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Montain Jack


Montain Jack

Missouri - Band 1
1. Auflage

von: Hal Warner

1,99 €

Verlag: Novo Books
Format: EPUB, PDF
Veröffentl.: 15.07.2023
ISBN/EAN: 9783961273287
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 73

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Die Wölfe hatten Beute gewittert. Und lockten ihn in eine teufliche Falle . . .

Er bot einen wilden, ungebärdigen Anblick. Er sah aus wie ein Grizzly, der sich aus der Wildnis der Berge in die Zivilisation verirrt hatte. Er war stark und kühn und ehrlich bis auf die Knochen. Und ausgerechnet ihm lastete man ein schweres Verbrechen an. Ihm, Montain-Jack, der keiner Fliege was zuleide tun konnte. Aber er besaß zufällig etwas Gold, und das hatte etliche Männer zu einem Rudel gieriger Coyoten gemacht. Zu spät erkannten sie, dass es ein tödlicher Fehler war, Montain-Jack zu reizen . . .

Ein deutscher Western in Neuauflage.
Drei Tage lang hatten sie an der Flussbiegung gelauert. Mit einer Geduld, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre.
Denn sie wussten, dass irgendwann ein Trapper mit seinem Boot aus den Bergen kommen würde.
Im Frühjahr kamen sie immer mit reicher Ausbeute aus der Wildnis, diese knochenharten, wettergegerbten Pelztierjäger, die monatelang ein entbehrungsreiches Leben führten und während dieser Zeit ganz auf sich allein gestellt waren. Da kehrten sie zurück in die Zivilisation, verkauften ihre Pelze und konnten mit dem Erlös bis zum nächsten Winter leben.
Auf einen solchen Pelztierjäger warteten die beiden Strolche. Sie wollten ernten, was ein anderer gesät hatte, und sie würden sein sauer verdientes Geld dann mit vollen Händen ausgeben.
Jetzt war es endlich soweit. Jetzt kam zwischen den Klippen im Wasser ein Kanu in Sicht.
„Feuer aus, Hugh!“ rief Kane Jeffries über die Schulter. „Da kommt einer!“
Eilig zertrat der pockennarbige Hugh Füller die schwelendn Glutreste. Dann packte er sein zwischen verbeultem Kochgeschirr liegendes Gewehr und schob sich zwischen die Büsche hindurch an die Seite seines Kumpans, der am Ufer in Deckung stand.
Das schwankende Boot hoch mit Fellen beladen, kam Montain-Jack Russell den Oberlauf des Missouri herunter. Paddelnd saß er im Heck. Ein langhaariger, bärtiger Hüne, der von Kopf bis Fuß in Leder gekleidet war.
Montain-Jack. Ein etwas ungewöhnlicher Name. Warum nannte er sich eigentlich nicht Mountain-Jack? Diese Bezeichnung hätte doch zu ihm, dem Mann der Berge, viel besser gepasst.
Aber in diesem weiten, rauen Land gab es schon seit Menschengedenken einen Trapper namens Mountain-Jack. Er hieß mit bürgerlichem Namen Jack Wilson und war einer von Jack Russells besten Freunden.
Von Mountain-Jack Wilson stammte auch die Idee, dem jungen Jack Russell den Ehrennamen Montain-Jack zu verleihen.
Der Name Montain hatte einen ausgesprochenen guten Klang in Trapperkreisen. Etliche Männer aus der Montain-Sippe waren berühmte Trapper gewesen. Und Jack Russells Mutter war eine geborene Montain.
Montain-Jack.
Beim jährlichen grollen Ballyhoo der Trapper des Nordwestens hatte der angesehene Mountain- Jack Wilson diesen Namen verkündet. Es hatte einen Beifallsorkan unter den rauen Männern der Wildnis gegeben
Montain-Jack. Ein Fremder hätte das vielleicht für einen Versprecher gehalten. Aber hier im Nordwesten wusste jeder Bescheid.
Als sich Montain-Jack einer in der Flussmitte befindlichen Sandbank näherte, traten die beiden Outlaws in Aktion. Sie schickten ungezielte Schüsse über das Wasser, und einer von ihnen schrie:
„Los, zur Sandbank, Mann! Tu, was ich sage, oder wir putzen dich weg!“
Jack verstand trotz dem Rauschen des Wassers jedes Wort. Forschend glitten seine felsgrauen Augen zum nördlichen Ufer und entdeckten dort die Gegner.
Er hätte, um zu seinem Gewehr greifen zu können, das Paddel loslassen müssen. Das Boot hätte sich dann selbständig gemacht und konnte dann leicht kentern. Ganz abgesehen davon, dass die Gegner es mit Kugeln durchsieben und natürlich auch ihn selbst unter Beschuss nehmen würden.
Nein, es wäre nicht sehr vernünftig gewesen, jetzt etwas anderes zu tun als das, was die Strolche von ihm verlangten.
Montain-Jack steuerte also die Sandbank an. Er blieb dabei völlig gelassen.
Sand knirschte unter dem Rumpf des Bootes.
„Aussteigen und Boot festmachen!“ kam der nächste Befehl. „Wenn du tust, was ich sage, wirst du hundert Jahre alt. Wenn nicht, fressen dich die Fische!“
Jack Russell sprang aus dem Kanu. Bis zu den Knien versank er im Wasser, verspürte aber festes Geröll unter den Füßen. Er packte das Kanu und schob es weiter auf die Sandbank.
Dort lag seit dem letzten Hochwasser ein entwurzelter Baum. Montain-Jack machte das Boot an dem Wurzelstock fest.
Er war wirklich ein Hüne von Gestalt. Er sah aus wie fünfunddreißig, aber das war er noch nicht. Der dichte Bart, der von seiner unteren Gesichtspartie nur die Lippen erkennen ließ, machte ihn um einiges älter. Auf seinem Kopf saß eine Pelzmütze mit einem Waschbärenschwanz.
„Und jetzt?“ rief er zum Ufer hinüber. Seine sonore Stimme klang grollend.
„Jetzt nimmst du die Hände hoch!“ antwortete Kane Jeffries. Er zielte wie sein Komplize unentwegt auf den bärtigen Trapper.
Montain-Jack hob seine klobigen Fäuste in Schulterhöhe. Die herabhängenden Fransen seiner Wildlederjacke gaben seinen Armen jetzt das Aussehen von Flügeln.
Ja, er tat alles, was man von ihm verlangte. Er provozierte die Gegner nicht, forderte sie nicht heraus.
Und dennoch ließen sie ihm keine Chance. Sie waren erbarmungslose, eiskalte Mörder.
Hugh Füller war es, der schoss. Kaltblütig zog er am Abzug seines Gewehrs.
Die Kugel warf den Pelzjäger einfach um. Auf dem Rücken blieb er auf der Sandbank liegen.
„Gut gemacht, Hugh!“ sagte Jeffries grinsend. „Ein toter Trapper kann keine Scherereien mehr machen. Komm, wir holen uns seine Pelze!“
Die beiden Verbrecher wateten ins Wasser, das auf dieser Seite des Flusses nicht besonders tief war. Ihre Gewehre hielten sie vor der Brust.
Als sie die Sandbank erreichten, geschah etwas, womit sie beide nicht gerechnet hatten.
Plötzlich fuhr der Totgeglaubte in die Höhe, in der Faust einen Colt. Die Waffe spuckte Feuer und Blei.
Getroffen fiel der Pockennarbige ins Wasser zurück, versank darin und trieb ab.
Den zweiten Outlaw traf Montain-Jack ebenfalls tödlich. Kane Jeffries gab einen rauen Schrei von sich, stürzte aufs Geröll und blieb liegen.
Die Schüsse verhallten in der Ferne. Pulverrauch trieb über das Wasser und löste sich rasch auf.
Montain-Jack fehlte nicht. Er hatte zwar geglaubt, getroffen worden zu sein, aber da war etwas unter seiner Kleidung, das die Kugel aufgefangen hatte.
Seine Hand griff an die betreffende Stelle und spürte unter der Jacke eine harte Ausbuchtung.
Nachdenklich blickte er dem erschossenen Gegner sekundenlang ins Gesicht.
Dann machte er sein Boot wieder flott und fuhr weiter den Fluss hinunter.
Im nördlichen Montana gab es zwei Verbrecher weniger.

*

„Montain-Jack ist wieder da! Seht nur, wer gekommen ist! Dieser verdammte Fallensteller hat es doch wahrhaftig wieder geschafft, mit heiler Haut aus den Rockies zurückzukehren!“
So riefen die Leute, die an diesem Nachmittag in Moose Jaw unten am Anlegeplatz standen und die Ankunft des hünenhaften Pelztierjägers miterlebten.
Grinsend kletterte Montain- Jack Russell aus dem schwerbeladenen Kanu. Ein graubärtiger Oldtimer half ihm dabei, das Boot an einem Pfosten zu vertäuen.
„Hallo, Leute! Ja, ich bin wieder da“, rief Jack. „Wie geht es euch, he?“
Er schlug einem der Umstehenden so kräftig auf die Schulter, dass er in den Knien einknickte und beinahe ins Wasser gestürzt wäre. Ein paar anderen zerquetschte er fast die rechte Hand.
„Könnt mir helfen, meine Pelze zum Trader zu bringen. Dafür geb’ ich am Abend in Reddys Saloon einen aus!“
„Ein Angebot, das sich hören lässt“, meinte ein baumlanger Bursche, der kaum weniger verwildert war als Montain-Jack, „Los, Freunde, packt mit an!“
Die Männer griffen zu und entluden das Boot. Beladen mit den schweren Fellbündeln, begleiteten sie Montain-Jack zum Trader, wo sie ihre Last auf den Ladentisch warfen.
Es war wirklich ein stattliches Fangergebnis. Da lagen die gebündelten Felle von Ottern, Füchsen und Mardern, von Nerz und Bisam. Sogar einige Wolfsfelle und ein prächtiger Luchs waren dabei.
„Na, was sagst du?“ wandte sich Montain-Jack an den kahlköpfigen Trader. „Hast du schon mal bessere Ware gesehen? Da lacht dir wohl das Herz, du alter Halsabschneider?“
Der Händler kratzte sich hinter dem Ohr, um von seiner inneren Erregung abzulenken.
„Hm, die Felle sind nicht schlecht“, meinte er.
„Aber du willst nicht soviel bezahlen, wie sie wert sind? Daraus wird nichts, das sage ich dir gleich!“ rief Jack Russell polternd. „Du kannst was erleben, wenn du mich auch diesmal wieder über das Ohr hauen willst!“
„Ich hab’ dich immer fair bezahlt“, verteidigte sich der Trader. „Ich möchte sogar sagen, dass ich zu großzügig war. Das letzte Mal hab’ ich bei deinen Pelzen kaum was verdient.“
„So siehst du aus!“ Montain-Jack lachte schallend.
Der Trader lachte mit und brachte eilig eine Flasche Brandy herbei, denn er wusste aus Erfahrung, dass der hünenhafte Fallensteller sehr durstig war, wenn er mit seiner Beute aus den Bergen kam. Außerdem war so ein kleiner Begrüßungstrunk gut für das Geschäft.
Grinsend griff Jack Russell nach der Flasche und nahm einen kräftigen Schluck.
„Also, was gibst du mir?“ sagte er dann.
Der Trader begann die Felle zu begutachten, sortierte und zählte sie und griff schließlich zum Rechenstift.
Er bot Montain-Jack wirklich einen anständigen Preis.
„Das ist aber das Äußerste, was ich dir geben kann“, sagte er dabei.
„Na gut, einverstanden.“ Jack grinste breit. „Wenn auch nur ausnahmsweise.“
Mit einem Handschlag wurde das Geschäft besiegelt.
Montain-Jack ließ sich aber nicht alles bar auszahlen, sondern kaufte nun einiges, was gleich abgerechnet wurde. Er brauchte dringend neue Kleidung.
Außerdem hatte er bei dem Trader Schulden für die Ausrüstung vom vergangenen Herbst. Diese Schulden bezahlte Jack jetzt.
„Beinahe wärst du um dein Geld gekommen“, sagte er und erzählte dem Trader von dem Überfall an der Flussbiegung.
Der Trader schüttelte mit ernster Miene den Kopf.
„Da hast du aber Glück gehabt, Jack“,, meinte er. „Das war übrigens nicht der erste Überfall dieser Art. Es treibt sich neuerdings viel Gesindel in der Gegend herum.“
Montain-Jack steckte die Dollars ein, die er für die Pelze bekommen hatte, nahm das gekaufte Kleiderbündel auf und wandte sich zum Gehen.
Der Trader blickte ihm lächelnd nach.
Er war überzeugt, dass Montain-Jack die Stadt an diesem Abend auf den Kopf stellen würde.

*

Sein langläufiges Gewehr auf dem Rücken und das Kleiderbündel unter dem Arm, so betrat Montain-Jack das Badehaus, das von der dicken Selma Watson geführt wurde.
Selma war für Jack Russell eine alte Bekannte. Sie begrüßte ihn überschwänglich und mit echter Freude.
„Erst gestern hab’ ich wieder an dich gedacht“, rief sie, als er sie heftig umarmte. „Ich hab’ es gespürt, dass du bald kommen würdest, Jack. Wie war’s, mein Junge? Viel gefangen?“
„Mächtig viel. Mein Boot wäre ein paarmal bald gesunken. War ein verdammt harter Winter, Selma, das kannst du mir glauben. Ach, welche Wohltat, endlich deinen mütterlichen Busen zu spüren!“
„Du musst ihn mir aus Freude nicht gleich zerquetschen. Lass mich los, du Grizzly! Du stinkst übrigens wie ein Iltis. Höchste Zeit, dass du in die Wanne kommst, Jack. Ich wette, du hast seit dem letzten Herbst nicht mehr gebadet.“
„Da könntest du recht haben“, antwortete er lachend. „Aber den Füchsen und Wölfen war das egal.“
Montain-Jack betrat die geheizte, mit Fichtenholz getäfelte Badestube, wo für ihn ein großer Bottich mit heißem Wasser gefüllt wurde.
Jack besaß einen ungemein muskulösen Körper, und seine Brust war dicht behaart. Irgendwie erinnerte er tatsächlich an einen Grizzly, als er sich ausgezogen hatte.
Unter der Kleidung hatte er einen dicken, schweren Lederbeutel verborgen, den er unter seinen Sachen versteckte, bevor er in die Wanne stieg. Er setzte sich vorsichtig und ließ die Wärme des Wassers eine Weile auf sich einwirken, ehe er sich einzuseifen begann und nach einer bereitliegenden Bürste griff.
Selma schrubbte ihm schließlich den Rücken, während eine Bedienstete heißes Wasser in den Bottich nachgoss.
Als Jack mit dem Baden fertig war, zog er die neuen Sachen an, packte sein Bündel sorgfältig zusammen und machte sich auf den Weg zum Barbier, der gleich nebenan seinen Laden hatte.
„Haare schneiden“, sagte Jack, nachdem er in dem bequemen Lehnstuhl Platz genommen hatte.
Der Barbier musterte ihn durch den Spiegel.
„Und der Bart, soll der auch weg?“
„Nicht ganz. Ich will mir ja nicht nackt vorkommen.“
Der Barbier machte sich ans Werk.
Als er mit seiner Arbeit fertig war, war Montain-Jack kaum noch wiederzuerkennen. Aus dem verwilderten Waldmenschen war ein gutaussehender Mann geworden. Zufrieden grinsend betrachtete er sich im Spiegel und verließ wenig später den Barbierladen.
Draußen auf der Straße trat ihm Sheriff Tom Wyers entgegen, ein hagerer Mann Anfang Fünfzig.
„Hallo, Jack!“ sagte er.
„Hallo, Tom!“
Sie musterten sich. Montain-Jack fiel auf, dass der Blick des Sheriffs etwas Forschendes an sich hatte.
„Ist was?“ fragte er.
Wyers räusperte sich, wie er es immer tat, wenn er etwas Wichtiges sagen wollte.
„Unten bei den Bootshütten wurde ein Toter angeschwemmt. Hast du damit was zu tun?“
„Könnte sein“, antwortete Jack.
„Er hat ein Loch in der Stirn und Pockennarben.“
„Dann habe ich damit zu tun. Er und sein Freund waren auf meine Pelze scharf. Musste die beiden erschießen.“
„Aha.“ Der Sheriff nickte. „Dann ist die Sache also geklärt. Kommst du für das Begräbnis auf?“
„Meinetwegen. Noch Fragen, Tom?“
„Nein.“
„Gut, dann will ich mir jetzt ein Quartier suchen. Wir sehen uns ja noch.“ Montain-Jack wollte weitergehen.
„Einen Moment noch, Jack.“
„Ja, Tom?“
„Mach mir keinen Ärger in der Stadt.“
Jack Russell grinste.
„Ich werd’ mich bemühen, sofern mir keiner welchen macht.“
Wyers grinste zurück.
„Das ist dann was anderes, Jack.“
„Das denke ich auch“, sagte Jack und ging weiter.

*

Die Frau an der Tür sah verhärmt aus, ihr ehemals hübsches Gesicht war von Sorgen und Entbehrungen gezeichnet. Zwei kleine Kinder, ungefähr zwei und vier Jahre alt, klammerten sich an ihre Rockfalten und blickten mit großen Augen ängstlich auf den bärtigen Hünen. Der Blick der Frau war forschend.
„Sind Sie Sarah Higgins?“ fragte Montain-Jack.
„Ja.“ Die Frau nickte. „Und wer sind Sie?“
„Mein Name ist Jack Russell. Ich komme im Auftrag Ihres Bruders, Ma’am.“
Die Augen der Frau bekamen etwas Glanz.
„Sie kennen Eloy? Was ist mit ihm?“ So fragte sie hastig.
„Hmm.“ Der hünenhafte Trapper räusperte sich. Es fiel ihm plötzlich schwer, etwas zu sagen.
„Treten Sie ein!“ rief Sarah Higgins. „Sie müssen mir von Eloy erzählen!“
Aus dem diffusen Halbdunkel des Hauses meldete sich eine raue, unfreundlich klingende Männerstimme.
„Was ist denn los, Sarah, zum Teufel?“
Montain-Jack betrat die ärmliche, unaufgeräumte Wohnung, in der es nach Alkohol, Kohlsuppe und vollgemachten Windeln roch. Das dritte Kind, ein Säugling noch, lag schlafend in der obersten Schublade einer Kommode.
Am Tisch saß der Mann von Sarah Higgins, vor sich eine halbvolle Whiskyflasche. Mit verquollenen Augen musterte er den Eintretenden.
„Was will denn der?“
„Es ist ein Bekannter von Eloy“, antwortete die Frau. Sie schloss die Tür, schob ihre Kinder zur Seite, rückte eilig einen Stuhl zurecht und machte eine einladende Handbewegung.
„Bitte, setzen Sie sich, Mr. Russell!“
Montain-Jack nahm dankend Platz. Er blickte auf den bereits Sitzenden, dessen aufgedunsenes Gesicht einen mürrischen Ausdruck hatte.
„Das ist Raoul Higgins, mein Mann“, stellte Sarah ihn vor.
Jack nickte Raoul zu und räusperte sich wieder.
„Also, es geht um Folgendes“, begann er. „Ihr Bruder, Ma’am, er hat mir...“ Jack hielt inne und griff in seine Jacke.
„Was hat er?“ rief Sarah Higgins. „Reden Sie! Woher kennen Sie meinen Bruder? Warum kommt er nicht selbst?“ Die Fragen sprudelten nur so aus ihr heraus.
„Er kann nicht“, antwortete Montain-Jack und brachte den ledernen Beutel zum Vorschein. „Denn er ist tot.“
„Tot?“ Sarah Higgins wurde blass.
„Ja, Ma’am. Tut mir leid. Ich habe Eloy in den Bergen begraben.“ Jack stellte den Beutel auf den Tisch und löste die Verschnürung.
„Ich brauche eine Waage“, sagte er dabei.
„Was? Wozu?“ Die Frau blickte ihn verständnislos an.
„Es ist Gold in dem Beutel. Gold von Ihrem Bruder, das ich Ihnen bringen soll. Also, haben Sie eine Waage im Haus?“
„Ja, natürlich.“ Die Frau nickte verstört. Dann wandte sie sich um und holte die Küchenwaage vom Schrank.
„Hast du gehört, Raoul? Eloy ist tot!“ wandte sie sich an ihren Mann.
Doch der nickte nur ungerührt und starrte auf die Nuggets, die Montain-Jack in die Waagschalen füllte.
Raouls Adamsapfel begann vor Erregung auf- und abzuhüpfen. Ohne auch nur einen Blick von dem Gold zu wenden, griff er nach seiner Whiskyflasche und nahm daraus einen langen Schluck.
Jack Russell ließ abwechselnd je einige Goldklumpen in die beiden Waagschalen fallen. Der Zeiger der Waage schlug einmal in diese und einmal in jene Richtung aus.
„Das hat er letztes Jahr gefunden“, berichtete er. „Aber er hatte bei seiner Arbeit einen Unfall. Ist mit seinem Pickel von einem Stein abgeprallt und hat ihn sich ins Bein geschlagen. Als er im Winter zu meiner Hütte kam, war er bereits schwerkrank. Ich musste ihm das linke Bein amputieren, weil es bis zum Knie schon brandig war. Das hat er nicht überstanden.“
Sarah Higgins blickte ihn erschrocken an.
„Sie haben ihm das Bein abgeschnitten?“
„Ja, Ma’am. Was hätte ich sonst machen sollen? Ich wollte ihn retten, aber es ging nicht mehr. Eloy wäre sowieso gestorben. Bevor es soweit war, bat er mich, Ihnen die Hälfte von seinem Gold zu bringen. Die zweite Hälfte hat er mir vermacht.“ Wieder fielen einige Nuggets auf die Waage.
Ein kleiner, dunkler Gegenstand folgte.
Es war ein deformiertes Bleigeschoß.
„Ah, da ist sie ja!“ rief Montain- Jack. Er griff nach der Kugel und betrachtete sie. „Die wird natürlich nicht mitgewogen.“
Er legte das Geschoss auf den Tisch und teilte dann weiter das Gold auf.
Raoul Higgins beobachtete ihn genau. Der Tod seines Schwagers war ihm völlig egal. Ihn interessierte jetzt nur das Gold.
Schließlich war der Beutel leer. Gleich viel Gold lag auf den beiden Waagschalen.
„So, diese eine Hälfte gehört Ihnen“, wandte sich Jack an Sarah Higgins. „Wenn Ihre Waage stimmt, stimmt auch das Gewicht. Aber ich lasse Sie wählen, welche Seite Sie nehmen wollen.“
„Das ist mir gleichgültig“, stammelte die Frau, ganz überwältigt von der Vorstellung, dass eine Schüssel voll Gold wirklich ihr gehören sollte.
„Dann nehme ich die hier.“ Montain-Jack griff nach einer der Schüsseln und schüttete den Inhalt vorsichtig in den ledernen Beutel zurück, steckte ihn ein und schob auch das in dem Beutel gefundene Geschoss in die Tasche.
„Das andere ist Ihres“, fuhr er fort. „Sie sollten es am besten in einer Bank verkaufen.“
„Das mache ich schon“, rief Raoul Higgins.
„Warum Sie?“ fragte Jack. „Das Gold gehört Ihrer Frau, das hat Eloy Klamath ausdrücklich betont. Und ich denke, dass sie in der Lage ist, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.“
„Natürlich“, brummte Raoul.
„Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll“, sagte Sarah.
„Sie brauchen mir nicht zu danken“, entgegnete Jack. „Ich musste sowieso nach Moose Jaw. Die Überbringung des Goldes hat mir also gar keine Mühe gemacht. Ich hoffe, es wird Ihnen eine Hilfe sein.“
„Und ob!“ rief die Frau. „Mir ist es, als hätte ich ein Geschenk des Himmels erhalten.“
Montain-Jack erhob sich und reichte ihr lächelnd die Hand.
„Also, dann ..
„Warten Sie!“ rief da Raoul Higgins, plötzlich viel freundlicher als zuvor. „Wir haben Ihnen noch gar nichts angeboten, Russell. Bleiben Sie doch noch! Sie können auch bei uns wohnen.“
„Nein, vielen Dank“, wehrte Montain-Jack ab. „Ich hab’ mir im Hotel ein Zimmer genommen.“
Er verabschiedete sich und verließ das armselige Haus.
Und er war nicht sicher, ob er diesen Leuten mit dem Gold auch Glück gebracht hatte.

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