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Table of Contents

Titel

Impressum

Geleitwort

Kapitel 1 Oktober 1961

Kapitel 2 November 1961

Kapitel 3 September 1959

Kapitel 4 Januar 1960

Kapitel 5 Februar 1960

Kapitel 6 Oktober 1961

Kapitel 7 Bude in Cornwall, 1988

Kapitel 8 Oktober 1961

Kapitel 9 Oktober 1961

Kapitel 10 Juni 1988

Kapitel 11 Juni 1988

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Das Leben geht weiter – Epilog

Danksagung

Über den Autor

 

 

 

 

 

 

Achim  L u t t e r

 

 

 

 

 

 

Im Zeichen des

Windhundes

Polit-Thriller

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


DeBehr

 

Copyright by: Achim Lutter

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2020

ISBN: 9783957537898

Autorenfoto Copyright by: Fotografin Ulrike Romeis

Das Cover wurde nach dem Copyright Kalendermotiv des Fotografen Josef Bieker vom Autor Achim Lutter gestaltet

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Geleitwort

 

Dem Autor des Thrillers ist zu zugute zu halten, dass er es versteht, Spannung aufzubauen und bis zum Schluss zu halten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde aus dem offenen Krieg ein geheimer, der sich grausam im Untergrund abspielte.

Der gegenwärtige Cyberkrieg ist weitaus gefährlicher, weil die Schäden globaler sind.

Dr. Friedrich Villis

- Lektor -

 

Kapitel 1     Oktober 1961

Vor fast zwei Wochen kam Lieutenant Geoffrey Dellington von England nach Deutschland. „Spairpoint“ heißt das Herbstmanöver der britischen Rheinarmee – im Weserbergland – an dem Geoffrey als Reservist und Zugführer teilnimmt.

Nachrichten-Offizier Geoffrey Dellington, im zivilen Leben Filialleiter einer Bank in Southampten, ist seit vier Jahren mit Ann Marlow zusammen.

Nun sitzt er in einem kleinen Funkwagen mit noch einem Soldaten, der mit einem Tarnnetz überspannt ist, und schaut auf den Hof des Rittergutes, in dem der Regiments-Stab zurzeit untergebracht ist.

Das monotone Geräusch eines Stromaggregates, das in einiger Entfernung an der Wand einer Scheune stand – und für den wenigen Schlaf der letzten Tage sorgte – ließ Geoffrey dennoch leicht einschlummern.

Geoffrey wurde durch einen Funkspruch aus seinem Schlaf gerissen und er blickte zur Armbanduhr. Es war kurz vor Mitternacht. Das Haupthaus des Guts wurde durch das fahle Mondlicht angeleuchtet und die angrenzenden Seitengebäude warfen lange Schatten auf den Hof.

Er dachte an Ann, irgendwann wollten sie heiraten und Kinder haben.

Die Turmuhr des nahegelegenen Dorfes schlug Mitternacht, als ein Personenwagen mit abgeblendeten Scheinwerfern auf den Hof des Rittergutes fuhr. Der Wagen steuerte zielstrebig auf ein Seitengebäude zu, an dem ein Tor geöffnet wurde.

Das Auto fuhr, ohne anzuhalten, durch das Tor. Danach schloss sich das Tor wieder.

Er gab sich große Mühe, den Wagen zu identifizieren, aber eine Wolkenfront hatte sich vor den Mond geschoben und hüllte alles in Dunkelheit.

Misstrauisch, wie er es auch in seinem Beruf war, versuchte er dieser mysteriösen Sache auf den Grund zu gehen. Denn immer wieder kam es vor, dass die Manöverleitung irgendwelche Sabotage-Akte von feindlichen Agenten einspielte, die dann zum Ausfall von Einheiten kamen. Wurde es nicht erkannt, gab es hinterher mächtig Ärger mit den Vorgesetzten.

Also entschloss er sich, zum Wachposten zu gehen, der hinter einem Holzstapel am Eingang des Gutes stand. Der sollte aufpassen, wer auf den Hof fährt. Auf dem Weg zum Eingang musste er den Hof überqueren und dabei schaute er nochmals zum Haupthaus. Jetzt lag es wieder im Mondlicht und mit den dunklen Fenstern hatte es den Anschein, dass keine Menschenseele in ihm lebte.

Als Geoffrey den Hofeingang erreichte, war der Posten nicht auf seinem Platz.

Er ging zur Dorfstraße, das Geräusch des Stromaggregates war kaum noch zu hören, eine eigenartige Stille setzte ein. Die Straßenbeleuchtung war ausgeschaltet. Das wurde häufig auf den Dörfern gemacht. Er schaute in die Nacht.

Auf der anderen Straßenseite glomm eine Zigarette. Er ging über die Straße und traf auf den rauchenden, auf einer Bank sitzenden Posten.

Als der Posten ihn erkannte, schnippte er schnell die Zigarette weg, schnellte hoch und machte Meldung: „Corporal John auf Posten, keine besonderen Vorkommnisse.“

„Keine Vorkommnisse?“, erwiderte Geoffrey, „ist denn in der letzten Zeit kein Fahrzeug in den Hof gefahren?“

„Nein, Herr Lieutenant, kein Fahrzeug ist auf den Hof gefahren.“

Das machte Geoffrey nachdenklich, aber er unterließ es, den Posten mit seiner Beobachtung zu konfrontieren. „Sie haben den Platz nicht verlassen?“, fragte er nochmals.

„Nein, Herr Lieutenant!“, erwiderte der Soldat, ein kleiner, etwas untersetzter Mann, den er auf etwa 37 Jahre schätzte. „O. k., weitermachen“, sagte er zu dem Soldaten.

Bevor er zurück auf den Hof ging, schaute er noch einmal die Dorfstraße hinunter, sie lag friedlich in der Dunkelheit.

Wieso war nur ein Posten am Eingang? Sobald es dunkel wird, sollten auf jeden Fall zwei Posten eingesetzt werden, dachte Geoffrey. Das war ein klarer Befehl.

War es wirklich eine Einlage der Manöverleitung?, ging es ihm durch den Kopf. Das erlernte Misstrauen eines Bankiers kam zum Vorschein und er wollte nun doch wissen, was dieses heimliche Szenario sollte.

Das Geräusch des Stromaggregates wurde wieder lauter. In der linken Hofseite hatte man ein Zelt aufgestellt. Hin und wieder huschte ein Schatten vom Zelt hinter einen Busch, hier stand die Latrine.

Geoffrey ging zu seinem Land Rover unter dem Tarnnetz. Er öffnete die Beifahrertür und nahm mit einem gezielten Griff die Taschenlampe aus der Halterung. Nachdem er die Tür leise geschlossen hatte, schlich er sich – wie er es einst bei der Armee gelernt hatte – entlang der Fassade des Seitengebäudes. Langsam spürte er die stärker werdende Anspannung. Es machte sich in ihm das Gefühl einer anbahnenden Gefahr breit.

Der Mond wurde wieder durch einen sich vorschiebenden Wolkenpulk verdeckt. Die Dunkelheit war jetzt undurchdringlich.

Er spürte, dass er schwitzte, obwohl es eine kühle Herbstnacht war. Er erreichte das Tor, hinter dem der geheimnisvolle Wagen verschwunden war.

Er versuchte, das Tor zu öffnen, aber es war verschlossen. Erst jetzt bemerkte er die eigenartige Stille, die über dem Gutshof lag. Eigentlich war es zu ruhig für einen Regiments-Stab, sonst gab es viel mehr Hektik, dachte er.

Diese nicht vorhandene Hektik, die wenigen anwesenden Soldaten, der plötzlich in einer Toreinfahrt verschwundene, unbeleuchtete Wagen um diese Zeit!

Geoffrey spürte auf einmal eine innere Unruhe, die ihn mahnte, nicht weiter nachzuforschen. Aber sein Dienstgrad befahl es ihm, die mysteriöse Lage aufzuklären.

Nach dem missglückten Versuch, das Tor zu öffnen, ging er zurück und entdeckte eine Seitentür, die ebenfalls verschlossen war.

Mit einem kräftigen Ruck an der Tür brach er das Schloss samt Halterung aus der Wand. Nach dem Öffnen der Tür schlug ihm ein muffiger Geruch von Öl und Lehm entgegen.

Er betrat den Raum und hatte das Gefühl, dass die Dunkelheit hier noch intensiver war als draußen. Bevor er das Tor hinter sich zuzog, blicke er noch einmal über den großen Hof. Alles schien mit der Dunkelheit der Herbstnacht zu verschmelzen. Die mitgenommene Taschenlampe schaltete er jetzt auf Tarnlicht, welches nur den Boden beleuchtete. Nach kurzer Orientierung stellte er fest, dass er in einem werkstattähnlichen Raum war. Hier standen einige Ackergeräte und Traktoren herum und auf dem Boden standen mehrere Behälter mit altem Motoröl.

Neben einer Werkbank, auf der eine Vielzahl Schraubenschlüssel verschiedener Größen abgelegt waren, erkannte er eine unverschlossene Metalltür, die einen Spalt geöffnet war. Vorsichtig, auf jedes Geräusch vorbereitet, schob er die Tür auf.

Aber ein verräterisches Quietschen blieb aus. Ein dunkler Gang, ohne dass ein Ende zu erkennen war, lag vor ihm.

Langsam und mit hoher Wachsamkeit bewegte er sich, immer wieder in die Dunkelheit lauschend, vorwärts. Der Geruch von Stallungen zog ihm in die Nase. Er spürte, wie sein Herz pochte.

Am Ende bog der Flur nach rechts ab und endete vor einer Tür, die weit offen stand.

Der sich dahinter befindliche Raum hatte keine Fenster. Deshalb entschloss er sich, um mehr sehen zu können, das Tarnlicht der Taschenlampe auf >Lichtkegel< umzustellen. Für einen Moment hielt er den Atem an.

Da stand er, der Wagen, der gespenstisch auf den Hof gefahren war und mit seinen Insassen in diesem Gebäude verschwand.

Das Licht der Taschenlampe tastete sich wie ein Finger durch den Raum und den Wagen. Der Lieutenant ging um den leeren Wagen herum, leuchtete in den Innenraum und versuchte, die Tür zu öffnen. Aber der Wagen war verriegelt.

Also doch eine Einlage der Manöverleitung, schoss es ihm durch den Kopf. Der Wagen, der vor ihm stand, war ein Morris, hinten und vorne die Abzeichen des Divisions-Kommandanten. Aber wo waren der General und sein Fahrer? Vielleicht sollte er doch seine Suche beenden, wieder zurückgehen, eine Mütze voll Schlaf nehmen. Denn wer wusste schon, wann es wieder so eine ruhige Nacht gibt. Aber sein innerer Instinkt befahl ihm, jetzt nicht aufzuhören und die angefangene Suche zu beenden. Aber warum ist der Divisions-Kommandant nicht zum Haupteingang gefahren, sondern in die kleine Nebengarage? Also, sagte er sich mutmachend, jetzt erst recht, mal schauen, was ich wohl noch so herausfinde.

Er sah seine Handlung wie einen friedlichen Wettkampf. Nach Verlassen der Garage, in der immer noch Abgasrauch des Morris wie ein Schleier schwebte, durchquerte er einen kleinen Flur, an dessen Ende eine Treppe in die obere Etage führte.

Als er die erste Stufe betrat, hörte er leises Getuschel, konnte aber nicht verstehen, was gesprochen wurde.

War da nicht auch die Stimme einer Frau? Jedenfalls wurde kein Englisch gesprochen. Geoffrey verharrte …

Eine Tür wurde geöffnet und ein kurzer Lichtschein erhellte die Treppe. Nachdem die Tür wieder ins Schloss fiel, breitete sich wieder diese geheimnisvolle Stille und Dunkelheit aus.

Wie ein Wilddieb, der nicht vom Förster erwischt werden will, schlich er die schmale Holztreppe hinauf. Stufe für Stufe, begleitet durch ein leises Ächzen der Bretter, nach oben. Ein schmaler Lichtschein, der unter einer Tür sichtbar wurde, zeigte ihm, dass hinter der Tür irgendetwas passierte.

Er konnte leise Stimmen vernehmen, aber nicht eindeutig wahrnehmen, was geredet wird. Ein eigenartiges Klicken war zwischendurch zu hören, als würden mit einer Kamera Fotos gemacht werden. Seine Neugier wurde immer weiter angestachelt. Jetzt erst recht wollte er wissen, was hinter dieser Tür passierte. Eine weitere Frage hätte er gern beantwortet gehabt, wo war der General geblieben?

Geoffrey erinnerte sich, dass er gestern bei der Erkundung der Quartiere für Lkw-Parkplätze an der Hauswand ein Baugerüst gesehen hatte.

Leise schlich er zum nicht weit entfernten Flurfenster, welches das Mondlicht hineinließ und den Flur gut ausleuchtete. Das Fenster ließ sich ziemlich einfach öffnen und da war auch das besagte Baugerüst. Er schwang sich durch das Flurfenster auf das Gerüst, welches er erst einmal auf seine Festigkeit überprüfte, bevor er weiterging.

Vorsichtig bewegte er sich auf den Gerüstbrettern an der Hauswand entlang zu dem Fenster, gespannt, was er dort erblicken würde. Er erreichte das erste Fenster.

Ungläubig, aber gefasst fiel sein Blick durch die nicht ganz verschlossenen Fenstervorhänge.

Der Mond stand nun frei am Himmel und Geoffrey hatte ein unbehagliches Gefühl, dass er wie in einer Zirkus-Manege angeleuchtet wurde und sein Schatten an der Hauswand klebte.

Aber dieses Gefühl verblasste sehr schnell, gegenüber dem, was der Lieutenant durch das Fenster erblickte. Ein Raum, etwa neun Mal fünf Meter groß, mit von der Decke hängenden Tüchern abgetrennt. Zwei altmodische Sessel und ein in der Ecke stehendes, ebenso altes Sofa. Im schwachen Schein einer an der Wand hängenden Baulampe, über die ein rotes Tuch hing, erkannte er in einem der Sessel einen leicht bekleideten Mann, der immer wieder mit einem Fotoapparat Bilder machte. Irgendetwas Erotisches passierte aber hinter einem Tuch, welches die Sicht zwar verdeckte, Geräusche sexueller Handlungen drangen an sein Ohr. Wenn ihn Ann jetzt sehen könnte, als Spanner auf einem Baugerüst … ging es ihm durch den Kopf.

Dann aber stutzte Geoffrey. Hinter einem Laken kam ein nackter Mann mit Bauch und behaartem Oberkörper zum Vorschein, den er schon einmal gesehen hatte. Donald der Divisions-Kommandeur. Also, konnte der Mann im Sessel vielleicht der Fahrer des Generals sein.

Eine Frau betrat den Raum und ging hinter das Laken. Was Geoffrey jetzt zu sehen bekam, ließ ihm vor Schreck die Knie weich werden. Sein Mund war auf einmal ganz trocken.

Nein, das ist unmöglich!, schoss es ihm durch den Kopf. Die Frau führte einen kleinen Jungen, höchstens zehn Jahre alt, nackt, die Augen mit einem Tuch verbunden, durch den Raum und verließ ihn.

Das ist unmöglich, nicht vorstellbar, ein General, der es mit einem kleinen Jungen treibt, ein Pädophiler?

Der Leutnant überlegte. Also erst einmal so schnell wie möglich hier weg. Er kletterte leise das Gerüst hinab, überquerte eine Streuobstwiese, übersprang zwei Buchsbaumhecken, kletterte dann eine Mauer hinunter und stand auf der Dorfstraße.

Er rannte ein Stück die Straße hinunter und erreichte den Eingang des Rittergutes. Er blickte sich um, wo war der Posten?, schoss es ihm durch den Kopf. Er rief leise die Parole, bekam aber keine Antwort. Er rief ein zweites Mal, nichts. Ein drittes Mal blieb ebenfalls unbeantwortet. Langsam erfasste ihn eine seltsame Unruhe. Was sollte er denn jetzt tun, nachdem, was er beobachtet hatte? Außerdem hatte der Wagen des Generals das Gut noch nicht verlassen.

Geoffrey entschied sich, erst einmal zu seinem Land Rover zurückzugehen. Er zündete sich eine Chesterfield-Zigarette an und inhalierte tief. Er hatte Ann versprochen, mit dem Rauchen aufzuhören … Sollte er Meldung machen? Sein nächster Vorgesetzter war Captain Horrocks, der aber auf einer Aufklärungsfahrt war und erst gegen Morgen zurückerwartet wurde. Aber wer würde schon einem Leutnant der Reserve glauben? Vielleicht sollte er es für sich behalten.

Ein leises Knacken, nicht weit von ihm entfernt, riss ihn aus seinen Gedanken.

War es vielleicht besser, alles für sich zu behalten und einfach zu schweigen? Und sein Gewissen? Vielleicht war, was er gesehen hatte, kein Einzelfall!

Das leise Rauschen aus den Kopfhörern der Funkgeräte, Unterbrechungen, Knistern, als wenn jemand sprechen wollte, unterbrach die Stille, die über dem Gut lag.

Das monotone Rauschen versetzte Geoffrey in eine Art Trance. Er sah das Geschehene vor seinem inneren Auge noch einmal.

Er sah das Gesicht von Ann und eine bleierne Müdigkeit gewann die Oberhand über seinen Körper.

 

Kapitel 2    November 1961

Eigentlich wollte Kommissar Fred Holtmann für eine Woche an die See fahren. Holtmann, ein passionierter Angler, hatte schon mehrere Meisterschaften beim Angeln gewonnen. Dieses Mal ging er zu keinem Wettbewerb, er wollte einfach nur Ruhe finden. Den beruflichen und privaten Stress für ganze sieben Tage mit der Angel vergessen.

Ihn beschlich ein seltsames Gefühl, als er an diesem Samstagmorgen, gegen sieben Uhr, ins Polizeipräsidium in Hameln gerufen wurde. Es sei dringend, hatte man ihm am Telefon gesagt. Alles Weitere persönlich. Ein Knacken beendete den Anruf. Holtmann blickte ins Wohnzimmer, den Telefonhörer noch in der Hand. Jetzt spürte er wieder dieses Dröhnen und Pochen im Kopf, sah die leere Flasche Jonny Walker, den vollen Aschenbecher auf dem mit Fliesen belegten Couchtisch. Auch schnelle Bewegungen ließen Holtmann aus der Spur geraten. Mann, ich darf doch noch gar kein Auto fahren, dachte er. Also wählte er die Nummer von Sonja, einer Kollegin. Am anderen Ende meldete sich eine Mädchenstimme. „Hallo, hier ist Fred Holtmann, kann ich deine Mutter sprechen?“ Kurz darauf war Sonja am Hörer. „Hast du auch die Nachricht bekommen“, ratterte sofort Holtmann los. „Ja klar, ich wollte gerade losfahren“.

„Sonja, würdest du mich abholen?“ Einen kleinen Moment war Stille.

„Hast du wieder versucht, dein Problem mit Whisky zu ertränken?“, meckerte Sonja. Es war nicht das erste Mal und mit großer Wahrscheinlichkeit nicht das letzte Mal, dass sie ihn fahren musste, ging es ihr durch den Kopf.    

„O. k., ich bin in zwanzig Minuten bei dir und mach was gegen deine scheiß Fahne“, rief sie sehr ärgerlich und legte den Hörer auf.

Pünktlich nach zwanzig Minuten war Sonja vor Holtmanns Wohnung. Er stand auch schon kaugummikauend vor der Tür.

Beim Einsteigen roch sie den Geruch von Menthol, aber da war noch ein anderer Geruch, den sie als ekelig empfand. „Fred, du hättest dich wenigstens mal frischmachen können!“ Seit der Trennung von seiner Frau, vor einem halben Jahr, konnte man die Veränderungen Holtmanns erkennen. Sie hätte ihm gerne wieder ein paar Takte, wie schon so oft erzählt. Doch an diesem Morgen sollte alles anders werden und sich das Leben für die beiden Kommissare verändern.

Ein kurzer Blick zu Holtmann, der mit geschlossenen Augen neben ihr kauerte, zeigte ihr, dass der Kollege noch etwas Zeit brauchte, um wieder zu funktionieren.

Die Fahrt führte aus der Stadt heraus, in Richtung einer kleinen Ortschaft Namens „Ohr“. An einer Abzweigung in der Nähe der Ortschaft Aerzen wetterte Sonja: „Mensch, Holtmann, komm zu dir, wir sind da.“

„Wo sind wir?“, fragte er mit rot unterlaufenen Augen und zwinkernd in die Umgebung schauend. „Woher wusstest du überhaupt, wo wir hin müssen?“, wollte er wissen. Er strich sich dabei durch die fettigen Haare. „Ich bekam die Meldung telefonisch von der Zentrale“, sagte Sonja.

Mehrere zivile und Polizeifahrzeuge, teils mit Blaulicht, standen rechts und links der abgesperrten Landstraße. Mit einer Winkerkelle zeigte ein Polizist auf die Stelle, an der sie den Wagen parken sollten.

Nachdem Sonja den Motor abgestellt hatte, zwängte sich auch Holtmann aus dem Sitz und holte tief Luft, um sich anschließend kurzerhand eine Zigarette anzuzünden. Beide sahen das rotweiße Absperrband, das immer einen Tatort absperrt.

Als sie näher kamen, waren beide erstaunt, dass das Absperrband eine Streugutkiste umspannte. Holtmann bekam einen schrecklichen Hustenanfall und es schien, als müsse er sich übergeben.

„Diese verdammte Qualmerei!“, wetterte er und ließ den Rest der Zigarette auf den Boden fallen. „Mensch, Holtmann, das ist ein Tatort“, meckerte Gernot von der Spurensicherung und hatte dabei einen nicht freundlichen Gesichtsausdruck.

„Was gibt es denn hier?“, fragte Sonja einen Kollegen, der schon einer der Ersten am Ort des Geschehens war. Es musste etwas Schreckliches sein, denn Sonja kannte den Kollegen Thomas. So wie er sie anschaute, so einen Gesichtsausdruck hatte sie bei ihm noch selten gesehen. „Ist nicht schön anzusehen“, sagte Thomas mit einer Stimme, als sollte kein anderer mitbekommen, was er gesehen hatte. „Ein nackter, toter Junge in einer Streugutkiste, am Rande einer Landstraße, das gab es ja noch nie!“ Sie gingen langsam auf die Streugutkiste zu, ringsherum deutete nichts auf ein schlimmes Verbrechen hin.

Der Deckel der Kiste war aufgeklappt. Holtmann und Sonja schauten hinein.

Im Splitt, der zum Streuen der Straße im Winter bei Glatteis verwendet wurde, war ein zum Teil freigelegter Körper von einer grauen Staubschicht bedeckt, wie in einem Sarg, von der Kiste umhüllt, lag der Körper eines Jungen. Er war an Händen und Füßen gefesselt. „Wer hat den Jungen überhaupt entdeckt?“, meldete sich Holtmann wieder aktiv in das Geschehen zurück.

„Ein Straßenwärter, der Streugut für den kommenden Winter überprüfen sollte“, erwiderte Thomas, sich wichtige Details in sein kleines Buch notierend.

„Wissen wir schon, wer der tote Junge ist und wie alt er ist?“, wollte Sonja wissen, den Blick auf den leblosen Körper gerichtet. „Name nicht bekannt“, sagte Thomas.

„Marie meinte, nach ersten Erkenntnissen, könnte der Junge zwischen 10 – 12 Jahre alt sein.“ Marie, die Gerichtsmedizinerin, musste die Leiche des Kindes noch genau untersuchen.

Auf der Rückfahrt zum Präsidium sprach keiner ein Wort. Im Büro ging Sonja sofort zielstrebig zur Planungswand, heftete die vorhanden Fakten sichtbar auf.

Für Fred Holtmann war das Betreten der Pathologie immer – und würde auch nie vergehen – ein schreckliches Gefühl, das ihm jedes Mal den Hals zuschnürte und ein elendes Gefühl in der Magengegend erzeugte. Er war ohne Sonja in die Pathologie gekommen, denn Sonja und Thomas hatten einen Gerichtstermin.

Frau Doktor Maria Franzen war seit einigen Jahren die Pathologin in Hannover.

Ihre Mutter stammte aus Ungarn und der Vater ist Deutscher. Er ist auch Arzt und hatte eine kleine Landarztpraxis in der Nähe von Bad Pyrmont.

Sein Wunsch, Maria sollte mit in seine Praxis einsteigen und diese auch mal übernehmen, ging nicht in Erfüllung.

Nun stand Maria, die dunklen, schulterlangen Haare fest im Nacken zusammengebunden. Ihre hübschen, braunen Augen schauten etwas wehmütig, aber mit einem festen Blick auf den toten Jungen.

„Der Tod trat“, ihre Stimme fast militärisch, „vor etwa zwei Wochen ein. Sein Alter liegt zwischen 10 bis 12 Jahren. Südosteuropäischer Typ. Schlechte körperliche Verfassung.“ Einen kurzen Blick auf Holtmann gerichtet, was dieser für sich als den Moment einer Frage nutzte. „Ist er ermordet worden?“ Ein klares Ja war die Antwort von Maria.

„Er wurde mit irgendetwas, vermutlich mit einem dünnen Seil oder auch einem Draht, stranguliert.“ Holtmann traute sich ein weiteres Mal, den Vortrag von Maria zu unterbrechen. „Wurde er missbraucht?“

„Wir fanden auch Sperma in seiner Luftröhre.“ Holtmann schaute nochmals auf das leicht verzerrte Gesicht des toten Jungen. „Ja“, setzte Maria ihren Vortrag fort.

„Es muss ein schreckliches Sterben für ihn gewesen sein.“ Mit einer Hand strich sie über die Stirn des Jungen.

Maria sah traurig und nachdenklich aus. „Gute Arbeit“ betonte Holtmann lobend. „Hat der Junge Familie?“, fragte Maria, dabei den Kopf hebend und ihn mit ihren dunklen Augen neugierig anschauend.

„Da tappen wir noch im Dunklen, vielleicht sollten wir in der Zeitung ein Vermissten-Foto veröffentlichen. Eventuell hat den Jungen ja irgendjemand gesehen.“

Dabei trafen sich ihre Blicke. In diesem Moment hätte er ihr gerne gesagt, was für eine schöne Frau sie doch war.

Aber Maria riss ihn aus seinen Gedanken. „Was meinen Sie, ist das hier ein Einzelfall?“

„Ja“, fiel Holtmann ihr ins Wort, ohne sie ihren Satz beenden zu lassen. „Wir gehen nicht von einem Serientäter aus.“

„Das war erst einmal alles.“ Sie zog das weiße Laken über den Leichnam, schroff sagte sie zu Holtmann: „Den Befund bekommen Sie schriftlich.“

Das Gespräch war für sie beendet und sie wandte sich ab. „Ja, ist in Ordnung“, stotterte Kommissar Holtmann verdutzt und stand da wie ein Schulknabe, der einen Rüffel bekommen hatte.

Holtmann verließ den Raum, das Geräusch seiner Schuhe auf dem Steinboden hallte durch den kahlen Flur. Draußen hatte es angefangen zu regnen.

 

 

Kapitel 3      September 1959

Ab dem Jahr 1958 war es für das deutsche Militär wieder möglich, an großen Übungen mit Nationen anderer NATO-Staaten teilzunehmen.

Darüber war Oberst Otto Wolin hocherfreut. Nun konnten die Soldaten der Bundeswehr, besonders die älteren Jahrgänge und Offiziere, die zum Teil schon Kriegserfahrung mitbrachten, ihren ehemaligen Gegnern zeigen, was noch in ihnen steckte. Otto Wolin hatte aber noch eine andere Aufgabe in dieser NATO-Stabsübung mit dem Codenamen „SIDE-STEP“ im September 1959 zu erfüllen.

„Na, Wolin, dann wollen wir mal den Russen schlagen“, prahlte Kurt Walter, Bundestagsabgeordneter, das Cognacglas in der linken Hand und eine stark qualmende, aber gut riechende Zigarre in der rechten Hand. In diesem fiktiven Kriegsspiel fuhren keine Panzer und es wurde keine Manöverpatrone verschossen. Hierbei fand der Krieg nur an Schreibtischen und an riesigen Karten, die an den Wänden hingen, statt. „Wir werden uns schon gut verstehen, nicht wahr Wolin?“, sprach Kurt Walter. „Sie als Verbindungsoffizier von den NATO-Truppen zu ihren Brüdern in der Regierung,“ schon mit einem leicht lallenden Tonfall.

„Selbstverständlich, Herr Minister“, antwortete Wolin und musterte den vor ihm Stehenden. Er hatte über Walter, ein dickleibiger, mit wenig Haaren behafteter Mann, einen vollständigen Bericht über Lebensweise, Privatprobleme, Vorlieben und vieles mehr erhalten. Wie er es so einschätzte, würde er ein leichtes Spiel mit ihm haben.

„Kommen Sie, Wolin, lassen Sie uns einen trinken“, sagte Walter, als er der vorübergehenden Ordonnanz zwei Gläser Cognac vom Tablett nahm. Kurt Walter war verheiratet und hatte aus seiner ersten Ehe eine 15-jährige Tochter. Nach der Scheidung heiratete er ein zweites Mal und er wurde Vater eines Sohnes.

Eigentlich bisher nichts Ungewöhnliches, ging es Wolin durch den Kopf. Aber die angeblich weiße Weste hatte dunkle Flecken. Es war spät geworden. Der Rauch von Zigaretten und Zigarren schwebte im Kaminzimmer des Offizier-Casinos und nahm einem den Atem. Die Ordonnanzen liefen immer noch umher und räumten Gläser und den Rest des zerfetzten Buffets ab.

Der Oberst ging in ein Nebenzimmer, hier war es angenehmer und frischer. Er ging zu einem großen Schreibtisch, knipste die darauf stehende Lampe an, nahm den Hörer ab und wählte eine dreistellige Nummer. Das leise Schnarren der Wählscheibe, nach der dritten Nummer knackte es am anderen Ende der Leitung.

Eine Stimme meldete sich mit „Ja, bitte.“ Der Oberst meldete mit ruhiger Stimme: „Der Dachs hat seinen Bau verlassen.“ Ohne abzuwarten, legte er den Hörer wieder auf die Gabel, löschte auf dem Schreibtisch das Licht, bewegte sich leise zur Tür, öffnete sie einen Spalt. Er wartete, bis kein Mensch mehr zu sehen war, um unbemerkt den Raum zu verlassen.

Minister Kurt Walter war ins Fadenkreuz der Organisation geraten, weil er beste Kontakte zum Bundeskanzler besaß.

Seine erste Frau war sehr vermögend und die zweite Frau die Tochter eines Waffenherstellers. Er liebte ausgefallene Sexpraktiken, vor allem mit jungen Frauen, sehr jungen.

Es wurde sogar hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, dass das der Grund für die erste Scheidung war.

Es war später Nachmittag an diesem verregneten Dienstag, als Oberst Otto Wolin den Minister Kurt Walter vor einer großen Karte der Bundesrepublik kopfschüttelnd stehen sah. „Na, Herr Minister, nach einem Sieg sieht das nicht aus, oder?“ Enttäuschung über das schlechte Abschneiden der NATO-Armeen gegenüber den Warschauer-Pakt-Truppen konnte Wolin Kurt Walter ansehen.

„Ich schlage vor“, sagte Wolin leise, dichter an Walter herantretend, „wir beide machen uns heute einen gemütlichen Abend.“ Walter schaute erstaunt zum Oberst.

„Leider kann ich meinen Platz hier nicht verlassen. Ich spiele doch den Innenminister“, sagte Walter. „Ich habe der Übungsleitung mitgeteilt, dass Sie wegen Magenbeschwerden bis morgen Mittag 12 Uhr neutralisiert werden und Ihr Stellvertreter die Arbeit übernimmt.“

„Donnerwetter“, antwortete Walter mit einem breiten Grinsen. „Alle Achtung, Herr Oberst mit dieser Überraschung habe ich nicht gerechnet.“ Sein Gesicht wurde auf einmal hochrot.

Eine schwarze Limousine stand mit laufendem Motor vor der Unterkunft des Innenministers. Als die Tür des Gebäudes geöffnet wurde, sprang der Chauffeur aus seinem Fahrersitz, ging um den Wagen herum, öffnete die hintere Wagentür, indem er seine Mütze abnahm. „Guten Abend, Herr Minister“, sagte der Fahrer.

„Sie wissen, wo es hingeht?“, erwiderte der streng tuende Kurt Walter, ohne den Türaufhaltenden überhaupt anzusehen. Walter nahm im Fond Platz. Er freute sich wie ein kleiner Junge auf das, womit der Oberst ihn überraschen will. Der Duft seines Rasierwassers nahm jeglichen Automobilgeruch.

Er setzte seine Mütze wieder auf, nahm hinter dem Lenkrad Platz, startete den Motor und fuhr los. Es ging Richtung Kasernentor.

Der Wagen verließ, ohne überprüft zu werden, den Kasernenbereich. Am Ende der beiderseits mit Bäumen gesäumten Kasernenzufahrt bog er nach rechts auf eine Bundesstraße. Der Lichtkegel des Scheinwerfers leuchtete schwach den Straßenraum aus. Der Mercedesstern vorn auf der Haube hob sich deutlich ab. Nur das Motorengeräusch war zu hören. Es wurde stockfinster, als keine Straßenlaternen mehr die Fahrbahn ausleuchteten.

Als der Chauffeur nach dem Durchfahren einer kleinen, unbeleuchteten Häuseransiedlung nach links von der Bundesstraße abbog. Die Straße war zwar mit Asphalt bedeckt, aber in einem schlechten Zustand. Immer wieder musste der Fahrer das Fahrzeug um große Schlaglöcher herumlenken.

Im Lichtkegel tauchten Gebäude auf. Das Fahrzeug wurde auf einen kleinen Parkplatz zwischen zwei Häusern gelenkt. Als der Chauffeur den Motor abstellte, wiederholte sich die Prozedur wie beim Einsteigen.

Ohne ein Wort zu sagen, setzte sich der Fahrer wieder in den Wagen und verließ den Parkplatz.

Das Geräusch des wegfahrenden Wagens wurde immer leiser und die Dunkelheit umhüllte den Fahrgast. „Ist hier jemand?“, rief Walter, aber er wartete vergebens auf eine Antwort.

Hinter der Milchglasscheibe der Tür tauchte ein Schatten auf. Die Tür wurde geöffnet und eine Gestalt blieb im Türrahmen stehen. „Guten Abend, Herr Minister, schön dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.“ An der Stimme erkannte Kurt Walter die Gestalt. Es war Oberst Wolin.

„Wo sind wir hier?“, fragte Walter. „Hier ist es ja still, wie auf einem Friedhof“, witzelte er, sich dabei eine Zigarre anzündend.

„Ich sagte doch, lassen Sie sich einfach überraschen, Herr Minister“, antwortete Wolin, indem er nach draußen trat und den Eingang freimachte. Nachdem Kurt Walter das Haus betreten hatte, schloss der Oberst die Tür und ein Riegel fiel ins Schloss. Für einen Moment bekam der Minister ein ungutes Gefühl, was sich aber nach dem, was er jetzt sah, sofort änderte. Ein breites Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit und seine Augen wurden größer.

Ein leicht bekleidetes Thai-Girl kam aus einem Seitenzimmer lächelnd auf ihn zu und mit einem „Hallo Süßer“ begrüßte sie ihn.

Er entledigte sich seines Mantels und des Hutes und gab beides der Thailänderin.

Sie war bestimmt nicht älter als siebzehn Jahre, vielleicht sogar achtzehn, glattes, in Scheitel gelegtes Haar und fast mit einem knabenhaften Po. Die kleinen Brüste mit den dunklen Brustwarzen, der braune Teint ihrer Haut, erregten Walter plötzlich.

Er folgte dem Mädchen und sie erreichten einen Raum, in dem eine kleine Bar mit vielen Kerzen stand. Im sparsam ausgeleuchteten Raum saßen zwei weitere Frauen am Tresen. Ein Filmprojektor, der am Ende des Tresens stand, warf einen billigen Pornofilm an die Wand. Der Zigarettenqualm vermischte sich mit dem hellen Lichtstrahl des Filmgerätes. Genau das war es, was er brauchte, das Gefühl des schmutzigen Sexes, die Anonymität, das Ausleben von perversen Vorstellungen. Ihm war heiß geworden. Er setzte sich an den Tresen und bestellte ein kaltes Bier. Dabei schaute er gierig auf den Pornofilm, der zwischenzeitlich zurückgespult und wieder von vorne ablief. Mittlerweile war sein Zustand der Erregung immer größer geworden. Eine der beiden Frauen am Tresen kam zu ihm. „Ich hab was für dich“, flüsterte sie ihm ins Ohr, wobei ihre Hand zwischen seine Beine fasste. „Das ist Barbie, sie hat das Alter, auf das du stehst.“ Sie blickte auf das andere Mädchen am Tresen. Jetzt erkannte Walter erst, dass das Mädchen noch sehr, sehr jung war. Der Anblick des Mädchens erregte ihn noch mehr.

Die Frau führte den Minister und das Mädchen in ein Zimmer im Obergeschoß. „Hier darfst du mit ihr alles tun, was du möchtest“, sagte die Frau und verließ das Zimmer. 

Das Mädchen saß nackt auf der Couch und starrte vor sich auf den Boden.

Er zog sich aus und an seinem Glied spielend setzte er sich neben sie. Sie zeigte keinerlei Regung, wahrscheinlich hatte man sie ruhiggestellt, ging es Walter durch den Kopf.

Aber egal, ich bin weit weg von zu Hause, keiner weiß, dass ich hier bin und was ich hier treibe, beruhigte er sich. Aber er sollte sich täuschen.

 

Kapitel 4     Januar 1960

„Wie sind die Aufnahmen, Bilder und Filme geworden?“, erkundigte sich Brutus per Telefon. Brutus war der Deckname des Sektionsleiters Mitte. „Absolut gut“, erwiderte die Stimme einer Frau am anderen Ende. „Ausgezeichnet!“, war die Antwort.

Kurze Zeit später klingelte in einer Rechtsanwalts-Kanzlei in Darmstadt das Telefon. „Rechtsanwälte Dembrock und Schröder“, meldete sich eine freundliche Stimme. „Mein Name ist Engel, was kann ich für Sie tun?“

„Bitte verbinden Sie mich mit Ihrem Chef“, verlangte die Stimme am anderen Ende. Susanne Engel brauchte gar nicht erst nach dem Namen fragen, selbstverständlich kannte sie die Stimme durch sehr viele Anrufe. „Sofort, Herr Baron“, antwortete sie schon fast mit militärischem Gehorsam. „Herr Dembrock, Herr Baron von Neuenhaus möchte Sie sprechen“, meldete sie per Knopfdruck. Dembrock nahm den Hörer auf. „Guten Tag Heinrich.“ Beide kannten sich gut aus der vergangenen Zeit beim Militär und der SS und der vielen Treffen, die der Verteidigung der Bundesrepublik dienten. Viele gemeinsame, schöne Stunden hatten sie zusammen verbracht. „Klaus“ sprach der Baron, seine Stimme wurde ernst. „Dachsjagd!“ Eine kurze Stille trat ein, die für Klaus fast eine Ewigkeit dauerte. Das Gespräch der beiden Männer wurde ohne eine Verabschiedung beendet. Dembrock, den Hörer noch immer in der Hand haltend, starrte auf den vor ihm liegenden Füller, schwarz mit Gravur. Es war ein Geschenk seines verstorbenen Vaters, der, auch wie er, einmal Rechtsanwalt war. Sein Blick wanderte zu einem der großen Fenster.

Er legte den Hörer auf die Gabel, erhob sich aus seinem Ledersessel und ging an das Fenster. Er schaute auf einen kleinen Marktplatz und beobachtete die umherlaufenden Menschen. Manche hatten es eilig und andere schlenderten über den Platz.

„Dachsjagd!“, die Stimme des Barons noch im Ohr, schaute er in den mit vielen Wolken bedeckten Himmel, der so friedlich aussah. „Jetzt geht es los!“, dachte er. Der scharfe Klingelton des Telefons riss den Anwalt aus seinen Gedanken.

 

Kapitel 5      Februar 1960

An einem nebligen und verschneiten Februarmorgen im Jahre 1960 sollte sich das Leben des Politikers Kurt Walter gravierend verändern. Walter saß noch am Frühstückstisch. In der Nacht hatte es stark geschneit. In zwei Stunden war ein Termin mit dem Polizeipräsidenten terminiert.

Nur er und die Haushälterin waren im Haus. Seine Frau war schon in ein Fitnessstudio gefahren. Er las die Zeitung, die Berichte über Sport, Politik und Skandale.

Die Glocke der Haustür läutete zweimal und riss ihn aus seinem Lesefluss. Wer konnte das sein? War es vielleicht Ilse, die Probleme mit dem Auto hatte bei diesem miserablen Wetter? Aber sie besitzt doch einen Hausschlüssel und Besuch war auch nicht angemeldet. Außerdem ist ja auch noch Inge da! Er schüttete sich noch Kaffee nach und wollte weiterlesen.

Inge, die Haushälterin, betrat das Zimmer. Sie hatte ein Kuvert in der Hand. „Wer war das?“, fragte Walter und las derweil die Zeitung weiter. „Es war niemand da, aber dieser Umschlag schaute aus dem Briefkasten.“

„Was für ein Umschlag?“, Walter schaute jetzt auf Inge.

„Er ist an Sie adressiert, aber ohne Absender.“

„Legen Sie ihn auf den Schrank“, sagte er und widmete sich wieder seiner Zeitung.

Nachdem sie tat, was ihr aufgetragen wurde, verließ sie den Raum. Ich sollte wohl etwas früher fahren, bei diesen Witterungsbedingungen, dachte sich Walter, stand auf, faltete die Zeitung zusammen, legte sie auf den Tisch und trank den Rest an Kaffee.

Nun sah er, dass auf dem Umschlag wirklich sein Name, aber keine Adresse und kein Absender zu lesen war. Auch dass kein Bote oder Überbringer sich gezeigt hatte, war schon verdächtig.

Vielleicht sollte er doch mit dem Öffnen des Umschlags warten, denn es kam schon vor, dass auf diesem Weg Anschläge verübt wurden. Aber insgeheim wollte er schon wissen, was in diesem Umschlag steckte. Denn wenn er den Umschlag mit ins Amt nahm, wurde er durchleuchtet. Nein, entschied er sich und ging in sein Arbeitszimmer.

Das Arbeitszimmer war im Parterre, gleich neben der Eingangstür. Nach dem Betreten des Arbeitszimmers schloss er die Tür hinter sich und verriegelte sie. Kurt Walter ging an den großen Schreibtisch und setzte sich in den Ledersessel. Er hielt den ominösen Umschlag gegen das Licht der Schreibtischlampe und schüttelte ihn vorsichtig, tastete ihn mit den Fingern ab. Es war nichts Verdächtiges zu erkennen. Also nahm er den Brieföffner und öffnete ganz vorsichtig den Umschlag. Es lag ein weiterer, etwas kleinerer Umschlag im Inneren.

Eine plötzlich aufsteigende leichte Unruhe machte sich in ihm breit. Warum denn so geheimnisvoll?, dachte er und zog einen kleineren Umschlag heraus.

Auch an dem zweiten Kuvert war nach erstem Augenschein nichts Ungewöhnliches festzustellen. Außer, dass ein Siegel den Umschlag verschloss. Wie ein großer Blutfleck erschien ihm das rote Wachs des Siegels, auf dem ein Windhund zu erkennen war.

Es war plötzlich still, kein Geräusch war zu vernehmen, nur die Wanduhr – ein Geschenk eines Parteifreundes zu seinem letzten Geburtstag – tickte laut. Mit einem Ruck zerriss die Klinge die obere Seite des Umschlags. Walter legte den Brieföffner wieder an seine Stelle zurück. Etwas Hartes, Ovales konnte er ertasten.

Er rückte mit seinem Sessel näher an den Schreibtisch. Das machte er immer, wenn was Wichtiges erledigt werden musste.

Mit einem Blick in den Umschlag, den er mit Daumen und Zeigefinger auseinanderspreizte, sah Walter, dass es Fotos waren. Mit der anderen Hand nahm er die Fotos aus dem Umschlag und legte sie auf den Schreibtisch. Es waren Schwarz/weiß-Bilder. Was aber diese fünf Fotos darstellten, ließ den Minister zur Salzsäule erstarren. Er schob alle Fotos in eine Reihe, wie ein Spieler, der seine Karten zählt. Er spürte wie der Blutdruck anstieg, sein Mund trocken und ein Druck auf der Brust entstand. Das Herz, dachte er, und fasste sich mit der rechten Hand an die Brust. Jetzt bloß keinen Infarkt. Er öffnete seine Krawatte und seine Hände zitterten. Er ließ sich in den Sessel zurückfallen, schaute über den Schreibtisch und sein Blick blieb auf dem Foto seiner Frau Ilse haften. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Für einen Moment liefen die schönen Zeiten mit Ilse, wie ein Film vor ihm ab.

Er setzte sich wieder aufrecht in den Sessel und schaute sich die Fotos noch einmal an.

Die Fotos zeigten einen nackten Mann, mit einem kleinen, jungen Mädchen, eher noch ein Kind, der sich auf dem Bett mit ihr vergnügte. Das Gesicht des Mannes auf dem Foto war gut zu erkennen. Walter erkannte sich wieder.

Er, der Minister. Ihn, der nach außen spielende Saubermann, hatte man mit seiner eigenen Schwäche in die Falle gelockt. Kurt Walter lehnte sich wieder in den Sessel zurück.

Langsam wich der erste Schreck und sein Kopf begann, darüber nachzudenken. Was für ein Schwein macht das?, dachte er und öffnete die Zigarrenkiste. Er nahm eine Zigarre heraus, knipste sie am Mundstück ab. Mit einem Streichholz zündete er sie an.

Kurt Walter stand auf, legte die Zigarre in den Aschenbecher, öffnete das Barfach und holte eine Flasche Rémy Martin und schenkte sich einen großen Schluck Cognac in ein Glas. Der Geruch des Cognacs zog ihm in die Nase.

Er brauchte zwei kräftige Schluck, um das Glas zu leeren und er spürte die Schärfe in seinem Magen. Langsam wurde der Kopf wieder klarer. Er goss sich ein zweites Glas ein und ging zurück zum Schreibtisch. Er betrachtete nochmals die Fotos, drehte sie um, aber nirgendwo war eine Mitteilung, um was es hier ging.

Der Rauch der Zigarre breitete sich im Zimmer aus. Der Geruch des Cognacs und die zwei Gläschen zeigten langsam ihre Wirkung. Walter schaute noch einmal in den Umschlag.

Da war doch noch so ein ovaler Gegenstand, schoss es ihm durch den Kopf. Er fasste mit zwei Fingern in den Umschlag, zog das ovale Etwas heraus.

„Was soll das denn?“, murmelte Walter. Eine Erkennungsmarke, wie Soldaten sie immer bei sich trugen, sollte ihnen einmal etwas passieren, damit man die Angehörigen benachrichtigen kann. Was soll denn dieser Unfug, überlegte er.

Es war doch sehr eigenartig. Auf der Marke waren Zahlen eingestanzt. Es war ein Datum: 15.07.1915 – sein Geburtsdatum. Auf der unteren Hälfte stand ein zweites Datum … das heutige, daneben eingestanzt, das Symbol eines Windhundes.

 

 

Kapitel 6      Oktober 1961

Ein heftiges Klopfen an der Seitenscheibe riss Geoffrey aus dem Schlaf. Sein Blick schweifte orientierungslos im Wagen umher. Er blickte auf den Umriss einer Person, die neben dem Fahrzeug stand. Den Schlaf aus den Augen reibend, erblickte er die Gestalt eines Soldaten. Geoffrey schaute auf seine Armbanduhr. Die Leuchtzeichen standen kurz vor fünf Uhr. Das Klopfen wiederholte sich, dieses Mal jedoch heftiger als zuvor. Über eineinhalb Stunden hatte er geschlafen. Er öffnete die Tür und während er aus dem Fahrzeug stieg, bemerkte er, wie steif seine Glieder waren. Wie ein Patient, der aus der Narkose erwachte, sondierte er das Umfeld. „Guten Morgen Herr Lieutenant, Sie werden in dreißig Minuten abgeholt und zum Gefechtsstand der Division gefahren.“ Die Stimme kannte Geoffrey, ja, da stand er vor ihm, der Vermisste, nicht auf seinem Posten stehende Wachsoldat. Dessen Name John war. Bevor Geoffrey noch etwas fragen konnte, drehte dieser sich um und verschwand wie ein Dieb im Morgennebel. Er fröstelte. Der Nebel war so dicht, dass die Gebäude nur noch schemenhaft zu erkennen waren. Mit Blick auf seine Armbanduhr sah er, dass er noch fünfzehn Minuten bis zur Abholung Zeit hatte.

Langsam dämmerte es in seinem Kopf und sein Gehirn fing an zu arbeiten, wie ein Motor nach einem Kaltstart, der seine Betriebstemperatur erreicht. Die Bilder setzten sich wie ein Puzzle wieder zusammen und ihm wurde klar, dass es kein Traum gewesen war, was er vor ein paar Stunden gesehen hatte.

Geoffrey bewegte sich zögernd auf das Tor des Seitengebäudes zu, in dem noch vor Stunden ein Fahrzeug der Division stand. Ein Bild, das ihm immer noch wie ein Traum vorkam, einfach irreal. Geoffrey musterte die Umgebung, durch den Dunst war alles wie in Watte gepackt. Das Tor war nicht verschlossen.

Er öffnete es einen Spalt und schaute in die Scheune. Sie war leer, als wenn nie ein Fahrzeug hier gestanden hätte.

Sogar die Reifenprofile, die besonders auffällig die Fahrzeuge der Army besaßen, waren auf dem Erdboden unkenntlich gemacht. Nun ja, das Verwischen von Reifenspuren war in der Armee nichts Neues. So etwas gehört einfach zur Tarnung, vor allem bei der Luftbeobachtung. Aber hier in der dunklen Scheune hat man wohl einen besonderen Grund gehabt, keine Spuren zu hinterlassen. Als Geoffrey das Tor hinter sich verschloss, verspürte er das erste Mal ein starkes Hungergefühl. Da die Briten als Selbstversorger in der NATO bekannt waren, musste Geoffrey jedoch feststellen, dass die Zeit zu knapp war, noch etwas zu essen.

Er wusste aus Erfahrung, dass bei Stabsbesprechungen immer etwas zu essen abfiel. Also schnell Katzenwäsche, rasieren, Stiefel putzen. Darauf legte man besonders Wert in der Armeeführung. Mit Karte und Schreibunterlagen marschierte der Lieutenant der Nachrichtentruppe dem Ausgang entgegen. Ja, er hatte schon einen recht interessanten Auftrag. Er saß mitunter stundenlang am Funkgerät und lauschte in den Äther, um Funksprüche des Gegners zu entschlüsseln, oder eigene zu verschlüsseln.

Von welch entscheidender Bedeutung solch eine Verschlüsselung war, zeigte die Landung der Alliierten an der Küste der Normandie, die durch eine Strophe von Paul Verlaines Gedicht >Chanson d’Automne< bekannt als Herbstlied, angekündigt wurde und den Niedergang der Nazi-Tyrannei einleitete.

Das alles ging Geoffrey durch den Kopf, als er die Gutseinfahrt erreichte. Der Morgennebel verhüllte die Dorfstraße. Ein anschwellendes Motorgeräusch war zu vernehmen. Ein Linienbus schälte sich aus dem Dunst heraus und fuhr mit quietschendem Keilriemen und nach verbranntem Kraftstoff riechend an Geoffrey vorbei in Richtung Ortsausgang.

Er setzte sich auf ein neben der Einfahrt aufgebautes Holzgerüst, das auf den Dörfern als Milchkannentisch diente. Vorher säuberte er mit einer wischenden Handbewegung die Sitzfläche, dann steckte er sich eine Zigarette in den Mund. Das Feuerzeug, welches sich in seiner linken Brusttasche befand, klickte und der brennende Tabak knisterte. Geoffrey nahm einen tiefen Zug.

Nebel hatte den Bus verschlungen und das Motorgeräusch wurde immer leiser, bis ihn wieder diese friedliche Stille umhüllte. Ja, im Verschlüsseln von Nachrichten hatte man ihn gut ausgebildet. Daher grübelte er darüber nach, ob und wie er die Geschehnisse der Nacht auch verschlüsseln konnte?

Er war noch in Gedanken versunken, als aus der anderen Richtung ein leises, ihm nur zu gut bekanntes Motorgeräusch zu Ohren kam. Wie er vermutet hatte, tauchte aus dem sich langsam auflösenden Dunst ein Austin-Jeep mit seinem hellen Klang auf. Der Fahrer verlangsamte die Fahrt und bog von der Straße in die Einfahrt ab.

Geoffrey sprang auf, schnippte die Zigarette zur Seite und winkte dem Fahrer zu, dass er die besagte Person war, die er abzuholen hatte.

Der Fahrer parkte den Jeep etwas seitlich der Einfahrt auf einem Grünstreifen und stellte den Motor ab. Er sprang mit einem wahrscheinlich schon öfter ausgeführten Satz aus seinem Sitz. Ein hagerer Mann, etwa Anfang zwanzig, so schätzte ihn Geoffrey, mit blassem Gesicht, baute sich vor ihm auf. Er nahm Haltung an „Corporal Hanks“ kam es energisch über die ebenfalls blassen Lippen. „Sir, ich habe den Befehl, Sie zum Brigade-Gefechtsstand zu fahren.“

„Sehr schön“, Geoffrey nickte.

Es fiel ihm sofort auf, dass sein Gegenüber perfekt geputzte Stiefel trug und die Uniformhose Bügelfalten aufwies.

Nachdem beide Soldaten ihre Plätze eingenommen hatten, startete der Corporal Hanks den Motor und legte mit einem krachenden Geräusch den Gang ein. Mit viel zu hoher Drehzahl und hektischen Lenkbewegungen chauffierte Hanks den Wagen auf die Straße. Es roch stark nach Benzin. So wie die Lenkbewegung, war auch das Einlegen der Gänge. Geoffrey schoss es kurz durch den Kopf. Hatte der Fahrer überhaupt einen Führerschein? Kurze Zeit später passierte der Wagen den Ortsrand, überall auf den Höfen waren Einheiten untergebracht. Leutnant Geoffrey lehnte sich langsam in den Sitz zurück und seine Gedanken waren schon bei den anderen Offizieren, von denen er viele kannte.

Er konnte nicht ahnen, dass er in das kleine Dorf und den alten Gutshof nie zurückkehren sollte.

 

 

Kapitel 7      Bude in Cornwall, 1988

Dunkle Wolken von Westen zogen über Cornwall, im Süden Englands. Die Menschen hofften, dass nach einer langen Trockenperiode nun doch der ersehnte Regen das Land wieder zum Atmen brachte.

Auch Lydia, eine attraktive, junge Frau mit hochgesteckten Haaren, blickte von der Terrasse des Herrenhauses ihrer Eltern zu der herannahenden, dunklen Wolkenwand, aus der in immer kleineren Abständen Blitze zuckten. 

In dem Haus in der kleinen Ortschaft Bude, nördlich von Plymouth, hatte sie viele Jahre ihrer Jugend verbracht. Hier hatte sie viele Freunde und ihre erste Liebe. Dann entschied sie sich für ein Psychologie-Studium, machte ihren Abschluss und bekam bei Scotland Yard eine feste Anstellung als Psychologin in London.

Sie schaute den Strand entlang, ihr Blick schweifte über die raue See, das Grollen wurde lauter. „Das wird ein heftiges Gewitter geben“, erklang eine tiefe, männliche Stimme hinter ihr und riss sie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich langsam um. Sie kannte diese vertraute Stimme und ein Lächeln zog über ihr Gesicht.

Es war Bob, ihr Vater, ein großer, stattlicher Mann mit grauen Haaren. „Wir freuen uns, ich ganz besonders, dass du zu diesem besonderen Tag hier bei uns auf Falcon bist.“

„Ich freue mich ebenfalls, dass ich diesem Tag bei euch verbringen kann.“ Lydia lächelte und ging auf ihren Vater zu, der sie fest in seine Arme nahm.

Für einen kurzen Moment hatte Lydia das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit, wie sie es als Kind immer verspürt hatte. Sie war den Tränen nahe.

Sie hatte auf vielen Schulungen bei der Polizei gelernt, mit ihren Gefühlen umzugehen. „Wann kommt eigentlich Mom?“ Sie löste sich gekonnt aus der Umarmung.