Patricia Hempel

Metro-
folklore

Roman

Tropen

Impressum

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Tropen

www.tropen.de

© 2017 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: ANZINGER UND RASP Kommunikation GmbH, München

Gesetzt von Fotosatz Amann, Memmingen

Printausgabe: ISBN 978-3-608-50381-4

E-Book: ISBN 978-3-608-10893-4

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhalt

1 Aufgesang

2 Mensa Love

3 Die Suebin

4 Der Raub der schönen Helene

5 Erfolgsrezepte

6 Three of a kind

7 Pättink

8 Küchen-Tarot

9 Das Nachthorn

10 Die Feuerzangenbowle

11 Emot-Ikonen

12 Glenmorangie

13 Paranoia Erotica

14 Natale hilare

15 Down Under

16 Neo-Hetären

17 Persona non grata

18 Der Feuervogel

19 Epiphanien

20 Abgesang

Textnachweise

Für Anika und Helene

[…]

E car beutatz e valors vos onransa

sobra tutas, c’una no • us es denan,

vos prec, si • us platz, per so ce • us es onransa

ce non ametz entendidor truan.

Bella dompna, cui pretz e gioi enansa

e gent parlar, a vos mas coblas man,

car en vos es saess’ e alegransa,

et tot lo ben c’om en dona deman.

Und da Euch Schönheit und Tugend ehren

vor allen anderen Frauen und keine über Euch steht,

beschwöre ich euch, um Eurer Ehre willen,

keinen treulosen Verehrer zu lieben.

Schöne Dame, die Tugend und Liebesglück auszeichnen

und Sinn für schöne Worte, Euch sende ich meine Strophen,

denn in Euch versammeln sich Weisheit und Frohsinn

und alles, was man sich von einer Frau nur Gutes wünschen kann.

Na Bieris de Roman

Na Maria, pretz e fina valors IIIIV

(12. oder 13. Jahrhundert)

1

Aufgesang

Weil ich mich nicht für die Poesie entschieden habe, archiviere ich frühgeschichtliche Knochenreste in Müllbeuteln. An unserem Institut ist Fundbearbeitung Studentensache, und die Obrigkeit hat uns extra einen Raum zur Verfügung gestellt, in dem sich Material aus über 20 Jahren bis zur Decke türmt. Das gibt gute Noten und spart den Geizhälsen ein paar Euro.

Heute stehen in Pril-Wasser eingeweichte Speisereste einer elbgermanischen Siedlung auf meiner To-do-Liste. Natürlich gibt es spannendere Tätigkeiten, als sich mit einer zahnfleischfreundlichen Dr.-Best-Bürste durch den Müll untergegangener Zivilisationen zu schrubben. Das Archiv ist der perfekte Ort, Zeit totzuschlagen und seinen Schöngeist zu verabschieden. Letzte Woche sprach mich die verschrumpelte Honorarprofessorin auf meine Pointenfestigkeit an und riet mir, meine Karriere bei der Springer-Presse auszubauen. Germanenfürst Prostatakrebs klingt zwar nach Schlagzeile, aber ich finde, Grab 12: Fragmente Pelvis (Metastasen?) reicht völlig. Meine Fundberichte waren schon immer die besseren Geschichten. Den Expertinnenvortrag habe ich mir nur deshalb angehört, weil sie ihn mit ziemlich heißer Stimme darbot. Wenn es mit den anatolischen Rinderknochen nicht mehr so gut läuft, könnte sie gut Karriere bei einer Hotline machen.

Die Wahl meines Studiengangs ist das Ergebnis einer THC-lastigen Schullaufbahn, könnte aber auch die intelligente Erweiterung einer Störung sein, die durch den Friedhof unter meinem Fenster entstanden ist. Als Kind hatte ich Angst vor den verscharrten Leichen. Ich stellte mir vor, wie sie tagsüber in ihren Gräbern verwesten und in den Nächten als Untote meine Hauswand hochkletterten. Die Folgen: Schlaflosigkeit, Albträume, neurotische Empfindungen in Bezug auf geöffnete Fenster, radikale Verlustängste. Dass sich in unserem Hinterhof neben ein paar Mitläufern auch die Überreste von Helmut Newton und der Dietrich befanden, war erst im Nachhinein tröstlich. Wenn man sich zur ehrbaren Prominenz zählen darf, dann bleibt man es bis auf die Knochen und adelt seine Umgebung sogar post mortem. Ich kenne niemanden, der von sich behaupten kann, neben dem Sternum der Dietrich aufgewachsen zu sein, doch bleibt es absurd, in direkter Nähe des Familiengrabs zu pubertieren.

In Wirklichkeit war es so: Meine Mutter hielt mir mit 22 die Knarre an den Kopf und verlangte von mir die Entscheidung. Willst du mein Geld zum Studieren oder gehst du arbeiten?

Ich hätte die Nummern Probier-dich-aus, Mach-wertvolle-Erfahrungen, Geh-auf-Reisen mehr begrüßt. Ich wollte ein paar Wartesemester zugunsten meines Abi-Durchschnitts und mehr Bedenkzeit. Erst die Welt kennenlernen, dann ein Studium mit Mehrwert. Aber gut. Ich hatte mein Praktikum in einem dieser Berliner Stadttheater, und jetzt ist es sowieso zu spät.

Inzwischen habe ich ohne gesundheitliche Folgen ein paar Grabstätten zerstört. Das entspricht 44 fachgerecht exhumierten Gebeinen, die ich nach einem unschlüpfrigen Polaroid Stück für Stück in der Schubladengruft des Volkskundemuseums verschwinden lasse. Das war’s.

Am Nebentisch scheitert eine brünette Kommilitonin (Charleen) an der Exceltabelle und textet mich zum Ausgleich mit ihrem Schwachsinn zu, bei dem es um ein gestohlenes Fahrrad geht. Ihr Vorname lässt auf ein proletarisches Elternhaus am Niederrhein schließen. Vermutlich ist sie eine dieser Dorftrullas, die ihren Umzug nach Berlin immer noch nicht verkraftet haben und deshalb alle Negativerfahrungen mit jemandem teilen müssen. Wenn sie hübsch wäre, könnte ich versuchen, ihrem Monolog etwas abzugewinnen, doch so bleibt mir nur die frisch eingeweichte Rippe eines weiblichen Individuums aus dem zweiten Jahrhundert. Der Umgang mit toten Frauen ist simpler, weil sie nicht jammern.

Generell ist es egal, was ich in meinem Leben so ausgrabe. Es läuft in der Regel alles glatt, weil ich die Dinge nicht zu ernst nehme. Falls doch, dann nur als Teil situativer Selbstinszenierung. Das bringt mir den Vorteil einer Existenz mit Zufriedenheitsfaktor, ohne in ein akademisches Lesbenpunk-Image abdriften zu müssen.

Während ich der Loreley am Nebentisch die Datenbank erkläre, wird klar, dass die Prähistorische Archäologie fürchterlich unsexy sein kann. Dagegen hilft nur Poesie, da in ihr das Unmögliche und Schöne ihren Platz finden. Manche Bräute unterlassen auf Ausgrabungen die gängige Tomboy-Klamottage und erzielen mit ihrer Spatengymnastik sogar beachtliche Bikini-Effekte – doch die Mehrheit sieht anders aus. Sie zieht sich beschissenen Oldschool-Metal rein, frisst den ganzen Tag über Urweizenkekse und masturbiert zu True Blood, weil sie den Fetisch, von einem Vampir verführt zu werden, irgendwie ausleben muss.

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Es ist hart, lesbisch zu sein, wenn die Weiber um einen herum aussehen wie Walküren mit stark erhöhten Cholesterinwerten. Die Frauen aus der Klassischen Archäologie sind zwar hübscher, aber alle auf die gleiche Art versnobt. Natürlich ist es leichter, neben einer hellenistischen Vase gut auszusehen, als vor einem klobigen Germanenkrug, dessen Material zu einem Drittel aus Pferdescheiße besteht. Aber wer will schon eine Galatea flachlegen? Und bei spontaner Bisexualität erwarten einen in der Prähistorik nur Männer, die jeden Sommer mit Kotze in den Bärten auf dem Wacken abhängen oder in brandenburgischen Wäldern zu Mittelalter-Rollenspielen die Doppelaxt schwingen. So ein Mann bringt einen hochwertigen Kapuzenponcho in die Ehe mit, aber keine Erotik. Die Kollegen der Winckelmann-Fraktion tragen im Sinne athenischer Knabenliebe eher ein Klistier bei sich. Wo bleibt da die Poesie?

Romantik ist aus meiner Sicht nicht zu verwechseln mit Kitsch. Für mich ist es romantisch, eine Frau auf einer Clubtoilette zu vögeln und ihr hinterher ein Frühstück in meinem Bett anzubieten. Drei Finger in irgendeiner Kellnerin sind genauso poetisch wie die zweisame Rast am Wasser, bei der man sich vom Wind im Röhricht verklären lässt. Zerrissenheit gibt es nicht, wenn man Respekt vor den Dingen hat.

Während ich darauf warte, genug Geld zu haben, um mir das Wassergrundstück mit Schilfgürtel leisten zu können, vergeht neben dem Studium ein unterbezahltes Leben mit Nebenjobs und Rettungsgrabungen an Baustellen im Sommer. Wenn wie jetzt der Bodenfrost einsetzt, ist nicht viel zu tun. Man lernt die Fundorte irgendwelcher Bauernknochen auswendig oder zieht sich Latein, Altgriechisch und ein paar Drogen rein, bis die Saison von Neuem losgeht. Man steht mit der Arbeiterklasse auf, um sich in einem Brandenburger Kaff mit den Bauleitern zu streiten. Als Archäologe tut man nicht mehr, als ihr Tagewerk aufzuhalten. Natürlich nur, wenn man keine Frau ist, die in der Baugrube aussieht wie das Prollomädel von Seite Drei.

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Im Winter kommt man zwar um die Blicke notgeiler Arbeiter herum, doch an hässlichen Kommilitoninnen wie Charleen führt kein Weg vorbei. Auch am Auswendiglernen nicht, wenn man den Überblick behalten und nicht dumm rumquatschen will.

Ein Leitsatz aus dem Freimaurer-Repertoire unseres Institutsleiters lautet: Man muss die Vergangenheit begreifen, um die Gegenwart zu verstehen. Wenn sich Charleen nicht erst seit gestern mit Datenerfassung beschäftigen würde, hätte uns das viel Zeit erspart. Sie glotzt auf den Bildschirm und verfolgt den Cursor mit dem Temperament einer unserer Bäuerinnen aus den Müllbeuteln.

Ich bin zu faul, mich mehr als nötig hervorzutun. Mühe und Fleiß haben in meinem Leben mit Begeisterung zu tun und die findet bei mir immer spontan statt. Ich beschäftige mich lieber mit der Libido lebendiger Frauen. Tote Mädels müssen sich hinten anstellen.

Im Prinzip habe ich ausgesorgt, weil sich meine Mutter schon vor meiner Geburt den Arsch aufgerissen hat. Sollte ich sie überleben, kann ich später von ihren Zinsen leben, werde genauso borniert, wie sie es ist, und wähle die CDU wegen irgendwelcher Steuervorteile. Eines dieser Bonzenkinder, denen man jede positive Eigenschaft abspricht. Aber momentan wehre ich mich noch gegen geistige Stagnation. Für die dauerhafte Existenz im Westberliner Goldkäfigambiente bin ich zu lebensfroh und nehme zu viele Amphetamine.

Doch ab und an kommt Dankbarkeit auf. Ich habe aufgehört, meiner Mutter vorzuwerfen, dass sie früher keine Zeit für mich hatte und ich mir nach der Schule Scheiße in die Mikrowelle stecken musste: mein Leibgericht von Iglo oder Sandwichtoasts mit Analogkäse. Ich wäre die perfekte Probandin zur Untersuchung von Spätfolgen elektromagnetischer Wellenstrahlen.

Das Thema Kind und Karriere ist überholt. Im Nachhinein hat sie es gut hingekriegt, jetzt, da ihre Milchdrüsen höchstens noch Probleme bei der Mammographie machen. Natürlich steckt sie mir das eine oder andere zu, und manchmal dauern unsere Umarmungen sogar schon länger als drei Sekunden. Sie ist eine dieser toughen Geschäftsfrauen, denen ich auf der Straße ohne Bedenken hinterhergucke, wenn sie frisch vom Frisör in ihren SL steigen. Ein Engel für Charlie auf unglaublichen Absätzen und mit perfekter Welle.

Ich finde Tussis gut, auch solche, die sich schminken. Aber man sollte alle Frauen mögen, die ganze Skala in sämtlichen Graustufen. Von der Lindgren-Räubertochter-Fraktion bis zur Opernglasriege kann ich mir alles vorstellen, was ein hübsches Gesicht hat und daran glaubt, etwas zu sagen zu haben. Selbst kunstgebräunte Bräute auf Fernsehzeitungen kann man sich schön trinken – aber wer braucht schon Fake-Brasilianerinnen, wenn das echte Feuer auf dem Campus der Freien Universität tanzt? Highlights, die mir werktags direkt in die Arme laufen, allerdings nicht in Verbindung mit Charleen.

2

Mensa Love

Die Mensa. Das fettige Rom im Zentrum unseres Hauptgebäudes. Ein Ort, an dem Speisefaschismus toleriert wird und Nachwuchsakademiker zur Matebrause zusammenkommen, um vollwertige Gespräche zu führen. Ich bin für Konversation, doch gegen die Brause. Sie schmeckt, als hätte man einen Klumpen Kautabak in Mineralwasser aufgelöst. Das Erstaunlichste aber ist der Coolness-Effekt, den das Getränk auf die Leute hat. Sie fühlen sich gleich besser, wenn sie ihrer Unsicherheit durch ein Etikett Ausdruck verleihen können. Der Aufruf zu einem kollektiven WIR. Ich bin nicht im Mate-Club und offensichtlich auch nicht cool. Wenn ich die nächsten fünf Monate überlebe, gehöre ich auch nicht mehr zum Club 27 und denke erst mit 30 wieder an Krebs. Gute Aussichten.

Unsere Uni ist einer dieser Elitetempel, in denen jede Etage gleich aussieht. Man muss nur einen geraucht haben, schon ist man verloren. Aber egal wie sehr man sich in den Gängen der alphabetisch sortierten Fachbereiche verläuft – es führen sowieso alle Wege vor die beschlagene Schwingtür des Speisetraktes, der vom studentischen Schrottradio dauerbeschallt wird. Wenn man unglücklich verliebt ist, steht Gang U der Ur- und Frühgeschichte für etwas Ungenießbares, den eigenen Universaldilettantismus zum Beispiel, oder für unterbezahlten Urlaub in deutschen Grabhügellandschaften. Vielleicht für etwas Ultimatives in tiefschwarzen Lettern.

Mitte 20 muss man unglücklich verliebt sein, damit man in den Dreißigern das Liebesglück noch mehr zu schätzen weiß. Es ist egal, ob es sich dabei um etwas Festes oder einen Lebensabschnittsgefährten handelt. Ich höre immer wieder, dass Ehe out ist und bei Frauen ab 30 die Qualitätskurve in allen Bereichen drastisch anzieht. Zwar nicht immer optisch, doch man könnte sich mit einem visuellen Abstieg anfreunden, wenn alles andere passt. Unabhängig davon ist eine Abfuhr Mitte 20 immer noch abenteuerlicher, als wenn gar nichts passiert. Ich bin mit Würde unglücklich verliebt, Hauptsache, irgendwie verliebt.

Das Abenteuer heißt Helene und stellt alles in den Schatten, was sonst so am Institut herumläuft. Sogar meine eigene On-off-Freundin Anika, die im Endeffekt keine schlechte Wahl ist. Vielleicht etwas zu solide, aber sie ist gerade 31 geworden, wofür sie nichts kann. Wir wollen nicht erwachsen werden oder enthaart und schön bis ins hohe Alter. Vielleicht liegt das an den vielen Nintendo-Spielen oder an Disney, obwohl – bei Anika im Osten gab es höchstens diese tragbaren LCD-Games, und die Schneewittchen-LP kam nicht aus den USA.

In dieser prekären Verfassung hänge ich zwischen den Plastikyuccas an einem klebrigen Gruppentisch mit der Körperspannung eines Jetlagpassagiers, vor der Nase ein schlecht paniertes Pferdeschnitzel der EU-Fleischmafia mit Pommesbeilage. Für die Mensa spricht außerdem, dass es hier nicht nur Archäologen gibt. Ein natürlicher Genfluss wird wiederhergestellt, und wenn man Glück hat, ergibt sich in der Essensschlange eine Unterhaltung, in der es weder um Institutstratsch, noch die nächste Themenparty oder vegane Hirserezepte geht.

»You look for f-icken?«

Mehr fragt das Erasmus-Girly nicht, und es vergehen ein paar Sekunden, bis mir klar wird, dass sie einen Sprachfehler hat und das Hühnergericht meint.

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Ich sage: Yeah, fühle mich zwar ertappt und billig, dafür cool und fremdenfreundlich. Sie hat etwas von Lara Croft, deshalb belästige ich sie einfach weiter: »I’m looking for horse!« Aber natürlich kapiert sie nicht, worauf ich anspiele. Ihr Blick sagt: Freak. Ich erwarte einfach zu viel.

Auf ihrem Tablett landen zwei Portionen Chicken-Frikassee für sie und den Spanier, der ihr zärtlich den Lunch abnimmt und zu einem Tisch am Fenster trägt. In der Wintersonne hat ihr Haar einen Goldstich. Wenn ich nicht bereits so destruktiv in Helene verknallt wäre, würde es mich jetzt in diesem Augenblick erwischen, wo sich ihr geiler Arsch an den Mensastuhl schmiegt und die gesamte Sitzgruppe aufwertet. Der Spanier weiß das scheinbar auch, denn er guckt zu mir rüber und grinst mit Unterbiss ein dämliches Dreier-na-klar-Grinsen, das meine Konzentration auf das Pferdefrikassee lenkt. Allerdings muss ich zugeben, dass Leute dieses Kieferntyps die besseren Küsser sind.

In meinem Augenwinkel hängt ihre Hüfte, die absolut klarmacht, dass sie eine Einführung in das lesbische Kamasutra verdient hat und es in Ordnung ist, wenn ihr mein Name nicht so einfach über die Lippen geht. Während ich von der Aussichtsplattform meines Resopaltisches aus über ihren Hintern sinniere, gehen mir ein paar Dinge durch den Kopf, die ich ohne den Spanier mit ihr tun würde:

1. »¿Cómo te llamas?«

Und andere Fragmente. In der Regel imponiert es Frauen, wenn man sich auf ihre Kultur einlässt. Man muss aber aufpassen, sich nicht anzubiedern. Deshalb ist es gut, mit Wissenslücken aufzutrumpfen, auch wenn sie erlogen sind. Fremdländische Kommilitoninnen sollten unauffällig in den Genuss einer Überlegenheit getrieben werden, um die Gespräche in ihrer Muttersprache nicht nur zu schätzen, sondern auch als aufrichtigen kulturellen Austausch zu verstehen.

2. »I really loved your presentation«

Schmeichelhafte Feststellungen. Es fällt ihr sowieso nicht auf, dass man keinen Kurs zusammen hat. Dafür sind die Seminare zu überlaufen und Berliner Studenten viel zu anonyme Einzelgänger. Vor allem in ihrem Fall könnte der Flirt tragen, weil sie in der Oberstufe wegen ihres Sprachfehlers mit Sicherheit gemobbt wurde. Nur eine narzisstische Frau fragt nach, welchen Vortrag man genau meint, und dann gibt man sofort zu, sie mit einer anderen zu verwechseln. Es lohnt sich nicht, eine Frau zu daten, die sich selbst über- oder unterbewertet.

3. Die Horoskop-Nummer

Astropsychologie ist ein Mittel, Frauen zu signalisieren, dass man für die absolute Begegnung bereit ist und keine Projektionen nötig hat. Das kann exotisch, esoterisch durchgeknallt und im schlimmsten Fall indiskret rüberkommen, auch wenn man die eigentliche Blöße sich selbst gibt.

Hat man jemanden im Visier, sollte man zunächst auf ein Wasserzeichen tippen, weil sie als tief und gefühlvoll gelten. Liegt man falsch, empfiehlt sich ein prätentiöses Erdzeichen, was immer noch besser ist als Feuer oder Luft – beides zielt zu sehr darauf ab, jemandem den Menschenverstand abzusprechen oder etwas Umtriebiges zu unterstellen. Wenn man danach nicht pathologisiert wird, hat die Frau den Spiritualitätstest bestanden und ist eine Verabredung wert.

4. Die Ur-Berliner-Karte ziehen

Wahlberliner behaupten immer, sie lieben die Hauptstadt. Allerdings tun sie das, ohne sie in ihrer Gesamtheit anzuerkennen. Ihnen geht es um ein schmuddelglamouröses Lonely-Planet-Bild, das sich seit den späten 90ern bis heute immer wieder neu auflegt. Sie werden vor ihrer Einreise zu Besserhipstern und innovativen Fehl-romantikern, feiern in einem 15-Kilometer-Nordost-Radius um Kreuzkölln und übersehen dabei das unscheinbare Neue Ufer in der Hauptstraße. Dabei hat doch gerade dort in den 70er Jahren der Iggy dem Bowie legendär den Hintern frisiert.

Der Ur-Berliner verliert momentan die Lust am Geschehen oder hatte sie noch nie. Viele werden von Zugereisten regelmäßig auf ihren postsowjetischen Kleidungsstil oder gleich auf ihr Mauertrauma angesprochen. Dabei sind vor allem FKK-feindliche Wessis im Grunde ihres Herzens aufrichtige Spießer, wählen Rot, Grün oder Schwarz und schließen mit Anfang 30 ein Dutzend private Zusatzversicherungen ab. Überwiegend sind sie im Besitz mindestens eines vermaulkorbten Wolfdomestikats.

Wenn es also fremdländische Wahlberlinerinnen weder beeindruckt, dass man ihre Sprache spricht, noch reizt, kosmisch durchschaut zu werden, hilft es, den gewieften Lokalpatrioten raushängen zu lassen: a) weil es mich amüsiert, wenn man offen hinterfragt, was andere für sich selbst zum Hype erklären, und b) weil Berlin nach wie vor angesagter ist als Barcelona.

5. Mit ihr zur Wilden Renate wegen der Freigetränke

Kein Geiz, nur zu mittellos für die Berliner Clubszene. Auch ein taktvoller Weg zu demonstrieren, dass man sogar in den coolen Bezirken coole Freunde mit coolen Tresenjobs hat. Wenn ihr die Kohle ausgeht, ist der Abend noch lange nicht vorbei, aber leider impliziert mein natürliches Beuteschema die perfekte Enthemmung durch Alkohol. Auch wenn manche Lesben behaupten, es gebe keine Heterosexualität – es gibt sie in den unterschiedlichsten Härtegraden und man kann sich daran die Zähne ausbeißen.

Fazit

Wenn die Frau einen trotzdem abblitzen lässt: kein Drama. Spanische Erasmus-Studentinnen gibt es in Berlin wie Sand am Mittelmeer und generell macht es keinen Sinn, die eigenen Skills zu hinterfragen, nur weil man glaubt, das Gesicht verloren zu haben. Solange man Verrücktheit und pathologischen Wahnsinn für sich trennen kann, ist alles okay. Wenn man sich hinterher dumm fühlt, liegt das häufig an der Unzulänglichkeit der Außenwelt.

Der in Folge vom Spanier inszenierte Zungenkuss hebt den Hintern der Katalanin vom Stuhl und drängt meinen Blick weiter durch die Halle. Die Leute sehen alle beschissen aus, hocken in Grüppchen zusammen oder schlurfen wie Gehirntote mit ihren Tabletts zur Essensausgabe. Aus dem Volksempfänger der Mensa dröhnt Obamas drei Jahre alte Antrittsrede, begleitet von geistreichen Kommentaren einiger Studenten aus der Politikwissenschaft, die es gut finden, wie er Romney nach der Wahl in den Arsch gekrochen ist. Sie halten es für taktisch schlau, weil nach der Wahl ist vor der Wahl. Offensichtlich haben sie ein Problem damit, couragiert und gleichzeitig politisch zu sein, deshalb geht es weder um Flüchtlingsströme, noch um die Gründe, warum alle gerade Europa die Bude einrennen. Seit den letzten Anschlägen reicht es den meisten, ihre Profilfotos bei Facebook mal wieder in den Farben der Trikolore zu halten. Alle sind jetzt so lange Paris, bis sie neben dem Tannenbaum ihren neuen Kindle auspacken und per Touchscreen die Sorgen aus ihren Köpfen wischen. In den sozialen Netzwerken ist der Eiffelturm momentan das Symbol für Frieden und Solidarität, aber niemand hinterfragt die Bomben, die in Syrien gerade die Bevölkerung dezimieren. Bevor ich kotze, wird es Zeit für etwas Selbstunterhaltung. Vielleicht ein queeres Romero-Kopfkino, weil es dem Voyeurismus unserer Zeit gerecht wird:

Von der Essensausgabe wanken Zombies auf uns zu. Ich, der Spanier mit dem Unterbiss und die Katalanin in einem roten, hautengen Body. Sie hat natürlich einen heißen Namen, etwas wie Lola, der jede Kameraeinstellung auf ihren Arsch rechtfertigt. Wir kämpfen uns durch das Unigebäude und schießen uns eine Schneise durch die Mutierten. Es folgt eine dramatische Szene, in der ich Helenes Kopf wegblase, als sie mich von hinten angreift – Tränen, echte Emotionen, bevor der Spanier mutiert und ich Lola vor ihm rette, wir die Flucht zu zweit durchstehen und auf ein paar Soldaten treffen, die uns in einer riesigen Jeepkolonne evakuieren. Heißer Klischee-Lesbensex auf der Ladefläche des Militärwagens und im Abspann The Kinks. Credits auf nackter Frauenhaut – ein Abspann, den sich die Leute im Kino bis zu Ende ansehen würden.

Girls will be boys and boys will be girls

It’s a mixed up muddled up shook up world

Except for Lola

Und während ich mir die Kinobesucher vorstelle, die inklusive mir selbst einfach nur dasitzen und glotzen, kommt Julie an den Tisch: »Darf ich dir sagen, dass du eine Schlampe bist?«

Als Entschuldigung, sie versetzt zu haben, nehme ich ihren Handrücken und küsse ihn mit Zunge, weil Lola gerade hinsieht, die sich aber nichts anmerken lässt oder darauf scheißt. Es folgt eine Tirade über meine Unzuverlässigkeit und dass sie wegen mir ihr Wikingerseminar verpasst hat. Außerdem sei ich völlig selbstzerstörerisch, wenn ich mich weiterhin wegen Helene so hängen ließe. Weil mich sogar eine Marienstatue feucht mache, sagt sie, dürfte es doch bitte nicht so schwer sein, einen Ersatz zu finden. Na klar. Während Julie mein Frikassee aufisst und zu den Vorteilen unseres WG-Putzplans überleitet, muss ich mir eingestehen, dass Lolas Glamour bereits nach zehn Minuten nicht mehr genügt, mich vom eigentlichen Sehnsuchtsmotiv abzulenken. Nur weil Helene hetero ist und mit dem Dekan unseres Instituts ausgeht, heißt das nicht, dass die Situation völlig aussichtslos ist.

Zugegeben: Professor Frederik Baumann ist der DILF. The Dean I Like To Fuck. Nicht nur eine gute Pornokategorie, auch die perfekte Kurzbeschreibung für Alphamännchen seines Kalibers: charismatisch, durchsetzungsstark und international ein Begriff in akademischen Kreisen. Zumindest im Dunstkreis der übersichtlichen Szene von Stararchäologen. Ein Mann von Welt im George-Clooney-Alter, der die Lausbubenattitüde seiner Jugend konserviert hat. Und ja, man schläft sich lieber nach oben als nach unten. Verständlicherweise ist es lukrativer, sich eine Assistenzstelle zu ervögeln, als mit einer Masterstudentin zwischen dem Archivmüll abzustürzen. Doch genau genommen wird Helene eines Tages von selbst heiß auf eine Nummer mit mir, wenn sie von ihrer besten Freundin Romy erfährt, dass ich es dieser so richtig schön auf dem Campus besorgt habe. Ohne die Antikschinken meines Lateinseminars wäre mir der Gedanke gar nicht gekommen, sich unerreichbaren Frauen zu nähern, indem man deren engste Vertraute angräbt. Das klingt weder kunstvoll noch zärtlich, funktioniert aber in Ovids Ars amatoria ganz gut. Natürlich beginnt der eigentliche Venusdienst bei Helene, doch ihre beste Freundin wäre das perfekte Trittbrett ins Elysium.

In Zeiten wie diesen sind Helden und Märtyrer nicht gerade der Inbegriff von Sexyness. Aber weil man eine Frau wie Helene nicht einfach von der Seite anquatschen kann, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Grundwerte perfekter Verführung pseudohumanistisch wiederzubeleben. Um Seneca zu zitieren: per aspera ad astra.

Ich erkläre Julie meine Taktik, die losprustet, mich dabei mit Chicken bespuckt und das Thema auf Carstens Intimpiercing lenkt, von dem sie in letzter Zeit gerne redet. Warum sie ihr Herz an einen sadomasochistischen Telekom-Fuzzi verschenkt hat, ist mir immer noch unklar. Seitdem wir diese Highspeed-Flatrate haben, hege ich den Verdacht, dass Carsten samt seinen Kabelbindern bei uns eingezogen ist. Ich solidarisiere mich nur mit ihm, weil Julie momentan an diesem fetischgeprägten Lebensentwurf so viel liegt, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben versucht, die Siebenmonatsmarke zu knacken.

Ich bin froh, dass ich mir Leidenschaft im Gegensatz zu meiner besten Freundin nicht einprügeln lassen muss. Im Fall Romy: Dicke Frauen zu befriedigen ist ein sportliches Plaisir, vor allem wenn sie hübsche Freundinnen mitbringen. Romy hat etwas von Kate Middleton in Fett, deshalb könnte ich es ruhig darauf ankommen lassen, selbst wenn die westliche Gesellschaft das klinisch Schlanke und Metrosexuelle so sehr feiert. Wann sieht man schon dicke Frauen in der Werbung, wenn es nicht um rezeptfreie Appetitzügler oder Weight Watchers geht? Selbst die Kinder in den Spots sind nicht dick, auch wenn sie sich für Süßwaren und Tütennahrung hergeben. Eigentlich ist es an der Zeit, eine korpulente Venus an den Strand zu schicken, für ein Ergebnis samtig glatter Schienbeine.

Während ich mir meine Finger vorstelle, tief versunken in Romys Hüftfleisch, steht Lola auf und zieht grußlos ab, nur der hässliche Spanier dreht sich um. Sie schlängelt sich durch das Labyrinth der Sitzreihen wie Lara Croft im Säulengang des barcelonischen Augus-tus-Tempels.

3

Die Suebin

Und gestern in der Lupita am Kotti war alles wie immer: alle voll und in den 90ern hängen geblieben, aber aufgestylt wie 1982. Am Eingang knutscht der 40-Jährige eine Lolita in H&M-Montur, neben dem Bildungsbiker sitzt der erfolglose Punkmusiker aus Chelsea, der sich die D-Mark zurückwünscht und über Ängste faselt, die den zugekoksten Atari-Zocker am Tresen links überhaupt nicht interessieren. Ich selbst klammere mich an einen Dry Martini, weil mir die Marke schmeckt und ich mir die überteuerten Cocktails zum Monatsanfang, dank des Immobilienmonopols meiner Mutter, noch leisten kann. Flirte dabei mit einer blauen Perücke, die wie Katy Perry aussieht. Endlose Blicke. Wenn der Abend bei ihr endet, ist die Pseudoromantik perfekt und ich fühle mich Helene ein ganzes Stück näher. Es ist egal, zwischen wessen Schenkeln ich meinen blamablen Alltag aufgebe – sie gehören jedes Mal ihr. Seitdem sie auf dem Sommerfest unseres Instituts die Tanzfläche zum Artemis-Tempel gemacht hat, bin ich im Besitz einer Freikarte in die Unterwelt. Der klassische Bam!-Moment, der einen mit schmutzigen Fantasien zurücklässt. Natürlich hat sie an diesem Abend mit fast jedem getanzt und kann sich an unsere Twerking-Einlage zu Justin Timberlake nicht mehr erinnern. Sie ignoriert mich wie sonst auch, doch alles in mir wartet auf die nächste Gelegenheit, bei der ich ihr zu beschissener Musik meine Aufwartung machen kann.

Anstatt mit Katy auf die Go-go-Plattform zu rennen, und arschlastig auf Le Tigre abzugehen, halte ich mich an meinem Drink fest und lege ein unnahbares Gesicht auf. In der Lupita trifft man damit ins Schwarze. Alle ziehen diese unterkühlte Heroinschick-Nummer ab und tauschen Körperflüssigkeiten via Drogenkuss aus. Danach verlieren sie sich im Dunst ihrer Selbstgedrehten aus den Augen. Mir ist das recht. Wochentags ist Anonymität das Vielversprechendste in einer dieser Abfuck-Bars, in denen sich nicht nur Generationskonflikte, sondern auch Hemmschwellen auflösen, die man vor 20 Uhr mit sich durch die Stadt trägt. Wenn ich einsehen muss, dass sich Alltag nur mit Weltflucht ertragen lässt, ist eine Bar wie die Lupita der perfekte Ausstieg auf Zeit. Ich würde mich gerne zu den Menschen zählen, die am Ende den Absprung wagen, aber noch bin ich zu feige für meine Auswandererfantasien. In den überlaufenen Bezirken Berlins ist man zwar nie alleine, doch die Stadtneurotik ihrer Einwohner führt zur richtigen Dosis Einsamkeit. Das fehlende Gefühl der Unabhängigkeit wird von meiner Neuköllner Dreier-WG unterstützt, in der es viel um Sex, Drogen und Zärtlichkeit geht. Themen, für die ich offen bin, die aber in zu hoher Konzentration nicht die Formel für Glück bedeuten.

Julie. Beste Freundin und Lieblingskommilitonin. Neben Helene die einzige Person von Interesse am Institut. Seelischer Beistand und moralische Stütze. Die Freundin, mit der man am liebsten feiern geht, die dir beim Kotzen die Haare hält und hinterher Tee kocht. Eigentlich ist sie immer auf der Suche nach dem richtigen Typen. Seit Carsten ihr Leben bestimmt, hat sich die Partyfrequenz gegen null verschoben und ich kann mich nicht daran erinnern, wann wir das letzte Mal ausgiebig um die Häuser gezogen sind. Eine Bilderbuchromantikerin, die an Monogamie glaubt und in jedem Mann den potentiellen Erlöser sieht. In den letzten paar Jahren haben unter anderem Jon Bon Jovi und ein Typ, der aussah wie Jennifer Lawrence mit kurzen Haaren, unsere heiligen Hallen entweiht, doch inzwischen steht sie auf die gepflegte Gilette-Fraktion. Musikalisch ist sie, typisch für unsere Generation, wieder bei Snap und Ace of Base angekommen. Ohne Julie wäre ich längst Single, der Kühlschrank leer und die WG ein Altglaslager.

Julek ist das männliche Pendant zu Julie: Modestudent und Egozentriker vom Dienst. Gelegenheits-DJ, Tuntenzar und Großmeister von Privatpartyformaten. Er ist der Grund für das Fusionambiente unserer Wohnküche und das permanente Überangebot an Rauschmitteln. Wenn er mal nicht in einen verklemmten Bildhauer oder eines seiner Models verliebt ist, kennzeichnet sein melodramatisches Leben Ausschläge nach unten. Alles, was oberflächlich ist und sich aufblasen lässt, führt bei ihm zu Spontanerektionen, weil es ihn von der Tristesse seiner Selbstwahrnehmung ablenkt. Designer müssen so sein, um den Mist zu glauben, den sie auf den Laufsteg bringen. Die UDK verdirbt den Charakter und ist nur gut für das eigene Image. Beginnt man auf dieser Hochschule seine Karriere als geplagtes Wesen, verlässt man sie als selbstverliebtes Arschloch. Trotzdem: Julek glaubt noch an das Prinzip der Muse. Er ist der wahre Poet unserer WG und der Einzige, der meine Obsession für Helene versteht. Echte Freundschaft zwischen Schwulen und Lesben ist angeblich selten. Ich kann das nicht bestätigen. In schwierigen Zeiten der Verblendung möchte ich nicht auf die Abende verzichten, in denen wir bei Germany’s Next Topmodel und tödlichen Sportunfällen auf YouTube unseren Humor wiederfinden.

Der eigentliche Grund für meinen Soloabend ist meine Auserwählte Anika, die ihren gleichgeschlechtlichen Sexualdarwinismus auf mich projiziert. Ich verstehe, dass man ab 30 über Nachwuchs nachdenkt, sogar darüber, wie man ihn nennen wird. Aber es ist besorgniserregend, dass sie bei jedem zweiten Treffen von der Kindernummer anfängt. Offensichtlich kann sie das Ticken ihrer Uhr nicht mehr überhören, und wenn Frauen dieses Stadium einmal erreicht haben, ist der Zug abgefahren. Für Anika ist die Rollenverteilung dabei klar: Sie ist die mit der überschäumenden Mutterbrust, und ich gebe dem Zögling hinter ihrem Rücken so lange Süßigkeiten, bis wir uns das Dope teilen.

Anika hat genaue Vorstellungen. Für sie muss es ein kurzer Name sein, weil die gefragt sind und das Image pränatal aufwerten. Weniger im Trend: die Frage nach der Spermabeschaffung in lesbischen Beziehungen. Mir wäre ja egal, in welcher Befruchtungslitanei wir uns verlieren, solange der ganze Quatsch nicht gleich morgen stattfindet, doch für Anika kommen weder der wichsende Athlet von der Samenbank noch die Fatalität des klassischen Samenraubs infrage. Ein schwules Spenderpärchen wäre allerdings das Schlimmste. Sie glaubt, das Kind würde schnell zu einem Rechtsstreit führen oder nach den ersten Badeurlauben die tuntigen Attitüden seiner Väter übernehmen. Sie ist radikal altmodisch. Ihr ist es wichtig, dass unser gemeinsames Kind unsere DNA hat, und philosophiert über befruchtete Eizellen, die man mir entnimmt, um sie ihr einzupflanzen. Für mich klingt das eher nach einem Mengele-Experiment. Es erscheint sinnvoller, mit einer Flasche Prosecco vor der Babyklappe abzuhängen, bis sich irgendeine arme Sau ihr Problem abkaufen lässt.

Lupita