Herr Hansen

 

Vorwort:

"Gruselzeit" ist eine E-Buchserie, mit einzelnen in sich abgeschlossenen Geschichten.

Raffiniert verpackte Stories, die zum Schmunzeln, Gruseln und vielleicht auch zum Nachdenken anregen werden.

Geschichten, die vielleicht genau so geschehen sein könnten.

Geschichten, die vielleicht sogar genau so geschehen sind?

Lassen Sie sich einfangen von harmlosen Geschehnissen, die Ihnen vielleicht unbedeutend erscheinen mögen.

ABER... das überraschende Ende kommt ja bekanntlich zum Schluss.

Fröhliche Gruselzeit.

Und..., halten Sie die Augen offen, wenn Sie das nächste Mal durch eine alte Eichenallee kommen.

                               

Danksagung:

Danke an meine treue Leserschaft.

                                                   

Herr Hansen

Seit gut zwölf Jahren fuhr Herr Hansen jeden Werktag diese Strecke.

Früh morgens fuhr er mit seinem Auto zur Arbeit und am Abend wieder nach Hause.

Zwölf lange Jahre.

Tagaus, tagein.

Fünf Mal pro Woche.

Von Montag bis Freitag.

Und jeden Tag wiederholte sich das gleiche Ritual.

Quietschend öffnete sich das blecherne, hellblaue Garagentor, das im Laufe der Jahre deutliche Roststellen bekommen hatte und auch die eine oder andere Delle aufwies. Schon lange hätte er daran etwas ausbessern sollen, denn es klemmte bereits beim Öffnen. Was er als deutliches Zeichen interpretierte, dass auch die Aufhängung unter seiner Vernachlässigung an Pflege litt. Beharrlich ignorierte er diese Tatsache jedoch.

An jedem Arbeitstag zwängte er sich zwischen der schlecht verputzten, bröckelnden Innenseite der Garage vor, bis zu der Fahrertüre seines Wagens. Auch sein Auto hatte unter der Gleichgültigkeit seiner Behandlung gelitten. So war die Kante der Fahrertüre, durch das ständige gegen die Wand schlagen inzwischen verschrammt und verrostet. Überhaupt war sein Wagen in einem erbärmlichen Zustand. Aber nicht nur äußerlich sah sein Gefährt ziemlich verwahrlost aus. So hatte sich die linke Wange des Fahrersitz durch das tägliche Darüber rutschen in seine Einzelteile aufgelöst, was Herr Hansen notdürftig mit Panzerklebeband kaschierte. Der beißende Geruch von kaltem Rauch, der übervolle Aschenbecher und der ebenso verdreckte Innenraum taten ihr Übriges, um das Gefährt an eine rollende Müllhalde zu erinnern.

Rückwärts zirkelte er den Wagen aus der engen Garage, wobei seit einigen Tagen der Keilriemen beim Starten des Motors quietschend seine Unmut Kund tat, sich ständig im Kreis drehen zu müssen. Hansen war klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis sich der hart gewordene Keilriemen in Einzelteilen aus dem Motorraum verabschieden würde. Aber er hatte seine Gründe, nicht in die Werkstatt zu fahren. Langsam überquerte er die kleine Hofeinfahrt, entlang den lieblosen, ungepflegten Blumenbeete, die seine Einfahrt säumten.

Eigentlich waren es gar keine richtigen Blumenbeete. Nicht mehr, denn auch um sie hatte sich Herr Hansen seit geraumer Zeit nicht mehr gekümmert. So hatten sich die Pflanzstreifen in eine eher zufällige Ansammlung von wild wachsendem Unkraut verwandelt, das die ehemals gepflanzten Rabatten bereits überwuchert hatte. Und selbst das Unkraut, das so vor sich hin wuchs, hatte überwiegend seinen Lebensmut verloren und war vertrocknet. So sah der Bereich vor der Garage einfach nur noch hässlich aus.

Des Öfteren war Herr Hansen absichtlich beim Ausparken aus der Garage über die verkümmerten und hässlich aussehenden Beete gefahren. Immer wenn ihm danach war. Und jedes Mal verspürte er im Anschluss eine gewisse Befriedigung. Wer sollte es ihm auch verbieten. Schließlich waren es ja seine Blumen-Unkraut-Trockenbeete. Und er hatte alle Macht darüber.

Der Weg führte Herr Hansen anschließend ein Stück durch das Dorf, in dem er seit diesen zwölf Jahren lebte. Vorbei an der einzigen Tankstelle weit und breit, an der er den Wagen mit Sprit, und sich selbst morgendlich auch schon mal mit einem kleinen Fläschchen hochprozentigem Treibstoff, versorgte. Dann ging es vorbei an dem einzigen Bäcker im Dorf, bei dem er aber nur ungern zum Einkaufen ging.

Der Dorfbäcker, von dem Herr Hansen nur den Vornamen kannte, war ein unappetitlicher Typ. Jeder sprach den dickbäuchigen Mann nur mit Willi an.

Herr Hansen kannte den Bäcker Willi nur unrasiert und mit fettigen Haaren, die er zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte. Und Willi schwitzte immer. Egal ob Sommer oder Winter. Nicht viel besser war seine Frau Uschi mit ihren  offensichtlich selbst gefärbten, roten Haaren und einer behaarten Warze auf der linken Wange.

Jeder hier im Dorf kannte Willi und Uschi. Und sie kannten jeden, der bei ihnen zum Einkaufen kam. Doch auch wenn sie jemanden nicht kannten, sprachen sie ihn sogleich mit "Du" an.

So war es auch, als Herr Hansen das erste Mal die Bäckerei betreten hatte. Das konnte er auf den Tod nicht ausstehen. Er sagte zu niemandem "Du" und erwartete daher von den Anderen den nötigen Respekt, in Verbindung mit einem angemessenen "Sie". Aber darauf konnte er bei dem Bäckerpaar lange warten.

Herr Hansen hatte sogar den Eindruck, dass dieser Willi und diese Uschi ihn besonders intensiv mit "Du" ansprachen, nur um ihn damit zu ärgern. Dafür hasste Herr Hansen die beiden doppelt.

Nachdem er die Tankstelle und den Bäcker passiert hatte, musste er sich nach links halten, in Richtung der kleinen Kirche mit dem Zwiebelturm. Das Gotteshaus kannte er nur von außen. Warum sollte er auch in die Kirche gehen?

Seinen letzten Besuch in einer Kirche, hatte er in sehr schlechter Erinnerung behalten. Es war seine eigene kirchliche Trauung.

Jedoch hatte der Kirchenbesuch und Gottes Segen seine Ehe nicht davor retten können, dass sie bereits kurze Zeit später wieder geschieden wurde. Herr Hansen bereute es noch immer sehr, dass er überhaupt diese Ehe mit Nittaya eingegangen war.

Er hatte sie in Thailand kennengelernt. Seinem ersten großen Urlaub überhaupt. Es war ihm klar, dass Pattaya die Hochburg für Sextourismus war. Aber da er keinerlei Absichten in diese Richtung hatte, dachte er davor gefeit zu sein. Bis ihm diese Nittaya über den Weg lief. Sie sprach perfekt Deutsch und war auch sonst sehr gebildet. Eben keine von diesen, die es auf das Eine anlegten. Und in seiner zweiten Urlaubswoche war es auch schon um ihn geschehen. Er verliebte sich sogar in das Mädchen mit den großen dunklen Kulleraugen, der makellos, seidig glänzenden Haut und ihren tiefschwarzen popolangen Haare. Ein fataler Fehler, wie sich kurz darauf heraus stellte. Herr Hansen lud Nittaya zu sich nach Deutschland ein und sie lies nicht mehr von ihm ab. Rückwirkend betrachtet, war ihm klar, dass das alles von vornherein ein abgekartetes Spiel war. Der klassische Urlaubsflirt mit Folgen. Vor allem in finanzieller Hinsicht.