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Dr. Markus Ebner

Positive
Leadership

Erfolgreich führen mit PERMA-Lead:
die fünf Schlüssel zur High Performance

Ein Handbuch für Führungskräfte,
Personalentwickler und Trainer

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Dr. Markus Ebner lehrt als Wirtschafts- und Organisationspsychologe an den Universitäten Wien und Klagenfurt und hat sich auf den Bereich »Positive Leadership« spezialisiert. Als ausgebildeter Coach und Organisationsentwickler verknüpft er Wissenschaft mit Praxis und begleitet seit mehr als 20 Jahren gemeinsam mit seinem Team als Coach, Trainer und Key-Note-Speaker Führungskräfte und Organisationen bei ihrer Weiterentwicklung.

LinkedIn: www.linkedin.com/in/markusebner

Facebook: www.facebook.com/DrMarkusEbner

Kontakt-Email: markus.ebner@perma-lead.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne

Gewähr, eine Haftung des Autors, der BeitragsautorInnen oder des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2019

Copyright © 2019 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

facultas Universitätsverlag, Stolberggasse 26, 1050 Wien, Österreich

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung

sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

Umschlagbilder: © masterzphotois/iStock; © PERMA-Lead-Symbol,

Dr. Markus Ebner

Lektorat: Mag. Verena Hauser, Wien

Satz, Innen-, und Umschlaggestaltung: Ekke Wolf, typic.at

Grafiken: typic.at, unter Verwendung von © AVIcons/iStock (S. 165)

und © bananajazz/iStock (S. 161, 162, 164, 166, 167, 330, 336, 339, 340, 341)

Druck und Bindung: finidr, Tschechien

Printed in the EU

ISBN 978-3-7089-1686-6

eISBN 978-3-99030-834-9

Inhalt

Geleitwort von Univ.-Prof. Erich Kirchler

Vorwort

1 Eminenzbasiert, evidenzbasiert und der Barnum-Effekt: Ein Plädoyer für die Wissenschaft!

1.1 Persönlichkeitstests: Wenn das Horoskop zur psychologischen Diagnostik wird

1.2 Rezepte für Führungskräfte wissenschaftlich hinterfragt

Teil I: Fundierte Hintergründe, relevante Forschungsergebnisse, praktische Tipps

2 Führung im Wandel: Von Taylorismus zu Positive Leadership

2.1 Das Menschenbild hinter klassischen Führungsansätzen

2.2 Das Menschenbild hinter modernen Führungsansätzen

3 Die Wurzeln von Positive Leadership

3.1 Positive Psychologie: Das Gelingen erforschen

3.2 Positive Leadership: Zwischen Positiver Psychologie und Managementtheorien

3.3 Psychologisches Kapital (PsyCap): Die Mikroebene

3.4 Positive Organizational Scholarship (POS): Die Makroebene

4 PERMA-Lead: Ein integratives Modell von Positive Leadership

4.1 Kein »smartes« Ziel und dennoch

4.2 Das PERMA-Modell als Basis von PERMA-Lead

4.3 Von PERMA zu PERMA-Lead

4.4 PERMA-Lead in der Praxis: PERMA-Lead-Profiler, 360°-Feedback und Unternehmensanalyse

4.5 PERMA-Lead: Forschungsergebnisse aus der Praxis

4.6 PERMA-Lead, Unternehmenskultur und Persönlichkeit

4.7 PERMA bei Mitarbeitern und Zusammenhänge mit Unternehmenskennzahlen

4.8 PERMA-Lead hat positive Zusammenhänge für die Führungskraft selbst

4.9 PERMA-Lead beeinflusst Stress und Burnout bei Mitarbeitern positiv

4.10 Vorbildwirkung: Ein Führungsstil, der ansteckt?

4.11 PERMA-Lead: Selbstbild und Fremdbild auf dem Prüfstand

5 P wie Positive Emotions: Ein bisschen Spaß muss sein?

5.1 Die Macht der positiven Emotionen

5.2 Zehn Variationen positiver Emotionen

5.3 Das »Broaden and Build«-Modell der positiven Emotionen

5.4 Warum Führungskräfte für positive Emotionen sorgen sollten

5.5 Positive Emotions: Einige Ideen für die Praxis

5.6 Zum Abschluss: Ein Hoch auf negative Emotionen!

5.7 There is always pain in the room

6 E wie Engagement: Seine Stärken einbringen und in einen Flow kommen

6.1 Exkurs: Das Problem mit der Arbeitszufriedenheitsmessung

6.2 Stärken erkennen, einsetzen und weiterentwickeln

6.3 Gallup-Modell: 34 Talente in 4 Kategorien

6.4 VIA-Klassifizierung: 24 Charakterstärken und 6 Tugenden

6.5 In der Arbeit aufgehen: Intrinsische Motivation und der »Flow-Effekt«

6.6 Positive Leadership beginnt beim Einstellungsgespräch

6.7 Warum Führungskräfte für Stärkenorientierung sorgen sollten

6.8 Der Tetris-Effekt

6.9 Alles oder nichts? Multiplizieren, addieren und kompensieren

6.10 Engagement: Einige Anregungen zur Stärkenorientierung für die Praxis

6.11 Zu viel des Guten: Wenn der Einsatz von Stärken schädlich wird

7 R wie Relationships: Förderliche Arbeitsbeziehungen gestalten

7.1 Der Durian-Effekt

7.2 Relevante Faktoren förderlicher Arbeitsbeziehungen

7.3 Arbeitsförderliche Beziehungen sind kein Zufall, sondern ein Entwicklungsergebnis

7.4 Teameffekte: Zu erwünschten und unerwünschten Nebenwirkungen fragen Sie die Forschung

7.5 Teamrollen: Ein Mehrwert, der sich ergänzt

7.6 Warum Führungskräfte für arbeitsförderliche Beziehungen sorgen sollten

7.7 Relationships: Einige Anregungen für die Praxis

7.8 Die ungünstige Seite von positiven Arbeitsbeziehungen

8 M wie Meaning: Der Arbeit Sinn geben

8.1 Glücksmaschine oder Sinnhaftigkeit?

8.2 Die Auswirkungen von Sinn

8.3 Sinn in der Arbeit finden

8.4 Sinn: Von Baby-Boomern bis zur Generation Z

8.5 Warum Führungskräfte auf Sinn in der Arbeit achten sollten

8.6 Meaning: Einige Anregungen zur Sinngebung für die Praxis

8.7 Kann Sinn auch Schattenseiten haben?

9 A wie Accomplishment: Zieleinlauf statt Hamsterrad

9.1 Erlernte Hilflosigkeit

9.2 Attribuierung: Habe ich etwas zur Zielerreichung beigetragen?

9.3 Ein Unterschied, der einen Unterschied macht: Weg-von- oder Hin-zu-Ziele

9.4 Ein gutes Ziel muss SMART sein – oder besser nicht?

9.5 Den Gipfel erklimmen: Everest-Ziele

9.6 Alles nur im Kopf? Handlungskontrolle, regulatorischer Fokus und Mindset

9.7 Warum Führungskräfte auf Accomplishment achten sollten

9.8 Accomplishment: Einige Anregungen für die Praxis

9.9 Kann zu viel Fokus auf Accomplishment auch schaden?

Teil II: Tools und Techniken für die Positive-Leadership-Werkzeugkiste

10 Zirkuläre Fragen: Kleine Legobausteine für jede Führungssituation

11 PP5-Technik: Positives würdigen und Entwicklungsfelder bearbeiten

12 Zielorientiertes Fragen advanced: Die Lösung selbst entwickeln

13 4-Evening-Questions: Eigene Stärken erkennen und nützen

14 GROW-Modell: Coachingstrategien für Führungskräfte

15 Aktiv-konstruktives Reagieren: Sich mit anderen freuen

16 Stärkenfeedback mit Fragen erster Ebene: Erfolgsfaktoren benennen

17 Appreciative Inquiry: Das Gelingen analysieren

18 Worst Case: Den Teufel an die Wand malen

19 Motivierendes +/– -Feedback:
Kurz und wirkungsvoll mit magischem Wort

20 Energiespender oder Energievampir? Anderen Kraft geben

Teil III: Gastbeiträge aus Unternehmen: PERMA-Lead in der Praxis

21 International Conference Services: Ein engagiertes Team und eine gemeinsame Vision als Erfolgsrezept

21.1 Ein Lösungsansatz

21.2 Der Zug kam in Fahrt

21.3 Zehn Jahre später

21.4 PERMA im ICS-Alltag

22 Aareal Bank AG: Ein neues Junior-Training-Programm mit viel PERMA

22.1 Die Junior Training Programes

22.2 Highlights im Ausbildungsprogramm

22.3 Nachbetrachtung und Kritik

22.4 Was die Teilnehmer dazu sagen

23 CEC European Managers: Warum von Führungskräften in Europa gerade jetzt Positive Leadership gefordert ist

23.1 Die EU in einer herausfordernden Phase

23.2 PERMA-Lead – ein Schlüssel für eine positive Zukunft der EU?

24 SOS-Kinderdorf International: Positive Leadership im Non-Profit-Bereich

24.1 Durch Zufall zum PERMA-Modell gekommen

24.2 Konkrete »Maßnahmen«, die seither in unser Arbeitsleben Eingang fanden

25 T-Systems Multimedia Solutions GmbH: PERMA-Lead auf vielen Ebenen

25.1 Dein Arbeitstag ist das, was du daraus machst – Positive Psychologie@MMS

25.2 Job Crafting

25.3 Quartalsbewertung: Von der ungeliebten Kennzahlenbewertung zum akzeptierten Führungsinstrument

26 dm drogerie markt GmbH: {miteinander} vorbildlich wirken

26.1 Ein ganz besonderes Geburtstagsjahr

26.2 Eine Idee nimmt Form an

26.3 Die aufregende Umsetzung

26.4 Höhepunkte einer gemeinsamen Reise

26.5 Die Zeit danach

27 Beratergruppe Neuwaldegg: SINNvolle Führungsentwicklung – Wenn der Glaube Teil der Organisationskultur ist

27.1 Das »Meaning« der Organisation verstehen

27.2 PERMA-Lead als Leitplanken des Lehrganges

27.3 Voneinander Lernen

27.4 PERMA-Lead ist eine Haltung

28 Lidl Österreich: Positive Leadership – Eine nachhaltige Veränderung der Unternehmenskultur

28.1 Positive Leadership: Ist das etwas für uns?

28.2 Los geht’s: Vorbereitungen für Positive Leadership und PERMA

28.3 Und so haben wir es gemacht: Beispiele aus der Praxis

28.4 In bestehende Konzepte integrieren, am Beispiel »Talent Management«

28.5 Neue Wege gehen, am Beispiel »Filialneueröffnungen«

28.6 Stimmen aus dem Unternehmen zu Positive Leadership und den PERMA-Faktoren

28.7 Positive Leadership. Klingt gut. Ist gut? Die Herausforderungen

28.8 Ist Positive Leadership etwas für uns?

29 Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11 Wiener Kinder- und Jugendhilfe: Potenziale zu nützen braucht manchmal Mut, Strukturen zu verändern

29.1 Eine spezielle Teamsituation

29.2 Mutig das Bestehende reflektieren

29.3 Neue Wege gehen

29.4 PERMA-Lead als fruchtbarer Boden

30 IKEA: »Your Idea Counts«. Ein Pilotprojekt für Engagement

30.1 Bottom-up statt von oben verordnet

30.2 Los geht’s: Von der Konzeption in die Praxis

30.3 Aus Alt mach Neu: Vom Postkasten zur Ideenbox

30.4 Herausforderungen, Quick-Wins und jede Menge PERMA-Lead

30.5 Reflexionen der Projektleiterin und Next Steps

Teil IV: Appendix

31 Testtheoretische Kennwerte des PERMA-Lead-Profilers zur Messung von Positive-Leadership-Verhaltensweisen bei Führungskräften

Persönliches und Danksagung

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Geleitwort von Univ.-Prof. Erich Kirchler

Jede Medaille hat zwei Seiten. Diese Erkenntnis schützt nicht davor, dass wir häufig eine Seite bestaunen und die andere vergessen!

Selten sind Entscheidungsalternativen eindeutig gut oder schlecht, Ereignisse eindeutig vorteilhaft oder nachteilig, Entwicklungen klar positiv oder negativ. »Gut« und »schlecht« liegen oft eng beieinander. Urteile über komplexe Ereignisse und Entscheidungen für eine Alternative aus dem kaum durchschaubaren Angebot von Möglichkeiten basieren zwar theoretisch darauf, dass Menschen alle verfügbaren Informationen im Blickfeld haben und analysieren. Im Alltag jedoch hält die Annahme nicht, wonach Urteile das Ergebnis vollständiger Informationsverarbeitung sind und Entscheidungen rational getroffen werden.

In komplexen Welten, in Situationen, in denen Sachverhalte nicht eindeutig sind und oft einander widersprechen, reduzieren wir die Informationsmenge, bevor wir ein Urteil bilden; wir orientieren uns an Signalen und ignorieren Information, die im Hintergrund liegt. Wir richten den Spot unserer Aufmerksamkeit auf bestimmte Sachverhalte und vernachlässigen andere unbeachtet im Schatten.

Wenn wir Ereignisse bewerten, vertiefen wir uns einseitig in Details, weil diese unseren Überzeugungen entsprechen, unsere Erwartungen bestätigen und deshalb die Mühe sparen, unsere Ansichten zu hinterfragen und gegebenenfalls zu revidieren. Das gilt nicht nur für Entscheidungen von Menschen im Alltag und ideologiebasierte Interpretationen gesellschaftlicher Ereignisse, sondern auch für die Wissenschaften, die ihren Aufmerksamkeitsspot auf bestimmte Phänomene richten und deren Komplexität reduzieren, um zu verstehen. Auch wer Wissen über das Erleben und Verhalten von Menschen schafft, konzentriert sich auf bestimmte Sachverhalte und lässt andere außer Acht. Die Gründe dafür liegen nicht nur in unseren begrenzten kognitiven Möglichkeiten. Die Motive entspringen auch unseren voreingestellten Meinungen über das, was Menschen antreibt. Nicht zuletzt zählen auch Moden und Chancen, von der eigenen Scientific Community gehört zu werden.

Die Psychologie hat sich lange vor allem auf menschliche Unzulänglichkeiten, auf Abweichungen von der Norm und die Korrektur negativer Erfahrungen und Verhaltensweisen konzentriert. Markus Ebners »Geschichte aus dem Jahr 1899« in Kapitel 3 zeigt eindrucksvoll, welche Folgen der Fingerzeig auf Schwächen und die wohlgemeinte Therapie haben können.

Die Positive Psychologie hat darauf aufmerksam gemacht, dass in der wissenschaftlichen Psychologie lange Zeit eine Seite der Medaille vergessen wurde, und sich dafür eingesetzt, die Stärken von Menschen zu betonen und zu fördern. Der Effekt zeichnet sich nicht nur in höheren Leistungen ab, sondern auch im Wohlbefinden. Markus Ebner ist nicht nur ein überzeugter Vertreter der Positiven Psychologie, sondern hat sich große Verdienste darum erworben, die Sicht auf Stärken und die Erkenntnisse über die positiven Auswirkungen in die Führungsforschung und -praxis zu tragen.

Dieser Band zeugt nicht nur davon, dass Markus Ebner ein fundierter Kenner der Theorie, sondern auch, dass er erfolgreich in der praktischen Arbeit ist und die Erfahrungen aus der Praxis mit theoretischen Postulaten überzeugend verknüpft. Das Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis und die ständigen Anpassungen theoretischer Überlegungen sowie die Verfeinerung von Beratungs- und Interventionsstrategien garantieren nicht nur, dass seine Erkenntnisse und seine Arbeit ständig aktualisiert werden, sondern sind vorbildlich für das ständige Hinterfragen der eigenen Ansichten, für das Streben nach Verbesserung, nach der Erprobung von theoretisch begründeten Strategien und deren kritischen Evaluation.

Auch Markus Ebners Aufmerksamkeitsspotlight ist auf bestimmte Themen gerichtet. Allerdings aufgrund der Notwendigkeit, die Komplexität der Führung und der Interaktion mit MitarbeiterInnen in Organisationen »handhabbar« zu reduzieren, und nicht aus der Überlegung, seine eigene Meinung zu bestätigen. Dieser Band zeigt, dass die eigenen Vorstellungen über Führung und Erfolg in der fundierten Kenntnis der schillernden Führungsforschung wurzeln, in deren Übersetzung in praktische Tätigkeit und in der kritischen Prüfung der eigenen Ansichten in der Auseinandersetzung mit Führungskräften verschiedener Organisationen. Das Resultat seiner Arbeit ist das PERMA-Lead-Modell: ein Führungsmodell, das auf positive Gefühle, Engagement und Autonomie, förderliche Beziehungen zwischen den Menschen in Organisationen, Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns und Erfolg durch Erreichen von Zielen baut.

Führung bedeutet Einfluss nehmen. Darauf weist Markus Ebner in den ersten Zeilen dieses Buches hin. Tatsächlich sind dieses Bewusstsein und die daraus folgende Verantwortung nicht selbstverständlich. Die Macht, die Führungspersonen verliehen ist, verlangt nach vertrauenswürdigem Umgang mit ihr. Vertrauen basiert auf Kompetenz, Wertekongruenz mit den Geführten, Empathie und Wohlwollen. In einer Zeit, in welcher der Gutmensch in Verruf gekommen ist und es scheint, dass das Gegenteil von gut gut ist, ist die Forderung nach dem vertrauenswürdigen Umgang mit Macht in Führungspositionen richtig, notwendig und mutig.

Wie erfolgreich sind doch in der Zeit des Neoliberalismus diejenigen, deren Persönlichkeitsstruktur sich durch hohen Narzissmus, Machiavellismus und einen Gutteil an Psychopathie auszeichnet. Wer von seiner Großartigkeit überzeugt ist, sich rücksichtslos gibt und angstfrei Regeln bricht, gilt für manche als durchsetzungsstark. Diese Menschen sind charismatisch, haben ungeheure Energie und beeindruckende Zielstrebigkeit – und sie sind eine Gefahr. Nicht nur in wirtschaftlichen Organisationen steigen sie stolz mit ihrer »Dunklen Triade« in die Führungsetagen hinauf, auch am politischen Parkett sind diese Figuren unübersehbar, unüberhörbar und scheinbar unbezwingbar. Sie gewinnen ihre AnhängerInnen, indem sie ihnen einreden, wie nachteilig sie bisher behandelt wurden und wie schlecht es ihnen gehe und gehen werde, wenn sie sich nicht ihnen anvertrauten, wie sehr sie sich als ihre Führer ihrer Lage annehmen würden, dass sie das Zeug zur Verbesserung hätten, und sie erzählen Fake-Fakten-erfinderisch davon, dass alle, die nicht ihrer Ansicht seien, ihre gemeinsamen Feinde seien. Tabus werden angstfrei durchbrochen, sogenannte eigene Wirklichkeiten erschaffen, indem gezielt Fakten ausgeblendet werden und der Austausch mit Andersdenkenden abgeschafft wird.

Positive Leadership bedeutet Verantwortung zu übernehmen, Stärken und Wohlbefinden im Blickfeld zu haben, auf Empathie und Glaubwürdigkeit zu setzen, den eigenen Standpunkt kritisch zu reflektieren und zu fragen, was möglicherweise außerhalb des eigenen Aufmerksamkeitsfeldes liegt. Markus Ebner zeigt in seinem Buch, wie das geht und wie erfolgreich das ist.

Univ.-Prof. Dr. Erich Kirchler
Vorstand des Instituts für Angewandte Psychologie:
Arbeit, Bildung, Wirtschaft; Universität Wien
November 2018

Vorwort

»Wie manipulativ ist eigentlich Führung?« Mit dieser Frage habe ich in den letzten Jahren zahlreiche meiner Workshops für Führungskräfte gestartet. Selbstverständlich provoziert diese Formulierung – und das ist auch meine Absicht. Manipulation ist doch etwas Unmoralisches, oder? Und welche Führungskraft möchte schon ihre Rolle als zumindest moralisch bedenklich einstufen! Doch wenn der Duden als Synonyme für »manipulieren« die Begriffe »beeinflussen« oder »lenken« vorschlägt, dann wird klar: Natürlich ist eine Hauptfunktion von Führung, genau das zu tun. Menschen beeinflussen sich permanent wechselseitig. Unsere Kollegen hinterlassen Spuren bei uns, die Meinung von Freundinnen kann uns auf neue Gedanken bringen und selbst der Nachbar, der uns grüßt oder auch nicht, hat einen Einfluss darauf, wie wir uns ihm gegenüber verhalten. Situationen, Umgebungsbedingungen oder Rollen, die uns zugeschrieben werden, beeinflussen uns. Warum würden sich sonst Menschen in verschiedenen Lebenssituationen so unterschiedlich verhalten?

Darum bin ich der festen Überzeugung, dass wir als Führungskräfte uns den Tatsachen stellen müssen: Ja, wir beeinflussen Menschen, und das ist ein relevanter Teil unseres Jobs! Erst wenn wir uns dieser Tatsache bewusst werden, ist auch klar, welche Verantwortung damit einhergeht. Die Beeinflussung findet nämlich statt, ob wir das wollen oder nicht. Denken Sie nur an eine Situation in der Vergangenheit, in der Ihnen ein Vorgesetzter oder eine Vorgesetzte ein positives oder negatives Feedback auf etwas gegeben hat, das Ihnen wichtig war. Möglicherweise hatten Sie diese Reaktion sogar einige Tage später noch im Kopf. Manchmal reicht ein einziger Satz für eine Wirkung, die stunden-, manchmal sogar tagelang anhält. Ein Vorgesetzter, der überwiegend mürrisch ist und jeden gemachten Fehler als persönlichen Angriff interpretiert, manipuliert in diesem Sinne sein Team genauso wie jener, dessen Anwesenheit allein schon motivierend wirkt und bei dem man sichergehen kann, dass überdurchschnittliches Engagement auch wahrgenommen wird.

Der Unterschied zwischen »Alltagsmanipulation«, also der zufälligen, unbeabsichtigten gegenseitigen Beeinflussung, und Führung muss meines Erachtens sein, dass sich Führungskräfte ihrer Rolle und deren Wirkung bewusst sein müssen und in der Lage sein sollen, zielgerichtete positive Beeinflussung als ihre Aufgabe zu sehen. Gleichzeitig ist ein überdurchschnittliches Maß an Empathie und Selbstwahrnehmung notwendig, um so wenig unbeabsichtigte negative Beeinflussung wie nur möglich auszulösen. Ich glaube nämlich nicht, dass es viele Vorgesetzte gibt, die sich am Weg ins Büro vornehmen, heute wieder mal so richtig die Stimmung zu senken, die Motivation auf ein Mindestmaß zu reduzieren und jede Form von Eigeninitiative und Engagement zu vernichten. Dennoch passiert es. Täglich! In den meisten Fällen ist dies nicht beabsichtigt, so hoffe ich zumindest. Wenn es aber ohne Absicht und somit nicht zielgerichtet passiert, dann zeigen sich darin fehlende Führungskompetenz und Alltagsmanipulation, die dazu beigetragen haben, Arbeitsleistung zu vernichten.

Führungskräfte haben somit die unteilbare Verantwortung, zu erkennen, wie sie durch die Gestaltung ihrer Rolle und ihrer Verhaltensweisen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter günstig oder ungünstig beeinflussen. Gute Führung ist somit ein eigenes Kompetenzbündel – eine spezifische Kombination von bestimmen Teilkompetenzen –, das wie in jeder anderen Profession gut oder weniger gut sein kann. Wenn es daher eine der Aufgaben einer Führungskraft ist, durch ihren Führungsstil dazu beizutragen, dass im Team eine arbeitsförderliche Atmosphäre entsteht, dann ist klar, dass dazu auch besonderes Fachwissen gehört. Ein führungsspezifisches Fachwissen. Exzellente Führungskräfte haben sogar die Kompetenzen, die Potenziale ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erkennen, zu fördern und ein Umfeld zu schaffen, in dem sich diese entfalten können. Zum Vorteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Organisation und sogar der Gesellschaft. Und hier beginnt Positive Leadership.

Positive Leadership ist somit die Führungskompetenz, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Lust haben, ihre Stärken auszuleben und weiterzuentwickeln, sich in dem, was sie tun, wertgeschätzt fühlen, sich damit identifizieren und dadurch motiviert sind, sich nicht nur an der geforderten Leistung zu orientieren, sondern sich einzubringen – die Extrameile zu gehen. Nicht allzu selten springen allerdings Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihre neue Aufgabe mit der Energie und der Motivation eines Tigers, um dann nach wenigen Monaten als Bettvorleger zu landen. In diesem Fall ist etwas schiefgelaufen.

Der Schlüssel, um die vorhandene Energie einzusetzen und zu stärken, ist, dass Ressourcen, die in Personen, im Team oder in der Organisation bereits vorhanden sind, genützt und weiterentwickelt werden. Oft sind diese Ressourcen nicht bekannt oder wurden bisher nicht benötig. Das Nützen dieser Ressourcen ist allerdings eine Möglichkeit, bei der alle Beteiligten gewinnen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Führungskraft, Organisation und letztendlich auch die Gesellschaft. Durchschnittliche Führungskräfte leiten überwiegend an, kontrollieren und sind zufrieden mit sich, wenn das gelingt. Großartige Führungskräfte sehen ihre Aufgabe hingegen darin, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Entwicklung ihrer individuellen Großartigkeit maßgeblich zu unterstützen.

Klingt nach einer sozialromantischen Idee, die in der Realität weder sinnvoll noch umsetzbar ist, oder? Stimmt nicht, wie ich Ihnen in diesem Buch zeigen werde. Die Anzahl der Unternehmen, die diesen Ansatz als Grundlage für ihr Führungsleitbild definieren und auch leben, hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Zahlreiche Berater, Führungskräfte, Personalentwickler und Manager nützen Positive Leadership, um ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu helfen, engagierter, produktiver und letztendlich glücklicher zu werden. Ganz klar, für Führungskräfte, die ihre Aufgabe hauptsächlich darin sehen, Menschen zu ›managen‹ anstatt zu führen, ist dieser Ansatz wahrscheinlich realitätsfern. Diese mögen tatsächlich den Eindruck haben, dass sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verwalten hätten. Es ist allerdings falsch, Mitarbeiter als etwas Mechanisches zu sehen, als Computer oder andere Objekte im Arbeitskontext. Daher gibt es einen relevanten Unterschied zwischen »managen« und »führen«: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Menschen und haben demnach auch menschliche Bedürfnisse, Empfindungen und – wenn es passt – Engagement, das von innen kommt und nicht nur, wenn es von außen aktiviert wird. Computer können das nicht. Es macht somit einen großen Unterschied, ob jemand die Kompetenz hat, etwas zu managen, oder die Fähigkeit, Menschen zu führen. Wenn jemand in der Lage ist, für ein neues Projekt unter anderem die höchstmöglichen Personaleinsatzstunden zu planen, damit der ROI (Return on Investment) baldigst erreicht ist, dann ist das eine wichtige Managementkompetenz. Aber wenn das Projekt läuft, werden aus den Personaleinsatzstunden plötzlich eine Frau Meier und ein Herr Müller, und dann benötigt die Führungskraft andere Kompetenzen.

Wenn 85 Prozent der Businessfrauen bei einer großen Befragung angeben, dass sie im Job eher funktionieren als ihr Potenzial entfalten[1], 97 Prozent aller Führungskräfte sich in einer offensichtlichen Selbstüberschätzung für gut halten, nur rund 30 Prozent der Personen überwiegend gute Erfahrungen mit Führungskräften gemacht haben[2] und Gallup 2016 berechnet, dass schlechte Führungskräfte allein in Deutschland durch ihre Wirkung auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Schaden von rund 105 Milliarden Euro verursachen[3], dann läuft etwas grundlegend falsch. Potenzialentfaltung zu erwarten und dabei nur Schwächen zu korrigieren ist wie an der Bushaltestelle auf den nächsten Zug zu warten.

Um erfolgreich mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu arbeiten, braucht es andere Kompetenzen als nur gute Managementqualitäten. Wenn es nun darum geht, motivierend zu führen, und wenn Sie wissen wollen, was High-Performance-Teams anders machen als durchschnittliche oder vielleicht sogar unterdurchschnittliche Teams, dann vertiefen Sie mit diesem Buch einen Führungsansatz, der das Werkzeug dazu hat. Positive Leadership als Teilgebiet der wissenschaftlichen Disziplin »Positive Psychologie« hat den Anspruch, die Wirkung dieses Zugangs durch seriöse Forschung zu evaluieren. So wie bei einer Hypothese, die jemand hat und die dann in der Praxis oftmals ausprobiert wird, um zu sehen, ob sich diese Hypothese bewahrheitet. Oder eben nicht. Obwohl der Positive-Leadership-Ansatz noch recht jung ist, gibt es mittlerweile unzählige fundierte Studien, die signifikant positive Auswirkungen auf Arbeitszufriedenheit, Leistung, Fluktuation, ja sogar auf die Gesundheit und viele weitere Aspekte zeigen.

Genau darum geht es im ersten Teil dieses Buches: einen Einblick zu geben, welche relevanten weltweiten Forschungsergebnisse zu Positive Leadership derzeit vorliegen, die Wurzeln dieses Führungsansatzes zu ergründen und zu verstehen, wie Führung (noch) besser gelingen kann. Vielen ist dieser Führungsansatz unter dem Begriff »stärkenorientiertes Führen« bekannt. Das ist allerdings heute nur mehr ein Teil der Wahrheit, das Thema ist größer geworden. Die Forschung dazu ist nämlich in den letzten Jahren rapide gewachsen. Die Suche nach diesem Begriff in wissenschaftlichen Datenbanken zeigt weltweit derzeit tausende Publikationen, und jeden Monat kommen neue dazu. Wir wissen heute weitaus mehr und detaillierter, was Positive Leadership ausmacht. Dennoch: Wenn Positive Leadership ein Besuch im Restaurant wäre, dann sind wir jetzt erst bei der Vorspeise, was das Wissen dazu betrifft. Daher möchte ich Ihnen in diesem Buch mit PERMA-Lead einen Positive-Leadership-Führungsansatz vorstellen, der Führungskräften eine persönliche Standortbestimmung ermöglicht und anhand fünf konkreter Bereiche eine Vielzahl von Anregungen gibt, um diesen Führungsstil in der eigenen Praxis erfolgreich anzuwenden. Und ich möchte Ihnen eine gute Basis mitgeben, was die Forschung dazu Praxisrelevantes vorzuweisen hat.

Im zweiten Teil dieses Buches finden Sie erprobte Tools und Techniken, die in die Werkzeugkiste eines Positive Leaders gehören. Mit diesen Beschreibungen möchte ich auch Trainer, Coachs, Beraterinnen etc. inspirieren, diese Ansätze in ihrer Tätigkeit zu vermitteln. Ich habe dabei bewusst einen bunten Mix aus einfacheren Strategien, wie zum Beispiel das stärkenorientierte Feedback, und aufwändigeren Methoden, wie das GROW-Modell, ausgewählt. Manche dieser Techniken wurden von anderen Kolleginnen und Kollegen entwickelt und von meinem Team und mir – teilweise modifiziert – in der Praxis eingesetzt. Andere Tools haben wir in den letzten Jahren entwickelt und in zahlreichen Coachings, Seminaren und durch die Rückmeldungen aus der Praxis verfeinert. Allen Techniken gemeinsam ist, dass sie sich erfolgreich im Führungsalltag bewährt haben.

Im dritten Teil des Buches stellen Unternehmen und Organisationen in Gastbeiträgen ganz konkret vor, welche Relevanz Positive Leadership bei ihnen hat. Dabei werden unterschiedliche Projekte beschrieben, Storys erzählt und es wird ein variantenreicher Einblick in die tägliche Praxis gegeben. Bei der Auswahl der Unternehmen habe ich ebenfalls bewusst auf einen Mix geachtet. Dadurch entstanden vielfältige Beispiele aus internationalen Konzernen, kleineren Organisationen, sozialen Einrichtungen, profitorientierten Unternehmen genauso wie aus dem öffentlichen Dienst oder gemeinnützigen Verbänden. Was aber trotz der Unterschiedlichkeit alle Organisationen verbindet, ist, dass sie Spannendes zum Thema »Positive Leadership« zu erzählen haben. Dabei geht es nicht darum, dass in diesen Unternehmen alles perfekt ist. Perfektion in allen Bereichen gibt es nur in Geschichten, Filmen oder in der Phantasie – sicherlich nicht dort, wo es lebendig ist. Vielmehr geht es in diesem Buchteil darum, dass diese Unternehmen Best-Practice-Beispiele zu erzählen haben, wo etwas erfolgreich umgesetzt wurde. Denn um diese Best-Practice-Logik geht es auch bei Positive Leadership: genau hinzusehen, wenn etwas funktioniert hat, dann die genauen Zutaten zu analysieren und mit diesen Zutaten nachzukochen – und ein wenig nach eigenem Geschmack zu würzen.

Ziel ist letztendlich, Positive Leadership als Führungs- und Organisationskultur zu etablieren. Dazu braucht es zuallererst eine eindeutige Haltung, eine positive Einstellung bzw. ein Rollenverständnis von Führungskräften, das auf diesen Stil ausgerichtet ist. Ich glaube nicht daran, dass sich ein Führungsstil nachhaltig nur auf einer Methodenebene, also der Sammlung von Tools oder dem geplanten Einsatz von Techniken, etablieren lässt. Der erste Schritt ist daher, das »Warum« für diesen Führungsansatz zu verankern, »the reason why« zu verstehen. Erst im zweiten Schritt erfolgt das Erlernen von konkreten Techniken. Die optimale Kombination ist also ein wissensbasierter Hintergrund, auf dem dann das praktische Führungsverhalten aufbaut. Dass dieser Change-Prozess in der Führungskultur nicht für alle Führungskräfte gleich einfach oder schwer zu bewältigen ist und sogar signifikant mit der Persönlichkeit der Führungskraft zusammenhängt, verdeutliche ich in diesem Buch anhand verschiedener Studienergebnisse – auch eigener, die erstmals veröffentlicht werden. Der Umstand, dass das Selbstbild der Führungskräfte selten mit der Wahrnehmung auf Seiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übereinstimmt, und einige weitere Ergebnisse der von uns durchgeführten Forschung zu Positive Leadership geben Ihnen Hinweise auf mögliche (auch eigene) Stolpersteine. Aber in erster Linie soll dieses Buch dazu anregen, mittels einer Vielzahl von Inspirationen die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern.

In meinen beruflichen Tätigkeiten erlebe ich mich oft als Reisender zwischen zwei Welten. Einerseits lehre ich im Bereich »Angewandte Wirtschafts- und Organisationspsychologie« an der Universität Wien und an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Dort habe ich einen Teil meiner beruflichen Identität aufgebaut, zu der es auch gehört, wissenschaftlich fundiertes Wissen von Pseudowissen, Hypothesen oder Fake News deutlich abzugrenzen. In diesem Umfeld haben Alphaniveaus und Betafehler, Reliabilität, Varianzanalysen und andere wissenschaftsrelevante Begriffe essenzielle Bedeutung. Andererseits arbeite ich seit noch längerer Zeit im Bereich »Training, Coaching und Unternehmensberatung«. Dort erlebe ich verständlicherweise meist, dass Führungskräfte ganz konkrete, praktisch umsetzbare Methoden suchen. Oft wird der Wunsch nach sehr einfachen Modellen geäußert. Menschen halten allerdings Modelle oder Erklärungen oft dann für richtig, wenn diese für sie logisch und verständlich sind und optimalerweise mit der eigenen Lebenserfahrung oder ihren moralischen Wertesystemen übereinstimmen. Und hier kommt zusätzlich eine spezifische Form des Marketings ins Spiel. Immer wieder begegnen mir in diesem Umfeld kreative Führungsmodelle oder, noch dreister, scheinbar wissenschaftlich fundierte Diagnostik-Tools oder 360°-Feedbacks, die als fahrlässig einzustufen sind. Nicht alles, was sich als Pyramide, sich überschneidende Kreise oder in unterschiedlichen Farben darstellen lässt, ist ein Modell, das der Realität nahekommt. Die Wissenschaft hat in ihren Modellen den Anspruch, der Wahrheit möglichst nahezukommen, aber niemals die Wahrheit zu wissen. Das führt dann auch schon mal dazu, dass wissenschaftliche Modelle zugunsten besserer Modelle verworfen werden. Davor bleiben auch über die Wissenschaft hinaus bekannte Ansätze, wie die maslowsche Bedürfnispyramide, nicht verschont.[4]

Oft höre ich in meiner Arbeit mit Führungskräften als Selbstbeschreibung, jemand sei »mehr der Praktiker als der Theoretiker«. Ganz so, als ob diese beiden Bereiche in keinem Zusammenhang stünden. Tatsächlich ist optimalerweise Wissen die Grundlage für eine Handlung. Gerade wenn es um Führung geht und somit um eine Aufgabe, bei der man per Definition andere Menschen beeinflusst, sehe ich es als moralischen Anspruch, auf einer Wissensbasis zu handeln, die über die eigene Lebenserfahrung hinausgeht. Ist das nicht mühsam? Ja, ganz sicher! Aber würden Sie einer Ärztin vertrauen, die keine langjährige medizinische Ausbildung hat, weil ihr das zu mühsam war? Oder einem Elektriker, der die Leitungen in Ihrem Haus nach seinem Bauchgefühl und seiner eigenen Theorie verlegt? Eben! Mit diesem Buch möchte ich daher einen Beitrag leisten, um zu zeigen, wie praktisch wissenschaftliche Erkenntnisse sein können, und vor allem auch, wie man sie im echten Führungsalltag umsetzen kann. Denn Positive Leadership ist ein Führungsansatz, der sehr eng mit wissenschaftlicher Wirkungsforschung verknüpft ist. Daher war es mir ein persönliches Anliegen, der Bedeutung von Wissenschaft für das ›echte Leben‹ ein einleitendes eigenes Kapitel in diesem Buch zu widmen.

Zugunsten der besseren Lesbarkeit verwende ich in diesem Buch nicht die übliche wissenschaftliche Zitierweise, stattdessen verweisen hochgestellte Zahlen in Klammern auf die jeweilige Quelle oder auf weiterführende Literatur, die am Ende des Buches nach Kapiteln geordnet zu finden sind. Weiters habe ich mich aus demselben Grund bei mehreren Formulierungsmöglichkeiten tendenziell für den allgemein verständlichen Begriff und gegen den wissenschaftlich exakten Begriff entschieden. Mein Anspruch war es, wissenschaftlich fundiertes Wissen so aufzubereiten, dass es für Anwenderinnen und Anwender nützlich ist und ich von einem Reisenden zwischen zwei Welten zu einem Vermittler zwischen zwei Welten werde. Eine dritte Entscheidung für die Erleichterung der Lesbarkeit war, in diesem Buch nicht zu gendern. Wo dies möglich ist, benutze ich neutrale Bezeichnungen. In allen anderen Fällen verwende ich die männliche Form, sofern nicht ausdrücklich von einem Unterschied zwischen Männern und Frauen die Rede ist.

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Egal ob das Ziel der Supermarkt um die Ecke oder ein Dorf am anderen Ende der Welt ist. Auch wenn Sie einen Stadtbummel ohne ein definiertes Ziel planen, ist es immer der erste Schritt, der am Anfang steht. Fallweise höre ich, dass »das« zwar toll sei, aber im eigenen Unternehmen nicht umsetzbar sei. Und dann folgt eine Vielzahl von Begründungen. Die hilfreiche Frage dazu lautet allerdings: Welcher Teil von Positive Leadership ist vielleicht doch umsetzbar? Vielleicht ist nicht gleich das Dorf am anderen Ende der Welt das Ziel, aber der Supermarkt um die Ecke wäre möglicherweise auch schon ein guter Anfang. Und dann vielleicht morgen wieder. Und dann wieder. Bei Positive Leadership geht es nicht um ›alles oder nichts‹. Es geht auch nicht darum, eine bestimmte Intervention einmal zu setzen, sondern darum, zumindest Teile dieses Führungsansatzes zu integrieren und kontinuierlich dranzubleiben. Wahrscheinlich ist es den meisten Menschen, die sich überwiegend von Fast Food ernähren, unmöglich, ab morgen die Ernährung dauerhaft komplett umzustellen. Selbst wenn sie wissen, dass ihre derzeitige Ernährungsweise mittelfristig ziemliche Probleme schaffen wird. Aber wenn es ihnen gelingt, jeden Tag eine einzige Karotte in die Ernährung zu integrieren, dann sind das im Jahr 365 Karotten. Das sind in Summe rund 40 Kilogramm Karotten, die diese Person sonst nicht gegessen hätte. Und genau darum geht es auch bei Positive Leadership.

Nach dieser ersten ›Kennenlernphase‹ geht es im nächsten Schritt um eine konsequente und dauerhafte Umsetzung. Um bei dem Beispiel gesunder Ernährung zu bleiben: Einmal einen Broccoli zu essen, wird nicht dauerhaft ausreichen, um seinen Vitamin-C-Bedarf zu decken. Dasselbe gilt auch, wenn Menschen oder Organisationen sich verändern wollen. Wie die Änderung des Essverhaltens ist auch eine organisationale Veränderung nämlich ein längerer Prozess und kein Feuerwerk. Wenn Unternehmen Positive Leadership als Organisationskultur einführen wollen, ist es daher nicht wie ein Autowerkstattbesuch, bei dem die abgefahrenen Reifen gegen neue getauscht werden. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Änderung des Wertesystems, die auch auf Widerstand stoßen kann. Außerdem werden einige Zeit lang alte und neue Werte nebeneinander existieren, was möglicherweise Probleme schafft. Das Erfolgsrezept ist ein stetiges Dranbleiben: einen Schritt zu setzen, diesen zu etablieren und zur Gewohnheit zu machen, und dann den nächsten Schritt zu setzen. Das ist die Grundlage für eine nachhaltige und dauerhafte Veränderung und gilt somit auch für die Etablierung von Positive Leadership.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viele spannende Momente, Erkenntnisse und auch Lust aufs Ausprobieren nach dem Lesen oder bereits währenddessen!

Markus Ebner

1 Eminenzbasiert, evidenzbasiert und der Barnum-Effekt: Ein Plädoyer für die Wissenschaft!

»Menschen, die die Hände verschränkt haben, sind ablehnend oder verschlossen.« Das ist einer von vielen Mythen, die man in pseudowissenschaftlichen Ratgebern findet. Es gibt allerdings keine einzige seriöse Studie, die diese Hypothese bestätigt. Die Realität ist komplexer, wie Sie sicher aus eigener Erfahrung wissen. Es kann viele Gründe geben, warum jemand die Hände verschränkt, z. B. weil es im Raum kalt ist oder weil es ganz einfach bequem ist. Sie brauchen sich nur selbst als Beispiel zu nehmen: Wie oft hatten Sie schon Ihre Arme verschränkt und waren alles andere als verschlossen? Vielleicht haben Sie in dieser Haltung sogar sehr interessiert jemandem zugehört. Fazit: Man kann die Vielfalt der körpersprachlichen Signale eines Menschen nicht auf ein einziges reduzieren und daraus etwas ableiten. Sonst drohen Fehlinterpretationen.

Gerade bei vermeintlich psychologischem Wissen tut sich ein wahres Feld von Mythen auf: Intellektuell Hochbegabte haben angeblich mehr Beziehungsprobleme, Autisten sind oft hochbegabt, die Handschrift sagt etwas über die Persönlichkeit eines Menschen aus, bei Vollmond werden mehr Gewalttaten verübt. Und möglicherweise haben Sie auch schon davon gehört, dass es Menschen gibt, die überwiegend mit der linken Gehirnhälfte denken, und andere, die dies mit der rechten tun. Alle diese Vermutungen haben eines gemeinsam: Es gibt dafür entweder keinen Beweis oder sie sind widerlegt.[1] Uwe Peter Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie, hat sich um die Aufklärung über Pseudowissenschaften in der Personalauswahl und im Personalmanagement verdient gemacht. Er zeigt in einer Studie, die er gemeinsam mit Kollegen durchführte, dass ein Großteil der von ihm befragten 1688 Menschen die eben genannten Aussagen für wahr hält.[1] Das hat gravierende Auswirkungen. Man denke dabei nur an eine Personalentscheidung, die auf einem graphologischen Gutachtern beruht. Die Studie zeigt aber auch, dass sich Bildung auszahlt: Personen mit einer höheren Bildung sind weniger anfällig, auf pseudowissenschaftliche Aussagen hereinzufallen.

Apropos Bildung: Wissen Sie, ob Sie eher ein visueller, auditiver, kinästhetischer oder sonstiger Lerntyp sind? Diese Theorie stammte von Neil Fleming, einem neuseeländischen Lehrer und Schulinspektor, und wurde in den 1990er-Jahren sehr populär. Sollten Sie Ihren Lerntyp nicht wissen, ist das kein Fehler. Denn auch hier handelt es sich um einen Mythos, wie man mittlerweile weiß. Obwohl mehr als 90 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer von England über die Türkei bis nach China[2] an diese Theorie glauben, stimmt sie leider nicht. Seriöse Studien haben diesen Ansatz, der so logisch und überzeugend erscheint, mit verschiedenen Methoden überprüft. Der Schluss, zu dem die Forschung kommt: Es mag eine schöne Hypothese sein, aber Menschen lassen sich nicht in diese Lerntypen einteilen.[3–6]