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Table of Contents

Titel

Impressum

Vor dem ersten Schritt

Die sechs Etappen

Anreise und erste Etappe:Walkenried – Sülzhayn

Zweite Etappe: Sülzhayn – Tanne

Dritte Etappe: Tanne – Elbingerode

Vierte Etappe: Elbingerode – Wernigerode (Nöschenrode)

Fünfte Etappe: Wernigerode – Derenburg

Sechste Etappe: Derenburg – Huysburg

Der siebte Tag: Resümee und Abreise

Übernachtungs- und Versorgungsvorschläge

Übersicht – Track-Zusammenstellung

Danksagung

Mehr Informationen zum Harz finden Sie hier:

 

 

Günter Bohmert

 

 

Der pastorale Weg vom Kloster

Walkenried zum

Kloster Huysburg

 

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Luftbildaufnahme des Klosters Huysburg (im Kloster frei zugänglich)

 

 

Eine Pilgerreise in sechs Etappen

vom Harz zum Huy

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Günter Bohmert

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2020

ISBN: 9783957537751

Grafiken Copyright by: Günter Bohmert,

©DZiegler, ©Vitalii Hulai, ©guidowalter15,

Karten Copyright by: www.openstreetmap.org/copyright

Layout: ©Sven Bohmert

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Vor dem ersten Schritt

Erst der Segen macht den Wanderer zum Pilger

Irgendwo las ich, dass ein Pilger eigentlich einen Segen für seine Pilgerreise benötigt.

So soll es sein, dachte ich. Während meiner Recherchen in den Jahren 2006 bis 2009 lernte ich Pfarrer Anacker der evangelischen Gemeinde St. Sylvestri und Liebfrauen-Kirche in Wernigerode kennen, auch zuständig für die Theobaldikapelle. Er hat mir sehr geholfen und viele Details zugänglich gemacht, aber explizit hat er mir schon im Jahre 2007 die folgenden Worte mit auf den Weg gegeben: „Für Ihr Unternehmen wünsche ich Ihnen Gottes Segen!“

Der Grundstein für eine Pilgerreise war gelegt.

Beseelt von diesem Gedanken, oft auch verbissen, kniete ich mich in dieses Thema regelrecht hinein.

Aber: Noch bevor ich meine Recherche zu Ende bringen konnte, fiel ich in eine schwere persönliche Krise, u. a. mit Krankheiten, die man seinem ärgsten Feind nicht wünscht.

Das Interesse am Vorhaben flammte immer mal wieder auf: Ich machte allen mir erreichbaren Experten mein Exposé für ein künftiges Buch zugänglich und erhielt viel Lob für meine Fleißarbeit, aber mit mir an einem Strang ziehen wollte wohl niemand so recht.

Im Laufe der Zeit wurde aus dem gesuchten sachsenanhaltinischen Pilgerweg nach Santiago de Compostela (SdC) eine via pastorale – ich arrangierte mich mit diesem Gedanken und machte aus der Not eine Tugend.

Im Jahre 2018 war es so weit, ich fühlte mich geistig und körperlich fit, die wettertechnischen und sonstigen Bedingungen waren gut, und so fasste ich den Entschluss: Dieses Jahr pilgerst du wenigstens den Kernbereich deiner via pastorale, vom Kloster Walkenried zum Kloster Huysburg,

Denn der Weg, den ich im Itinerar von Halberstadt bis Duderstadt fand, war kein Pilgerweg im klassischen Sinn, sondern eine via pastorale, – ein Kirchenweg oder auch Klosterweg genannt.

Mit dem Begriff des „Pilgerns“, der übrigens ursprünglich katholisch besetzt war, machte ich mich dennoch vertraut, obwohl ich evangelisch getauft bin: In der Kathedrale von SdC sollen in einem vergoldeten Schrein die Gebeine des heiligen Jacobus, der ein Lieblingsjünger Jesu Christi war, liegen.

Diese werden wir wohl auf unserer Pilgerreise nicht zu sehen bekommen, doch die alte Infrastruktur der Wege und die vergleichbare Schönheit der Bergwelt, vielleicht vergleichbar mit der von Galicien, können wir auch auf unserer Tour durch den Harz erleben – wir müssen es nur wollen.

Was man jedoch wissen sollte, bevor man sich als Pilger verkleideter Ich-Sucher, Sinn-Sucher, Selbstfinder, Entscheidungssuchender etc. auf die Tour begibt, ist Folgendes:

Eigentlich geht es darum, zu erkennen, welche ungeheuren Kräfte freigesetzt wurden, so viele Menschen so nachhaltig dazu zu bewegen, bis heute an die mystische Grabstätte des Heiligen Jakobus zu glauben und dort hinzupilgern.

Keine Trimm-dich-Bewegung der heutigen Zeit wäre in der Lage, so viele Menschen aus aller Herren Ländern für eine Reise zu Fuß o. ä. zu begeistern, um Körper, Geist und Seele zu stärken.

Diese gewaltige Kraft, die bis heute an ihrem Einfluss auf die Menschen nichts eingebüßt hat, bleibt in meiner Faszination als Frage zurück:

Trägt die so unterschiedlich interpretierte Geschichte zur allgemeinen Verständigung der Menschen bei oder sollte nicht jeder aus den Fakten und Legenden das machen, was er für richtig hält?

Um auf den Ausgangspunkt der Betrachtung zurückzukommen, sollte doch jeder auf seine Art damit selig werden.

Ich werde diese Reise-Beschreibung jedoch nicht benutzen, um nur einen von Ihnen in seinem konfessionellen Bekenntnis zu beeinflussen, zu verletzen oder gar zu einem Bekenntnis zu nötigen.

Wir wollen nur eins, unseren Weg gehen – denn „Der Weg ist das Ziel“!

Wenn ich Sie (jetzt) neugierig gemacht habe, ist es gut. Wenn Sie diesen Weg gehen wollen und wenn Sie nach der Pilgerreise sagen, das ist auch mein Weg, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Neugierig gemacht habe ich auch meinen etwas älteren Sportfreund, denn wenn ich „wir“ sage, meine ich neben mir Günther Coccejus (75), der sofort zusagte, mich auf meiner Pilgertour zu begleiten.

Leider ist auch er nicht ganz frei von körperlichen Befindlichkeiten, wie heftiger Diabetes. Wenn ich „ich“ sage, meine ich mich, Günter Bohmert, den Initiator und Motor des Ganzen, Dipl.-Ing. (FH) und Diplom-Verwaltungsfachwirt im Ruhestand.

Mit meinen 66 Lenzen kann ich mit mehreren operativ versorgten Befindlichkeiten am Bewegungsapparat auch gut punkten.

So hat halt jeder jenseits der Fünfzig neben dem Rucksack, umgangssprachlich auch sein sonstiges Päckchen zu tragen – so auch wir.

Davon lassen wir uns nicht abhalten und gehen gemeinsam unseren Weg.

Wir werden ca. 75 – 80 km in sechs Etappen – vom Kloster Walkenried zum Kloster Huysburg – auf den Spuren der Kleriker, Mönche, Wanderprediger, Missionare, Visitationsreisenden etc. etc. des Mittelalters vom Harz zum Huy pilgern. Wir werden Zeugnisse mittelalterlicher Geschichte suchen, wir werden uns mit den Inhalten auseinandersetzen und werden unsere eigenen Schlüsse ziehen.

Wir werden unsere Erlebnisse festhalten und aufbereiten, wir werden sie für Sie, lieber Leser, historisch leicht verständlich darstellen, wir werden versuchen, Zusammenhänge herzustellen und versuchen, sie zu deuten.

Vielleicht noch ein paar Worte zur Praxis des Pilgerns:

Den Unerfahrenen sei gesagt, als Pilger hält man sich grundsätzlich tagsüber unter freiem Himmel auf – manche sagen dazu auch: „Ich bin den ganzen Tag in der Natur.“

Das mag stimmen, doch kann die Natur sehr rau und auch hart sein, wenn man so mir nichts dir nichts aus seinem Büroalltag ausbricht.

Natürlich wollen wir nicht mit langem Mantel und Pilgerstab unsere Pilgerreise antreten, da wir gegen Nässe und Kälte modernere Kleidung besitzen und den Pilgerstab, gegen wilde Tiere und sonstige ungebetenen Gäste, werden wir sicher auch nicht benötigen. Doch sind eingetragene Wanderschuhe und eine persönliche Reiseapotheke ratsam. Blasenpflaster ist ein Muss. Auch wenn man es selbst nicht braucht, kann man einem Gefährten für immer in positiver Erinnerung bleiben, wenn man ihm damit aus der Not helfen konnte.

Die Zivilisation und der Fortschritt sind auch im Harz angekommen, das mag böse klingen, ist es aber nicht. Die Wege werden zunehmend bewirtschaftet, das heißt, sie werden dafür geschottert. Aufgrund des Gefälles reicht Splitt nicht aus, denn der liegt nach dem Regen im Tal. Ich möchte damit sagen, die Wege sind oft für unsere Fußfesseln ein Härtetest – knöchelhohe Wanderschuhe sind notwendig.

Nun bleibt mir nur noch übrig, uns für diese Pilgerreise gutes Gelingen zu wünschen und all jenen, die unseren Spuren folgen sollten, zu offenbaren: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung“.

Eins noch!

Buchen Sie bitte Ihre sechs Unterkünfte mindestens 14 Tage im Voraus, denn man ist als Pilger nicht so flexibel, am vorbestimmten Übernachtungsort noch nach einer Übernachtung zu suchen bzw. gar den Ort noch zu wechseln – das könnte schwer „ins Auge“ gehen. Kettenübernachtungen haben unbesehen ihren Reiz, doch fordern sie auch den Organisator in Gänze.

Ich möchte zudem noch einen bekannten und von mir etwas abgewandelten Spruch von Theodor Heuss zitieren; er möge es mir verzeihen:

„Der Sinn des Pilgerns ist, an ein Ziel zu kommen, der Sinn des Wanderns, unterwegs zu sein.“

 

Die sechs Etappen

Im kartografischen Überblick

 

Anreise und erste Etappe:Walkenried – Sülzhayn

Heute ist der 24. Juli 2018, 07.15 Uhr. Ich verlasse gut gerüstet, mit einem fast 10 kg schweren Rucksack, meine Wohnung und laufe straffen Schrittes Richtung Straßenbahn.

Die Pilgerreise hat begonnen.

Es ist noch angenehm kühl, doch das, was uns von den Wetterpropheten versprochen wurde, ist alles andere als lustig.

Pünktlich 7.45 Uhr treffe ich wie abgesprochen Günther, meinen Mitpilgerer, aber mit „h“ im Namen, auf dem Hauptbahnhof, der auch „gestiefelt und gespornt“ als Pilger nur unschwer zu erkennen ist. Perfekt, stelle ich zufrieden fest.

Nach kurzer Umarmung und dem Austausch einiger guter Wünsche für unsere Unternehmung macht mich Günther mit schon fast dienstlicher Stimme darauf aufmerksam: „Unser Regionalexpress RE19 fährt pünktlich 08.02 Uhr vom Bahnsteig 13a in Richtung Leinefelde ab – los, wir müssen!“

Bei mir macht sich im Zugabteil eine sichtliche Entspannung breit, denn ich bin nicht so der coole Zugreisende, zumal ich mal wieder nach langer Zeit meine Fahrkarten-App am Smartphone ausprobiert habe.

Ein freundlicher Zugbegleiter war mit dem, was ich ihm am Smartphone zeigte, auch noch zufrieden – totale Entspannung bei mir.

Ein wenig Small Talk unter Sportfreunden, und schon fahren wir in Nordhausen ein.

Die Umsteigemöglichkeit in Nordhausen war ideal, aus dem RE19 raus und auf Bahnsteig 5 in die Regionalbahn RB81 Richtung Bodenfelde rein. Nach wenigen Minuten Fahrtzeit erreichten wir letztendlich nach der Durchquerung des Eisenbahntunnels unter der einstigen innerdeutschen Grenze bei Ellrich, den ehemaligen bundesdeutschen Grenzort Walkenried.

Gemäß Fahrplan treffen wir um 10.03 Uhr pünktlich ein. Die erste Hürde ist genommen.

Wäre bis hierher etwas Unvorhergesehenes geschehen, dann läge es nicht in meiner Hand – jetzt aber geht die Verantwortung auf mich über.

Meine erste Amtshandlung als Organisator und Motor unserer Unternehmung ist, noch auf dem Bahnsteig Herrn Wolfgang Jütte, Diakon der kath. Gemeinde St. Andreasberg, wie abgesprochen telefonisch zu kontaktieren.

Mir rinnt das erste Mal der Schweiß unter dem Rucksack Richtung Kniekehle, ich bin aufgeregt und die Sonne tut ihr Übriges – Herr Jütte nimmt sein Telefon nicht ab.

Günther versucht, mich zu beruhigen und meint: „Lass es, wir gehen erst einmal Richtung Kloster und sehen dann weiter.“

Die Beruhigung wirkt nur mäßig, hängt doch viel von dem Treffen ab.

„Ja, okay, Richtung Kloster, okay, aber wo lang?“, frage ich und blicke mich suchend um. Scheinbar rechnet man in Walkenried nicht mit per Zug anreisenden Klosterbesuchern.

Wir richten uns nach der Beschilderung für Autofahrer und ich ärgere mich schon wieder – hatte ich doch wegen der paar hundert Meter keinen Track fürs Navi im Smartphone gespeichert.

Wir haben uns natürlich etwas verlaufen und haben den schlecht ausgeschilderten Weg zum Haupteingang des Zisterzienserklosters verpasst, sodass wir entlang des Klosterbaches Wieda über den Klosterweg die Klosteranlage von hinten her aufrollen.

 

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Textfeld: Reste der monumentalen Klosterkirche

 

So erreichen wir die Klosteranlage zwar gut zu Fuß, aber für Pilger nicht standesgemäß, nämlich über den Parkplatz -, als wären wir mit dem Automobil angekommen. Dies hatte wiederum den Vorteil, dass uns die hoch aufragende Ruine der ehemaligen Klosterkirche unmittelbar ins Auge fiel – beeindruckend.

Meine Kamera kommt das erste Mal zum Einsatz.

 

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Die Rückseite der monumentalen Klosterkirche

 

Selbst von der Rückseite der sakralen Ruine kann man die gewaltigen Ausmaße des Klosters erahnen – wie vermögend es wohl einmal gewesen sein muss.

Wenig später erreichen wir den Mühlplatz, eine Art zentraler Platz oder Marktplatz vor der Klosteranlage, auf dem wir erst einmal ein schattiges Plätzchen für eine Obstpause suchen: So viel Zeit muss sein, bevor wir zur Besichtigung des Zisterzienserklosters mit dem darin eingerichteten Museum übergehen.

Zwischenzeitlich versuche ich nochmals, Herrn Jütte zu erreichen, doch seine weitere Unerreichbarkeit bescherte uns, insbesondere mir als Organisator, weitere Unruhe.

„Jetzt geht es erst einmal ins Museum“, sprach Günther ein Machtwort.

An der Glastür des Eingangs zum Klostermuseum steht geschrieben:

„Nur der Geist soll eintreten, denn das Fleisch ist hier zu nichts nütze.“ Das Zitat von Bernhard v. Clairvaux verstehen wir gut, unser Fleisch werden wir auch noch anderweitig brauchen. Nach anderthalb Stunden Führung, die wirklich sehr ausführlich und kompetent war, rufen unsere Mägen nach dem Mittagstisch im Bischoffs-Eck, gleich gegenüber dem Klostermuseum am besagten Mühlplatz.

„13.00 Uhr in Deutschland“, sagte ich erleichtert mit einem sarkastischen Unterton. Endlich habe ich auch Herrn Jütte telefonisch erreicht. „Ja, na ja, bin ja da“, stammelte er etwas und versucht, sich damit zu entschuldigten, es hätte sich noch etwas Unvorhergesehenes ergeben und er könne im Auto während der Fahrt das Telefongespräch nicht abnehmen.

„Wenn Sie mir sagen, wo ich Sie treffe, bin ich in x plus 25 Minuten bei Ihnen“, sagte er fast militärisch, um uns weiter zu beruhigen. Herr Wolfgang Jütte, Diakon der kath. St.-Andreas-Gemeinde aus St. Andreasberg, hat uns noch beim Mittagessen angetroffen und setzte sich sofort zu uns an den Tisch.