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Table of Contents

Titel

Impressum

Widmung

ANSTELLE EINES VORWORTES: WAS WILL DIESES BUCH?

WAS WILL DIESES BUCH NICHT?

Erster Teil - 1. Kapitel: Die Zelle

2. Kapitel: Abteilungen der Zelle oder die Zellorganellen

3. Kapitel: Intermezzo: Wer bezahlt das alles? Der Energiehaushalt der Zelle

4. Kapitel: Was kann die Zelle noch?

5. Kapitel „Was du nicht willst, das man dir tu …“

6. Kapitel: … und im Rudel?

Zweiter Teil - 7. Kapitel: Nun endlich: Gentechnik live

8. Kapitel Verlagsarbeit und Buchhandel oder die Manipulation der Gene

9. Kapitel: Und was kann man damit anfangen?

10. Kapitel: Götterdämmerung

11. Kapitel Gentechnik um die Ecke: BSE et al.

12. Kapitel: Zwischenbemerkung

GLOSSAR

Publikationen Dr. Hanns-Rüdiger Graack und Lesezeichen

 

 

 

 

Dr. Hanns-Rüdiger Graack

 

 

Fluch oder Segen?

Gentechnik für (absolute) Laien

 

 

Wahn und Wirklichkeit Band 1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Verlag DeBehr

 

Copyright by Dr. Hanns-Rüdiger Graack

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2017

ISBN: 9783957534491

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by © Gina Sanders, © hywards

 

– Für meine Frau –

 

ANSTELLE EINES VORWORTES: WAS WILL DIESES BUCH?

 

„Gentechnik“ ist für viele ein Schreckenswort. Gentechnik ist furchtbar kompliziert, niemand weiß genau, was man damit alles anstellen kann, und sie wird von Leuten gemacht, die nur in den seltensten Fällen dem Normalbürger verständlich erklären können, was sie sich da in ihren Labors zurechtkochen. Und schon gar nicht, ob ich, der 08/15-Steuerzahler, davon betroffen bin. Und wenn ja, ob ich negativ oder positiv davon betroffen bin. (Die konservative Definition von „betroffen“ findet hier Anwendung. Das ortsferne Gefühl alleine reicht also nicht!) Zumeist scheitert die Verständigung zwischen einem Gentechniker und einem ordinären Nicht- oder Doch-Wähler schon an der Fremdheit der gentechnischen Sprache und ihrer Ausdrücke (wie bei den Bankern, Jägern und Medizinern). Dieses Buch will mit den Worten und Vergleichen des Alltags das Nichtalltägliche der Gentechnik all denen erklären, die schon mit den Silben „rechtsdrehend“ auf Joghurtbechern und auf dem Holzschutzmitteletikett ihre Schwierigkeiten haben. Mit unwissenschaftlichen Worten soll unvorstellbare Wissenschaft – und vor allem die Konsequenzen – vorstellbar gemacht werden. Wissenschaftliche Fachausdrücke werden schon genannt, damit die Zusammenhänge der unwissenschaftlichen Erklärungen mit der veritablen Wissenschaft erkennbar bleiben. Für den unbedarften Leser, und für den ist dieses Buch geschrieben, sind Fachausdrücke aber allenfalls als Auslöser für ein „Aha!“-Erlebnis vorgesehen, wenn sich der Sinn eines bisher unverständlichen terminus technicus, also eines „technischen Ausdrucks“, ganz plötzlich erschließt. Niemand muss für das Verständnis dieser Seiten Fachchinesisch lernen; und die Aufforderungen, gerade Gelesenes wieder zu vergessen, haben durchaus Absicht und Methode. Wer’s ganz genau wissen will, kann auch hinten im Glossar noch einmal nachschlagen. In diesem Lesebuch sollen stattdessen Vergleiche und Ausdrücke aus dem prallen Leben helfen, Dinge verständlich, vor allem anschaulich zu machen, die sich der direkten Betrachtung in Form von plakativen Fotos, Reality-TV oder Talkshows entziehen. Deswegen, und um den kritischen Verstand zum Tätigwerden anzuregen, verzichtet dieses Buch bewusst auf Bilder und grafische Darstellungen.

Gentechnik ist ein strittiges Thema und daher Nährboden für eine Vielzahl qualifizierter und unqualifizierter Stellungnahmen, besonders, wenn detaillierte und fachliche Informationen gar nicht gewünscht sind. Eine Absicht dieses Buches ist, die Unterscheidung zwischen anstößigem Gelaber und tatsächlicher, wertfreier wissenschaftlicher Erkenntnis zu erleichtern. „Wertfrei“ meint so etwas wie „die Schwerkraft hat immer recht“! „Wertfrei“ meint nicht „politisch opportun oder korrekt“! Neben der fachlichen Information werden die folgenden Seiten also weitere darüber hinausgehende (auch politische, unkorrekte zumal!) Informationen hinzufügen. Über deren Qualifizierung möge der geneigte Leser oder die geneigte Leserin selbst urteilen, aber ganz kommentarlos kann man das, was derzeit in diesem unserem Lande zum Thema Gentechnik geschieht, nicht lassen.

Und noch etwas: Die Gentechnik selbst ist keine eigenständige Wissenschaft. Auch Bezeichnungen wie „Institut für Genbiologische Forschung“ oder „Max-Planck-Institut für molekulare Genetik“ würden unzutreffend gedeutet, wenn man in ihnen Orte sieht, in denen vornehmlich die Gentechnik als solche erforscht wird. Das heißt im Umkehrschluss, dass auch im „Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie“ MPIIB und bei Monsanto Inc. Gentechnik vorkommt, sogar eine ganze Menge.

„Gentechnik“ ist ein weitverbreitetes Handwerk, ist ein Sammelbegriff für all das, was und wie der Mensch mit den Handwerkzeugen, die die Natur ihm liefert, an den Genen verändern kann und damit auch an den Lebewesen, denen diese veränderten Gene wieder eingesetzt werden. „Handwerkzeuge, die die Natur ihm liefert ...“: Bisher hat der Mensch eigentlich erst eins, vielleicht zwei (s. u.) der gentechnischen Werkzeuge wirklich selbst erfunden, wie z. B. das Prinzip Auto, das es vor Gottlieb Daimler einfach noch nicht gab. Alles, fast alles (Ausnahmen später!) haben wir Gentechnologen in der Natur irgendwo vorgefunden, für die Gentechnik variiert, angepasst und modifiziert; so wie man einen auf der Straße gefundenen Metabo®-Handbohrer mit allerlei Vor- und Zusätzen für viele andere Zwecke auch noch einsetzen kann. Aber erfunden haben wir den Handbohrer nicht, so souverän wir ihn inzwischen auch zu bedienen wissen.

 

WAS WILL DIESES BUCH NICHT?

 

Es will nicht umfassend informieren und es will aus seinen Lesern keine Gentechniker machen. Um ein erfahrener Gentechniker zu werden, braucht man eine lange Zeit, und die ist nicht so schön wie die, die man braucht, um ein ausgewiesener Kenner der Bordeaux-Weine zu werden. Deutsche Studiengänge sind berühmt für ihre Längen und die „Molekularbiologie“, so der wissenschaftliche Ausdruck für die wichtigste Teildisziplin der Genklempnerei, macht da keine Ausnahme. Was also an den Universitäten Jahre dauert, das kann ein solches Buch nicht in ein paar Stunden leisten. Umfassend und universell zu informieren ist sowieso unmöglich, denn ca. 40.000 bis 50.000 (in Worten: fünfzigtausend) wissenschaftliche Veröffentlichungen weltweit pro Jahr, die irgendetwas mit der Gentechnik zu tun haben, lassen sich auch in geraffter Form und jährliche aktualisierten Auflagen nicht zwischen zwei Buchdeckeln und auf 400 Gramm Papier oder auf einer DVD unterbringen. Das führt notgedrungenermaßen zu Vereinfachungen, vor allem wissenschaftlichen Vereinfachungen, die einer Konfrontation mit den letzten und aktuellsten Verästelungen der exakten Naturwissenschaften nicht standhalten. Man möge mir dies nachsehen, einerseits weil für das Verständnis der Gentechnik per se („an sich“) die Kenntnis der letzten und aktuellsten Verästelungen der exakten Naturwissenschaften nicht notwendig ist, andererseits die „Erklärwirkung“ des Textes, seine Verständlichkeit also, mit steigender Kompliziertheit abnimmt, wie jeder Universitätsbesucher mit zahlreichen Beispielen nicht nur aus der Molekularbiologie belegen kann. Zu Deutsch: Je komplizierter (und exakter) ein Text, desto weniger verständlich.

Und mir kommt es hier auf Verständlichkeit an, nicht auf die Exaktheit. Exakte Texte über die Gentechnik gibt es genug, aber es mangelt an Verständnis.

Außerdem wird in diesem Buch auch etwas über Dinge zu lesen sein, die nichts mit der Gentechnik zu tun haben, aber gern mit ihr in einen Topf geworfen werden: z. B. „Retortenbabys“, „BSE“ und auch die leidige Diskussion um die Stammzellen und die „Präimplantationsdiagnostik“ (PID). Informationen darüber dienen hauptsächlich dem Zweck, die Grenzen zur Gentechnik aufzuzeigen, vor allem gegenüber dem Schwachsinn, der der Gentechnik sonst noch so zugemutet wird. Auch andere Themen aus dem Grenzgebiet von Medizin, Gentechnik und Biologie, wie z. B. das therapeutische Klonen, die Züchtung von Organen in der Schale und die Gentherapie kommen zur Sprache. Für detailliertere und umfangreichere Information sowie weitere politische Unkorrektheiten verweise ich auf die „Gentechnik – Wahn und Wirklichkeit 2“. Vieles, was heutzutage hierzulande mit Schaudern in der Stimme der Gentechnik angelastet wird, hat gar nichts damit zu tun. Es werden deshalb aber auch, und hier begebe ich mich wissentlich auf gefährliches Terrain, sprich dünnes Eis, verschiedene gesellschaftliche Aspekte der Gentechnik angesprochen werden. Jeder weiß, dass abseits der harten wissenschaftlichen Realitäten an der „Bench“, dem Labortisch, gesellschaftliche Dinge diskutabel sind und Meinungen gebildet und formuliert werden, die so variabel sind wie die Windrichtung und der Luftdruck. Aber die Gentechnik als Technologie schwebt nicht im gesellschaftsfreien Raum, sondern ist Gegenstand lebhaftesten Politisierens. Aber (beliebige) Meinung und Wissenschaft sind nicht das Gleiche! Das ist das Dilemma der Gentechnik und damit auch meines.

Und nun viel Spaß bei einer unwissenschaftlichen Lesereise durch die Gentechnik!

 

Erster Teil

 

1. Kapitel: Die Zelle

 

1.1 Warum „Zellbiologie“? – Ich dachte „Gentechnik“?

 

Die ersten Kapitel beschäftigen sich mit der Zelle (engl. „cell“). – Moment. Ich habe das Buch wegen der „Gentechnik“ gekauft. Der Titel suggeriert, dass ich hier was über die Gentechnik lernen kann, sogar ich! Aber von „Zellen“ und „Zellbiologie“ war nicht die Rede, da hat mich die Schule vor Jahren und Jahrzehnten mit einem Grundwissen ausgestattet und davon ist noch was übrig! Da brauche ich nach so vielen Jahren keine teure Auffrischung. – Nicht wahr, die Erde ist immer noch eine Scheibe und Otto Einstein hat sowieso das Meiste schon herausgefunden … oder wie hieß der gleich noch?

„Gentechnik“ bedeutet die gezielte Veränderung von Genen von Lebewesen und diese die gezielte Veränderung von Lebewesen, also einzelnen Zellen oder auch Anhäufungen von Zellen vulgo „Vielzeller“ durch diese gezielt veränderten Gene. Daher müssen wir uns damit befassen, wie es normalerweise oder unnormalerweise in Zellen als Träger des Lebens zugeht, das Ganze auf möglichst aktuellem Stand. Wir müssen wissen, was im Zellablauf als „normal“ gilt und was verändert wird (Was ist ein Gen?) und was das für Auswirkungen hat und warum. Es reicht nicht, ein Gen zu manipulieren, es zu verändern; es bleibt im höchsten Fall ein Häufchen, besser ein Stäubchen; oder ein Tröpfchen genetisch veränderten Materials. Was ist „genetisch verändertes Material“? Wir müssen wissen, was dieses Stäubchen in einer Zelle (Was ist eine Zelle?) alles anrichten kann, warum es erst in einer Zelle zum Leben erwacht und wie. Dazu müssen wir wissen, was eine Zelle ist, was ein Gen ist und wie es zellbiologisch funktioniert, was es also kann und was nicht. Leider, aber nicht zu ändern. (Lassen Sie sich die Lesefreude aber nicht vermiesen! Es wird trotzdem unterhaltsam.)

Also noch einmal: Die ersten Kapitel beschäftigen sich mit der Zelle (engl. „cell“). Zellen sind die kleinsten Bauteile der belebten Natur, so wie Chip-Schaltungen für einen Computer oder Sandkörner für eine Strandburg. Im Gegensatz zu Chips und Sandkörnern aber „leben“ die Zellen (wobei wir an dieser Stelle fundamental-philosophische Basisdiskussionen jeder Art ausklammern). Noch kleinere Naturbauteile, die aus noch weniger verschiedenen Einzelteilen zusammengesetzt sind und trotzdem leben, gibt es nicht. (Auch hier keine biologisch-philosophischen Basisdiskussionen bitte! Was „Mycoplasmen“ und „Viroide“ sind, weiß ich! Wer’s nicht weiß, braucht es für dieses Buch auch wirklich nicht zu wissen!)

Zellen sind sehr klein. Die größten menschlichen Zellen erreichen gerade mal einen Millimeter im Durchmesser. Die allermeisten sind aber viel, viel kleiner, ein zehntel oder ein hundertstel Millimeter und auch noch kleinere kommen in der Natur vor. Also für das unbewaffnete Auge unsichtbar. Unter dem Mikroskop kann man sie betrachten und man kann erkennen, dass sie alle eine Wand haben, die das Innere der Zelle vom Äußeren trennt. Außerdem haben sie verschiedene Formen und Eigenschaften, je nachdem, welche Aufgabe sie erfüllen. Zellen können sich zu größeren Einheiten zusammensetzen, zu Organen und ganzen Lebewesen, Pilzen, Pflanzen und Tieren. Eine Besonderheit sind die Lebewesen, die nur aus einer einzigen Zelle bestehen, sogenannte Einzeller. Zu diesen Einzellern gehören alle Bakterien, Hefe oder die vielleicht noch aus der Schule bekannte Amöbe – im Gegensatz zum Menschen, der als ausgewachsenes Exemplar mehr als 100 Billionen Zellen enthält (100 000 000 000 000; also die deutsche „Billion“, nicht die amerikanische!). Ich werde neben der bloßen Beschreibung der Einzelteile einer Zelle auch deren Funktionen und vor allem ihr Zusammenwirken mit den anderen Bestandteilen der Zellen besprechen, um eine Vorstellung davon zu vermitteln, was der Mensch eigentlich anstellt, wenn er die Gene einer Zelle verändert. Denn eine gentechnische Veränderung wird erst dann interessant, wenn ihre Auswirkungen auf einen lebenden Organismus manifest werden. Daher ist eine gewisse Vorstellung darüber, was eine Zelle ist und wie sie im Zusammenspiel ihrer Komponenten funktioniert, notwendige Voraussetzung für ein Verständnis der Gentechnik.

 

1.2 Was ist eine Zelle?

Wenn Ihnen als rastlos arbeitendem Menschen besorgte Freunde etwas Gutes tun wollen, um Sie endlich einmal zu Ruhe und Muße zu zwingen, dann schenken sie Ihnen ein Puzzle aus 3000 Teilen, das Matterhorn etwa oder eine beleuchtete Skyline von New York. Wenn Sie nun den Haufen von Puzzlestückchen, den Sie vor sich ausgeschüttet haben, betrachten, mag Sie schier die Verzweiflung packen: Alle sehen in etwa gleich aus, sind es aber nicht; auf der Vorderseite ein Stückchen buntes Papier, das irgendeinen winzigen Ausschnitt darstellt. Das Ganze auf einem einigermaßen stabilen Karton, damit Sie nicht beim gedankenverlorenen Fingerspiel, während die Augen suchend über den Tisch gleiten, gleich eine Ecke abbrechen. Auf der Rückseite überall das gleiche langweile Muster, das Ihnen auch nicht den leisesten Hinweis gibt, wohin dieses Teilchen gehört. Kein Zweifel, Sie können ein Puzzleteilchen ohne zu zögern als ein solches erkennen, wenn es Ihnen vielleicht einmal zwischen die Wollmäuse unter dem Sofa geraten sein sollte, denn jedes Puzzleteilchen teilt mit den anderen Eigenschaften, die es unzweifelhaft als solches identifizieren. So ein Puzzleteilchen ist das kleinste „Bauteil“ eines Puzzles, das sich aus vielen, vielen solcher Bauteile zusammensetzt. Teile von Bauteilen, halbe Puzzleteilchen, gibt es nicht, denn sie sind ja kaputt und nicht weiter zu gebrauchen. Aber, und das gilt für Puzzleteilchen wie für Zellen, jedes ist individuell, keines gleicht dem anderen völlig, auch wenn sie aus dem gleichen Karton stammen und Teil der gleichen Skyline sind.

Zellen sind die kleinsten Bauteile des Lebens. Halbe Zellen gibt es nicht, denn sie leben nicht. Aus vielen einzelnen Zellen setzen sich alle größeren lebenden Gebilde zusammen; wir nennen diese dann mehrzellige Lebewesen, Pilze, Pflanzen, Tiere, Menschen. Alle Zellen, und seien sie noch so verschieden – man vergleiche einmal Rindersteak(zellen) mit Kartoffel(zellen) mit Backhefe(zellen) mit Stubenfliegen(zellen) oder mit japanischen Meeresalgen(zellen)! – haben einige Eigenschaften gemeinsam: Zellen haben einen „Stoffwechsel“, einen Umsatz von Materialien, die hineinkommen, und von Produkten und von Abfall, die herauskommen. Dabei werden Energie und Zwischenprodukte gewonnen (Leben kostet!). Letztere können wieder verwendet werden für Wachstum. Zellen können größer werden, und wenn sie eine bestimmte Größe erreicht haben, können oder müssen sie sich teilen. Aus eins mach zwei. Vermehrung könnte man es auch nennen. Zellen können sich bewegen, sei es als Ganzes (Bakterien, die durchs Wasser schwimmen, Zellen der körpereigenen Abwehr, die durch den Körper kriechen) oder in Teilen, indem sie „Zellfüßchen“ ausstrecken (Denken Sie an die Amöben!) und Shakehands mit anderen Zellen machen. Nicht alle Zellen tun das. Zellen reagieren auf Reize, also Informationen von außen, z. B. Licht, Futter, Temperatur. Pantoffeltierchen sind winzig kleine Organismen, die nur aus einer Zelle bestehen und unter dem Mikroskop so aussehen wie sie heißen. Schon bei diesen einfachen Lebewesen kann man beobachten, dass sie auf eine Lichtquelle zu- und von einem Hindernis, gegen das sie geprallt sind, wegschwimmen. Zu den wichtigsten Reaktionen, die Zellen auf Reize von außerhalb zeigen, gehört die Erkennung von „Selbst“ und „Nicht-Selbst“ (so nennen es die Biologen), verständlicher gesagt, von Freund und Feind. Eine funktionierende Freund-/Feind-Erkennung ist die Voraussetzung für den Zusammenschluss einzelner Zellen zu Gruppen, zu mehrzelligen Organen und Organismen und für die Erkennung und Abwehr von Feinden wie Bakterien oder Parasiten. Die Klassifizierung einer Spenderniere als „Nicht-Selbst“ durch die Zellen des Empfängers ist die Ursache für die Abstoßung von Organen bei Transplantationen. Nicht zuletzt, um diese Nicht-Selbst-Erkennung zu unterdrücken, müssen Organempfänger lebenslang Medikamente schlucken. Gerät die Freund-/Feind-Erkennung innerhalb eines vorher gesunden Körpers aus den Fugen, entwickeln sich Autoimmunkrankheiten wie z. B. Multiple Sklerose oder bestimmte Diabetesformen, also Attacken des Körpers gegen eigene Bestandteile.

Viren sind nach dieser Definition keine Zellen! (Zur Beruhigung der fundamentalen Philosophie-Biologen!) Viren leben nicht, sie bewegen sich nicht (unter Energieaufwand; ja, ja, die Konformationsänderungen bei der Injektion von Phagen-DNA sind mir bekannt), sie wachsen nicht, sie haben keinen Stoffumsatz, sondern nutzen den Stoffwechsel ihrer Opfer und sie reagieren nicht auf Reize. Trotzdem brauchen sie fast alle diese Fähigkeiten, und da sie selbst nichts können, bedienen sie sich der nötigen Bestandteile ihrer Opfer.

Zur Erleichterung des Verständnisses vergleichen wir eine Zelle und deren Betrieb – bei allen Unterschieden – mit einer großen Fabrik, in der viele verschiedene Dinge wie die schon genannten Zwischenprodukte einschließlich der Arbeiter hergestellt werden. Die meisten Produkte werden für den Eigenbedarf der Fabrik hergestellt, andere können exportiert werden oder die Fabrik kann energieaufwendige Arbeit, also z. B. Muskelbewegung, leisten. Die Fabrik ist auf Zulieferung von Roh- und Treibstoffen von außen angewiesen, sie kann aber auch eigenen Abfall zum größten Teil wieder in den Produktionsprozess zurückführen. Das Fabrikgelände ist von einer Mauer umgeben, um den Zustrom von Importgütern zu kontrollieren, um unliebsamen Gästen (Bakterien, Viren und anderen Parasiten) den Zutritt zu verwehren und ein unkontrolliertes Verschwinden von Rohstoffen, Produkten, Möbeln, Arbeitern und Ausrüstung zu verhindern. Auch innerhalb der Fabrik gibt es Mauern, um die verschiedenen Betriebsabläufe und chemischen Produktionsprozesse voneinander zu trennen. Alle Wände enthalten eine Vielzahl von verschiedenen Pforten und Türen, die selektiv meist nur eine Sorte von Fabrikbestandteilen, Arbeitern oder Rohstoffen passieren lassen. Bei einer richtigen Zelle müssen wir uns das natürlich irgendwie kugelförmig vorstellen, die äußere Wand umschließt einen Ballon und auch die Innenräume sind der Gesamtgestalt einer Kugel angepasst. Für unsere Betrachtungen begnügen wir uns einfachheitshalber aber mit dem Bild eines mehr oder weniger platten Industriegeländes.

Den Zusammenschluss mehrerer Zellfabriken zu Geweben, dieser zu Organen und mehrerer Organe zu einem Organismus wollen wir dann als Volkswirtschaft bezeichnen. So wie die Produktionsbetriebe in einer staatlichen Volkswirtschaft durch Handel und Abhängigkeiten, wie Zulieferer und Autobauer, und unter der Fuchtel der gleichen Gesetze und durch ein einheitliches Regelwerk miteinander in Beziehung stehen, so etwa liegt das auch in den zellulären Volkswirtschaften, den Organen und ganzen Lebewesen vor, die von Zellfabriken gebildet werden. Wir werden diese Beziehungen und Abhängigkeiten vor allem bei den Auswirkungen von Krankheiten und gentechnischen Manipulationen näher kennenlernen.

 

1.3 Was ist alles in einer Zelle drin? Oder ein bisschen Biochemie vorweg …

Wenn wir wissen wollen, woraus Zellen bestehen, dann schauen wir zuerst auf eine Cornflakes-Packung oder, noch besser, auf eine Gesundheits-Müsli-Tüte. Da steht säuberlich aufgelistet, was so alles in der Tüte und auch in Zellen drin ist: Eiweiß, Kohlenhydrate, Fett und hunderttausend Vitamine und Spurenelemente. Ballaststoffe, wichtig für eine gesunde Ernährung, aber eben unverdaulich[1], sind ein Spezialfall der pflanzlichen Biochemie, den wir deswegen vergessen wollen. Wir interessieren uns nur für Bestandteile, die für die Ernährung sinnvoll und verwertbar sind. Zumindest im Alltagsglauben. Die geglaubt nicht sinnvollen sind also nicht gelistet. Alle diese Stoffe haben bestimmte Eigenschaften, die sie für ihre Aufgaben in den Zellen besonders geeignet machen. Mit diesen Stoffen und ihren Eigenschaften müssen wir uns ein bisschen beschäftigen, denn die Eigenschaften der Stoffe wiederum bestimmen die Leistungsfähigkeit der Zellen, nicht zuletzt für die Gentechnik und was diese mit ihnen anstellen kann.

Kohlenhydrate oder besser Zucker erfüllen in den meisten Fällen zwei verschiedene Aufgaben: Einerseits enthalten sie Energie, die von den Zellen besonders schnell genutzt werden kann. Das machen sich die Apotheken zunutze und verkaufen Traubenzucker als frei erhältliches Dopingmittel in kleinen, teuren Häppchen. Bei Aldi® gibts ihn kiloweise, sehr viel billiger und ohne Dopinghinweis im Beipackzettel („Zu Risiken und Nebenwirkungen …“). Traubenzucker („Glukose“) steht aus biochemischen Gründen, die Sie hier nicht wissen müssen, besonders rasch nach der Aufnahme zur Energiegewinnung zur Verfügung. Zweitens erfüllen sie Strukturfunktionen, sind also Bauteile der Zellfabrik. Wir finden Zucker an der Oberfläche von Zellfabriken, sozusagen als Speckschicht auf der Außenseite der äußeren Mauer. Hier dienen die Muster aus verschiedenen Zuckern (es gibt nämlich eine ganze Menge verschiedene, die uns hier aber nicht weiter interessieren sollen) als Visitenkarte gegenüber anderen Zellen (Freund-/Feind-Erkennung) und als Klebstoff, mit dem sich Zellen zu Geweben und Organen zusammenkleben. Wie gut Zucker kleben kann, weiß jeder, der schon einmal mit dem Beharrungsvermögen eines angelutschten, angetrockneten Bonbons auf der Tischplatte zu kämpfen hatte. Die bekanntesten Visitenkarten der Zellen aus Zuckern sind die Blutgruppen. Im Magen schützen massive dicke Zuckerschichten das Organ selbst vor der eigens produzierten Verdauungssalzsäure, im Darm vor den eigens in der Bauchspeicheldrüse produzierten Verdauungs-Facharbeitern (= Enzyme = Proteine). Bekommt die Zuckerschicht Löcher (Dafür gibts verschiedene Ursachen!), bekommen wir Magenschmerzen und -geschwüre. Solche Aufgaben können Zucker auch erfüllen, wenn sie als Bestandteile der „Proteine“ (der „Eiweiße“, s. u.; sogenannte Glykoproteine) oder an Fette chemisch gebunden auftreten (sogenannte Glykolipide), hier aber nicht weiter von Belang.

Beim Fett ist es ähnlich wie beim Zucker. Es gibt zwei verschiedene Sorten. Die erste dient ebenfalls der Energiegewinnung oder als Energiespeicher. Diese Fettsorte ist gemeint, wenn auf der Wurst und beim Käse vom „Fettgehalt i. Tr.“ die Rede ist, oder die im „Hofbräu-Spoiler“ vorkommt. Die andere Fettsorte findet sich vorzugsweise in Margarinepackungen und Räucherfisch. Sie enthält unter anderem die „mehrfach ungesättigten“ sowie „ω(Omega)-3-Fettsäuren“ und „Vitamin E“. Was das im Einzelnen ist, brauchen Sie auch nicht zu wissen, das würde hier zu weit führen. Auch das so geschmähte Cholesterin gehört dazu, entgegen allen Unkenrufen ist es sogar lebensnotwendig. Alle diese Fettsorten verbindet die Eigenschaft, dass sie sich nicht mit Wasser mischen. Wer schon mal zum Zeitvertreib das Spiel der Fettaugen auf einer heißen Hühnerbrühe betrachtet hat, wird dem zustimmen. Diese Eigenschaft machen sich die Zellen zunutze: Aus solchen Fetten sind die Mauern in und um die Zellfabrik, die sogenannten „Zellmembranen“, aufgebaut. Die Membranen sind sehr dünn, aber da sich Fett mit Wasser nun einmal nicht mischt, sind sie für Wasser und alles, was in Wasser gelöst ist wie Salz, Zucker und andere wichtige Zellbestandteile, prinzipiell undurchlässig. Hier gehören auch die „Glykolipide“ hin – aber davon weiter unten mehr.

Die Nukleinsäuren, DNS („Desoxy-Ribonuklëin-Säure“) und RNS („Ribonuklëin-Säure“; im Englischen: DNA und RNA) oder die Erbsubstanz tauchen in der Liste auf der Cornflakespackung auch nicht auf. Das heißt nicht, dass davon nichts in den Cornflakes drin ist. Aber die Erbsubstanz ist in solch pflanzlichen Produkten nicht gerade häufig und sie geht bei dem Prozess, der aus Maiskörnern Cornflakes macht, kaputt. Sie spielt weder als Energielieferant noch als Spurenelement eine Rolle, eher schon als Lieferant von Abfällen (s. u.). Daraus ist schon ersichtlich, dass Erbsubstanz ein ganz gewöhnliches Zeugs ist. Deshalb ist sie den Produzenten von Müslis und ähnlichen Cerealien die Erwähnung nicht wert. Für die lebende Zelle allerdings sind sie unentbehrlich, sie enthalten die Lebensinformation, die Gene, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, und sie sind Ziel und Objekt der Gentechnik. An ihnen wird manipuliert und aus ihnen hoffen die Wissenschaftler (und die pharmazeutische Industrie) alles herauslesen zu können, was für die Medizin gut und teuer ist. Erbsubstanz ist gut wasserlöslich, was die gentechnische Manipulation an ihr ungeheuer erleichtert, und Erbsubstanz kann auch deshalb ohne Schwierigkeiten zwischen den wasserundurchlässigen Membranen eingesperrt werden.

Eiweiß oder Protein ist eigentlich ein Sammelbegriff für eine – im Sinne des Wortes – unendliche Vielfalt von verschiedenen Stoffen. Der Name kommt vom Hühner-Eiklar, das sich beim Kochen in das allfällig sichtbare Eiweiß verwandelt. Der Name hat sich, synonym zu „Protein“, aber für alle Stoffe durchgesetzt, die nach dem gleichen Muster aus kleineren Bestandteilen aufgebaut sind, die wir hier einfachheitshalber als molekulare „Perlen“ bezeichnen wollen. Für die Zelle hat Eiweiß doppelten Wert. Fremdes Eiweiß kann von der Zelle aufgenommen und in die kleinen Bauteile zerlegt werden. Die „Perlen“, wir nennen sie „Aminosäuren“, können entweder unter Energiegewinn verheizt werden oder die Zelle kann eigenes Eiweiß aus den Bauteilen des fremden Eiweißes herstellen. So, als wenn im Kindergarten Markus der Sophie das Lego®-Haus wegnimmt, es in seine Einzelteile zerlegt und zu einer Mondrakete neu zusammensetzt.

Es gibt nur 21 verschiedene Perlen und jedes Eiweiß-Konstrukt besteht aus einer Aneinanderreihung dieser Bauteile wie die Perlen auf einer Schnur mit Anfang und Ende. Entscheidend ist die Art der Perle (Welche von den 21?) und ihre Position in der Kette. Schon bei einer Aufreihung von nur hundert Perlen ergeben sich so viele verschiedene Möglichkeiten der Reihenfolge der 21 verschiedenen Perlen, dass das Universum nicht genug Platz hätte, um von jeder denkbaren Möglichkeit auch nur ein Exemplar der jeweiligen 100-Perlen-Kette aufzunehmen[2]. In den Zellen werden aber auch Eiweiße hergestellt, die über 2000 Perlen enthalten. Wenn der liebe Gott irgendwo in der belebten Natur unendliche Vielfalt geschaffen hat, dann hier. Und die Vielfalt wird noch größer, wenn man weiß, dass Aminosäuren im fertigen Eiweiß auf mindestens 150 verschiedene Arten modifiziert werden können, „verändert, mit und ohne Spoiler“ – die Anheftung von Zuckern zu Glykoproteinen ist eine solche Modifikation. Die Anzahl und Reihenfolge der Aminosäuren (Perlen) sowie ihre Modifikation bestimmen die Eigenschaften des jeweiligen Proteins! Handelt es sich um eine Kette von weniger als 100 Perlen, spricht man auch von „Peptiden“. Eine Vielzahl (aber nicht alle!) von Hormonen ist so gestrickt (d. h. haben auch die Eigenschaften von Proteinen).

So vielfältig wie die Eiweiße selbst sind nämlich auch die Aufgaben, die sie für die Zelle erfüllen. Struktur-Eiweiße sind verantwortlich für die Architektur der Zelle; u. a. bilden sie das Spanngerüst, an das sich die dünnen Fettmembranen anlehnen. Muskelarbeit wird von Eiweiß geleistet, das Energie in Bewegung umsetzen kann. Auch das Hämoglobin, der rote Farbstoff des Blutes und Sauerstofftransporteur, besteht zum ganz überwiegenden Anteil aus Eiweiß. Ich werde im Folgenden immer wieder auf die Stofflichkeit „Eiweiß“ hinweisen, um die unendliche Vielzahl von Funktionen in der Zelle unter Eiweißbeteiligung zu illustrieren – Sie sollen keinen Schock darüber kriegen, aber es soll die Wichtigkeit dieser Stoffklasse für die Zellfabrik erläutern. Auf die extreme Wichtigkeit für die Gentechnik komme ich unten zu sprechen. Am wichtigsten sind diejenigen Eiweißstoffe, die die unterschiedlichen Tätigkeiten in der Zelle ausführen: Es sind die Arbeiter unserer Fabrik, die für jeden Handgriff zuständig sind. Wir sprechen von „Enzymen“. Alle Berufe, die in der Schilderung der Zellfabrik auf den nächsten Seiten angeführt werden, werden durch solche Eiweiße oder Enzyme dargestellt.

Auch die Maschinen der Zellfabrik sind aus Eiweiß, die Pforten in den Mauern, die Transporter, die Halb- und Fertigwaren transportieren, und viele der Halb- und Fertigwaren selbst. Dabei muss man sich jedes Eiweiß nicht mit einer festen, unveränderlichen Gestalt, wie ein Plastik-Pressteil in der Autofabrik, vorstellen. Eher wirkt so ein Arbeiter oder eine Fertigware aus Eiweiß wie eine zu einem Klumpen zusammengelegte Perlenkette, deren Perlen leicht magnetisch aneinanderkleben, aber doch gegeneinander verschoben werden können. Sie (können) ändern also ein bisschen ihre Form, wenn sie arbeiten; in Abhängigkeit von der Temperatur, der wässrigen Lösung, in der sie sich befinden, Salzen, notwendigen Spurenelementen (s. u.), Vitaminen, sauer/nicht sauer, auch nach der Verleihung von „Orden und Ehrenzeichen“ (Buttons, s. u.; „induced fit“). Werden sie alt oder krank, können sie von einem Gesundheitsdienst der Zellfabrik (andere Eiweiße) geheilt werden. Ist eine Heilung nicht möglich wie meistens, geht’s ab in die Biotonne (wieder andere Eiweiße). Das ist wörtlich zu nehmen, das entsprechende „Gerät“ (wieder andere Eiweiße) sieht im Elektronenmikroskop tatsächlich so ähnlich aus („Proteasom“). Die Müllarbeiter (noch mal andere Eiweiße) zerlegen die unbrauchbaren Kollegen in ihre Perlen, aus denen die Zellfabrik neue Arbeiter selbst produzieren kann – ein Kreislauf, der unendlich sein könnte, wenn nicht auch ab und zu Perlen für andere Zwecke abgezweigt oder schlicht verfrühstückt würden. Ein wichtiges Charakteristikum unterscheidet aber die Arbeiter der Zellfabrik von denen einer richtigen Fabrik: Bestimmte Zellfabrikarbeiter können eine und nur eine bestimmte Arbeit ausführen. Und das von ihrer Erschaffung an. Sie sind sozusagen ungelernt bereits arbeitsfähig, lassen sich aber auch nicht umschulen. Werden sie nicht mehr gebraucht, werden sie entsorgt; werden andere Arbeiter für andere Arbeiten gebraucht, werden sie von der Zellfabrik extra neu hergestellt. Wir wollen uns den Ausdruck „Eiweiß“ merken.

Was Vitamine sind, glaubt jeder zu wissen. Spurenelemente sind da schon schwieriger. Wir wollen beide zusammen dann als Werkzeuge der Arbeiter in der Fabrik ansehen. Und zwar als diejenigen Werkzeuge, die die Zellfabrik nicht selbst herstellen kann, die also von außen (z. B. aus Apotheken; Grünfutter) importiert werden müssen. Unterschiedliche Arbeiter können mit dem gleichen Werkzeug durchaus verschiedene Aufgaben erledigen. Da nicht alle Arbeiter solche speziellen Werkzeuge benötigen, kommen Zellfabriken mit relativ geringen Mengen, eben „Spuren“, aus. So viele verschiedene Arbeiten mit diesen Werkzeugen auch in der Zelle ausgeführt werden, fast alle sind lebenswichtig und deshalb hat Mangel an einzelnen Spurenelementen oder Vitaminen so verheerende Folgen für die Zelle oder den ganzen Organismus (Vitamin-C-Mangel verursacht Skorbut, Eisenmangel Anämie). Und mit der Angst vor solchen Mangelzuständen lässt sich gutes Geld verdienen: Eines der jüngsten Beispiele ist das Spurenelement Selen, dessen Präparate für teures Geld in den Gesundheitsshops, vulgo Apotheken, ihren Besitzer wechseln. Selen ist ein „Halbmetall“, also ein „Fast-nicht-mehr-aber-doch-noch-nicht-ganz“-Stoff, der noch gewisse metallähnliche Eigenschaften hat. – Ihr Smartphone ist voll von „Halbmetallen“! Hefepräparate tragen den ausdrücklichen Hinweis: Enthält Selen! Früher, als die Wissenschaftler und die geschäftstüchtigen Pharmazeuten noch keine Ahnung davon hatten, dass Selen ein lebensnotwendiges Spurenelement ist, war in diesen Hefepräparaten auch schon genauso viel Selen drin wie heute, denn auch Hefe braucht Selen zum Leben. Heute aber, mit Aufdruck, kostet’s mehr! Bevor die Wissenschaft Selen als Spurenelement identifizierte, haben die Menschen und Hefen genauso gut oder schlecht gelebt; Selen-Mangelzustände waren unbekannt, denn Selen ist in Spuren fast in jeder Nahrung enthalten, und ausgerechnet von diesem Spurenelement brauchen wir nur besonders kleine Spuren!

Ein Wort noch zur „linksdrehenden Milchsäure“ im Joghurt. Dieser Ausdruck beschreibt um mehrere Ecken das Phänomen, dass es in biologischen Systemen chemische Strukturen gibt, die sich voneinander unterscheiden wie eine linke Hand von einer rechten. Wir brauchen uns nur zu merken, dass, wo die Natur die Wahl zwischen Links- (L) und Rechtshändigkeit (R) hat, sie sich für eine Sorte entscheidet: Um beim Beispiel der Eiweiße zu bleiben: Diese könnten wahllos aus L- oder auch aus R-Perlen gebaut werden; die Natur verwendet aber in allen (!) Lebewesen von den einfachsten Bakterien bis zum komplizierten Menschen ausschließlich L-Perlen, warum, weiß keiner (Ausnahmen bestätigen die Regel: Pilze können auch anders!). „Linksdrehend“ bzw. „rechtsdrehend“ charakterisiert die einfachste physikalische Nachweismethode für dieses Phänomen, braucht uns hier aber überhaupt nicht weiter zu interessieren. Dass aber dieses Problem nicht müßig oder „akademisch“ ist, sieht man an den unterschiedlichen Wirkungen, die L- oder R-Produkte auf andere L- oder R-Produkte haben. Dies war das Unglück mit Contergan, denn die chemische/pharmazeutische Synthese im technischen Kolben unterschied in den 1950er Jahren nicht, es wurden also beide Formen – als Gemisch – produziert. Die R-Form des Contergan war harmlos, aber die L-Form (chemisch nicht unterscheidbar; nur physikalisch) allein verursachte die bekannten Missbildungen. Es gibt noch mehr Feinheiten, aber die erspare ich Ihnen jetzt.

Wenn man die Cornflakes-Schachtel hochhebt und schüttelt, so ist diese ziemlich leicht und es raschelt im Karton: Der nahrhafte Inhalt ist trocken. Mit Milch oder Fruchtsaft schmeckt’s besser und lässt sich leichter kauen: Erst im Wasser können alle Stoffe ihre lebensnotwendigen Eigenschaften entfalten. Und so enthält eine Zelle im Durchschnitt als Hauptbestandteil 70 bis 80 Prozent Wasser. Dieser Wassergehalt darf nicht zu sehr sinken, sonst vertrocknet die Zelle, und er darf nicht zu sehr steigen, sonst platzt sie. Einzelne Zellfabriken können sich aber nur sehr, sehr unzureichend gegen den Wasserverlust in einer trockenen Umgebung schützen. Deswegen spielt sich das Leben der schon genannten „Einzeller“ nur im Wasser ab. Trocknet die Pfütze aus, in der es eben noch wimmelte und krimmelte, so überleben nur widerstandsfähige Dauerformen, die sich rechtzeitig einen stabilen Schutzmantel gegen die Trockenheit außerhalb der Zellfabrikmauern zugelegt haben.

Auch in vielzelligen Organismen wie Smartphonebenutzern und Skatspielern ist alles Leben an Wasser gebunden. Hier legt sich der wasserhaltige Klumpen aus Billionen von Zellen eine wasserundurchlässige Umhüllung zu, „Haut“ genannt, durch die die Wasserabgabe genau reguliert werden kann. Wasserverluste entstehen durch Ausscheidungen, Schweiß, aber auch dadurch, dass die Atemluft, die ja im Innern der Lungen in direkten Kontakt mit den feuchten Oberflächen der Lungenzellen tritt, auf dem Weg dorthin (Nase, Rachen, Tracheen) angefeuchtet werden muss. Andernfalls trocknen die Lungenzellen rasch aus. Da es keine Rückgewinnung des Atemwassers beim Ausatmen gibt, kann jeder den Wasserverlust bei kaltem Wetter in Form des Atemnebels beim Ausatmen beobachten.

Fassen wir zusammen: Eiweiß, Zucker, Fette, Erbsubstanz, Vitamine und Spurenelemente sind die wichtigsten Bestandteile einer Zelle. Die Vielzahl der verschiedenen Arbeiter (Eiweiße) erledigt die unterschiedlichsten Aufgaben. Hauptbestandteil der Menge nach ist das Wasser. Alles das zusammen in einen Topf gekippt ergibt aber noch keine Zelle. Auf die Organisation kommt es an.

 

2. Kapitel: Abteilungen der Zelle oder die Zellorganellen

 

2.1 Die Mauern der Fabrik oder die Membranen

Wenn es sich nicht gerade um einen Internet-Börsenneuling handelt, der als Pilz fast unkontrolliert aus dem vormals üppig gedüngten Boden der Start-up-Finanzierungen geschossen ist, so hat jedes vernünftig gewachsene Unternehmen doch mehrere Abteilungen, die die verschiedenen Aufgaben erledigen und zum Wohle des Ganzen mehr oder weniger gut koordiniert zusammenarbeiten: Die Produktionsabteilungen, das Rohstoff- und das Endwarenlager, die Personalabteilung, ein Büro für die Personalvertretung, den Fuhrpark, die Buchhaltung, natürlich eine Chefetage, das Marketing und den Verkauf und was der nützlichen und unnützen Tätigkeitsbereiche mehr sind. Keine der Abteilungen für sich macht die ganze Fabrik aus und jede für sich ist nötig, damit das Unternehmen seine Funktion, nämlich die Produktion von Waren oder Dienstleistungen wie Autos, Medikamente, Sauberkeit oder Informationen reibungslos erfüllen kann. So ähnlich geht es auch in einer Zellfabrik zu. Auch hier gibt es verschiedene Abteilungen, die für unterschiedliche Funktionen zur Versorgung der ganzen Zelle oder für ihre Produktionsleistung zuständig sind. „Zellorganellen“ haben die Wissenschaftler sie genannt in Anlehnung an die Organe eines Körpers. Nicht alle Zellen enthalten die gleichen Abteilungen. „Zellkerne“ und „Kraftwerke“, „Produktionsanlagen“ und „Paketservice“ sind weit verbreitet, aber es gibt fast immer ein paar Ausnahmen, also Zellen irgendeines exotischen, meist mikroskopisch kleinen Lebewesens, das ohne die entsprechende Abteilung oder mit einer ganz speziellen auskommt. Das soll uns hier aber gar nicht interessieren, wir werden die wichtigsten kennenlernen und die ausgefallenen Spezialbüros den Spezialisten überlassen.

Alle die in diesem Kapitel genannten Abteilungen sind durch mindestens eine Mauer von ihrer Umgebung getrennt – es können aber auch mehrere sein. Eine Mauer gewährleistet, dass der Zu- und Austritt durch entsprechende Pförtner (Eiweiße) genauestens geregelt werden kann. Das ist in fast allen Fällen auch nötig, da es sonst zu einer heillosen Konfusion kommen würde.

Nicht jeder mag Plundergebäck oder Blätterteigbrötchen. Oder vielleicht doch so ein Würstchen oder gar Lachs im Blätterteigmantel? Der erste Biss fördert eine Menge Krümel und im Innern des Plunders zahllose dünne Teigschichten zutage, die mit mehr oder weniger Zwischenraum aufeinanderliegen. Das Ganze in flüssig offenbart sich beim Schnitt durch eine üppige Lasagne. So ähnlich sieht es in unserer Zellfabrik aus. Großzügige Räume, repräsentative Büros (Es gibt kein eitles mittleres Management!) und nach den neuesten Sicherheitsabstandsvorschriften gebaute Großproduktionsanlagen sucht man vergeblich. Eher gleicht das Innere unserer Zelle einer mittelalterlichen Stadt. Dicht bei dicht stehen da die Häuschen, jedes Winkelchen wird noch für irgendetwas genutzt und eng lehnt sich Mauer an Mäuerchen. Wer schon mal in den Altstädten von Rothenburg ob der Tauber, Quedlinburg, Tübingen, Bernkastel oder Hattingen unterwegs war, weiß, wie eng die Gässchen sind und wie leicht man sich darin verlaufen kann. Aber man kann dieses Gewirr von Bauten und Wegen auch in zehn Minuten durchqueren. So etwa wie in Tübingen zwischen Holzmarkt und Ammergasse sieht es auch in unsere Zellfabrik aus, und da in den Zellfabriken nur „Fußgänger“ unterwegs sind, reicht der Platz. Die Mauern unterteilen das Innere der Zelle in eine Vielzahl von Räumen. Der Wissenschaftler nennt sie „Kompartimente“. Diese vielen verschiedenen Räume sind die Voraussetzung dafür, dass die Zelle sehr viele verschiedene biochemische Verfahren gleichzeitig durchführen kann und auch Produkte in Lagerräumen in großer Menge speichern kann, bis sie gebraucht werden. In den Mauern gibt es sehr viele verschiedene Portale, Türen und Türchen, durch die Fußgänger oder auch Werkzeuge, Bauteile und Zwischenprodukte der Produktion von einem Raum in den anderen gelangen können. Dabei hat fast jeder Fußgänger, jedes Zwischenprodukt sein eigenes Türchen. Wichtig ist noch, ob solch ein Durchtritt eines Teilchens durch eine Membranmauer mit oder gegen (sprich: unter Energieaufwand) den Konzentrationsgradienten durchgeführt wird. Zu Deutsch: Geht das Teilchen von einer Seite der Mauer, wo sowieso schon viele gleiche Teilchen sind, auf die andere Seite, wo wenige gleiche Teilchen sind („mit“), oder umgekehrt (von „wenig“ nach „viel“; [„gegen“])? Andere Pförtner (Eiweiße) arbeiten eher wie „Drehtüren“: eine Sorte Teilchen rein, wenn gleichzeitig eine andere Sorte Teilchen raus. Im Nervensystem spielen diese „Antiporter“ eine wichtige Rolle. Wenn also nicht die passende Pforte („Transporter“, „Symport“ usw., Eiweiße!) in der Nähe ist, gilt das Gleiche wie für Insassen anderer behördlich sanktionierter Zellen: Wenn man erst einmal drin ist, kommt man schwer wieder heraus.

Tun Sie mir einen Gefallen und vergessen Sie alles das wieder und möglichst schnell, was im letzten Absatz zwischen „…“ steht. Sie brauchen sich nur zu merken, dass man (= wässrig) durch die Membranmauern fast nur mithilfe von Eiweißen durchkommt. Bei fettlöslichen Stoffen (z. B. Schnaps und Drogen) sieht das schon anders aus. Bitte lassen Sie sich auch von Ausdrücken wie „rafting“ nicht aus Ihrer sparwissenden Ruhe bringen – das mit dem Vergessen gilt auch für diese „…“.

Besondere Merkmale der Mauern sind – neben ihrer Wasserundurchlässigkeit – ihre geringe Dicke (je nach Aufgabe und Lokalisation in der Zellfabrik so um 10 bis 12 Nanometer [= milliardstel Meter]) und ihre Formbarkeit. Insofern gleichen sie eher aufgespannten Planen als festen Wänden, in die man einen Nagel schlagen kann. Gehalten werden die Planen durch ein Gerüst aus Eiweißen, an dem die Planen durch spezielle Dübel (andere Eiweiße) verankert sind. Werden nun die Gerüst-Eiweiße in der Zelle verschoben, so gilt das natürlich auch für die daran befestigten Planen, unsere Mauern. So kann die Zelle bei Bedarf Räume vergrößern oder verkleinern, ohne Abbruchunternehmen einschalten zu müssen: Die Wände werden einfach verschoben wie die Kulissen im Theater. Das gilt natürlich auch für die Außenmauern der Zelle, die genauso aufgebaut sind. Werden sie in gleicher Weise bewegt, so beginnt die ganze Zelle zu wandern.

Zusammenfassend gesagt: Die Zelle ist von einer Mauer umgeben und von inneren Mauern in Räume unterteilt. Diese Mauern gleichen aufgespannten Planen, sie sind auch so dünn und beweglich, trotzdem aber für unbefugte Passagen, vor allen Dingen wässriger Natur, undurchlässig. Viele Pforten und Türen (Eiweiße) vermitteln den Kontakt der Räume untereinander und die selektive Passage der verschiedenen Stoffe, Arbeiter, Werkzeuge, Produkte etc. durch die Mauern.

Eine sehr wichtige Ausnahme gibt es: Alle Bakterien haben keine inneren Membranen, keine Mauern, also auch keine Kompartimente. Zwar gibt es immer eine Außenmembran, Zell- oder Elementarmembran genannt, die „in der Bakterienzelle“ von „außerhalb der Bakterienzelle“ trennt. Aber alles, was in den nachfolgenden Kapiteln irgendwie funktionell mit „Membranen“ verbunden ist, gibt es nur bei „Eukaryonten“, also allen Viechern, Pflanzen, Pilzen, die keine Bakterien sind. Die Bakterien revanchieren sich für ihre „einfachere“ biologische Konstruktion durch sehr widerstandsfähige Dauerformen, die Weltraumbedingungen, Millionen Jahre währende Einlagerung im Salz, radioaktive Strahlung und Krankenhaus-Desinfektionsattacken überdauern können, und durch eine exorbitant rasche Vermehrung (Escherichia coli, unser liebstes Darmbakterium, teilt sich bei optimalen Wachstumsbedingungen – also 37° C, genügend Futter, keine Antibiotika – alle 20 Minuten! Ausnahmen bestätigen die Regel!).

 

2.2 Die Zentrale oder der Zellkern (das „Archiv“)

Abgeschirmt hinter einer doppelten Mauer (Fette), an deren zahlreichen Toren (Eiweiße) strenge Pförtner (Eiweiße) sitzen, die Ein- und Auslass unbestechlich kontrollieren, verbirgt sich das Allerheiligste der Zelle, die Zentrale oder der Zellkern. Kernstück der Zentrale ist ein riesiges Archiv, riesig für molekulare Verhältnisse. Und mit diesem Archiv und seinem Aufbau und seiner Betriebsorganisation müssen wir uns ein wenig beschäftigen. Ein Verständnis des Betriebs im Archiv hilft sehr für das Verständnis dessen, was wir als „Gentechnik“ bezeichnen.

Das Archiv enthält die Erbinformation, die Gene. Was das genau ist, „det kriechen ma späta!“ Auf einer überschaubaren Anzahl (je nach Tier- oder Pflanzen- oder Pilzart) endlos langer Regale („Chromosomen“) liegt jeweils ein jeweils einziges, fast endloses Band (DNA), zusammengerollt und gepackt wie Filmrollen mithilfe bestimmter Eiweiße („Histone“ für die Biologie-Studierten, also vergessen Sie’s gleich wieder!), damit das DNA-Band mit seiner Länge überhaupt auf das Regal passt. Zur Erläuterung: Das Band im Archiv einer menschlichen Zelle von einem hundertstel Millimeter Durchmesser ist, auseinandergezogen, einen ganzen Meter lang, hunderttausend Mal länger als die ganze Zelle groß ist! Aufgebaut ist das Band wie ein Reißverschluss (kein Klettverschluss!), so wie man ihn in jedem Textilgeschäft kaufen kann: In der Mitte die ineinandergreifenden Zähne und auf jeder Seite ein molekularer Streifen, der die Zähne einer Seite zusammenhält. Drei Dinge unterscheiden diesen Reißverschluss von dem, den Sie letzte Woche beim Kaufhof® erstanden haben: Er enthält normalerweise keinen Schlitten, mit dem Sie die beiden Hälften des Reißverschlusses auseinanderziehen und wieder zusammenfügen können; er ist sehr, sehr viel länger und er hat nicht nur eine Sorte Zähne, sondern deren vier: Diese vier verschiedenen Zähne, wir wollen sie „Basen“ oder „Nukleotide“ nennen, werden aus bekannten, aber hier nicht interessierenden Gründen mit A, T, C und G bezeichnet. Diese haben die Eigenschaft, dass nicht jeder Zahn mit jedem Zahn gegenüber im geschlossenen Reißverschluss zusammenpasst. G z. B. passt nur mit C zusammen, nicht mit A, T oder G. Wenn auf der einen Seite des Reißverschlusses ein G sitzt, ist der Zahn auf der anderen Seite ein C, und ein A auf der einen Seite passt nur mit einem T auf der anderen Seite zusammen, damit der Reißverschluss geschlossen werden kann. Dies gilt natürlich auch umgekehrt. Es gibt also nur A:T- und G:C-Paare im Reißverschluss und die Zahl der „A“-Zähne im gesamten geschlossenen Reißverschluss muss demnach genauso groß sein wie die der „T“-Zähne. Verstanden? Für G und C gilt dies entsprechend: Die Zahl der „C“-Zähne im gesamten Reißverschluss entspricht der Zahl der „G“-Zähne, weil diese nur zusammen vorkommen. Verstanden? Für diese Erkenntnis über die zahlenmäßigen Verhältnisse der verschiedenen Reißverschlusszähne zueinander hat es immerhin einen Nobelpreis gegeben, es muss also wichtig sein.