William Napier

Der schwarze Krieger

Historischer Roman

Deutsch von Olaf Roth

Informationen

Die wichtigsten Ortsbezeichnungen

Bei den heutigen Entsprechungen, die mit einem Sternchen* gekennzeichnet sind, konnte nur der nächstgelegene Ort angegeben werden.

 

Altai-Gebirge – Gebirgszug in der westlichen Mongolei, für die Hunnen und viele andere Völker heilig

Aralsee – im heutigen Kasachstan/​Usbekistan

Aquincum – Budapest

Augusta Treverorum – Trier

Borysthenes – der Fluss Dnjepr, Ukraine

Byzanz, Konstantinopel – Istanbul

Carnuntum – Hainburg*

Chersonesus – Sebastopol

Choresmien – Usbekistan/​Turkmenistan*

Dsungarische Pforte – zwischen dem Tien-Shan- und dem Altai-Gebirge, erstreckt sich zwischen dem heutigen Kasachstan und China

Kharvad-Berge (hunnisch), Harvaξa (gotisch) – Karpaten

Hippo Regius – Annaba, Algerien

Hungvaria – die ungarische Tiefebene

Illyricum – Kroatien/​Bosnien/​Serbien/​Albanien*

Kyzyl Kum – die Rote Sandwüste, im heutigen Usbekistan/​Kasachstan

Leptis Magna – Labda, Libyen

Palus Maeotis – die skythischen Sümpfe, Asowsches Meer

Margus – Pozarevac, Serbien

Massilia – Marseille

Mauretanien – Marokko und das nördliche Algerien

Mediolanum – Mailand

Moesia – Nordbulgarien/​Makedonien*

Narbo – Narbonne

Numidia – Tunis*

Ophiusa – Odessa*

Panium – eine Kleinstadt in Thrakien

Parthien – Persien, Iran*

Qilian Shan – Gebirgszug in Nordchina

Skythien – Russland, Ukraine, Kasachstan und Gebiete östlich davon*

Singidunum – Belgrad

Sirmium – Stremska Mitrovica*, Serbien

Taklamakan – Wüste in Xinjiang, China

Tanais – Rostow am Don

Tavan Bogd – die Fünf Könige, die höchsten Erhebungen im Altai-Gebirge

Tien Shan – die Himmlischen Berge, die sich von Kirgistan bis nach Nordchina erstrecken

Tolosa – Toulouse

Viminacium – Kostolac, Serbien

 

Verzeichnis der wichtigsten Personen

Namen mit einem Sternchen* sind historisch belegt. Die übrigen könnten existiert haben.

 

Aëtius* – Gaius Flavius Aëtius, geboren am 15. August 398 in der Grenzstadt Silestria im heutigen Bulgarien. Sohn des Gaudentius, des Oberbefehlshabers der Kavallerie; später selbst Oberbefehlshaber der Kavallerie der vereinigten Armeen Westroms

Aladar – Hunnenkrieger, Sohn Chanats und einer der acht Auserwählten

Amalasuntha* – einzige Tochter des visigotischen Königs Theoderich

Athenais* – Tochter des Leontius, eines athenischen Professors, spätere Gemahlin von Kaiser Theodosius II.

Attila* – geboren am 15. August 398, König der Hunnen

Bayan-Kasgar – General und späterer König des Volkes von Oroncha

Bela – Hunnenkrieger, einer der acht Auserwählten

Bleda – älterer Bruder Attilas

Candac – Hunnenkrieger, einer der acht Auserwählten

Chanat – Hunnenkrieger, einer der acht Auserwählten

Charaton – Anführer der Weißen Hunnen

Checa* – Königin Checa, Hauptfrau Attilas

Csaba – Hunnenkrieger, einer der acht Auserwählten

Dengizek* – ältester Sohn Attilas

Ellak* – zweiter Sohn Attilas

Enkhtuya – eine Hexe der Kutrigurischen Hunnen

Galla Placidia* – geboren 388, Schwester Kaiser Honorius’, Mutter Kaiser Valentinians III.

Genserich* – geboren 389 in der Nähe des Plattensees im heutigen Ungarn, König der Vandalen ab 428

Geukchu – Hunnenkrieger, einer der acht Auserwählten

Honoria* – geboren 422, Tochter der Galla Placidia, Schwester von Valentinian III.

Juchi – Hunnenkrieger, einer der acht Auserwählten

Kuridach – Anführer der Hephthalitischen Hunnen

Kleiner Vogel – ein Schamane bei den Hunnen

Mundschuk* – älterer Bruder Rugas, kurzzeitig König der Hunnen

Noyan – Hunnenkrieger, einer der acht Auserwählten

Orestes* – durch Geburt griechischer Sklave, lebenslanger Gefährte Attilas

Pulcheria* – Schwester Kaiser Theodosius’ II.

Ruga* – jüngerer Bruder Mundschuks, König der Hunnen

Himmel-in-Fetzen – Anführer der Kutrigurischen Hunnen

Theoderich* – Sohn Alarichs, wie dieser König der Visigoten, 419  451

Theoderich der Jüngere* – der Erstgeborene von König Theoderichs sechs Söhnen

Theodosius II.*, mit Beinamen «Kalligraphos», der Kalligraph – Kaiser des Oströmischen Reiches, 408  450

Tokuz-Ok, «Neun Bogen» – Gottkönig des Volkes von Oroncha

Torismond* – der zweite von König Theoderichs sechs Söhnen

Valentinian – geboren 419, Kaiser des Weströmischen Reiches, 425  455

Yesukai – Hunnenkrieger, einer der acht Auserwählten

 

Für Iona

Prolog

Dreißig Jahre waren vergangen, seit der kleine Hunnenknabe, Prinz Attila, in die Verbannung geschickt worden war. Niemand weiß, was ihm während des Exils in den unermesslichen Weiten Skythiens widerfuhr, als nur sein treuer griechischer Sklave Orestes bei ihm war. Doch man kann es sich gut vorstellen. Denn die Schriften warnen uns vor Männern, die geboren werden, wenn die Funken aufwärtsfliegen. Und große Männer bringen auch großes Leid.

In dieser Chronik werde ich, Priscus von Panium, von Attilas unseliger Rückkehr in die Heimat seines Hunnenvolks berichten. Wie Attila aus der unheimlichen Wildnis zurückkehrte, wie er sich auf blutige Weise selbst zum König krönte und wie er alle Stämme seines eigenen Volks und befreundeter Völker zu einer großen Armee versammelte. Einer Armee, die Angst und Schrecken verbreitete und sein einziges Verlangen stillen sollte: Rache am Römischen Reich zu nehmen, dem verhassten Imperium, das ihm seine Kindheit verleidet und die Jugend genommen hatte. Und das sein Volk während der langen Jahre des Exils erniedrigt hatte. Nun war alles vorbereitet für den akribisch geplanten, apokalyptischen Rachefeldzug.

Hier beginnt unsere Geschichte.

Erster Teil

Das Wiedererscheinen des Königs

1.

Der schwarze Reiter

In den Steppen Skythiens, im Herbst Anno Domini 441

Der alte Hunnenkrieger brachte sein Pferd zum Stehen und blickte angestrengt nach Osten. Noch immer sah er den seltsamen Reiter in der Ferne. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hatte der Fremde dort in der glühenden Sonne und unter dem eisigen Mond verbracht und sich kaum von der Stelle bewegt. Er schien nicht von dieser Welt.

Den alten Krieger überlief es kalt.

Es war der Monat der Stürme, und der Himmel färbte sich dunkel vor Erwartung. Der Wind fegte durch das braune, vertrocknete Federgras der Steppe, das die sechs Monate andauernde unerbittliche Sommerhitze versengt hatte. In den ausgedörrten Flussbetten wurde der Staub in Spiralen aufgewirbelt. Graue Wolken trieben rastlos über den Himmel. Die Pferde wieherten nervös und versuchten auszubrechen, und die Hunde legten die Ohren an und winselten leise unter den abgedeckten Wagen.

Es war ein Tag des Wartens und der aufgestauten Energie. Und hinter den Vorhängen der Welt erwachten die Geister zum Leben und heckten neue Unbill aus, mit der sie den Menschen – die sie nur bewundern und verehren, niemals aber verstehen konnten – auf ein Neues ihre grenzenlose Macht und Verspieltheit demonstrieren würden.

Einige behaupteten später, sie hätten urplötzlich einen Blitz über den Himmel zucken sehen, ganz ohne Donner. Andere glaubten, es sei der Schatten eines riesigen Adlers am Grabhügel drüben in der Ebene gewesen.

Der fremde Reiter saß auf seinem gedrungenen, scheckigen Hengst in der Nähe des länglichen Grabhügels von Mundschuk, der seit mehr als dreißig Jahren tot war. In den Stammesgesängen hieß es, der Bruder König Rugas sei nicht gestorben, vielmehr habe ihn ein riesiger Adler, kein anderer als Astur, der Göttervater, entführt. Mundschuk, im Zenit des Lebens stehend, sei zusammen mit zahlreichen Opfertieren sowie seinen schönsten Frauen und Sklavinnen in den Ewigen Blauen Himmel gebracht worden, wo er nun bis zum Ende aller Tage siegreich kämpfe und Feste feiere. Die Pforten des Todes durchschritt Mundschuk im Gegensatz zu allen Sterblichen dagegen niemals.

Nach einer Weile war König Ruga es jedoch leid, wenn seine Leute ständig Mundschuks Loblied sangen, und verbot die Erinnerung an seinen Bruder. Und tatsächlich kennen heute nur noch wenige Stammesangehörige seinen Namen. Drei Jahrzehnte waren eine lange Zeit; eine Frau galt schon mit zwanzig Jahren als alt.

Der Hunnenkrieger blickte erneut hinüber zu dem Grabhügel. Obwohl seine alten, wässrigen Augen, mit denen er gegen den trockenen Steppenwind anblinzelte, den seltsamen Reiter nur undeutlich erkennen konnten, jagte ihm dessen reglose, aber umso kraftvollere Gestalt einen Schauder über den Rücken. Früher einmal hätte er ohne zu zögern seinem Pferd die Sporen gegeben und wäre auf den Eindringling zugaloppiert. Er hätte einen Pfeil aus dem Köcher gezogen und ihn noch im Reiten abgeschossen.

Wer war dieses einsame Gespenst aus den Steppen, das sein Pferd ausgerechnet auf dem Grabhügel eines Königs zum Stehen brachte, ohne um Erlaubnis zu bitten?

Chanat zögerte, die kräftige Bogensehne zu spannen. Er war mittlerweile alt und sollte lieber zurück ins Lager reiten und Bericht erstatten. Bald schon würde er wie ein Mann in der Schlacht fallen. Nacht für Nacht erbat er von den Göttern einen Tod im Kampf. Doch nicht heute. Nicht in einem einsamen Gefecht mit einem unbekannten Reiter draußen in der Steppe, ohne einen Zeugen, der seinen Tod besingen konnte.

Der Reiter auf dem Hügel wandte den Kopf ein wenig zur Seite und schien den alten Krieger nun direkt anzusehen. Chanat konnte den Gesichtsausdruck des Fremden nicht erkennen. Seine Augen waren alt und schwach. Doch ihm war, als ob der Reiter mit einem Mal von einer starken Unruhe erfasst wurde, die nur darauf wartete, sich Bahn zu brechen. Der Wind zauste durch die kurze Mähne seines Pferdes und blies auch dem Reiter die dunklen Haare in die Stirn. Sogar die Art, wie er die Zügel hielt, wie er das Pferd mit zusammengepressten Schenkeln kontrollierte, verriet seine gespannte Energie. Alles an ihm schien aus dunklem Stein oder Eisen; es war nichts Weiches an ihm.

Plötzlich hob der Fremde den rechten Arm und vollführte eine rasche Drehung des Handgelenks. Es war nur eine flüchtige Bewegung, aber ein eindeutiges Zeichen. Dann ließ er den Arm wieder sinken und blickte starr geradeaus.

Der alte Krieger konnte nichts tun, als der Aufforderung des Mannes nachzukommen. Er, der sich über dreißig Jahre lang von niemand anderem als König Ruga hatte Befehle erteilen lassen, gab seinem Pferd die Sporen und ritt auf den Grabhügel zu.

Immer näher kam er dem schwarzen Reiter. Bis er ihm ins Gesicht blicken konnte, ungläubig, staunend. Nein, das konnte nicht sein!

Der Fremde war vermutlich Mitte vierzig. Er trug einen kurzen pelzbesetzten Umhang, der am Hals mit einem Lederriemen zusammengebunden war. Der Umhang war wohl einmal dunkel und glänzend wie ein Nerz gewesen, doch nun war er grau und staubig. Der spitze Kalpak aus Filz, die traditionelle Kopfbedeckung der Hunnen, war weit in die Stirn gezogen. Sein von grauen Stellen durchzogenes dichtes, dunkles Haar fiel auf muskulöse Schultern herab. Unter den Brauen funkelten dunkle Augen, doch die Heiterkeit darin war allenfalls wild und bitter. Seine kräftige, knochige Nase musste im Laufe vieler Jahre wohl mehr als einmal das Ziel von Schlägen gewesen sein. Der Mund besaß einen extrem harten Zug; das Kinn bedeckte ein allmählich grau werdender Bart. Der Mann trug goldene Ohrringe. Unter dem Umhang stachen kupferfarbene Arme hervor, die bis auf zwei Silberringe um den Bizeps entblößt waren. Er hatte sehr ausgeprägte, harte Muskeln, und seine sehnigen Unterarme waren von dicken Adern durchzogen und erinnerten an die eines Hufschmieds, nur waren sie überall vernarbt. Insbesondere der rechte Arm wirkte mit seinen Linien und Kreuzen wie das Schneidebrett eines Knochenhauers. Seine Reithose war mit überkreuzten Bändern versehen, und er trug ramponierte Stiefel aus Hirschleder. An einem breiten Ledergürtel um seine Taille hingen ein kurzes Kriegsbeil mit einer gezackten Klinge, die einen Bogen beschrieb, sowie ein schwarzes Lasso. Auf der anderen Seite ruhte ein prächtiges Schwert – wohl eher persischer oder byzantinischer Machart, mit feinen goldenen Verzierungen am Knauf und einer verkratzten Scheide aus Leder –, das aufgrund seiner gewellten, schmaler werdenden Form und der langen Spitze an eine spanische Klinge erinnerte. Quer über den Rücken trug der Fremde einen ledernen Köcher für seine Pfeile und einen kurzen, todbringenden Bogen. Seine stark geäderten Hände waren die kräftigen Tatzen eines hungrigen Bären. Zu Fäusten geballt, lagen sie auf dem Knauf des groben, hölzernen Sattels. Seine Haut schien wettergegerbt. Seine ganze Erscheinung war die eines Mannes, der jahrelang eisige Stürme, schneidende Wüstenwinde und irrsinnige Gluthitze hatte aushalten müssen und der doch unbeirrt immer weiter geritten war.

«Sieh an», sagte der schwarze Reiter mit heiserer, aber weicher Stimme. «Chanat. Noch immer am Leben.»

Chanat erwiderte nichts. Ein alter Mann war schließlich eine Last und eine Schande für sein Volk; schon vor langer Zeit hätte er mit dem Schwert in der Hand auf einem Schlachtfeld fallen sollen.

«Nun, das gilt ja auch für mich», fügte der Reiter hinzu. «Noch immer am Leben. Heute komme ich nach Hause und verlange mein Recht.»

Es bestand kein Zweifel mehr. Chanat sah erneut zu dem Fremden auf. Er war es.

Aus östlicher Richtung kam ein weiterer Reiter auf einer braunen Stute herangeritten. Er war etwa genauso alt, vielleicht ein, zwei Jahre jünger, und wirkte ebenso abgekämpft und erschöpft. Sein Blick schien wach und flink. Er trug keine Kopfbedeckung, und sein oben bereits kahlwerdendes Haupt gab ihm ein beinahe mönchisches Aussehen. Das helle Haar war an den Seiten kurz geschoren, und die Stoppeln auf Wangen und Kinn wie auch seine Hautfarbe wiesen darauf hin, dass er kein Hunne war. Aber auch er trug quer über dem Rücken einen kurzen Hunnenbogen sowie zwei Köcher.

Chanat glaubte, ihn nach all den Jahren ebenfalls wiederzuerkennen. Damals war er ein Sklavenjunge gewesen, einer jener hellhäutigen Griechen. Und während all der Jahre des Exils der treue Diener seines Herrn, mit dem er gewiss zahlreiche Geheimnisse, Schrecken und leidvolle Erfahrungen teilte.

Der Diener neigte das Haupt zum Gruß, und Chanat antwortete ebenfalls mit einem Nicken.

«Chanat», befahl der schwarze Krieger. «Reite ins Lager und bring uns einen Spaten.»

Chanat runzelte die Stirn. «Einen Spaten, Prinz Attila?»

«Attila Tanjou», erwiderte der Mann. «König Attila.»

***

Zweimal wurde Chanat mit Fragen überschüttet, als er vom Lager wegritt, den Spaten quer über den Sattel gelegt. Beide Male ignorierte er die Fragenden und ritt hochmütig weiter. Denn in seinem Herzen, in der ganzen Brust, ja überall in seinem steifen, alten Körper spürte er eine stetig wachsende Erregung, wie er sie seit Jahren nicht mehr empfunden hatte. Sein wahrer Herr hatte ihm einen Befehl erteilt. Nichts sonst zählte mehr. Der kleinste Wink seines Meisters musste umgehend befolgt werden. Denn Attila war der Herr und Meister, nach dem Chanat sich ein Leben lang gesehnt hatte. Nicht der alte degenerierte Vielfraß dort im Zelt, in seiner weißen Tunika aus weicher anatolischer Wolle und den geschenkten Gewändern aus byzantinischer Seide! Sein Brustschmuck bildeten kaiserliche Münzen, massive Goldmünzen, in die Symbole fremder Religionen und die Häupter ausländischer Könige eingeprägt waren. Er hatte stets Weinflecken im Bart und schnarchte vermutlich gerade im Schoß eines Sklavenmädchens, während die Schwerter und Speere an den Zeltpfosten ihrer Jurten vor sich hin rosteten.

Dort am Grab Mundschuks wartete ein echter Befehlshaber auf ihn, stolz und entschlossen, trotz der ärmlichen Kleider, der staubigen, abgetragenen Tierhäute. Dort war sein Tanjou. Sein König.

Chanat ritt an den gelangweilten Wachen vorbei, bereit, ihnen den Schädel mit der flachen Seite des Spatens einzuschlagen, sollten sie es wagen, ihn aufzuhalten. Doch dazu kam es nicht.

Der alte Krieger mit seiner hageren, grimmig dreinblickenden Erscheinung war im schläfrigen Lager der Hunnen noch immer ein respektierter Mann.

Wenig später reichte er seinem Tanjou, für den er alles gegeben hätte, selbst sein dünnes, altes Blut, den Spaten.

«Gib ihn Orestes», sagte Attila.

Der hellhäutige Grieche nahm den Spaten aus Chanats Händen entgegen und glitt gewandt aus dem Sattel.

Attila ritt auf der Ostseite des Grabhügels hinab und blickte mit einer ruckartigen Bewegung seines Kopfes zurück. «Beginnt dort zu graben», befahl er mit wildentschlossenem Blick. «Und öffnet eines der Gräber …»

Chanat zögerte. «Eines der Königsgräber?»

«Das Grab Mundschuks», erklärte Attila. «Das Grab meines Vaters.»

Ein Schatten huschte über Chanats Gesicht, doch er schwieg und sah zu, wie Orestes mit dem Spaten in den Boden stach und die Steine des Grabes von der Schwarzerde befreite. Attila ritt heran, stieg selbst ab und kniete neben dem länglichen Steinhaufen nieder, von dem er einen Stein nach dem anderen behutsam entfernte. Dann hielt er lange inne, bevor er schließlich einen Arm hineinsteckte. Er wischte kleine Erdbrocken beiseite, legte seine warme Handfläche auf die Stirn des kalten Schädels seines Vaters und betete um Vergebung.

Eine Weile verharrte er so, dann griff er auch mit der anderen Hand hinein und schien an dem einsamen, mit Erdreich bedeckten Skelett zu zerren. Mit einem Ruck stand er schließlich auf und bestieg hastig sein Pferd.

Abwechselnd füllten der zähe Grieche und der alte Hunnenkrieger die offene Wunde, die in die heilige Erde gerissen worden war, mit Steinen. Dann häuften sie Erde darüber und setzten die Grasnarbe obenauf. Schließlich klopfte Orestes alles mit dem Spaten fest, bis der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt war.

Die beiden Männer saßen nun ebenfalls wieder auf und trieben ihre Pferde über das langgestreckte Hügelgrab. Attila hielt den rechten Arm in die Höhe und rezitierte mit tiefer, vibrierender Stimme die Totenklage der Hunnen.

Dann gaben alle drei ihren Pferden die Sporen und ritten den steilen Abhang mit den Gräbern hinab auf das Hunnenlager zu.

Als sie sich den Zelten näherten, aus denen friedlicher Rauch aufstieg, hielt Attila sein Pferd an, und seine beiden Gefolgsleute taten es ihm gleich.

«Er wurde ohne seine Pferde, ohne seine Ehefrauen und Sklavinnen bestattet.» Sein Tonfall wurde heftiger, als er sich Chanat zuwandte. «Ohne einen einzigen Goldring schickte man ihn auf die Reise!»

Chanat hielt seinem Blick nicht stand.

«Sprich!», heischte Attila ihn an.

Mit schmerzerfüllter Stimme hauchte Chanat: «Frage mich nicht, Tanjou. Frage mich nicht nach den Toten.»

Attila ließ seinen Blick streifen und schaute schließlich starr in die Weite. Als würde er dem Horizont selbst die Kehle durchschneiden wollen.

Dann ritten sie ins Lager.

2.

Das brennende Zelt

Das Hunnenlager befand sich an einer Biegung des Dnjepr, des Flusses, den die Griechen Borysthenes nennen. Er entsprang weit im Norden in den Eisbergen, und sogar am Ende eines glühenden Sommers floss der Strom noch breit und ruhig durch das Grasland aufs Schwarze Meer zu. Dort hatten die Hunnen den ganzen Sommer lang Barsche getrocknet, Fleisch gepökelt und sich an dem großen Flussstör gütlich getan. Sie hatten Federwild gejagt und den plumpen grasfressenden Saigaantilopen aufgelauert, wenn die Tiere in der Abenddämmerung zum Trinken kamen.

Früher einmal war der Sommer die Jahreszeit für Krieg gewesen, der Winter dagegen die für den Frieden. Nun aber waren die Hunnen schon lange nicht mehr in die Schlacht gezogen; sie kämpften nicht einmal mehr mit ihren Stammesrivalen. Das ganze Jahr über herrschte Frieden.

Am Eingang des weitverstreuten Lagers sahen die Wachposten Chanat und seine Begleiter verunsichert an. Einer von ihnen griff nach dem Strick, der Orestes’ Pferd als Zügel diente, und der Grieche hielt, ohne zu protestieren, an. Attila jedoch ritt einfach vorbei und sah die Wachen dabei so durchdringend an, dass keiner wagte, ihn anzuhalten. Er gelangte zur Jurte des Königs, zog den Kopf ein und gab seinem Pferd die Sporen, um durch die Zeltplanen hinein in das große Außenzelt zu reiten. Zwei Krieger richteten ihre Speere auf ihn und fragten ihn nach seinem Namen.

«Namenlos und fluchbeladen», sagte er, schwang ein Bein über den Hals seines Pferdes und glitt hinab.

Als er auf den inneren Zeltbereich zumarschierte, vertrat ihm einer der beiden Wachposten den Weg. Doch gleich darauf krümmte sich der Mann vornüber – Attilas hellglänzende Schwertklinge steckte in seiner Magengrube.

Der Verwundete torkelte rückwärts und sank heftig blutend zu Boden. Der andere Wachposten kam mit gezücktem Speer auf Attila zu, woraufhin dieser das Heft mit einem kräftigen Seitenhieb seines Schwertes entzweibrach. Attila trat nahe an den Krieger heran und hieb ihm die Klinge unterhalb des Arms zwischen die Rippen. Anschließend zog er das Schwert heraus und ging unbeirrt weiter, während der Wachposten hinter ihm tot zusammensackte. Attila packte den Vorhang aus feiner byzantinischer Seide zum inneren Zelt, riss ihn herunter und trat mehrfach mit seinen Stiefeln darauf herum.

König Ruga erhob sich schwankend von seiner Liege, ein junges Mädchen kniete zu seinen Füßen. Der König starrte den Eindringling mit verschwommenem Blick an. Er war fett geworden in den letzten Jahren, aber er war trotz seiner sechzig Jahre noch immer eine beeindruckende Persönlichkeit, mit einem vollen Bart, der so untypisch für einen Hunnen war, und kräftigen, gerundeten Schultern. Guter Wein hatte seine Stupsnase jedoch tiefrot gefärbt, und seine Augen waren geschwollen und blutunterlaufen. Er warf dem Mädchen zu seinen Füßen einen raschen Blick zu und gab ihr einen leichten Stoß, woraufhin sie nach draußen huschte. Dann sah er wieder die Gestalt vor sich an.

«Wer hat dich gesandt?», fragte er unvermittelt. Und obwohl er wegen des vielen Weines leicht zitterte, zeigte er keine Furcht.

«Wer mich hergesandt hat?» Attila lächelte. «Astur. Astur hat mich hergesandt.»

Rugas Blick wurde starr.

Der Fremde zog die Kopfbedeckung von seiner breiten, sonnenverbrannten Stirn, und der alte König sah drei blasse, rötliche Narben. Die Narben auf den Wangen des Fremden waren dagegen bläulich und sehr fein, vermutlich hatte sie ihm seine Mutter als Baby zugefügt. Er war eindeutig einer aus dem Volk. Doch die Narben auf seiner Stirn waren hier im Land nicht üblich. Außer bei Verrätern, die ins Exil geschickt wurden oder zum Tod verurteilt waren.

Schweigend wie eine Statue stand Attila vor ihm, von seiner Klinge tropfte noch Blut. Ruga schien wie traumverloren, verwundert und dann auf einmal seltsamerweise erfreut. Er schritt auf den Fremden zu und schlang seine stark behaarten Arme um ihn.

«Mein Junge!», rief er laut. «Nach dreißig Jahren bist du endlich zurückgekommen. Bestimmt hat Astur dich gesandt. Bestimmt warst du in Asturs Gewahrsam, der dich dreißig Jahre lang schützend unter seinen Fittichen bei sich trug!» Er ließ ihn los und trat ein Stück zurück. «Ich … ich hatte nie gedacht, dich je wiederzusehen, als ich dich, so wie es Recht und Gesetz war, von hier wegschickte …», stammelte er. «Nicht einmal ein Tanjou kann sich über das Gesetz seines Volkes hinwegsetzen. Vergiss das nicht, mein Junge, wenn du in dein Königreich zurückkehrst. Ach, Attila, ich hätte alles darum gegeben …»

«Du hast meinen Vater ermordet!», sagte Attila ruhig. Er streckte die linke Hand aus, die Handfläche nach oben gerichtet. «Hier ist die Pfeilspitze, die ich in seinem armseligen Grab bei seinem Skelett fand.»

Ruga starrte ihn an, mit trübem Blick. Er wankte. Dann drehte er sich um und nahm auf der Liege Platz. «Setz dich neben mich», sagte er.

Attila blieb vor ihm stehen.

«Attila», sagte der alte König und streckte seine dickliche, starre Hand nach ihm aus, als wolle er sein Gesicht und die Narben des Verräters berühren, ließ sie dann aber wieder sinken. Er holte tief Luft. «Mundschuk war kein verehrungswürdiger Mann. Er wurde umgebracht, das stimmt. Aber ich konnte nichts dagegen tun.»

Attilas Augen blitzten auf, doch er konnte nicht sprechen.

«Die Erinnerung geht seltsame Wege.» Ruga schüttelte beinahe sorgenvoll den Kopf. «Und oft ist es mit der Phantasie genauso. Du kennst das Gesetz des Stammes. Nachdem Bleda, dein älterer Bruder, zur Welt gekommen war, lag Mundschuk nie mehr bei deiner Mutter. Er liegt allein in seinem Grab. Ja, umarme mich, mein Junge. Denn ich …»

Attila ließ sich auf die Schulter des Königs fallen und schlang seine Arme um ihn.

Ruga weinte vor Rührung und Glück. «Mein Junge …», sagte er, «mein Junge …» Die Stimme versagte ihm. Dann drang auf einmal nur noch ein erstauntes Röcheln aus seiner Kehle.

Attila wich ein wenig zurück und legte die Hände um den Hals des alten Mannes. In der Hand hielt er noch die Pfeilspitze, die Mundschuk getötet hatte. Mit einem Griff, der so kräftig war wie der Kiefer eines Wolfs, drückte er langsam dem japsenden König die Pfeilspitze in die Kehle.

«Du lügst», sagte er leise.

Rugas fleckige Hände fuhren zittrig über Attilas unerbittlichen Griff an seinem Hals, doch sie waren so hilflos wie Motten. Seine Füße, die in Pantoffeln steckten, suchten vergeblich auf der Schilfmatte nach Halt, während seine Augen flehentlich nach oben gerichtet waren.

Attila drückte fester zu, und die Pfeilspitze drang durch die fleischigen Hautfalten und bohrte sich dann in die Luftröhre des alten Mannes. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, schäumendes Blut aus kollabierenden Lungen.

«Mein Junge …», keuchte der sterbende König. «Mein Sohn …»

Attila legte eine Hand auf Rugas Stirn und presste seinen Kopf nach hinten. Mit dem Daumen der anderen Hand drückte er die Pfeilspitze immer tiefer in die blutbefleckte Kehle, bis die schmutzige, rostige Metallspitze gegen die Wirbelsäule stieß. Mit einer letzten, heftigen Bewegung bohrte er sie vollständig hinein.

Der alte König war tot.

Attila zog seinen Daumen aus dem blutigen Loch der Kehle. Es quoll noch Blut heraus, dann versiegte der Strahl allmählich, bis er gänzlich verebbte.

Attila trat zurück, schweißüberströmt, und starrte auf den toten Mann vor sich. Seine Hände troffen von Blut, und seine Brust hob und senkte sich schwer. Dann schüttelte er heftig den Kopf. Er zückte sein Schwert, griff nach dem verblassten Haarschopf des Königs und hieb ihm den Kopf vom Leib. Anschließend ging er ins Vorzelt, stieg wieder auf sein Pferd, das der Schlächterei teilnahmslos zugesehen hatte, und ritt zum Zelt hinaus.

Draußen auf der Freifläche, die sich durch die kreisförmige Anordnung der Zelte ergeben hatte, ließ Attila das Haupt in den Staub fallen und wartete. Langsam kamen die entsetzten Hunnen näher. Männer mit dicken Bäuchen und offenstehenden Mündern wie bei dem toten König; Frauen mit großen, zu Tode erschrockenen Augen, die Babys säugten; wohlgenährte Kleinkinder, die neugierig zwischen den Beinen ihrer Eltern hervorkrochen. Insgesamt nicht mehr als ein paar hundert Menschen, darunter viel mehr Männer als Frauen. Denn die Frauen starben oft am Kindbettfieber, während kein einziger Krieg die Männer dezimiert hatte.

Attila betrachtete die zerlumpte, staubige, friedliche Menge, als plötzlich eine Stimme, die Stimme Chanats, rief: «Heil, Tanjou Attila, unser König!»

Immer noch musterte Attila mit ernstem Gesicht seine Leute. Nach einem langen, unangenehmen Schweigen winkte er Chanat zu sich. «Bring mir ein Holzscheit.»

Chanat ritt zu den erwartungsvoll dreinblickenden Männern und Frauen hinüber, die sich sofort in Bewegung setzten, um seinen Wunsch zu erfüllen. Nicht weniger als acht brennende Fackeln wurden ihm kurz darauf gereicht. Er entschied sich für die am hellsten brennende und brachte sie seinem Tanjou.

Attila nahm sie mit seiner Rechten entgegen, wendete sein Pferd, ritt zurück zum Königszelt und warf die Fackel auf die weißen Filzwände. Sofort begannen die Flammen den Stoff und die hölzernen Pfosten, von denen sie herabhingen, zu verzehren.

«Herr», sagte Chanat und trat neben ihn. «Das Mädchen …»

«Hm …», machte Attila, blickte über die Schulter und zwirbelte dabei nachdenklich seinen dürren Bart. «Und das Gold.»

Er trieb seine Absätze in die Flanken des Pferdes, worauf das erschrockene Tier auf die Hinterbeine ging und wieherte. Der Geruch nach verbrennendem Fett stieg ihm bereits in die Nüstern. Doch Attila griff nach dem Lasso an seinem Gürtel und schlug gnadenlos auf den Leib des scheuenden Pferdes ein. Mit der anderen Hand zurrte er die Zügel so heftig zusammen, dass der Kopf des Tieres in den Nacken gerissen wurde. Noch einmal trieb Attila seine Absätze in die Flanken des Tieres, dann schoss das Pferd durch den brennenden Zelteingang.

Die Umstehenden schauten ungläubig zu. Seit einer ganzen Generation hatten sie so etwas nicht mehr gesehen. Und dies, das ahnten sie, war erst der Anfang.

Zwischen den Männern und Frauen sah noch jemand anders zu. Der schweigsame griechische Sklave beobachtete, wie einer der Hunnen, ein junger Mann von gerade mal zwanzig Jahren, einen Schritt auf das Zelt zu machte, als wolle er seinem Herrn folgen. Orestes musste heimlich lächeln.

Als die Holzpfähle nachgaben, brach eine Zeltwand zusammen, und das Prasseln der Flammen wurde noch heftiger. Die Umstehenden wichen vor der ungeheuren Hitze zurück. Einige sahen zu Chanat hinüber, doch der rührte sich nicht vom Fleck. Flammen züngelten hoch in den düsteren, schiefergrauen Himmel. Immer höher schlugen die Funken, und Asche sowie einzelne Stücke von verbranntem Filz wirbelten wie versprengte Opfer an die Götter in die Luft. Das Zelt war ein Inferno. Niemand konnte darin überleben.

Kein Zweifel, der Mann, der heute gekommen war, war kein Mörder oder Usurpator, sondern schlicht ein Verrückter.

Doch plötzlich sprengten Pferd und Reiter im Galopp durch die brennenden Fetzen des Zeltes und kamen schließlich in einer Staubwolke vor der Menge zum Stehen. Ungläubig starrten die Männer und Frauen des Stammes sie an. Das Fell des Tieres rauchte noch, und es roch nach versengten Haaren. Das Gesicht des Reiters war pechschwarz, seine Augen glühten förmlich darin.

Ein Blitz zuckte über den Himmel und fuhr in den letzten Pfosten des königlichen Zeltes. Die Götter waren erzürnt und machten die Jurte dem Erdboden gleich.

Der neue König blickte sich nicht einmal um, und auch sein keuchendes, angesengtes Pferd verhielt sich wieder ganz ruhig.

Auf den Blitz folgte kein Donner, so schworen nachher alle, die zugegen waren. Es fielen auch keine Regentropfen, die nach und nach den schrecklichen Brand hätten löschen können.

Das zusammengebrochene Zelt verging zu Asche. Es war der Wille der Götter.

Vor dem eindrucksvollen tiefroten Flammenmeer saß Attila mit schwarzem Gesicht auf seinem Pferd und blickte über sein Volk. Dann ließ er das Bündel, das er vor sich auf dem Sattel trug, zu Boden gleiten. Es war die junge Sklavin, die Favoritin des toten Königs. Sie war in einen Teppich gewickelt, damit ihre blasse Haut nicht versengt wurde. Sie rappelte sich auf und taumelte rückwärts, weg von dem entsetzlichen Anblick des rußgeschwärzten Reiters. Die Augen des Mädchens leuchteten, und das lag nicht nur am Widerschein des Feuers.

Attila wandte sich um und zerrte an seinem Lasso. Und nun sahen die Umstehenden, dass er auch die große Schatztruhe aus der Brandhölle gerettet hatte. Der wahnsinnige Reiter oder versengte König, wer auch immer es war, löste sein Lasso aus den Haltegriffen der Truhe und gab Chanat ein Zeichen mit dem Kopf. Der alte Krieger saß ab, ging zu der Truhe hinüber und hieb mit seiner Axt darauf ein, bis etwas im Innern knackte. Dann griff er nach dem schweren Deckel und hob ihn an. Die Truhe war bis an den Rand mit Goldmünzen gefüllt.

Der schwarze Reiter paradierte vor seinen Leuten auf und ab wie ein General vor einer Schlacht. Mit seltsam singender Stimme sprach er:

Was weder Macht noch List vermochten,

In Jahrhunderten voller Streit und Krieg,

Gelang nun ein paar Feiglingen,

Um armsel’ger Tagelöhner Sold.

Unruhig traten die Umstehenden von einem Fuß auf den anderen.

Attilas Stimme wurde rauer. «Doch nun nichts mehr davon. Einst wart ihr ein Volk von großen Kriegern, die vom Altai bis zum Kaspischen Meer und bis zu den Ufern der Donau gefürchtet wurden. So soll es wieder sein. Die Götter sind auf unserer Seite.»

Er heftete seine glühenden Augen auf sein auserwähltes Volk, und sie fühlten sich bei seinem Anblick von seinem heiligen Feuer angesteckt.

«Was das Gold angeht», erklärte Attila verächtlich und warf einen Blick auf die geöffnete Truhe, «so könnt ihr es haben. Kein echter Krieger macht sich etwas aus Münzen.» Er blieb stehen, sah sie nochmals streng an und wirkte auf einmal noch größer in seinem Sattel. «Ich bin Attila. Ich bin euer Tanjou. Ich bin der Sohn des Mundschuk, der Sohn Uldins, der dreißig Sommer lang auf Geheiß eines toten Mannes im Exil zubringen musste.»

Er blickte auf die Überbleibsel des verkohlten Zeltes und dann wieder in die gebannten Gesichter. Einige der Männer und Frauen senkten den Kopf, wie zum Zeichen kollektiver Schuld. Doch Attilas Stimme überraschte sie erneut, denn nun klang sie sanfter.

«Ich bin euer Tanjou, und ihr seid mein Volk. Ihr werdet für mich kämpfen, und ich werde für euch sterben. Wir werden die Gestade des westlichen Ozeans und die Inseln des Mittelmeers erobern, und niemand wird sich gegen uns erheben.»

Einstimmig jubelte jetzt das Volk, und endlich setzte auch der Regen ein.

In Attilas Augen blitzte etwas wie Belustigung auf. Hinter ihm zischten und rauchten die Reste des königlichen Zeltes unter den schweren, prasselnden Regentropfen wie ein großes Tier, das seinen letzten Atemzug tat.