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2., aktualisierte Auflage 2018

© 2014 Stefan Bergmann

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7357-5215-4

Inhalt

Vorwort zur zweiten Auflage

Als die erste Auflage dieses Buches 2013/2014 entstand, befand sich Deutschland mitten in der Bewältigung der sogenannten Finanzkrise. Die wirtschaftlichen Rahmendaten waren nicht besonders gut, die Arbeitslosigkeit noch vergleichsweise hoch und die Staatsschulden befanden sich auf einer Rekordhöhe von rund 80 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts – weit über den erlaubten Defizitkriterien, die bei der Einführung des Euro unter den europäischen Staaten einmal vereinbart worden waren. Aus diesem Grund waren die Annahmen in diesem Buch allesamt sehr vorsichtig getroffen worden, und das vorgeschlagene Grundeinkommen war mit monatlich 750 Euro (zuzüglich Krankenversicherungskosten) für einen Erwachsenen relativ bescheiden angesetzt. Zugleich wurde jedoch betont, dass für die Zukunft mit einer erheblichen Verbesserung der staatlichen Finanzlage zu rechnen ist, was eine Anhebung des Grundeinkommens und eine Senkung der nötigen Steuern zur Gegenfinanzierung erlauben würde. Aus diesem Grund war auch darauf verzichtet worden, die damaligen statistischen Daten bis auf die dritte Stelle nach dem Komma zu berücksichtigen, sondern es wurde mit den maßgeblichen Größenordnungen kalkuliert.

Das damals Erwartete ist vollumfänglich eingetreten: die konjunkturelle und fiskalische Lage hat sich erheblich aufgehellt. Es kann nun überhaupt kein Zweifel mehr daran bestehen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzierbar ist. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, das Buch zu aktualisieren und mit neuen Annahmen zu kalkulieren, wohl wissend, dass auch diese in einigen Jahren wieder überholt sein werden. Aber wenn man eine Diskussion über Kosten und Nutzen eines Grundeinkommens führen möchte, sollte man für eine realistische Argumentation stets mit den aktuellen Preisen, Einkommen und Existenzminimumbeträgen rechnen.

Die starke Zunahme der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 hat mehrere Erkenntnisse gebracht. Erstens: Die Kosten für soziale Ausgaben werden von vielen Bürgern und den meisten politischen Entscheidungsträgern massiv überschätzt. Während in den Talkshows und Zeitungsartikeln bereits vor dem totalen Zusammenbruch der Staatsfinanzen gewarnt wurde, hat sich in der Praxis gezeigt, dass die vermehrten Ausgaben für die Flüchtlinge nicht einmal zu einer erkennbaren Delle im Staatshaushalt geführt haben – was jedem, der Statistiken lesen kann, von Anfang an klar sein musste. Das Anliegen dieses Buches, für eine realistische Abschätzung der Ausgaben für ein Grundeinkommen zu sorgen, ist daher nach wie vor aktuell.

Zweitens wurde deutlich, dass Sozialausgaben nie isoliert betrachtet werden dürfen: Jeder Euro, der im Inland für soziale Zwecke ausgegeben wird, spiegelt sich eins zu eins in einer Umsatzsteigerung der inländischen Unternehmen wider. Man darf also bei einem Grundeinkomme nicht nur in Kostenbegriffen denken, sondern muss sehen, dass es sich lediglich um eine Umverteilung der vorhandenen Kaufkraft handelt, in der Regel ohne Auswirkungen auf die Konjunktur.

Drittens hat sich auch gezeigt, dass der Staat auf die neue Aufgabe völlig unvorbereitet war und es über ein Jahr gedauert hat, bis ein geordnetes Verfahren für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge gefunden war. In der Übergangszeit mussten vor allem ehrenamtlich tätige Bürger und die Kirchen das Versagen des Staates auffangen. Bei der Einführung eines Grundeinkommens, das faktisch die gesamte inländische Bevölkerung erfasst, wäre ein solches Staatsversagen verheerend. Es ist also essentiell, dass die Einführung eines Grundeinkommens sorgfältig geplant wird. Noch besser wäre es, wenn die Einführung des Grundeinkommens schrittweise – so wie in diesem Buch vorgeschlagen – erfolgen würde, da man dann die Einführungsprobleme zeitlich entzerrt und beherrschbar macht.

Viertens schließlich hat die aufkommende Diskussion um die Flüchtlingszahlen auch gezeigt, dass es, bevor ein solch großes Projekt wie die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens angegangen wird, einer breit angelegte Diskussion und einer tragfähige Vereinbarung mit allen relevanten Gruppen und zu allen relevanten Details braucht, damit alle das Gefühl haben, dass die Entscheidungsträger wissen, was auf uns zukommen wird. Sobald Probleme auftreten, mit nicht vorher einkalkuliert waren, werden in Teilen der Bevölkerung massive Ängste aufkommen, die nach unserem politischen System voraussichtlich dazu führen würden, dass der Einführungsprozess längerfristig blockiert würde und die Behörden nicht mehr arbeitsfähig wären. Auch diesbezüglich will dieses Buch einen ersten Beitrag leisten.

Daneben darf man aber die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht lediglich ökonomisch und verwaltungstechnisch betrachten, sondern muss sich bewusst machen, dass es sich dabei vor allem um ein globales Zivilisationsprojekt handelt, vergleichbar mit der Abschaffung der Sklaverei und der Aufhebung der Wehrpflicht. Auch gegen diese Fortschritte hat es massive Widerstände gegeben: Die Plantagenbesitzer in den US-amerikanischen Südstaaten befürchteten bei einer Abschaffung der Sklaverei den Zusammenbruch der Wirtschaft, und es bedurfte erst eines blutigen Bürgerkriegs, ehe das selbstverständliche Menschenrecht – persönliche Freiheit für jeden Bürger, gleich welcher Hautfarbe – zumindest als Grundsatz durchgesetzt werden konnte. Die Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit war ebenfalls von Widerständen begleitet, die auch mit der Sorge um das Wohl des Landes – hier bezogen auf die Verteidigungsfähigkeit – begründet wurde.

So ist es auch bei den Widerständen gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens: Wer Deutschland bedroht sieht, sei es auch nur durch eine vermeintliche ökonomische Bedrohung, der möchte, dass die Wirtschaft vor allem schlagkräftig bleibt, und derjenige wird auch nicht wollen, dass die Schlagkraft der Wirtschaft vermeintlich dadurch gefährdet wird, dass die Arbeitnehmer die individuelle Freiheit erlangen, sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu Wehr zu setzen – selbst wenn er selbst von schlechten Arbeitsbedingungen betroffen ist.

Gegen diese irrationalen Ängste sind weder die Ökonomen gefeit, die in den Talkshows über Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit dozieren, noch die Politiker, die vorgeben, es vermeintlich gut mit den Bürgern zu meinen, wenn sie von einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik sprechen. Um es deutlich auszudrücken: Die Bedenken gegen das bedingungslose Grundeinkommen sind nicht ökonomisch, sondern nur emotional begründbar.

Natürlich erzeugt diese Kampfeinstellung auch auf Seiten des ökonomischen Gegners die entsprechenden Gegenmaßnahmen zur Steigerung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sodass sich am Ende hochgerüstete Wirtschaftsblöcke gegenüberstehen, die sich im Handelskrieg miteinander wähnen. So hatte sich David Ricardo den Freihandel seinerzeit eigentlich nicht vorgestellt.

Das bedingungslose Grundeinkommen würde diesen fatalen Kreislauf durchbrechen. Wer weiß, dass er bedingungslos abgesichert ist, sieht sich nicht durch ausländische Wirtschaftsmächte bedroht und wendet sich den wirklich wichtigen Fragen des Lebens zu: Wie viel will ich leisten? Was brauche ich zum Leben? Wo kann ich mich einbringen?

Bis zu diesem fernen Zeitpunkt sind aber noch viele dicke Bretter zu bohren. Mit diesem Buch möchte ich ein wenig mithelfen, das Projekt bedingungsloses Grundeinkommen – sowohl als sinnvolles ökonomisches Projekt, aber auch als Friedensprojekt – weiter voranzubringen.

Vorwort zur ersten Auflage

Die Forderung, jedem Bürger seitens des Staates bedingungslos ein Grundeinkommen zur Sicherung des Existenzminimums zu gewähren, ist bereits weit über einhundert Jahre alt. Anfangs vertraten diese Idee nur einige wenige Visionäre. Im Laufe der Zeit gewann die Idee jedoch Stück für Stück immer mehr Anhänger. Inzwischen ist die Diskussion um die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Von einer ursprünglich utopischen Vision hat sich das Grundeinkommenskonzept nunmehr zu einer ernstzunehmenden politischen Forderung entwickelt. Man kann mittlerweile von einer breiten, weltweit vernetzten Bewegung sprechen, die langsam, aber stetig immer mehr an Fahrt gewinnt. Und mit Brasilien gibt es inzwischen auch ein erstes Land, das ein Recht seiner Bürger auf ein bedingungsloses Grundeinkommen in die Verfassung aufgenommen hat.

Nahezu jedem ist also inzwischen die dahinter stehende Idee bekannt und man ist entweder ein glühender Anhänger oder ein entschiedener Gegner des Konzeptes. Die Gegner eines Grundeinkommens verweisen immer wieder darauf, dass die Idee zwar gut gemeint, aber nicht umsetzbar sei, weil nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens niemand mehr arbeiten gehen würde und daher Staat und Wirtschaft binnen kurzer Zeit bankrott wären. Dem widersprechen die Anhänger eines Grundeinkommens entschieden. Sie glauben daran, dass die Menschen auch dann noch Sinn in ihrer Arbeit finden würden, wenn sie nicht mehr aus existenzieller Not darauf angewiesen wären, jede sich bietende Arbeit anzunehmen. Die Anhänger der Grundeinkommensidee berufen sich auf den Freiheits- und Gerechtigkeitsgewinn, der eintreten würde, wenn man jedem Bürger zur Deckung seines Existenzminimums ein gleiches Einkommen überweisen würde, auf die enorme Vereinfachungswirkung bezüglich der Sozialsysteme und auf wegfallende Verwaltungskosten. So warb beispielsweise die belgische Collectif Charles Fourier 1984 mit folgenden mitreißenden Worten für ein Grundeinkommen:

»Streichen Sie Arbeitslosengeld, gesetzliche Rentenversicherung, bestehende Sozialleistungen und garantierte Mindestlöhne, Kindergeld, Steuererleichterungen und -pauschalen für häusliche Pflegeleistungen, Stipendien, Beschäftigungsanreize, staatliche Subventionen für marode Unternehmen! Überweisen Sie jedem Bürger statt dessen jeden Monat eine zur Deckung der Grundbedürfnisse einer einzelnen Person hinreichende Summe, ob diese Person nun arbeitet oder nicht, ob sie arm ist oder reich, ob sie alleine lebt, Familie hat, mit einem Lebenspartner zusammenlebt oder verheiratet ist, ob sie früher gearbeitet hat oder nicht … Tun Sie all dies und beobachten Sie dann, was passiert.«1

Nun, was würde eigentlich passieren, wenn man genau so verfahren und von einem bestimmten Stichtag an – unter Streichung aller anderen Sozialleistungen – ein regelmäßiges Grundeinkommen an alle Bürger auszahlen würde? Sicherlich würden einige Arbeitnehmer in der ersten Euphorie über das eingehende Geld ihren Beruf spontan an den Nagel hängen; andere würden in eine Teilzeitbeschäftigung wechseln und wieder andere würden weiter zur Arbeit gehen wie zuvor. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt wären sicherlich zunächst überschaubar.

Was man jedoch auf jeden Fall beobachten könnte, wäre, dass die Behörde, die mit der Auszahlung des Grundeinkommens beauftragt wäre, in der Anfangszeit hoffnungslos überfordert wäre. Berge von unbearbeiteten Anträgen würden sich in den Amtsstuben stapeln; auf den Behördenfluren würden sich wütende Horden von Arbeitslosen drängen, die die dringend benötigte Unterstützung für sich und ihre Familien einfordern würden. Telefonisch würden viele Bürger die Behörde wieder und wieder mit Nachfragen bombardieren, wann denn nun endlich mit dem Eingang der Zahlungen zu rechnen ist.

Dies wären jedoch nur die direkten Umstellungsprobleme, die sich sicherlich mit massivem Personaleinsatz innerhalb eines Jahres bewältigen ließen. Wären dies die einzigen Probleme bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, so könnte man sie in Kauf nehmen. Aber die Probleme gingen sehr wahrscheinlich auch nach der Einführungsphase weiter:

Man würde beobachten können, dass die Regierung mit dem Abbau der Subventionen und dem Streichen der Sozialleistungen bei Weitem nicht so schnell vorankommt wie gehofft. Bei den Gerichten würde es massenhaft zu Klagen von Bürgern und Unternehmen kommen, die geltend machen, dass gerade ihre Subvention oder ihre Sozialleistung nicht durch das Grundeinkommen entfallen dürfe, sondern weiter neben dem Grundeinkommen gezahlt werden müsse. Die Gerichte würden Jahre brauchen, ehe höchstrichterlich für alle Sozialleistungen und Subventionen geklärt wäre, inwieweit deren Abschaffung verfassungskonform war (oder eben nicht).

Viele Rentner, die nunmehr statt ihrer bisherigen Rente nur noch ein Grundeinkommen erhielten, würden gegen diese »Enteignung« protestieren und auf die Straße gehen. Der Staat wäre gezwungen, durch Zuschüsse zum Grundeinkommen das gewohnte Rentenniveau wieder herzustellen. Gegen diese Maßnahme würden wiederum die Jüngeren protestieren, die diese Zuschüsse mit ihren Steuern finanzieren müssten, aber infolge des Wegfalls der gesetzlichen Rentenversicherung selbst nicht mehr in der Lage wären, für sich ähnliche Rentenanwartschaften anzusparen.

Aufgrund dieser Probleme würde der Staat zunächst viel mehr Geld ausgeben als veranschlagt. Bei einem Land wie Deutschland wäre vermutlich zu beobachten, dass das Staatsdefizit binnen Jahresfrist um Hunderte Milliarden Euro ansteigen würde. Der Staat wäre gezwungen, sich erheblich zu verschulden, um das Grundeinkommen regelmäßig und pünktlich auszahlen zu können. Doch die Geldanleger an den Kapitalmärkten würden auf die Rückzahlung der Staatsanleihen des betreffenden Landes nicht mehr vertrauen und würden dem Land entweder gar kein Geld mehr oder nur noch Gelder zu astronomischen Zinssätzen leihen. Dadurch würde die Staatsverschuldung weiter massiv ansteigen. Binnen zwei oder drei Jahren wäre das zuvor blühende Land dann tatsächlich bankrott und müsste die Auszahlung des Grundeinkommens wieder stoppen. Dass das angewandte Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens zuvor von Finanzwissenschaftlern gründlich durchgerechnet worden war und die Gegenfinanzierung eigentlich als sicher erschien, würde dieses Desaster nicht verhindern können.

Würde irgendein Land dieser Erde auf die beschriebene Weise vorgehen und den Versuch der schlagartigen Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens unternehmen, so würde es sich selbst ins völlige ökonomische und finanzielle Abseits katapultieren und damit das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens auf lange Zeit diskreditieren. Die Grundeinkommensbewegung wäre faktisch tot.

Um die Grundeinkommensidee aber einem solchen Risiko des katastrophalen Scheiterns auszusetzen, ist die Idee zu bedeutsam für das Überleben des Sozialstaates im 21. Jahrhundert. Die Befürworter eines Grundeinkommens müssen sich daher ihrer wachsenden Verantwortung bewusst werden. Ihre Forderungen könnten irgendwann verwirklicht werden und dann wird das bedingungslose Grundeinkommen den Realitätstest bestehen müssen. Die Diskussion um das Grundeinkommen muss sich deshalb weg von entfernt liegenden Visionen und hin zur Frage der konkreten Machbarkeit im Hier und Jetzt bewegen. Es genügt nicht, die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens lediglich für gut und gerecht zu halten und die Zukunft in leuchtenden Farben zu malen. Es genügt auch nicht, daran zu glauben, dass die meisten Menschen nach Einführung eines Grundeinkommens weiter arbeiten gehen würden. Es genügt schließlich auch nicht, rechnerisch nachweisen zu können, dass die zusätzlichen Ausgaben für ein bedingungsloses Grundeinkommen durch Wegfall anderer Sozialleistungen oder Subventionen gegenfinanziert werden können.

Was nunmehr benötigt wird, sind konkrete Überlegungen, in welchen Schritten ein bedingungsloses Grundeinkommen in einem so entwickelten Sozialstaat wie Deutschland, der ein höchst kompliziertes Geflecht der verschiedensten Sozialleistungen aufweist, tatsächlich eingeführt werden könnte. Viele Fragen sind dabei zu beantworten, wie z.B.: Welche Auswirkungen hat die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens auf Steuern, Abgaben und Sozialversicherungssysteme? Welche Institutionen könnten entfallen, welche Institutionen würden neu hinzukommen? Wie viele Behördenmitarbeiter müssten eine neue Aufgabe erhalten? Um welche Beträge geht es ganz konkret, jeden Monat pro Person und pro Jahr für ganz Deutschland? Wie kann der Umstellungsprozess so gestaltet werden, dass auf der einen Seite bedürftige Personen nicht während der Umstellungsphase ohne durchsetzbare Ansprüche dastehen und der Staat nicht auf der anderen Seite Hunderte von Milliarden an Steuereinnahmen verliert? Wie kann gesichert werden, dass der Anreiz, eine Arbeitsstelle anzunehmen, stets ausreichend erhalten bleibt?

Diesen Fragen widmet sich das vorliegende Buch. Ausgangspunkt ist die feste Überzeugung, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens grundsätzlich gerecht wäre und nicht zu einem Zusammenbruch der Wirtschaft führen würde. Ausführlich soll geprüft werden, für wen und in welcher Höhe ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden könnte, was das Grundeinkommen eigentlich pro Jahr kosten würde und ob dies ganz konkret mit den vorhandenen Steuern und Abgaben finanzierbar wäre.

An dieser Stelle will das vorliegende Buch aber nicht stehenbleiben. Da die Antwort hinsichtlich der grundsätzlichen Machbarkeit und Finanzierbarkeit positiv ausfällt, soll auch nach einem möglichen Weg gesucht werden, wie die Einführung praktisch vonstatten gehen könnte. Denn erst wenn man ganz konkret darlegen kann, wie und an welchen Stellen der vorhandene Sozialstaat Schritt für Schritt umgestaltet werden müsste und welche konkreten Auswirkungen diese Schritte hätten, kann man letztlich auch überzeugend vertreten, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens tatsächlich machbar und wünschenswert ist. Nur durch einen detaillierten Reformplan, der stimmig und umsetzbar erscheint, wird man hartnäckige Zweifler überzeugen können. Für die hierfür nötige breite Diskussion möchte dieses Buch einen Beitrag leisten.

Einführung

Zunächst soll zur Einführung kurz die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens skizziert werden; die wesentlichen dafür und dagegen sprechenden Argumente sollen zusammengefasst dargestellt werden. Schließlich wird am Ende dieses Abschnitts das hier vertretene Modell, dessen Finanzierbarkeit und Realisierbarkeit untersucht werden soll, in seinen Grundzügen vorgestellt.

Bedingungsloses Grundeinkommen – die Grundidee

Beginnen wir mit einer Begriffsklärung: Was ist eigentlich ein »bedingungsloses Grundeinkommen« (BGE)? Unter einem Grundeinkommen versteht man allgemein eine staatliche Sozialleistung, die unterschiedslos an alle Bürger zur Sicherung ihres Existenzminimums geleistet werden soll. Bedingungslos ist das Grundeinkommen dann, wenn es an jede Person auch ohne deren Bedürftigkeit und ohne die Erwartung einer Gegenleistung (z.B. Arbeitsbereitschaft) gezahlt werden würde2. Eine solche Sozialleistung gibt es bisher weder in Deutschland noch irgendwo anders. Das bedingungslose Grundeinkommen existiert bislang nur als Vorschlag bzw. als politische Forderung; weltweit hat es bis auf Ansätze noch keinen ernsthaften Versuch der Realisierung gegeben. Dennoch fasziniert die dahinter stehende Idee immer mehr Menschen wegen ihrer Einfachheit, Konsequenz und Radikalität:

Die Gegenargumente (und ihre Widerlegung)

Die genannten Gründe sind gewichtige und überzeugende Argumente, sodass man sich fragen kann, weshalb man eine solche Idee ablehnen sollte. Gleichwohl gibt es nach wie vor viele ernstzunehmende Gegner eines bedingungslosen Grundeinkommens. Gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens werden im Wesentlichen zwei Haupteinwände vorgebracht:

Je nach politischem Standpunkt des Kritikers werden häufig auch folgende weitere Einwände vorgebracht:

Mit der Frage der Finanzierbarkeit eines Grundeinkommens haben sich bereits etliche Autoren und Wirtschaftsinstitute beschäftigt. Dabei hängt das gefundene Ergebnis hauptsächlich von der Erwartungshaltung der Autoren ab. Treffen sie optimistische Prognosen bezüglich der möglichen Einsparungen, so kommen sie zu dem Ergebnis, dass eine Finanzierung problemlos möglich ist (das »Institut für neue soziale Antworten« ermittelt beispielsweise einen jährlichen Überschuss von gut 58 Milliarden Euro3). Treffen sie pessimistische Annahmen über die künftige Erwerbsbereitschaft der Menschen, so müssen sie zu dem Ergebnis kommen, dass eine Finanzierung scheitert (der Sachverständigenrat der Bundesregierung geht beispielsweise von einer Unterfinanzierung im Umfang von 227 Milliarden Euro jährlich aus4).

Das vorliegende Buch widmet sich an späterer Stelle ebenfalls ausführlich der Finanzierbarkeit und kommt bei realistischen bis eher skeptischen Grundannahmen zu dem Ergebnis, dass die Finanzierbarkeit grundsätzlich gegeben ist. Voraussetzung ist allerdings das Vorhandensein einer produktiven und hoch entwickelten Volkswirtschaft wie die der Bundesrepublik Deutschland. Noch leichter wäre die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens natürlich in wirtschaftlich noch stärkeren Ländern wie z.B. der Schweiz, in der die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auch viele Anhänger hat. Mit Blick auf die notwendigen ökonomischen Rahmenbedingungen kann man sagen, dass sich das Fenster für eine mögliche Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Höhe des Existenzminimums für die wirtschaftlich stärksten Länder dieser Erde gerade erst zu öffnen beginnt. Für Entwicklungsländer dürfte dagegen noch auf lange Sicht keine Aussicht auf eine Finanzierbarkeit eines existenzsichernden bedingungslosen Grundeinkommens gegeben sein, es sei denn, sie verfügen über reiche Vorkommen an Bodenschätzen.

Zudem sollten sich die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens davor hüten, überzogene Wünsche und Erwartungen zu wecken: Nach dem jetzigen Stand der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland nur in ungefährer Höhe des Existenzminimums bzw. knapp darüber finanziert werden (etwa 800 bis 1.000 Euro pro Person und Monat). Ein monatliches Grundeinkommen von bis zu 2.000 Euro, das zum Teil vorgeschlagen wird, wäre hingegen absolut utopisch und könnte aus der Wirtschaftskraft Deutschlands jetzt und auf absehbare Zeit keinesfalls aufgebracht werden.

Die Frage der Finanzierbarkeit steht und fällt natürlich mit der weiteren Erwerbsbereitschaft der Menschen nach Einführung eines Grundeinkommens. Die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Dabei handelt es sich offensichtlich um eine Glaubensfrage. Je nachdem, welches Menschenbild man von seinen Mitbürgern hat, wird man annehmen, dass die weitaus meisten Menschen nach Einführung eines Grundeinkommens weiter arbeiten gehen würden oder man befürchtet, dass zu viele Menschen ihren Job an den Nagel hängen würden. Das FORSA-Institut hat durch eine Umfrage im Oktober 2010 herausgefunden, dass bei einem Grundeinkommen von 800 Euro monatlich insgesamt nur 12 % der Befragten sich vorstellen könnten, ihren Job aufzugeben5. Doch sind solche Umfragen mit Vorsicht zu genießen: Kein Befragter, der angegeben hat, er würde trotz Grundeinkommens weiter arbeiten gehen, kann seriös vorhersagen, ob er nicht doch im Fall eines heftigen Streits mit seinem Chef kündigen würde. Und kein Befragter, der angegeben hat, er würde seinen Job aufgeben, kann sicher vorhersagen, dass er sich nicht nach einem Jahr freiwilliger Arbeitslosigkeit so sehr langweilen würde, dass er dann doch wieder auf Arbeitssuche ginge. Zu bedenken ist auch, dass sich die Arbeitgeber nach Einführung eines Grundeinkommens sicher sehr schnell auf die veränderten Umstände einstellen würden und sich bemühen würden, Arbeitsbedingungen zu bieten, unter denen sich ihre Arbeitnehmer am Arbeitsplatz deutlich wohler fühlen würden, als dies jetzt der Fall ist, um ihre Beschäftigten zu halten. Dagegen würde die Höhe der Entlohnung der Arbeit für die Arbeitnehmer an Bedeutung verlieren.

Zum Glück lässt sich die Beantwortung dieser Frage auf die lange Bank schieben: Die Frage, ob ein Grundeinkommen wirklich bedingungslos gewährt werden kann und soll, wird sich erst am Ende eines mehrjährigen Reformprozesses stellen. Dieser Reformprozess wird für alle Menschen mit erheblichen Veränderungen ihres verfügbaren Einkommens verbunden sein. Erst nach Durchführung aller nötigen Reformschritte ist es seriös, die dann erwerbstätige Arbeitnehmergeneration angesichts ihres nunmehr verfügbaren Einkommens zu befragen, ab welcher Höhe eines Grundeinkommens sie sich vorstellen könnten, ihren Beruf tatsächlich aufzugeben. Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Steuer- und Sozialsystems machen hingegen Umfragen zur hypothetischen Erwerbsbereitschaft nach Einführung eines Grundeinkommens keinen Sinn.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor kommt hinzu: Bis zur möglichen Einführung eines Grundeinkommens wird die Wirtschaft weiter wachsen und sich dabei strukturell verändern. Niemand kann jetzt sicher vorhersagen, wie hoch das Volkseinkommen in zehn oder fünfzehn Jahren sein wird und welchen Arbeitskräftebedarf die Volkswirtschaft dann haben wird. Erst in der Zukunft wird man auch zuverlässig errechnen können, wie hoch ein Grundeinkommen tatsächlich sein kann und welche Abgabenbelastung dadurch auf die Erwerbstätigen zukommen wird. Erst dann kann man auch belastbare Aussagen darüber treffen, ob nach Einführung eines Grundeinkommens noch genügend Anreize zur Arbeitsaufnahme verbleiben würden. Die jetzt getroffene Behauptung, bei Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würden zu viele Menschen ihre Erwerbstätigkeit aufgeben, ist jedenfalls weder durch Fakten belegt noch empirisch untersetzbar.

Auch die anderen Gegenargumente, die oben genannt wurden, greifen nach meinem Dafürhalten nicht durch: Natürlich müsste sich Deutschland im Fall der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens vor einer unkontrollierten Zuwanderung in die Sozialsysteme schützen, aber das muss Deutschland jetzt auch schon. Das bedingungslose Grundeinkommen würde in dieser Hinsicht keine neuartigen Probleme aufwerfen.

Ein Grundeinkommen stellt auch keine Verschwendung öffentlicher Gelder an Reiche dar. Wie noch gezeigt werden wird, ist die Auszahlung eines Grundeinkommens gerade auch an Reiche die hinreichende Rechtfertigung dafür, dass die Grundfreibeträge im Steuerrecht abgeschafft und die Steuersätze angehoben werden können. Durch diese Maßnahmen werden die Zahlungen an die Reichen überkompensiert und es findet im Gegenteil sogar eine Umverteilung von oben nach unten statt.

Schließlich greift auch das Argument der Erleichterung der Lohndrückerei und der Schwächung der Gewerkschaften nicht durch. Erst nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens kann es sich ein Arbeitnehmer überhaupt leisten, wie der Arbeitgeber als homo oeconomicus zu agieren, selbstbewusst um einen angemessenen Lohn zu verhandeln und ein zu schlechtes Lohnangebot auszuschlagen. Die Arbeitsplatzmobilität wird zunehmen und die Arbeitgeber werden gezwungen, konkurrenzfähige Löhne anzubieten. So werden viele Arbeitnehmer letztlich erst durch ein Grundeinkommen in die reale Lage versetzt, Löhne auszuhandeln, von denen sie sich Gewerkschaftsbeiträge überhaupt leisten können (gegenwärtig ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Beschäftigten gerade im Niedriglohnsektor eher gering). Die Gewerkschaften werden somit als Interessenvertreter der Arbeitnehmer gestärkt.

Was die Frage der Finanzierbarkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens betrifft, so wäre die Befürchtung einer möglichen Lohnsenkung auf breiter Front ohnehin kein durchgreifendes Gegenargument: Senkt der Arbeitgeber den Lohn seiner Arbeitnehmer, so steigert er damit seinen Gewinn. Löhne und Gewinne würden im Fall der Einführung eines Grundeinkommens gleich besteuert. So ist es für die Frage der Finanzierbarkeit eines Grundeinkommens letztlich egal, ob die nötigen Steuermittel aus den Löhnen der Arbeitnehmer oder aus den Gewinnen der Arbeitgeber aufgebracht werden.

Die genannten Gegenargumente sind daher nicht überzeugend; jedenfalls stehen sie der Inangriffnahme des Reformprojekts nicht von vorherein entgegen.

Die Notwendigkeit der Einführung eines
bedingungslosen Grundeinkommens auf lange Sicht

Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist nicht nur eine interessante Idee oder eine wünschenswerte Maßnahme zur Verbesserung des Gerechtigkeitsempfindens der Bevölkerung. Das bedingungslose Grundeinkommen stellt vielmehr die einzige tragfähige Antwort auf drei wesentliche Probleme unserer Gesellschaft dar, die in der Zukunft massive Belastungen verursachen werden, sodass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht nur als möglich und denkbar erscheint, sondern auf lange Sicht sogar zwingend geboten sein dürfte:

Die verschiedenen Modelle

An der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wird daher auf lange Sicht wohl kein Weg vorbeiführen. Aber wie soll dieses künftige Grundeinkommen im Einzelnen aussehen? Was genau hätten die Bürger zu erwarten? Zu dieser Frage wurde inzwischen eine Vielzahl von möglichen Modellen ausgearbeitet, die sich teils erheblich unterscheiden. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, alle vorgelegten Modelle auch nur vorzustellen. Es sollen lediglich die typischen Merkmale kurz umrissen werden, die die einzelnen Modelle unterscheiden: