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Table of Contents

Titel

Impressum

Widmung

Porträt der Caroline zu Reuß

Vorwort

Carolines Familiengeschichte

Meine Eltern

Im Jahre 1885

Meine Schwestern und

Wilhelm Ernsts Lebensgeschichte

Die Reußische Braut

Tagebuch und Briefe

Epilog

Bibliographie

Danksagungen

Ein Nachwort der Autorin zu den historischen Daten und Fakten

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Silke Ellenbeck

Im Leiden

beginnt mein Sterben

 

 

Das kurze Leben der Großherzogin Caroline von Sachsen-Weimar-Eisenach,

Prinzessin zu Reuß, ä. L., 1884-1905

 

 

 

 

 

 

 

Historische Romanbiografie

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Silke Ellenbeck

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage 2017

ISBN: 9783957534453

 

Für Lore und Achim Gnädig

-

Die Erinnerung bleibt,

doch das Vermissen hört nie auf…

 

(Hans Olde, Porträt der Caroline zu Reuß, 1903, als Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach)

 

Vorwort

 

Da ich mich seit vielen Jahren mit dem deutschen Adel, und vor allem den kleineren Häusern, wie Schwarzburg-Rudolstadt, Schaumburg-Lippe, Stolberg-Roßla, Hessen und bei Rhein sowie Reuß auseinandersetze, fielen mir bei meinen Recherchen oft die Schicksale von Prinzessinnen ins Auge, die ich bewegend fand. Eine dieser Prinzessinnen ist Caroline zu Reuß (-Greiz), ältere Linie, die mit nur zwanzig Jahren nach unglücklicher, achtzehnmonatiger Ehe mit dem Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach starb. Nach ihrem frühen Tod gab es viele Gerüchte. So munkelte man, sie habe sich das Leben genommen, weil ihr Ehemann sie betrogen oder sie körperlich mißhandelt habe, und es gab das Gerücht, Wilhelm Ernst habe Caroline gar vergiftet. Ihr angeblicher Suizid setzte sie bei vielen auf eine Stufe mit der unglücklichen Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn. Bedingt durch diese Tatsache, wollte ich mehr über die genauen Hintergründe ihrer Ehe und ihr frühes Ende wissen.

Zu Carolines Lebzeiten waren Liebesheiraten eine Ausnahme. Zumeist suchten die Eltern, oder, wie in ihrem Fall, Verwandte den jeweiligen Partner aus, wobei man sich auf Macht, Einfluss, finanziellen Stand und Reputation berief. Ein gutes Aussehen, gleiche Interessen der Eheleute oder eine eventuelle zarte Zuneigung von beiden Seiten waren dabei eher als angenehmer Nebeneffekt zu betrachten. Verwiesen sei hier gezielt auf Königin Victoria, die als sogenannte „Matchmakerin“ die Verheiratung nach ihren Wünschen und Ansprüchen nicht nur in Bezug auf ihre eigenen Kinder, sondern auch auf die gesamte Verwandtschaft ausgedehnt, als ihre Lebensaufgabe ansah. Als Familienoberhaupt konnte sie sich sicher sein, daß sich kaum jemand dem widersetzte.

So fügte sich auch Caroline in eine Ehe, über deren Einzelheiten im Alltag recht wenig bekannt ist, die aber doch auch von Zeitzeugen eben als „unglücklich“ beschrieben wird. Daher zweifelte auch kaum jemand die Vermutung des Selbstmords an, da er logischerweise als Carolines einzige Fluchtmöglichkeit aus der Verbindung in Betracht kam.

Ich gebe der Prinzessin aus dramaturgischen Gründen in Form eines Tagebuchs und Briefen eine Stimme, die auf den historischen Fakten basieren, aber in der Erzählweise und der einen oder anderen Begebenheit fiktiv sind. Diese Form erweist sich am bewegendsten, wenn man Caroline als Beispiel nehmen möchte für eine Frau, die trotz der unglücklichen Ehe, eine sehr interessante, engagierte Person war, mit Pflichtgefühl ihre Aufgaben als Großherzogin und sogenannte „Landesmutter“ wahrnahm, volksnah ein offenes Ohr für jeden hatte, sich nicht scheute mit dem „einfachen“ Volk, wie den Arbeitern zu sprechen, Theatervorstellungen für diese zu besuchen und in kleinen Fluchten, unter anderem dem Reiten, Abstand vom streng ettikierten Hofleben und der Ehe suchte.

Die Großherzogin selbst hat nie ein Tagebuch geführt und auch von ihren Briefen ist keiner in den Archiven erhalten, der zu Zeiten ihrer Ehe entstanden wäre.

Der geschätzte Leser möge mir es nachsehen, dass ich einer Toten eine Stimme gebe, die von der Geschichte leider viel zu stiefmütterlich behandelt wird, da sie keine Königin oder Kaiserin war, sondern nur eine Großherzogin, die in ihrem kurzen Leben in Weimar zwar viel Eindruck bei Zeitzeugen hinterließ, aber historisch nicht von großer Bedeutung ist. Denn weder stand sie wie die Königin Luise vor Napoleon noch vereinte sie wie die Kaiserin Elisabeth, aus dem Hintergrund die Fäden ziehend, Österreich und Ungarn.

So möchte ich beleuchten, ob Caroline wirklich als ein Beispiel für eine unglückliche Ehe und deren Folgen, aufgrund einer steifen, traditionierten Heiratspolitik des deutschen Adels zu jener Zeit, stand.

Die Autorin

Im April, 2017

 

Eine kleine Einführung

Gerade die Gegebenheiten der kleineren deutschen Fürstenhäuser und ihre Verflechtungen untereinander sind auch interessierten Personen oft nicht vollständig zugänglich. Deshalb möchte ich hier einen kurzen Abriss über die relevanten geschichtlichen und persönlichen Zusammenhänge geben, die Caroline in ihrer Jugendzeit prägten, die Hochzeit mit Wilhelm Ernst ermöglichten und ihre kurze Ehezeit maßgeblich beeinflussten. Zu diesem Zwecke möchte ich beide Personen, sowohl Caroline als auch Wilhelm Ernst, zu Wort kommen lassen.

 

Carolines Familiengeschichte

Am 13. Juli 1884 erblickte ich in Greiz als Prinzessin Caroline Elisabeth Ida zu Reuß, auch Reuß zu Greiz, ältere Linie, das Licht der Welt. Mein Vater war der Fürst Heinrich XXII. zu Reuß, ä. L., und die Fürstin Ida, eine geborene Prinzessin von Schaumburg-Lippe. Meine Eltern hatten zum Zeitpunkt meiner Geburt bereits drei Kinder. In Erfüllung ihrer Pflicht hatte meine Mutter am 20. März 1878 einem Sohn und Erben das Leben geschenkt, meinem Bruder Heinrich XXIV.. In der Reuß`schen Linie bekamen stets alle Söhne traditionell bedingt den Vornamen Heinrich.

Meine älteren Schwestern, Emma und Marie, waren 1881 und 1882 geboren worden. Auf meine Geburt folgte im Jahre 1887 noch die meiner Schwester Hermine, die wir oft Hermo nannten, und 1891 die meiner jüngsten Schwester Ida.

Unsere Familie bewohnte das sogenannte Untere Schloß am Ufer eines Flußes, der Weißen Elster im thüringischen Greiz. Es befand sich seit Jahrhunderten im Besitz unseres Fürstenhauses.

 

 

Unser Zuhause, das „Untere Schloß“

 

Die Ehe meiner Eltern war glücklich, das Familienleben harmonisch, doch ein Jahr vor meiner Geburt ereilte meine lieben Eltern ein schwerer Schicksalsschlag. Mein Bruder Heinrich schielte als Kleinkind und, als er fünf Jahre alt war, beschlossen meine Eltern, dies durch einen chirurgischen Eingriff korrigieren zu lassen. Natürlich wehrte sich mein Bruder, denn er hatte füchterliche Angst vor der Operation, und da half auch nicht das gute Zureden Mamas, Papas oder der Gouvernante. Man zerrte ihn in den Operationsraum und hatte dort Mühe, das zappelnde und weinende Kind zu beruhigen. Der Eingriff war nicht besonders kompliziert, aber mein Bruder bäumte sich auf, obwohl man ihm ein Beruhigsungmittel gegeben, die zu operierende Stelle betäubt hatte. Man kann den Ärzten keinen direkten Vorwurf machen und niemand weiß, was genau im Affekt des Moments passierte - es war eine schreckliche Verkettung. Das Skalpell drang tiefer ein, als es sollte, es verletzte den Nerv. Heinrich fiel von dem Operationstisch.

Bis zu diesem verhängnisvollen Unfall war mein Bruder der Stolz der Eltern gewesen, denn er hatte einen wachen Verstand gehabt und sagte in Anwesenheit von Gästen am Hof wohl sehr gekonnt und artig bereits Bibelsprüche auf. Doch durch den schweren Sturz bekam er eine Gehirnentzündung, durch die das Gehirn an die Hirnhaut anwuchs. Wie schlimm muss es für meine armen Eltern gewesen sein in jenem Moment, da man ihnen mitteilte, dass die Schäden unheilbar waren?

Der Erbprinz, auf dem alle Hoffnungen unseres Hauses als Nachfolger meines Vaters ruhten, seines eigenen Willens beraubt, seiner physischen Kraft. Gleich einer hypnotisierten Person konnte er nicht mehr selbst entscheiden, war nicht mehr imstande, eine Türe alleine zu öffnen oder ohne die Anleitung eines anderen Menschen alltägliche Dinge zu verrichten.

Mein Vater engagierte auch später die besten Ärzte, wie den Greizer Medizinalrat Dr. Overlach, und wandte sich an den Professor Flechsig aus Leipzig, die eine sogenannte „elektrische Kur“ anwendeten. Man glaubte, mithilfe der Elektrizität durch Reize Nerven wiederbeleben zu können. Aber es war schnell ersichtlich, dass meinem Bruder nichts helfen konnte. So blieb es nur, dass mein Vater Hauslehrer für Heinrich einstellte, die ihm in Einzelunterricht gymnastische Spiele und Übungen vermittelten, damit er wenigstens einfache motorische Fähigkeiten erlernte und auch körperlich gesund blieb. Wichtig war vor allem dabei, dass mein Bruder wusste, wie man sich in Gesellschaft benehmen musste. Obwohl Heinrich ein sehr liebes Wesen hatte, fürchteten meine Eltern vielleicht, er könne sich eventuell bei Essen danebenbenehmen, zappelig sein, mit offenem Mund kauen, generell übermütig sein. Aufgrund seiner Behinderung hatte man vielleicht Angst vor einer gewissen Verrohung seiner Person. Ich empfand es eigentlich als weitaus schlimmeres Manko, dass auch ein spezieller Sprachlehrer nicht verhindern konnte, dass „Heinerl“ sich nur noch wie ein lallendes Kleinkind verständigte. Zudem würde ihm ein selbständiges Leben für immer versagt bleiben.

Die ersten Jahre, die er mit seiner Behinderung leben musste, neigte mein Bruder oftmals zu Gefühlsausbrüchen, die daraus resultierten, dass er sah, was wir tun konnten, wie wir spielten, lachten, miteinander redeten- etwas, dass er nie so mit uns würde teilen können. Dann überkamen ihn seine Gefühle: Wut und Verzweiflung. Er wurde aggressiv gegen meine Eltern, gegen uns, wobei meine Eltern ihn mit unendlicher Geduld zu beruhigen versuchten. Wir Geschwister liefen dann oft vor ihm weg, weil uns sein Verhalten ängstigte. Mit den Jahren musste mein Bruder lernen, sein Leben so zu akzeptieren, wie es eben war. Er wurde ruhiger, suchte unsere Nähe oder die meiner Eltern. Man kann selbst nur versuchen, sich gedanklich oder gefühlstechnisch in das Leid eines anderen Menschen hineinzuversetzen, aber richtig nachfühlen kann man es niemals.

Doch was meine Eltern, insbesondere den Papa anbelangte, so trug er sicher schwer daran zu wissen, dass sein Sohn niemals würde regieren können. Denn damit war das Schicksal der älteren Linie unseres Hauses besiegelt.

 

Mama und Papa

 

Mit jedem neuen Kind, welches nach meinem Bruder geboren wurde, hoffte er natürlich insgeheim, ebenso wie meine Mutter, wieder auf einen Buben. Aber mit jedem Mädchen, das das Licht der Welt erblickte, mussten meine Eltern die Enttäuschung verbergen. Damit will ich keineswegs sagen, sie seien nicht froh über ein gesundes Kind gewesen, oder hätten in ihren Herzen keine Liebe für das neue Leben gehabt. Jedes Kind war willkommen und wurde geliebt. Sie haderten nicht mit uns als Person, sondern mit unserem Geschlecht, wenn man es so ausdrücken möchte.

Und auch wenn mein Bruder sich nicht mehr so ausdrücken konnte, wurde er dennoch von uns allen geliebt.

Unsere Kindheit war recht wohlbehütet. Meine Mutter kümmerte sich zumeist selbst um uns. Auch den ersten Unterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen erteilte sie selbst. Ebenso unterwies sie uns in den ersten Bibelstudien. Da das Hofleben doch recht überschaulich war und es keine großen, strengen Etikette gab, wie zum Beispiel am preußischen Kaiserhof, konnten meine Eltern sich für uns Kinder Zeit nehmen. Ich denke aber auch, dass es meiner Mutter ein Bedürfnis war, ihre Hauptaufgabe als Mutter und die Ersterziehung nicht gänzlich in die Hände von Gouvernanten zu legen. Mama, eine kleine, zierliche Frau, war sehr gebildet. Da man sie mit ihren Brüdern gemeinsam unterrichtet hatte, beherrschte sie sogar perfekt Latein, was für die damalige Zeit für eine Frau recht ungewöhnlich war.

 

Meine Eltern, Marie und Heinrich, links, in der Mitte steht Emma und ich sitze auf Mamas Schoß, 1885

 

Im Jahre 1885- meine Eltern und wir Kinder, noch ohne meine jüngste Schwester Ida

 

Die Freude am Lesen haben wir Mädchen sicher alle von unserer Mutter übernommen. Sie las Bücher in englischer, deutscher und französischer Sprache, wobei ihre Bibliothek Neuerscheinungen ebenso umfasste wie ältere Werke. Mama las die Bücher nicht nur, sie ging darin auf, versah sie mit Randnotizen, die uns später, als sie nicht mehr lebte, beim Lesen der Bücher sehr zum Verständnis halfen.

Ich erinnere mich gerne an die Sommermonate zurück, die wir auf Schloß Burgk im Reußischen Oberland verbrachten.

 

Das Schloß Burgk an der Saale

 

Die Abgelegenheit des „Schlößchens“ im Wald bot meinem Vater die Gelegenheit, jagen zu gehen und auch die Abgeschiedenheit zu genießen. Zudem hatten wir dort auch stets Kontakt zur Landbevölkerung und auf unseren Wanderungen verloren wir jegliche Berührungsängste. Auch ein etwaiger Standesdünkel blieb uns so gänzlich fern.

Regelmäßig unterzogen wir uns Mädchen mit Mama Kuraufenthalten. Diese führten uns im Jahre 1885 nach Bad Kreuth in Oberbayern, wo auch die bayerischen Prinzen und Prinzessinnen Kuren machten, 1887 ins Seebad nach Scheveningen. Natürlich reiste Mama aber mit uns „incognito“. Im Mai des Jahres 1888 reiste sie mit Emma und Marie als „Gräfin von Dölau“ ins Solbad Münster bei Kreuznach. Später verbrachten wir herrliche Urlaube in Franzensbad und Saßnitz auf Rügen.

Vater verreiste stets unter dem Namen „Baron Dölau“, allerdings meist mit seinem treuen Kammerdiener. Er schätzte dann Jagdausflüge sehr, woran meine Mutter kein großes Interesse zeigte. Für uns Kinder kam so etwas nicht in Frage.

Meine Eltern wählten das „incognito“ Dölau nach der alten, verfallenen Felsenburg Dölau in der Nähe von Greiz, die aus dem zwölften Jahrhundert stammt.

Doch unser idyllisches Leben wurde durch einen erneuten Schicksalsschlag erschüttert.

Im Frühjahr des Jahres 1891 war meine Mutter wieder schwanger und wir freuten uns alle sehr auf das neue Baby. Doch Mama fühlte sich schon seit einigen Wochen sehr schwach und im Mai wurde bei ihr eine Herzschwäche festgestellt. Kurz darauf erlitt sie einen Lungeninfarkt. Da wir alle und die Ärzte um das Leben des Kindes ebenso fürchteten wie um das meiner Mutter, wurde eine geplante Kur in Franzensbad abgesagt. Mama siedelte auf Anraten der Ärzte in unser Sommerpalais im Greizer Park um, doch fiel ihr bald das Laufen so schwer, dass sie nur noch auf der Veranda oder in einem Zelt im Park sitzen konnte.

 

Das Sommerpalais

 

Es war schwer und traf uns alle sehr, Mama so leiden zu sehen. Wir waren oftmals an ihrer Seite, lasen ihr vor, machten Handarbeiten mit ihr, wenn sie sich dazu imstande fühlte, oder erzählten ihr einfach, was wir so täglich erlebten. Wenn ich sie so blass daliegen sah, schweratmend, dann konnte ich mir kaum vorstellen, wie ein Menschlein in ihre heranwachsen sollte. Manchmal glaubte ich sogar, das Baby würde sie körperlich gänzlich aufzehren. Denn in den nächsten Monaten wurde sie immer schwächer, so dass sie nur noch im Rollstuhl herumgefahren werden konnte. Wir versuchten, ihr ein kleines Lächeln abzuringen, indem wir sie schoben, und dabei gab eine von uns vor, eine Dampflok zu sein, die Mama anschieben musste, natürlich versehen mit den entsprechenden „Schnauferln“, dann waren wir Kutscher, ihr Rollstuhl die imaginäre Kutsche, die von ebenso erdachten Pferden gezogen wurde, die wir in all ihrer Pracht natürlich genauestens beschrieben. Oder wir spielten mit ihr „Majestät“, wobei sie wie die Kaiserin huldvoll lächelte und winkte. Manchmal durften wir auch nur sanft unseren Kopf, das Ohr, an ihren Bauch legen oder eine Hand darauf, um unser Geschwisterchen zu hören und zu fühlen. Damals begriff ich sicher nicht wirklich, dass meine Mutter sterben könne. Doch später war mir bewusst, dass sie uns auch erlaubte, Unterricht ausfallen zu lassen, so unbefangen mit uns spielte, weil sie ihre letzten Wochen mit uns genießen wollte.

Ende August, kurz vor dem errechneten Geburtstermin, brachte man sie wieder ins Schloss zurück. Es wäre sicher langsam ein guter Zeitpunkt für unseren Vater gewesen, uns auf ihren Tod vorzubereiten, doch im Nachhinein denke ich, dass er es selbst nicht wahrhaben wollte, den Worten der Ärzte keinen Glauben schenkte und vielleicht auf ein Wunder hoffte.

Als Mama am 4. September der kleinen Ida das Leben schenkte, litt sie bereits unter sehr heftigen Erstickungsanfällen und die anstrengende Geburt raubte ihr die letzte Lebenskraft.

Wir älteren Mädchen, Emma, Marie und ich, sowie Papa waren in ihren letzten Tagen stets bei ihr. Auch Heinrich verbrachte Zeit an ihrer Seite und ich erinnere mich, wie er es nicht verstand, sie immer wieder an der Hand nahm, dabei sanft zog und sie bat - “Mami, aufstehen! Sonne scheint!“

Mama war tapfer, sagte Papa, er solle nicht so sehr um sie trauern und da verstand ich, dass sie selbst sich in ihr Schicksal ergab, aber es weitaus schlimmer fand, ihn alleinzulassen.

Sie schlief viel und irgendwann verlor sie das Bewusstsein. Am 28. September 1891, um fünf Uhr nachmittags, starb sie mit gerade einmal neununddreißig Jahren. Ich erinnere mich, wie sie dalag in ihrem Bett, die Haare zu zwei dicken Zöpfen geflochten, ihre feinen, nun so stillen Züge, umrahmt von zartrosanen Rosen, die man um sie herum drapiert hatte.

Es war für uns alle ein schrecklicher, großer und tragischer Verlust. Papa trauerte um seine geliebte Ehefrau. Er sagte, dass die Sonne seines irdischen Lebensglückes am Todestag Mamas für ihn untergegangen sei. Bald darauf wurde er zusehends stiller, schweigsamer, und überließ uns fast gänzlich den Händen von Gouvernanten und Hauslehrern. Eine dieser Gouvernanten war Miss Orton, die wir zwar alle sehr gernhatten, doch sie konnte die Mama nicht ersetzen, obwohl sie sich sehr bemühte, uns Kindern in unserer Trauer Halt zu geben.

Mamas Zimmer wurde zu einer Art Schrein für meinen Vater, den niemand betreten durfte. Oftmals durften wir nachmittags in seinem Arbeitszimmer malen, spielen, lesen oder Hausaufgaben machen, wenn er arbeitete, wobei er sich auch ab und an Zeit nahm, um uns von Mama zu erzählen. Von ihrem ersten Kennenlernen bis zur Brautzeit, aber man merkte ihm stets an, wie sehr ihn ihr Verlust quälte. Er musste uns nun Vater und Mutter zugleich sein. Doch er zeigte auch Verständnis für uns, denn er hatte seinen Vater mit sechzehn Jahren verloren.

Was meinem Vater den Umgang mit anderen Menschen schon vor Mamas Tod erschwert hatte, waren seine absolute Pünktlichkeit und die strenge Genauigkeit in Bezug auf seine Regierungsgeschäfte. In diese steigerte er sich nun noch mehr hinein und dadurch kam es öfter als vorher zu Konfrontationen mit Menschen, die alles etwas „leichter“ nahmen.

Meine Mutter war keine verschwenderische Person gewesen, die großen Wert auf teure Kleider, Schmuck oder Pomp gelegt hatte, aber sie war durchaus in manchen Dingen großzügig gewesen, wenn es um die Anschaffung eines neuen Spielzeugs außer der Reihe ging.

Mein Vater führte nun eine neue, straffe Sparsamkeit bei Hofe ein. So betraf dies zuerst unsere Kleider. Die jüngeren Kinder, also in diesem Fall Hermine und ich, mussten die Kleider unserer beiden älteren Schwestern auftragen. Neue durften erst beim Schneider bestellt werden, wenn es sich unter gar keinen Umständen vermeiden ließ.

Mir fällt eine Anekdote von Ida ein, die damals etwa fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein muss. Zu ihrem Geburtstag erhielt sie ein paar wirklich schöne Damenstrümpfe, die sie aus Paris stammend glaubte. Sie zeigte sie stolz unserem Geschichtslehrer und Erzieher Ernst Lotter. Er besah sich kurz das Schild, lächelte und meinte, die Strümpfe seien in seiner Heimatstadt Zeulenroda gefertigt worden. Ida wirkte sehr betroffen, da sie ja immerhin eine Prinzessin war, kurzum edle Kleidung erwartete, und nun hatte er ihr jegliche Freude an französischer Couture zerstört.

Schon kurz nach dem Tod unserer Mutter gab Papa bekannt, dass er unter gar keinen Umständen wieder heiraten werde, denn er wollte uns Kindern keine neue Mutter vorsetzen. Zu jener Zeit war dies durchaus unüblich und dennoch eine vorbildliche Einstellung aus unserer Sicht, denn die geliebte Mama würde keine Frau, sei sie auch noch so gutherzig, ersetzen können.

Zudem schien sich mein Vater mehr und mehr in die Einsamkeit zu flüchten. Er litt bereits an beginnender Taubheit und anderen kleineren körperlichen Gebrechen. Da er auch Hoffestlichkeiten gänzlich ablehnte, bot ihm die Jagd die einzige Abwechslung von den Regierungsgeschäften. Die lokale Geraer Zeitung konnte bald nur noch von seinen Jagderfolgen berichten.

 

Wir Kinder im Jahre 1893- von links nach rechts- Hermine, Heinrich, Emma, Ida, Marie und ich.

 

Mamas Tod schweißte uns in unserem Zusammenhalt enger zusammen, doch es war manchmal schwer, Verständnis für Papa aufzubringen. Ich hätte mir oftmals auch gewünscht, dass er sich mehr um uns gekümmert hätte.

 

Meine Schwestern und ich im Jahre 1896- in der Mitte sitzt Emma, neben ihr links ist Ida, hinter ihr steht Emma, rechts steht Hermine und ich bin ganz links zu sehen

 

Papa engagierte die besten Lehrer und Lehrerinnen, legte besonders viel Wert auf den Unterricht in Geschichte, Kunst- und Literaturgeschichte, eine musikalische Erziehung, Malerei und die modernen Sprachen, wie Englisch und Französisch. Es war ihm ein stetes Anliegen, unser alltägliches Leben genauestens durchzuplanen, wobei er Respekt erwartete, aber keine Furcht vor einem übermächtigen, allzu strengen Vater. Doch nur selten konnte er sich ein anerkennendes Lächeln abringen. Er legte keinen Wert auf Sport oder körperliche Ertüchtigung. So waren meine beiden jüngeren Schwestern nicht sehr gekonnt im Reiten, Fahrrad fahren oder Tennis spielen. Mama hatte darauf einen gewissen Wert gelegt, aber nun mussten sie es von uns älteren lernen sowie von den Verwandten.

Im Sommer und Herbst reisten wir Mädchen auch weiterhin nach Schloß Burgk.

Nördlich von Greiz besaß mein Vater in Waldhaus noch ein Jagdschlösschen, welches „Ida-Waldhaus“, nach meiner Mutter, genannt wurde. Papa hatte es in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts bauen lassen, später folgte noch ein Mausoleum, in dem 1891 Mama ihre letzte Ruhestätte fand. Waldhaus war ein Kammergut unserer Familie und Papa liebte die Einsamkeit des Werdauer Waldes, auch wenn er nach dem Tod unserer Mutter nur selten dort war, um zu jagen.

 

Das Jagdschlösschen

 

Auch Bade- und Seereisen an Nord- und Ostsee wurden beibehalten, meist aber begleiteten uns Kammerfrauen und Gouvernanten. Wir Mädchen liebten alle die Natur und Wanderungen. Wir älteren drei Mächen ritten gerne aus.

Schon früh achtete mein Vater darauf, dass wir repräsentative Pflichten wahrnahmen. So durften wir alle, auch die jüngeren Kinder, mit an der Tafel sitzen, wenn Gäste am Hof zugegen waren, was auch nach dem Tod Mamas Bestand hatte. Normalerweise mussten jüngere Kinder alleine mit den Gouvernanten essen, da man davon ausging, dass sie an der Tafel stören würden, beispielsweise durch Geplapper oder nicht stillsitzen können. Wir hingegen waren alle „vorzeigbar“, brav und gaben artige, höfliche Antworten, wenn man das Wort an uns richtete. Heinrich antwortete meist nur mit einem Nicken, Kopfschütteln oder Lächeln, da auch jeder wusste, wir schwer ihm das Sprechen fiel.

Bald mussten meine älteren Schwestern und ich Papa bei öffentlichen Auftritten begleiten, damit wir, so sein Ansinnen, auch Kontakt mit der Bevölkerung hatten und nicht im „goldenen Käfig“ aufwuchsen. So begleiteten wir ihn regelmässig zur Kirche, was ihm ein großes Anliegen war, oder waren mit anwesend, wenn Grundsteine für neue Bauwerke in Greiz und Umgebung gelegt wurden.

Da meine Mutter eine geborene Prinzessin zu Schaumburg-Lippe war, reisten wir auch ab und an zu den Verwandten nach Bückeburg, wobei wir das Osterfest immer bei ihnen verbrachten. Besonders der Großvater, Fürst Adolf Georg I. zu Schaumburg-Lippe, machte auf mich großen Eindruck. Er verstarb im Jahre 1893, als ich neun Jahre alt war, dennoch hatte mich mich seine Persönlichkeit stets beeindruckt. Schon früh übernahm ich sein Lebensmotto, Schwächen stets zu verbergen, und, dass man sich niemals beugt, auf seiner eigenen Meinung besteht, seine Ansichten offen eingesteht. Die meisten Menschen hielten ihn für einen eigenbrötlerischen, sturen Mann. Er erzählte gerne davon, dass er aus seiner liberalen Opposition heraus gegen die Vereinnahmung seines kleinen Fürstentums durch PReußen offen protestiert hatte. Durch die Reichsverfassung fühlte er sich zu einem Vasallen des Kaiserhauses erniedrigt und hing wie alle Souveräne des alten Deutschen Bundes eben an letzterem fest. Was ich imponierend fand, war die Tatsache, dass mein Großvater der einzige im Deutschen Reich war, der den Mut besaß, seinen Unmut über die aus seiner Sicht erzwungene Unterwerfung lautstark kundzutun. Stolz und Würde waren seine Doktrine und ich, die ich ebenso gerne meinen eigenen Willen durchsetzen wollte, verinnerlichte seine Haltung. In späteren Jahren ließ mich dies oft anecken. Manche Menschen dachten, ich sei kühl, distanziert und eitel, wandten sich von mir ab, wobei ich unbewusst einfach nur ich selbst sein, mich nicht verstellen wollte.

Die Großmama, Fürstin Hermine, war eine warmherzige Frau und sie hatte viel Geduld, die Launen des Großvaters zu ertragen. Sie nahm es mit einem Seufzen oder einem zustimmenden Nicken hin, damit der Großpapa sich nicht noch weiter in seinen Schimpftiraden auf Preußen erging. Da das Fürstentum Schaumburg-Lippe ein kleines Adelshaus wie Reuß ist, fühlten wir uns am Bückeburger Hof sehr wohl.

 

Großpapa und Großmama, um 1890

 

Manchmal besuchte uns die Großmutter in Greiz nach Mamas Tod, wobei sie von ihrer einzigen noch lebenden Tochter, Hermine, Herzogin von Württemberg, begleitet wurde. Die Tante war eine derart begnadete Reiterin, die jedes Pferd sofort ausgezeichnet führen konnte und sich auch nicht scheute, gewagte Sprünge im für Frauen üblichen Damensitz zu machen. Mein Vater beliebte zu scherzen, dass sie wohl mongolisches Blut in sich haben müsse, um so zu reiten. Dies war natürlich unmöglich, aber man merkte, wie sehr sie Pferde liebte. Auf jedes noch so scheue oder aber störrische Tier konnte man sie setzen. Vielleicht hat sie mir diese Liebe zu Pferden erst richtig nahegebracht, denn sie lehrte mich auch, wie man auf ein Tier eingeht. Es beeindruckte mich schon als Kind, so wie wir alle mit offenem Mund dastanden und ihre Reitkünste bewunderten.

 

Wir Mädchen mit unserem Bruder Heinrich- von links nach rechts- Hermine, sitzend Ida, hinter ihr stehend Marie, am Tisch neben dem Bruder Emma und ich sitzend, um 1899

 

Ich, im Jahre 1900, mit sechzehn Jahren

 

Mit den Schwestern Emma, links, und Marie, mittig, in Reitkleidung, 1900

 

Ein Einzelporträt von mir, 1900

 

Wir Mädchen waren uns oftmals Gesellschaft genug, denn wir führten gemeinsam gerne Theaterstücke auf. Ich schrieb auch gerne Gedichte, die ich vor allen vortrug und die großen Anklang fanden. Mit unermüdlichem Fleiß versuchte ich, mein Klavierspiel zu verbessern, sang auch sehr gern und begeisterte mich für die deutsche, französische und englische Literatur. Regelrecht vergraben konnte ich mich in Büchern, die Welt um mich herum vergessen. Meine Belesenheit beeindruckte viele aufs Äußerste, da sie sie einem noch so jungen Menschen nicht zutrauten. Mit dem wenigen Taschengeld, welches ich erhielt, kaufte ich meist Kunstzeitschriften und ähnliche Veröffentlichungen, um mich eingehend mit der bildenden Kunst zu befassen.

Meine Schwestern und ich im Frühjahr 1902 in Trauerkleidung nach dem Tod Papas

 

Hermine und Ida, rechts, und ich ganz links, im Jahre 1902

 

Mein Leben verlief ebenso wie das meiner Schwestern eigentlich in recht ruhigen Bahnen. Da Emma und Marie im Jahre 1900 bereits im heiratsfähigen Alter waren, hatte mein Vater auch Hochzeitspläne für beide geschmiedet und sich nach geeigneten Kandidaten umgesehen. Für Emma hatte er den Grafen Erich von Künigl-Ehrenburg ausgewählt. Beide waren sich bereits bei Besuchen des Grafen bei uns in Greiz vorgestellt worden und sie verstanden sich sehr gut miteinander. Kurz darauf wurde die Verlobung gefeiert.

Doch Papas Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Und wissend, dass es ihm nicht gutging, er immer gebrechlicher wurde, traf uns sein Tod am 19. April 1902 dennoch überraschend. Es war sehr schmerzhaft für uns alle, aber besonders Heinrich bekam physische Krämpfe, die über Stunden anhielten. Er ließ sich in seine Trauer kaum beruhigen.

Papa wurde neben Mama im Mausoleum in Waldhaus beigesetzt.

 

Zum Tode Papas im Jahre 1902 veröffentlichte Karte- oben links Papa, rechts Mama, mittig unser Bruder Heinrich, links Emma, rechts von ihm Marie, darunter links Hermine, in der Mitte ich und rechts Ida

 

Da wir nun Vollwaisen waren, meine Schwestern Hermine und Ida erst fünfzehn und elf Jahre alt, nahmen sich unsere Onkel unserer an- der Prinz Heinrich zu Reuß väterlicherseits und Fürst Georg zu Schaumburg-Lippe mütterlicherseits. Man entschied, dass unser Bruder Heinrich ein lebenslanges Wohnrecht im Schloss innehaben solle. Für Emma wurde die Hochzeit nach dem Trauerjahr auf den 14. Mai 1903 in Greiz angesetzt, da sie bereits verlobt war. Den Wünschen Papas entsprechend erklärte sich der Onkel Heinrich bereit, diese Hochzeit zu organisieren.

Fürst Georg übernahm rechtlich formal die Vormundschaft für uns andere Mädchen. Von Anfang an machte er deutlich, dass er uns eher schnell verheiraten wolle, was für Marie und mich galt, als sich zu lange mit der Auswahl eines eventuell den Ansprüchen und Vorlieben genügenden Ehepartners aufzuhalten. Es war schon erschreckend für uns, denn der Onkel bestand auch darauf, dass wir für einige Monate schnellstmöglich nach Bückeburg übersiedelten, da er die anstehende Verheiratung Emmas mit dem Grafen als unstandesgemäß ansah. Ein Onkel des Grafen Künigl war für Papa als Oberförster tätig gewesen. Und die Mutter von Emmas Verlobtem entstammte nur einer Glauchauer Industriellenfamilie. Emma und Erich hatten sich bei seinem Besuch im Greizer Jagdschloss zum ersten Mal getroffen und sofort eine tiefe Zuneigung füreinander entwickelt, daher gab Papa die Zustimmung zur Vermählung. Was meinem Vater wichtig gewesen war, eben, dass wir uns zu einem etwaigen Ehepartner hingezogen fühlten, interessierte unseren Onkel nicht. Er befürchtete stattdessen, dass wir in der „Greizer Einsamkeit“ ebenfalls an solchen Verbindungen einen Reiz finden könnten und so unterstellte er unseren Umgang in Bückeburg seiner Frau, der Fürstin Marie Anna, unserer Tante.

 

Eine Aufnahme aus dem Frühjahr 1903, nach meiner Vermählung mit dem Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach- Marie, Hermine, Emma, stehend, vorne links Ida und ich auf dem Stuhl sitzend

 

Ein Protest gegen diese Maßnahme war sinnlos und hätte zu Ausein-andersetzungen geführt, die einfach nicht schicklich gewesen wären.

Da unser Bruder offiziell als geisteskrank galt, regierte in Greiz ab 1902 nach dem Tod meines Vaters die jüngere Linie mit dem Fürsten Heinrich XXVII. zu Reuß. Zwar war dies zuerst nur formeller Natur und der Fürst lebte mit seiner Familie in Gera und Schleiz, dennoch war es nun nicht mehr wirklich unser Zuhause. Man würde unsere Anwesenheit gewissermaßen bis zu dem Zeitpunkt dulden, an dem alle Prinzessinnen verheiratet waren.

Und so siedelten Marie, Hermine, Ida und ich schweren Herzens erst einmal nach Bückeburg über.

 

Wilhelm Ernsts Lebensgeschichte

 

Am 10. Juni 1876 wurde ich in Weimar geboren. Mein Vater, der Erbgroßherzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, litt seit frühester Jugend an Tuberkulose und zog aufgrund dessen sowie auf Anraten der Ärzte während des Jahres lange Aufenthalte im sonnigen Süden Frankreichs dem unsteten Klima in Deutschland vor. Meine Mutter Pauline war eine geborene Prinzessin von Sachsen-Weimar-Eisenach und eine Cousine zweiten Grades meines Vaters. Die Ehe war nicht glücklich, was wohl auch daran gelegen haben mag, dass Mama in Weimar verblieb, wenn Papa in Frankreich war. Es war ein offenes Geheimnis, dass sie ihre Tage auch nicht in ständiger Einsamkeit verlebte. Sie betrog meinen Vater nicht direkt, in körperlicher Art und Weise, hatte aber Gesellschafter, mit denen sie sich in einem vertrauten, aber nicht anzüglichen Umgang vergnügte.

Mama reiste gerne und liebte Italien. Sie hatte ein Faible für Opern. Als Papa und sie sich im Jahre 1873 in Friedrichshafen am Bodensee das Ja-Wort gaben, war usprünglich geplant gewesen, zu ihrem Einzug in Weimar die Oper Aida von Verdi in einer Uraufführung außerhalb Italiens aufzuführen, was sich jedoch aus Gründen der Kosten und Planung zerschlagen hatte. Meine Mutter hat es sicher mit Fassung getragen, denn die Oper hatte erst 1871 in Kairo Uraufführung gehabt. So frönte sie aber schon früh ihrer Leidenschaft für alles Italienische, indem sie ausgedehnte Reisen nach Italien unternahm, dabei Rom besuchte, für einige Wochen unter anderem in der Provinz Latium verweilte, weil sie dort das einfache Leben der Bauern und die Natur sehr schätzte.

Auf meine Geburt folgte zwei Jahre später die meines Bruders Bernhard Heinrich. Da mein Vater zumeist absent war und Mama mit karikativen Aufgaben betraut, schlichtweg anderweitig beschäftigt oder eben auch auf Reisen, entschieden sich unsere Eltern, unsere gesamte Erziehung in die Hände von Gouvernanten zu legen. Dem Kleinkindalter entwachsen, folgten ihnen Tutoren, die eher steif und frostig an den Lehrplänen festhielten. Jegliche freizeitliche Vergnügung wurde mit Unterricht verbunden, so dass wir Kinder auch keine wirklich herzliche Beziehung zu diesen Privatlehrern aufbauen konnten. Dennoch war besonders meinem Vater eine gute Allgemeinbildung sehr wichtig und so waren unsere Tutoren stets sorgfältig ausgewählt.

Aufgrund der schlechten gesundheitlichen Verfassung meines Vaters war abzusehen, dass er kaum einmal Großherzog werden könne. Mein Großvater, der Großherzog Karl Alexander, war bei bester Gesundheit, selbst in hohem Alter, und so musste ich früh auch in die Pflichten eines angehenden Großherzogs eingewiesen werden.

Dazu gehörte auch eine erste militärische Ausbildung, die man in die Hände eines pedantischen Kadettenoffiziers legte. Fleiß, Pünktlichkeit und Ordnung waren die preußischen Maxime, die unsere Kindheit bestimmten. Eine kindliche Unbefangenheit oder Albernheiten gleich welcher Art aus dieser heraus, waren nicht erwünscht. Der Großvater ließ sich auch von Lernerfolgen mehr beeindrucken als von auswendig gelernten Gedichten. Einziger Halt war oftmals nur die Großmutter Sophie, eine geborene Prinzessin von Oranien-Nassau, sprich der Niederlande. Sie war eine sehr warmherzige Frau, die als junges Mädchen von ihrem Vater in die Obhut von Lehrern gegeben worden war, die ihr das Spinnen, Melken und Käsemachen beigebracht hatten. Man kann sie als recht bodenständig bezeichnen. Deswegen hatte sie immer ein offenes Ohr für uns Kinder.

Dennoch war unsere Kindheit recht freudlos. Vor allem als man mich und meinen Bruder im Jahre 1890 an das Wilhelms- Gymnasium in Kassel schickte, welches für seine sehr strenge Zucht und Ordnung bekannt war. Mein Vater sah für uns den Besuch eines öffentlichen Gymnasiums als eine Selbstverständlichkeit an. Ich muss gestehen, dass ich zwar den täglichen Umgang mit anderen Jungen aus dem Bürgertum sehr schätzte, aber meine schulischen Leistungen eher mässig waren und ich nicht so schnell Kontakte knüpfen konnte wie mein Bruder.

Am 20. November 1894 verstarb Papa bei einem erneuten Kuraufenthalt in Roquebrune-Cap-Martin, einer Provinz zwischen Monaco und Menton an der südfranzösischen Küste an Nierenversagen. Man hielt das Klima dort besonders heilsam für Lungenkranke, weshalb er diese Gegend stets für seine Aufenthalte präferiert hatte. Doch mit seinem Tod trat ich nun an seine Stelle als Erbgroßherzog. Es traf mich schon, dass er mit gerade einmal fünfzig Jahren dahinscheiden musste, dennoch hatte ich ihn nicht als stets anwesende liebevolle Vaterfigur gekannt. Meine Mutter war sicherlich traurig, aber auch sie hatte ihn nicht als Ehemann an ihrer Seite gehabt, so trug sie keine offene, tiefe Trauer zur Schau oder sie wusste diese gut zu verbergen. Die einzige, die sein Tod wirklich schwer traf, war meine Großmutter. Sie zog sich völlig aus dem öffentlichen Leben zurück und begann zu kränkeln. Nur drei Jahre später erkrankte sie an einer sehr schweren Erkältung und verstarb im März des Jahres 1897 an einer Herzschwäche.

Diese beiden Schicksalsschläge ließen mich in gewisser Weise gerne ein Studium der Staatswissenschaften und Rechte in Jena und Bonn aufnehmen, um Abstand zu gewinnen. Nachdem ich im Jahre 1895 das Gymnasium mit Oberprima-Reife ohne Abitur abgeschlossen hatte, wünschte mein Großvater den Besuch der Universitäten in Bonn und Jena, um mich auf meine zukünftige Rolle als Großherzog vorzubereiten. Doch ich hielt es nur für einige Semester aus, denn das ständige Lernen und Zuhören in den Vorlesungen, welches bereits seit frühester Kindheit stets meinen gesamten Alltag bestimmt hatte, langweilte mich zusehends. Das preußische Militär, die körperliche Betätigung dort, reizte mich mehr und so trat ich bald darauf in das 1. Garde-Regiment zu Fuß in Potsdam ein und gab das Studium auf. Meine Mutter bedauerte diesen Schritt sehr, denn sie sah, ebenso wie mein Großvater, in dieser Ausbildung, obwohl es ein preußisches Eliteregiment war, keine gute Basis für einen angehenden Regenten. Meine militärische Frühausbildung hatte bereits im Jahre 1886 begonnen, so absolvierte ich auf dieser Basis die weitere Ausbildung vom Herbst 1895 an bis 1898.

In Bonn war ich während des Studiums 1898 in die exklusive Studentenverbindung „Corps Borussia“ eingetreten. In dem bekannten pflichtschlagenden und farbentragenden Corps waren viele Namen von Rang vertreten, wie Kaiser Wilhelm II., sein Sohn Kronprinz Friedrich Wilhelm sowie seine anderen Söhne; der Fürst Adolf II. von Schaumburg-Lippe, und viele weitere Adelige von Rang: Sachsen-Coburg-Gotha, Wied, Schwarzburg- Rudolstadt, zur Lippe- alle großen Namen waren vertreten. Da jedoch viele Angehörige des Hauses Preußen Mitglieder waren, hatte das Corps den Beinamen „Bonner Preußen“. Man kann sagen, das Corps wurde für mich bald zu einer zweiten Heimat.

 

Unsere Großherzogliche Familie im Jahre 1889- ganz rechts sitzt der Großvater, Großherzog Carl Alexander, neben ihm links steht Papa, neben diesem der Onkel Prinz Heinrich VII. Reuß zu Köstritz, der mit Papas Schwester Marie verheiratet war, links der Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg-Schwerin, er war mit Papas Schwester Elisabeth verheiratet, mittig sitzt die Großmama Sophie, zu ihren Füßen links Marie und rechts Elisabeth, in der Mitte mein Bruder Bernhard. Ganz links sitzt Mama und ich stehe an ihrer Seite.

 

Durch die harten Erziehungsmethoden hatte ich schon früh einen eigenen starken Willen entwickelt. Ebenso, wie eine starke Abneigung gegen alles Ausgefallene und Exotische. Ich erinnere mich, dass ich schon als junger Knabe Empörung darüber empfand, als eine Spielkameradin auf einem Kamel eines Zirkuses ritt, denn in unseren Breitengraden nutzte man zum Reiten ein Pferd. Als Erwachsener sollten impressionistische Maler und eigenwillige, allzu moderne Architekten, genau dieselbe Empörung und Abscheu bei mir auslösen.

Meine Mutter bezeichnete mich vor anderen gern als recht ernsten und eher „nüchternen“ Charakter, was ich aber der recht strengen Erziehung zuschreiben möchte. Meinem Bruder Bernhard gelang es einfach besser, dieser auferlegten Strenge durch ein immer fröhliches Wesen zu entkommen. Er war offenherziger als ich und konnte selbst Fremde sehr schnell für sich einnehmen. Ich habe ihm nie übel genommen, wie er offenherzig, gutmütig und ohne jegliche Scheu zum Liebling der Verwandten und Bediensteten bei Hofe avancieren konnte.

 

Bernhard, rechts, und ich, im Jahre 1884

 

Nach dem Abschuß am Gymnasium trat er in das 3. Garde-Ulanen-Regiment in Potsdam ein und selbst dort konnte der militärische Drill sein sanftes Wesen nicht erschüttern.

Unser Verhältnis war brüderlich fest, auch wenn ich seine Weise, die Dinge zu sehen oder aufzufassen, oft nicht teilen konnte, denn sein Optimismus schien unerschütterlich. Doch seine gute Laune war stets ansteckend. Wir beide liebten die Jagd, verbrachten auf der Pirsch viel Zeit zusammen und genossen die Zeit beim Militär. Wenn Spannungen zwischen uns aufkamen, was aufgrund unserer doch recht unterschiedlichen Charaktere nicht ausblieb, waren diese nicht lange von allzu großer Tragweite.

Bernhard war schon als Kind sehr zart und klein, doch als junger Mann konnte er dennoch bei sportlichen Aktivitäten eine Energie an den Tag legen, die jeden beeindruckte.

Es traf mich daher wie ein Schlag, als mich Anfang Oktober die Nachricht von Bernds Tod erreichte. Wir waren noch gemeinsam auf den Herbst-Manövern in Potsdam gewesen. Mittlerweile war ich zum Sekondeleutnant à la suite im Infanterie-Regiment Nr. 94 aufgestiegen. Meine Karriere beim preußischen Militär machte also gute Fortschritte, worauf ich sehr stolz war.

Nach den Manövern zog ich mich für herbstliche Jagden auf meine Besitzungen in Schlesien zurück, Bernd wollte noch an Jagd-Einladungen auf der Wartburg teilnehmen. Zu jenem Zeitpunkt, Ende September des Jahres 1900, litt er bereits an einer starken Erkältung. Er schonte sich nicht und selbst als er Fieber bekam, ging man nur von einer leichten Grippe aus. Es war ein Wochenende. Als er am Montag erwachte, fühlte er sich zwar kraftlos, trank aber noch Tee und scherzte mit einem anwesenden Arzt. Doch kurz darauf stieg das Fieber, Bernd fiel ins Delirium. Der Arzt bemerkte, dass mein Bruder immer schwächer wurde und schickte nach unserem Großvater. Dieser saß an seiner Seite, als Bernd am ersten Oktober starb. Man stellte später fest, dass es eine rapid verlaufende Lungenentzündung gewesen sei, die meinem Bruder das Leben geraubt hatte. Wir waren alle untröstlich. Besonders der Großvater machte sich schwere Vorwürfe. Er hatte von jeher eine gesunde Angst vor Krankheiten und einer eventuellen Ansteckung. Nach einem Schlaganfall vor einigen Jahren hatte sich dieses tief in seinem Inneren manifestiert. Der Tod meines Vater durch die Tuberkulose, der Tod der Großmutter durch eine Erkältung, die Nachricht kurz vor Bernds Ableben, dass seine Tochter Marie an der Basedowschen Krankheit litt- es hatte ihn auch ein wenig hart gegenüber Beschwerden seiner Mitmenschen gemacht. Es genügte bloß anzumerken, dass man sich nicht gut fühle, und er erbebte sichtbar für alle, so dass man nicht weiter darüber sprach. Dies wissend hatte auch Bernd mit keinem Deut erwähnt, wie schlecht er sich eventuell wirklich fühlte. Vielleicht war mein Großvater als alter Mann aber auch einfach den Verlusten geliebter Menschen nicht mehr gewachsen.

Ich erinnerte mich gerne an unsere Reise mit dem Großvater im Frühjahr 1898 nach Italien zurück, wobei Bernd und ich die Zeit mit ihm wirklich genossen hatten.

Im Sommer 1900 hatte ich mich noch auf eine Kavaliersreise nach Paris begeben und bedauerte nun, meinen Bruder nicht als Begleitung eingeladen zu haben.

Meine Mutter weilte nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Südtirol. Als Bernd starb, befand sie sich in Italien. Sie begab sich umgehend auf die Rückreise. Ihre bereits angegriffene Gesundheit war gerade wieder etwas hergestellt, doch nun erlitt sie durch den Schock einen herben Rückschlag. Kurz nach der stillen Beerdigung reiste Mama bereits am fünften Oktober wieder nach Italien zurück.

Ich verlor nicht nur meinen Bruder, sondern auch einen guten Freund und Ratgeber.

In den folgenden Monaten machten mir meine Mutter und der Großvater deutlich, dass es langsam an der Zeit sei, sich nach einer geeigneten Braut umzusehen. Ich verlebte bis dato meine Junggesellentage recht ungezwungen in den Offizierskasinos ohne wirkliche Pflichten. Zudem wollte ich mir Zeit lassen, denn ich fand, dass man sich schon den Schritt zur Ehe recht gut überlegen muss- eine geeignete Partnerin ist generell nicht leicht zu finden und gewissen Ansprüchen meinerseits sollte sie schon genügen.

Im Laufe des Jahres 1900 hatte die die Gesundheit meines Großvaters zusehends mehr nachgelassen. Er wurde vergesslich, brachte Sachverhalte und Termine durcheinander und verfiel körperlich. Im Dezember litt er offiziell an einer Grippe, doch ich erfuhr kurz darauf, dass er bei Tisch, nachdem er sich hatte übergeben müssen, in Ohnmacht gefallen sei. Die Ärzte sprachen von einem erneuten Schlaganfall. Der Großvater sollte das Bett nicht mehr verlassen können, am achtundzwanzigsten Dezember entdeckte man Entzündungsherde in der Lunge. Er verlor das Bewusstsein und verstarb am fünften Januar 1901 gegen achzehn Uhr. Damit war ich nun offiziell der neue Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach.

Erwähnenswert ist die Tatsache, dass ich kurzfristig sogar als eventueller König der Niederlande ins Gespräch kam. Alle Söhne des Königs Wilhelm III. der Niederlande waren vor ihm verstorben und geblieben war ihm nur die Tochter Wilhelmina, geboren im Jahr 1880. Ihre Mutter Emma, eine geborene Prinzessin von Waldeck-Pyrmont, führte für sie von 1890 bis 1898, also bis zu ihrer Volljährigkeit, die Regentschaft. Ein preußischer Gesandter hatte 1897 den Kaiser Wilhelm II. von Preußen, wenige Monate nach dem Tod meiner Großmutter Sophie, hinter der ich direkt in Erbfolge auf den niederländischen Thron stand, auf eben diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht. So ging der Kaiser zwar davon aus, dass ich aufgrund meiner Karriere im preußischen Militär jederzeit meine Stellung als Erbgroßherzog behalten wollte, doch eventuell kam auch mein Bruder Bernd ins Gespräch, sollte er König der Niederlande werden wollen.

Ich reiste also nach Holland und man machte mir sofort klar, wie sehr man einen eventuellen deutschen Einfluss dort verabscheute, sogar eine Annektierung fürchtete. Aus diesem Grund dachte man auch über eine Änderung der Verfassung nach, um mich von der Thronfolge endgültig auszuschließen. Die Königin Wilhelmina zeigte sich bei bester Gesundheit und man konnte nun wirklich nicht mit einem allzu frühen Ableben ihrerseits rechnen, wobei ich den Gedanke absurd fand. Zudem lieferte ich mir beim Abendessen einen Affront, da ich die Hofdame der Königin Emma, ein Fräulein van den Poll, beleidigte. Ich wunderte mich bloß darüber, wie akzentfrei und fließend sie als Holländerin Deutsch sprach. Nun, ich fragte es ungeniert lauthals über die Tafel hinweg, meinte es aber keineswegs beleidigend. Es schien ihr aber großes Unbehagen zu bescheren und sie verweigerte mir eine Antwort, wirkte mehr als peinlich berührt.

Ich muss gestehen, dass weder Bernd noch mir etwas an dem niederländischen Thron gelegen war. Als Preuße durch und durch, zudem Heimatreu, hätte ich meine Erbfolge als angehender Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach niemals aufgegeben.

Man lieferte mir aus den Niederlanden aber dennoch eine Möglichkeit zur Regentschaft- sollte die Königin Wilhelmina ohne einen Thronfolger zu hinterlassen sterben, müssten sich meine Nachkommen für den Weimarer oder niederländischen Thron entscheiden. Glücklicherweise gebar die Königin 1909 die Tochter Juliana und somit sank die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass ich oder einer meiner Nachfahren jemals den Thron in den Niederlanden besteigen würde.

(Anmerkung der Autorin: Im Jahr 1922 folgte dann eine Verfassungsänderung dahingehend, dass nur Nachfahren der Königin Wilhelmina die Thronfolge in den Niederlanden antreten durften, womit man das Haus Sachsen-Weimar-Eisenach endgültig ausklammerte).

Von 1886 bis 1895 diente ich im preußischen Heer unter dem Hautpmann Max von Griesheim, der auch meine militärische Ausbildung übernahm, die in eine durchaus vielversprechende Karriere münden sollte. Zum Zeitpunkt meiner Brautschau war ich Leutnant der Potsdamer Garnison und mein Leben stand völlig unter preußisch-militärischem Einfluß. So zeigte ich mich bei Hofe und in der Öffentlichkeit nur in meiner Uniform.

Bei Diners führte ich die deutsche Sprache auf den Menü-Karten ein. Anstatt der französischen, virtuos klingenden Namen der Speisen, ersetzte ich sie durch deutsche Worte, die meinen Gästen eher „trocken“ anmuteten. Ebenso verzichtete ich auf die Konversation im traditionellen Französisch. An meiner Tafel musste man sich in Deutsch unterhalten. Diese Neuerungen behagten zwar den meisten Gästen nicht, dennoch konnte ich sie als Großherzog durchsetzen und empfand sie als angebracht. Das Gerede störte mich nicht.

 

Die Reußische Braut