Hör nicht auf die Geisterstimme! Sammelband 3 geheimnisvolle Thriller

Ann Murdoch

Published by BEKKERpublishing, 2022.

Inhaltsverzeichnis

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Hör nicht auf die Geisterstimme! Sammelband 3 geheimnisvolle Thriller | von Ann Murdoch

Copyright

Symphonie der Geister: Romantic Thriller

Symphonie des Grauens

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Ann Murdoch Romantic Thriller: Tod auf dem Drahtseil

Tod auf dem Drahtseil | Romantic Thriller von Ann Murdoch

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Sieben Siegel bis zum Tod

Sieben Siegel bis zum Tod | Romantic Thriller von Ann Murdoch

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Prolog

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Hör nicht auf die Geisterstimme! Sammelband 3 geheimnisvolle Thriller

von Ann Murdoch

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Über diesen Band:

Dieser Band enthält folgende Romane

von Ann Murdoch:

Symphonie der Geister

Tod auf dem Drahtseil

Sieben Siegel bis zum Tod

––––––––

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Auf einer Auktion ersteigern Julian Forbes und seine Begleiterin Christiane Jansen eine kleine Spieluhr. Sehr zum Ärger von Francis Stuart, der das Kleinod für seine Schwester ersteigern wollte. Julian spricht den enttäuschten Bieter nach der Auktion an und Francis bittet Julian und Chris, ein Wochenende auf seinem Schloss, zusammen mit ihm seiner Schwester und der Spieluhr, zu verbringen. Als die vier am Wochenende den Deckel der Spieluhr öffnen, erklingt eine kleine Melodie, während in den Köpfen der Anwesenden eine einschmeichelnde Stimme verspricht, alle ihre Wünsche zu erfüllen – vorausgesetzt, dass die sieben Siegel an den sieben Türen am Ende der sieben Gänge gebrochen werden.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

© Roman by Author / COVER FIRUZ ASKIN

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Symphonie der Geister: Romantic Thriller

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Symphonie des Grauens

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von Ann Murdoch

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author

© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Der Umfang dieses E-Book entspricht 105 Taschenbuchseiten.

In einer Ausstellung über die Ritterzeit in einem Londoner Museum berichten Besucher immer wieder von Geistersichtungen. Die junge Wissenschaftlerin und Tochter des Museumsdirektors, Melissa Wilson, glaubt ihnen zunächst nicht, bis sie selbst eine solche Erscheinung erlebt. Noch am gleichen Abend trifft sie auf den Archäologen Stephen Caine, der mehr darüber zu wissen scheint. Doch was kann er ihr berichten und was hat es mit dem seltsamen Verhalten von Melissas Vater auf sich?

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Das kleine Weston-Cone-Museum im vornehmen Stadtteil Belgravia in London hatte über die Jahre hinweg immer wieder besonders aufsehenerregende Ausstellungen zu Stande gebracht. Das lag voll und ganz im Sinne des Stifters, der neben seinem Namen auch eine ziemlich große Summe eingebracht hatte, damit viele Ausstellungen stattfinden konnten, die andere Museen in dieser Form nicht darstellten. Kenner erinnerten sich gerne an „Das mörderische Theater“ oder „Die Sphinx vor der Haustür“, bei denen Leihgaben gezeigt wurden, die große etablierte Museen nicht bekommen hatten.

Auch jetzt war „Die Ritterzeit – Kultur und Tod“ ein Anziehungspunkt, dem viele Interessierte nur zu gern folgten. Der Direktor des Museums, Professor Dorian Wilson, besaß die Fähigkeit, die Ausstellungsstücke so zusammenzustellen, dass ein plastisches Bild der jeweiligen Zeit entstand. In erster Linie ging es dieses Mal um die Ritterzeit mit Ausbildung und Waffen, wie auch das tägliche Leben mit Religion, Kultur und Freizeit, und die Exponate waren durchweg hochkarätig. Hellebarden, Pfeil und Bogen, Dolche, Schwerter, alles sorgfältig ausgesucht; dazu aber auch Folterinstrumente, die schon beim bloßen Betrachten eisige Schauder über den Rücken jagten.

Im Gegensatz dazu gab es Alltagsgegenstände, Kleidung, Musikinstrumente, und einige ausgesuchte Bücher, die von der hohen Handwerkskunst zeugten.

Professor Wilson und seine Tochter Melissa hatten die Ausstellung so gestaltet, dass eine Reihe von lebensgroßen Puppen eine eindringliche Darstellung vom Gebrauch der Waffen zeigten. Es gab voll gerüstete Ritter, die sich mit den Handwaffen schlugen, und die Besucher durften unter Aufsicht sogar selbst ausprobieren, mit welchen Gewichten, Schwierigkeiten und Hindernissen die Menschen der damaligen Zeit zu tun hatten. Dazu gehörte beispielsweise auch die Tatsache, dass die Rüstungen sehr schnell vom Rost befallen wurden. Wer es wagte, durfte dann die Folterkammer betreten, in der ebenfalls lebensechte Puppen die Qual und Grausamkeit deutlich veranschaulichten.

Janine Mason und ihr Freund Oliver Jones waren ziemlich blass im Gesicht, schon bevor sie die Folterkammer betraten. Die junge Frau holte erschreckt tief Luft, als sie sich einer Person gegenüber befand, die mit schmerzverzerrtem Gesicht und offenem Mund vor ihr saß. Das rechte Bein steckte in einem spanischen Stiefel, einer Art Metallröhre, die man aufklappen konnte wie einen Schrank. Darin saßen nadelspitze Dornen, die sich in das wehrlose Fleisch bohrten, Muskeln, Sehnen und Knochen zerstörten und dauerhafte Schäden hervorriefen. An der Seite des Foltergerätes sickerte scheinbar Blut heraus.

An einer Wand hing ein Mann in eisernen Ketten, an den Handgelenken aufgehängt, und auf einem Streckbett lag eine Frau, deren Gesicht ebenfalls von der empfundenen Qual zeugte. Das alles wirkte so lebensecht, dass Menschen mit schwachen Nerven einem Herzschlag nahe kamen. Natürlich standen schon am Eingang des Museums Schilder, die davor warnten, die Folterkammer zu betreten, aber genau dieser Hinweis reizte die Besucher natürlich.

Janine und Oliver jedenfalls tasteten nach der Hand des jeweils anderen, als sie die lebensnahen Szenen betrachteten.

„Mein Gott, das ist ja grausam“, stieß die junge Frau hervor. „So was hat man früher wirklich getan?“

„Ich glaube, das und noch viel mehr“, erwiderte ihr Freund ernst. „Aber ich sage dir, diese Ausstellung ist großartig. Das werde ich in der Studentenzeitung auch so schreiben. Besonders diejenigen, die Geschichte studieren, sollten unbedingt hierherkommen.“

Janine schien seine Begeisterung nicht so ganz zu teilen, so dass sie sich nicht noch länger hier aufhalten wollte. „Lass uns gehen“, bat sie. „Mir wird ganz übel, wenn ich da nur hinsehe.“

Die beiden befanden sich im Augenblick allein hier, es war kurz vor Schließung der Ausstellung, und der Sicherheitsbeamte, der sonst am Eingang stand, war bereits dabei, seinen Tagesbericht zu schreiben.

Janine schrie plötzlich auf. „Da, da hat sich etwas bewegt.“

Oliver blickte in die angegebene Richtung, zog dann aber seine Freundin dicht an sich. „Du täuschst dich, mein Liebes, aber das ist in dieser Umgebung nun wirklich kein Wunder. Na komm, wir gehen wieder hinaus.“

Doch dann blieb ihm der Mund offen stehen, auch er hatte jetzt etwas gesehen. Das Entsetzen lähmte die beiden förmlich, sie mussten eine absolut unglaubliche Szene mit ansehen.

Aus dem Nichts tauchten zwei Männer auf, der eine von ihnen hielt einen Gegenstand in der Hand, den die beiden jungen Leute nicht genau erkennen konnten, der andere drang mit einem Schwert auf ihn ein. Obwohl der erste versuchte, dem tödlichen Streich zu entgehen, gelang ihm das nicht, er wurde von der scharfen Klinge durchbohrt, fiel zu Boden, und sein Mörder schlug ihm gnadenlos den Kopf ab.

„Nein, nein, das dürfen Sie nicht“, schrie Janine und rannte auf die beiden zu – nur um festzustellen, dass da gar nichts war und ihre Hände ins Leere griffen. Erneut löste sich ein Schrei aus ihrer Kehle.

Es dauerte nur Sekunden, bis eine Frau die Folterkammer betrat. Sie besaß ein ebenmäßiges Gesicht, kluge braune Augen und streng im Nacken zusammengebundene dunkle Haare. Ihr blauer Hosenanzug wirkte geschäftsmäßig, nur eine außergewöhnlich extravagante Brosche durchbrach das Bild der kühlen und unpersönlichen Mitarbeiterin. Ein kleines Namensschild wies sie als Doktor Melissa Wilson aus.

„Verzeihen Sie, kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie ruhig, obwohl ihre blauen Augen verärgert auf dem Pärchen ruhten. Doch das Entsetzen in den beiden jungen Gesichtern war nicht gespielt, aber vermutlich war es dennoch auf die Umgebung zurückzuführen. Ungeduldig dachte Melissa etwas genervt, es besser wäre gewesen, hätten die zwei das Warnschild beachtet und vor allem befolgt.

Stumm, mit weit geöffnetem Mund, deutete Janine in Richtung der Wand. Melissa schaute dorthin, sah aber nichts Ungewöhnliches.

„Aber da waren doch gerade noch ... er hat ihn umgebracht ... mit einem Schwert – vor unseren Augen“, brachte die junge Frau stammelnd hervor.

Melissa seufzte innerlich. Da war wieder einmal mit jemandem die Fantasie durchgegangen. Nicht zum ersten Mal übrigens.

„Kommen Sie bitte“, bat sie energisch und versuchte das Paar sanft aus der Folterkammer zu schieben.

„Aber wir haben es gesehen, beide“, beharrte Oliver.

„Was haben Sie gesehen?“, wollte die Wissenschaftlerin sachlich wissen. Jones machte einen eigentlich ganz vernünftigen Eindruck. Hatte er sich wirklich von dieser unheimlichen Atmosphäre anstecken lassen? Doch er berichtete möglichst unaufgeregt, was er gesehen hatte, aber plötzlich kam er sich selbst unglaubwürdig vor und wechselte einen Blick mit Janine, die tapfer weitererzählte.

Melissa schüttelte den Kopf, lächelte nun aber. „Dieser Raum ruft manchmal sehr seltsame Gedanken in uns allen hervor. Gehen Sie nach Hause und versuchen Sie abzuschalten. Sie werden sehen, dass Sie sich schon morgen selbst darüber amüsieren werden.“

Die beiden ließen sich nur zu gern beruhigen, mittlerweile glaubten sie selbst an Halluzinationen. Gleich zwei Geister? Nein, sie hatten sich bestimmt ins Bockshorn jagen lassen. Ein erleichtertes Lächeln spielte um die Lippen von Janine.

„Entschuldigen Sie bitte, aber das alles wirkte so echt – ich meine ...“

„Ist schon in Ordnung“, beruhigte Melissa Wilson. „Ich hoffe, Sie hatten trotzdem etwas Freude an der Ausstellung. Empfehlen Sie uns bitte weiter.“

Aufatmend schloss sie die Eingangstür und verriegelte sie dann. Sie ging in ihr Büro und rief ihren Vater an, der das Museum leitete und in erster Linie für die Ausstellung verantwortlich war.

„Dad, ich habe gerade wieder zwei Leute gehabt, die fest behaupteten, Geister gesehen zu haben.“

Professor Dorian Wilson am anderen Ende lachte leise auf. „Sind wir vielleicht doch etwas zu realistisch mit der Darstellung geworden? Es tut mir leid, dass du dich damit herumschlagen musst, Melissa. Mach dir weiter keine Gedanken, wahrscheinlich wird es noch mehr geben, die nach dem Besuch der Ausstellung schlecht schlafen. Aber etwas anderes, mein Kind, möchtest du heute Abend hierher zum Essen kommen?“

Melissa lebte seit einiger Zeit in einer kleinen Wohnung in London, ihr Vater hingegen wohnte seit Jahrzehnten auf Thorwald Manor, einem stattlichen Herrenhaus außerhalb der Stadt, das seine viel zu früh verstorbene Ehefrau Charlotte als Mitgift bekommen hatte. Es behagte ihm nicht, dass sein einziges Kind so weit entfernt war, und immer wieder wies er darauf hin, dass im Haus mehr als genug Platz war, um sich auch aus dem Wege zu gehen. Aber seine Tochter liebte ihre Unabhängigkeit und lehnte die Angebote des Vaters immer wieder ab. Doch zum Essen kam sie gern, die Köchin, Emily Crompton, war eine wahre Zauberin am Kochtopf.

„Ich komme gern, in zwei Stunden bin ich da, vielleicht kann ich dir bis dahin auch noch mehr über die Geister erzählen, die ich bisher leider noch nicht gesehen habe“, versprach sie.

Draußen war es schon dunkel, der Herbst war angebrochen, und ein kalter Wind pfiff durch die Straßen, wirbelte Blätter umher und trieb feine kalte Regentropfen gegen Häuser und Menschen. Es war diesig und die hereinbrechende Dunkelheit machte die Umgebung ungemütlich.

Melissa überzeugte sich, dass das Museum wirklich leer war. Ihre Mitarbeiterin Mary hatte heute etwas früher gehen müssen, die Wissenschaftlerin musste sich daher um alles selbst kümmern. Zum Schluss schaltete sie die Alarmanlage ein, nickte dem Nachtwächter zu und verschloss die Tür von außen sorgfältig. Der eisige Wind ließ ihre Haare jetzt vor dem Gesicht flattern, für einen Augenblick war sie fast blind. Sie strich sich die Haare zurück und hielt verblüfft inne. Zwei Menschen befanden sich plötzlich hier. Einer von ihnen trug fremdländische Kleidung und einen Gegenstand in der Hand, den sie nicht wirklich erkennen konnte. Der andere jedoch war eindeutig ein Ritter mit einem Schwert. Er ging auf den ersten Mann zu und attackierte ihn heftig.

Melissa schüttelte den Kopf, bekam sie nun auch Halluzinationen? Doch sie konnte sich nicht rühren und schaute der makabren Szene grauenvoll fasziniert zu.

Es gelang dem Ritter, dem anderen Mann sein Schwert in den Leib zu stoßen, der fiel zu Boden, und der Ritter vollendete seine grausige Tat, indem er dem Schwerverletzten den Kopf abschlug.

Melissa wollte schreien, auf die beiden zulaufen, diesen schrecklichen Mord verhindern, aber sie konnte sich nicht rühren. Eine feine Melodie lag in der Luft, wie von einem ganz leisen Orchester. Die liebliche Melodie wirkte skurril angesichts der blutigen Mordtat.

„Das ist doch nicht möglich“, murmelte die junge Wissenschaftlerin ungläubig und ging auf die beiden Gestalten zu. Mit ausgestreckter Hand wollte sie die Männer berühren, aber die Finger spürten nur eisige Kälte, keinen festen Körper.

„Nein“, flüsterte sie entsetzt und taumelte unbewusst rückwärts.

„Hoppla, jemand aus Fleisch und Blut“, sagte eine warme männliche Stimme, dann fühlte Melissa, wie zwei starke Hände sie festhielten, damit sie nicht zu Boden fiel. Sie versuchte trotz des Schreckens in ihrem Inneren beherrscht zu bleiben.

„Entschuldigen Sie bitte, ich war wohl unaufmerksam“, brachte sie einigermaßen höflich hervor. Sie blickte in ein sympathisches Gesicht mit dunklen Augen, einem Grübchen im Kinn und schmalen Lippen, die sich zu einem spöttischen Lächeln verzogen.

„Ich habe es auch gesehen, Madam, und ich muss gestehen, das sah wirklich grausig aus.“

„Was? Was haben Sie gesehen?“

„O bitte, machen wir uns doch nichts vor, wir sind intelligente praktisch denkende Menschen, die eigentlich nicht an Geister glauben, und trotzdem haben wir keine Erklärung ...“

„Ich glaube, es geht Ihnen nicht gut“, stieß sie hervor, dabei war sie selbst leichenblass.

„Leugnen hilft uns auch nicht viel weiter, Dr. Wilson. Wir sollten dieser Angelegenheit lieber auf den Grund gehen.“

Sie runzelte die Stirn. „Woher kennen Sie meinen Namen?“

Gespielt nachdenklich legte er einen Finger an die Lippen. „Doktor Melissa Wilson, neunundzwanzig Jahre alt, Studium der Anthropologie und Geschichte des Mittelalters, Abschluss mit höchster Auszeichnung. Tochter von Professor Dorian Wilson, der sich einen Namen als Experte für das Mittelalter und seine Kriege gemacht hat. Sie haben archäologische Ausgrabungen durchgeführt in Ägypten, Angkor Wat und Schottland, bevor Sie dem Ruf Ihres Vaters an dieses Museum gefolgt sind. Sie sind nicht verheiratet, äußerst tüchtig in Ihrem Beruf und gelten als die Nachfolgerin des Professors, sobald er hier aufhören sollte. Und im Nationalmuseum möchte man Sie gerne abwerben, was bisher daran gescheitert ist, dass Sie sich beharrlich weigern. Habe ich etwas vergessen?“

Mit einem treuen unschuldigen Blick schaute er sie an, und Melissa musste eingestehen, dass er im Grunde umwerfend gut aussah. Glatte, gut rasierte Haut bedeckte die Kinnpartie, die Kleidung war ausgesucht lässig, und seine Hände waren sehr gepflegt.

„In der Tat, da Sie haben etwas vergessen, Sir“, erwiderte sie empört und doch amüsiert. „Sie haben sich mir gegenüber nicht vorgestellt, und Sie haben vergessen mir zu erklären, woher Sie alle diese Einzelheiten wissen und warum.“

„Sie haben Recht, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Mein Name ist Stephen Caine, ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter der Internationalen Archäologischen Gesellschaft und nur dem Vorstand unterstellt. Meine Aufgabe ist es, über alle Ausstellungen informiert zu sein, und auch die dafür zuständigen Mitarbeiter zu kennen, es gehört unter anderem zu meinen Aufgaben, die Pressearbeit zu übernehmen.“

Melissa runzelte die Stirn. Sie hatte von der IAG gehört, war mit dieser Organisation aber nicht sehr vertraut.

„Und Sie wollten jetzt noch ins Museum? Dann sollten Ihnen aber auch die Öffnungszeiten bekannt sein“, meinte sie etwas spitz.

Er lachte. „Selbstverständlich weiß ich darüber Bescheid, eigentlich hatte ich gehofft, Sie abzupassen, wenn Sie schließen. Vielleicht gewähren Sie mir eine Privatführung?“

Sofort wurde sie sachlich und geschäftsmäßig. „Sie können sich gerne telefonisch anmelden, um einen Pressetermin wahrzunehmen.“

Er seufzte theatralisch. „Ich bin doch kein Journalist, Dr. Wilson. Ich bin quasi ein Kollege. Und nach der beeindruckenden Erscheinung von gerade eben habe ich mir das doch sicher verdient.“

Aber Melissa hatte für diesen Abend genug. „Ich sage Ihnen etwas, Mr. Caine, rufen Sie mich morgen früh hier an, und wir sprechen noch einmal darüber. Jetzt habe ich keine Zeit. Und was Sie da gerade zu sehen geglaubt haben, dürfte ganz einfach eine Täuschung gewesen sein. Vergessen Sie es. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.“ Sie wandte sich ab, aber Stephen griff nach ihrem Arm.

„Dr. Wilson – Melissa, wir wissen beide, was wir gerade gesehen haben, und eine Täuschung sieht weiß Gott anders aus. Vor allem ist es nicht das erste Mal, dass mir so etwas untergekommen ist. Auch darüber möchte ich gern mit Ihnen reden. Aber gut, morgen früh. Eine angenehme Nacht wünsche ich Ihnen, Melissa.“

Sie wollte protestieren, energisch werden, ihm ins Gesicht schleudern, dass ihm eine derart vertrauliche Anrede gar nicht zustand, und doch spürte sie in dem Mann etwas Autoritäres, Bestimmendes, was sie davon abhielt. So nickte sie ihm nur zu und ging davon.

Auf der Fahrt nach Thorwald Manor dachte sie darüber nach, was sie wirklich gesehen hatte. Geister? So ein Unsinn! Es musste ganz einfach eine Sinnestäuschung gewesen sein, nichts anderes.

Der Verkehr wurde geringer, je weiter sie sich von der Stadt entfernte, dann bog sie in einen schmalen privaten Zufahrtsweg ein, der direkt zum Herrenhaus führte. In der unteren Etage waren fast alle Fenster hell erleuchtet, und mehrere Autos standen vor dem lang gestreckten Gebäude.

Verwundert ging sie die Stufen zum Eingang hinauf, wo der Butler ihr die Tür öffnete, als hätte er nur auf sie gewartet.

„Sheridan, wie schön, Sie zu sehen“, sagte sie zu dem älteren Mann, den sie schon ihr Leben lang kannte. „Habe ich den Geburtstag meines Vaters vergessen, oder was ist hier los? Ich dachte, der Professor hätte mich nur zu einem kleinen gemütlichen Abendessen hergebeten. Aber hier ist ja eine ganze Gesellschaft versammelt. Kenne ich die Leute?“

„Guten Abend, Miss Melissa“, erwiderte der Butler gemessen. „Ihr Vater hatte tatsächlich nur ein kleines Abendessen geplant. Die Herren kamen überraschend, aber offenbar doch nicht ungelegen. Es handelt sich um einen kleinen Kreis angesehener Wissenschaftler und Museumsdirektoren. Einige werden Ihnen sicherlich bekannt sein. Kommen Sie, Miss Melissa, Ihr Vater erwartet Sie bereits.“

Wieder einmal war Melissa angetan von dem wunderschönen Esszimmer in Thorwald Manor. Die Wände waren mit Tapeten aus Seide belegt, den Boden bedeckte ein schöner alter Aubusson-Teppich, und die Möbel, die ihre Mutter noch ausgesucht hatte, waren zeitlos, gehörten keiner bestimmten Stilepoche an, gaben dem Raum aber ein behagliches Aussehen. Ein langer Tisch beherrschte den Mittelpunkt, er war aus Walnussholz und besaß unter dem glänzenden Lack eine feine Maserung. Die Stühle waren dazu passend und ebenfalls aus massivem Holz. Die Rückenlehnen wurden von Schnitzereien durchbrochen. Seit ihrer Kindheit hatte Melissa dieses Zimmer geliebt, den großen gemauerten Kamin, auf dem eine Uhr die Sekunden heruntertickte; die Anrichte mit dem wertvollen Porzellan, Kristall und Silber, und den Sekretär, an dem ihre Mutter stets all ihre Korrespondenz geführt hatte.

Ein mächtiges Feuer brannte im Kamin, der Tisch war für sechs Leute gedeckt, und die Besucher standen mit ihrem Vater beim Feuer und diskutierten.

„... ist dringend geboten, dass wir etwas unternehmen, um den Vorgang zu beschleunigen“, sagte einer der Männer, den Melissa als den angesehenen Professor Jurij Iwanow erkannte. Der Mann leitete die Eremitage in St. Petersburg. Ein anderer trank etwas von dem hervorragenden Brandy, den der Professor eingeschenkt hatte.

„Wir haben schon viel zu lange gewartet, Dorian. Wie lange wollen Sie noch ...?“

„Miss Melissa Wilson“, meldete Sheridan und unterbrach damit das Gespräch. Melissa fragte sich, worüber die Männer gerade so eifrig geredet hatten. Womit wollten sie nicht länger warten? Und was sollte überhaupt geschehen?

Dorian Wilson wandte seinen konzentrierten Blick von seinem Gesprächspartner ab, ein freudiges Lächeln erschien auf dem schmalen aristokratischen Gesicht.

„Die liebste aller Töchter, endlich bist du da. Lass dich umarmen, mein Kind, und dann werde ich dich diesen Herren vorstellen.“ Er zog die Frau eng an sich. „Tut mir leid, dass wir dir heute mit unserem Geschwätz auf die Nerven gehen werden. Wir werden uns bemühen nicht zu viel über die Arbeit zu reden.“

„Das macht nichts, Dad, ich werde dieser gesammelten Weisheit gerne zuhören.“

Er schmunzelte. „Professor Jurij Iwanow ist dir schon bekannt, und Professor Jean Claude de Rhines kennst du sicher auch.“ Melissa nickte. Er war der Kustos der französischen Nationalsammlung und verwaltete mehr als nur die Exponate aller Pariser Museen. Auch die anderen drei Männer waren maßgeblich für große Museen und Sammlungen verantwortlich. Melissa fand es ein wenig seltsam, dass sich derart wichtige Männer hier zusammenfanden, ohne dass es allgemein bekannt wurde. Ein Gefühl sagte ihr, dass diese Zusammenkunft einem anderen Zweck diente als dem freundschaftlichen Austausch von Erfahrungen. Nun, vielleicht würde beim Tischgespräch etwas darüber zu erfahren sein, und falls nicht, wollte Melissa ihren Vater später darüber befragen.

Auch die junge Frau nahm einen Aperitif und wurde sofort in die allgemeine Diskussion über Ausstellungen einbezogen. Sheridan öffnete wenig später beide Flügeltüren, und die Köchin Emily sowie das Hausmädchen trugen das Menü herein. Nach einer köstlichen Pilzcremesuppe gab es zartes Kalbfleisch mit Beilagen und eine handgemachte Mousse au chocolat.

Nun wurde Melissa doch stutzig, denn sie kochte selbst gern und gut. Aber eine Mousse für sechs Personen dauerte selbst im günstigsten Fall mehrere Stunden. Hatte Sheridan nicht gesagt, die Herren wären überraschend gekommen?

Melissa wandte sich an ihren Tischnachbarn, den Spanier Almeira. „Sagen Sie, Señor, ist dieses Treffen von so hochrangigen Fachleuten schon länger geplant gewesen? Dann hätten Sie doch einen richtigen Kongress veranstalten können, ich hätte mit Vergnügen teilgenommen. Ich bin sicher, viele Kollegen hier in England wären ebenfalls gern dabei gewesen.“

Der relativ junge Mann strahlte sie an. „Wir haben uns tatsächlich etwas überraschend dazu entschlossen, weil Ihr verehrter Herr Vater uns gerne seine neue Ausstellung präsentieren wollte. Offenbar gibt es doch noch gute Möglichkeiten, um auch junge Menschen, die sonst kein Museum besuchen, anzulocken. Was sagen Sie, Miss Melissa, ist die Ausstellung tatsächlich so gut?“

Sie brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen, doch dann schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Was sollte dieses Misstrauen? Vielleicht hatte sie den Butler einfach nur falsch verstanden.

„Richtig, da hat mein Vater wieder einmal das richtige Gespür besessen.“ Lächelnd erzählte sie von den verschiedenen Ausstellungsstücken und schließlich auch von den beiden jungen Leuten am Abend, ohne jedoch ein Wort über die Geistererscheinungen zu verlieren, die sie selbst gesehen hatte.

„Ich bin sicher, ein Großteil des Erfolges gebührt auch Ihnen“, erklärte er galant. „Aber es ist wohl so, die Menschen sehen immer nur das, was sie sehen wollen. Eine lebhafte Fantasie führt schnell dazu, dass man sich etwas einbildet.“

Täuschte sie sich, oder wurde sein Blick misstrauisch? Sie fühlte sich plötzlich in dieser Runde nicht mehr wirklich wohl. Aber es kam nicht infrage, dass sie einfach aufstand und ging. Außerdem war sie schrecklich neugierig geworden. Vielleicht konnte sie doch noch etwas mehr in Erfahrung bringen. Sie sprach wenig und hörte lieber aufmerksam zu, als die Männer von ihrer Arbeit berichteten. Es war hochinteressant, die Erfahrungen und Informationen aus anderen Museen zu hören, allein dafür hatte sich der Abend bereits gelohnt.

Nach dem hervorragenden Essen zogen sich alle in die Bibliothek des Professors zurück, um weiter zu diskutieren. Melissa jedoch hatte das Gefühl, sie würde stören. Irgendwie blieben die Gespräche zu allgemein, und es lag eine leicht gespannte Atmosphäre in der Luft. Sie verzog das Gesicht zu einem Lächeln und trat zu ihrem Vater.

„Ich möchte mich verabschieden, Dad. Morgen früh habe ich noch ein wichtiges Pressegespräch, und der Rückweg ist noch lang.“

Er sah enttäuscht aus. „Warum bleibst du dann nicht über Nacht und fährst erst morgen zurück, Kind? Du siehst müde und abgespannt aus, es wird dir guttun, früh schlafen zu gehen. Dein Zimmer ist bereit, wie immer.“

Ein verlockendes Angebot. Und vielleicht konnte sie ... Melissa überlegte nicht lange. „Ja, das ist wohl eine gute Idee. Ich würde mich trotzdem gerne zurückziehen. Es war ein anstrengender Tag.“

Obwohl die Herren nach alter Schule geschlossen aufstanden und ihr Bedauern ausdrückten, wirkten sie erleichtert.

Die junge Frau verabschiedete sich und ließ sich von Sheridan zu ihrem Zimmer geleiten. Obwohl sie Thorwald Manor bis in den kleinsten Winkel kannte, hätte der Butler es niemals zugelassen, dass die junge Lady allein in ihr Zimmer ging. Er überzeugte sich davon, dass das Hausmädchen das Feuer im Kamin bereits entzündet hatte, außerdem prüfte er nach, ob Nachtwäsche bereitgelegt war.

„Das ist doch alles gar nicht nötig, Sheridan“, sagte sie sanft. „Sie machen sich viel zu viel Arbeit.“

„Für Sie mache ich das gern“, versicherte er, und sie kicherte. „Jetzt fehlt nur noch, dass Sie wie in meiner Kindheit unter das Bett und in den Schrank blicken, ob dort auch keine Monster versteckt sind.“

„Wünschen Sie, dass ich ...?“

„Halt, Sheridan, nein, mittlerweile pflege ich meine Monster liebevoll und möchte nicht, dass sie vertrieben werden.“

Ein gütiges Lächeln erschien auf dem Gesicht des älteren Mannes. „Dann achten Sie darauf, dass niemand sonst sie zu sehen bekommt. Ach ja, Miss Melissa, Sie erinnern sich vielleicht an Ihre Versteckspiele, speziell in der Zeit, als Sie im – nun ja, heranwachsenden Alter waren?“

Augenblicklich wurde sie sehr aufmerksam. Der Butler spielte darauf an, dass sie in kindlicher Neugier auch die eigentlich streng verbotenen geheimen Gänge erforscht hatte. Es hatte damals Strafen und Zimmerarrest von ihrem Vater gehagelt, weil niemand darüber Bescheid wusste, dass auch von ihrem Zimmer aus ein Gang wie ein Klimaschacht durch das ganze Herrenhaus und in die Unterwelt führte. Niemand, außer Sheridan, und der schwieg darüber. Deshalb hatte ihr der Arrest nicht viel ausgemacht.

Der Butler deutete wortlos, aber vielsagend auf den Einbauschrank, neigte dann kurz den Kopf und ging hinaus. Melissa schüttelte lächelnd den Kopf, bis ihr aufging, was der Mann damit hatte sagen wollen. Sie konnte den Geheimgang nutzen, um die Gespräche der Männerrunde zu belauschen. Die würden sich jetzt bestimmt keine Hemmungen mehr auferlegen. Sheridan war wirklich etwas Besonderes, aber auch ihm schien diese Zusammenkunft nicht ganz geheuer zu sein.

Melissa verschloss die Zimmertür von innen und öffnete den geheimen Zugang in die hauseigene Unterwelt.

Sie hatte zu ihrer Überraschung auf dem kleinen Beistelltisch eine Taschenlampe vorgefunden und – einige Süßigkeiten. Sheridan kannte ihre heimliche Leidenschaft noch immer.

Der Tunnel führte aus dem Schrank über einige Stufen in dunkle Tiefen. Hier kannte sie sich aus und ging mit schlafwandlerischer Sicherheit voran. Schon bald hatte sie den Gang erreicht, der an der Bibliothek entlangführte. Allerdings gab es hier kein Gemälde an der Wand, durch das ein geheimer Lauscher in den Raum hineinblicken konnte. Melissa musste die Geheimtür einen Spalt öffnen, um wenigstens zuhören zu können.

„... dürfen wir nicht einweihen“, sagte einer der Männer bestimmt.

„Und warum nicht?“, fragte der Professor aufgebracht. „Ich wüsste wirklich niemanden, der besser geeignet wäre. Außerdem ist sie verschwiegen, klug und wird schnell verstehen, wo unsere Ziele liegen.“

Melissa spitzte die Ohren.

„Nur weil sie deine Tochter ist, bedeutet das noch längst nicht, dass sie sich auch mit unseren Zielen identifiziert. Strengste Geheimhaltung ist eine unserer obersten Maximen, Dorian. Was ist, wenn Melissa damit nicht einverstanden ist oder sich womöglich weigert?“, gab Iwanow zu bedenken.

Der jungen Frau klopfte das Herz bis zum Halse. Wovon redeten die Männer da? Das alles bestätigte jedoch die Annahme, dass dieses Treffen weder überraschend, noch aus unwichtigen Beweggründen stattfand.

Dorian Wilson stand auf und ging einige Schritte auf und ab, seine Tochter bemerkte mit Erstaunen, dass ihr Vater neuerdings einen Stock benötigte. Warum war ihr das nicht früher aufgefallen? Nun, vielleicht wollte er vor seiner Tochter verheimlichen, wie schlecht es um seine Gesundheit stand.

„Meine Tochter Melissa wurde von mir sorgfältig erzogen und ausgebildet“, sagte er kalt. „Sie ist in der Lage ihre Arbeit bestens auszuführen, sie wird meinen Platz einnehmen, sobald ich meine Aufgabe nicht mehr erfüllen kann. Aber bis dahin wünsche ich, dass Melissa in unseren Kreis aufgenommen wird. Sie soll mit den Zielen vertraut gemacht werden und sich darauf vorbereiten, die große Aufgabe selbst in Angriff zu nehmen, falls wir es bis dahin nicht schon selbst geschafft haben.“

„Ist das der Grund, warum du uns heute alle zusammen hergebeten hast?“, wollte Iwanow wissen.

„Auch, ja“, erwiderte Wilson. „Ich wollte, dass ihr einen Eindruck von ihr bekommt, und dass sie euch kennenlernt. Aber der Hauptgrund war für mich einfach, dass ich meine Tochter gern in meiner Nähe habe. Ist das jetzt in deinen Augen verwerflich?“

Wider Erwarten lächelte der Russe verständnisvoll. „Nein, ganz und gar nicht. Ich wünschte, ich hätte einen Sohn oder eine Tochter, auf die ich derart stolz sein könnte. Wir werden die Abstimmung über die Aufnahme und Nachfolge dennoch verschieben, Dorian. Ich habe die Hoffnung, dass unser großer Plan schon bald Erfüllung findet. Dann wird es vielleicht sogar unnötig sein, eine Nachfolgerin für dich zu bestimmen.“

Der Professor wirkte etwas besänftigt. „Ich verstehe, allerdings kann ich noch nicht sagen, dass ich eine positive Rückmeldung zu verzeichnen hatte.“

„Richtig, du konntest noch keine Nachricht empfangen, im Gegensatz zu uns allen“, erklärte der Franzose de Rhines. „Deswegen lasst uns jetzt alle den Altarraum aufsuchen. Dort werde ich euch Bericht erstatten, und wir können eine weitere vorbereitende Beschwörung vornehmen, die uns im Herzen vereint. Wir werden gemeinsam daran arbeiten, unsere gesteckten Ziele zu erreichen.“

Keiner der Männer erhob Widerspruch. Melissa spürte ihren Herzschlag bis in den Kopf pochen. Ein Altarraum? Was für eine Beschwörung? Welches sollten die gesteckten Ziele sein? Um was ging es hier überhaupt?

Zur Enttäuschung der jungen Frau verließen die fünf Männer die Bibliothek und gingen von dort aus seltsamerweise in Richtung Keller. Für Melissa gab es nun keine Möglichkeit ihnen zu folgen. Lautlos schimpfte sie vor sich hin und öffnete die geheime Tür vollständig, dann betrat sie die Bibliothek, wo noch immer der Rauch der Zigarren hing, die zwei der Männer geraucht hatten. Bevor die Frau ebenfalls auf den Flur und dann der Versammlung in den Keller folgen konnte, stand wie aus dem Boden gewachsen Sheridan vor ihr.

„Das halte ich für keine gute Idee, Miss Melissa“, sagte er leise. „Sie können den Herren nicht folgen, ohne entdeckt zu werden.“

Sein Blick war ernst, und seine Haltung wirkte entschieden.

„Was ist mit meinem Vater?“, fragte sie leise. „In was wurde er da hineingezogen?“

„Fragen Sie lieber, was er selbst in Gang gesetzt hat. Aber fragen Sie mich nicht nach Einzelheiten, auch mir sind nur Bruchstücke bekannt, die mich jedoch beunruhigen. Wenn Sie mehr wissen wollen, müssen Sie es selbst herausfinden.“

Er verschwand, und Melissa stand da wie vom Donner gerührt. Tausend Fragen hätte sie stellen mögen, und plötzlich wunderte sie sich nicht mehr über die Geistererscheinungen, die sie bisher selbst noch leugnete. Vielleicht hatten die etwas mit diesen unheilvollen Andeutungen zu tun. Zornig und verwirrt kehrte sie in ihr Zimmer zurück, wahrscheinlich würde ihr gar nichts anderes übrig bleiben, als ihren Vater selbst zu fragen. Doch wie sollte sie ihm erklären, dass sie ganz einfach gelauscht hatte? Das konnte zu Recht als Vertrauensbruch empfunden werden. Unzufrieden legte sie sich schlafen.

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Fast hätte Melissa am nächsten Morgen verschlafen. Als Sheridan sie energisch weckte, stellte sie fest, dass sie nach dem ersten Aufwachen wieder eingeschlafen war, jetzt wurde ihr die Zeit knapp. Sie wollte dem Butler oder dem Hausmädchen keinen Vorwurf machen, dass man sie nicht früher geweckt hatte. Melissa war der Ansicht, dass jeder Mensch für sich selbst die Verantwortung trug. Eilig machte sie sich fertig. Wie gut, dass auch hier auf Thorwald Manor noch immer Kleidung von ihr vorhanden war. Sie schlüpfte in ein Kostüm und lief die Treppe hinunter. Dort stand tatsächlich Sheridan und hielt ihr ein Lunchpaket entgegen.

„Fahren Sie bitte vorsichtig“, bat der ältere Mann. „Die Welt geht nicht gleich unter, falls Sie zu spät kommen.“

„Danke, Sie sind ein Schatz“, rief sie und umarmte ihn rasch. „Bitte richten Sie meinem Vater beste Grüße aus, ich rufe ihn später an.“

„Er wird nachher auch im Museum sein“, erklärte der Butler, der wieder einmal genau informiert war.

Wie jeden Morgen war der Verkehr nach London hinein einfach nur schrecklich, aber Melissa schaffte es trotzdem, einigermaßen pünktlich anzukommen. Die Sekretärin Mary traf gleichzeitig mit Melissa ein, und der Beamte vom Sicherheitsdienst grüßte kurz.

„Du wirkst so abgehetzt“, stellte Mary Owens fest. „Hast du etwa Angst zu spät zu kommen?“

„Ach, ich habe die Nacht draußen im Haus meines Vaters verbracht und heute Morgen einfach verschlafen. Ich mag es nicht, meine Arbeit zu vernachlässigen.“

„Du bist ja nicht zu spät, und niemand hätte dir den Kopf abgerissen, wäre es ein paar Minuten später geworden.“

„Ich mag es für mich selbst nicht“, erklärte Melissa. „Da komme ich mir unzuverlässig vor.“

„Du meine Güte, nun mach mal nicht so einen Aufstand. O je, da klingelt schon das Telefon. Ja, ich komme schon, wer auch immer da etwas will.“ Mary huschte in das kleine Büro, und ihre ruhige Stimme erfüllte den Raum.

Melissa schloss alle Türen auf, die Alarmanlage hatte der Sicherheitsdienst bereits abgeschaltet. Kaum hatte sie am Schreibtisch den Computer hochgefahren, stand Mary in der offenen Tür.

„Da ist ein Mr. Caine, der dich sprechen möchte. Er sagte, du wüsstest Bescheid.“

„Ist in Ordnung, verbinde mich bitte.“

„Du hast mich falsch verstanden, er steht da draußen.“

Melissa seufzte, sie hatte gehofft, dass er nicht gleich auftauchen würde. Aber nun war er hier, und je schneller sie das Gespräch mit ihm zu Ende brachte, umso früher war er auch wieder weg.

Der Blick von Stephen ruhte bewundernd auf ihr, als er zur Begrüßung die Hand ausstreckte.

„Zauberhaft sehen Sie aus, Melissa, einfach zauberhaft.“

„Sie sind doch sicher nicht hier, um Komplimente zu verteilen“, erklärte sie kühl, und er zuckte bedauernd die Achseln.

„Stimmt leider. Kann ich jetzt mit Ihnen sprechen?“

Sie bot ihm einen Platz an und ließ sich selbst hinter dem Schreibtisch nieder. „Also gut, Mr. Caine, kommen wir doch zum Wesentlichen, wir haben sicher beide keine Zeit zu verschwenden. Ihre Andeutungen und Bemerkungen von gestern habe ich nicht wirklich verstanden.“

„Wirklich nicht?“, fragte er ironisch. „Im Übrigen heiße ich Stephen. Also, lassen Sie mich beginnen mit den Tatsachen, die ich schon weiß. In Sankt Petersburg gab es vor zwei Jahren eine bemerkenswerte Ausstellung über Musikinstrumente am Zarenhof, eine Sammlung aus mehreren Generationen. Schon vom ersten Tag an ereigneten sich ungewöhnliche Erscheinungen. Immer wieder tauchten Geisterbilder auf, die eine Szene beständig nachspielten, in der ein Mord im Mittelpunkt stand. Es gab eine ganze Reihe von Menschen, die Zeuge wurden, einem gelang es sogar, mit einem Fotoapparat eine Aufnahme davon zu machen. Professor Jurij Iwanow lehnte jede Stellungnahme dazu ab. Die Leute waren fasziniert und ängstlich zugleich und stürmten in die Ausstellung. Dann geschah das Unfassbare. Im Zusammenhang mit der Geistererscheinung wurden zwei lebende Menschen getötet. Professor Iwanow bestritt auch hier, dass es jemals unerklärliche Vorfälle gegeben hatte, und er bedauerte den Tod der beiden Menschen, er wäre jedoch auf einen Unfall zurückzuführen. Diese Version wurde im Übrigen von den Behörden bestätigt.“

„Eine interessante Geschichte“, unterbrach Melissa sachlich. „Aber was hat das mit der Ausstellung hier zu tun?“

„Ich bin noch nicht fertig. Ziemlich genau sechs Monate später gab es in Kairo eine Ausstellung über Spiele und Musik in der Pharaonenzeit. Auch hier tauchten Meldungen über Geistererscheinungen auf, die besonders von Touristen mehrfach gesehen wurden. Wiederum gab es nach einiger Zeit eine grausige Bluttat. Dort starben ebenfalls zwei Menschen, und die Erscheinungen hörten damit schlagartig auf. Professor Abdul al Hamam ibn Moschai bestritt das Auftauchen von Geistern generell, der Tod der Menschen wurde auch hier auf einen Unfall zurückgeführt, die Behörden bestätigten das ebenfalls. Sechs Monate später geschah etwas Ähnliches in Barcelona, und wiederum sechs Monate später in Frankreich der gleiche Vorgang. Und nun sind wir hier.“

Vor den Augen der jungen Frau tauchten die Besucher ihres Vaters auf. Die Versammlung vom Abend zuvor entsprach ziemlich genau der Aufzählung der scheinbar ungewöhnlichen Vorfälle. Dazu kamen die seltsamen Andeutungen in Gesprächen und die Geheimnistuerei. Was konnte das alles miteinander zu tun haben?

Melissa konnte vor sich selbst nicht bestreiten, dass sie keine Erklärung für die gestrigen Vorfälle hier im Museum und draußen vor der Tür hatte.

Stephen schien zu merken, dass ihr etwas durch den Kopf ging, was außerordentlich wichtig war. Er blickte sie aufmerksam und offen an. Melissa fand ihn tatsächlich sympathisch und wünschte sich unbewusst, dass es keine merkwürdigen Vorkommnisse gäbe, mit denen sie sich befassen musste. Dann könnte sie sich vielleicht ernsthaft mit diesem Mann beschäftigen.

„Gibt es etwas, was Sie dazu sagen könnten, Melissa?“, fragte er sanft.

„Das weiß ich noch nicht“, erklärte sie etwas ratlos. „Es irritiert mich ein wenig, dass ich nirgends etwas in den Berichten gehört oder gelesen habe, das sich damit beschäftigt.“

„Ich gebe zu, die verantwortlichen Herrschaften haben gute Arbeit geleistet. Wobei es in einem Polizeibericht auch einigermaßen seltsam wirkte, wenn als Mörder zwei Geister genannt würden.“

„Nehmen wir nur einmal an, diese Berichte entsprächen den Tatsachen“, fuhr sie fort. „Dann müsste es doch einen bestimmten Grund geben, warum diese Ausstellungen veranstaltet wurden, warum die Geister auftauchen und Menschen töten, und warum sie danach schlagartig verschwinden. Was ist der tiefere Zweck? Und weshalb beschäftigen Sie sich überhaupt damit? Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diese Informationen zu suchen, die offenbar nicht allgemein zugänglich sind, Mr. Caine?“

„Stephen“, bat er. „Es begann für mich damit, dass ich nach St. Petersburg geschickt wurde, um über die Ausstellung zu berichten. Einige der Exponate befanden sich in Privatbesitz und wurden zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Es war purer Zufall, dass ich mit einem Mann zusammentraf, der die Geister als einer der ersten gesehen hatte. Damals hielt ich das alles auch noch für die Nachwirkungen von zu viel Wodka. Ich reiste ab, bevor die beiden Menschen starben und beachtete das alles nicht weiter, weil ja auch offiziell nichts darüber bekannt wurde. In Kairo und Barcelona war in der fraglichen Zeit ein Kollege von mir, der die Gerüchte über Geister noch weniger ernst nahm. Doch dann häuften sich die Meldungen, die unterschwellig verbreitet wurden, und plötzlich hatte ich einen ernsthaften Verdacht. Die Abläufe waren fast identisch, was mich dazu veranlasste, genauere Nachforschungen anzustellen. Also befragte ich meinen Kollegen, der zuerst gar nicht darüber reden wollte, aus Angst, sich lächerlich zu machen. Damit war für mich bewiesen, dass diese ganze Geschichte irgendwie zusammenhing. Ich suchte und erfuhr Einzelheiten, und Sie müssen zugeben, dass das alles nichts mit Zufall zu tun hat. Dafür sind es einfach zu viele gleichartige Zufälle.“

Melissa nickte unwillkürlich. „Ich nehme an, Sie waren dann auch in Frankreich und haben wiederum etwas Ähnliches erlebt?“, forschte sie.

„Richtig. Nur war die Polizei in Paris nicht bereit, den Tod der beiden Menschen als Unfall zu protokollieren. Dort ging man tatsächlich von Mord aus, ohne dass jedoch ein Täter ermittelt werden konnte.“

„Das sind eine Menge Gemeinsamkeiten, ich stimme Ihnen zu, dass man da nicht mehr an Zufall glauben kann. Aber welchem Zweck sollte das alles dienen?“

„Ich habe keine Ahnung“, gestand der Mann. „Das ist einer der Gründe, warum ich zu Ihnen gekommen bin. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir helfen.“

„Sagen Sie, Stephen, wie war das bei all den Ausstellungen? Es ging stets um Spiele, Musik, Alltagsleben oder ähnliches?“, wollte sie wissen, ohne auf seine vorigen Worte einzugehen.

„Richtig, Alltags- oder Gebrauchsgegenstände im weitesten Sinne“, bestätigte er.

„Wurden jeweils alle Exponate zurückgegeben, oder sind irgendwelche Gegenstände verschwunden?“

Verblüfft hielt Caine inne. „Daran habe ich – das weiß ich nicht. Wie kommen Sie darauf?“

„Das ist doch nur logisch. Sie sagten, es hätte jeweils Ausstellungsstücke aus Privatbesitz gegeben, die vorher nie an die Öffentlichkeit gelangt sind. Also, vielleicht hat es jemand auf bestimmte Gegenstände abgesehen. Diese Geistererscheinungen können heutzutage technisch erzeugt werden, sie dienen vielleicht nur der Ablenkung. Aber können Sie herausfinden, ob etwas verschwunden ist oder nicht zurückgegeben werden musste, weil die Besitzer unter den Toten sind?“

Stephen schüttelte den Kopf. „Das ist unglaublich. Ich zerbreche mir seit Monaten den Kopf, welche Gemeinsamkeiten vorliegen könnten, und Sie kommen auf Anhieb darauf.“

„Halt, langsam“, wehrte sie lächelnd ab. „Das ist im Augenblick nicht mehr als eine wilde Spekulationen ohne jede Grundlage. Ich komme mir schon selbst verrückt vor, dass ich überhaupt mit Ihnen darüber rede.“

„Das ist nicht verrückt, Melissa. Aber mir scheint dennoch, Sie wissen noch etwas mehr, wollen es mir aber nicht erzählen? Glauben Sie nur nicht, ich würde Sie vielleicht auslachen, Sie haben mich schließlich auch ernst genommen.“

„Lassen Sie uns abwarten, Stephen. Versuchen Sie herauszufinden, ob an unserer absurden Theorie etwas dran ist. In der Zwischenzeit werde ich auch feststellen, wie es bei unserer Ausstellung aussieht. Ich weiß, wie viele lange Gespräche und Überzeugungsarbeit ich gebraucht habe, bis ich alle Privatleute überreden konnte. Mein Vater hat ebenfalls hart dafür gearbeitet, das wollen wir nicht zerstören.“

„Also ist da tatsächlich noch etwas?“

Sie nickte. „Es sieht für mich im Moment so aus. Wie rasch könnten Sie die Informationen bekommen?“