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Sophie Reyer

DIE FREIHEIT DER FISCHE

Roman

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Gedruckt mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien

Reyer, Sophie: Die Freiheit der Fische / Sophie Reyer

Wien: Czernin Verlag 2019

ISBN: 978-3-7076-0659-1

© 2019 Czernin Verlags GmbH, Wien

Lektorat: Evelyn Bubich

Satz, Umschlaggestaltung: Mirjam Riepl

Coverbild: Biodiversity Heritage Library / A history of the fishes of the British Islands

Autorinnenfoto: Konstantin Reyer

Druck: Christian Theiss GmbH

ISBN Print: 978-3-7076-0659-1

E-Book: 978-3-7076-0656-0

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe in Print- oder elektronischen Medien

für Herta Müller

Der vorliegende Text basiert auf einer wahren Begebenheit.

Inhalt

FRÜHLING

1. Fensterblicke

2. Flugzeugschmerz

3. Mutterrund

4. Resiwölbung

5. Agathe, die Wut

6. Vaterschlagen

7. Herzensgrund

8. Fliegen

SOMMER

1. Agathe, Resi und die Spalten

2. Mädchengesichter

3. Heim zu den Fischen

4. Sommerwatte

5. Unfall

6. Klinik

7. Hungern

8. Resi rettet

9. Heimkehr

10. Vatererben

11. Die Freiheit der Fische

12. Heimgrund

13. Wieder Resiwölbungen

14. Festungen, Reichtümer

15. Fischdaheim

16. Wenn es sich zusammenrollt

HERBST

1. Vorbereitungen

2. Korn, das Leben

3. Ein Vaterschlagen kehrt zurück

4. Fortdauern

5. Schreiende Körper

6. Müdigkeit

7. Krankheit

8. Wiedersehen

9. Hängender Vater

10. Durchgestrichenes

11. Das Auge

12. Wiederkehr

13. Wintervorhang

WINTER

1. Katzenrisse

2. Baumsprache

3. Ritzen

4. Quellmund

5. Wurzelworte

6. Ohnmacht

7. Entscheidungen

8. Gewaltsames Entwurzeln

9. Operieren

10. Altersheim, Steinseele

11. Sterben

12. Reste

13. Frühling sein

FRÜHLING

1. Fensterblicke

Im Klassenzimmer muss Jakob sich auf einen hohen Stuhl setzen. Er schlenkert mit den Beinen. Mutter hat ihn vor der Tür abgesetzt. Als verlorener, stummer A-Laut hockt Jakob da. An der Tafel steht eine Frau, die aus einem Buch vorliest. Sie endet mit den Worten:

»Und da wurde aus der Raupe ein wunderschöner Schmetterling.«

Die Frau, die alle Lehrerin nennen, lächelt begeistert. Die Kinder gucken sie mit aufgerissenen Mündern an. Jakob greift mit einer Hand nach dem Stück Holz, das er in seine Tasche gesteckt hat.

»Jakob?«, fragt die Lehrerin.

Er blickt sie an, blickt und blickt, doch da gibt es nur die Strukturen der Rinde, deren Kerben, die seine Finger abtasten. Das Gesicht kommt seltsam nahe, schiebt sich ihm entgegen, da hin, wo Jakobs Loch ist, in der Mitte des Bauches. Jakob schweigt.

Seltsam, denkt die Lehrerin.

Seltsamer Jakob. Sie versteht nicht. Jakob ist ein Kind, dem die Unterscheidung fehlt. Er trennt sich nicht von den Dingen, trennt sich nicht von sich. Ein Kuchen muss gestreichelt werden. Die eigenen Hände kann man essen. Die Anordnung der Eicheln unter dem Baum wird jahrelang im Gehirn gespeichert. Jakob ist jetzt das Holz in der Hand. Ist der Blick der Lehrerin. Sonst nichts. Die Lehrerin seufzt.

»Also, meine Kinder, was haben wir aus der Geschichte gelernt?«

Hugo hebt die Hand.

»Ja?«, fragt die Lehrerin.

»Die Raupe muss sterben.«

»Ja. Die Raupe muss sterben, damit ein Schmetterling entstehen kann. Also, eine Sache stirbt und es entsteht immer eine noch schönere. Ist das nicht toll, Kinder?«

Da platzt der blonde Hans heraus:

»Ich hab aber die Raupe schöner gefunden.«

Alle lachen. Das ist gut, denn Blicke kommen zu nahe. Und Hansl ist gut. Genau wie die Buchstaben. Die Buchstaben sind Charaktere ohne Risse. Kommen nicht zu nahe, wie die Gesichter der Menschen. Jakob malt sie langsam, bedacht. Das bauchige B. Das kuschelige U. Jakob duckt sich in ihre Rillen hinein. Was für ein seltsames, stilles Kind, denkt die Lehrerin. Die Stunde verstreicht. Das Licht taktet den Tag.

Jakob blickt aus dem Fenster. Die Spitzen der Bäume sind fröhlich geworden und der Wind singt. Der Wind ist ein Vogel. Ein Rabe sitzt auf einem Baum, der seinen Schatten in den engen Raum wirft. Jakob beginnt, ein wenig in seiner Stimmlage zu pfeifen.

»Na, Jakob, träumst du schon wieder?«

Er zuckt zusammen.

Die Lehrerin. Ihr Haar fällt in walnussbraunen Locken auf die Schultern, auf der Nase kleine Pünktchen. Pickel, hätte die Mutter gesagt. Jakob schaut nur und schaut. Es ist eine Art zu schauen, die bang macht. Davon weiß Jakob nichts. Aber die Erwachsenen wissen es. Sie zittern. Sie haben keinen Namen dafür. Jakob ist ein Kind ohne Rahmen. Jakob ist ein Es, denkt die Lehrerin. Vor ihr ist er sich fremd. Jakob lächelt nur, und seine Augen klappen nach innen.

Jakob blickt zurück, aber er blickt nicht. Kind als Strom. Jakob treibt in sich selbst als Floß. Seine Fensterblicke sind Finger. Seine Augen zeichnen Arabesken in die Luft, wenn er aus dem Fenster sieht. Er ist dann weit weg. Spielt die Rituale der Alten nach. Es ist, als hätte er keine Sprache. Es gibt nur ein Wort. Das Wort heißt: Aus. Jakob ist aus. Aus sich heraus. Es gibt ihn nicht, auch wenn er da ist.

»Schlag dein Buch auf«, sagt die Lehrerin.

Und Jakob, der nicht in sich sitzt, sondern als Vogel hinter dem Fenster und als Wind, schlägt fremd das Buch auf. Die Lehrerin nickt.

»Ja«, kommt es aus ihm.

Die Finger blättern. Aber innen bleibt ein Loch. Jakob ist ein Kind ohne Ränder. Nur etwas Wölfisches ist ihm angeboren. Dieses Sich-Wiegen mit dem Wind. Der hinter dem Fenster gerade den Frühling buchstabiert. Ein Fundkind kann nicht kauen, nicht verdauen, was das Außen ihm aufdrückt. Es ist sich selbst abhandengekommen. Es wird von der Welt besessen. Die Lehrerin besitzt es, jetzt, in diesem Moment, in dem sie es ansieht. Und der Himmel. Der Vogel, der sein Bild in das Kind wirft. Es untrennbar mit dem verwebt, was es ist. Jakob.

»Möchtest du lesen?«

Jakobs Mund hechelt. Schnappt nach Luft. Jakob ist ein Fisch. Er blickt auf die Seite, sie verschwimmt vor den Augen, die Struktur des Gesichtes der Lehrerin kommt seltsam nahe.

»A«, dringt es schließlich aus Jakob.

»A.«

Sonst nichts.

Die Lehrerin seufzt.

»Gut, wir üben das noch«, sagt sie ratlos.

Dreht sich ein wenig verloren zu Hans.

»Hans, bitte!«

Der kleine Blonde nickt. Jakob bleibt als großer A-Laut im Raum hängen und baumelt mit dem Blick schon wieder aus dem Fenster, noch den Ausdruck des entsetzten Stockens im Gesicht. Die Dinge sprechen, die Menschen sind Störenfriede in einer Landschaft aus Strukturen, Anordnungen, Kaleidoskopen aus Welt für Jakob. So auch die Lehrerin. Und Hans, der ihn fragend ansieht.

Langsam wandert Jakobs Blick wieder aus dem Fenster und er sieht hinaus. Es ist ein Moment und in diesem gibt es für Jakob nur den Moment, die Vögel, den Strom am Himmel. Allein ein Bauch rettet Jakob vor dem Aus, dem Loch, das er selbst ist. Der Rhythmus ist die einzige Sicherheit: einatmen, ausatmen.

Jakob atmet. Er atmet das A fort, sieht wieder aus dem Fenster und beruhigt sich langsam, während seine Augen dem Flug der Vögel folgen. Seine Augen sind Finger, greifen nach dem Wind. Ratlos betrachtet die Lehrerin ihn aus den Augenwinkeln. Seltsam, denkt sie.

»Als die Welt noch se… sehr … jung … war …«, beginnt Hans zu lesen und seine Wangen röten sich. Jakob hört schon nicht mehr richtig hin. Seine Augen nesteln an den Spitzen des Baumes hinter dem Fenster. Jakob ist ein sich selbst abhandengekommenes Kind.

2. Flugzeugschmerz

Die Heimwege sind einander ähnlich. Das ist gut so, gibt Jakob Sicherheit. Heimweg, das heißt, er läuft neben Hansl her. Hansl, dem Schilf. Dem Strohhaar. Hansl, der mit den Spitzen seiner Haare die Sonne einfängt.

»Die Lehrerin ist eine Maus«, meint Hansl zu Hugo.

Hugo lacht.

»Ja, Hansl.«

Jeder lacht bei Hansl. Jakob tapst ein wenig abseits neben den beiden her. Hansl kickt einen Stein mit der Fußspitze. Springt leichtfüßig über die Brücke am Fluss. Die Brücke, die sich über das große fremde Rauschen spannt. Das Rauschen, in dem die Fische sitzen. Das Rauschen, das Jakob lieb hat.

Plötzlich zerreißt der Himmel. Jakob zuckt. Sein Körper wird von einem heftigen Stoß gebeutelt. Etwas schreit, A, laut. Jakob schreit mit dem Dröhnen, das sich über den Himmel spannt, wieder und wieder. Er duckt sich. Krümmt sich.

»Alles gut?«, fragt Hansl.

Er kniet sich neben Jakob nieder.

Hugo blickt die beiden ratlos an.

»Alles gut?«, wiederholt der Lichtkranz, der ein Hansl ist.

Er streckt die Hand nach Jakob aus, der sich auf dem Boden als Ball zusammengekauert hat. Bis das Dröhnen gewichen ist, bleibt Jakob dieses Dröhnen. Klingt in sich als Schmerz.

»Das war doch bloß ein Flugzeug …«, meint Hugo schließlich.

Stille. Es ist fort. Langsam mutet Jakob sich wieder den Atem zu. Und das Rundherum an Welt. Jakob öffnet die Augen. Hansls Blond leuchtet ihn an, weht wie Stroh. Licht glitzert in den Strähnen. Langsam wird Jakob zu diesem Licht. Alles gut. Es beruhigt sich. Hansl und Hugo sehen ihn immer noch ratlos an. Sie wissen nichts von dem Raum, der AUS heißt und der Jakob jetzt ist. Ein Aus-sich-heraus-Raum. Keiner versteht, dass Jakobs Ränder sich zu Flügeln umdrehen, weil die Welt zu laut ist. Eine Fratze aus Jetzt und Jetzt und Jetzt. Ein Zuviel an Information. Alle Wege sind anders. Sie werden erinnert. Jede Abweichung hindert den Moment. Manche Klänge stoßen in den Abgrund, sie sind zu laut.

»Es war doch nur ein Flugzeug?«, sagt Hansl schließlich noch einmal.

Er betont es als Frage. Der Satz bleibt im luftleeren Raum stehen.

Jakob aber hört nicht. Jakob verlässt seinen Körper, ganz, gegen die Aufdringlichkeit des Klanges. Er kann sich selbst sehen. Flieg höher, höher, sagt etwas in ihm. Das Glitzern in Jakobs Haar hat ihn zur Sonne hingezogen. Jakob will in das Licht steigen, das diese als Saft über dem Frühlingshimmel auspresst. Dann aber wartet er, ganz oben. Was ist das?

Was ist da? Funkstille in Jakobs Kopf. Ja, das Aus hat ihn in seine Mundhöhle genommen.

Nein, auch dieses Wort ist nicht wahr. Da ist nichts. Eigentlich ist da nichts. Nur dieses Licht.

Als würde es nach Jakob rufen: Aus. Aus. Und doch ist das nicht richtig. Jakob spürt, wie fremde Hände nach ihm greifen. Er muss höher steigen, denkt er. Das Licht ist so hell, dass es wehtut. Jakob fällt.

Als Jakob nach Hause kommt, möchte die Mutter sofort wissen, was geschehen ist. Hansl und Hugo wissen nicht recht. Wie sollen sie es erklären?

»Da war ein Flugzeug«, murmelt Hugo.

»Und da ist Jakob … also der hat geschrien«, versucht Hansl zu erklären.

»Und danach ist der Jakob also umgefallen!«, fügt Hugo hinzu.

Jakob wippt nur.

»Dank euch.«

Die Mutter lächelt die Jungen verlegen an. Sie kennt ihr Kind, weiß um dessen Randlosigkeit. Sie schämt sich für diese Randlosigkeit, da sie dafür keine Worte hat. Von dem Wort AUS weiß sie nichts, das Wort Autismus kennt man nicht in einem Bergbauerndorf in Tirol. Jakob eilt indes in eine Nische, formt den Körper zum Ei und füttert seine Füße mit Luft. Die Jungen stehen unsicher im Türrahmen und betrachten Jakob. Sehen ihn an, wie er den Knien, den Beinen, den Zehen Luft zufächelt. An Jakobs Knien Blut, Blut. A.

»Was war genau?«, fragt die Mutter noch einmal, haltlos.

»Ein Flieger«, meint Hansl.

»Der Jakob ist niedergefallen«, fügt Hugo hinzu.

Die Mutter schweigt wieder. Schweigt, nickt, schweigt. Hier schweigt man. Als Frau ganz besonders. Als Mutter. Und am meisten schweigt man, wenn einem ein Kind ohne Sprache aus dem Bauch gekommen ist. Jakob kauert. Da, wo das Loch sitzt. In sich selbst verklammert und mit dem Außen als Aus verwoben wie untrennbar ineinander verfilzte Haare. Jakob kauert und hält dann mit dem Füttern inne. Er schaut. Er sieht aus dem Fenster. Der Himmel ist ein blauer Ball, ins Leere gespannt. Die Knaben nicken, machen kehrt am Absatz, verlassen den Raum.

»Geh’n wir waschen, eh der Vater kommt«, sagt die Mutter zu Jakob.

Jakob sieht auf.

»Mutter?«

Das Gesicht der Mutter beginnt ein wenig zu glänzen. Ein Wort kommt aus dem Jungen, denkt sie.

Jakob erhebt sich langsam.

»Geh’n wir«, sagt die Mutter.

3. Mutterrund

Die Hände der Mutter sind eine Schnur, die Jakob ins Bad zieht.

Sie schält den Jungen langsam aus seiner Kleidung, dreht den Wasserhahn an. Krempelt die Ärmel ihrer Bluse hoch.

Früher, fühlt Jakob, war er in einem Ei in der Mutter. Das Ei war ganz klein. Er kauerte in seiner eigenen Mitte. Rund um ihn nichts als Orange. Jakob war ein Luftballon, der immer größer wurde. Bis etwas platzte, aufriss. Daran aber erinnert Jakob sich nur ungenau. Manchmal stellt er sich vor, dass er aus einem Götterhimmel gerollt ist. Das tat weh. Denn es zog ihn aus der Mitte heraus. Aus dem Rundsein. In einem Götterhimmel ist nämlich alles rund. Alles kugelt. Es liegt sich selbst zu Füßen. Runder noch als diese Erdkugel. Jakob war auch rund damals und das Leben schön und voll, fühlt er. Und wie alle, die rund sind, spielte Jakob auch gerne mit Bällen. Jakob tanzte mit sich selbst im Kreis. Einen Ringelreihen. Das war kein Problem. Denn da, wo Jakob aufhörte, fing er auch wieder an. Jakob war also ein Götterkind, und noch dazu ein sehr besonderes. Er hatte Locken aus Blattgold und eine feine, seidige Haut. Und außerdem schwarze Flügel. Alle Götterkinder wohnten an einem Hain, und manche Götter formten sich dabei zu Regenbögen, manche zu Seen. Andere waren einfach bunte, rollende Bälle. Es gab auch Doppelgötter, die sich umeinander rollten und drehten. Dabei sprühten sie Farben. Man nannte sie Halbgötter, wenn sie für kurze Zeit auseinanderfielen. Wenn sie zusammen rollten, hießen sie Liebe, denkt Jakob. Später wurden sie sehr unfreundlich und man vertrieb sie deshalb aus dieser Welt und sagt heute Menschen zu ihnen.

»Gib die Händ’ nach oben«, durchschneidet die Stimme der Mutter Jakobs Gedanken.

Jakob blickt auf und das Gesicht der Mutter steigt in ihn hinein. Aber das darf es. Es ist friedlich. Ihr Gesicht schneidet nicht. Jakob kennt die Kerben, die Strukturen. Das Gesicht der Mutter spuckt ihm Sterne entgegen, wenn sie lächelt. Sie ploppen in seinem Bauch und kriechen in die Herzgegend.

Dass es ihm kein bisschen leidtut, dass er abgestürzt ist und in diese Welt hineingefallen, denkt Jakob, als er die Mutter betrachtet. Weil auf der Welt gibt es ja genug Rundes. Und seine Mutter riecht gut, wenn sie ihn festhält.

Die Mutter fährt mit dem Lappen seine weißen, zarten Glieder entlang. Wieder und wieder.

»Gut so?«

Jakob nickt, aber über seine Züge legt sich kein Ausdruck.

Die Mutter betrachtet den Sohn. Die Leute im Dorf reden. Das weiß sie längst. Die Leute reden ja immer. Und die Mutter eines Kindes, das spinnt, ist nicht angesehen. Und eine Mutter ist ohnehin nur die Frau des Vaters. Dennoch ist eine fremde Zartheit in ihr, wenn sie Jakob ansieht.

Die Mutter geht zum Fach, holt einen Schlafanzug aus einer der Schubladen hervor.

»Geh ins Bett«, sagt sie stramm, »wirst deinen Schlaf brauchen.«

Jakob nickt. Langsam schlüpft er in das blaue Hemd, dann in die Hose.

Die Hose ist ein Zelt, sie spannt über dem Bauchnabel.

Jakob streift die knarzenden Gänge entlang, der Mutter hinterher. Resi und er schlafen in einem Zimmer. Resi, das ist die Kleine. Resi, das ist eine Wölbung. Auch Resi ist gut, weiß Jakob, ähnlich wie die Mutter. Doch es ist noch nicht spät und Resi in der Küche. Das Zimmer ist leer und blau. Die Mutter folgt Jakob wortlos. Sie wartet, bis er sich niedergelegt hat, deckt ihn dann zu.

»Erzählst du … mir eine Gutenachtgeschichte?«, spricht es da aus Jakob.

Die Mutter sieht ihn an. Manchmal kommen doch Worte aus ihm, denkt sie.

Sie setzt sich ans Bett, streckt unsicher die Hand aus. Streicht über die Stirn des Jungen.

»Nicht heut’.«

Dann steht sie auf. Jakob klappt den Blick nach innen. Die Worte hallen lange nach, es dauert, bis er alle Bedeutungen erfasst hat. Jakob liegt nun. Er wartet darauf, dass es Nacht wird. Weil das Dunkel keine Wände hat, will Jakob den Rhythmus des Windes tanzen. Doch im Warten kehrt das Bild der Mutter wieder. Und mit einem Mal denkt Jakob, dass er nicht richtig ist. Er atmet tief ein und aus. Jakob möchte lieber ein Wind sein. Jakob denkt, dass der Wind richtig ist. Und die Vögel und die Nacht. Aber die Eltern sehen das nicht so, weiß Jakob inzwischen. Für sie ist Agathe richtig. Jakob setzt sich auf. Draußen werden Geräusche lauter. Eine Unruhe. Resi greint ein wenig, Agathes Stimme ertönt. Sie scheint von der Schule heimgekehrt zu sein.

»Grüß dich, Mutter.«

Jakob mag Agathe nicht. Agathe ist rot wie die Wut. Jakob umarmt seinen Körper und blickt sich unsicher um. Schon wieder ist die Welt zu laut. Da hilft nur: Hände aufessen. Brote ausspucken. Es wippen lassen. Nicht wissen. Es ist der eigene Oberkörper, der da heraus und wieder hinein wippt. So sind sie. Klangkinder. Ihre Körper schreien. Aus ihren Mündern schreit der andere. Die Fremde des Atems. Die Nähe des Windes. Die Freunde verstehen nicht. Hansl und Hugo sehen Jakob an, der sich am Boden zitternd zusammenzieht, in sich selbst zurückfährt wie eine Schnecke. Der Krampf löst sich nicht. Kinder wie Jakob haben weder Anfang noch Ende. Ihre Hände aber sind Vögel. Sternenkinder. Kinder als Träume. So wippt Jakob, bis er müde wird. Wippt sich selbst in den Schlaf.

4. Resiwölbung