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MUSIK-KONZEPTE Neue Folge

Die Reihe über Komponisten

Herausgegeben von Ulrich Tadday

Heft 187

Stefan Heucke

Herausgegeben von Ulrich Tadday

Januar 2020

Wissenschaftlicher Beirat:

Ludger Engels (Aachen, Regisseur)

Detlev Glanert (Berlin, Komponist)

Jörn Peter Hiekel (HfM Dresden/ZHdK Zürich)

Birgit Lodes (Universität Wien)

Laurenz Lütteken (Universität Zürich)

Georg Mohr (Universität Bremen)

Wolfgang Rathert (Universität München)

Print ISBN 978-3-86916-829-6
E-ISBN 978-3-86916-831-9

Umschlaggestaltung: Thomas Scheer

Umschlagabbildung: Porträt Stefan Heucke 2018, Foto: Ursus Samaga

Die Hefte 1–122 und die Sonderbände dieses Zeitraums wurden von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn herausgegeben.

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2020

Levelingstraße 6a, 81673 München

www.etk-muenchen.de

Inhalt

Vorwort

Norbert Lammert
»Ich will Geschichten erzählen«
Eine Bemerkung zu Stefan Heuckes kompositorischer Intention

Tobias Knickmann
Zwischen Autorität und Authentizität
Zum kompositorischen Gedenken Stefan Heuckes an die NS-Verfolgung

Andrea Breimann
Zu Stefan Heuckes Sonaten

Matthias Lotzmann
Die Variation als kompositorische Form bei Stefan Heucke

Jürgen Heidrich
Kunst im Zeichen der Ökumene
Stefan Heuckes Deutsche Messe op. 80 in der Gattungsgeschichte

Dominik Höink
Komponierte Erinnerungskultur in traditioneller Form?
Eine Annäherung an Stefan Heuckes Oratorium Nikolaus Groß op. 62

Michael Custodis
»Dazwischen«
Musikalische Moderne und gesellschaftliches Bekenntnis

Abstracts

Bibliografische Hinweise

Zeittafel

Autorinnen und Autoren

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Vorwort

Stefan Heucke (*1959) lässt das Verzeichnis seiner Werke mit den Drei Liedern nach Gedichten von Georg Trakl op. 1 beginnen, die Ende der 1970er Jahre entstanden sind. Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre, als er mit der Uraufführung seiner Vier Orchesterstücke op. 5 beim »Forum junger deutscher Komponisten für Orchestermusik« ausgezeichnet wurde, ist Stefan Heucke als Komponist in der Öffentlichkeit präsent. Seitdem ist sein Werkkatalog auf annähernd 100 Kompositionen angewachsen: Opern, Oratorien, Sinfonien, Konzerte, geistliche Musik, Kammermusik und Lieder belegen eindrücklich, dass er die musikalischen Gattungen in ihrer Breite bedient und sich als zeitgenössischer Komponist der Tradition der deutschen Kunstmusik seit dem 18. Jahrhundert verpflichtet fühlt. Heuckes Werke werden von einem christlich-humanistischen Geist getragen, ohne diesen ostentativ zur Schau zu stellen. In diesem Sinne legen sie kompositorisches Zeugnis ab, mit dem wir uns kritisch reflexiv auseinandersetzen sollen; hierin liegt das politische Moment im Schaffen von Stefan Heucke.

Nach einem Geleitwort Nobert Lammerts lenkt Tobias Knickmann den Blick eben auf jenes politische Moment, das an bezeichnender Stelle offen zutage tritt: Die Rede ist von den Kompositionen Heuckes, die im Kontext der NS-Verfolgung zu verstehen sind, insbesondere von der Sonate für Oboe und Klavier mit Männerchor op. 55, deren ideeller Gehalt vom Autor strukturanalytisch verständlich gemacht wird. Von hier aus spannt sich der Faden gattungstypologisch allgemein zu Stefan Heuckes Sonaten, die Andrea Breimann von avantgardistischen Vorurteilen befreit, indem sie deren narrative und kommunikative Dimension für uns erschließt. Wie sehr sich die Musik Stefan Heuckes überkommenen Klischees von Alt oder Neu entzieht, wird durch den Beitrag von Matthias Lotzmann deutlich, der die Variation als kompositorische Form bei Stefan Heucke untersucht, wobei die Variation nicht als bloße Form, sondern vielmehr als Varianz der Vergegenwärtigung von Geschichte verstanden werden will. Im Anschluss daran geht Jürgen Heidrich Heuckes Deutscher Messe op. 80 auf den Grund, und zwar sowohl in musik- und gattungsgeschichtlicher Hinsicht als auch in Hinsicht auf die dahinterstehende Intention des Komponisten. In gewisser Weise knüpft Dominik Höinks Analyse des Oratoriums Nikolaus Groß op. 62 daran an und schlägt von der Gattungsgeschichte eine Brücke zum politischen Bekenntnis, das mit dem Werk einhergeht. Am Ende des Bandes schließt sich der Kreis, indem Michael Custodis den Komponisten Stefan Heucke im ästhetisch-politischen Diskurs gewissermaßen verortet, als einen Komponisten und Menschen, der sich ideologisch nicht vereinnahmen lässt, sondern sein musikalisches Urteil in unserer und über unsere Gegenwart kompositorisch, ästhetisch und auch politisch in kritischer Unabhängigkeit behauptet.

Der Herausgeber dankt allen Autorinnen und Autoren sehr, in ganz besonderem Maße Michael Custodis.

Ulrich Tadday

Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages a. D.

»Ich will Geschichten erzählen«

Eine Bemerkung zu Stefan Heuckes kompositorischer Intention

Derart schlicht beschreibt Stefan Heucke die Intention seines kompositorischen Schaffens. Sein Œuvre ist derweil außergewöhnlich, umfasst es doch inzwischen über 100 einzelne Werke und besticht durch eine enorme stilistische Bandbreite und thematische Vielseitigkeit für einzelne Instrumente wie für Kammermusik-Ensembles, für große Orchester wie für Chöre. Eng ist die Bindung vieler seiner Kompositionen an literarische Vorlagen, die geprägt sind von den großen Menschheitsfragen: Leben und Tod, Gott und Religion, Liebe und Leidenschaft, Schuld und Sühne. Stefan Heucke widmet sich uralten Fragen, die unverändert aktuell sind, und spürt ihnen in der ihm eigenen, individuellen Sprache der Musik nach. Er erzählt mit seinen Werken gewissermaßen Geschichten über Geschichten.

So inspirierte ihn das Gilgamesch-Epos, eines der ältesten kulturellen Zeugnisse der Menschheit, zur Komposition des großen Tanzoratoriums Die Ordnung der Erde. Zur Eröffnung des Bochumer Konzerthauses 2016 nahm der Wahl-Bochumer sich der jüdischen Tradition an und widmete sich einem hebräischen Segensgebet für vielfältigen Dank an Gott, sowohl für Dinge des leiblichen Wohls als auch für alles, was Geist und Seele anregt: Baruch ata Adonai – eine eindrucksvolle Kantate als Segenswunsch zur Fertigstellung des Konzerthauses und für dessen gute Zukunft.

Mich persönlich verbindet mit Stefan Heucke nicht allein die Tatsache, dass ihm meine Geburtsstadt Bochum seit über 20 Jahren eine zweite Heimat ist. Vor allem unsere gemeinsame Leidenschaft für die Musik führte uns in den vergangenen Jahren immer wieder zusammen und dabei auch zur Entwicklung gemeinsamer Projekte: Ich denke gerne zurück an »Pater noster« und dessen Vertonung in dem Chorwerk Unser Vater und an die im Luther-Jahr 2017 uraufgeführte Deutsche Messe für vier Soli, Chor und Orchester.

Zu meinen eindrücklichsten musikalischen Erfahrungen der letzten Jahre zählen seine Symphonischen Variationen über die Hirtenweise aus Wagners Tristan und Isolde. Und mit seinen Variationen mit Haydn für Klavier hat er nicht nur zur Melodie der späteren deutschen Nationalhymne Politik und Geschichte musikalisch verbunden, er hat – sehr zu meiner Freude – meinem Abschied aus dem Deutschen Bundestag eine ganz besondere künstlerische Note verliehen.

Dieser Band aus Anlass des 60. Geburtstages von Stefan Heucke ist eine willkommene Gelegenheit, den Komponisten und sein Gesamtwerk zu würdigen. Seine herausragende musikalische Begabung, sein künstlerisches Schaffen und sein kompositorisches Können werden sein Œuvre – so ist zu hoffen – auch in Zukunft beständig wachsen und gedeihen lassen. Es gibt noch viele Geschichten zu erzählen.