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Table of Contents

Titel

Impressum

Südafrika

Kurz vor unserer Abreise

Das „Buschhotel“

Der folgende Abend

Als wir Sonntag in die Kirche fuhren

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ÜBER DEN AUTOR

 

 

Rolf Stöver

 

 

 

 

Nanikis Rache im Land der Apartheid

 

Autobiografischer Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Rolf Stöver

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

ISBN: 9783957534705

Erstauflage:

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by

 

Südafrika 1996

 

Von 1983 bis 1992 hatten Naniki und ich gemeinsam als schwarz-weißes Liebespaar gegen die Apartheid gekämpft und dabei viele Erfolge, aber auch Niederlagen erlebt. Schließlich mussten wir Südafrika fluchtartig in Richtung Deutschland verlassen, wo wir schließlich heiraten durften.

1994 kehrten wir voller Zuversicht in das nun demokratische Südafrika zurück. Nelson Mandela war demokratisch zum Präsidenten gewählt worden. Die Apartheid war beendet.

Der Glaube, dass die Rassendiskriminierung und damit unsere Odyssee ein Ende haben würde, war ein fataler Trugschluss. Da wir wieder in der Öffentlichkeit für die Freiheit und Würde der Menschen eintraten, wurden wir schnell zur Zielscheibe der verbliebenen Rassisten, die nunmehr im Untergrund tätig waren.

Mehrfach wurden Anschläge auf Naniki verübt, sie wurde entführt und gefoltert, durch ihre unglaubliche Fähigkeit, erwachsene Männer außer Gefecht zu setzen, überlebte sie auch das.

Bei einer gemeinsamen Großveranstaltung im Ellispark-Stadion (Johannesburg) mit den vielfältigen Kulturen Südafrikas sangen wir gemeinsam auf der Bühne zum Abschluss „Amazing Grace“.

Alle Emotionen der vergangenen Jahre kamen schließlich bei dem Lied zum Ausbruch, wir standen auf der Bühne und weinten fest umschlungen.

Durch unseren unerschütterlichen Zusammenhalt, die Liebe, den Glauben an Gott und unseren Gesang als schwarz-weißes Duo auf den Bühnen Südafrikas, haben wir auch das überstanden.

Wie gut, dass wir nicht wussten, dass unsere Odyssee noch lange nicht zu Ende war.

Nach unserem emotionalen Auftritt im Ellispark Stadion ließ man uns in Ruhe. Selbst in unserem Reihenhauskomplex ging das Leben normal weiter, man vermied offensichtlich, uns auf den Vorfall anzusprechen. Unklar war für uns, ob die Nachbarn aus Mitleid oder einfach aus Respekt sich so verhielten. Polizei, Ambulanz wie auch der südafrikanische Geheimdienst hatten oft genug vor unserer Haustür für Aufregung gesorgt. Unsere unmittelbare Umgebung wusste also nur zu gut, was alles in der Vergangenheit passiert war.

Unser Leben verlief so harmonisch und friedlich wie selten zuvor, was auch Naniki zu verdanken war. Sie hatte die Gabe, schreckliche Erlebnisse einfach auszublenden, das war schon immer so.

Regelmäßig suchten wir die deutsch-katholische Kirche auf, wo wir das „Ave Maria“ vor dem Altar sangen, es war schon zur Tradition geworden, ebenso wie die Legende, dass Naniki es geschafft hatte, die schwarze Bevölkerung in die „weiße“ Kirche zu locken, was während der unmenschlichen Apartheid unmöglich gewesen war.

Nur langsam begannen die Schwarzen zu lernen, was Freiheit überhaupt heißt, sie mussten Vorurteile, Hemmungen und Angst abbauen, die Freiheit war neu zu erfinden. Ohne Nelson

Mandela hätte dieser Prozess wohl nie stattgefunden, denn er plädierte für Vergebung und ging mit gutem Beispiel voran, seine Ideologie war allgegenwärtig. Für mich war er einer der Klügsten Männer der Weltgeschichte. Nicht Hass, sondern Versöhnung war sein Rezept.

Lange sollte unsere „Ruhepause“ nicht dauern, denn nach 6 Monaten klingelte Jonathan an unserer Haustür. Er war der schwarze Geheimdienstler, der auf der Lohnliste des südafrikanischen Geheimdienstes stand. Jonathan hatte uns während der turbulenten und gefährlichen Zeit dienstlich zu beschützen, privat waren wir längst Freunde geworden. Für die neue demokratische Regierung galt es als äußerste Priorität, rassistische Zellen des alten Regimes zu zerschlagen, eine heikle Aufgabe, denn die Rassisten versuchten sich im Untergrund zu organisieren.

Ich hatte das Gefühl, dass Jonathan nicht zu einem Freundschaftsbesuch gekommen war, Naniki erging es ebenso, ich sah es an ihrem Gesicht. Sie war es auch, die Jonathan dazu bewegte, sofort zur Sache zu kommen. Wir saßen in unserem Garten, als Jonathan mit einem Zug sein Bier austrank und anfing zu reden. Was wir zu hören bekamen, war beunruhigend, ich fiel ihm mehrfach ins Wort, während Naniki teilnahmslos zuhörte, sie sprach kein einziges Wort.

Der Geheimdienst hatte verlässliche Informationen erhalten, nach denen sich eine rechtsextremistische Organisation neu gebildet habe. Unterstützt würde sie unter anderem durch Gleichgesinnte in Europa werden. Die erste Widerstandsbewegung gegen die schwarze Regierung war zerschlagen worden, woran wir zu unserem Leidwesen maßgeblich beteiligt waren und zwischen die Mühlsteine gerieten. Ziel war es, die schwarze Regierung zu unterwandern, sie wollten „ihr“ Südafrika zurückhaben. Der Anführer sei ein reicher Farmer aus Namibia, von dort habe er die Fäden gezogen. Inzwischen soll er in Pretoria sein. „Die Indizien sprechen dafür, dass man euch wegen eurer Aktivitäten gegen den Rassismus wieder im Visier hat.“ Damit beendete Jonathan seinen unerfreulichen Vortrag.

„Die Vergangenheit holt uns immer wieder ein“, meldete sich Naniki zum ersten Mal zu Wort, „aber Gott wird uns nicht im Stich lassen. Im Übrigen habe ich in der Kirche längst bemerkt, dass wir beobachtet werden.“ Nach dieser überraschenden Bemerkung sagte sie kein Wort mehr, sondern verschwand in der Küche. Ihr Gesang war die Bestätigung dafür, dass sie dort angekommen war. Es klang traurig, sie sang „Nkosi i sikelele“ (Gott beschütze Afrika). Nicht umsonst hatte Nelson Mandela dieses schöne Lied zur Nationalhymne gemacht.

Jonathan machte einen bewegten Eindruck, als er sagte: „Naniki ist eine bewundernswerte Frau, sie sieht Dinge, die wir nicht sehen, ist voller Energie und gibt niemals auf, pass gut auf sie auf.“

„Das werde ich, aber sie wird diejenige sein, die auf mich aufpasst“, sagte ich lächelnd.

„Über neue Erkenntnisse werde ich dich sofort informieren und auch über die Strategie des Geheimdienstes, und jetzt besuche ich Don Camillo, denn wer von euch spricht, meint auch Don Camillo.“ Damit verabschiedete er sich.

Don Camillo war der katholische Pfarrer, den Spitznamen hatte er von mir, weil er viele Gemeinsamkeiten mit Don Camillo in Italien hatte, mit dem Vatikan hatte er nicht allzu viel im Sinn, denn der war ja auch weit genug weg. Ansonsten hatte er das Herz auf dem rechten Fleck. Wir hatten viel Schönes, aber auch Unschönes gemeinsam erlebt, er war also nicht nur unser Seelsorger, sondern auch Freund.

Jonathans Besuch war in unserem Komplex nicht unbemerkt geblieben, er war ja kein Unbekannter. Vor allem June – sie vertrat das Komitee – musste vor Neugier platzen. So stand sie am nächsten Morgen vor unserer Tür, um die Tageszeitung zu bringen, irgendeinen Vorwand musste sie ja haben.

Ich wimmelte sie freundlich ab, es sei nur ein Freundschaftsbesuch gewesen, sagte ich. June verschwand, aber die Zweifel waren ihr anzusehen.

Als wir unser Reihenhaus bezogen, war June eine eingefleischte Rassistin, man würde keine Schwarzen im Komplex dulden, hatte sie verkündet. Sie sprach von „dulden“, denn während der Apartheid war es für Schwarze verboten, sich außerhalb der zugewiesenen Townships anzusiedeln.

Nanikis gewinnende Art, ihr Stolz und unser Gesang hatten June vom Gegenteil überzeugt. In den Augen der Nachbarn war ein Wunder geschehen, denn June und Naniki wurden Freunde. Bewegende Szenen hatten sich damals abgespielt.

Prompt rief Don Camillo am nächsten Morgen im Büro an, um seinen Besuch anzukündigen, er wolle mit uns besprechen, was zu tun sei, denn der Bericht von Jonathan sei doch sehr bedenklich.

Don Camillo erschien pünktlich und nachdem er seine Miniration Cognac aus den Tiefen seiner Taschen hervorgekramt hatte, ließen wir uns im Garten nieder. Wir diskutierten den Bericht vom Geheimdienst und stellten schnell fest, dass es eigentlich nichts zu diskutieren gab, außer dass wir alle auf der Hut sein mussten. Stets wachsam zu sein, funktioniert aber nur in der Theorie, in der Praxis ist es unmöglich, wir wussten es ja aus eigener Erfahrung. Daher beschlossen wir, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen und unser alltägliches Leben fortzusetzen – ohne Stress oder Angst.

So wechselten wir das Thema und beendeten schließlich den Abend mit einem Bier für mich und Don Camillo mit seinem Cognac. Merkwürdig war nur, das Naniki fast den ganzen Abend geschwiegen hatte, ahnte sie vielleicht etwas? Ihre für mich schon unheimliche Fähigkeit, Dinge vorauszusehen, hatte sie in unserer turbulenten Vergangenheit oft genug bewiesen.

Es war unser unausgesprochenes Ziel, die Wunden der unmenschlichen Apartheid zu heilen, und die vielfältigen Völker und Kulturen Südafrikas einander näherzubringen. Das Rezept war ganz einfach: Verständnis, Respekt und ein gehöriges Maß an Toleranz.

Seit dem Tag unseres Kennenlernens 1983 haben Naniki und ich nach diesem Rezept gelebt und sind dabei zu einem unzertrennlichen Paar geworden, obwohl wir aus völlig unterschiedlichen Kulturen stammen.

Dass einige der ehemals „Weißen Herrscher“ ihre Macht zurückhaben wollten, war irgendwie verständlich, aber die Tatsache, dass sie nach wie vor behaupteten, es sei ihr Land, das Land ihrer Väter, machte mich wütend und brachte Naniki auf die Palme.

Wissenschaftler aus der ganzen Welt sind sich inzwischen einig, dass der Urmensch im südlichen Afrika entstanden ist, und zwar in den Höhlen von Sterkfontein, ca. 100 km westlich von Johannesburg.

Naniki erzählte oft Legenden aus ihrem „Homeland“, wonach schon die Ur-Urahnen glücklich und zufrieden im südlichen Afrika gelebt haben, bis die Europäer kamen …

Dass 40 Millionen Schwarze seit Generationen von nur 5 Millionen Weißen im eigenen Land ohne Revolution unterdrückt werden konnten, war ein Wunder. Anfang der 90er-Jahre wäre es, fast so weit gewesen, wenn man Nelson Mandela nicht nach 27 Jahren Haft entlassen hätte. 1994 wurde die erste Demokratie nach deutschem Vorbild eingeführt, gleiches Recht für alle und freie Wahlen.

1994 wurde Nelson Mandela zum Präsidenten gewählt. Die Apartheid war beendet. Wirklich? Es brodelte nun im Untergrund weiter, die noch verbliebenen Rassisten fingen an, sich zu organisieren und genau denen waren Naniki und ich wegen unserer Aktivitäten ein Dorn im Auge.

Man wollte uns weghaben, es war ihnen auch fast ein paar Mal gelungen, wenn wir nicht unsere Schutzengel gehabt hätten – Zitat von Naniki.

Naniki und ich saßen in unserem Garten, es war schon lange dunkel und wir schauten in den wunderschönen Sternenhimmel, das Kreuz des Südens war deutlich zu sehen, als Naniki plötzlich die Stille unterbrach. „Als wir uns damals kennenlernten“, sagte sie, „wusste ich schon am ersten Abend, was aus uns werden wird.“

„Und was ist aus uns geworden?“, fragte ich lächelnd.

„Eine wunderschöne Liebe zwischen zwei völlig unterschiedlichen Menschen“, sagte sie, „eine Liebe, die trotz aller Hindernisse und gefährlichen Episoden standgehalten hat, ich wünsche mir, dass es so bleibt, egal, was passiert …“

Dann stand sie auf und ging in Richtung Küche, diesmal irritierte mich ihr Gesang, denn bei mir klingelten sämtliche Alarmglocken, weil sie genau das schon einmal gesagt hatte …!

Ich war Baustellenleiter für eine deutsche Firma, die für die Trockenkühlung eines im Bau befindlichen Kraftwerks tätig war, während Naniki als gelernte Kosmetikerin für eine französische Firma arbeitete. Dass meine Baustelle 400 km entfernt mitten im afrikanischen Busch an der Grenze zu Botswana lag, wurde gerade jetzt wieder zu einem Problem, weil ich oft mehrere Tage zusammenhängend auf der Baustelle verbringen musste. Naniki würde dann allein sein, ausgerechnet jetzt, wo wir offensichtlich wieder zur Zielscheibe für die Rassisten wurden. (Ich nannte sie Nazis, denn Hitlers „Mein Kampf“ war während der Apartheid eine beliebte Lektüre.)

Als ich am Freitagabend nach Hause kam, saß Naniki schon im Garten, sie begrüßte mich liebevoll, dann schob sie mir wortlos einen Zettel über den Tisch, sie hatte ihn außerhalb des Komplexes im Briefkasten gefunden, ich ahnte nichts Gutes …

Ohne den Zettel anzufassen, las ich die handgeschriebene Zeile: Schwarze Nutte, deine Zeit ist abgelaufen!

Sofort rief ich Jonathan an, er versprach, sofort zu kommen. „Bitte nicht anfassen“, sagte er noch.

Erstaunlich schnell saß Jonathan an unserem Tisch im Garten, vorsichtig steckte er den Zettel in ein Plastiktütchen – für den Erkennungsdienst, meinte er, wir wollen wissen, woher dieser Zettel stammt. So schnell er gekommen war, nahm er auch wieder Abschied.

Dabei bemerkte ich, dass außerhalb des Komplexes ein Wagen stand, in dem zwei Männer saßen … wir wurden wieder überwacht oder besser – wir wurden beschützt.

Als ich meine Beobachtung an Naniki weitergab, blieb sie stumm, ich wollte aber eine Antwort und bekam sie auch. „Jonathan hat uns verschwiegen, was er weiß“, sagte sie.

“Wahrscheinlich aus gutem Grund, er will uns nicht beunruhigen“, erwiderte ich.

„Ja“, sagte Naniki, „er weiß genau, dass wir uns von diesen Rassisten nicht einschüchtern lassen. In Unfreiheit und Würdelosigkeit bin ich aufgewachsen, von dir habe ich gelernt, dass es Freiheit wirklich gibt, sie ist das höchste Gut auf Erden. Nelson Mandela hat gesagt: Die Würde und die Freiheit des Menschen sind unantastbar.“

„Wir beide haben gemeinsam der Unfreiheit die Stirn geboten, heute bin ich frei und werde es immer sein – immer! Dafür habe ich gekämpft und werde weiter kämpfen, denn scheinbar ist der Kampf noch nicht beendet …“

Diese Worte klangen mir noch in den Ohren, als ich ihren Gesang aus der Küche hörte, als sie wieder kam, stellte sie mir eine Flasche Bier vor die Nase, küsste mich und verlor kein einziges Wort über die eben noch geführte Konversation, sie war wie umgewandelt, fröhlich und gut gelaunt.

Ich war irritiert von ihrem Verhalten, denn ich wusste genau, dass sie mir etwas verschwieg. Ihre Fähigkeit, Dinge vorherzusehen, war mir unheimlich, denn sie hatten sich in der Vergangenheit immer bewahrheitet. Früher hatte ich sie öfters darauf angesprochen, bekam aber nur einmal eine Antwort, nämlich, dass Gott ihr diese Gabe geschenkt hätte. Mit dieser Gabe hatte sie mir zweifellos einmal das Leben gerettet, seitdem habe ich nie wieder gefragt.

Nur allmählich verloren sich meine düsteren Gedanken durch Nanikis fröhliche Art, negative Erlebnisse einfach zu vergessen, nur das Positive zählte, die Vergangenheit war gestern. Niemals nach hinten schauen, sondern nur nach vorne, war ihre Devise.

Es war schon spät geworden, wir hatten viel gelacht, als Naniki schlafen gehen wollte. Ich schaute ihr nach, als sie nach oben in die Schlafräume ging. Als ich Naniki 1983 kennenlernte, war ich von ihrer hochgewachsenen, schlanken Figur und von ihrer Schönheit fasziniert, das bin ich auch heute noch, nur dass ihre inneren Werte jetzt den höchsten Stellenwert haben.

Samstagabend fuhren wir in unsere Stammkneipe, das Schwabing-Restaurant. Nicht nur der Name war bayrisch, auch die Innenausstattung war typisch, man fühlte sich ins tiefste Bayern versetzt.

Auch Margret, die Wirtin, passte genau dorthin. Die Kundschaft war überwiegend deutsch, allerdings trauten sich immer noch keine Schwarzen in das „weiße“ Lokal, obwohl sie es jetzt durften. Naniki war die Ausnahme. Episoden, für die sie in der Vergangenheit gesorgt hatte, wurden noch gerne an der Theke zum Besten gegeben, besonders die, als sie den Mann, der mir ein blaues Auge verpasst hatte, draußen vor dem Eingang ins Land der Träume geschickt hatte.

Es war schon fast eine Legende, denn nie hatte je einer gesehen, wie Naniki sich so „durchschlagend“ wehren konnte.

So kursierten verschiedene Versionen, wie Naniki das wohl gemacht haben könnte, nur ich wusste es.

Margret begrüßte uns, indem sie uns an ihren gewaltigen Busen drückte, erst als wir nach Luft schnappten, ließ sie uns los. Nach der Begrüßung der Stammkunden wies Margret uns einen gemütlichen Tisch zu, wir bestellten sofort, denn die Speisekarte kannten wir auswendig.

Wir verzehrten genussvoll unser Eisbein mit Sauerkraut, als Naniki plötzlich fragte, ob ich bemerkt hätte, dass die „Aufpasser“ vom Geheimdienst uns gefolgt waren.

„Nein“, sagte ich.

„Sie sind aber hier und lungern draußen vor der Tür herum, ab und zu schauen sie kurz mal zur Tür herein“, sagte sie.

Ich hatte nichts bemerkt, da ich mit dem Rücken zum Eingang saß, aber Margret hatte es spitz bekommen. Nachdem wir gegessen hatten, setzte sie sich an unseren Tisch, leise fragte sie: „Was ist denn jetzt schon wieder los?“

„Nichts“, sagte Naniki knapp.

„Auf blauen Dunst sind die euch nicht gefolgt, es liegt doch etwas in der Luft, ich kann es riechen“, sagte Margret immer noch leise.

Nachdem Naniki „nichts“ gesagt hatte, würde sie auch nichts mehr sagen, sie war nämlich in Richtung Küche verschwunden. Kurz danach hörten wir Naniki und das schwarze Personal in der Küche singen. Naniki legte Wert darauf, dass die Traditionen erhalten bleiben, denn Singen gehörte beim Kochen dazu.

Margret gefiel das. „Es klingt so fröhlich, irgendwie befreit, voller Lebensfreude“, sagte Margret noch immer leise. Naniki besuchte stets die Küche, wann immer wir im Schwabing einkehrten – Tradition eben …

Ein Stammgast sagte einmal, immer wenn die Frauen in der Küche singen, lösen sich die Alltagssorgen in Luft auf, wir Weißen sollten davon lernen …

Inzwischen saß Naniki wieder an unserem Tisch, wir plauderten über belanglose Dinge, als wir plötzlich Besuch bekamen. Ohne zu fragen, setzten sich Jonathan und seine Ehefrau an unseren Tisch. „Wir wollen nur etwas essen“, meinten die beiden. Dass das nicht stimmte, wussten Naniki und ich sofort, es lag ja in der Luft. Margret verschwand diskret, sie wusste, dass sie hier jetzt überflüssig war, außerdem wusste sie über die Identität von Jonathan Bescheid.

Es war ein ungewöhnliches Bild im Schwabing, ein schwarzes und ein schwarz-weißes Ehepaar.

Margret ließ uns nicht aus den Augen, sie war einfach neugierig, aus der Vergangenheit wusste ich aber, dass sie die Klappe halten konnte.

Jonathan und Maria bestellten sich tatsächlich etwas zu essen. Wir waren gespannt, was nun danach kommen würde. Unklar war nur, ob Jonathan seine Frau zuhören ließ, denn er hatte stets Beruf und Familie getrennt gehalten. So auch diesmal, ein kurzer Blick und Maria verschwand in Richtung Theke, gefolgt von Naniki, die nicht wollte, dass sich Maria allein an die Bar setzte. Wieder ein seltsames Bild, zwei schwarze Frauen im Schwabing, noch dazu an der Theke!

Im Beisein von Naniki würde niemand versuchen, die Frauen anzubaggern, das hatten schon zweimal Männer mit Naniki auf ganz fiese Art versucht, allerdings mit nachhaltigen Folgen …

Jonathan und ich bestellten uns noch je ein Bier, Margret bediente uns. An ihrem Gesicht sah ich, dass sie nur zu gerne gewusst hätte, was nun in ihrem Lokal besprochen wurde.

Jonathan kam sofort zur Sache. „Wir haben in den letzten Tagen eine Menge Informationen erhalten“, sagte er, „die Gerüchteküche brodelt im Untergrund, auch häufen sich die Meldungen von unseren Informanten, ich werde dir jetzt nur erzählen, was wir auch nachvollziehen können. Die afrikanische Widerstandsbewegung (AWB), die ja nicht im Untergrund arbeitet, sondern geduldet wird, hat sich mit den Rassisten in geheimer Mission zusammengetan. Ziel ist es, ‚ihr‘ Vaterland von den nichtarischen Elementen zu befreien bzw. zu säubern. Ich habe gestern schon den israelischen Geheimdienst informiert, der allerdings längst Bescheid wusste. Wie du weißt“, sagte Jonathan, „ist die jüdische Gemeinde in Südafrika sehr groß und lebt schon seit Generationen hier, die meisten waren vor den Nazis im Zweiten Weltkrieg geflüchtet oder einfach emigriert, weil Südafrika das erste Land nach dem Weltkrieg war, welches Israel als eigenständigen Staat anerkannt hatte.“

„Aber das hatten wir so oder ähnlich schon einmal“, sagte ich.

„Ja“, sagte Jonathan, „aber diesmal sind die Karten anders gemischt, es gibt eine neue Führung und damit soll die AWB nichts zu tun haben, jedenfalls nach außen nicht erkennbar, wir vermuten allerdings, dass die AWB aus eigenen Interessen stark kooperiert, inoffiziell natürlich. Der alte Führer, genannt „Maulwurf“, ein abtrünniger Geheimdienstler, hatte uns bzw. Naniki ziemlich zugesetzt bis er schließlich von Jonathan bei einem Feuergefecht in Notwehr erschossen worden war, das fiel mir in dem Zusammenhang gerade ein. Dir als Freund habe ich nun erzählt, was ich eigentlich nicht darf, es ist aber notwendig, weil ihr unmittelbar gefährdet seid, und das seid ihr wirklich! Ihr habt sicher schon bemerkt, dass wir euch wieder überwachen, und zwar Tag und Nacht.“

„Das haben wir“, sagte ich etwas zögerlich.

„Bitte informiere mich, wenn ihr verreisen wollt, ich fahre jede Woche zu meiner Baustelle“, warf ich ein.

„Ich weiß, das ist in Ordnung“, sagte er, „unser Augenmerk bezieht sich hauptsächlich auf deine Frau, sie ist diejenige, die den Kampf gegen den Rassismus niemals aufgeben wird …“

Jonathan unterbrach sich selbst, denn Maria und Naniki nahmen wieder an unserem Tisch Platz.

Es wurde nicht spät an diesem Abend, Naniki war schweigsam, sie wusste sehr wohl, was das Thema der Besprechung war, auch bemerkte ich, dass etwas in ihr vorging. Da es mir ähnlich ging, verabschiedeten wir uns von Maria und Jonathan, aber auch von Margret, deren fragender Blick mir nicht entging. Diesmal bemerkte ich unser Gefolge im Rückspiegel.

Wir lagen schon im Bett, als Naniki plötzlich fragte, ob wir Sonntag in die Kirche gehen können.

„Aber das tun wir doch immer“, sagte ich.

„Ja“, sagte sie, „aber morgen ist nicht immer …“

Über diese Bemerkung musste ich nachdenken, konnte aber nicht allzu viel damit anfangen.

Ich versuchte noch, ihre Bemerkung zu hinterfragen, musste aber feststellen, dass Naniki eingeschlafen war.

Am nächsten Morgen frühstückten wir gemeinsam im Garten, dabei beobachtete ich Naniki aus den Augenwinkeln. Sie verhielt sich aber wie immer, fröhlich und gut gelaunt, trotzdem wurde ich das beklemmende Gefühl nicht los, dass etwas in der Luft lag.