Titelbild
Titelbild

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

ISBN 978-3-492-97683-1

Mai 2017

© Piper Verlag GmbH, München 2017

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: Christian Brecheis

Künstlermanagement: Ring of Fire GmbH

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Servus

Wenn du nicht aus München kommst oder wenigstens aus Bayern bist, dann denkst du bei »Servus« wahrscheinlich, dass wir uns gerade verabschiedet haben. Auf eine gewisse Art und Weise stimmt das auch. Zumindest sind wir jetzt schon ein ganzes Stückl weiter auseinandergerückt.

Das joviale »Du«, mit dem ich dich hier anspreche, ist nämlich weniger freundschaftlich gemeint, als du es vielleicht interpretierst. Direkt geringschätzig oder boshaft ist es aber auch nicht gedacht. Das kommt vielleicht noch …

Ich sag’s einmal der Vollständigkeit halber, auch wenn es arg unwahrscheinlich ist: Vielleicht werden wir zwei irgendwann die besten Freunde. Falls du bis zum End von der Geschichte durchhältst und ganz am Schluss sagst »Also der Harry, der is scho a Hund«, dann wär das ein erster Schritt. Oder lass es uns so ausdrücken: Es wäre ein Schritt von dir auf mich zu. Ich steh dann zwar immer noch da, wo ich vorher war, aber ich geh auch nicht gleich weg. Denn grundsätzlich bin ich dir gegenüber leider skeptisch eingestellt. Nicht falsch verstehen, das darfst du mir gegenüber auch sein. Skepsis ist absolut angebracht! Ich find ja sowieso, dass wir generell ein bisserl mehr skeptisch sein sollten, wenn irgendwer grundlos freundlich ist.

Falls du aus dem Rheinland kommst, dann geh ich zum Beispiel gleich mal ein Stückl weiter weg. Nicht zwangsläufig außer Sichtweite, aber zumindest so, dass du mich nicht direkt umarmen und zu deinem Geburtstag einladen kannst, zu dem nur deine allerbesten Freunde kommen.

Merke: Dem Münchner allgemein und mir im Besonderen ist alles zu nah, was den Watschnabstand[1] unterschreitet.

Diese spezielle münchnerische »Armlänge Abstand« hat bei uns eine ganz eigene Bedeutung und gilt ganz allgemein. In der U-Bahn, auf dem Marienplatz, auf der Tanzfläche … ganz egal. Vor allem vom typischen Rheinländer wird dieser Sicherheitsabstand gerne konsequent unterschritten, sodass nicht einmal genug Platz für eine halbwegs fachgerecht durchgeführte Watschn bleibt. Und das halb weiche Schubserle, das man mit angewinkelten Armen grad noch so hinbekommt, ist ganz allgemein unter des Bayern Niveau.

Falls du aus dem Großraum Berlin kommen solltest, gelten natürlich ähnlich liebevoll gepflegte Vorurteile. Da oben war schließlich mal die Preußenhochburg, und irgendwie ist sie da ja immer noch. Das gesamte Preußentum rund um Kaiser Friedrich und seine ganze Flötistengarde ist da oben einst losmarschiert und hat gemeint, dass wir in Bayern nur drauf warten, im Hohlkreuz zum Radetzkimarsch im Stechschritt loszustaksen. Nach der militärischen Huldigung wollten die Damen und Herren Kommerzienrat natürlich auch noch ländlich charmant und untertänigst mit einem kühlen Bier und Brezn bewirtet werden, während unsere Buben die Stiefel wichsten, bis sie noch mehr glänzten als die vom dauernden Arschkriechen blank gewienerten Preißnrosetten.

Oberflächlich betrachtet könnte man schon meinen, dass der Münchner zum Berliner eine Art Seelenverwandtschaft spüren müsste, weil wir ja beide als »grantig« gelten. Der Münchner Grant ist aber schon wirklich was ganz anderes als die Berliner Schnauze, die ich eigentlich nur dann ertrage, wenn er selbige hält.

Bei uns gibt’s nämlich keine auswendig gelernten Sprüchlein, die wir jedem Gast so servieren, als wär’s uns gerade eingefallen. In Berlin wird auf »Ich hätt gern ein Bier« vom Kellner gern mit dem schalen Scherz »Ja, und ich hätt gern Urlaub!« geantwortet – und das ist halt nicht gewitzt, sondern verstumpft.

Wir Bayern hingegen lassen uns gern so oft wie möglich neue Beleidigungen einfallen und sind darauf auch sehr stolz. Einen Widersacher als »ogsoachte Brunzkachel[2]« zu bezeichnen ist zwar nicht charmant, aber wenigstens ebenso greislig wie kreativ. In Berlin darf ich mir dafür in jeder Wanzenburg von einer Wirtschaft den gleichen Kellnerspruch gefühlte hundert Mal anhören.

Außerdem haben wir es nicht so mit dem Kunstverständnis. Für uns heißt »kaputt, kalt und klebrig« nicht automatisch »Kultkneipe«. Und eine Jacke, die 1972 schon scheiße ausgeschaut hat, die schaut halt auch 2017 noch scheiße aus. Nur stinkt sie eben jetzt auch ein bissl mehr, und zwar nach dir und deinem ökologisch einwandfreien, aber sozial kaum verträglichen Verständnis von Personalhygiene. Du schaust halt blöd aus, Bua! Auch, oder grad dann, wenn die Hosenträger unter deinem dekolletierten Männer-T-Shirt raushängen. Nein, der gemeine Berliner hat mit dem gemeinen Münchner gar nix gemein, außer der Spezies Mensch.

Die Einzigen, mit denen wir uns im Großen und Ganzen gut verstehen, sind die Menschen aus dem Norden. Die sagen nix, wir sagen nix, und gemeinsam haben wir dann dieses stillschweigende Abkommen, dass wir halt allesamt nix sagen – und dann verstehen wir uns schon einmal ganz basisch.

Natürlich zählen auch die Schwaben und Franken theoretisch zu Bayern, aber erstens sind sie damit noch lang keine Münchner, und zweitens kannst du ja gern einmal jemanden in Nürnberg oder Memmingen fragen, wie bayerisch er sich fühlt. Dann duckst dich aber am besten direkt weg, weil sich dann entweder ein paar Rostbratwürschtl oder ein Kehrblech auf Kollisionskurs mit deinem naiven Grinsen befinden. Und beides ist auf seine Art unerfreulich beim Aufprall: die Würschtl wegen dem Senf, das Kehrblech wegen der scharfen Kanten.

Ich könnt mich jetzt den ganzen Rest von dem Bücherl über die anderen Bundesländer auslassen, aber erstens wird das Buch dann zu dick und somit kein Taschenbuch im eigentlichen Sinne, und zweitens wollt ich ja nur eine Art Begrüßung formulieren, die gleich am Anfang einen Eindruck davon vermittelt, wie es auf den restlichen Seiten zugeht.

Eigentlich will ich nämlich im Folgenden anhand von ein paar ausgewählten Episoden aus meinem Leben erzählen, warum der Harry G so ist, wie er ist, warum das manchmal ganz gut so ist und manchmal … na ja. Denn natürlich weiß ich, dass es nicht nur auf den ersten Blick ein bissl arg kontraproduktiv ist, im Sinne der Ziele, die man sich so setzt, wenn man immer gleich losbellt. Weil ich aber nun nicht dem Depp sein Wurschtbrot bin, hab ich da natürlich auch was draus gelernt – wenn auch nicht unbedingt immer das, was man sich vielleicht wünscht, wenn man mir auf der Wiesn zum »Fliegerlied« in mein Hendl neisteigt.

Und wer weiß, vielleicht hält der hier erläuterte Münchner Grant ja den einen oder anderen endgültig davon ab, mitsamt seinem Düsseldorfer Audi TT Cabrio nach München zu ziehen. Oder ich kann ein Stückl dazu beitragen, die Münchner Volksseele besser zu verstehen. Beides wäre durchaus im Sinne des Verfassers. Erstes auf direktem Wege, Zweites eher indirekt, aber umso nachhaltiger.

In diesem Buch weht nämlich streckenweise ein harter Wind vom Süden rauf. Und wer da im falschen Moment die Segel setzt, der ist gleich wieder oben an der Ostsee. Da soll es auch schön sein, hab ich von diversen Ossis gehört. Gebetsmühlenartig. Und so was ist mir immer gleich suspekt.

Na gut, jetzt hab ich es also gleich am Anfang von meinem Buch mit allen verschissen, die nicht aus München sind. Vom Gefühl her hab ich jetzt aber auch gleich noch die mitvergrault, die zwar in München wohnen, aber sich hier noch nicht wirklich heimisch fühlen, weil sie an uns Münchnern regelmäßig verzweifeln.

Denn dummerweise ist München halt doch so brutal schön, dass selbst die, die seit zehn Jahren täglich mehrfach über die Münchner schimpfen, trotzdem nicht wieder wegziehen! Es ist zum wahnsinnig werden, ohne Schmarrn! Wir wissen ja schon gar nicht mehr, was wir noch machen sollen, damit sie sich endlich wieder schleichen, die »Isarpreißn«! Egal, wie bissig, maulfaul und gschert wir auch sind, wir bringen sie einfach nicht los. Ignorieren wird als Lokalkolorit akzeptiert, ebenso der Münchner Grant. Aggressivität ist auch nicht unser Style und in Berlin besser aufgehoben, subtiler Spott wird nicht bemerkt, weil zu subtil für die Preißnseele, beißender Spott wird als Humor missverstanden – und die sachliche Auseinandersetzung ist wiederum dem Münchner fremd, weil er generell kein Interesse daran hat, irgendwen von irgendwas zu überzeugen, sondern einfach nur »sei Ruah« haben mag.

Fassen wir dieses Dilemma mal so zusammen: Es bleibt schwierig, wenn man ein Münchner ist. Nicht nur, aber auch als Münchner unter Münchnern. Und ganz besonders, wenn dieser Münchner ich ist. Das war zwar grammatikalisch gewagt, aber noch lange nicht das Schlimmste, was Sie in diesem Buch erwartet.

Haben Sie es gemerkt? Wir sind jetzt wieder beim »Sie« angekommen. Und das ist in der Tat ein erster Schritt in die richtige Richtung. Denn das bedeutet, dass Sie dieses erste Kapitel durchschritten und sich damit meinen Respekt erarbeitet haben. Das »Sie« ist dem »Du« in München nämlich erst einmal generell überlegen. Wenn wir am Ende von dem Buch dann beide der Meinung sind, dass wir wieder zum »Du« übergehen wollen, dann wird das vielleicht was mit uns zwoa. Und wir könnten irgendwann einen gemeinsamen Biergartenbesuch in Erwägung ziehen. Im allerbesten Fall sogar am selben Tisch.

Viel Spaß wünsch ich allen, die noch da sind.

Und allen anderen sag ich: Servus!

Der Arno

Ich hab einen Freund, der kommt aus Hannover und heißt Arno Brüggemann. Für beides kann er nix, und ich halt’s ihm auch nicht mehr laufend vor, denn wir kennen uns jetzt schon seit ein paar Jahren. Damals bin ich im Zug aus Frankfurt gesessen und wurde durch das unselige Wort »Schienenersatzverkehr« aus dem Schlaf gerissen. Mit mir im Abteil saß eine ganze Truppe munterer Büromenschen, vor denen ich mich jetzt nicht mehr so einfach hab totstellen können.

Jedes Teambuilding-Seminar ist ein Scheißdreck gegen zwei gemeinsame Stunden im unklimatisierten ICE auf offener Strecke und vier weiteren im Vierersitz eines umgewidmeten Schulbusses, der die Sparpreis-Kundschaft durch die Pampa zum Zielbahnhof fährt. So was übersteht man deutlich besser, wenn es da jemanden gibt, den man ab und zu stumm anschauen kann, wenn die Frau Meyerings von Platz 23 immer lauter wird und nach dem dritten Bier aus dem Bordbistro anfängt, sich reihum auf den Schoß zu setzen. Den Arno und mich hat das schon zusammengeschweißt. Danach weiß man: Des mit uns, des kannt wos wean.

Das ist so ähnlich, wie wenn Sie mit Ihrer neuen Freundin das erste Mal bei IKEA waren und danach trotzdem noch zusammen sein wollen. Wenn man das übersteht, dann kann man eigentlich auch eine gemeinsame Wohnung suchen.

Also seit dieser Zugfahrt vor zehn Jahren kenn ich den Arno, und ich muss sagen, so langsam halten wir’s miteinander aus.

Wir wären bestimmt noch besser befreundet, wenn er nicht vor fünf Jahren nach München gezogen wäre. Dass ich jetzt meinen eigenen Isarpreißn kriegen sollte, das hat mich schon arg belastet. Denn natürlich wollt er sofort von mir wissen, wo in meiner Stadt die schönen, unentdeckten Ecken zum bavarisch-urbanen Komfortwohnen sind. Die tät ich aber eigentlich gern für mich behalten, diese unentdeckten Ecken.

»Sach mal, Herbie …«, hat er gesagt, der Arno – er nennt mich immer Herbie, seit ich ihn einmal in einem VW Käfer abgeholt hab, und irgendwann wird er dafür schrecklich leiden –, also er fragt mich: »Sach mal, Herbie, du hast doch da bestimmt so’n heißen Tipp als Ureinwohner. Wo in München ist es denn richtig schnuckelig, aber trotzdem nicht so weit nach Unterföhring?« Und nach Ufö wird er jeden Tag müssen, weil er dort für einen großen deutschen Privatsender in der Rechtsabteilung anfangen soll. Nach der Information hätt ich es schon fast wieder bleiben lassen, denn allein beim Gedanken an diesen siebten Kreis der Medienhölle brennt mir der Hut. Aber ich muss ja an meinem Anger-Management arbeiten, also bleiben wir erst mal beim Arno.

Mei, was soll ich sagen, ich hab mir dann halt gedacht, besser es ist der Arno, der hierherzieht, als noch ein weiterer Segeltuchschuh-Schleicher mit aufgestelltem Poloshirt-Kragen und Leasing-Cabrio.

Also wohnt er jetzt halt in Gottesnamen auf der Theresienhöhe oberhalb der gleichnamigen, sattsam bekannten Wiese, auf der einmal im Jahr mit dem Oktoberfest auch der Worldcup im Wettkotzen stattfindet.

Die Theresienhöhe ist einer von diesen Stadtteilen, die seit Ewigkeiten als »Boomviertel« betitelt werden, damit sich die neu hochgezogenen Legebatterien da droben noch teurer verkaufen lassen. In Wirklichkeit verlieren sich da jetzt halt ein paar Beton/Glas/Stahl-Wohnblocks zwischen den Zweckbauten aus den Fünfzigern mit ihren Dönerbuden und CallYa-Shops, und das einzig typisch Münchnerische da oben ist der achtspurige Mittlere Ring über die Donnersberger Brücke.

Früher gab’s da wenigstens noch den »Zuladiknö auf der Theresienhöh«, also den Zulassungsdienst Knösel, der jeden Münchner wegen seiner jahrzehntelangen und täglich mehrfach penetrant aufgespielten Radiowerbung dermaßen zur wild wogenden Weißglut getrieben hat, dass man dann extra nicht hingefahren ist.

Jetzt hat der Herr Knösel vor einiger Zeit den Laden dichtgemacht, und was soll ich sagen, nun tut’s mir fast leid. Wenigstens soll aber der Texter und Komponist von diesem sakrischen Ohrwurm irgendwann in der Höll drunten sein ganz eigenes Abteil bekommen, wo er auf immer und ewiglich auf sein neues Nummernschild warten und dabei den eigenen Jingle über die kaputten Boxen eines voll aufgedrehten Autoradios in Dauerschleife ertragen darf.

So, jetzt sind wir wieder abgeschweift, aber ich kann Sie beruhigen: Es wird nicht das letzte Mal passiert sein in diesem Buch. Auf jeden Fall war die Theresienhöhe auch ohne den Zuladiknö nicht ganz so »schnuckelig«, wie der Arno sich das alles ausgemalt hat, aber ich hab ihm eben erklärt, dass Fachwerk seit dem Krieg leider schwer zu bekommen ist und dass er froh sein kann, wenn er in München sechzig Quadratmeter findet, die man mit einem Monatsgehalt von unter zehntausend Euro grad noch so bezahlen kann.

Und so wohnt er jetzt also weit genug von mir weg, dass wir uns nicht dauernd über den Weg laufen, aber er ist auch nicht so arg aus der Welt, dass man sich immer noch halb spontan auf eine Maß im Biergarten verabreden kann. Also genau richtig für mich.

Für den Arno allerdings ist das tatsächlich entschieden zu wenig Kontakt, und ich hab ihn da von der Erwartung her am Anfang schon sehr deutlich runterfahren müssen. Schon am Mittag hatte ich ihn als SMS auf dem Handy: »Herbie, wie schaugt es aus!?!?!?!?!«, tippte er da im typisch anbiedernden Mimikry-Bayerisch des Zuagroasten, was bei mir natürlich sofort eine Abwehrhaltung erzeugte. Außerdem lass ich mich auch per SMS nicht gern anplärren.

»AGSCHISIS«, hab ich ihm dann eben geantwortet, wohl wissend, dass er das auch mit dem Google Translator nicht übersetzt bekommt. Denn AGSCHISIS ist nicht der Name einer ägyptischen Gottheit oder ein ungelenkes Akronym für Probleme mit dem Ischiasnerv.

Ich hätte natürlich auch etwas weniger kryptisch schreiben können: »A Gschis is.« Aber das wäre zu einfach gewesen. Denn vor die Erkenntnis haben die Götter den Fleiß gesetzt, und ich wollt ja schon, dass der Arno erst einmal grübelt, dann in seiner Abteilung rumfragt, dort aber von den anderen Zuagroastn keine Antwort bekommt und schließlich zugeben muss, dass er nach wie vor nicht genug Münchner ist, um die simple SMS eines gebürtigen Münchners dechiffrieren zu können.

Überhaupt hab ich gleich nach seiner Ankunft in München damit begonnen, Arnos passives Sprachverständnis zu trainieren, indem ich besonders gschert dahergeredet hab. Ich bin natürlich auch der Schriftsprache mächtig, fühl mich dabei aber immer wie beim mündlichen Abitur. Also red ich in 99 Prozent der Fälle eben so, wie man’s früher zwischen Ramersdorf und Hasenbergl in der Volksschul gelernt hat, da muss der Arno durch – den Unterschied zwischen »als« und »wie« kennt er schließlich selber …

Aber für Sie lös ich das Rätsel um meine SMS jetzt natürlich auf: Ein Gschis – gesprochen mit einem langen »i«, als stünde da ein »ie«, was da aber trotzdem nicht hingehört – ist ausgeschrieben sozusagen ein »Geschiss«, also hochdeutsch genau genommen »das Geschissene« oder kürzer »ein Scheiß«. Zusammen mit dem »A« vorne und dem »is« hinten wird aus AGSCHISIS also »einen Scheiß ist«.

Der Lesbarkeit halber und weil manche von Ihnen ja vermutlich des bayerischen Idioms mächtig sind, hab ich in diesem Buch weitere Auflösungen dieser Art in Fußnoten gepackt. Die können Sie dann lesen oder lassen, ganz wiasaswoin[3].

So könnte man meine Antwort also übersetzen mit »Ach Arno, mein guter Freund, es ist ein Jammer, aber ich fürchte, das wird heut Abend mal wieder nichts mit uns zwei Pastorentöchtern.«

Nach einer halben Stunde kommt dann also vom Arno als Antwort auf meine Antwort: »witzig herbie, wie immer, aber wollte wissen, was heut abend geht. wo steppt die luzie!?!?!?!?«

Mein erster Impuls war natürlich irgendwas in der Richtung »Hier gibt es keinen Herbie, wer sind Sie und was wollen Sie?«, aber das wär zu billig gewesen und außerdem ohne Lokalkolorit. Etwas Original Münchnerisches™ muss aber in so eine Replik hinein, denn ich muss ihm ja die absolute Abwesenheit alles Münchnerischen in seinem gesamten Gebaren vor Augen führen. Möglichst in jedem einzelnen Buchstaben.

Also tippte ich: »Braugstfrogn[4]!? Mir segn uns um hoiwe achte!«

Nun war natürlich davon auszugehen, dass der Arno mich ja deswegen gefragt hat, »wo die Luzie steppt«, weil er eben nicht weiß, wo genau sie das heute Abend tut. Durch meine Antwort hatte ich aber deutlich gemacht, dass MIR als Einheimischem natürlich völlig klar ist, wo man an einem frühen Mittwochabend in München gefälligst hinzugehen hat. Nur ER weiß es natürlich nicht, und wenn er das nach immerhin drei Tagen als frischgebackener Zuagroasda immer noch nicht herausgefunden hat, dann ist ihm ehrlich gesagt auch nicht zu helfen.

Zu meiner Überraschung machte es nur wenige Sekunden nach meiner Replik »blingbling«, und ich las seine Antwort: »alles klar, halb acht, wir gehen steil freu mich!!!!!! hdl arno«

Ich geb zu, da war ich jetzt doch ein bissl überrascht. Meinem frischgebackenen Privatpreißn war also jetzt wirklich direkt klar gewesen, wo man sich als echter Münchner am Mittwoch um halb acht gefälligst einzufinden hat? Und mir nicht?

Ich hatte dann doch etwas länger auf das Display geschaut und damit auch noch die kostbare Zeit vertan, um eine schnelle SMS rauszufeuern. Damit hatte ich so gut wie verloren. Wissen Sie, was ich meine? Nein? Also gut: Es gibt bei SMS so eine Zeitspanne von vielleicht 90 Sekunden, in der man fix und unkompliziert Missverständnisse aufklären kann oder eine Antwort abfeuern kann, die in einen halbwegs originellen Gag verpackt ist, ohne das Gesicht zu verlieren. Je länger Sie aber warten, desto höher die Erwartungshaltung Ihres Gegenübers, und desto gewichtiger, witziger oder sonst wie gscheit geiler muss der Inhalt der Nachricht sein.

Mich hatte der Text vom Arno aber tatsächlich mehr verstört, als ich zugeben wollte, und ich war für den Moment wie gelähmt. Wieso hatte er nicht noch einmal nachgefragt? Was war ihm da klar, was mir schleierhaft war? Jetzt einmal ganz ohne Schmarrn bitte, wo geht man denn hin am Mittwochabend?

Plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke wie ein kreuzweiser Goaßlschnalzer quer über mein damisches Gfries[5]: Der Arno meint doch bittschön nicht dieses affige After-Work-Gschmoaß im Pacha?

Kaum hatte sich der Verdacht in meinem Hirn verfestigt, war mir auch schon klar, dass es nur das Pacha sein konnte. Was denn sonst? Denn natürlich hatte der Arno abermals die anderen Poloshirts in seinem Großraumgehege konsultiert, und was hatten die wohl alle geschlossen geantwortet? Genau: »Mittwoch geht man zum After Work im Pacha. Place to be, Arno. Ich mein, seriously, what else?«

Und, ich mein ernsthaft, was hätten Sie jetzt getan? Einfach ignorieren und zulassen, dass dein eigener brandneuer Isarpreiß nichts ahnend da hinwatschelt und sofort von den ganz, ganz, ganz Falschen vereinnahmt wird? Der ist doch total naiv, der arme Kerl, und auf der Suche nach Anschluss! Klar wird er den da finden, denn diese After-Work-After schauen ja auch alle genauso aus und sprechen genauso wie er, und mindestens ein Drittel davon geht ja auch nur da hin, weil sie verzweifelt auf der Suche nach Menschen sind, die sie nicht mit dem Arsch nicht anschauen. Vielleicht heißt das auch deswegen After Work, weil es für Leute ist, die sich den ganzen Tag über an unseren kalten Ärschen abarbeiten und dann wenigstens am Abend unter ihresgleichen sein wollen, ohne dauernd konsequent (und völlig zu Recht) auf ihre Andersartigkeit und Nichtzugehörigkeit hingewiesen zu werden?

Und so viel bedeutete mir die seit Jahren zart knospende Freundschaft zum Arno dann doch, dass ich ihn vor diesem drohenden Jammertal bewahren musste. Es half kein Schrecken und kein Dräuen, ich hatte keine Wahl: Ich würde zur After-Work-Party ins Pacha gehen und den Arno dort herausholen müssen. Ein folgenschwerer Entschluss, der sich noch ein ganzes Stückl heldenhafter herausstellen würde, als ursprünglich befürchtet …