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Table of Contents

Titel

Impressum

Glück

Walid feierte seinen

Es kostete Studiendirektor

Es folgten Wochen,

Weil es aus

Trotz der schlechten

Die sechste Unterrichtsstunde

Daniel und Juliane

Um halb drei

Seine Nacht blieb

Dein Leben

Am nächsten Morgen

Am Nachmittag machte er sich auf den Weg zu seinem Arzt.

Mein Bauch

Am nächsten Morgen

Obwohl Albert inzwischen

Zum Glück war

Als sie wieder zu Hause waren, waren zuerst der Wagen und der Wohnwagen für die Reise am nächsten Tag zu beladen, ehe sie sich dann so gegen 17.30 Uhr zum Abendessen in ihr Lieblingsrestaurant begaben.

Er bezahlte sofort

Kurz vor Mitternacht

Das Läuten der

Jule kam am

Kurz vor dem

Während Jule bei

Jule und Albert

Albert klingelte und

Sie gelangten, vom

Anschließend suchten Jule

Mit der erstellten

Walid stand tatsächlich

In der letzten

Mein Verlangen

Inzwischen ist seit

 

 

 

Achim Wapner

 

 

 

Wa(h)re Lehrer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Novelle

 

 

 

 

 

DeBehr

weiss.jpg

Copyright by Achim Wapner

ISBN: 9783957533548

Erstauflage: 2017

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by © denisismagilov

 

Glück

 

Kann ich am Ende sagen,

dass ich glücklich bin,

so ist der Weg zu wagen,

der mich macht am Ende glücklich.

Geht der Weg auch durch große Wirren,

so ist es nie zu spät zu leben,

was du bist im Leben,

auch wenn ihre Waffen eisern klirren.

 

 Walid feierte seinen

ersten Geburtstag in Deutschland, als ich mit den Recherchen zu dieser Geschichte begann.

Vor gut einem Jahr war der 29-jährige Mann aus Afghanistan geflohen. Der gelernte Zimmermann hatte in Kabul gelebt und dort seine Frau und seine beiden Söhne durch einen Bombenanschlag des IS verloren.

Aus Angst, selbst Opfer eines Selbstmordanschlags fanatischer Islamisten zu werden und wohl auch aus wirtschaftlichen Gründen hatte er sich zur Flucht entschieden und war vor einigen Wochen in Deutschland als asylsuchender Flüchtling angekommen.

Zur Zeit seines ersten Geburtstages besuchte Walid neben dem Auffrischungskurs seiner Zimmermannskenntnisse einen Sprachkurs in Deutsch, denn für ihn stand fest, dass er noch sehr lange in Deutschland bleiben wollte.

Um seinem heutigen Freund Albert zu helfen, hatte er sich nach wenigen Wochen des illegalen Aufenthalts in Deutschland der Gefahr ausgesetzt, wieder abgeschoben zu werden, um dem ihm damals noch völlig unbekannten Albert gegen ein haarsträubendes Unrecht zu helfen. Trotzdem hatten nur glückliche Umstände die Abschiebung in letzter Minute verhindern können, sodass er heute sicher und zufrieden in Deutschland leben kann. Ohne Theresa Bäcker hätte es wohl nicht geklappt.

Die 42-jährige Theresa arbeitet als studierte Sozialpädagogin bei der katholischen Kirche mit geistig und körperlich behinderten Kindern und engagiert sich zusätzlich in der Flüchtlingshilfe der Caritas. Sie hatte schon öfters Flüchtlingen ein Zimmer in ihrer Wohnung als Unterkunft angeboten, bevor Albert sie um Hilfe bat.

Albert Zahn, der Studiendirektor für die Fächer Deutsch und Bildende Kunst, hatte sie bei seinen Fortbildungen zur Inklusion kennengelernt und sich im richtigen Moment an die unverheiratete und kinderlose Frau erinnert.

Theresas Wohnung war bis zum Rand gefüllt mit Walids Gästen. Ich lernte hier neben einigen afghanischen Freunden Walids auch Albert, seine Freundin Jule König, eine Gymnasiallehrerin für Mathematik und Bildende Kunst und Johannes Liebermann, einen ehemaligen Kollegen von Albert, kennen. Mich hatten Theresa Bäcker und Walid gemeinsam zu seiner Feier eingeladen, weil sie mir später einmal ihre Geschichte, die von Walid und die von Albert, erzählen wollten, damit ich sie als gelernter Journalist aufschreibe und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich mache.

Nachdem ich mich noch auf der Geburtstagsfeier dazu entschieden hatte, die Geschichte tatsächlich aufzuschreiben, die Walid, Albert und zu einem kleinen Teil auch Jule mir dann später in vielen Sitzungen erzählten, brauchte ich nur ein paar Wochen, sie zu dem zu machen, was im Folgenden nachzulesen ist.

Die Niederschrift ging deshalb so rasch vonstatten, weil mich nicht nur die Ereignisse an sich fesselten, sondern ich auch erkannt hatte, dass es hierin um bewegende Themen unserer Gesellschaft mit hoher Brisanz und nicht nur um Einzelschicksale geht.

Studiendirektor Albert Zahn

hatte vor zwei Jahren begonnen, sich um einen Wechsel der Schule zu bemühen, weil es für ihn an seiner alten Schule wegen der Verleumdungen seiner Exfrau unerträglich geworden war, obwohl ihm das Schulprofil nahezu auf den Leib geschnitten und er dort unter den Schülern durchaus anerkannt gewesen war.

Seine Exfrau hatte an der gleichen Schule gearbeitet und hatte wohl direkt nach der Scheidung damit begonnen, ihn mit frei erfundenen Verleumdungen zu denunzieren.

Da Gerüchte sich länger halten als die Wahrheit, hatte er beschlossen, sich versetzen zu lassen, um wieder in Frieden arbeiten zu können. Glücklich war er, als er mehr als ein Jahr nach seinem Entschluss zu einem Vorstellungsgespräch mit dem Schulleiter einer anderen Schule, Oberstudiendirektor Hans Zwilling, eingeladen worden war.

Oberstudiendirektor Hans Zwilling begrüßte ihn in seinem karg eingerichteten Büro, das die gleiche Atmosphäre ausstrahlte, wie der Rest des renovierungsbedürftigen Hauses: „Guten Tag, Herr Zahn! Haben Sie uns gut gefunden?“

 „Die Schule liegt ein wenig abseits, aber ich habe mich nur einmal verfahren“, antwortete Zahn wahrheitsgemäß.

 „Ich will gleich zur Sache kommen und Sie fragen, warum Sie ausgerechnet an unsere Schule wechseln wollen?“, wollte Zwilling wissen.

 „Laut der Ausschreibung suchen Sie einen Lehrer mit meiner Fächerkombination und Sie suchen jemanden, der sich mit Vertretungsplänen auskennt“, fasste Albert Zahn seine Gedanken zusammen. „Da beides auf mich zutrifft und ich aus persönlichen Gründen einen Tapetenwechsel brauche, habe ich mich zu diesem Gespräch entschieden.“

 „Sie kennen das Profil unserer Schule? Sie wissen, dass sie ein ganz anderes Gesicht hat, als das Gymnasium, von dem Sie kommen? Wir sind ein Gymnasium mit humanistischer Prägung und bemühen uns, auf alle Wünsche unserer Schüler einzugehen“, referierte der Oberstudiendirektor.

 „Das weiß ich alles sehr wohl, an meiner jetzigen Schule wird auch auf Schülerwünsche eingegangen, aber vermutlich nicht auf alle.“

 „Denken Sie, dass Sie sich umstellen können?“, wollte Zwilling wissen.

 „Erstens besitze ich genügend Erfahrung, um mit jedem Profil klarzukommen und andererseits fühle ich mich noch jung und flexibel genug, mich auf ein anderes Profil einzustellen, aber ich erwarte auch von Schülern und Kollegen, dass sie sich auf mich einstellen können. Schließlich sind Lehrer auch Menschen mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeitsbildern und das ist in einer freien Gesellschaft auch notwendig. Und die Vielfalt an Persönlichkeiten bildet die Schüler.“

 „Aha, ich sehe das ein wenig anders, denn die Schüler sollten im Mittelpunkt stehen, aber ich denke auch, dass das mit uns schon funktionieren könnte, denn Sie passen tatsächlich ganz hervorragend auf das Anforderungsprofil, das ich suche. Ich habe in Ihren Unterlagen ebenso gesehen, dass Sie sich im Bereich der Inklusion enorm stark fortgebildet haben. Warum haben Sie das getan?“

 „Sie ist in aller Munde und da wollte ich wissen, was da auf uns zukommen kann, soll und leider auch wohl wird.

 „Da haben Sie recht. Dieses Thema könnte auch auf uns zukommen“, sagte Oberstudiendirektor Zwilling.

 „Haben Sie sich etwa bereit erklärt, als Versuchsschule zu fungieren?“, fragte Albert aufgeschreckt.

Er hatte sich in der Vergangenheit so viel mit diesem Thema beschäftigt, dass er genau deshalb nicht an einer Versuchsschule für Inklusion landen wollte, denn er wusste nur zu gut, dass die Konzepte noch unausgegoren waren und von diesen Schulen erarbeitet werden mussten, ehe sie flächendeckend im Land umgesetzt werden konnten. Zu oft schon hatte Zahn nach dem Amoklauf von Erfurt im Jahre 2002 miterleben müssen, dass den Schulen Vorstellungen von Bildungspolitikern unausgegoren und nicht durchdacht übergestülpt worden waren, die allesamt dazu geführt hatten, das Leistungsniveau an den Schulen herunterzufahren. Und nichts anderes war durch die Inklusion zu erwarten.

Oberstudiendirektor Hans Zwilling schaute leicht verunsichert drein: „Ich spüre, dass Sie der Inklusion eher ablehnend gegenüberstehen, oder irre ich mich?“

 „Da haben Sie recht. Ich habe mich wirklich sehr viel mit dem Thema beschäftigt und bin dabei immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass ich damit vorerst mal nichts zu tun haben möchte“, antwortete Zahn ernsthaft.

 „Hm, ich denke, dass durchaus einiges gegen die Inklusion spricht, aber kann man sie ernsthaft ablehnen, wenn man sich als Humanist versteht? Ich meine, ich weiß es auch nicht so genau. Als Versuchsschule habe ich uns allerdings nicht angemeldet“, sagte Zwilling mit einer Mimik, die deutlich machte, dass ihm das Thema unangenehm war.

 „Gerade wenn man sich als Humanist versteht, muss man gegen die Inklusion sein, denn eine individuelle und spezielle Förderung ist kaum noch möglich, wenn geistig Behinderte und normal denkende Kinder im gleichen Klassenraum sitzen. Sie werden sich gegenseitig stören. Das gegliederte Schulsystem sieht auch Förderschulen vor und dieses wollen wir doch nicht ernsthaft auflösen“, trug Zahn vor und schien sein Gegenüber nachdenklich zu machen, denn es dauerte eine Weile, bis Zwilling antwortete: „Hm, ich will Ihnen im Grunde genommen nicht widersprechen, denn Inklusion an einer exklusiven Schule schließt sich meiner Meinung nach tatsächlich systemisch aus. Ich denke, dass ich mich dafür engagieren könnte, die Inklusion im Versuchsstadium an dieser Schule zu verhindern“, schien Zwilling wahrheitsgemäß zu antworten.

 „Das klingt so, als seien Sie sich nicht ganz sicher“, hakte Zahn nach.

 „Doch, doch!“

 „Meine Erfahrung der letzten Jahre ist, dass die Politik in der Lage ist, Ihnen dieses Konzept versuchsweise überzustülpen. Was machen Sie dann?“, wollte Zahn wissen.

Zwilling atmete schwer und tief durch: „Hm, ich würde mich dann wohl sträuben und zur Wehr setzen müssen.“

 „Mit welchen Mitteln wollen wir Beamte uns wehren, womit könnten wir uns sträuben? Wir sind den politischen Ideen doch mehr oder weniger ohnmächtig ausgeliefert“, insistierte Zahn.

 „Ich würde dem Ministerium dann vielleicht ein Konzept vorlegen, das so viel Geld kostet, dass sie sich freiwillig eine andere Versuchsschule suchen“, antwortete Zwilling und schien sich allmählich in seiner ablehnenden Haltung sicher zu werden.

 „Mal angenommen, dass Sie damit nicht durchkommen“, ließ Zahn nicht locker.

 „Das wird schon nicht passieren.“

 „Sicher?“

Zwilling antwortete mit Verzögerung: „Sicher!“

 „Schön, aber wenn doch, dann möchte ich Ihr Wort darauf haben, dass ich nicht mit der Umsetzung an dieser Schule beauftragt werde“, sagte Albert mit allem Nachdruck, der ihm in dieser Angelegenheit angemessen zu sein schien.

 „Mal angenommen, dass die Welt untergeht und die Inklusion über uns kommt, dann werde ich ein anderes Schulleitungsmitglied damit beauftragen. Das könnte ich Ihnen wohl versprechen, denke ich“, sagte Oberstudiendirektor Hans Zwilling mit ernstem Gesicht und Zahn blieb nichts anderes übrig, als ihm sein Vertrauen zu schenken.

 „Gut, dann werde ich mich bewerben und im Verfahren hoffentlich Erfolg haben, denn meine Exfrau macht mir das Leben an der jetzigen Schule unerträglich. Ich habe dieses Mobbing satt“, sagte Albert und verabschiedete sich.

Das anschließende, Monate dauernde Bewerbungsverfahren verlief erfolgreich und Albert Zahn wechselte mit vielen Hoffnungen und großer Euphorie über die Sommerferien die Schule.

 

 Es kostete Studiendirektor

Albert Zahn eine schlaflose Nacht, als er bereits in der letzten Ferienwoche von Oberstudiendirektor Hans Zwilling den Auftrag erhielt, in einer anberaumten Sitzung mit der erweiterten Schulleitung über die Inklusion zu referieren.

Warum nur hatte ihn diese Aufforderung so dermaßen aufgewühlt, dass bis zu der Sitzung zuweilen sogar sein Schlaf beeinträchtigt war? Er befürchtete insgeheim, dass Zwilling sich doch bereit erklärt hatte, als Versuchsschule zu fungieren, und dass mit der Übernahme eines Referates auch die Übernahme der Umsetzung an der Schule verbunden war.

Wie er mir berichtete, ärgerte er sich am meisten darüber, dass er Oberstudiendirektor Zwilling im Vorfeld so viel Vertrauen geschenkt hatte und dass ab diesem Tag seine Euphorie in Skepsis umzuschlagen begann.

Auf seine ahnungsvoll ängstliche Nachfrage hin, warum ausgerechnet er als Neuling dafür ausgewählt worden sei, hatte Zwilling ihm zur Auskunft gegeben, dass er nach Aussage der Aufsichtsbehörde dafür von allen am besten geeignet sei, weil in seinen Bewerbungsunterlagen eben etliche Bescheinigungen zu Fortbildungen und Informationsveranstaltungen des Ministeriums zu diesem Thema gewesen seien. Zwilling versicherte aber noch einmal, dass er ein anderes Schulleitungsmitglied mit der Umsetzung beauftragen werde, wenn die Inklusion auf die Schule zukäme, was aber noch nicht geschehen sei.

Die erste Zusammenkunft mit der neuen erweiterten Schulleitung, in der es laut der Einladung des Schulleiters nicht nur um die Inklusion, sondern auch um die Neuordnung der Geschäftsverteilung gehen sollte, fand dann zu Beginn des neuen Schuljahres in der dritten Woche nach den Sommerferien statt.

Trotz einiger Bauchschmerzen bei den Gedanken an das Referat hatte Albert Zahn sich gewissenhaft auf diese erste große Zusammenkunft vorbereitet und hatte auch an sich selbst gearbeitet, Zwilling noch einmal sein ganzes Vertrauen zu schenken.

Worüber wollte er eigentlich referieren? Bei den Besuchen der Informationsveranstaltungen hatte er vieles in Erfahrung gebracht, unter anderem, dass es sich bei der Inklusion um die Umsetzung der UN-Behindertenkonvention handelte und diese einigermaßen holprig auf die Bildungspolitik heruntergebrochen worden war. Das Land hatte sich auf diesem Gebiet sehr schwer getan.

Politiker hatten zunächst die relevanten Grundsätze der UN-Behindertenrechtskonvention in Informationsschriften kurz skizziert, um anschließend Visionen und Ziele zu formulieren. So waren im Artikel 24 die Forderungen übernommen worden, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen können.

Bei allen Maßnahmen sollten somit vorrangig das Wohl des Kindes und dann das Recht auf Bildung berücksichtigt werden. Dabei müssten Kinder mit Behinderungen auf der Grundlage der Chancengleichheit in das Bildungssystem integriert werden und es sollten individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen angeboten werden. Das Ziel müsste es also sein, Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu lassen.

Die Verwirklichungsabsichten sahen vor, dass Kinder mit Behinderungen niemals ausgeschlossen sein dürfen, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an allen Schulen erhalten, angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden, Menschen mit Behinderungen notwendige Unterstützung erhalten und wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden.

Den formulierten Zielen und den Forderungen nach Verwirklichung der UN-Behindertenrechtskonvention konnte Studiendirektor Albert Zahn sogar problemlos in allen Punkten zustimmen, schließlich empfand auch er sich als einen humanistisch geprägten Menschen, aber er hatte bei den Besuchen der Informationsveranstaltungen zugleich den Eindruck gewonnen, dass die Landespolitiker die Lehrer mit den in Papieren aufgestellten Forderungen und den daraus vor Ort resultierenden Problemen wieder einmal weitgehend alleine lassen würden, so zum Beispiel damit, dass keine exakten Differenzierungen nach geistiger und körperlicher Beeinträchtigung vorgenommen wurden, und vor allen Dingen, dass nicht ausreichend Geld zur Verfügung gestellt wurde, flächendeckend Fachkräfte zur Unterstützung der individuellen Förderung einzustellen. Obendrein fragte er sich, warum im gegliederten Schulsystem nicht auch die Förderschulen stärkere Berücksichtigung finden sollten, denn pädagogisch gesehen war bei der Inklusion mit gegenseitigen Störungen zu rechnen und eine individuelle und spezielle Förderung von beeinträchtigten und normal lernenden Kindern würde sich im gemeinsamen Alltag als äußerst problematisch darstellen.

Bis zum Tag des Vortrages an der neuen Schule blieb Studiendirektor Albert Zahn hin- und hergerissen zwischen Hoffnung auf Abwendung und Befürchtung vor der Übernahme der Inklusionsaufgabe. Zunehmende Schlaflosigkeit begleitete ihn bis zu der angesetzten Zusammenkunft, die im Büro von Schulleiter Hans Zwilling stattfand.

Anwesend waren in dieser großen Runde neben Studiendirektor Albert Zahn und Oberstudiendirektor Hans Zwilling, der Stellvertretende Schulleiter, die MSS-Leiterin, der Mittelstufen- und der Orientierungsstufenleiter.

Zahn empfand die Stimmung von Anfang an als arg bedrückend, weil er sich des zunehmenden Eindrucks immer weniger erwehren konnte, bereits an den Gesichtern ablesen zu können, dass ihm alle Versammelten den Job des Inklusionsbeauftragten zuschieben wollen würden.

Im Anschluss des auch mit all seinen Kritikpunkten versehenen Referates, dem alle Anwesenden eher mit Desinteresse gefolgt zu sein schienen, äußerte sich zuerst der Orientierungsstufenleiter: „Wenn wir die Inklusion an dieser Schule zulassen, brauchen wir immens viele Fachkräfte, die uns unterstützen, sonst können wir nicht mehr genügend Rücksicht auf die Bedürfnisse unserer Schüler nehmen und das war doch bisher immer unser Ziel.“

Der Stellvertretende Schulleiter nickte ihm zu.

 „Manchmal ist Disziplin mehr wert als exzessives Harmoniestreben. Die Kuschelpädagogik ist nicht unbedingt der richtige Weg“, sagte der Mittelstufenleiter.

Dann ergriff Oberstudiendirektor Hans Zwilling das Wort, während er zugleich eine Folie von Anfang Juli mit der beabsichtigten Geschäftsverteilung auflegte: „Ich freue mich, mit Ihnen, Herr Zahn, einen echten Fachmann der Inklusion für unsere Schule gefunden zu haben.“

Albert Zahn wollte gerade intervenieren, dass er sich genau für das nicht hielt und schon gar nicht dafür gehalten werden wollte, als Oberstudiendirektor Zwilling fortfuhr: „Deshalb möchte ich Sie bitten, sich des gestern eingegangenen Auftrages der Aufsichtsbehörde anzunehmen und ein mit dem Kollegium abgesprochenes Konzept zur probeweise einzuführenden Inklusion für unsere Schule programmatisch zu erarbeiten!“

Der Orientierungsstufenleiter und die MSS-Leiterin nickten zustimmend zu Zwillings Worten.

 „Sie hatten sich bei meinem Vorstellungsgespräch doch auch noch sehr negativ über die Inklusion an einem Gymnasium geäußert, und ich hatte eindeutig kommuniziert, dass ich genau das nicht übernehmen möchte“, wandte Zahn ein, „sonst hätte ich mich niemals hierher beworben.“

 „Die Sachlage hat sich geändert. Erstens macht unsere Aufsichtsbehörde stärkeren Druck als erwartet und zweitens habe ich bereits einige Gespräche mit Eltern von beeinträchtigten Kindern hinter mir. Sie haben mir insofern die Augen geöffnet, dass ich unsere humanistische Verpflichtung in dieser Angelegenheit erkannt habe. Ich würde mich freuen, wenn Sie das auch so sehen könnten, Herr Zahn“, sagte Zwilling.

 „Wir haben auch eine humanistische Verpflichtung den normalen Schülern gegenüber, wie ich in meinem Vortrag deutlich machte. Ich halte mich für gänzlich ungeeignet, weil ich der ganzen Geschichte eher kritisch und ablehnend gegenüberstehe.“

 „Unser Orientierungsstufenleiter, der Herr Pfeil, teilt übrigens meine Auffassung und wäre bereits jetzt schon bereit, Kinder mit Beeinträchtigungen in die Orientierungsstufe aufzunehmen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die können Sie doch als zuständiger Studiendirektor maßgeblich gestalten. Das ist doch eine schöne Herausforderung für Sie“, fügte Zwilling hinzu, während Studiendirektor Hannes Pfeil erneut heftig nickte.

 „Ich will das trotzdem nicht!“

 „Sie sind und bleiben aber unser einziger Experte und wie ich schon sagte, die Aufsichtsbehörde hat mir ebenfalls angeraten, Sie auszuwählen. Ich bitte Sie also noch einmal darum, dieses Aufgabenfeld zu übernehmen! Wir alle haben uns den täglichen Veränderungen innerhalb der Gesellschaft anzupassen und das Beste daraus zu machen. Sehen Sie es doch bitte auch als eine Herausforderung an!“, sagte Zwilling mit flehenden Händen.

 „Aber ich will das nicht und ich habe genügend Aufgaben“, gab Zahn offen zu und hatte damit offensichtlich in ein Wespennest gestochen.

 „Wir sind in erster Linie Beamte und unserem Land verpflichtet. Darin liegt doch auch eine große Selbstbestätigung und dafür werden wir gut bezahlt.“

 „Meine Fam …“

 „Die Familie sollte uns den notwenigen Rückhalt für die Erledigung unsere beruflichen Aufgaben geben. Und die Arbeit macht das Leben erst lebenswert. Ich sehe das zumindest so“, sagte Zwilling und schien innerlich tatsächlich von dem beseelt zu sein, was er da als Überzeugungsarbeit von sich gab.

 „Das sehe ich anders! Ich habe erst eine Scheidung hinter mir und weiß, dass man sich auch für die Familie Zeit nehmen muss und nicht nur den von außen herangetragenen beruflichen Ansprüchen genügen darf.“

 „Fangen Sie doch erst einmal als unser Beauftragter für die Inklusion an und dann werden wir schon weiter sehen! Eventuell wird Ihnen die Arbeit ja richtig Spaß machen. Keine Kartoffel wird so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Die erste Sitzung mit einer Auswahl aus dem Kollegium habe ich übrigens bereits für Sie einberufen“, sagte Zwilling und verteilte die anderen Aufgaben innerhalb der Schulleitung in wenigen Sekunden.

An Zahn gewandt fügte er noch hinzu, ehe er sein Büro als Erster verließ: „Den Rest Ihrer Aufgaben können wir vorerst sicherlich so lassen, wie es vorher war. Später wissen wir dann mehr.“

Albert blieb einigermaßen enttäuscht sitzen. Seine schlimmsten Ahnungen bestätigten sich in jenem Moment und er wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Der Mittelstufenleiter, Studiendirektor Johannes Liebermann, war ebenfalls sitzen geblieben und legte seine Hand auf Zahns Schulter: „Kopf hoch, Herr Kollege! Das Leben geht weiter und die Welt nicht unter. Machen Sie sich immer bewusst, dass das Leben schön ist und noch eins, unser Schulleiter arbeitet so gern, dass er Ihnen bestimmt unter die Arme greifen wird. Er ist ein leidenschaftlicher Lehrer und würde für die Kinder wirklich alles tun. Das erwartet er halt auch von uns.“

 „Sie sagen das so einfach, weil Sie nicht betroffen sind.“

 „Ich stehe kurz vor meiner Pensionierung und war schon oft genug von Zwillings Ideen betroffen. Glauben Sie mir! Wenn Sie die Arbeit gar nicht schaffen, dann lassen Sie einfach mal was liegen. Das wird Sie auch nicht den Kopf kosten. Ein bisschen Ärger mehr, aber wen stört das schon. Da müssen wir gelegentlich halt durch“, resümierte Liebermann.

 „Au Mann, eigentlich bin ich ein grundsätzlich harmoniebedürftiger Mensch, aber meine neue Familie ist mir auch sehr wichtig! Wie soll ich das hier nur schaffen?“

 „Ich heiße Johannes und werde dir ebenfalls helfen“, sagte Liebermann mit sympathischem Lächeln.

 „Das ist schön. Ich heiße Albert.“

 „Du kannst auf mich zählen. Du solltest Zwilling verzeihen, er kann nicht anders. Er brauchte dich für die Bildende Kunst, aber eben auch für die Inklusion. Hätte er dir das von Anfang an so gesagt, dann hätte er dich wahrscheinlich nicht bekommen. Schulleiter können nur manchmal nicht ganz ehrlich sein.“

 „Ich werde eine Weile damit zu tun haben, Zwilling zu verstehen “, sagte Albert.

 „Naja, man muss ihn verstehen und dann kann man ihn so nehmen, wie er ist. Bei der nächsten Gelegenheit gehen wir beide einen Kaffee trinken und dann können wir das Thema noch weiter vertiefen, aber ich muss jetzt heim“, sagte Liebermann und klopfte Albert aufmunternd auf die Schulter.

Zahn blieb noch eine Weile einigermaßen konsterniert sitzen, ehe er spürte, wie Kopfschmerzen aufzogen.

Die Beschwerden wollten auch bis in die Nacht hinein nicht mehr verschwinden und ließen ihn dann wieder einmal nicht in den Schlaf finden. Er verfasste sein erstes Gedicht, seitdem er die Schule gewechselt hatte:

 

Der Neue

 

Wohlerzogen muss folgen der Neue,

das bessre Wissen muss vergessen er.

Wohlerzogenen muss sich einordnen der Neue,

den eigenen Kopf muss vergessen er.

Wohlerzogen muss sich beugen der Neue,

den eigenen Spaß muss vergessen er.

Doch wohlerzogen ist hoffentlich nicht er,

denn ein Mensch ist auch der Neue.

Immer wenn er in seinem vergangenen Leben Probleme des Alltags schlecht hatte verarbeiten können, schrieb er, um seine innere Ruhe wiederzufinden. Literatur stellte für ihn seit der frühesten Jugend ein Ventil dar, mit dem er viele Widrigkeiten des Lebens aus dem Weg räumte.

 

 

Es folgten Wochen,