, wenn von außen entsprechende Aufgaben an die betreffenden Personen herangetragen werden, z. B. aufgrund von Erwartungen, die durch die soziale bzw. gesellschaftliche Rolle vorgegeben sind. Wenn diese Erwartungen auch im hohen Alter erfüllt werden können, wenn man sich also als „nützlich“ erweist, führt man dadurch auch ein erfüllteres Leben. Das kann also frei „übersetzt“ werden als: „Ich werde gebraucht/ich tue – also bin ich.“ Ist dies nicht der Fall, wird sehr häufig beobachtet, dass die Betroffenen sich aus dem sozialen Raum zurückziehen – ein Rückzug, welcher oftmals unmittelbar auch mit einem Abbauprozess einhergeht. Dieser stellt also eine gesellschaftliche Verdrängung an den Rand dar (Tesch-Römer, 2010).

Die Disengagementtheorie kann als Gegensatz zur Aktivitätstheorie verstanden werden. Sie erklärt, dass der zu beobachtende Rückzug der betroffenen Personen ein natürlicher Prozess sei, der oftmals von den Betroffenen selbst gewünscht ist und mit Abbauprozessen sowohl physischer als auch psychischer Natur einhergeht (Schneider, 2007). Steidl und Nigg (2011) heben die These hervor, dass jene Betroffenen, die sich zurückziehen, „[…] glücklicher und zufriedener als diejenigen [seien], denen auch im Alter noch Aktivität und Leistung abverlangt werden“ (Steidl/Nigg, 2011, S. 35).

Neuere Theorien beschäftigen sich weniger mit den Abbauprozessen, die das Alter manchmal mit sich bringt, sondern vielmehr damit, wie sich die Lebensrealität der alternden Personen verändert – und wie diese sich, entsprechend den Veränderungen ihres Kontextes, flexibel mitverändern.

Die kognitive Alterstheorie beschreibt, dass Prozesse des Alterns immer individuell zu erklären und zu sehen sind – das bedeutet, dass Wahrnehmung und subjektive Interpretation der eigenen Umwelt deutlich mit dem gesetzten Verhalten des Individuums korrelieren. Jede Person ist damit konfrontiert, sich stets weiterzuentwickeln, da durch die unmittelbare Umwelt neue Anforderungen an die eigene Person gestellt werden. Die Vertreter*innen dieser Theorie sprechen hierbei von „Veränderungsfähigkeit“ bzw. dem eigenen Willen, sich anzupassen/anzugleichen (Steidl/Nigg, 2011).

Darüber hinaus gibt es noch unzählige weitere Konzepte, Modelle und Theorien der Gerontologie, wie beispielsweise biografische Modelle. Auch Konzepte wie das Lebenslagen- und das Lebensstilkonzept, welche in den 1980er-Jahren gerne andiskutiert wurden, sollten hierbei Erwähnung finden.

Immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses von Theorien rückt auch das soziale Umfeld von alten und alternden Menschen. Erwähnenswert hierbei ist beispielsweise die Kontinuitätstheorie, die darstellen soll, dass die Menschen den Alterungsprozessen durch eine gewisse Kontinuität im Alltag (beispielsweise durch Beziehungen und die unmittelbare Umgebung – z. B. die Wohnumgebung) stabiler begegnen können (Tesch-Römer, 2010). Selbst wenn der familiäre Kreis und Freundeskreis sich im Laufe der Jahre verringern sollte, ist die Kontinuität von kleineren Gruppen aus dem sozialen Umfeld essenziell.

Eine neuere Theorie, nämlich die sozioemotionale Selektivitätstheorie, beschreibt anhand der Veränderung unserer Perspektiven und anhand dessen, wie viel Zeit bis zum Lebensende bleibt, inwiefern unsere sozialen Netzwerke und die darin enthaltenen Beziehungen sich mitverändern. Je älter Menschen werden, umso eher werden sie sich langfristig auf eine kleinere Gruppe, mit der sie in Beziehung stehen, fokussieren. Daher wird es mit zunehmendem Alter wichtiger, aus wenigen Beziehungen (z. B. familiär) den größtmöglichen Nutzen und die größtmögliche Zufriedenheit zu ziehen. Von einer ähnlichen Annahme geht auch die Konvoi-Theorie aus, die familiäre und engere freundschaftliche Beziehungen als einen sogenannten Konvoi vom Anfang bis zum Ende des Lebens beschreibt. Dies setzt nicht unbedingt voraus, dass alle Beziehungen innerhalb dieses „Konvois“ besonders eng – und auch nicht über die gesamte Lebensspanne hinweg gleichbleibend – sein müssen. Vielmehr können Intensität und Enge dieser Beziehungen im Lauf des Lebens stark variieren. Eines bleibt jedoch gleich: Der kleine Konvoi macht auch alte und alternde Menschen deshalb glücklich und zufrieden, weil er Sicherheit und Stabilität vermittelt.

In einem Punkt unterscheidet sich die sozioemotionale Selektivitätstheorie allerdings von der Konvoi-Theorie: Sie geht davon aus, dass Menschen in jungen Jahren (z. B. in der Adoleszenzphase) mit einem großen Bekannten-, Freundes- und Familienkreis starten und dass der Kontakt zu den Personen nach und nach verlorengeht. Gemein ist beiden Theorien, dass sie beschreiben, dass mit dem Verstreichen der Jahre der Bezugskreis alternder Menschen abnimmt (Wrzus et al., 2012). Die Konvoi-Theorie wird insbesondere dann interessant, wenn man ihre Inhalte mit aktuellen Ergebnissen von Befragungen Jugendlicher in Österreich vergleicht.

All diese Alterstheorien verdeutlichen, dass Forschung und Wissenschaft – insbesondere in Bezug auf Alter und Altern – immer sowohl sozialen als auch gesellschaftlichen Normen und Ansichten unterworfen und daher nie außerhalb ihres historischen Kontextes zu verstehen sind.

Schneider (2007) hebt noch zusätzlich hervor, dass der Großteil der hier dargestellten Konzepte und Modelle längst überholt, in der Theorie und Pflegepraxis aber dennoch verankert ist.

Auch die Gesundheits- und Krankenpflege hat einen eigenen Bereich entwickelt, der aus der Gerontologie hervorgegangen ist – nämlich die gerontologische Gesundheits- und Krankenpflege –, um den vielfachen Anforderungen an eine adäquate Pflege, Betreuung und Versorgung gerecht werden zu können und bestimmte Phänomene zu thematisieren, welche charakteristischerweise oftmals vorhanden sind.

3Die Begriffe „Gerontologie“, „gerontologische Gesundheits- und Krankenpflege“ und „Geriatrie“

Der Begriff Geriatrie ist ein medizinischer Begriff und lässt sich von den griechischen Wörtern „geron“ und „iatros“, also Alter und Arzt, ableiten. Er bezieht sich daher auf einen großen Teilbereich der Medizin (Steidl/Nigg, 2011). Dieser Bereich ist sehr komplex und „[…] beschäftigt sich mit dem gesunden Altern, der Prävention, also Vorbeugung, von Alterserkrankungen, den Problemen der Akutgeriatrie, der Palliativmedizin und der Rehabilitation“ (Steidl/Nigg, 2011, S. 16). Die Geriatrie beschäftigt sich aufgrund vermehrt vorliegender Multimorbidität und zunehmender chronischer Erkrankungen im Alter in erster Linie mit Einschränkungen/Beschwerden durch körperliche Veränderungen aufgrund eines Alterungsprozesses, aber auch mit psychischen Beeinträchtigungen im Alter, wie beispielsweise Depression, Agitation etc. (Steidl/Nigg, 2011).

Neben Wissen über Erkrankungen und den menschlichen Körper brauchen Mediziner*innen aus dem Bereich der Geriatrie umfassende Kenntnisse bezüglich Differenzialdiagnostik und Pharmakologie (DGG, 2012). Äußerst wichtig ist es auch, sich besonderer Thematiken anzunehmen, wie Polypharmazie bei alten und alternden Menschen, aber auch multiprofessioneller Zusammenarbeit von Mediziner*innen der Geriatrie mit anderen Berufsgruppen des Gesundheitswesens (DGG, 2012).

Gerontologie bedeutet übersetzt „Lehre des Alterns“. Das Wort selbst lässt sich von den beiden griechischen Wörtern „geros“ und „logos“ ableiten, bedeutet also die Lehre vom Alter. Steidl und Nigg beschreiben, dass die Gerontologie etwa in den 1930er-Jahren entstand und sich vorwiegend mit sehr komplexen Fragestellungen sowohl naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher als auch pflegewissenschaftlicher Herkunft beschäftigt. Aufgrund dieser Komplexität – das ist hervorzuheben – liegt der Gerontologie ein ganzheitliches Menschenbild zugrunde, welches individuell auf alternde Personen eingehen soll. Im Zentrum des allgemeinen Interesses der Gerontologie stehen Abläufe bzw. Prozesse, die erklären sollen, wie und warum Menschen auf eine gewisse Art und Weise altern und wie einzelne Faktoren das Altern bedingen. Dieses Interesse beschränkt sich nicht nur auf Prozesse des körperlichen Alterns, sondern auch darauf, welche Konsequenzen das Altern hat, beispielsweise in Bezug auf die Psyche oder das Knüpfen sozialer Kontakte.

Die Gerontologie vereint aufgrund der Komplexität ihrer Fragestellungen den biologischen, den medizinischen, den pflegerischen, den verhaltenswissenschaftlichen und den sozialwissenschaftlichen Ansatz (Steidl/Nigg, 2011). Dementsprechend und aufgrund des Anspruchs, eine eigene Wissenschaft zu sein, beschäftigt sich die Gerontologie im Zuge der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen vor allem mit der Erforschung und dem Begreifbarmachen unterschiedlichster Phänomene und Prozesse in Bezug auf das Alter und das Altern. Als Bezugswissenschaften für die Gerontologie müssen daher in jedem Fall die Naturwissenschaften (z. B. Biologie, Medizin, Psychiatrie und Geriatrie als Fachgebiete der Medizin), die Sozial- und die Geisteswissenschaften (z. B. Philosophie, Pädagogik, Psychologie, Theologie etc.) Erwähnung finden (Charlier, 2007).

Als Ausprägungen der Gerontologie können die soziale Gerontologie, die psychologische Gerontologie, aber auch die Interventionsgerontologie genannt werden. Laut Steidl und Nigg (2011) ist die Interventionsgerontologie in besonderem Maße als bedeutsam hervorzuheben, da sie „alle Bemühungen, bei seelischem und körperlichem Wohlbefinden ein hohes Lebensalter zu erreichen […]“ (Steidl/ Nigg, 2011, S. 27), umfasst. Die Ziele der Interventionsgerontologie nach Wingchen sind die Prävention, die Therapie, die Optimierung von Voraussetzungen (z. B. Ressourcen) und das Management von problematischen Situationen alter und alternder Menschen (vgl. Wingchen, 2004).