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Wyatt Earp
– Paket 4 –

E-Book 151-200

William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2022 Kelter Media GmbH & Co. KG, Averhoffstraße 14, 22085 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © Kelter Media GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74099-264-4

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Flucht nach Sheridan

Roman von Mark, William; William, Mark

Die fünf Reiter hielten auf der Hügelkuppe und blickten auf die wenigen Häuser der kleinen Ranch hinunter, die in einer Talmulde vor ihnen lag.

Sie boten ein drohendes Bild, wie sie so nebeneinander hielten. Bewegungslos und düster hoben sich ihre Gestalten von dem flimmernden tiefblauen Coloradohimmel ab. Es waren haargesichtige Männer mit stoppelbärtigen Kinnpartien, kalten Augen und sonnenverbrannter Haut. Sie schienen einander zu gleichen wie Brüder. Und dennoch waren diese fünf Männer nur vom scharfen Wind der Prärie aus allen Himmelsrichtungen zusammengeweht worden.

Da war Kid Malligan, der einunddreißigjährige ehemalige Schlachthofhelfer aus dem großen Chikago. Er hatte einen dunklen Weg hinter sich, und er gab die Schuld an seinem elenden Leben seinen Eltern, die statt fünf Kindern nur eines hätten in die Welt setzen sollen, wie er sich ausdrückte. In den Abwässeranlagen Chikagos war er von der Polizei gefaßt worden, nachdem er einen Diebstahl verübt hatte, entwich der Polizei wieder und schlug sich mit einer Horde sogenannter Geometer durch Indiana und Illinois. Über Missouri kam er nach Kansas und zog von dort jahrelang durch Nebraska, wo er seit 1879 wegen Straßenraubes steckbrieflich gesucht wurde. So hatte er sich nun in die Berge Colorados verzogen – wie so viele Tramps, denen die offene Savanne zu gefährlich geworden war. Was noch alles hinter dem Chikago-Mann lag, konnte nie ermittelt werden. Mit Sicherheit war er an diesem 27. September 1884 jedoch bei der kleinen Sunshine-Ranch vor Silverton hier auf dem Hochplateau im San Juan County.

Ihm vor allem muß das Furchtbare zur Last gelegt werden, was sich an diesem Morgen ereignete, wenn auch seine Schwester Odette später in ihren Zeitungsartikeln behauptete, Buster Higbee sei der Alleinschuldige gewesen.

Buster Higbee war damals fünfundzwanzig Jahre alt und so hoffnungslos krank, daß es ein Wunder war, wie der Bursche den anstrengenden Ritt von Salida her hatte durchstehen können. Und dennoch war er dabei! Vielleicht hätte man das später angezweifelt, wenn Wyatt Earp es nicht bewiesen hätte.

Higbee war der Sohn eines erfolgreichen New Yorker Rechtsanwalts, den der Familiendünkel aus dem Haus und in den fernen Westen getrieben hatte. Als der geistig überwache junge Mann eine Frau hatte heiraten wollen, die aus ärmlicher, sehr einfacher Familie stammte, hatte man ihn daheim mit Familienausschluß und sogar mit Enterbung bedroht, und da verließ er die große Stadt, schlug sich als Advokat durch Virginia und Kentucky und traf wahrscheinlich in Missouri auf Malligan. Higbee soll damals noch gesund gewesen sein.

Er trug einen großen Teil der Schuld, die die Bande damals in Silverton auf sich lud, obwohl der junge Buster Higbee wirklich ein Doktor der Rechte war. So unglaublich es auch klingen mag, war er ein studierter Jurist, und nicht einmal ein schlechter, wie aus Schriften von seiner Hand, die sich noch erhalten haben, beweisen läßt. Jedenfalls befand sich Buster Higbee an jenem Morgen bei den ›Malligans‹, das ist eine Tatsache – und sie ist das Unfaßlichste an der ganzen Tragödie.

Die drei anderen scheinen farblose Gestalten gewesen zu sein und werden so auch in alten Berichten geschildert. Aber der sechsundzwanzigjährige Cederic Rush, der aus Nevada stammte, hatte immerhin jahrelang mit einem erfahrenen Wildpferdjäger die Savannen nach Mustangs durchstreift, war dann anderthalb Jahre bei der Regierung in Idaho als Scout beschäftigt worden und war sogar mehrmals der einzige Begleiter des Gouverneurs auf weiten Ritten. Kann so ein Mann wirklich farblos gewesen sein?

Von den beiden Carters endlich war Hanc, der Ältere, ein bulliger untersetzter Bursche. Er hatte ebenso wie sein schlanker Bruder James als Cowboy gearbeitet und zeichnete sich ebenso wie er durch kalte Rücksichtslosigkeit aus. Die beiden stammten aus Wyoming, und zwar aus der Stadt Sheridan…

Diese fünf Männer also hielten an diesem Morgen auf der kahlen Hügelkuppe über der Sunshine-Ranch Steve Websters und blickten auf die flachgeschossigen Bauten hinunter, über denen die Hitze in schweren Schichten flimmerte.

Malligan fuhr sich mit dem Handrücken der Rechten über sein rotstoppeliges Kinn und sah dann Higbee an, der links neben ihm hielt.

Buster Higbee hatte seinen halbhohen schwarzen Zylinder tief in die bleiche Stirn gezogen und starrte unverwandt auf die Häuser hinunter. Als er Malligans Blick spürte, nickte er nur und nahm die Zügelleinen auf.

Wie ein Sturmwind preschten die fünf Tramps den Hügel hinunter und fegten zwischen Scheunenbau und Stallhaus auf den uneingezäunten Ranchhof.

Webster war im Stallhaus gewesen, wo eines der Pferde seit drei Tagen mit matten Augen auf dem Stroh lag. Der Rancher machte sich große Sorgen um die Stute, die er vor drei Jahren für teures Geld in Silverton erstanden und die ihm seitdem zwei prächtige Fohlen gebracht hatte.

Webster war ein Mann in den Fünfzigern, glattrasiert, kernig, unermüdlich in der Arbeit.

Er hörte die Reiter, erhob sich und ging zum Stalltor.

In diesem Moment trat drüben seine Frau in die Haustür. Sie wischte die Hände, die naß vom Wäschewringen waren, an der blaugestreiften Schürze ab und strich sich eine schon angegraute Haarsträhne aus der Stirn. Mary Webster war erst sechsundvierzig; aber die Arbeit auf dem Ranchhof hatte sie vorzeitig altern lassen.

Kinder waren den beiden Websters nicht beschieden gewesen. Ein heimlicher Kummer, der der unglücklichen Frau nachts oft Tränen entlockte.

Webster kam jetzt auf den Hof hinaus und musterte die Reiter. Daß er bei dieser Musterung zu keinem guten Ergebnis kam, lag daran, daß die ›Malligans‹ genauso wirkten, wie sie waren: wie Tramps. Schlimmer noch, wie Banditen!

Dennoch nickte der Rancher ihnen freundlich zu.

Es kam selten jemand auf deinen einsam gelegenen Ranchhof, und die Websters hatten die Erfahrung gemacht, daß es besser war, wenn man auch solchen Leuten ein freundliches Gesicht zeigte, auf deren Besuch man gern verzichtet hätte.

Malligan hatte sein Pferd bis dicht an den Rancher herangebracht. Nun stützte er sich mit dem linken Ellbogen aufs Sattelhorn und beugte sich zu Webster hinunter. Während eine unangenehme Lache um seinen Mund kroch, fragte er:

»Na, Brother, wie sieht’s aus?«

Der Rancher fuhr sich mit seiner verarbeiteten Rechten unbehaglich durchs Genick.

»Wie soll’s gehen, Mister? Leidlich, man schiebt sich so durch. Wie es heutzutage wohl jeder tun muß.«

Mit einem Ruck richtete sich Malligan auf und saß so steif im Sattel, als hätte er einen Ladestock verschluckt.

»Wie meinst du das?«

Der Rancher beeilte sich zu erklären:

»Nun, ich meine nur, daß sich heute jeder mit Mühe durchs Leben bringt.«

Malligan verzog das Gesicht zu einer scheußlichen Grimasse. Dann sah er Higbee an, was er immer tat, wenn er nicht wußte, was er tun sollte.

Der einstige Lawyer blickte starr geradeaus, wie es seine Gewohnheit war, beachtete den Blick Malligans nicht, sondern trieb sein Pferd auf die Hofmitte, von wo aus er das ganze Anwesen besser übersehen konnte.

Mary Webster empfand ein würgendes Gefühl in der Kehle, als sie der kalte Blick dieser stechenden Augen traf. Wieder wischte sie ihre Hände an der Schürze ab; aber diesmal, weil sie plötzlich schweißnaß geworden waren.

Da gab Malligan dem Rancher einen Wink mit dem Kopf, der überall in der Welt nicht anders gedeutet werden konnte als: Los, scher dich da rüber!

Webster hatte beschlossen, keinen Ärger zu verursachen. Er setzte sich deshalb in Bewegung, ging mit gesenktem Kopf an den Tramps vorbei zur Veranda, die zu ebener Erde vor dem Ranchhaus lag, und blieb neben seiner Frau stehen.

Die fünf Outlaws sahen das Rancherpaar schweigend an.

Der Frau wurde unter diesen Blicken so unbehaglich, daß sie plötzlich zu lachen begann. Es war kein spöttisches Lachen, denn die Angst preßte es aus ihrer Kehle.

»Was gibt’s zu lachen, Alte?« röhrte Malligan.

»Äh – meine Frau – ist – sie ist etwas krank«, stammelte der Rancher, der nicht nur die Kälte in den Augen Higbees, sondern auch den gefährlichen Ausdruck in Malligans Gesicht bemerkt hatte.

Malligan stützte den linken Ellbogen wieder aufs Sattelhorn.

»Wir sind auf der Flucht.«

Es war keine Erklärung. Eher eine Aufforderung.

Die Websters rührten sich nicht. Das Lachen der Frau war verstummt.

Da brüllte Malligan plötzlich: »Ich habe gesagt: Wir sind auf der Flucht!«

Webster nickte.

»Ja, Mister, das soll’s geben. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

Rush stieß ein heiseres Husten aus. Dann bellte er:

»Worauf wartest du eigentlich? Ich habe Hunger und Durst. Und außerdem ist mein Geldbeutel leer!«

Da gaben die Nerven der Frau nach. Sie wandte sich plötzlich um und flüchtete ins Haus.

Unwillkürlich machte der Mann eine Reflexbewegung, als wolle er seiner Frau folgen.

Da peitschten die Schüsse los.

Von drei Kugeln getroffen, brach Steve Webster auf der Schwelle seines Hauses zusammen.

Als die Haustür wieder geöffnet wurde und die Frau zurückkam, waren nur etwa zehn Sekunden vergangen.

Sie starrte aus weit aufgerissenen Augen auf den leblosen Körper ihres Mannes, hob den Kopf und blickte die Banditen an, ohne sie eigentlich zu sehen.

Ganz langsam wandte sie sich um.

»Bleib, Alte!« bellte Malligan.

Aber Mary Webster hörte die beiden Worte gar nicht. Sie taumelte ins Haus.

Noch im Flur wurde sie von den tödlichen Kugeln getroffen.

Malligan stieg mit hölzernen Bewegungen vom Pferd, trat mit dem Colt in der Rechten auf den Vorbau und blickte mitleidlos auf die beiden leblosen Körper.

Dann stieg auch Rush ab. Er beugte sich über den Rancher, ging weiter in den Korridor und beugte sich auch über den Körper der Frau. Als er wieder in der Tür stand, sagte er nur:

»Sie sind tot.«

Keiner der anderen sagte etwas.

Malligan blickte sich suchend nach Higbee um.

Der hatte seinen Zylinder abgenommen und fuhr mit dem Jackenärmel darüber, als gäbe es nichts Wichtigeres, als ein paar Stäubchen vom Hut zu entfernen.

Es war seltsam still auf dem Ranchhof.

Plötzlich aber fuhren die Banditen herum. Drüben im Schuppen hatte es ein Geräusch gegeben. Irgendein Gegenstand schien umgeworfen zu sein.

Damned! Gab es etwa noch mehr Leute auf der kleinen Ranch? Die Frage hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt keiner der fünf Schurken gestellt.

Malligan stampfte von der Veranda bis zum Brunnen zurück. Als er seinen Braunen passierte, riß er die Sharpsbüchse aus dem Scabbard.

Jetzt gab er dem älteren Carter mit dem Kopf einen Wink, sich dem Schuppen von der Rückseite zu nähern, während James, der jüngere, von links herankommen sollte.

Zu dieser Zeit hin hatte der Schuppen ein Fenster, dem die Scheibe fehlte. Wenn ein Mann im Schuppen war, konnte er diesen Winkel also mit seiner Schußwaffe bestreichen.

Higbee saß immer noch im Sattel. Langsam trieb er sein Pferd an und lenkte es bis zu dem Strohballen, der vor dem Scheunentor lag. Dort stieg er ab, riß ein Zündholz an und brachte die Flamme an das Stroh. Das pulvertrockene Bündel brannte sofort.

Higbee zog seine Lassoleine vom Pferd, zog sie blitzschnell um den Ballen und stieg dann wieder in den Sattel.

Im Galopp preschte er an dem kleinen Schuppen vorbei, so daß der brennende Strohballen, den er nachschleifte, an die Schuppentür kam. Genau davor ließ der einstige New Yorker Advokat die Lassoleine los.

Die blauweißen Rauchschwaden zogen sofort in den Eingang.

Wenn sich da drinnen ein Mensch befand, dann nutzte ihm jetzt auch das offene Fenster nichts mehr. Der Schuppen war innerhalb einer halben Minute vom Rauch nur so erfüllt.

Da ertönte das jämmerliche Meckern einer Ziege. Und gleich darauf torkelte sie ins Freie, ein abgerissenes Kettenende am Halsband. Das Tier hatte die kleine Kette nur zu zerreißen vermocht, weil die Todesangst seine Kräfte verdoppelt hatte.

James Carter riß den Revolver hoch.

Aber sein Bruder schlug ihm auf den Lauf der Waffe.

»Laß das. Das Tier brauchen wir. Wer weiß denn, ob es hier noch etwas anderes für den Magen gibt?«

Die Flammen waren auf die altersschwache Schuppentür übergesprungen und bemächtigten sich in Windeseile des kleinen Baues, den sie innerhalb von Minuten zerstörten.

Daß die Flammen auch auf die nahe Scheune übergreifen könnten, interessierte die Banditen nicht.

Während Malligan und Rush das Wohnhaus durchsuchten, machten sich die beiden Carters daran, die Stallungen zu durchkämmen.

Higbee war zu der Fenz geritten, die zwischen dem Stallhaus und einem Geräteschuppen ihr windschiefes Dasein fristete und den Winterstürmen sicherlich nicht mehr viele Jahre getrotzt hätte.

Sie war ja jetzt völlig bedeutungslos geworden, diese Fenz, wie das Stallhaus, die große Scheune und das Wohnhaus, wie die ganze Sunshine-Ranch überhaupt.

Vor siebzehn Jahren hatte der damals sechsunddreißigjährige Steve Webster hier mit seiner Frau eine kleine Blockhütte gebaut, aus der im Laufe der Jahre die Ranch gewachsen war. Aber es war nur Kampf gewesen und Kampf geblieben, was die beiden Websters hier erlebt hatten.

Die Rinder, die draußen hinter dem Hügelhang im Westen standen, reichten eben zum Leben. Seuchen, Dürrezeiten und Rustler hatten den Bestand immer wieder geschmälert, wenn gerade eine gute Zeit Hoffnung auf die Sunshine-Ranch gebracht hatte.

Sunshine-Ranch! Den Namen hatten die beiden lebensfrohen Menschen ihr gegeben, als sie damals das Blockhaus hier unter den primitivsten Verhältnissen errichteten. Aber der Sonnenschein des Glückes war ausgeblieben.

*

Die Verbrecher hockten im großen Wohnraum um den Tisch und pokerten. Sie hatten ihre Bäuche gefüllt und waren zufrieden wie satte Raubtiere. Soviel hatte auch die ärmste Ranch an Vorräten, daß fünf Männer sich sattessen konnten. Jetzt spielten sie.

Das heißt: Higbee hockte im Fensterwinkel und starrte in den Hof. Er spielte nie. Obgleich er früher, daheim in dem großen Haus unten auf der Granithalbinsel Manhattan, mitten im gewaltigen New York, gern gepokert hatte. Jetzt hockte er da, hatte das rechte Bein angezogen und die Hände über das Knie gespannt.

Malligan hatte zwei Flaschen mit einfachem Schnaps gefunden, und man war in aufgeräumter Stimmung.

Diese ›Stimmung‹ hielt so lange an, wie der Schnapsvorrat reichte.

Dann machten Rush und der jüngere Carter sich wieder auf die Suche und fanden unten im Vorratsloch zwei weitere Flaschen.

Malligan entdeckte sogar einen alten Scotch im Geräteschuppen, den er sofort gierig an den Hals setzte, um ihn nicht mit seinen Kumpanen teilen zu müssen. Erst als er die Flasche zu einem Drittel geleert hatte und nach Luft schnappend absetzte, merkte er, daß es Spiritus war, das er sich da einverleibt hatte.

Leute wie die Websters hatten nie Geld für echten Scotch gehabt. Die Flasche hatte der Rancher in Silverton in Bingers Store bekommen, als er einmal Spiritus brauchte. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, das Etikett zu ändern. Wozu auch? Nur der Rancher ging ins Gerätehaus; sonst hatte da niemand etwas verloren. Und Webster wäre nie auf den Gedanken gekommen, den Spiritus für Scotch zu halten!

Malligan stieß einen lästerlichen Fluch aus und schleuderte die Flasche in eine Ecke, wo sie in hundert Scherben zersprang. Dann verließ er den Schuppen und schaukelte zum Brunnen.

Higbee hatte ihn beobachtet. Eine boshafte Lache kroch um seinen schmallippigen zynischen Mund. Er hatte den ›Scotch‹ nämlich schon vor zwei Stunden entdeckt, vorsichtshalber aber erst einmal an der Flasche gerochen.

Der Tag kroch dahin. In unschuldigem Azurblau wölbte sich der wolkenlose Coloradohimmel über der Stätte des Grauens.

Die Outlaws pokerten.

Im Ledermagen des Chikago-Mannes rumorte es zwar, aber er ließ sich deshalb nicht vom Spiel abbringen.

Erst als sich die Dunkelheit über den Ranchhof senkte, erhob sich Malligan und trat in den Flur. Da sah er auf den blankgescheuerten Dielen die beiden Körper liegen, die Rush neben die Treppe zum Kriechboden gezerrt hatte.

Malligan stieß mit dem Fuß die Tür zur Stube auf.

»Wir schaffen die Toten weg!«

Mürrisch erhoben sich die anderen.

Sie trugen die leblosen Körper zum Scheunenbau hinüber, wo sie sie in einen alten Wagen legten.

»Da stören sie uns nicht«, stellte Malligan fest, während er sich den Hut ins Genick schob.

Hanc Carter, der neben ihm stand, knurrte:

»Weshalb glaubt Higbee, daß er sich an solchen Arbeiten nicht zu beteiligen hat? Bildet er sich etwa ein, etwas Besseres zu sein?«

»Halt’s Maul!« fauchte Malligan, der den Lawyer insgeheim zwar haßte, aber auch fürchtete.

Langsam schlenderten die vier zum Ranchhaus zurück.

Als sie die Stube betraten, war der Platz, auf dem der Lawyer die ganze Zeit gesessen hatte, leer.

Die Tramps blickten einander an.

»Wo ist er denn?« krächzte James Carter.

»Du fragst zuviel, Jim«, warnte ihn sein Bruder.

»Wieso denn? Ist er etwa unser Boß? Werde mich doch noch erkundigen dürfen, wo er abgeblieben ist.«

»Wahrscheinlich hat er sich aufs Ohr gelegt. Er wird müde sein nach dieser Arbeit.«

»Nach welcher Arbeit?« schnarrte Rush.

Malligan rieb sich das Kinn.

»Hat er etwa nichts getan heute? Hat er nicht die beiden weggeputzt?«

Rush schnappte: »Du mußt verrückt sein, Malligan.«

Der Schlachtergehilfe aus Chikago knurrte: »He, was fällt dir ein!«

»Was mir einfällt? Na, hör mal, du willst mir doch nicht erzählen, daß er die beiden allein umgepustet hat. Schließlich haben wir alle gleichzeitig gezogen.«

Malligan blickte den Kumpanen feixend an.

»Gezogen ja.«

»Und auch geschossen!« behauptete Rush.

»Auch das, Brother – aber nicht getroffen. Jedenfalls ihr nicht. Ich schon. Higbee aber todsicher zweimal!«

Rush winkte ab.

»Was du immer hast mit ihm. Er ist nicht besser als wir.«

»Besser nicht, aber schneller!«

Rush versetzte der Flurtür vor Wut einen Fußtritt.

»Laß mich mit diesem Geschwätz zufrieden. Ich bin müde.«

Hanc Carter schüttelte den Kopf.

»He, das muß ich jetzt wissen. Wir haben schließlich keine Seifenblasen in den Revolvertrommeln. Komm, Jim, wir zählen die Einschüsse.«

Jim nickte, griff nach einer Kerosinlampe und riß ein Zündholz an, das ihm aber im gleichen Augenblick aus der Hand geschlagen wurde.

Aus dem Dunkel der Fensternische war ein Mann getreten.

Die vier sahen eine Silhouette gegen den hellen Schein, der durchs Fenster fiel.

Es war der Lawyer. Er hatte also die ganze Zeit dort gestanden und hatte die Reden seiner Kumpane mit eisiger Ruhe aus unmittelbarer Nähe mitangehört.

Als die vier ihren Schrecken überwunden hatten, knurrte Rush:

»He, auch wenn er uns belauscht, kann ich noch lange nicht einsehen, daß er den Boß abgeben will. Wie kommt er dazu, Jim das Zündholz aus der Hand zu schlagen?«

Higbee trat so dicht an Rush heran, daß sein scharfer Atem dem einstigen Wildpferdjäger wie eine Flamme entgegenschlug.

»Was willst du, Rush?«

Der wich einen Schritt zurück.

»He, Kid«, kläffte er, »ich glaube, er hat vergessen, daß du der Boß bist.«

Aber auch diese geschickte Aufstachelung konnte den gerissenen Malligan nicht zu einer Unvorsichtigkeit verleiten.

»Halt’s Maul, Ced! Higbee wird schon wissen, was er tut.«

Higbee! Niemand nannte ihn je beim Vornamen. Weshalb das so war, wußte keiner von ihnen.

Da schnarrte Hanc Carter: »Trotzdem will ich jetzt die Einschüsse zählen!«

»Es sind drei bei dem Mann und einer bei der Frau«, kam es blechern von den Lippen des Lawyers. »Deine Kugel steckt neben dem Riegeleisen im Türrahmenholz.«

Stille! Man hörte das schwere regelmäßige Ticken einer alten Uhr aus dem Nebenraum.

Erst nach Sekunden stotterte der ältere der Carter Brothers:

»Ich will die Einschüsse zählen.«

Herrisch kam es von Higbee zurück: »Damit wartest du, bis auch der da schweigt.«

»Der da?« stotterte Hanc.

Und dann starrten sie alle durchs Fenster in den Hof. Sie konnten außer den scharfen Konturen der Dächer gegenüber nichts sehen.

»Ist … denn noch jemand da?« brach es heiser über Malligans Lippen.

»Ja«, entgegnete der Lawyer.

»Wo?«

»Ich weiß es nicht. Ein Mann kam über den Hof. Er muß jetzt dicht am Haus sein. Vielleicht trifft unser Freund Carter diesmal besser.«

In diesem Augenblick zuckten die Outlaws zusammen. Es war an die Haustür geklopft worden.

Stille!

Dann flüsterte Rush: »Wir haben die Tür offenstehen lassen.«

»Quatsch«, zischelte Jim Carter, »ich habe sie zugezogen.«

»Aber nicht verschlossen«, knurrte Malligan.

»Das natürlich nicht.«

Da schob sich Higbee an den anderen vorbei in den Gang.

»Wer ist da?« rief er.

»Gibt’s ein Scheunenquartier für zwei Männer auf der Ranch, Mister?« drang die metallische Stimme eines Mannes durch die Türbohlen.

Higbee hatte die Brauen finster zusammengezogen.

Da war Malligan plötzlich neben ihm. »Wir können den zweiten Mann nicht ausmachen. Auf keinen Fall schießen«, flüsterte er.

»Wer wäre denn auch so idiotisch?« gab der Lawyer höhnisch zurück, während er dem Fremden draußen laut antwortete:

»Warten Sie, Mister, ich komme hinaus. Der Boß ist krank, deshalb herrscht hier schon Kirchhofsruhe.«

Er zog die Tür auf und sah sich einem hochgewachsenen Mann gegenüber, von dem er nur die Silhouette sehen konnte.

»Mit dem Scheunenquartier ist es leider …«

Er brach jäh ab und blickte auf das helle Pferd, das rechts neben der Veranda im schwachen Sternenlicht stand.

Buster Higbee war zwar erst seit kurzer Zeit im Westen, aber von seinem sechsten Lebensjahr an hatte er stets mit Pferden zu tun gehabt. Bei seinem wohlhabenden Vater hatten sechs Tiere erstklassig gepflegt im Stall gestanden. Vier davon wurden für die beiden Kutschen der Familie benutzt, die beiden anderen waren Reitpferde. Immer wieder hatte Busters Vater neue Tiere angeschafft; Pferde waren seine Leidenschaft gewesen. Und obgleich der schmächtige Sohn sie gar nicht leiden konnte, lernte er sie durch den Vater doch zwangsläufig kennen. Buster Higbee war nur ein mäßiger Reiter, aber ein ausgezeichneter Pferdekenner. So sah er auch jetzt sofort, daß der Falbe, der da am Terrassenende stand, ein kostbares Tier war.

Redegewandt, wie er seit eh und je war, faßte er sich rasch und setzte seinen Satz jetzt fort: »Mit dem Scheunenquartier ist es leider nichts, aber Sie können drüben in der Strohkammer des Stallhauses schlafen.«

»Thanks«, entgegnete der Fremde.

Higbees Augen tasteten das Pferd noch einmal ab und durchsuchten dann den dunklen Hof nach dem zweiten Mann, von dem der Fremde gesprochen hatte. Er konnte ihn nirgends entdecken.

»Mein Name ist Earp«, meinte der Fremde und tippte an den Hutrand.

»Ich heiße Higbee«, sagte der Bandit, ohne auf den Gedanken zu kommen, daß er vielleicht allen Grund hätte, seinen wirklichen Namen nicht zu nennen. Den Namen, den ihm der Fremde da genannt hatte, hatte er nur nebenbei registriert und schenkte ihm keinerlei Bedeutung.

Das war der erste Fehler, den Buster Higbee machte.

Denn der Mann, der da riesengroß, breitschultrig und schmalhüftig vor ihm auf der Veranda stand, war der gefährlichste Feind, den sich ein Verbrecher in diesem Lande nur denken konnte: der Marshal Wyatt Earp!

Sein Name hatte im weiten Westen mehr Klang und Gewicht als irgendein anderer. Zwischen den himmelragenden Bergen Montanas und den sandigen Savannen von Texas, zwischen dem Goldland California und den grünen Ufern des Missouri gab es sicher niemanden, der seinen Namen nicht gekannt hätte. Auch der einstige Lawyer Buster Higbee kannte ihn. Aber er war jetzt mit seinen Gedanken zu sehr bei dem Pferd des Fremden.

»Sind Sie der Vormann?« forschte der Marshal.

Higbee nickte. »Ja, ich bin der Vormann. Die Boys sind noch in der Wohnstube. Da der Boß bei offener Tür in der Nebenstube liegt, haben wir kein Licht gemacht. Geht ihm ziemlich dreckig. Einer der Gäule hat ihn getreten.«

Da versetzte der Missourier hilfsbereit:

»Soll mein Gefährte nach ihm sehen? Er versteht was davon …«

Higbee winkte ab.

»Thanks, Mister. Der Doc aus der Stadt war schon hier. Alles in Ordnung. Braucht eben seine Zeit.«

Der Marshal nickte und verließ den Vorbau.

Da rief ihm der falsche Vormann nach:

»Bringen Sie die Pferde drüben in den Corral. Futter ist in dem Schuppen unterm Wagendach. Und die Tränken sind gefüllt.«

»All right.« Der Marshal wollte weitergehen.

Aber der Lawyer meinte: »Warten Sie. Ich schicke Ihnen einen der Boys mit einer Stallaterne, damit Sie sich drüben im Stallhaus zurechtfinden.«

»In Ordnung, Vormann.«

Higbee fügte noch in gönnerhaftem Ton hinzu:

»Und seht zu, daß ihr mir den Kasten nicht niederbrennt. Bei dem Unglück mit dem Boß ist drüben der Schuppen niedergebrannt.«

Wyatt hatte den Brandgeruch bereits auf eine Viertelmeile hin wahrgenommen, als er auf die Ranch zugeritten war.

Higbee stieß die Tür auf.

»Ced!« rief er Rush zu. »Gehen Sie mit den Leuten zum Stallhaus. Nehmen Sie eine Laterne mit!«

Rush verbiß einen Fluch; er haßte den herrischen Ton des New Yorkers, aber nachdem Malligan ihm einen antreibenden Stoß versetzt hatte, antwortete Cederic:

»All right, Vormann!«

Er zog eine der Laternen vom Bord neben der Tür und riß ein Zündholz an.

»Draußen, du Idiot!« zischte Higbee ihm zu, indem er ihn auf die Veranda zerrte.

Rush zündete erst unten vor der Treppe die Laterne an und ging auf die Hofmitte zu, um jetzt dort jemanden sehen zu können.

Wie er plötzlich den Einfall verwünschte, sich Malligan und den anderen angeschlossen zu haben! Sie hatten ihn in Salida aus einer höllischen Situation gerissen. Genauer gesagt war es der Lawyer gewesen, der ihn aus den Fängen eines Hilfs-Sheriffs gezerrt hatte, der dem einstigen Wildpferdjäger gerade Handschellen hatte anlegen wollen.

Rush hatte nämlich in einer Schenke einen alten Mann brutal niedergeschlagen und darauf ein Orchestrion so schwer mit Blei vollgepumpt, daß es nicht mehr zu reparieren war. Der allzu reichlich genossene Alkohol hatte den Tramp dazu verleitet. Daß er sich schließlich noch mit der Schußwaffe gegen den Hilfs-Sheriff Patterson zur Wehr setzen wollte, hätte ihn todsicher hinter Gefängnisgitter gebracht, wäre nicht der trampende Lawyer Buster Higbee genau in dieser Stunde dazwischen gekommen!

Die vier Tramps hatten den Auftritt beobachtet. Und da sie grundsätzlich immer auf Seiten der Leute standen, die gegen das Recht waren, hielten sie es für ihre Pflicht, den Mann herauszuhauen.

Malligan und die beiden Carters hatten zunächst ihre Fäuste gebraucht. Aber als der Deputy dann den alten Richter Morrow hinzugezogen hatte, hatte der hagere Mensch eingegriffen, der mit den drei Tramps in die Stadt gekommen war und nun ein geradezu unheilvolles Redetalent zugunsten Rushs einsetzte.

Obgleich es einige Male hart hin und her ging, gelang es Higbee schließlich mit seiner geschliffenen Dialektik, die Anwesenden zu überzeugen, daß ›ein armer Cowboy‹, der zufällig einmal getrunken hatte, nicht zum Verbrecher abgestempelt werden dürfte.

Was die Malligans veranlaßt hatte, Rush da herauszuhauen, verstand lange niemand, aber bei Kid Malligan war es vermutlich Großmannssucht, bei Higbee das teuflische Geschick, Recht mit allen Mitteln als Unrecht hinzustellen. Es war wie ein erregendes Spiel für diesen rätselhaften Menschen.

Rush aber, der selbst ein rüder und gerissener Bursche war, wollte es längst nicht mehr wahrhaben, daß er fremde Hilfe benötigt hatte. Ganz besonders ärgerte es ihn, daß es ein sogenannter Stadtfrack war, wie er ihn zu diesem Tage nur verachtet hätte, der ihn aus dem Feuer geholt hatte.

Es lag ja auch bereits dreizehn Tage zurück. Eine halbe Ewigkeit schon und reif, vergessen zu werden.

Mit schaukelnder Stallampe schlenderte der Tramp jetzt über den Hof. Er hielt die Augen eine Weile geschlossen, wie er es in den Sandbergen Nevadas nachts oft gehalten hatte, wenn er auf der Mustangjagd das Auge schärfen wollte.

Aber er konnte nirgends den Mann sehen, mit dem Higbee gesprochen hatte. Damned, wie er die dunklen Nächte haßte! Nur ab und zu lichtete sich der Wolkenschleier und ließ den Schein fahlen Sternenlichts hindurch.

Dann gewahrte er den Fremden plötzlich neben sich.

Langsam ging er weiter.

Rush begleitete ihn bis an den Stall. An der Tür packte er den eisernen Riegel, warf ihn hoch und hob die Laterne.

»Drüben ist die Strohkammer.«

Wyatt ließ ihn vorangehen.

Der Wildpferdjäger trottete durch den Stallgang.

Da fiel der Lichtschein in die Box der kranken Stute.

Wyatt blieb stehen und blickte auf das Tier.

Rush, der hörte, daß der Schritt hinter ihm verstummt war, hielt ebenfalls inne und sah sich um, wobei er unausgesetzt darauf bedacht war, daß sein Gesicht auch nicht für den Bruchteil einer Sekunde beleuchtet wurde.

»Das ist ein kranker Gaul, Mister. Er verhält sich ruhig und wird Sie nicht stören.«

Rush ging weiter und stieß die Brettertür der Strohkammer auf. In ihrem Eingang setzte er die Lampe ab und wandte sich sofort um.

»Dann gute Nacht.«

»Gute Nacht«, antwortete der Marshal, »und vielen Dank, Cowboy.«

Der Bandit Cederic Rush verzog das Gesicht, als er so angeredet wurde. Und einen Herzschlag lang überkam ihn sogar ein wehmütiges Gefühl; hatte der Wildpferdjäger doch Cowboy werden wollen, als er Nevada den Rücken gekehrt hatte.

Statt dessen war er ein Outlaw geworden. Hatte sich einer Crew von Verbrechern angeschlossen. Und auch er hatte heute morgen einen Schuß abgegeben auf die Ranchersleute, die jetzt drüben stumm auf den Bodenplanken eines alten ausgedienten Wagens lagen.

Als Rush die Stalltür erreicht hatte, tauchte plötzlich vor ihm die Gestalt eines Mannes auf; seine weiße Hemdbrust schimmerte aus der Dunkelheit.

»Evening«, grüßte der Fremde halb­laut.

Rush hatte seinen jähen Schrecken überwunden.

»Evening«, antwortete er krächzend und zwängte sich an dem Fremden vorbei in den Hof.

Es war niemand anders als Doc Holliday, dem er da begegnet war.

Der Spieler sah ihm nach und folgte dann nach einigen Sekunden dem Lichtschein der Laterne.

Als der Marshal ihn bemerkte, meinte er:

»Legen Sie Wert auf das Licht?«

Der Georgier warf einen kurzen Blick durch die Strohkammer und schüttelte den Kopf.

»Nein, ganz und gar nicht.«

Er reichte dem Marshal das Deckenbündel, das er von dem Rücken des Falben genommen hatte, breitete seine eigene Decke aus, schob seine schwarze krokodillederne Arzttasche hinter den Kopf und legte sich nieder.

Er, der sonst so schweigsame Mann, der selten an einem kurzen Nachtquartier etwas zu bemäkeln hatte, fand nach einer Weile:

»Ziemlich ungemütlicher Verein hier, wie es scheint.«

Wyatt, der gerade damit beschäftigt gewesen war, seine Decke einzurollen, hielt inne.

Der Freund hatte recht. Auch den Marshal hatte ein sonderbares Gefühl beschlichen, das er aber nicht überbewerten wollte. Gerade die Leute auf den einsam liegenden Ranches waren oft sehr eigenartig; das brauchte nichts auf sich zu haben.

Vielleicht wäre der Missourier seinem Argwohn doch mehr nachgegangen, wenn er frischer gewesen wäre. Die beiden Westmänner hatten einen sehr weiten, anstrengenden Ritt hinter sich.

Da Doc Holliday nach seiner langen Krankheit wie ein Phoenix aus der Asche erstanden zu sein schien, da er den furchtbaren Anfall völlig überwunden und alle Schwäche abgeschüttelt zu haben schien, da er also nun so stabil und zähledern wirkte wie eh und je, hatte der Marshal beschlossen, Clay Allison für die Gemeinheiten, die er ihm in La Punta geboten hatte, zur Rede zu stellen.

Nachdem der berüchtigte Bravo durch Hintermänner dafür gesorgt hatte, daß der Marshal unter Mordanklage um ein Haar gehenkt worden wäre, hatte Allison sich aus dem Staub gemacht.

Wyatt Earp und Doc Holliday hatten beschlossen, ihm diesmal zu folgen.

Clay Allison wußte noch nicht, was ein solcher Entschluß bei den beiden Westmännern bedeutete.

Sie waren von La Punta aus westwärts geritten, wo der Marshal in Tiffany, im La Plata County, erfahren hatte, daß Allison nach Norden geritten war, hinauf nach Bayfield. Dort hatten sie herausgebracht, daß sich der Bravo wieder westwärts gewandt hatte, der Stadt Durango zu. Dann mußte Allison den Animas River hinaufgeritten sein.

Aber am kleinen Haviland Lake erfuhr der Marshal von einem Salm­fischer, daß hier seit einer Woche keine Menschenseele vorübergekommen war. Entweder hatte Allison sich also weiter westwärts gewandt, oder aber er war nordöstlich auf den Weminucke-Paß zugeritten, um aus den Bergen nach Del Norte hinüberzukommen.

Leider hatten die beiden Westmänner auf der Suche nach dem Desperado mehr als eine halbe Woche verloren. Dann aber hatte der Missourier durch einen Zufall herausbekommen, daß Clay Allison nach Nordosten geritten war, den Paß aber gemieden hatte. Ein fahrender Händler hatte von seinem Camp, das er abseits der Straße in einer Mulde aufgeschlagen hatte, abends beim letzten Dämmerlicht Allison mit sieben Männern gesehen.

Sieben Reiter also hatte er bei sich, der Hasardeur aus La Punta.

Und er hatte genau vier Tage Vorsprung.

Aber die beiden Wölfe aus Dodge City blieben ihm hart auf der Spur.

»Wir werden morgen ein gutes Stück vorwärtskommen«, meinte der Marshal, als er sich in seine Decke schlug. »Wir werden östlich an Silverton vorbeireiten, um in die Täler des Uncompahgre zu kommen.«

»Waren Sie schon dort?« forschte der Gambler, während er sich den Hut übers Gesicht zog.

»Ja, aber es ist schon eine Ewigkeit her. Damals war Morg dabei. Wir folgten einem Armenier, der mit sechzehn Mann bei Garden City einen Siedlertreck überfallen und ausgeraubt hatte. Als wir ihn endlich stellten, war er allein. Seine Leute hatten ihn verlassen. Mitten in einem dieser Täler suchte er sich zu verschanzen.«

»Wenn sie Clay nur auch allein ließen, die anderen!«

»Sie werden sich wundern, Doc; er reitet am liebsten allein. Und ich muß Ihnen gestehen, daß ich gar nicht sicher bin, daß er es ist, dem wir hier folgen. Well, die Beschreibung, die der Traber uns gegeben hat, paßt auf ihn, und das Pferd müßte der gescheckte Hengst sein, den er reitet. Nur eines paßt nicht ganz: Clay Allison mit sieben Leuten! – So kommt er wohl zuweilen in eine Stadt, um Stimmung für sich zu machen. Aber auf dem Trail ist er fast immer allein.«

»Ich denke, seine Brüder sind immer bei ihm?«

»In seiner Nähe, ja, aber ich habe ihn noch nie zusammen mit ihnen irgendwo ankommen sehen. Entweder kommt er mit der Overland, wie damals in Dodge, und Mat und Ric folgen zu Pferd, oder umgekehrt.«

»Dann ist es also nicht ausgeschlossen, daß wir einem Phantom nachjagen?«

»Ausgeschlossen nicht. Morgen weiß ich mehr. Wenn er nicht über den Paß geritten ist, muß er die Lundgreen Weide passiert haben. Und die Cowboys dieser Ranch fühlen sich wie die Herren des ganzen Countys. Ihnen entgeht so leicht nichts.«

Holliday sog die Luft tief ein und entgegnete: »All right, wir werden sehen.«

*

Als das erste Silbergrau des neuen Tages im Osten über den Horizont kroch, schlug der Marshal die Augen auf. Er erhob sich, tastete sich aus der dunklen Kammer zur Tür, blickte in den Stallgang und wunderte sich, daß die Stalltür offenstand.

Rasch verließ er den dunstigen Bau und trat ins Freie.

Wie immer um diese Jahreszeit waren die Nächte in den Bergen Colorados sehr kühl, und frühmorgens herrschte eine neblige Frische, die sich meist erst im Laufe des Vormittags verlor.

Durch einen Nebelschleier sah er drüben am Corral eine Gestalt lehnen. Er konnte den Mann zwar nur undeutlich erkennen, aber der eigenartige Tabakgeruch verriet ihm den Georgier.

Holliday hatte sich also lautlos von seinem Lager erhoben, stand jetzt da am Corralgatter und rauchte.

Wyatt ging auf ihn zu. Er war erschrocken, als er in sein Gesicht blickte. Der Doc sah bleich und krank aus.

»Schlecht geschlafen?« forschte Wyatt vorsichtig.

»Nein, das nicht. Ich wurde plötzlich wach, und zwar durch ein Geräusch. Ich habe mich noch gewundert, daß Sie es überhörten, wo Sie doch sonst wahre Indianerohren haben.«

Wyatt blickte den Gefährten erstaunt an.

Holliday schnipste eine Zigarette in den Sand.

»Es war das kurze harte Wiehern eines Pferdes.«

»Der Falbe …?«

Der Spieler nickte.

»Ja, der Falbe.«

Da warf der Marshal plötzlich den Kopf hoch. Seine Augen suchten den Corral ab.

»Die Pferde! Sie sind weg!«

Der Georgier wandte sich um und blickte in die Nebelschwaden, die über dem weiten Hof lasteten.

Wyatt sah sich um. Dann wollte er an dem Gefährten vorbei, um in den Hof zu laufen.

Holliday hielt ihn auf, indem er die linke Hand vorschob.

»Den Weg zu den Boys können Sie sich ersparen, Marshal. Sie sind weg. Alle miteinander! Offenbar fanden sie unsere Tiere interessanter als ihre ganze Ranch.«

Wyatt griff sich an die Stirn.

»Aber … das ist doch …«

»Eine Schurkerei. Stimmt. Aber nicht zu ändern.«

Wyatt ging vorwärts und blieb neben dem Brunnen stehen.

Holliday folgte ihm langsam.

»Waren Sie schon im Haus?« fragte der Marshal, ohne sich umzudrehen.

»Ja, alles leer. Und von Cowboys kann hier keine Rede gewesen sein. Hier haben nur ein Mann und eine Frau gehaust.«

Wyatt fuhr sich mit der Kuppe des kleinen Fingers über die Unterlippe.

»Ein Mann und eine Frau … allein?«

Plötzlich wandte er sich um und lief auf die Scheune zu, stieß das Tor auf und blickte in den hohen düsteren Raum.

Weshalb hatte der angebliche Vormann nicht gewollt, daß sie in der Scheune übernachteten?

Doc Holliday sah den Freund im Dunkel des Scheunenbaus verschwinden.

Drei Minuten später kam der Marshal wieder zum Vorschein.

Holliday zog die Brauen zusammen. Was war mit dem Missourier? Er schien aschgrau geworden zu sein.

Rasch ging der Gambler auf ihn zu und blickte ihn fragend an. Plötzlich begriff er.

»Sie liegen da drinnen?«

Der Marshal nickte.

»Der Mann und die Frau?«

»Ja, beide.«

»Ich kann ihnen nicht mehr helfen?«

»Nein, Doc. Denen braucht niemand mehr zu helfen …«

*

Der Tag hatte einen bösen Anfang genommen.

Wyatt Earp hatte nach der grausigen Entdeckung hinter dem Scheunenhaus eine tiefe Grube ausgehoben und die beiden Ranchersleute nebeneinander unter die Erde gebettet.

In das Land, das ihnen gehört hatte!

Gemeinsam schaufelten die Freunde die Grube zu. Wyatt hatte aus zwei Brettern ein Kreuz gezimmert, aber er konnte keinen Namen darauf setzen, ehe er es auf den kleinen Grabhügel setzte.

Der Wind, der von den Bergen kam, brachte den Geruch der Wälder mit. Er zerzauste den beiden Männern, die hutlos vor dem braunen Erdhügel standen, das Haar und trieb es ihnen in die Stirn.

As sie sich schließlich abwandten, blitzte fern im Osten über den Bergkuppen der erste Sonnenstrahl auf und schickte ein flammendes orangerotes Licht über das Land.

Die beiden gingen auf das Haus zu und suchten noch einmal alles durch. Nirgends fanden sie einen Brief, eine Urkunde oder dergleichen.

Es mußten sehr einsame Menschen gewesen sein, die nun still und schweigend für immer unter dem braunen Erdhügel hinter dem Scheunenhaus in ihrer Erde lagen.

Die Banditen hatten außer der kranken Stute und der Ziege alles mitgehen lassen, was nur irgendeinen Wert besaß und sie nicht auf dem Ritt hinderte.

Wyatt stand am Fenster und blickte durch das Ranchtor in die Prärie hinaus.

»Heavens, wir haben diesmal mehr Glück als Verstand gehabt. Die Hunde hätten uns da in der Strohkammer fertigmachen können, ohne daß wir es gemerkt hätten.«

Holliday schüttelte den Kopf.

»Nicht so leicht. Erstens hatte der mißtrauische Onkel John die beiden Eisenriegel vorgelegt, als er den Stall betrat, und zweitens ist das Stallhaus steingefügt und das Strohlager sogar fensterlos. So leicht wäre es den Brüdern denn nun doch nicht geworden, uns da zu massakrieren.«

Der Missourier griff sich an den Kopf.

»Ohne Sie wäre ich vielleicht jetzt auch in den Ewigen Jagdgründen.«

»Ach was, wenn Sie allein gewesen wären, hätten Sie auch anders gehandelt.«

»Ich glaube, ich sollte auch mal ein paar Monate oben nach Glenwood-Springs fahren, um zu pausieren. Ihnen scheint das ja gut bekommen zu sein.«

Der Gambler winkte ab, während er seinen Kaffeebecher von sich schob.

»So was haben Sie nicht nötig. Als ich Sie auf der Mainstreet von La Punta mitten in dem Knäuel der Allisons wie einen Hurrikan wirbeln sah, habe ich Sie zum ersten Mal in meinem Leben wirklich beneidet. Ihre Nervenkraft ist doch märchenhaft. Ich hätte früher, als ich noch in Boston Leute verarztete, so etwas nie für möglich gehalten.«

Es stimmte, was der einstige Arzt da sagte – und es stimmte auch wieder nicht. Seit ein paar Tagen war mit dem Missourier irgend etwas nicht in Ordnung, und Holliday spürte es mit dem feinen Instinkt, der ihn schon immer ausgezeichnet hatte. Um bei dem Gefährten jedoch erst gar keine Unsicherheit aufkommen zu lassen, hatte er jetzt von Wyatts ja tatsächlich unglaublicher Naturkraft gesprochen.