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Table of Contents

Titel

Impressum

Vorwort

1. Kapitel

2. Kapitel: Menorca

3. Kapitel: München

4. Kapitel: Im Zwiespalt

5. Kapitel: Verwirrungen

6. Kapitel: Debüt

7. Kapitel: Jessicas Beichte

7.1. Kapitel: Fritze

8. Kapitel: Mo

8.1. Kapitel: Mos Ausbildung

9. Kapitel: Das Stardust

10. Kapitel: Der Sklavenmarkt

11. Kapitel: Jean

11.2. Kapitel: Tabubruch

12. Kapitel: Das Leben im Stardust

13. Kapitel: Irrtum und Täuschung

14. Kapitel: Die Zeit der Unruhe

15. Kapitel: Bei Sabrina

16. Kapitel: Der kleine Club

17. Kapitel: Jennys Beichte

18. Kapitel: Noch einmal Frankfurt

19. Kapitel: Die Vergangenheit holt Natalie ein

20. Kapitel: Benutzt und weggeworfen

21. Kapitel: Neue Hoffnung

22. Kapitel: Andreas

22.2. Kapitel: Natalies Leben

22.3. Kapitel: Der Fluch

23. Kapitel: Happy End

Nachwort

Danksagungen

MEHR BÜCHER VON JOHN BARNS BEI DEBEHR

John Barns

Ich wurde nicht als Hure

geboren, ich wurde zu einer

gemacht

Mein Weg aus der lettischen Heimat ins deutsche Rotlicht

Biografischer Roman

DeBehr

 

Copyright by: John Barns

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2017

ISBN: 9783957534712

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by blackday

 

Vorwort

 

Die Würde des Menschen ist unantastbar“, so steht es im Artikel 1, Absatz 1, des Deutschen Grundgesetzes.

Würden wir diesen Artikel ernst nehmen, so dürfte es dieses Buch nicht geben, denn was ich hier schildere, ist leider die Realität.

Um mein Ziel zu erreichen, half mir das Internet, wo es zahllose Seiten über das Rotlicht gibt. Nur allein damit war mir nicht geholfen, denn dieser Roman sollte hinter die Kulissen und in die Seelen der Frauen schauen. Nicht das übliche Klischee aus zahllosen Fernsehproduktionen interessierte mich, sondern die Wahrheit. Mithilfe verschiedener Webmaster gelang es mir letztendlich, Kontakte zu knüpfen und so an tiefe Einblicke und Erkenntnisse zu gelangen, die einem Autor normalerweise verwehrt bleiben, da man in der Branche sehr zugeknöpft ist. Dank meiner Kontaktpersonen konnten viele Mädchen und Frauen überzeugt werden, dass hier jemand ist, der bereit ist, ihre ganz persönlichen Erfahrungen anonym und absolut diskret zu behandeln und der nicht als Voyeur fungierte.

Daher ist dieser Roman nur zum Teil fiktiv. So auch Natalie, die unter einem anderen Namen so tatsächlich hierzulande lebt. Sie verkörpert und fungiert als Person jener Handlungen und Szenen, wie sie mir so von tatsächlich lebenden Personen geschildert wurden. Mit ihr beginnt ein Leidensweg, der über Jahre hinweg dauert und auf drastische Weise sein Ende findet. Oft habe ich mich gefragt, wie weit darfst du gehen? Wo ist die Grenze des Erträglichen und welche Instinkte treiben Männer dazu, Dinge zu verlangen, die sich am Rande der Perversion und oft genug darüber hinaus bewegen? Zugleich stellte sich für mich die Frage nach dem Warum bei den Frauen? Warum verkaufen Frauen ihren Körper? Was empfinden sie dabei, wenn sich die Männer ihres Körpers bedienen? Wie funktioniert der Einstieg in die Prostitution? Kann man ihr entkommen, ohne persönlich total verändert zu sein, oder bleibt man ein Leben lang in den Fesseln der Scheinwelt am Rande der Legalität?

Diese Fragen und viele andere habe ich auch meinen Kontakten gestellt. Was ich erfahren habe, wie das Leben im Milieu abläuft und viele weitere Hintergrundinformationen bilden die Basis dieses Romans. Das größte Problem betraf dabei die Beschreibung der Handlungen. Hätte ich zu oberflächlich geschrieben, wären viele Szenen zu flach und unrealistisch beschrieben. Wäre ich hingegen zu sehr ins Detail gegangen, so wäre der Eindruck entstanden, es handele sich um eine rein pornografische Geschichte, was ich auf jeden Fall vermeiden wollte. Das reale Bild, eine logische, aber spannende Erzählung zu schreiben, war somit nicht einfach. Daher habe ich meine Kontakte gebeten, das Manuskript oder auch Teile davon zu lesen. Ihr Urteil ist das hier vorliegende Ergebnis. Es musste oft geändert werden, da man mich bat, so zu schreiben, wie sie es erleben. Dieser Roman ist jenen Frauen gewidmet, die bereit waren, mich an ihren Gedanken und Erlebnissen teilhaben zu lassen. Ihnen, den namentlich nicht Genannten, verdanke ich tiefe Einblicke, meine Idee und vor allem dieses Werk. Es zu schreiben, war eine echte Herausforderung, die mich persönlich oft sehr hart getroffen hat. Manchmal war ich an dem Punkt, das ganze Buch einfach fallen zu lassen und zu verwerfen, so sehr haben mich manche Berichte getroffen.

Mit „Natalie“ erlaube ich dem Leser, Einblicke in das Verborgene und oft Geheimnisumwitterte zu nehmen, um zugleich an ihre Gesinnung und vor allem Einstellung zu den Damen des Gewerbes zu appellieren. Wer wie ich erfahren hat, warum es Frauen tun, was sie empfinden, wenn sie es tun und wie es tief in ihrer Seele aussieht, der wird vielleicht mit ein wenig mehr Hochachtung über die Damen dieses Standes denken. Viele von ihnen tun es nur deshalb, weil ihnen das Leben Schicksalsschläge bereitete, die sie in eine schier ausweglose Situation gebracht haben und ihnen keine anderen Möglichkeiten des Überlebens mehr ließen.

 

1. Kapitel

Meinen wahren Namen kennen nur ganz wenige Menschen. Mein Künstlername hingegen war lange Zeit als Natalie in der Szene bekannt. Er war mein zweites Ich, meine Rüstung und mein Schutz, denn ich war ein Freudenmädchen, oder um es drastisch zu formulieren, eine Prostituierte. Eine Frau, die ihren Körper für Geld verkaufte, eine Frau, die sich nach der grenzenlosen Freiheit sehnte und in der Hölle landete, eine Frau, deren Illusionen brutal geraubt wurden. Heute, viele Jahre später, bin ich endlich wieder frei. Frei von Zwängen, frei von Gewalt, frei von allem, was ich erlebt habe. Aber bin ich wirklich frei, oder muss ich nicht jeden Tag damit rechnen, dass mich einer meiner zahllosen Besucher wieder erkennt und so behandelt wie damals? Ich gebe zu, dass ich Angst davor habe. Wie gerne würde ich die Jahre meiner Vergangenheit hinter mir lassen und doch erlebe ich es immer wieder neu, jenen Albtraum, der begann, als mich ein Freund vor gut acht Jahren am Flughafen München abholte. Die Erlebnisse halten mich gefangen und bringen mich an den Rand des Wahnsinns. Oft ist mir übel, wenn die Bilder Natalies vor meinen Augen auftauchen. Dabei begann es doch so harmlos, so wunderschön und gefühlvoll, dass ich bis heute nicht verstehen kann, warum ich es tat. Wenn ich darüber nachdenke, kommt es mir vor, als wäre es gestern gewesen.

Damals, als Natalie geboren wurde, begann diese ihre Geschichte. Wenn ich sie hier erzähle, bin ich nicht mehr ich, sondern wieder sie, eine naive junge Frau mit großen Träumen und Wünschen, eine Frau, die dachte, das große Los gezogen zu haben, eine Frau, die das Leben noch vor sich hatte und zugleich eine Frau, deren Traum zum Horrortrip wurde. Während ich hier so nachdenke, gehe ich in meinen Gedanken zurück zu jenen Tagen, die ich mit zu meinen glücklichsten und schrecklichsten zugleich zähle:

 

 

2. Kapitel: Menorca

Er hatte Natalie in München am Flughafen abgeholt. Für sie sollte es das große Wiedersehen werden. Nie hatte sie daran gedacht, dass ihr Freund ganz andere Absichten hatte. Auf dem Flug von Vilnius in Lettland nach München dachte sie darüber nach, wie er sie empfangen würde. Wie war das fremde Land, wo er Natalie erwartete? Sie hatte sich irrsinnig gefreut, als er sie ganz unverhofft anrief, um sich eine Fortsetzung des Urlaubsflirts zu wünschen, der damals auf Menorca begonnen hatte. „Möchtest du nach Deutschland kommen und einige Zeit bei mir bleiben?“, hatte er gefragt und Natalie hatte spontan zugesagt. „Ja, Hermann, ich würde ja gerne nach Deutschland reisen, aber leider kann ich mir nicht zweimal im Jahr eine Flugreise leisten.“

„Das ist kein Problem“, entgegnete er, „ich schicke dir das Ticket zu. Ich wünsche mir nur so sehr, dass ich dich endlich in meine Arme schließen kann. Also würdest du kommen, falls ich dir den Flug bezahle?“ In ihrer Naivität hatte Natalie zugestimmt und schon eine Woche später war tatsächlich der Flugschein eingetroffen. Dass es ein One-Way-Ticket war, hatte sie nicht besonders verwundert, sondern sie hatte eher daran gedacht, dass sie möglichst lange bei ihm bleiben und somit den Rückreisetermin nicht festlegen wollte. Nachdem das Flugticket eingetroffen war, erledigte Natalie so rasch sie nur konnte alle Formalitäten, um ein begrenztes Aufenthaltsvisum zu erhalten, das ihr erlaubte, drei Monate in Deutschland zu bleiben.

So saß Natalie, ehe sie sich versehen konnte, hier im Flugzeug. Kaum drei Stunden trennten sie von zwei Welten, der ihren und der ihres Freundes. Zwar hatte Natalie schon viel von dem Land, in das sie reiste, gehört, aber dort gewesen? Nein, dort gewesen war sie noch nie. Das Flugzeug wurde emporgehoben über die Wolken in den strahlend schönen Morgenhimmel. Hier, nahe der Sonne, verfiel sie in die Erinnerungen an den Beginn ihrer Freundschaft:

Es war am Strand auf Menorca gewesen. Zum ersten Mal machte Natalie Urlaub, ein Luxus, den sie sich überhaupt nicht leisten konnte, doch hatte sie hart gespart, um sich den Wunsch nach Freiheit erlauben zu können, so übermächtig und eindringlich schrie alles nach diesem Wunsch. Ursprünglich plante sie, auf die große Hauptinsel der Balearen zu fliegen, doch jetzt in der Ferienzeit gab es dort kein Quartier mehr. So hatte sich Natalie zu einem Kompromiss entschlossen und auf der Nachbarinsel an der Westküste ein Hotelzimmer gebucht. Ihre Heimat, Lettland, lag weit hinter ihr. Jetzt, wo man sich nach dem Zusammenbruch des Zwangsbündnisses der osteuropäischen Staaten, endlich frei bewegen konnte, verreisten viele ihrer Landsleute. Es war wie ein innerer Trieb, dem zu entkommen vergeblich war. Raus aus dem Alltag, raus aus dem Einerlei, hinein in die Freiheit. Die Seelen der Menschen schrien nach diesem neuen Gefühl und wer es sich erlauben konnte, gab ihm nach. So war es auch bei ihr. Natalie wollte Sonne, Meer und Freiheit, sie wollte lachen, sie wollte frei sein, und die Fesseln der Vergangenheit hinter sich lassen.

Kaum war sie im Hotel an der Westküste der Insel angekommen, zog es sie auch schon wieder hinaus. Das Meer lockte. Raschen Schritts eilte sie den Hinweisschildern „Calla Blanca“ folgend die Straße hinab. Kurz vor dem Ziel musste Natalie noch einen kleinen Weg überqueren, danach einige Stufen hinabgehen, bis zum warmen Sandstrand. Es war eine der für diese Insel typischen Buchten, eingerahmt vom wassergezeichneten Fels, regelrecht über Tausende von Jahren aus ihm herausgefräst. Wie eine Zunge lag der sanft abfallende Strand vor ihr. Rings um die Bucht herum standen noch die verbliebenen Pinien eines ehemaligen größeren Waldes. Zwischen ihnen hatten die Bewohner der Insel ihre Ferienhäuser und Restaurants angelegt. Nie würde sie vergessen, wie der weiße Sand sanft unter ihren nackten Füßen knirschte und der warme Wind sich in ihren Haaren verfing. Wie schön und friedlich hier alles ist, dachte sie im Stillen.

„Die Insel des Windes“ hatte im Reiseprospekt gestanden. Davon spürte sie jetzt nicht sehr viel. Es war eher ein leichter Hauch von dem, was im Herbst die Insel heimsuchte.

Ihr Blick glitt weit hinaus zum Horizont, dorthin wo der azurblaue Himmel das Meer berührte. Langsam setzte sie sich in den von der Sonne aufgewärmten Sand. Hier war alles ganz anders als daheim. Keine Sorgen und Nöte. Alles war weit fort, so als ob es sie nie gegeben hätte. Dabei war sie doch noch gestern dort gewesen. Sie schaute weiter hinaus auf das Meer und genoss die angenehme Stille dieses Moments. Ihr ganzes Sein nahm diese Ruhe in sich auf. Schon jetzt löste sie sich von all ihren Problemen, die mehrere Tausend Kilometer fern von hier auf sie warteten, um sich nach ihrer Rückkehr auf sie zu stürzen. Wie würde es ihr in den nächsten drei Wochen ergehen, dachte sie? Innerlich machte sich ein leichtes Kribbeln bemerkbar, das man bis tief in den Bauch spürte und den Herzschlag beschleunigte. Natalie blieb still sitzen und genoss diesen ersten Moment. Sie saugte alle Eindrücke mit jedem Atemzug auf und ließ ihre Gedanken davonfliegen, hinaus auf das Meer. Erst Stunden später kehrte sie zurück ins Hotel und sie wollte sich gerade auf ihr Zimmer begeben, als sie ihn am Empfang flüchtig das erste Mal sah.

Von der Sonne müde geworden legte sie sich leicht erschöpft auf das Bett. Als sie die Augen schloss, begegnete ihr im Traum ein unbekannter Mann. Deutlich nahm sie seinen sportlichen Körper wahr. Leicht muskulös, aber nicht fett, sondern durchtrainiert. Der Traum war so intensiv, dass Natalie fast alles sehen konnte, bis auf sein Gesicht, das unter einer schwarzen Maske verborgen blieb. Er nahm sie bei der Hand. Im Traum gingen sie gemeinsam am Strand spazieren. Noch war es nur eine stumme Zuneigung, ohne jedes Wort. Die Blicke ihrer Augen verrieten das stille Einverständnis ihrer Zuneigung. Natalies Herz begann, höher zu schlagen. War es nur ein typischer Ferienflirt oder deutete sich da mehr an, fragte sie sich? So gingen sie noch stundenlang am Strand entlang. Als die Sonne sich bereitmachte, blutrot im Meer zu versinken, hielt er an und zog Natalie sanft zu sich, um sie zu küssen. Ein erstes Gefühl von Zuneigung brandete auf. Gemeinsam erlebten sie den berauschenden Moment, als die Sonne im Meer versank. Als Natalie heimgehen wollte, bat er sie zu bleiben. Obwohl sie genau wusste, was jetzt kommen würde, wehrte sie sich nicht gegen die aufkommenden Gefühle. Wie sehr hatte sie sich in ihrem jungen Leben danach gesehnt, von einem Mann geliebt zu werden. Jetzt war es soweit. Voller Vertrauen und Sehnsucht gab sie sich dem Unbekannten hin, um mit ihm eine erste Liebesnacht dieses Urlaubs zu verbringen.

 Stunden vergingen, bevor Natalie aufwachte. Der Traum war verschwunden. Körperlich kaum erholt und leicht benebelt vom tiefen Schlaf stand sie auf. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es an der Zeit war, etwas zu sich zu nehmen. So verließ sie das Zimmer und begab sich nach unten zum Empfang, wo sie in brüchigem Englisch einen der Hotelbediensteten bat, ihr den Weg zum Speisesaal zu zeigen. Der Kellner geleitete Natalie mit beeindruckend fließenden Bewegungen dorthin und führte sie an ihren Tisch. Von der Speisekarte wählte Natalie aus der Vielzahl von Gerichten einen landesüblichen Grillteller mit Reis aus. Sie war neugierig, wie das unbekannte Gericht wohl schmecken würde. Dazu wählte Natalie einen leichten Rotwein. Während sie so aufs Essen wartete, sah sich Natalie um. Im Saal waren mehrere Personen anwesend. Gerade gegenüber saß jemand, der mir irgendwie vertraut vorkam. Es war ein junger Mann, der mit blitzend weißen Zähnen zu Natalie herüberlächelte. Woher kannte sie dieses Gesicht? Aus ihrer Heimat? Nein, der junge Mann hatte gar nichts von einem Osteuropäer. Er war eher der mitteleuropäische Typ. Im Gegensatz zu den anderen Gästen war er stilvoll in korrekt sitzendem Anzug und einer passenden Krawatte gekleidet. Nicht wie der einfache Tourist, der hier in kurzer Hose und T-Shirt herumsaß. Natalies Gedanken wurden unterbrochen, denn kurze Zeit später brachte der Kellner das Abendessen.

Es duftete wunderbar und sah köstlich aus. Ihre innere Ruhe und die Gewissheit, dass sie sich heute Abend etwas Besonderes leistete, ließ ihr das Essen noch mal so gut munden. Der Wein war gut gekühlt und schön trocken, so wie sie ihn mochte. Daheim gab es solche Köstlichkeiten nicht und wenn, dann konnten es sich nur wirklich Wohlhabende leisten. Es dauerte geraume Zeit, bis Natalie zu Ende gegessen hatte. Der Kellner erkundigte sich, ob sie zufrieden war, was sie bestätigte. Dies wiederum brachte ihr ein Lächeln seinerseits ein. Nachdem Natalie bezahlt hatte, ging sie nochmals zum Strand.

Dort angekommen neigte sich die Sonne im Westen bereits gegen den Horizont. Ihr grelles, helles Licht wurde allmählich zartrot. Natalie war, wie sie feststellte, nicht allein am Strand. Eine größere Anzahl von Personen sahen mit ihr gebannt auf das Meer. Es schien ihr, dass es immer wieder ein besonderes Ereignis war, wenn sich der Tag verabschiedete und die Sonne im Meer versank. Die Blicke der mit Sonnenbrillen bedeckten Augen richteten sich zum Horizont. Stumm und voller Erstaunen sah man gebannt zu, wie sich die Sonne immer schneller auf das Meer zu bewegte. Dabei wurde sie noch größer. Wie ein Kuss berührte sie mit ihrem unteren Rand den Horizont. Das Licht war jetzt blutrot. Ohne einen Laut versank der Feuerball ins nasse Element. Einige der Umherstehenden fingen an zu jubeln, andere hingegen sahen dem Naturschauspiel stumm und voll innerer Ruhe zu.

Es dauerte noch einige Zeit bis der Rest des Glutballs versank. Wie zum Abschied für kurze Zeit sandte die Sonne einen letzten aufleuchtenden Stahl den Menschen als Gruß entgegen. Es wurde kühl und eine leichte Brise kam vom Meer her auf. Langsam wurde es dunkel. Die Menschen verliefen sich und am Strand flammten erste Feuer auf. Mit dem Sonnenuntergang nahm das Gestirn alle Farben mit. Jetzt eroberten die Sterne das Firmament. In der klaren Luft schienen sie greifbar nahe zu sein. Natalie hatte zwar schon öfters einen Sonnenuntergang erlebt, aber noch nie am Meer. Jetzt verstand sie jene Menschen, die in euphorischer Begeisterung davon schwärmten. Es war wirklich beeindruckend und sie nahm sich vor, dieses Schauspiel so oft wie möglich zu erleben. Gerade als Natalie sich umdrehen wollte, um ins Hotel zurückzukehren, sah sie den jungen Mann aus dem Restaurant erneut.

Er lächelte Natalie an und sagte etwas, was sie nicht verstand. Er wechselte die Sprache und abermals zuckte Natalie nur mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Sie wollte ihm bereits in Englisch etwas zu verstehen geben, als er es tat.

„Ich habe Sie vorhin im Speisesaal des Hotels gesehen“, stellte er fest. Natalie reagierte nicht und blieb stumm. Nur ihre Augen sahen ihn fragend an „Reden Sie nicht mit jedem“, fragte er in sanftem Tone weiter. Abermals schwieg Natalie, denn sie wusste nicht, ob sie das Gespräch aufnehmen oder sich jetzt lieber ins Hotel begeben sollte. Für einen Augenblick machte sich ein Zwiespalt in ihr breit. Es war so, als ob das Schicksal Natalie freistellen wollte, sich zu entscheiden.

„Er sieht ja ganz sympathisch aus“, stellte sie fest. Dann ergriff sie das Wort und stellte, ohne es zu wissen, eine Weiche für ihr zukünftiges Leben. „Ja“, antwortete Natalie, „Sie haben doch am Tisch gegenüber gegessen.“ Er nickte, während er sie weiter ansah.

„Hätten Sie noch Lust, mit mir ein wenig am Strand spazieren zu gehen?“, nahm er die flüchtige Unterhaltung wieder auf. Natalie überlegte. Warum nicht? Ich habe doch sonst niemanden, den ich hier kenne, gestand sie sich ein.

So gingen sie zunächst stumm und schweigend an der Wasserlinie entlang und verließen danach den Strand, um entlang des Weges der felsigen Uferpromenade zu flanieren. Nachdem sie mehrere Hundert Meter so still nebeneinander hergegangen waren, sah er sie abermals an. Es schien ihr, als überlegte er.

„Sie reden nicht gerne mit Fremden?“, fragte er abermals und griff den Faden von vorhin wieder auf. Sie schaute ihn fragend an.

„Eigentlich nicht“, entgegnete sie, „aber es kommt selten vor, dass mich Unbekannte ansprechen.“ „Wieso“, wollte er wissen.

„Ich weiß es nicht. Irgendetwas muss ich wohl an mir haben, was die Leute verschreckt.“ Er blieb stehen und lächelte jetzt sehr deutlich.

 „Das kann ich nicht glauben, so ein hübsches Mädchen wie Sie und keiner wagt es, Sie anzusprechen? Das ist nicht wahr.“ Natalie nickte. „Doch so ist es.“ Sie gingen weiter, während er von sich berichtete. Sie erfuhr, dass auch er hier allein war und niemanden kannte. Nur ihr Blick im Speisesaal hatte ihn ermutigt, sie anzusprechen. Jetzt blieb Natalie stehen.

„Nur mein Blick allein? Das kann ich jetzt wiederum nicht glauben? Sicherlich machen sie das bei jeder Frau, die Ihnen gefällt.“ Er schüttelte den Kopf.

„Nein, du, Pardon, Sie können mir glauben, dass es so ist“, sprach er mit einer ganz besonders sanften Stimme.

„Ist schon gut“, nahm sie seine Entschuldigung an, „wir können ruhig du sagen.“ Erst jetzt stellte er sich vor.

„Hermann, Hermann Heidenreich aus München.“

„Natalie Brogosch aus Vilnius.“

„Lettland?!“, stellte er erstaunt fest. „Ich wusste gar nicht, dass es so hübsche Mädchen im Ostblock gibt.“ Natalie lachte ihn an. Seine Schmeicheleien gefielen ihr. So gingen sie noch eine Weile weiter und kehrten erst nach Stunden ins Hotel zurück. In der Empfangshalle verabschiedeten sie sich mit einem sanften Händedruck voneinander. Als er sie nach ihrer Zimmernummer fragte, schüttelte sie den Kopf.

„Nein, noch gebe ich sie dir nicht. Vielleicht wenn wir uns besser kennen.“ Dann ging sie die Treppe hinauf. Als sie auf halber Höhe angelangt war, schaute sie nach unten, wo sie ihn wartend stehen sah. Abermals fühlte sie sich geschmeichelt. Raschen Schrittes nahm sie die restlichen Stufen und begab sich auf ihr Zimmer.

Nachdem sie ihr Nachtzeug angelegt hatte, begab sie sich zu Bett und schlief ein. Bereits kurze Zeit später versank sie in ihrer wohltuenden Ruhe. Der Traum von Nachmittag kehrte zurück. Wieder war sie mit der unbekannten Person zusammen. Wieder konnte sie nur seinen Körper, nicht aber sein Gesicht erkennen. Noch war es eine schwarze, dunkle Maske. Sie hatten die Nacht gemeinsam verbracht und sich geliebt, so, wie sie es sich immer wieder in ihren wildesten Träumen erhoffte. Er hatte alles gefordert und alles bekommen. Als Geschenk für sich hatte er ihr alles gegeben. Es war wie der Rausch einer Droge, die sie genoss. Erschöpft verfiel sie in tiefen Schlaf.

Sie hatte lange geruht. Die sanfte Wärme im Zimmer und der Hauch von Ruhe und Entspannung waren sicherlich nur ein Grund hierfür gewesen. Ein anderer war der wunderschöne Traum, den sie nicht enden lassen wollte. Die ganze Nacht über hatte sie mit dem ihr Unbekannten verbracht. In dieser einen Nacht hatte sie Wochen des Glücks erlebt. Als sie schließlich aufwachte, verschwanden die Bilder, aber das Gefühl blieb. Sie zog sich an und begab sich hinab zum Speisesaal, wo sie ihr Frühstück einnahm. Während sie so genüsslich ein Brötchen und Kaffee zu sich nahm, hörte sie hinter ihrem Rücken ein leichtes „Hallo.“ Sie drehte sich um.

Hermann war gekommen und lächelte sie freundlich an. „Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte er. Natalie nickte und er nahm Platz. Während sie so die Mahlzeit einnahmen, fanden sie rasch wieder ins Gespräch. Nach einer Weile erkundigte er sich: „Was hast du heute vor?“ Natalie überlegte. Ursprünglich wollte sie sich einfach an den Strand legen und so den Tag verbringen. Danach hatte sie vorgehabt, die nahe Stadt ein wenig zu erkunden. Vielleicht aber hatte Hermann ja eine bessere Idee. „Das mit dem Sonnenbad ist kein schlechter Gedanke“, bestätigte er. „Wenn du möchtest, können wir uns ja zusammen an den Strand legen.“ Sie nickte und willigte ein. Den Rest des Frühstücks verbrachten sie mit weniger wichtigen Themen. Als sie geendet hatten, begab sich Natalie auf ihr Zimmer und holte ihre Strandutensilien, während Hermann in der Halle auf sie wartete.

Am Strand half er ihr, die mitgeführte Decke auszubreiten. Erst hier und jetzt entkleidete sich Natalie, was er aufmerksam verfolgte. Als sie alle Kleider bis auf ihren Bikini abgelegt hatte, staunte er nicht schlecht und konnte seine Bewunderung nicht verkneifen. Ihre Haut war weiß. Nur selten hatte sie daheim die Möglichkeit, sich zu sonnen, da sie weder über eine Terrasse noch über einen Balkon verfügte. In den Parks der Stadt und im Schwimmbad hingegen wurde es nicht gerne gesehen. Erst hier am Strand erlaubte sie sich, ihren Körper zu zeigen. Hier hatte sie auch ihre Bademode erstanden, einen winzigen, hellblauen Bikini, der ihre verborgene Weiblichkeit formvollendet zur Geltung brachte. Noch waren ihre blonden, langen Haare kaum von ihrem Körper zu unterscheiden. Erst im Laufe der nächsten Wochen, wenn ihre Haut schön gebräunt sein würde, ergab es einen wunderbaren Kontrast.

„Dreh dich bitte einmal herum“, bat Hermann. Natalie, die seine Bewunderung genoss, tat ihm den Gefallen.

 „Wahnsinn und so etwas finde ich erst hier auf den Balearen“, sprach er voller Achtung. Natalie setzte sich auf ihr Badetuch.

„Soll ich dir den Rücken einreiben?“, bot er ihr an. Sie hatte nichts dagegen, sondern legte sich auf den Bauch, damit er es tun konnte. Hermann begann, sie auf sanfteste Weise zu massieren und einzureiben. Sie begann, sich zu entspannen und schloss die Augen. Das sanfte Streicheln und die wärmenden Strahlen der Sonne ließen in ihr ein Gefühl des Wohlbefindens hochkommen. Als seine Streicheleinheiten sich abwärts verlagerten, erreichten sie den dünnen Träger ihres Oberteils. „Darf ich ihn öffnen?“, fragte er. Zunächst zögerte sie.

„Was war denn schon dabei?“ Eigentlich nichts. So gab sie ihm die Erlaubnis. Langsam streichelte er nun, da ihr Rücken durch keinerlei Hindernisse unterbrochen wurde, von den Schulterblättern bis hinunter zum Ansatz ihres Höschens. Die langsam kreisenden Bewegungen veränderten sich zu einem sanften Massieren. Natalie atmete tief durch. Obwohl sie ihn doch erst einen Tag kannte, vertraute sie ihm schon jetzt. Hermann nahm sich sehr viel Zeit. Der Sinn nach einer zusätzlichen sanften Massage war ihm erst gekommen, als er bemerkte, wie sehr seine neue Freundin entspannte und seine Berührungen genoss. Obwohl er ihr Gesicht nicht sehen konnte, spürte er instinktiv, dass sie begann, sich in ihren Träumen zu verlieren. Seine Bewegungen wurden langsamer und hörten schließlich unmerklich auf.

Hermann bückte sich herab und küsste sie ganz vorsichtig, ja fast nicht spürbar auf ihre Schulter. Natalie regte sich nicht. So fuhr er fort, sie erstmals zu liebkosen. Die Zeit verging und es wurde immer wärmer. Während sie so ruhte, schenkte er ihr ein Gefühl der absoluten Geborgenheit. Es verging eine halbe Stunde, ehe sie die Augen wieder öffnete. Erst jetzt, als sie tief aus dem Unterbewusstsein wieder erwachte, bemerkte sie, dass er dabei war, ihren Rücken zu liebkosen. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und sah ihn in seiner gebückten Haltung.

„Entschuldige“, verteidigte sie sich, „dass ich geschlafen habe, aber dein Streicheln war ja so einschläfernd.“

„Ach“, entgegnete er in gespieltem Protest, „nur einschläfernd. Das ist aber keine gute Beurteilung.“ Sie lachte.

„So war das auch nicht gemeint. Es hat sehr gut getan. Machst du das bei jeder Frau, die du kennenlernst?“ Hermann tat so, als ob er überlegen würde. „Vielleicht, kann sein, dass ich es nicht bei jeder tue, aber bei der einen oder anderen schon.“

„Du Schuft“, sprach sie mit einem Lachen und begab sich auf die Knie. Dabei hatte sie vergessen, dass Hermann den Träger ihres Oberteils gelöst hatte. Das winzige Etwas war zu träge, als dass es ihrer raschen Bewegung folgen konnte. Es blieb auf dem Handtuch und Hermann konnte für einen winzigen Augenblick ihre Erhebungen sehen, bevor sie sie schamhaft mit ihren Händen verbarg.

 „Guck bitte weg“, bat sie ihn. Hermann tat so, als ob er es tatsächlich tun würde. Durch die Augenwinkel aber sah er, wie sie versuchte, das Oberteil so rasch wie möglich wieder anzulegen. Was ihr in der Aufregung jedoch nicht ganz gelang.

Hermann wurde forscher.

„Vielleicht sollte ich dich mit meinen Händen bedecken, damit du die Hände freihast.“

 „Das hättest du wohl gerne wie?“ Hermann nickte heftig.

„Soll ich dich jetzt etwa beleidigen, indem ich nein sage“, konterte er. Natalie lachte hell auf.

„Nein“, verwehrte sie ihm seinen Wunsch. „Noch kann ich es auch ohne deine Hilfe.“ Die Art wie sie miteinander redeten, deutete auf ein erstes, zartes Band der Verbundenheit hin. Sie setzte sich auf und cremte den Rest ihres Körpers ein.

 „Soll ich dir helfen“, fragte er abermals in herausforderndem Tone. Aber auch jetzt erhielt er eine eindeutige Abfuhr, indem sie sprach: „Das kann ich durchaus allein.“ So blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr zuzusehen.

Natalie legte sich wieder auf ihr Handtuch und schloss die Augen, um wieder in ihren Träumen zu versinken. Hermann tat so, als würde er sich ebenfalls entspannen. In Wirklichkeit jedoch betrachtete er, wie sich ihre Bauchdecke langsam auf und ab bewegte. Als sie fest eingeschlafen war, stand er auf, ohne dass sie es bemerkte. Wieder bückte er sich zu ihr herüber, ohne sie zu berühren. Er wollte nur sehen, mehr nicht. So verharrte er wieder einige Zeit. In Gedanken war er schon viel weiter als jetzt, denn er wusste, dass er alles daran setzen würde, sie für sich zu gewinnen. Sein Gefühl sagte ihm, dass sie eine Barriere wie die Dornenhecke aus dem Märchen Dornröschen um sich gezogen hatte. So wie einst der Königssohn sie zu durchbrechen und die schlafende Schönheit wach zu küssen, stellte er sich als Aufgabe. Dafür bedurfte es jedoch all seines männlichen Charmes und einer gehörigen Portion Zeit. Wie die Spinne begann er seinen ersten Faden für das Netz zu ziehen, in welchem sie sich als hilflose Beute verfangen sollte.

Den nächsten Schachzug bei diesem Spiel um ihre Zuneigung machte er, indem er jetzt leise aufstand und fortging. Ob seine Taktik aufgehen würde, musste sich beweisen. Wenn sie aufwachte und merkte, dass er nicht mehr da war, gab es zwei Möglichkeiten. Entweder würde sie froh sein, dass sie es durch ihr äußerst passives Verhalten geschafft hatte, ihn zu vergraulen, oder ihn vermissen und nach ihm suchen. In wenigen Stunden würde er es wissen.

Als Natalie abermals aus ihren Träumen erwachte und die Augen aufschlug, brauchte sie einige Augenblicke, um festzustellen, wo sie war. Erst danach bemerkte sie, dass Hermann sie verlassen hatte. Vielleicht ist er ja schwimmen gegangen, dachte sie. Als er trotz längeren Wartens nicht zurückkehrte, schlich sich ein erstes Gefühl der Enttäuschung bei ihr ein. Sie atmete tief durch und begann zu überlegen. Eigentlich war es schade, denn er erschien ihr der rechte Kandidat für einen Urlaubsflirt zu sein. Sie wollte keine feste Beziehung, sondern einfach nur das Gefühl erleben, hier nicht ganz allein zu sein. Mehr nicht, so dachte sie zumindest. Sie stand auf und packte ihre Sachen zusammen, um ins Hotel zurückzukehren.

Auf den Weg dorthin sah sie sich unbewusst um. Ihre Augen fahndeten regelrecht nach ihm. Trotz ihrer Suche fand sie keine Spur. Sie erreichte das Hotel, wo sie sich auf ihr Zimmer begab. Hier ruhte sie sich aus. Der Stress der Vergangenheit fiel weiter von ihr ab. Wieder begann sie zu träumen und so, als ob es ihr Schicksal werden sollte, setzte sie ihren Traum, den sie schon mehrfach hatte, fort. Wieder war dort der Unbekannte, dessen Gesicht sie nicht sah. Wieder entführte er sie, um sie zu lieben. Sie ergab sich ihrem Gefühl und genoss den Traum. Hier in der Welt des unsteten Wandels, der Welt der Zufälle und Fantasie konnte sie sich alles vorstellen. Über welche magischen Kräfte verfügte das Unterbewusstsein, wenn es einem Menschen Flügel verlieh und ihn an jeden beliebigen Punkt des Universums versetzen konnte? Sind es die dem Menschen verloren gegangenen Fähigkeiten, die noch in Spuren vorhanden waren? Natalie wusste es nicht. Sie träumte und wollte nicht mehr aufwachen. Sie wollte sich hier und jetzt verlieren im Rausch der Sinne und des Glücks. Hier in ihrem Traum. Was draußen in der realen Welt vor sich ging, war unbedeutend.

Erst als die Sonne sich anschickte, abermals blutrot den Kuss des Meeres entgegenzunehmen, wachte Natalie erneut auf. Sie fühlte sich fit und ausgeruht. Das flaue Gefühl im Magen ließ ihr bewusst werden, dass sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Sie stand auf und kleidete sich an.

Wird er wohl wieder im Speisesaal sein?, kam ihr plötzlich in den Sinn. Unbewusst hoffte sie es. Als sie dort ankam, wurde aus der Erwartung eine Enttäuschung. Kein Hermann war zu sehen. Es war ja auch schon recht spät für das Abendessen und sicherlich würde er nicht den ganzen Tag auf sie warten, nur damit sie sich bequemte, ihn irgendwann zu suchen. Diese Erkenntnis schmerzte sie. Natalie bestellte ihr Essen und nahm die Mahlzeit zu sich. Rasch bemerkte sie, dass es keine Freude machte, allein zu sitzen und stumm vor sich hin zu essen. So ließ sie einen Großteil der Mahlzeit stehen.

Der Tag endete und die Nacht brach an. Da sie den ganzen Tag mehr oder weniger verschlafen hatte, überlegte sie, wie sie den angebrochenen Abend mit etwas Besserem verbringen könnte, als alleine herumzulungern. Sie beschloss, zum Strand zu gehen, wo wie Tage zuvor die Freudenfeuer brannten. Auf ihrem Wege direkt an der Wasserlinie entlang kam sie ins Grübeln. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, allein zu fahren. Sie spürte, dass sie etwas vermisste. Es war das Gefühl der Geselligkeit. Gestern Abend war alles ganz anders gewesen. Sie stutzte. Konnte es denn wirklich sein, dass man sich in einen Mann verguckte, den man gerade mal etwas mehr als zwölf Stunden kannte? Ihr Kopf sagte nein. Das Herz hingegen sprach völlig anders. Allein der Gedanke an ihn ließ es schmerzen. Sie wusste, dass sie sich auf die Suche machen musste, wenn sie noch etwas von ihrem Urlaub haben wollte. So ging sie immer weiter hinaus in die Dunkelheit und nur hin und wieder blieb sie stehen, um die Sterne am Himmel zu betrachten.

Hier in der klaren dunklen Nacht leuchteten sie viel heller als daheim. In ihrer Freizeit hatte sie sich ein wenig mit ihnen beschäftigt, da ein ehemaliger Freund von ihr ein begeisterter Hobbyastronom gewesen war. Leider war seine Liebe zu den Sternen größer gewesen als zu ihr. So hatte er sie verloren. Ihm verdankte sie jedoch, dass sie einige der Sternbilder und Sterne mit Namen kannte. Ihr Blick suchte den Großen Wagen. Als sie in gefunden hatte, tat sie das, was ihr Freund ihr beigebracht hatte. Sie verlängerte die hintere Achse und tatsächlich stieß sie auf den gesuchten Stern. „Das ist der Polarstern“, hatte ihr einst ihr Freund beigebracht. „Er steht genau im Norden.“ Jetzt und hier war er jedoch nur eine Handbreit über dem Horizont. Wieder kam ihr seine Belehrung in den Sinn: „Je höher er steht, desto weiter bist du im Norden. Je tiefer desto weiter im Süden.“ Also musste sie sich schätzungsweise auf 25 Grad nördlicher Breite befinden, denn viel steiler konnte der Winkel nicht sein.

Sie schaute weiter und erkannte noch einige andere bekannte Figuren am Himmel. Da war das Haus mit dem Giebel.

„Kepheus ist das Haus“, hörte sie still seine Belehrungen.

Da das „M“ oder „W“. „Der einzige Buchstabe am Himmel ist Kassiopeia“, hörte sie ihn dozieren. Wieso kamen ihr ausgerechnet jetzt und hier beim Blick hinauf solche Gedanken. Vermisste sie ihn?

„Nein“, sprach eine innere Stimme zu ihr, „Seine Liebe sind die Sterne gewesen und wirklich nur die Sterne.“ Er lebte nicht auf dieser Welt, sondern in den Tiefen des Universums, wo er nach den Rätseln der Schöpfung suchte. Dass er dabei das Glück direkt vor seiner Nase gefunden hätte, verstand er damals nicht. Ihre erste Liebe verschwand mit dem anbrechenden Tag wie die Sterne. Für sie war es damals sehr schwer gewesen, sich mit dieser Tatsache abzufinden, so wie jetzt in diesem Moment, wo sie Angst bekam, Hermann zu verlieren.

Natalie war sehr weit gelaufen, aber nirgends gab es auch nur eine Spur von ihm. Resigniert ging sie den langen Weg zurück, um nach einer guten Stunde wieder am Hotel zu sein. Als sie es betrat, sah sie sich abermals um. Wieder fand sie keine Spur von ihm. Es war jetzt gegen elf Uhr nachts und um zur Ruhe zu kommen, entschloss sie sich, noch einen Nachttrunk in der Bar zu sich zu nehmen. Als sie die Glastüre durchschritt, sah sie ihn an der Theke sitzen, wo er wie inszeniert genau in diesem Moment zu ihr herübersah.

Wie ein gebündelter Lichtstrahl traf sein Blick ihre Augen und entzündete das Feuer. Ihr fielen die Steine nur so vom Herzen. Rasch ging sie auf ihn zu, um sich neben ihn zu setzen. Sie hatte vorgehabt, in wegen seines Verhaltens zu tadeln. Dieser Vorsatz löste sich jedoch hier und jetzt in Luft auf. Stattdessen lächelte sie ihn gewinnend an. Sie hatte sich entschieden und damit unbewusst die Weichen für ihr zukünftiges Leben gestellt. Hermann sah es als offene Einladung an, denn ohne zu zögern begrüßte er sie auf die schönste Weise, indem er sie sanft auf die Wange küsste, wofür sie ihr Lächeln noch verstärkte. Das Band wurde geschlossen, das ewige Karussell der Gefühle kam langsam in Bewegung. Statt zu bestellen, fragte sie ihn, ob er sie begleiten wollte. Er willigte ein und stellte das noch halbvolle Glas auf den Tresen. Gemeinsam, jetzt bereits Arm in Arm, verließen sie die Bar. Gemeinsam schritten sie, sich tief in die Augen schauend und bereits hier an der Schwelle zu Glückseligkeit befindend, die Treppe ins Obergeschoss hinauf. Mit jedem Schritt ging ihr Atem schneller. Ihre Begierde war entfacht und sie hatte Angst, dass sie den Weg nicht schaffen würde, so sehr sehnte sie sich nach ihm.

Vor ihrem Zimmer angekommen, küsste er sie immer heftiger. Sie wusste, dass die Zeit knapp würde, bevor sie sich total an ihm verlor. Endlich waren sie drinnen. Sie warf den Schlüssel in hohem Bogen zusammen mit ihrer Tasche zur Seite, um ihre Hände freizuhaben. Voller Wildheit umschlang sie seinen Hals und presste ihre Lippen an ihn. Bereitwillig öffnete er den Mund ein wenig, damit sie seine Zunge aufnehmen konnte. Wie von Sinnen stürzten sie aufeinander. In ihrem Verlangen stolperten sie aufs Bett zu, das sie gerade noch erreichten.

 Es war lange her, dass Natalie mit einem Manne zusammen gewesen war. Wie die aufsteigende Glut eines Vulkans stürmten ihre Gefühle auf, um sich ihren Weg freizusprengen. Innerlich war sie am Glühen. Sie wollte berühren und berührt werden. Ihr ganzes Ich konzentrierte sie darauf. Hastig entkleidete sie sich. Er sollte sie so sehen, wie sie wirklich war. Als sie sich daran machen wollte, sich ihrer letzten Kleidungsstücke zu entledigen, kam er ihr zuvor. Seine Hände umfassten ihre verborgenen Schönheiten und streichelten ihre Nippel, die hart und groß aufragten. Mit seinen Lippen liebkoste er ihren Hals abwärts bis er das tiefe Tal ihrer Weiblichkeit erreichte und sein Gesicht hineinpresste. Natalie warf ihren Kopf nach hinten und ließ ihre fordernden Schreie erklingen.

 „Nimm mich, Hermann!“, schrie sie, während sie gleichzeitig seinen bekleideten Körper so nah wie möglich an sich zog.

„Warte einen Augenblick“, bat er sie, während er sich auszog. Sie konnte es kaum erwarten und half mit Nachdruck mit. Wenn Natalie schon lieben wollte, dann nach ihren Wünschen. Hier war sie Egoistin, die sich nahm, was sie forderte. Jetzt und hier wollte sie es. Sie wälzte ihren Körper über ihn.

Es wurden für Natalie wunderschöne Momente der totalen Hingabe. Lieben und geliebt zu werden. Lust bis zur Ekstase bis hin zur vollkommenen Aufgabe ihres Seins, ohne auch nur einen Gedanken an das Morgen zu verschwenden. Nachdem sie ihren ersten Höhepunkt überschritten hatte, verlangte sie nach mehr. Er hatte sie sanft auf das Bett gelegt und ihren Körper gestreichelt. Seine Hände waren überall. Dann hatte er fordernd ihren Kopf in seine Arme genommen und sie stürmisch geküsst. Ihre Münder waren heiß und voller Wonne. Noch in dieser Vereinigung zog er sie sanft herum und umklammerte sie mit aller Kraft und Leidenschaft. Seine erfahrenen Hände massierten sie überall, den Rücken hinab, auf und abwärts. Wie die Wellen des Meeres fühlte es sich an, wenn er sie weit unten von ihren schlanken Beinen hinauf streichelte, ihr weiches Gesäß umspielte und letztendlich im Nacken zur Ruhe kam. Immer wieder fuhr er so in seinem Tun fort. Sie fühlte, wie sie zugleich entspannte und erregt wurde. Hermann spielte die Symphonie mit viel Gefühl und Erfahrung. Gezielt stimulierte er sie, indem er fast unabsichtlich intimere Stellen ihres Körpers mit unsagbarer Sanftheit berührte. Ihr wurde wieder heiß. Natalies Lust wurde erneut angestachelt. Sie stützte sich auf ihre Arme, um sich ihm erneut hinzugeben.

Sie war über sich selbst mehr als erstaunt. Es war lange her, dass sie sich einem Manne so vollkommen hingegeben hatte. Es wurde für beide eine Nacht, wie sie es noch nicht erlebt hatten. Natalie forderte alles und wurde reich beschenkt. Gemeinsam entdeckten sie immer neue Stellungen und Möglichkeiten, um sich gegenseitig Erlösung und Begierde zu schenken. Das Spiel der Liebe verbrannte beide in seinem Feuer. Erst spät in der Nacht, als der Morgen bereits graute, waren sie gesättigt. Als sie Stunden später aufwachte, sah sie noch die Spuren der Nacht auf ihrem Körper. Er hatte sie vollkommen befriedigt und sie wusste, dass sie schon jetzt an eine Fortsetzung dachte.

Wenig später wachte auch er auf. Obwohl sie sich noch nicht frisch gemacht hatte, küsste er sie leidenschaftlich.

„Guten Morgen“, flüsterte sie zärtlich, als sie sich aus seiner Umarmung gelöst hatte. Sie sah ihn mit all ihrer Liebe in den Augen an.

„Wie wäre es mit Frühstück?“, fragte sie.

 „Gute Idee“, antwortete er, „doch zuerst muss ich unter die Dusche.“ Allein die Vorstellung, dass er sich jetzt dort hinbegeben würde, ließ ihre Lust trotz ihrer Mattigkeit erneut aufsteigen. Er nahm sie bei der Hand und gemeinsam verbrachten sie weitere erregende Momente unter der Dusche. Erst danach fanden die beiden Zeit, sich frisch zu machen, was wegen der Anstrengungen der letzten Nacht geraume Zeit dauerte. Anschließend legten sie sich gemeinsam aufs Bett, wo Natalie sich eng an ihn schmiegte. Sie schloss die Augen und fiel in einen kurzen, tiefen, traumlosen Schlaf. Hermann hingegen blieb wach und rührte sich nicht. Er genoss ihren Duft und war sich sicher, dass er die nächsten Wochen seines Urlaubs in schönster Gesellschaft verbringen würde. Stunden später standen sie gemeinsam auf. Da es mittlerweile fast Mittag war, verzichteten sie auf das Frühstück und nahmen an der Snackbar nur einige Kleinigkeiten zu sich. Eng umschlungen, Arm in Arm, verließen Sie das Hotel und begaben sich abermals zum Strand. Nachdem sie sich gegenseitig eingecremt hatten, legte sich Natalie ganz entspannt auf die Decke. Sie schloss die Augen und verfiel abermals in einen tiefen Schlaf.

Hermann hingegen döste nur ein wenig. Sein Kopf lag auf ihrem Bauch. Innerlich begann er, sich zu fragen, wie lange sie es wohl mit ihm aushalten würde? Dabei hatte er doch anfangs nur ein Ziel gehabt: Er wollte sie verführen, sie zu seiner Geliebten machen, um irgendwann in ferner Zeit sie so weit zu bringen, wie er es wollte, in seinen Club am Rande der Stadt. Hier war er der Herr über gut ein Dutzend Frauen und Mädchen, die für ihn tätig waren. Da seine Kundschaft jedoch Abwechslung liebte, musste er stets versuchen, mit Neuheiten aufzuwarten, die ihn von den anderen Häusern unterschied. Mit Natalie, so war er sich sicher, würde er bestimmt einen guten Fang machen. Es galt zum jetzigen Zeitpunkt, bloß keine Fehler zu machen. Alles musste den Anschein haben, als wäre es rein zufällig und nicht von ihm gesteuert. Dabei war es doch stets derselbe einfache Trick. Erst musste er das Vertrauen der Mädchen gewinnen, dann ihre Liebe und zu guter Letzt ihren Körper. Er wusste, dass es viel Geduld, noch mehr Zeit und Geld kosten würde. Mit Blick auf die Zukunft jedoch brächte Natalie ein Vielfaches dessen ein, was er investiert hätte. Innerlich plante er bereits jetzt, dass es ungefähr zwei bis drei Monate dauern würde, bevor sie ihren Job im Club zur Zufriedenheit seiner Kundschaft erfüllen würde.

Ihr gegenüber hatte er sich als erfolgreicher Geschäftsmann ausgegeben, was ja noch nicht einmal gelogen war. Nur über die Art seiner Tätigkeit hatte er sie im Unklaren gelassen. Sicher, es wäre einfacher für ihn, über seine Kontakte an andere Frauen und Mädchen aus Osteuropa zu gelangen, aber um so etwas wie Natalie zu bekommen, bedurfte es schon eines besonderen Glücksfalls, und mittlerweile wussten auch die Schlepper um die Marktpreise solcher Mädchen.

Eine leichte Erschütterung riss ihn aus seinen Gedanken. Natalie wachte auf.

„Na, mein Liebling, hast du gut geschlafen?“, fragte er mit sanfter Stimme.

„Viel zu gut“, entgegnete sie. Er hob seinen Kopf in die Höhe und küsste sie leidenschaftlich.

„Wie wäre es, wenn wir nach Ciuadella fahren würden, um dort in aller Ruhe in einem kleinen Lokal zu speisen?“ Begeistert willigte sie ein. Rasch packten sie ihre Sachen zusammen und verließen den Strand. Hermann mietete sich einen Leihwagen und binnen einer halben Stunde waren sie in der ehemaligen Inselhauptstadt. Er muss sich gut auskennen, stellte sie fest, denn zielsicher fuhr er durch die engen Straßen und Gassen. In der Nähe des Plaza de Born stellte er den Wagen ab. Er führte sie durch den Bürgerpark, hinweg über zwei, drei kleine Gassen hin zu einem Lokal direkt an der Ostseite des Platzes. Hier begaben sie sich in eine Art Gewölbe, wo Hermann in fließendem Spanisch den Kellner um einen Tisch bat, der nicht direkt im Zentrum des Lokals stand, sondern abseits in einer Nische.

Nachdem die Kerze auf dem Tisch entzündet und der Wein ausgewählt war, erhielten sie die Speisekarte.

„Soll ich für dich mitbestellen?“, fragte er sie. Natalie willigte ein und als kurze Zeit später die Bedienung kam, begann er mit dieser zu verhandeln. Es dauerte länger als üblich. Natalie sah die leuchtenden Augen des Mannes und wusste, dass Hermann etwas Besonderes bestellt haben musste. Als sie nachfragte, was es sei, gab er ihr zur Antwort:

„Lass dich doch einfach überraschen.“ Während sie so auf ihr Essen warteten, begann er wieder zu flirten. Sie sah seine Augen, die sich regelrecht in sie hineinbrannten und wusste doch zugleich, dass es langsam mehr als nur ein einfacher Flirt für sie wurde. Ihr Herz hatte es bereits gestern gespürt. Sie war dabei, sich zu verlieben. Das machte ihr Angst, denn was würde am Ende ihres Urlaubs bleiben? Scherben oder würden sie versuchen die gemeinsame Beziehung fortzusetzen? Wenn es nach ihr ging, würde sie sofort zusagen.

Sie wurde in ihren Gedanken unterbrochen, als der Kellner einen kleinen Flechtkorb und einen Teller brachte. Außerdem stellte er ein erstes Gedeck bereit, das aus weiteren Tellern und Gabeln bestand. Im Korb befand sich duftendes frisches Weißbrot, auf dem Teller Käse. Hermann griff zu. „Das ist der berühmte Maonkäse, eine Spezialität der Insel. Du musst in zusammen mit dem Brot und Wein essen.“

Sie tat, wie er gesagt hatte. Tatsächlich mundete es atemberaubend. Das Brot und der Käse allein waren bereits ein Gedicht, aber durch den Wein wurde es zur kulinarischen Delikatesse. Selten, oder genauer gesagt nie zuvor hatte Natalie etwas Ähnliches genossen. Sie aß einige Scheiben.

„Nicht so viel“, merkte er an. „Dies ist doch erst die Vorspeise.“ Wenn das die Vorspeise ist, fragte sie sich, was ist dann erst der Hauptgang? Der Kellner räumte das erste Gedeck ab, um für den Hauptgang Platz zu schaffen. Wenig später wurden zwei große ovale Platten aufgetischt. Auf ihnen befand sich ein gebratener Fisch umrandet mit Kohl und Kartoffeln. Es duftete abermals verführerisch.

„Das ist die Pelix de la Menorca“, verriet Hermann. „Es ist ein echtes menorchinisches Gericht, das hier in diesem Lokal wie nirgends anders auf der Insel zubereitet wird.“

Sie musste ihm beipflichten, denn bereits nach dem ersten Bissen schmeckte sie die Rosinen und Pinienkerne deutlich heraus. Es schmeckte ihr ausgezeichnet, was sie ihm zu verstehen gab. Während des Essens schwiegen sie beide und genossen nur noch. Als sie fertig war, sah sie ihn nur noch sprachlos an.

„Was ist Natalie?“, fragte er sie. Sie schüttelte den Kopf.

„Ich kann dir nicht sagen, was ich empfinde, denn ich habe Angst davor“, entgegnete sie, während sich ein Gefühl der Beklemmung in ihr breitmachte. „Komm, sag es doch einfach“, forderte er sie auf, doch sie schwieg beharrlich. Das Gedeck wurde abgeräumt und Hermann bestellte zwei Aperitife, die unverzüglich gebracht wurden. Dann bezahlte er und sie verließen das Lokal.

„Lass uns noch ein wenig durch die Altstadt bummeln“, schlug er vor. Sie willigte stumm ein. Während sie durch die Gassen flanierten und er ihr wie ein erfahrener Fremdenführer zu diesem oder jenem Gebäude und Platz Erläuterungen gab, gärte in ihr ein Entschluss. Sie würde ihm sagen, was sie empfand, denn wenn sie es nicht bald tat, würde sie nur noch weinen können. Sie waren die Treppe zum Hafen hinuntergegangen und an einem der typischen, in den Fels gehauenen Läden angelangt, blieb sie abrupt stehen. Sie sah ihm so tief sie konnte in die Augen und sprach aus, was sie bedrückte.

„Mein lieber Hermann“, begann sie. „Ich komme mir vor wie Traum. Erst deine Bekanntschaft, danach das Essen und jetzt dieser wundervolle Spaziergang mit dir. Ich weiß ja gar nicht mehr, wie mir geschieht und ehrlich gesagt, ich habe Angst. Angst davor, mich zu verlieben und dich am Ende des Urlaubs zu verlieren.“ Mit diesen paar Worten hatte sie alles ausgedrückt, was sie tief in ihrem Herzen empfand. Sie sah ihn fragend an. Wie würde er reagieren?

Er blieb stumm und sagte kein Wort. Stattdessen nahm er sie ganz zärtlich in seine Arme, wo er ihr tränenvolles Gesicht darin verbarg.