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Jo Zybell

Lennox beim Volk der 13 Inseln: Das Zeitalter des Kometen #10

Lennox beim Volk der 13 Inseln: Das Zeitalter des Kometen #10


von Jo Zybell


Der Umfang dieses Buchs entspricht 134 Taschenbuchseiten.


Eine kosmische Katastrophe hat die Erde heimgesucht. Die Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Die Überlebenden müssen um ihre Existenz kämpfen, bizarre Geschöpfe sind durch die Launen der Evolution entstanden oder von den Sternen gekommen und das dunkle Zeitalter hat begonnen.

In dieser finsteren Zukunft bricht Timothy Lennox zu einer Odyssee auf …

Marrela ist wild entschlossen, sich an Emroc, dem Sklavenhändler zu rächen und dann ihren geliebten Lennox zu suchen. Rasch findet sie heraus, dass Emroc schon getötet wurde und Tim Lennox als Sklave auf dem Weg nach Amerika ist. Aber Jacob Blythe, der verrückte Wissenschaftler, ist ebenfalls hinter Lennox her und bekommt Marrela in die Finger. Es gelingt ihm, sie zu einer Aussage zu zwingen. Sie will sich angeblich mit Lennox auf den 13 Inseln treffen.


Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /COVER LUDGER OTTEN

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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1

Rauschen, Heulen und Zischen überall. Der Sturm fuhr mit tausend Peitschenhieben in die schäumende Brandung. Wieder und wieder. Seit Tagen schon. Eine Woge jagte die nächste gegen die Klippen und auf den schmalen Strand. Wasserzungen leckten über den Kies, versickerten darin und hinterließen Schaumfetzen. Die nächsten Ausläufer der Brandung wischten sie weg.

Von Zeit zu Zeit riss eine Sturmböe Wolken aus Laub über den Klippenrand auf den Strand hinunter. Gelb und braun wirbelten die Blätter durch die feuchte Luft und segelten ins Wasser, in den Steilhang und auf den Kies vor Marrelas Unterschlupf. Und manchmal, wenn die tausendschwänzige Peitsche des Sturms ihre Zuflucht unter der überhängenden Klippenwand traf, klatschte ihr das nasse Haar in Mund und Augen.

Marrela hatte sich den Fellmantel, den sie über der silbernen Kleidung der Technos trug, eng um ihren Körper gezogen. Es war so kalt. Der Winter hatte an der Küste Britanas Einzug gehalten. Nicht mehr lange, und er würde das Land mit Schnee zudecken.

„Wo bist du, Tinnox, wo bist du?“

Sie blickte aufs Meer hinaus. Eine schwarzgraue Decke, unter der Heerscharen von Dämonen miteinander zu ringen schienen. Kaum war die Grenze zwischen Wasser und Himmel zu erkennen. Schwarze Wolkenfetzen jagten landeinwärts.

„Wo bist du? Wohin hat dich das Schiff getragen?“

Die Küstenlinie verschwamm im Dunst. Graue Schleier lagen auch über dem Hafen von Plymeth. Nur einzelne Gebäude des Stadtrandes waren undeutlich auszumachen. Vielleicht sechs oder sieben Speerwürfe entfernt.

Marrela wusste, dass sie zurück in die Stadt musste. Und zurück wollte. Um den Mann zu finden, dessen Tod sie beschlossen hatte. Und weil sie nur dort erfahren konnte, mit welchem Ziel das Schiff in See gestochen war. Das Schiff, auf das man Tinnox als Sklaven verschleppt hatte.

Eine schwarze Wand schob sich von Südosten aus dem Horizont. Die Nacht. Marrela hob die Schultern und schüttelte sich. Die Kälte kroch ihr in die Knochen. Hier draußen am Meer konnte sie nicht bleiben. Sie stand auf und schnallte sich ihr Schwert auf den Rücken. An der Felswand entlang tastete sie sich zu der Spalte, durch die sie hinunter zum Strand geklettert war.

Der Sturm packte sie, als sie sich später aus der Felsspalte stemmte. Sie blickte nicht zurück über die Steilklippe. Sie wickelte sich in ihren Fellmantel und lief zum nahen Wald. Er umgab den Standrand und wucherte bis in die zerfallenen Außenbezirke von Plymeth hinein. Der Sturm trieb sie voran.

So kann ich nicht zurück in die Stadt … der Silberanzug ist zu auffällig. Ich brauch andere Kleider!

Der Sturm schüttelte die Baumwipfel. Die Umrisse des Waldes zerflossen schon in Dunst und Dämmerung. Marrela tauchte darin unter. Schmerz drängte sich in ihr Bewusstsein. Er bohrte in ihren Eingeweiden – Hunger.

Kleider und Nahrung und ein Dach über dem Kopf für diese Nacht.

Der Waldstreifen lichtete sich. Die ersten Behausungen von Plymeth wurden sichtbar. Hütten aus Holz in Abständen von je kaum einem Speerwurf, nicht mehr als kastenartige Schatten in der zunehmenden Dunkelheit. In einer schien Licht zu brennen. Marrela ging darauf zu.

Sie kam zu einem von blattlosem Buschwerk und aufeinander geschichteten Feldsteinen eingefriedeten Grundstück. Darin befanden sich ein marodes Ruderboot, aufgebockt auf ein Holzgestell, und zwischen Hüttenwand und Baumstamm ausgespannt ein Netz. Es flatterte im Sturm. Ein Fischer schien die Hütte zu bewohnen.

Marrela durchquerte eine Lücke in der Steinmauer. Hinter einem der kleinen Fenster flackerte eine Lampe. Sie ging zur Tür und klopfte. Ein bärtiger Mann öffnete – einen halben Kopf größer als Marrela, ziemlich stämmig, das verfilzte Grauhaar zu Zöpfen geflochten und in einen dunklen Fellmantel gehüllt. Vielleicht fünfundvierzig Winter alt, vielleicht auch fünfzig.

„Ich habe Hunger“, sagte Marrela. „Und ich brauche einen Schlafplatz.“ Sie benutzte die Sprache der Wandernden Völker. Er schien zu verstehen. Jedenfalls blitzte da etwas auf in seinen grünen Augen, während er Marrela von oben bis unten betrachtete. Vielleicht war es auch nur die Überraschung, eine junge Frau vor seiner Tür zu entdecken. Sein von der Seeluft gegerbtes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Kein besonders freundliches Grinsen.

„Hunger also? Schlafen?“ Seine Zunge tat sich schwer mit der fremden Sprache. Mit einer Kopfbewegung winkte er sie herein.

Die Hütte bestand aus einem einzigen Raum. Der Lampendocht unter dem Glaszylinder erhellte nur den vorderen Bereich. Marrela sah ein breites Brett auf zwei Holzböcken, davor einen Holzpflock als Sitzgelegenheit und dahinter einen gemauerten Herd. Das Wirrwarr aus Werkzeugen, Baumaterial, Paddeln, Spießen und Netzen jenseits davon ahnte sie mehr, als dass sie es sah. Es stank nach Fisch, Teer und Urin.

Der Mann grinste noch immer. Er wies auf den Holzpflock und Marrela nahm Platz. „Name?“ Rückwärts und grinsend schlich er in den dunklen Teil des Raumes.

„Lu“, sagte Marrela. Es widerstrebte ihr, dem Kerl ihren Namen preiszugeben, unter dem sie als geflohene Sklavin bekannt war. Die Frage, warum er sie ohne Wenn und Aber in seine Hütte gelassen hatte, stellte sich ihr nicht. Sein gieriger Blick sprach Bände.

„Dschonn!“ Er deutete auf seine Brust und entblößte sein lückenhaftes bräunliches Gebiss. Dann verschwand er im hinteren Bereich seiner Hütte. Marrela hörte ihn zwischen dem Hausrat herumkramen. Mit einem flachen Tongefäß und einem Brotfladen kehrt er zurück. Er setzte das Gefäß vor Marrela auf dem Tisch ab und reichte ihr den Fladen. Die Tonschüssel enthielt geräucherten Fisch.

„Danke.“ Marrela schnallte ihr Schwert ab und lehnte es gegen das Tischbrett. Dann griff sie in das Gefäß und stopfte sich den fettigen Fisch in den Mund. Der Mann namens Dschonn warf einen misstrauischen Blick auf die große Waffe. Die ganze Zeit blieb er neben dem Tisch stehen, während sie ihren Hunger stillte. Stand da, beobachtete sie und grinste. Sie sprachen kein Wort. Irgendwann verließ er die Hütte und brachte kurze Zeit später einen Krug Wasser hinein. Regenwasser, vermutete Marrela.

Unter einem der Fenster hatte Marrela einen zerwühlten Haufen von Decken und Fellen entdeckt, die Schlafstelle des Mannes. Nach dem Essen stand sie auf, griff sich ihr Schwert und zog sich hinter den Herd zurück, an den Ort, der ihr am weitesten vom Nachtlager des Hausherrn entfernt schien. Sie legte sich auf den Holzboden, rollte sich in ihren Fellmantel, zog die Beine an und schloss die Augen.

Doch der Fischer ging davon aus, dass nun die Rechnung beglichen werden müsste. „No, no, no!“ Schon stand er bei Marrela, beugte sich über sie und packte ihr Handgelenk. „Dschonn brauch was Warmes …“ Sein Grinsen war nun unverhohlen lüstern. Es widerte Marrela an. Er zog sie hoch und zerrte sie hinter sich her zu seiner Schlafstatt. „Hinlegen, ausziehen!“ Er hörte nicht auf zu grinsen. Vielleicht angeboren, dieses Grinsen, vielleicht eine Behinderung, vielleicht fand er auch alles ganz spaßig und völlig normal.

Nur einen Atemzug lang zögerte Marrela. Das Heulen des Sturms und das Getrommel des Regens auf dem Hüttendach überzeugten sie schließlich – sie konnte die Nacht nicht im Freien verbringen. Und sie brauchte irgendeine Verkleidung, um sich unerkannt in Plymeth bewegen zu können.

Langsam schob sie sich an den Kerl heran, bis ihr Körper seinen berührte. Seine verwitterten Gesichtszüge wurden weich. Er stank aus dem Mund, als würde er sich von Aas ernähren.

Marrela riss ihr rechtes Knie hoch, wuchtig und blitzschnell. Der Mann krümmte sich und schrie, ließ sich auf den Boden fallen und schrie immer weiter. Marrela hatte Zeit genug, um gut zu zielen. Ihr Fausthieb landete auf seiner Schläfe. Er verstummte.

Sie griff sich die Lampe und suchte den hinteren Hüttenteil nach Stricken und Gurten ab. Anschließend fesselte sie ihm Hände und Füße. Sie schleifte ihn zu einem der beiden Mittelbalken, die das Querholz des Daches trugen. Dort band sie ihn fest.

Langsam kam er wieder zu sich. Und begann erneut zu schreien. Regen, der Sturm und das Rauschen der Baumwipfel erfüllten die Nacht außerhalb der Hütte. Und die nächste Behausung stand fast einen Speerwurf weit entfernt. Niemand würde ihn hören.

Marrela wollte unter seine Decken kriechen, doch das Zeug stank nach Taratzen und Fisch. Lediglich ein Fell nahm sie mit hinter den Herd. Irgendwann hörte der Fischer namens Dschonn auf zu schreien. Stattdessen fluchte er grummelnd vor sich hin. Marrela kümmerte sich nicht darum. Sie kuschelte sich in ihren Mantel und schlief ein.



2

Schweigend betrachteten sie den Monitor. Dort waren Aufnahmen der Späher aus den vergangenen zehn Tagen zu sehen. Inmitten des Kuppelwandpanoramas – eine irische Flussebene mit sattgrünen Weiden, auf denen Vieh graste – flimmerten erschreckende Szenen: Die Barbarin auf dem Sklavenmarkt, die Barbarin unter dem Einfluss des mentalen Kontrollhelms, die Barbarin im Kampf mit den scheußlichen Taratzen, und die Barbarin mit dem sterbenden Bunkerbewohner.

Genau zehn Aufzeichnungen gab es, manche fast drei Minuten lang.

„Nur ein paar Schlaglichter.“ Der Mann, der das sagte, hatte eine volltönende Stimme und ein hartes ernstes Gesicht. Er trug ein bordeauxrotes weites Jackett und darunter ein schwarzes Hemd. Von seinem Glassessel an der Schmalseite des Konferenztisches aus betrachtete Leonard Gabriel die Bilder. „Die Frau muss Furchtbares mitgemacht haben in den letzten drei Wochen.“ An ihre Zeit davor in der Sklaverei wollte Gabriel gar nicht erst denken.

„Die letzte Aufnahme“, sagte eine Männerstimme, „sie ist erst ein paar Stunden alt.“ Die Stimme klang ein wenig verzerrt. Wie die Bilder selbst wurde auch sie aus der Community London übertragen. Sie gehörte einem glatzköpfigen untersetzten Mann in heller fleckiger Tunika – Sokrates, der E-Butler Jefferson Winters, des Beraters der Queen. Sokrates war auf einem zweiten, größeren Monitor in der Kuppelwand des Konferenzsaales zu sehen. „Ziemlich beschissenes Wetter, um am Strand zu meditieren“, sagte er.

Gabriel, der Prime der Community Salisbury und sein Octaviat sahen die steilen Klippen der Südküste Britanas, wie England von den Oberirdischen genannt wurde, aus der Vogelperspektive, wie schon die Bilder zuvor. Regen peitschte in das aufgewühlte Meer. Manchmal erschienen die schwarzen Flügelspitzen des Spähers am Rand des Monitors. Bald füllte die Steilklippe vor dem Kiesstrand das Bild aus. Ihre Spalten, ihr schroffes Profil, ihre Vorsprünge wurden deutlicher. Der Kolk schien einen ganz bestimmten Punkt anzusteuern.

„Dort unten, am Fuß der Klippe, seht ihr sie?“ Sokrates schüttelte sich. „Wie ein streunender Lupa. Man sollte ihr wenigstens ein paar warme Sachen zukommen lassen, wenn ihr mich fragt.“

Unter einem Felsvorsprung entdeckte Gabriel die Barbarin. Zusammengekauert hatte sie dort Schutz vor Sturm und Regen gesucht. Die Frau tat ihm Leid.

„Niemand fragt dich“, schnarrte eine tiefe Frauenstimme, auch sie blechern und leicht verzerrt. Die CF-Strahlung aus dem Londoner Krater beeinträchtigte die Verbindung zwischen den beiden Communities erheblich. „Gibt es neue Informationen über die Wilde?“, wollte die Frau mit der tiefen ruppigen Stimme wissen – Josephine Warrington, die Prime der Community London.

„Ja.“ Der E-Butler verschränkte die Arme hinter dem Rücken und machte eine beleidigte Miene. Demonstrativ blickte er schräg nach oben.

„Was heißt hier, Ja?“, blaffte die Londoner Prime. „Ich höre!“

„Gegen Abend hat sie die Küste verlassen und ist Richtung Plymouth in den Wald marschiert.“ Sokrates bohrte Daumen und Zeigefinger in das rechte seiner großen Nasenlöcher. „War’s das endlich? Hab eigentlich Wichtigeres zu tun als euch hier mit Filmchen zu unterhalten.“ Konzentriert betrachtete er seinen Fund zwischen den Fingerkuppen.

„Sokrates!“ Die scharfe Stimme Jefferson Winters hallte durch den Kuppelsaal. „Es reicht jetzt!“

Sokrates schnippte den Popel in die Luft und verfolgte interessiert dessen Flugbahn. „Du stehst uns zur Verfügung, so lange du gebraucht wirst!“

Gabriel grinste und sah sich unter seinen eigenen Octaviatsmitgliedern um. Überall amüsierte Gesichter. Man hatte sich hier in Salisbury an die skurrilen Geschöpfe der Londoner Informatiker gewöhnt. Ihr Unterhaltungswert war nicht zu verachten. Ihre überragenden intellektuellen Leistungen auch nicht. Trotzdem fragte Gabriel sich, warum Jefferson Winter seinen arroganten E-Butler nicht längst gelöscht und durch einen kooperativeren ersetzt hatte. Immerhin war er königlicher Berater und Octavian für Kultur und Unterhaltung. Und ein anerkannter Dichter dazu. Ein Mann also, der sich eine derart peinliche Erscheinung wie Sokrates eigentlich nicht leisten konnte. Jedenfalls nach Gabriels persönlicher Meinung nicht.

Die Außenaufnahmen der Späher verblassten. Stattdessen wurde der Londoner Kuppelsaal auf dem Monitor sichtbar – neun Männer und Frauen saßen um einen runden blauen Glastisch in blauen Glassesseln. Das Octaviat der Community London und Queen Victoria II. Die Strandidylle einer Südseeinsel umgab den Konferenztisch.

„Sie wird doch nicht freiwillig in die Stadt zurückgehen?“ Josephine Warrington runzelte die Stirn. Wie meistens während der Octaviats-Sitzungen trug sie schwarzes Langhaar und einen weißen Mantel. Ein unwilliger Zug lag um ihre dunklen Augen. Das Thema war ihr sichtlich unangenehm.

„Natürlich wird sie in die Stadt zurückgehen, Lady Warrington“, sagte Gabriel. „Ich schätze die Barbarin so ein, dass sie nicht ruhen wird, bis sie herausfindet, wohin man Commander Lennox verschleppt hat.“

„Das ist ihre Sache“, meldete sich ein asiatisch aussehender Mann mit blauer Perücke zu Wort. „Einzig und allein ihre Verantwortung!“ General Charles Draken Yoshiro, der Militär-Octavian und leitende Kommandant der Londoner Community-Force stach mit ausgestrecktem Zeigefinger gegen die Tischplatte. „Wenn sie erneut in die Hände dieser Sklavenhändler fällt, können wir nichts für sie tun!“

„Sie entschuldigen, wenn ich anderer Ansicht bin, General.“ Leonard Gabriel erhob sich und stellte sich vor dem Monitor auf. „Commander Lennox und seine Gefährtin sind in unserem Auftrag unterwegs. Wir haben ihnen Schutz zugesagt. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt – aber was wir tun können, sollten wir tun!“

„Und was sollten wir Ihrer Meinung nach tun, Sir Gabriel?“ Die Londoner Prime verschränkte ihre Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. Ihre Mimik, ihre scharfe Stimme, ihre ganze Körperhaltung ließen nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: Das Schicksal einer Barbarin interessierte sie noch weniger als die Wetterlage außerhalb des Bunkers.

„Wir sorgen dafür, dass sie Gewissheit über Commander Lennox Schicksal erhält, wir kümmern uns um ihre Sicherheit, und wir denken darüber nach, ob es eine Möglichkeit gibt, sie ebenfalls auf einem Schiff nach Nordamerika unterzubringen.“

„Ausgeschlossen!“ Charles Draken Yoshiro schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Entrüstetes Kopfschütteln in der Londoner Octaviatsrunde. Auch hinter sich, unter seinen eigenen Octavianen hörte Gabriel empörtes Getuschel.

„Ihre humanitären Prinzipien in allen Ehren, Sir Gabriel“, donnerte der Londoner Militär-Octavian, „aber hier hat die Verantwortung für unsere Communities oberste Priorität! Lennox befindet sich auf einem Schiff in die ehemaligen Vereinigten Staaten!“

„Als Sklave!“, schnaubte Gabriel.

„ … aber auf dem Weg in die Vereinigten Staaten!“ Eine Zornesader schwoll an Yoshiros weißen Schläfen. „Ein unglaublicher Schritt auf dem Weg zum Ziel, wenn man bedenkt, wie niedrig wir alle die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg des Unternehmens einschätzten …“

„Wir alle und die Zentral-Helix“, mischte Sokrates sich ein. „Zweiundsechzig Prozent Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg hat sie ausgerechnet.“

„Zweiundsechzig Prozent Erfolgsaussichten für das Paar – für Commander Lennox und die Barbarin!“, beharrte Gabriel.


*


Später stand der Prime von Salisbury unter der Glaskuppel seines Privatgemachs. Ein blauer Himmel, vorbeiziehende Wolken, Konturen einer tief unter ihnen gelegenen Landschaft und Vogelschwärme hin und wieder vermittelten den Eindruck des Fliegens. In einem grünlichen Rechteck, einem Monitor, stand ein Mann in blauer Uniform: Gabriels E-Butler.

„Verschaffen Sie mir eine Verbindung mit meinem Sohn, Lieutenant.“ Anders als in London duldete man in der Community Salisbury den ausufernden Individualismus der E-Butler nicht. Alle E-Butler von Salisbury waren entweder Marinesoldaten aus dem 21. Jahrhundert oder Butler in schwarzen Fräcken, die James, John oder Henry hießen.

„Selbstverständlich, Sir!“ Der E-Lieutenant nahm Haltung an. „Nur wird das nicht ganz einfach sein. Seit seiner Genesung vertritt Ihr Sohn die Community London bei den Verhandlungen mit den Socks. Wie Sie wissen, gestalten sich die Friedensverhandlungen zäher als …“

„Ich will keinen Bericht über die Verhandlungen mit den Socks, ich will eine Verbindung mit meinem Sohn!“