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Table of Contents

Titel

Impressum

Im Gedenken an Zenita

Widmung

1. Der Kaffee aus den Bergen

2. Beira

3. Jenseits des Weges

4. Der Herr

5. Die Bibelstunde

6. Aroni

7. Vorher

8. Peitschenschläge

9. Asunción

10. Die Flucht

11. Das Jahresgeschenk

12. Das Bündel

13. Súyere

14. Bäume, Pflanzen und Blumen

15. Sein Name

16. Schatten

17. Aísa

18. Das Jahresgeschenk des Herrn

19. Das Fest

20. Die Nacht

21. Der Aufseher

22. Kolibri – das Dorf der befreiten Sklaven

23. Die Berge

Über die Autorin

 

 

Teresa Cárdenas Angulo

 

 

Der Weg der

Sklaven

Perro Viejo

 

 

 

 

 

 

 

ROMAN

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Teresa Cárdenas Angulo

Original weltweite Erstauflage: Premio de Las Casas de las Américas 2005, Jugendbuch

Fondo Editorial Casa de las Américas, 2005, 3ra y G, El Vedado, La Habana, Cuba

www.casadelasamericas.org

Übersetzer ins Deutsche: Marc Weisser

ISBN: 9783957534729

Deutsche Erstauflage: 2017

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by Morphat

 

Im Gedenken an Zenita

 

Für Susy und Felipe

 

1. Der Kaffee aus den Bergen

Perro Viejo[1] näherte sich dem Rand der Kürbisschale und roch an ihr. Das Aroma des mit Honig gesüßten Kaffees erfüllte ihn und gab ihm Kraft. Immer roch er zuerst an allem, das war ihm über die Jahre zur Gewohnheit geworden. Er zog seine Lippen zusammen und nahm einen Schluck. Der heiße Trank erreichte seinen Magen in einer Welle.

„Gesegnet sei Beira“, flüsterte er zufrieden.

Im hinteren Teil der Hütte bewegte sich eine kräftige und schweigsame Frau voller Leichtigkeit, dabei ordnete sie Töpfe und vom Feuer geschwärzte Krüge. Vor ihr flackerte das Holzfeuer in einem einfachen Herd.

Als er sie ansah, wurde dem Alten wieder klar, dass diese schweigsame und etwas ungelenke Frau den Kaffee zubereitete wie niemand sonst auf der Plantage – mit dem bitteren Aroma aus den Bergen, wild und frei.

Perro Viejo trank nicht weiter:

 „Kaffee aus den Bergen?“, murmelte er, ohne den Sinn der Worte zu verstehen, die ihm nicht aus dem Kopf gehen wollten.

Er stellte die Kürbisschale auf den Tisch und hinkte zurück zum Hüttenausgang.

Draußen war es noch fast ganz dunkel, nur einige wenige Sterne glänzten einsam am dunklen, mondlosen Himmel.

Ein kalter Wind ließ die Äste der Trompetenbäume und des Gebüschs am Tor erzittern. Der Alte schüttelte sich; im Hof begannen die Hunde zu bellen. Es war vier Uhr früh am Morgen.

Mühsam setzte er sich auf einen Holzschemel und heftete seinen getrübten Blick auf die Schatten und Silhouetten, die sich in der Nähe der Barracken bewegten und Macheten und Harken mit sich trugen.

„Von welchen Bergen?“, fragte er sich mit bitterer Miene.

Er war noch nie dort gewesen; er wusste nicht einmal, wohin der staubige Weg führte, der sich jenseits der Mastixbüsche und Flamboyantbäume am Horizont verlor. Niemals in seinem Leben hatte er das Eingangstor zur Plantage durchschritten. Er war siebzig Jahre alt und konnte sich nicht erinnern, jemals woanders als hier gelebt zu haben.

Perro Viejo schloss seine Augen und seufzte leise. Am anderen Ende der Hütte sang Beira in einer unbekannten Sprache. Weit weg, übertönt von dem Gebell der Hunde, hörte man das Knallen einer Peitsche.

 

2. Beira

„Willst du noch ein bisschen Kaffee?“

Ihre rauchige und harte Stimme ließ Perro Viejo herumschnellen.

Beira schaute ihn fest an, ihre großen Augen schienen ihn zu mustern. In einer Hand hielt sie die Kürbisschale, in der anderen den dampfenden kleinen Topf. Ihr Gesicht war breit und so regungslos wie ein abgebranntes Zuckerrohrfeld, sie trug einen formlosen Kittel ohne Taschen aus grobem Stoff; Schuhe oder ein Kopftuch hatte sie nicht.

Der Alte erinnerte sich daran, was die Leute in den Baracken über sie sagten. Allerdings glaubte er nicht an irgendwelche übernatürlichen Kräfte, nicht in seinem Alter. In seinem langen Leben hatte er gelernt, nicht allzu viel von dieser anderen Welt zu erwarten, in der angeblich die Götter und Geister der Vorfahren beheimatet waren.

„Alles, was auf der Erde passiert, ob gut oder schlecht, ist die Sache der Menschen und von niemandem sonst“, erwiderte er ihnen eines Nachts. Trotzdem machten Cumbá, Eulogio Malembe und die anderen weiterhin böse Geister für Beiras absonderliches Verhalten verantwortlich.

Perro Viejo wusste, dass das Feuer sehr gefährlich war; er selbst hatte eine Brandwunde am Arm, die ihn schwer behinderte seit jener Nacht, in der die alte Aroni, Mos und die Köchin Micaela Lucumí einem Feuer zum Opfer gefallen waren.

Es war vor dreißig Jahren passiert und noch immer brannte seine Haut dort. Er schüttelte energisch den Kopf, denn manchmal konnte er die Dinge, die ihn zu sehr schmerzten, mit einem heftigen Kopfschütteln vertreiben.

Im Herd begann das Feuer kleiner zu werden, so dass das Wasser in den Töpfen nicht mehr kochte. Der Rauch begann das ganze Zimmer zu erfüllen.

 „Nimmst du jetzt einen Kaffee, oder nicht? Ich habe noch andere Sachen zu tun“, fragte Beira ungeduldig.

Der Alte bewegte sich unruhig auf der Bank, er hatte sie komplett vergessen; in letzter Zeit vergaß er einfach alles.

 „Die Morgendämmerung ist ganz schön kalt“, erwiderte er, um irgendetwas zu antworten. Er streckte die Hand mit der Schale aus, sie schenkte ihm einen Schluck Kaffee ein und der Alte betrachtete die Hand Beiras. Sie war dunkel und ruhig, vielleicht ein bisschen zu weich für die Hand einer Sklavin. Kleine Furchen durchzogen die Knöchelhaut und zeichneten seltsame Muster um ihre Finger.

Der Alte fühlte, wie Beiras Hand ihn berührte – sie war frisch wie das Wasser des Flusses, in dem er als Kind so gerne gebadet hatte.

Er dachte, dass es unmöglich war, dass diese Hände heiße Töpfe und Krüge ohne Topflappen vom Herd nahmen, wie es in den Baracken erzählt wurde. Dort sagte man auch, dass sie, ohne Schaden zu nehmen, in den Flammen hüpfen und Feuer schlucken konnte; und dass sie, wenn die Herren schlafen gingen, auf einem riesigen Topf über das Gelände der Plantage flog, der Funken schlug, wenn sie die Baumwipfel streifte – kein Zweifel, das waren bloße Phantastereien.

„Einbildungen von dummen Schwarzen“, entfuhr es ihm, ohne dass er es wollte.

„Was sagst du, mein alter Mann?“, fragte sie, als sie im hinteren Teil der Hütte zu ihrer Arbeit zurückging.

Perro Viejo lächelte ein bisschen und lehnte sich zu ihr, um ihr mitzuteilen, was in den Baracken über sie erzählt wurde, aber er brachte es einfach nicht übers Herz.

Über den Herd gebeugt ordnete Beira ohne Eile die glühenden Holzstückchen und Zweige, die wie Spielzeuge zwischen ihren Fingern brannten.

 

3. Jenseits des Weges

 

 Perro Viejo hatte keine Ahnung, was nach seinem Tod passieren würde, und es interessierte ihn auch nicht besonders. Manchmal dachte er daran, was Pater Andrés über die Hölle, das Fegefeuer und all das gesagt hatte, und er fühlte sich seltsam, voller Zweifel und Fragen. Aber nicht weil er glaubte, dass seine Seele in der Hölle schmoren würde, wenn er seinem Herrn nicht gehorchen würde, wie ihm alle erzählten, sondern weil er das Feuer aus der Nähe kennengelernt hatte und wusste, zu was es fähig war.

Der Alte fürchtete die Hölle nicht, denn er hatte schon immer in ihr gelebt. Im Gegenteil, er träumte gerne von seinem Tod. Oft schloss er die Augen, damit die Bilder in seiner Vorstellung noch klarer zu sehen waren.

Im Geiste sah er sich selbst, wie er einen ganz weißen Anzug trug. Eine schöne goldene Uhr in seiner Hand, er genoss die angenehme Frische des frühen Abends. Und all das auf der Terrasse des Herrenhauses, im Lehnstuhl des Herrn sitzend, während dieser oder die Herrin ihm einen Kaffee in einer Glasschale servierten.

Ein anderes Mal sah er, wie seine Seele, sein Geist oder was auch immer es war, zum Tor der Mühle hinausflog, an der Baumallee entlang, bis man sie auf dem staubigen Weg nicht mehr sehen konnte, auf dem er - da war er sich sicher - zu einem weniger harten Leben als seinem jetzigen kommen konnte. Oder vielleicht ging es dort auch weder zum Himmel noch zur Hölle, sondern direkt nach Afrika, dem Kontinent der Urwälder und Steppen, wo seine Mutter geboren worden war.

Er schüttelte seufzend den Kopf, wie er es sich angewöhnt hatte, um Gedanken zu verscheuchen, die ihn verstörten.

Wie viele Jahre würde er wohl noch leben – drei, vier oder zwanzig? Für alle Ewigkeit? Wie sollte man das wissen? Sklaven und Sklavinnen wurden sozusagen bereits tot geboren, und das zeigte sich manchmal auf wunderliche Art und Weise: der Tod kam nicht so schnell, wie manche gewollt hätten, oder aber zu einem Zeitpunkt, an dem man ihn am wenigsten erwartet hätte.

Der Alte erinnerte sich an Nsasi, einen Jungen von fünf Jahren, der starb, als der Herr beim Reinigen seines Gewehrs aus Versehen den Abzug gedrückt hatte.

Nsasi hatte zu diesem Zeitpunkt die Hühner gefüttert und fiel, ohne einen Laut, zwischen den Maiskörnern um; die Augen aufgerissen, wie jemand, dem man etwas aus den Händen hatte reißen wollen. Nachdem er umgefallen war, pickten die Hühner weiter die Körner, die sich in seinen Kleidern und um seine toten Finger verteilt hatten. All das passierte in wenigen Sekunden.

In der gleichen Nacht, in der sie Nsasi begruben, schickte die Herrin der Mutter des Jungen ein neues Kleid, damit sie mit ihrem Weinen und Klagen aufhören möge.

Die Angelegenheit mit dem Trommler Tumba war eine andere Sache: er war schon fast hundert Jahre alt und schritt noch immer aufrecht und leichtfüßig einher, nicht einmal einen Stock brauchte er. Allerdings konnte er nicht mehr auf dem Feld arbeiten – ihm fehlte einfach die Kraft für diese harte Arbeit. Auch als Wachmann war er nicht mehr zu gebrauchen, da er schon fast blind war und immer wieder überall einschlief. Und so kam es, dass der Herr ihn aus den Baracken herausholen ließ und ihm nichts mehr zu essen gab, um zu sehen, ob er so sterben würde. Aber Tumba war zäh und um ihm das Gegenteil zu beweisen, lebte er noch weitere fünf Jahre, indem er sich, wie die Bergvögel, von Früchten und von allerlei Resten ernährte, die ihm die Bewohner der Baracken heimlich zukommen ließen. Er schlief im Freien oder in den Flügeln der alten Zuckermühle - nahezu jeder Platz war gut genug für ihn.

Er hätte auf diese Weise noch viele weitere Jahre gelebt, aber eines Morgens hing er von einem riesigen Baum am anderen Ende der Plantage. Als man dies dem Herrn mitteilte, versicherte dieser, dass Tumba seines Lebens wohl überdrüssig gewesen war – aber das glaubte ihm niemand; Tumba hätte sich nicht alleine an einem solch großen Baum aufhängen können. An diesem Punkt seiner Erinnerungen angekommen, seufzte Perro Viejo und spuckte auf den staubigen Boden.

„Ein Scheißleben“, grunzte er und wünschte sich dann mit all seiner Kraft, auf dem Weg davonlaufen zu können; weiter weg, als er schauen konnte, weiter als seine müden Füße ihn tragen könnten. Weit weg, weit weg von dieser Hölle und seinem Herrn. Ganz weit!

 

4. Der Herr