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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2015 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Sheikh’s Desert Duty“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: PRESENTS
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2238 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Gudrun Bothe

Abbildungen: Harlequin Books S.A. , Sthaporn / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733706838

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Im Leben von Scheich Zayn Al-Ahmar gab es vieles, was er zutiefst bereute. Vorkommnisse von der Art, die ihn nachts überfielen und ihm die Luft zum Atmen abschnürten. Heimsuchungen, die ihn tagsüber weiter verfolgten und jede seiner Handlungen beeinflussten. Ständige Erinnerungen daran, warum er sein altes Ich hinter sich gelassen hatte und zu einem grundlegend anderen Menschen geworden war.

Doch ganz gleich, wie belastend die Erinnerungen waren, momentan gab es nur eines, was er bedauerte. Und zwar, dass er seine Hand nicht um James Chatsfields verdammte Kehle legen und zudrücken konnte, bis der miese Schuft sein wertloses Leben ausgehaucht hatte – in einer finsteren Gasse, hinter dem eigenen Familienhotel.

Stattdessen war Zayn gezwungen, sich zu beherrschen. Mit finsterer Miene umklammerte er das Revers von James’ Jackett und stieß den Mann brutal gegen die massive Backsteinmauer. Durchaus eine grobe Maßnahme, für Zayn bei Weitem nicht gewalttätig genug, um sich besser zu fühlen.

„Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt weiß, was für eine Laus Ihnen über die Leber gelaufen ist, Al-Ahmar …“, murmelte James.

Angesichts der unbekümmert selbstbewussten Haltung des aalglatten Schönlings näherte sich Zayns Zorn dem Siedepunkt. Dazu kam noch der spöttisch amüsierte Ausdruck in den Augen! Beides kannte er nur zu gut.

Es war, als schaue er in einen Spiegel, der die Vergangenheit reflektierte.

Dazu kam, dass der miese Kerl etwas Unverzeihliches getan hatte und Zayn nicht auf alberne Spielchen stand. Schon gar nicht in einer dunklen Seitenstraße ohne Zeugen. „Ich glaube, Sie wissen sehr wohl, worum es geht, Chatsfield.“

Seit sechzehn Jahren kämpfte Zayn darum, seine Familie zu beschützen, den eigenen Ruf zu wahren und das Ansehen seines Landes. Und jetzt drohte dieser Schuft, all das zu zerstören. Er war eine Bedrohung für Surhaadi, für die Menschen dort und alles, was Zayn sich in seinem neuen Leben aufgebaut hatte.

„Sagen Sie jetzt nicht, es geht um Ihre Schwester …“

Mörderische Wut loderte in Zayn wie ein gewaltiges Feuer, und James’ Hinterkopf machte unsanft Bekanntschaft mit dem rauen Mauerwerk. „Um wen sonst? Sie haben sie entehrt – und damit auch mich, die gesamte königliche Familie und unser Volk!“

Trotz seiner bedrängten Lage zeigte James keine Spur von Furcht. Anstatt einzuknicken, wanderte nur eine arrogante Braue nach oben, und um den gut geschnittenen Mund zuckte ein spöttisches Lächeln. „Was für eine schwere Bürde, um sie so einem zarten Frauenkörper aufzulasten. Mir war nicht bewusst, dass die Integrität einer ganzen Nation von der Jungfräulichkeit Ihrer Schwester abhängt.“

Zayns Griff wurde noch fester. „Ein Mann, der nicht einen Funken Integrität besitzt, hat kein Recht, dieses Wort auch nur in den Mund zu nehmen“, knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Zumindest behandle ich keine Frau wie ein Besitztum“, kam es gelassen zurück.

Nein, das tut James Chatsfield sicher nicht! Sobald er eine Frau in seinem Bett hatte, interessierte sie ihn nicht mehr. Für ihn waren sie nur Kleiderpuppen, die man an- und ausziehen konnte, bis einen das Spiel langweilte und man sie in die Ecke warf.

Oder sie, wie im Fall seiner Schwester, für immer entehrt ihrem Schicksal überließ – mit einem Kind unter dem Herzen. Das jedoch würde James niemals erfahren, wenn es in Zayns Macht stand. Er hatte jedes Recht dazu verwirkt, genau wie das Recht, Leila je wieder zu berühren oder auch nur sehen zu dürfen …

„Mag sein, Chatsfield, aber Tatsache ist, dass Sie jemanden, der zu mir gehört, schlecht behandelt haben. Jedes einzelne Familienmitglied steht unter meinem ganz persönlichen Schutz. Sie können froh sein, nicht in meinem Land zu leben. Denn dort würde ich Sie für das, was Sie verbrochen haben, liquidieren.“

Mit einem Ruck und überraschender Kraft befreite sich James Chatsfield aus Zayns Griff. Offenbar steckte in ihm doch mehr, als Zayn dem oberflächlichen Playboy, den James brillant verkörperte, zutraute. „Ich werte das mal im biblischen Sinne als eine positive Eigenschaft, Al-Ahmar.“ Sorgsam richtete James sein maßgeschneidertes Jackett und schnippte ein imaginäres Staubkorn von seinem Revers. „Bedauerlicherweise habe ich weder Zeit noch Lust, mich auf diesen Auge-um-Auge-Unsinn einzulassen.“

Nichts hätte Zayn lieber getan, als ihm das überhebliche Lächeln mit der Faust aus dem Gesicht zu wischen. Doch er wollte es nicht riskieren, James misstrauisch zu machen. Keinesfalls sollte er sich fragen, ob seine Wut und sein Hass nicht auf etwas Gravierenderem beruhten als auf der simplen Verführung seiner Schwester.

„Sie werden der Presse gegenüber kein Wort über Ihre unglückliche Verbindung mit Leila verlauten lassen!“, grollte Zayn warnend.

„Warum sollte ich so etwas Absurdes tun?“, erwiderte James.

„Auch wenn meine Schwester für Sie nur eine Eroberung unter vielen bedeutet, bleibt die Tatsache bestehen, dass sie eine Prinzessin ist. Die verdammten Journalisten würden sich überschlagen, um die unselige Geschichte zur Titelstory zu machen.“

„Jetzt fühle ich mich aber wirklich von Ihnen auf den Schlips getreten, Al-Ahmar“, warf James ein. „In meinem Land gehöre ich nämlich selbst zur Aristokratie. Und wenn es um eine skandalträchtige Headline geht, brauche ich dafür nicht die Assistenz Ihrer Schwester.“

„Ich warne Sie, Chatsfield …“ Zayns Stimme war jetzt gefährlich leise und dabei hart wie Stahl. „Ein falsches Wort, und es geht Ihnen an den Kragen. Und das ist nicht metaphorisch gemeint.“

Der spöttische Zug um James’ Mund verschwand. Plötzlich wirkte sein anziehendes Gesicht wie aus Granit gemeißelt. „Oh, daran hege ich nicht den geringsten Zweifel.“ Erneut rückte er sein Jackett gerade, wandte sich um und verschwand in Richtung Hotel.

Zayn blieb in der dunklen Gasse zurück und fluchte. Er hasste dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Es erinnerte ihn daran, dass er schon einmal versagt hatte, als es darum ging, seine andere Schwester zu beschützen.

Es begann zu regnen. Eine einsame Straßenlaterne mit schwachem gelbem Schein spendete das einzige Licht in der dunklen Gasse. Zayns Gedanken überschlugen sich, sein Puls raste. Wenn irgendetwas hiervon nach außen drang, wäre es das gefundene Fressen für die verdammte Pressemeute. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie Leila mit ihrer Schwangerschaft und der Neugier der Öffentlichkeit an allen Belangen der königlichen Familie umzugehen gedachte.

Erschwerend hinzu kam noch der Rummel um seine eigene bevorstehende Hochzeit, die das allgemeine Interesse nur noch mehr schürte!

Leila war auch so schon verwundbar genug in ihrem Zustand. Zusätzlichen Druck konnte sie wahrlich nicht gebrauchen. Und er würde alles tun, um seine Familie nicht noch einmal dieser grausamen öffentlichen Kritik und Verurteilung auszusetzen. Zayn war wild entschlossen, sie zu beschützen.

Ein klapperndes Geräusch im Hintergrund ließ ihn herumfahren. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, die Dunkelheit zu durchdringen, und fluchte erneut. Die blecherne Mülltonne, die träge in den schwachen Lichtkegel rollte, konnte unmöglich von selbst umgestürzt sein.

Ich bin nicht allein in der Gasse hinter dem Chatsfield …

Was bedeutete, dass es einen oder mehrere Zeugen des brisanten Gesprächs zwischen James Chatsfield und ihm gab. Und das war absolut inakzeptabel!

Das Gefühl der Hilflosigkeit wurde von einem heißen Adrenalin-Flash weggefegt, der sein Blut wie glühende Lava durch die Adern jagte. Es war keine Furcht, sondern nur Wachsamkeit und nervöse Energie und ein willkommenes Ventil für seine mühsam im Zaum gehaltene Wut. Zayn spürte, wie sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte. Jetzt war er nicht mehr als ein primitives Raubtier, bereit zum Angriff.

Wieder schepperte es, dann erklang ein erschrockenes Quieken. Wie der Blitz schoss er zu der Stelle, griff zu und fühlte dichtes Haar und energischen Widerstand. Ein erneuter, weitaus hellerer Laut ließ ihn stutzen und seine Beute aus dem Dunkel ans Licht zerren.

„Wer sind Sie und was haben Sie hier verloren?“, fragte er barsch.

„Autsch!“

„Versuchen Sie nicht, sich mit irgendwelchen Verletzungen herauszureden!“ Im schwachen Schein der Laterne zeigte sich sein Spion ganz anders, als Zayn es erwartet hatte. Verblüfft musterte er die schlanke Blondine mit der zerzausten, honigfarbenen Haarfülle, in die er eben noch seine Finger gekrallt hatte. Sie trug ein schillerndes Paillettenkleid und eine ausgesprochen störrische Miene.

„Ich bin sogar außerordentlich verletzt …“, widersprach sie.

Zayn verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn Sie tatsächlich so empfindlich sind, sollten Sie sich besser nicht in dunklen Nebenstraßen herumdrücken, Lady“, empfahl er. „Das ist ziemlich gefährlich.“

„Scheint mir auch langsam so“, murmelte sie und bemühte sich, ihr derangiertes Outfit glatt zu streichen.

„Was haben Sie hier verloren?“, fragte Zayn misstrauisch.

„Ich bin James Chatsfield nach draußen gefolgt.“ Die Blondine richtete sich auf und warf mit einer selbstbewussten Geste das lange Haar über die Schultern zurück. Im Laternenschein schimmerte es wie flüssiges Gold.

Das ergab Sinn. Sie passte absolut in Chatsfields Beuteschema. Entweder war sie bereits eine seiner Gespielinnen oder hoffte womöglich darauf, aus dem, was sie gerade belauscht hatte, Kapital schlagen und so bei ihm landen zu können. Was für ein Desaster! Chatsfields Chance zur Rache in den Händen einer berechnenden Schlampe.

„Verstehe. Und wie viel haben Sie von unserer Diskussion mitbekommen?“

Ihre Augen weiteten sich unmerklich und nahmen einen wachsamen Ausdruck an. „Nichts, was mich interessieren könnte. Ehrlich gesagt, war ich derart gelangweilt, dass ich fast eingeschlafen wäre.“

„Netter Versuch.“ Zayn war mit seiner Geduld am Ende. Nach allem, was er bereits hatte durchmachen müssen, gefiel es ihm überhaupt nicht, sich im strömenden Regen mit einer erneuten Bedrohung für seine Familie konfrontiert zu sehen. Und ganz sicher würde er keiner blonden Sirene erlauben, sich ihm in den Weg zu stellen.

„Also, freiheraus gesagt bin ich Sympathisantin der Free-Food-Bewegung“, erklärte die Blondine plötzlich zu seiner Überraschung. „Unser Ziel ist es zu verhindern, dass verwertbare Lebensmittel einfach so im Müll landen. Sie glauben ja gar nicht, wie viele absolute Gourmetspeisen im Abfall dieses Luxushotels landen. Gerade fiel mir eine Foie Gras in die Hände, die absolut …“

„Sie haben doch gerade noch behauptet, James Chatsfield hierher gefolgt zu sein.“

Sein harscher Ton ließ sie zusammenzucken, aber nur kurz. „Ich dachte, er würde vielleicht auch wissen wollen, wo die Foie Gras …“

Jetzt reichte es Zayn endgültig. Mit festem Griff umfasste er ihren Arm und ließ auch nicht locker, als sie versuchte, sich zu befreien. „Hier draußen ist es viel zu kalt und ungemütlich“, erklärte er mit gepresster Stimme. „Warum setzen wir die Konversation nicht in meinem Wagen fort?“

„Oh, normalerweise liebend gern … Aber leider geht das nicht.“

„Und warum?“

„Weil ich prinzipiell nicht zu fremden Männern ins Auto steige.“

„Nach allem, was Sie von gerade belauscht haben, kann man uns wohl kaum als Fremde bezeichnen, oder?“, fragte Zayn zynisch und zog die Frau mit sich.

Was für eine absurde Situation! Für einen Sekundenbruchteil zweifelte er selbst an seinem Verstand und fragte sich, was zur Hölle er sich dabei dachte. Doch dann sah er wieder Leilas bleiches, angespanntes Gesicht vor sich, als sie ihm ihre Verfehlung gestanden hatte, und wusste, dass er das einzig Richtige tat.

Er schützte seine Familie. Da blieb kein Raum für Skrupel oder Schuldgefühle.

„Sorry, aber ich muss jetzt wirklich los!“, versuchte die Blondine noch einmal, sich aus der Klemme zu befreien. „Die Parkzeit für mein Fahrrad ist längst überschritten. Womöglich schneiden sie mir schon die Kette durch und …“

„Ich kaufe Ihnen ein neues Rad.“

„Nettes Angebot, doch dieses hat für mich einen besonders sentimentalen Wert.“

Abrupt blieb er stehen und musterte seine Begleitung finster. „Sie wollen mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass Sie bei dem Wetter und in dem Kleid mit dem Rad unterwegs sind.“

Ihr kleines, festes Kinn schoss stolz in die Höhe. „Nicht jeder kommt mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt.“

„Nein, in der Tat. Aber der in James Chatsfields arrogantem Mund ist Ihnen offensichtlich nicht entgangen.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

Zayn schnalzte gereizt mit der Zunge, dirigierte die Blondine in Richtung der wartenden Limousine und riss die hintere Tür auf. „Dass Sie besser einsteigen, bevor ich endgültig die Geduld verliere.“

„Ich denke nicht daran!“

Sekundenlang maßen sie sich mit Blicken, seiner sengend, ihrer trotzig und defensiv.

„Mein Fehler …“, murmelte Zayn schließlich seidenweich. „Wie ich sehe, hat Sie mein bisher nachsichtiger Ton verwirrt, Miss. Das war keine Bitte oder Aufforderung, sondern ein Befehl.“ Dem er prompt Nachdruck verlieh, indem er die widerborstige Fremde kurzerhand auf das weiche Lederpolster drängte. Dabei kam er in unerwarteten Kontakt mit ihren herausfordernd weiblichen Kurven. Und da es schon lange zurücklag, dass er einer Frau derart nahe gekommen war, gab sich Zayn dem berauschenden Gefühl einen Herzschlagmoment willig hin, anstatt zurückzuzucken.

„Was … was machen Sie da?“, fauchte die Blondine. Sie versuchte, sich zu befreien, und drängte ihre runde Kehrseite dabei nur noch fester gegen seine spürbare Erregung.

Ja, was mache ich da eigentlich? fragte er sich selbst verwirrt, ohne die Kraft aufzubringen, das erotische Manöver abzubrechen.

Zayn fühlte sich wie entrückt. Was ihn aus der Bahn warf, waren unerwartete, heiße Situationen wie diese. Momente, in denen Lust und Verlangen ohne Vorwarnung überhandnahmen, ungeachtet des Ernstes der Lage. Momente, in denen er sich fragte, ob er sich wirklich verändert hatte. Oder ob er seit Jahren nur versuchte, seine Schwäche unter einem Berg guter Vorsätze zu verstecken. Schwer zu sagen, da derartige Erlebnisse mehr als rar waren, seitdem er den Fokus in seinem Leben auf andere Dinge richtete.

Doch egal, wie gut sich der weiche Frauenkörper in seinen Armen anfühlte … hier ging es allein um Leila – um ihre Ehre, ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen, sowohl physisch wie emotional.

Energisch schob er seinen unfreiwilligen Fahrgast weiter ins Wageninnere, rutschte selbst auf die luxuriöse Sitzbank und schloss die Tür hinter sich. Einen Moment befürchtete er schon, die Frau neben ihm hätte das Bewusstsein verloren, weil sie vollkommen reglos an seiner Schulter lehnte. Doch schon im nächsten Augenblick richtete sie sich wieder kerzengerade auf.

„Irgendwie nehme ich Ihnen nicht ab, dass Sie mich nur vor dem Regen beschützen wollen.“ Abrupt wandte sie sich ihm zu. „Versuchen Sie etwa, mich zu kidnappen?“

„Würde das nicht einen gewissen Vorsatz implizieren und ein Bedürfnis nach Lösegeld?“, fragte er zurück und schien sie damit zu verblüffen. „Wie Sie inzwischen sicher ahnen, leide auch ich keinen Mangel an silbernen Löffeln. Eine Entführung hätte nur dann Sinn gehabt, wenn ich von Ihrer Anwesenheit in der dunklen Gasse gewusst hätte.“

„Wenn Sie mich gegen meinen Willen hier festhalten, ist es trotzdem Kidnapping.“

„Bleiben Sie freiwillig, wenn ich Sie loslasse?“

„Nein.“ Sie zuckte zusammen, als sich die Limousine langsam in Bewegung setzte, ließ sich aber sonst nichts anmerken.

„Tja, dann ist es wahrscheinlich doch eine Entführung“, bestätigte Zayn trocken.

„Und damit haben wir ein Problem … beziehungsweise Sie.“

„Das da wäre?“

„Ich kann unheimlich laut schreien.“

„Das glaube ich sofort.“ Zayn hob die Hand und klopfte gegen die schwarz getönte Scheibe, die sie von der Fahrerkabine trennte. „Es würde Ihnen nur nichts bringen, da wir hier in einem absolut schallisolierten und kugelsicheren Kokon sitzen.“

„Was hat das kugelsicher zu bedeuten?“, fragte sie irritiert.

„Schussfestes Glas. Ich erwähne es nur für den Fall, dass Sie versuchen sollten, die Seitenscheiben einzuschlagen. Wäre doch schade, wenn Sie unnötig Ihren hübschen Ellenbogen malträtieren.“

„Mein Ellenbogen kann Ihnen doch egal sein, da Sie mir ohnehin Gewalt antun.“

„Davon ist überhaupt nicht die Rede.“

„Und wie nennen Sie es dann, wenn Sie mich gegen meinen Willen sonst wohin verschleppen?“

„Nicht sonst wohin …“ Sondern? Wenn ich das nur selbst wüsste!

Leider hatte Zayn nicht die leiseste Ahnung, wie viel diese nervtötende Frau tatsächlich gehört hatte. Ob sie seine Position kannte und wusste, worüber James Chatsfield und er geredet hatten. Solange das nicht geklärt war, wollte er keine unnötigen Fakten offenlegen.

„Sondern? Geben Sie mir doch einen Tipp“, forderte sie ihn heraus. „Vielleicht gefällt mir ja das Reiseziel.“

„Tut mir leid, aber das geht nicht.“

„Ha!“ Keine Frage, sie war verstimmt. „Ehrlich gesagt, habe ich keinen Schimmer, was das Ganze soll. Schließlich bin ich ein Niemand … oder nein, ganz im Gegenteil: Ich bin Jemand! Ich arbeite nämlich für eine sehr renommierte Zeitung, und wenn Sie mich nicht augenblicklich gehen lassen, werde ich …“

„Sie sind Journalistin?“, unterbrach er sie scharf.

Sein aufgeschreckter Ton ließ sie ihre Taktik augenblicklich ändern. „Oh ja, und sogar eine Art Starreporterin! Ebenso erfahren wie unerschrocken. Investigativer Journalismus, Sie verstehen?“

„Was hatten Sie wirklich in der dunklen Gasse verloren?“ Er musste es wissen. Denn wenn sie die Wahrheit sagte, konnte sie ihm noch weitaus gefährlicher werden als ein abgelegtes Betthäschen von James Chatsfield.

Allein die Vorstellung, dass diese Kanaille Leila vor aller Welt bloßstellen und damit quasi den Wölfen der gesamten Weltpresse zum Fraß vorwerfen könnte, bereitete ihm Übelkeit. Dass der Informant eine Frau war, würde die Verfehlung seiner kleinen Schwester – bei der man als Prinzessin ohnehin strengere Maßstäbe anlegte – in aller Augen noch viel schlimmer erscheinen lassen.

Das darf nicht geschehen!

Massive Bedrohungen erforderten ebenso radikale Mittel, um sie abzuwenden. In Zayns Adern floss das heiße Blut seiner Vorfahren, durchweg tapfere Wüstensöhne, denen Ehre und Familie alles bedeuteten. Wenn nötig, würde er diese Reporterin einfach mundtot machen, zumindest vorübergehend. Selbst, wenn er sie dazu nach Surhaadi verschleppen müsste.

Sein unfreiwilliger Fahrgast schien den Stimmungswechsel zu spüren und nach weiteren Finten und Tricks Ausschau zu halten, um sich aus der misslichen Lage zu befreien. Egal, was sie jetzt noch hervorbrachte, er würde ihr kein einziges Wort glauben.

„Also, ehrlich gesagt, habe ich mich an James’ Fersen geheftet, weil ich einer Sache auf der Spur bin, die seine Familie betrifft.“

„Wie ich annehme, handelt es sich dabei um etwas, was die Chatsfields nicht unbedingt öffentlich machen wollen?“, fragte Zayn lauernd.

„Tja, vermutlich nicht. Aber offenbar scheinen Sie ebenso wenig wie ich zur Fangemeinde von James Chatsfield und seiner Entourage zu gehören. Also dürfte Sie die aktuell aufpolierte Reputation der Hoteldynastie auch nicht gerade begeistern.“

„Was genau haben Sie im Visier?“

„Einen Skandal.“

„Natürlich, was denn sonst als investigative Journalistin?“, murmelte er zynisch und noch beunruhigter als zuvor. „Aber woraus schließen Sie, dass ich kein ausgesprochener Fan von James Chatsfield bin?“

„Wie sollten Sie, wenn ein Mann wie er sich an Ihre Schwester herangemacht hat?“

Zayn hatte das Gefühl, sein Blut sei plötzlich zu Eis gefroren. Egal, was noch kommen würde, eines war klar: Diese smarte Blondine, die er offenbar völlig unterschätzt hatte, wusste jetzt schon viel zu viel. Mit einer renommierten Zeitung im Rücken war sie so etwas wie eine tickende Zeitbombe, die unbedingt entschärft werden musste.

„Ja, in der Tat …“, murmelte er abwesend, während sein Hirn fieberhaft arbeitete. Dann beugte Zayn sich abrupt vor und drückte auf einen Knopf. „Wir fahren nicht zurück ins Hotel, sondern direkt zum Flughafen“, ordnete er seinem Chauffeur an.

2. KAPITEL

Es gehörte einiges dazu, um Sophie Parsons aus der Fassung zu bringen. Denn als eines dieser schüchternen Mauerblümchen hätte sie es unter Garantie nie bis dahin geschafft, wo sie heute stand.

Momentan fühlte sie sich allerdings extrem überfordert. Was angesichts der herrschenden Umstände wohl jeder nachvollziehen konnte. Immerhin hatte sie ein dunkler Fremder, der mindestens einen Kopf größer war als sie, in eine Limousine gezwungen, die offenbar auf direktem Weg den John F. Kennedy International Airport ansteuerte.

Sophie starrte aus der Seitenscheibe auf die vorbeifliegende Stadtkulisse, ohne wirklich etwas zu sehen.

„Die Türen sind verriegelt.“

Wie es aussah, war er nicht nur ein skrupelloser Kidnapper, sondern auch noch Gedankenleser. Obwohl er sich durch das Wort Kidnapper offensichtlich brüskiert fühlte. Aber das war ihr egal. Wenn hier jemand Grund hatte, brüskiert zu sein, dann doch wohl sie.

„Danke für die Info, aber ich würde nie auf den Gedanken kommen, mich aus einem fahrenden Wagen fallen zu lassen“, behauptete sie nicht ganz wahrheitsgetreu. „Obwohl ich nicht weiß, ob ich besser dran bin, wenn ich neben Ihnen sitzen bleibe und mich in mein Schicksal ergebe.“

„Von mir haben Sie nichts zu befürchten.“

Zum ersten Mal wandte sie sich ihm direkt zu. In der Gasse hinter dem Hotel war es zu dunkel gewesen, um seine Gesichtszüge genauer studieren zu können. Auch die gedimmte Beleuchtung in der Limousine erwies sich in dieser Hinsicht als nicht sehr hilfreich. Doch soweit Sophie es beurteilen konnte, war er außerordentlich attraktiv.

Was für eine abwegige Charakterisierung ihres Entführers! Aber in ihrem Job war eine ausgeprägte Beobachtungsgabe unerlässlich. Neben hohen, fein gemeißelten Wangenknochen zeichneten ihren Kidnapper eine feste Kinnlinie und ein gut geschnittener Mund aus, der einen gewissen Hang zur Melancholie verriet. Oder eher zur Grausamkeit?

„Was genau haben Sie eigentlich mit mir vor?“ Sie wollte es endlich wissen. Denn wenn er beabsichtigte, ihr etwas anzutun, musste sie allmählich anfangen, sich eine Art Waffe aus den Büroklammern und ihrem Kugelschreiber zu basteln, die in den Untiefen ihrer Handtasche lagen.

„Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten.“

„So alltäglich diese Aktion Ihnen vielleicht erscheint, mache ich mir bereits seit einiger Zeit Sorgen darüber, was gerade mit mir geschieht“, gestand Sophie trocken. „Es sei denn, Sie interessieren sich rein theoretisch für Enthüllungsjournalismus und …“

„Weder fachlich noch persönlich!“, kam es schneidend zurück.

Nein, natürlich tut er das nicht. Allein schon deshalb, weil er offenbar selbst zu der Sorte Mensch gehört, die gewöhnlich zu den bevorzugten Opfern karrieresüchtiger Reporter zählt. Allerdings gefielen Sophie die möglichen Alternativen seines unverständlichen Interesses an ihrer Person noch viel weniger …

Verdammt! Dabei hatte sie doch nur ihrer Freundin Isabelle helfen wollen! Leider hatte sie außer Acht gelassen, dass der Versuch, einen Skandal im Umfeld der Chatsfield-Familie auszugraben, offenbar auch damit enden konnte, sich plötzlich in der Gewalt eines ebenso beunruhigenden wie attraktiven Fremden wiederzufinden. Und all das nur, um Spencer Chatsfield aus dem Dunstkreis ihrer Freundin zu vertreiben.

Sophie hatte gehofft, es würde reichen, sich an die Fersen von James Chatsfield, den sie als lohnendstes Opfer eingeschätzt hatte, zu heften, um zum gewünschten Ziel zu kommen.

Die Chatsfield Hotel-Dynastie kaprizierte sich nämlich aktuell auf eine feindliche Übernahme der Harrington Hotels. Wobei sich Spencer Chatsfield offenbar vorgenommen hatte, Isabelle Harringtons Leben gnadenlos zu ruinieren, als wenn er ihr in der Vergangenheit nicht bereits genug angetan hätte!

Deshalb hatte ihre Freundin sie gebeten, etwas Anrüchiges über ein Mitglied der berühmt-berüchtigten Hoteldynastie herauszufinden, um der geifernden Pressemeute einen Knochen vorzuwerfen, der zur Skandal-Headline taugte. Und während die Chatsfields um Schadensbegrenzung bemüht wären, hätte Isabelle Zeit und Gelegenheit, die notwendigen Bollwerke zu errichten, um den Harrington-Familienbetrieb zu schützen.

Kein schlechter Plan, wie Sophie immer noch fand. Faktisch jedoch war sie nicht wirklich die Starreporterin vom Herald, sondern genau genommen hauptsächlich zuständig für den benötigten Kaffeenachschub ihrer Kollegen und kleinere Artikel, die unter der Rubrik Gesellschaftsnachrichten veröffentlicht wurden. Was sie in ihren eigenen Augen durchaus qualifizierte, sich auch über die Befindlichkeiten der Chatsfields zu äußern.

Inzwischen begann sie allerdings am Erfolg ihrer Mission zu zweifeln. So liebend gern sie ihrer Freundin aus deren Dilemma geholfen hätte, war Sophie sich ihrer selbst längst nicht mehr sicher.

„Also, was haben Sie mit mir vor?“, fragte sie inquisitorisch, um ihre aufsteigende Unsicherheit und Panik zu kaschieren.

„Im Grunde nichts Spektakuläres“, lautete die kryptische Antwort. „Ich werde Sie einfach eine Weile beschäftigt halten müssen.“

Sophie versuchte zu ignorieren, dass sich ihre Nackenhärchen sträubten. „Falls Sie so eine Art von Schnitzeljagd im Sinn haben …“

„Eher weniger.“

„Was erwartet mich dann?“, fragte sie offensiv und gewollt flapsig. „Soll ich etwa Ihre Sockenschublade durchsortieren?“

Zayn lächelte schwach. „Schon wärmer …“

„Okay, spucken Sie es aus, ehe ich anfange zu hyperventilieren.“

„Wissen Sie, wer ich bin?“, fragte er in völlig verändertem Ton.

„Ich habe da so eine Idee.“ Genauer gesagt hatte sie von seinem Disput mit James genügend Details aufgeschnappt, um eins und eins zusammenzuzählen. Da dieser dunkle Fremde James Chatsfield der Verführung seiner Schwester bezichtigte, die offenbar eine Prinzessin war, musste er selbst demnach eine Art Königliche Hoheit sein. Wenn kein royaler Bastard, dann wahrscheinlich ein Prinz, Scheich oder Ähnliches. Hätte sie ihr Notebook parat, würde eine Internetrecherche sicher schnell Aufklärung bringen. Vielleicht, wenn sie ihr iPhone …

„Ich bin Scheich Zayn Al-Ahmar aus Surhaadi. Und Sie werden mich in meine Heimat begleiten.“

Sophie traute ihren Ohren nicht und spürte, wie sich ihr Magen unangenehm zusammenzog. „Was soll das heißen, ich werde Sie begleiten?“

„Genau das, was ich sage. Sie bleiben eine Weile als mein Gast in Surhaadi. Und zwar so lange, bis ich weiß, wie ich mit Ihnen weiter verfahren soll.“

„Nun, ich glaube nicht, dass mir der Plan sonderlich zusagt.“

Im Gegensatz zu ihr, schien dieser Scheich sich langsam zu entspannen. Er lehnte sich bequem zurück und streckte die langen Beine von sich. Wie eine träge Katze, schoss es Sophie durch den Kopf. Als wenn es zu seinen täglichen Gepflogenheiten gehörte, fremde Frauen von New Yorks Straßen zu kidnappen. Doch das kaufte sie ihm nicht ab. Mit der vorgetäuschten Entspanntheit wollte er sie nur einlullen und in falscher Sicherheit wiegen.

„Alles, was momentan geschieht, hat nichts mit Wollen zu tun“, klärte sie ihr Kidnapper auf. „Glauben Sie wirklich, ich möchte Sie mit in mein Land nehmen?“

Bei diesen Worten schöpfte Sophie Hoffnung. „Na, wenn das nicht so ist, kürzen wir das Ganze doch einfach ab. Sie lassen mich Ihnen bei Ihrem Problem helfen, wozu ich in Grenzen absolut bereit bin, alle sind glücklich, und ich ziehe wieder meiner Wege.“

„Ich fürchte, so einfach geht das nicht.“

„Jetzt mal raus mit der Sprache!“, forderte Sophie mit dem Mut der Verzweiflung. „Was ist es genau, das Sie von mir wollen?“ Langsam war sie bereit, alles zu tun … oder wenigstens so ziemlich alles, um diesen Albtraum abzukürzen.

„Ihr Schweigen, Habibti …“ Sein hartes Gesicht gab nichts preis, nur die dunklen Augen glitzerten. „Unter normalen Umständen würde ich es mir von Ihnen erkaufen, aber diese Angelegenheit ist von zu großer Brisanz, um auch nur das kleinste Risiko einzugehen. Ich kann nicht zulassen, dass Sie mein Geld nehmen und trotzdem plaudern.“

„Ich habe ein sehr ausgeprägtes Ehrgefühl“, wehrte sie sich pikiert. „Und außerdem einen riesigen Stapel Rechnungen in der Schublade. So gesehen erscheint mir Ihr Angebot mit dem Schweigegeld durchaus als sinnvoll.“ Langsam dämmerte es Sophie, dass die Situation ernster und ihre Lage verzweifelter war, als sie bisher angenommen hatte. Fast wünschte sie sich, diesem faszinierenden Scheich nie begegnet zu sein.

„Wie gesagt, unter normalen Umständen … aber zu etwas anderem. Mit welcher Skandalstory wollen Sie den Chatsfields eigentlich schaden? Allein was James betrifft, gibt es schon mehr Stoff, als Sie je für Ihre Zeitung gebrauchen können. Begleiten Sie mich in meinen Palast, und ich werde Sie über die dunklen Familiengeheimnisse der Chatsfields aufklären.“

Fast hätte Sophie höhnisch geschnaubt. Oh, nein! So naiv, wie dieser Scheich dachte, war sie nicht. Er zwang sie wohl kaum, ihm in sein Land zu folgen, nur um ihr dort irgendwelche brisanten Fakten für ihren Skandalartikel zukommen zu lassen.

„Ich traue Ihnen nicht.“

„Vertrauen ist zweifellos etwas, das unser Verhältnis nicht belasten wird“, bestätigte er gelassen. „Aber darum geht es hier auch nicht, sondern …“

„Wo … wo sind wir hier?“, fragte Sophie abgelenkt und starrte angespannt aus dem Seitenfester. Die Limousine war vor der Abfahrt zum Flughafen in eine Straße abgebogen, die sie nicht kannte. Nicht, dass sie häufig verreiste, aber hin und wieder brachte sie Freunde zum Airport, wenn diese in Urlaub flogen.

„Dies ist ein privater Teil des Flughafens für Celebrities. Das erlaubt uns, auf die sonst übliche Bürokratie zu verzichten.“

Langsam ergaben die Puzzleteile in ihrem Kopf ein Bild, nur wusste Sophie nicht, ob es ihr gefiel.

„Ich muss Sie für eine Weile aus dem Weg räumen, und Surhaadi ist dafür der beste Ort. Dort kann ich ohne viel Aufwand ein Auge auf Sie haben. Aber keine Angst, Sie werden für die etwas misslichen Umstände reichlich entschädigt.“

Sophie schauderte unmerklich. „Ich habe hier in New York einen Job und ein reges Privatleben. Ich kann nicht einfach so von der Bildfläche verschwinden.“ Okay, das mit dem regen Privatleben war vielleicht geprahlt. Denn ihren Job übte sie gewissenhaft und sehr engagiert in einer Sechzig-Stunden-Woche aus, die nächste Stufe der angepeilten Karriereleiter immer fest im Auge. Sich aus ihrer benachteiligten Lebenssituation konsequent nach oben zu arbeiten war ihr quasi zur zweiten Natur geworden.

Den sicheren Arbeitsplatz beim Herald verdankte sie Isabelle. Darum schuldete sie ihrer Freundin etwas. Außerdem lag es in ihrer Natur, jede sich bietende Chance zu ergreifen. Was sie dabei beflügelte, waren eiserne Entschlossenheit, um nicht zu sagen Sturheit, und das brennende Gefühl im Magen, vom Schicksal ungerecht behandelt worden zu sein. Ein Umstand, den Sophie aus eigener Kraft zu ändern gedachte.

Allein deshalb bedeutete ihr der Job beim Herald, den sie ohne Isabelles Vermittlung nie bekommen hätte, auch sehr viel. Ihn für unbestimmte Zeit und ohne Erklärung aufzugeben war undenkbar!

„Für wen arbeiten Sie eigentlich?“

Der Mann kann offenbar tatsächlich Gedanken lesen. „Beim New York Herald. Mein Job ist mir sehr wichtig. Ich kann nicht so …“

„Ich rufe Ihren Boss an und rede mit ihm.“

„Oh … unmöglich!“, entschied Sophie. „Das werden Sie nicht tun.“ So wie sie Colin kannte, würde er dahinter unter Garantie eine Story wittern und nicht lockerlassen. Ihr Boss hatte die Moral eines Aasgeiers und die Spürnase eines Bluthunds. Ein ehrgeiziger Emporkömmling, der sich eine reiche Frau geangelt hatte und ihre Verbindungen dazu nutzte, sich selbst in die Position des Herausgebers zu hieven. Hinter dem Rücken seiner ergebenen Gattin stieg er mit Frauen ins Bett, die vom Alter her durchweg seine Töchter hätten sein können.

Zudem war er der geborene Opportunist, aber nicht vorsätzlich hinterhältig, nach Sophies Erfahrung. Trotzdem wollte sie ihn nicht auf ihre Spur setzen.

„Nun, da ich weiß, wo Sie arbeiten, könnte ich doch einfach Ihren Ausweis aus Ihrer Tasche nehmen, Ihren Boss beim Herald anrufen und ihm mitteilen, dass seine Starreporterin den Scheich von Surhaadi brüskiert hat, und verlangen, dass er Sie rauswirft.“ Mit dem Handy in der Hand schaute ihr Peiniger sie auffordernd an.

Kalte Furcht presste Sophies Magen zusammen wie eine eiserne Faust. Sie hasste dieses Gefühl. Sich nicht gegen solche Menschen und Umstände wehren zu können, allein weil sie von geringerer Geburt war!

Das ist ungerecht! Ich müsste dazugehören! Nur weil mein Vater mich nicht …

„Sie glauben doch nicht wirklich, dass Sie damit durchkommen?“

„Ich wüsste nicht, was dagegen spräche.“

„Vielleicht in einer anderen Branche, aber nicht im Medienbusiness“, versuchte Sophie verzweifelt, sich den Anschein von Souveränität zu geben. „Wenn Reporter einen Skandal auch nur von Weitem wittern, lassen sie nicht locker. Und kein Pressemann würde mich feuern, wegen eines kleinen … Zwists mit einem Scheich.“

Zayns Augen wurden schmal. „Und genau da irren Sie sich. Denn im Gegensatz zu Ihnen kann ich Ihrem Boss eine viel lukrativere Story anbieten als die, die Sie sich aus den Bruchstücken zusammenzimmern würden, die Sie in der dunklen Gasse hinter dem Hotel aufgeschnappt haben. Also legen Sie sich besser nicht mit mir an.“

„Tss …“ Sophie mochte es nicht, in die Enge getrieben zu werden, und schüttelte den Kopf. „Irgendwie glaube ich nicht, dass mein Boss mich feuern würde, nur weil ich zufällig aufgeschnappt habe, dass James Chatsfield mit Ihrer Schwester Leila geschlafen hat …“

„Es gibt zwei Komponenten in meinem Leben, die mir alles bedeuten“, eröffnete Zayn ihr nach einer atemlosen Pause. „Das sind meine Familie und mein Volk. Und ich bin bereit, alles zu tun, um sie zu beschützen. Und in diesem Moment habe ich das Gefühl, genau dazu gezwungen zu werden.“

„Ich zwinge niemanden zu irgendetwas!“, konterte Sophie. Wann immer sie in echte Bedrängnis geriet, drehte sie den Spieß einfach um und versuchte, selbst zuzubeißen.

„Das tut schon allein Ihre Anwesenheit. Ihr Name?“

„Warum sollte ich Ihnen den verraten?“, fragte sie patzig und kassierte dafür einen Blick, der ihr sagte, dass dieser Mann keine Mittel scheuen würde, um zu bekommen, was er wollte.

„Sophie Parsons.“

„Und Ihr Boss?“

„Colin Fairfax“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Telefonnummer?“

Während sich Sophies Gedanken überschlugen, rasselte sie die Nummer herunter. Wenn Sie Colin erst am Apparat hätte, könnte sie ihm vielleicht einen Wink bezüglich ihrer misslichen Lage geben und …

„Ich rufe wegen einer Ihrer Angestellten an, Sophie Parsons.“

Offenbar war die Verbindung bereits zustande gekommen. Sophie lauschte angestrengt, hörte aber nur undeutliches Gemurmel.

„Nein, Sie hat nichts falsch gemacht. Sie sitzt hier neben mir … genauer gesagt, sie ist in der Gesellschaft des Scheichs von Surhaadi … ja, genau der. Wir sind zufällig ins Gespräch gekommen, und Miss Parsons hat reges Interesse an meiner bevorstehenden Hochzeit bekundet. Freundlicherweise hat sie sich bereit erklärt, mich nach Surhaadi zu begleiten, da sie glaubt, Sie könnten sich für eine Reportage … ja?“

Sophies Mund stand vor Staunen weit offen. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass sich aus dieser absurden Situation möglicherweise etwas durchaus Lukratives für sie ergeben könnte. Etwas, das ihr noch mehr bedeutete als Geld. Erfolg, Anerkennung, Ruhm. Plötzlich rückte die nächste Sprosse auf der Karriereleiter in Sicht.

Aber was ist mit dem Versprechen, das ich Isabelle gegeben habe?

Andererseits, wenn sie ihren Widerstand nicht aufgab oder sogar versuchte zu fliehen, machte der Scheich seine Drohung womöglich wahr und sorgte dafür, dass ihr beim Herald gekündigt wurde. Und ohne ihren Job konnte sie für Isabelle noch weniger tun als in diesem Augenblich.

„Ja, sie ist tatsächlich eine sehr charmante junge Dame und erscheint mir außerordentlich kompetent“, hörte sie ihren Begleiter sagen. „Ich bin absolut fasziniert und werde ihre zukünftigen Karriereschritte mit Interesse verfolgen.“

Was ihr Boss darauf antwortete, verstand sie zwar nicht, aber seine Stimme klang plötzlich anders als gewohnt.

„Ich bin nicht sicher, wie lange sie in Surhaadi bleiben wird. Aber übers Internet kann Miss Parsons ja Kontakt zu Ihnen halten. Natürlich als Exklusivstory für Ihr Blatt, Mr. Fairfax. Sie wird sich so bald wie möglich bei Ihnen melden …“ Ohne eine Miene zu verziehen, steckte Zayn das Handy wieder ein. „Na, das lief doch gar nicht so schlecht, oder?“

„Für Sie vielleicht!“, fauchte Sophie. „Ich mag es nicht, wenn man über mich verfügt, ohne dass ich nach meiner Meinung gefragt werde.“

„Auf jeden Fall ist mit Ihrem Boss alles geregelt“, resümierte Zayn unbeeindruckt. „Er war ganz begeistert von der Aussicht auf eine Exklusivstory. Und sollten Sie sich weigern, ihm die zu liefern, tritt automatisch wieder Plan A in Kraft, der mit Ihrer Kündigung endet. Warnung angekommen?“

„Was habe ich denn für eine Chance gegenüber grenzenlosem Despotismus? Sie setzen alles dran, um Ihren Skandal zu vertuschen, aber was ist mit meinem Skandal? Ich habe mich schließlich nicht für mich selbst in dieser dunklen Gasse herumgedrückt, sondern für jemand anderen recherchiert. Für eine Freundin, die mir sehr wichtig ist.“

„Begleiten Sie mich nach Surhaadi, und Sie bekommen Ihren Skandal.“

In seinem Blick suchte Sophie nach Anzeichen von Milde, Mitleid oder womöglich Sympathie für ihre aussichtslose Lage. Doch die dunklen Augen gaben nichts preis. Was blieb ihr schon für eine Wahl?

„Also gut, dann auf nach Surhaadi …“

So viel dekadenten Luxus wie in Zayns Privatflugzeug hatte Sophie nie zuvor gesehen. Und dabei war das gar nicht mal so wenig gewesen in den Jahren, nachdem ihre Mutter und sie ihre dürftige Existenz in einer ärmlichen Umgebung aufgegeben hatten, wo immer die Gefahr bestand, dass jemand die Identität ihres Vaters herausfinden könnte.

Aber Luxusjets wie diesen hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen.

Sophie war in einem absoluten Ausnahmezustand. Wie sonst war es zu erklären, dass sie als Entführungsopfer mit staunenden Augen die butterweiche Qualität des Leders der Flugzeugsitze bewunderte. Doch wenn sie versuchte, den beängstigenden Abgründen in ihrer Seele nachzuspüren, würde sie womöglich komplett den Verstand verlieren. Also hielt sie lieber an dem ihr eigenen Pragmatismus fest, der ihr bereits aus vielen Klemmen geholfen hatte.

Irgendwie musste sie schließlich dieses Entführungsabenteuer überleben.

„Im hinteren Teil des Jets gibt es zwei Schlafräume. Sie können den nutzen, der Ihnen am meisten zusagt“, bot ihr Kidnapper an, als ginge es um die Gästezimmer anlässlich einer Wochenend-Dinnerparty auf dem Land. „Sollten Sie es vorziehen, die Flugzeit hier in der Kabine zu verbringen, ist es auch in Ordnung. Darf ich Ihnen einen Drink servieren?“

„Sehr freundlich von Ihnen, aber ich denke, ich bleibe bei dem Drink.“

Dabei hatte sie sich noch nie viel aus Cocktails oder Ähnlichem gemacht. Seit sie Isabelle zu ihren Freundinnen zählte, bekam Sophie oft genug Gelegenheit, an Plätzen zu speisen und zu feiern, die normalerweise weit außerhalb ihrer Reichweite und erst recht jenseits ihres eher schmalen Budgets lagen. Trotzdem hatten sie sich meistens für eine Suppe oder einen Salat zum Glas Mineralwasser als Menü entschieden. Natürlich hätte Isabelle liebend gern die Zeche für ihre Freundin übernommen, doch in Sophie sträubte sich alles gegen den Gedanken, ausgehalten zu werden, aus welchen Gründen auch immer.

Davon abgesehen war es für sie einer der größten Anreize, sich auszumalen, dass sie sich eines Tages statt spärlicher Appetizer den großen Fischteller bestellen und selbst bezahlen könnte. Aber natürlich war ein gesellschaftliches Entree auf Basis einer maritimen Gourmetplatte nicht der Gipfel ihrer ehrgeizigen Ambitionen.

Schon immer hatte sie Opfer bringen und hart arbeiten müssen. Sowohl für ihre Ausbildung als auch für ihr gesellschaftliches Prestige. Auf diese Weise hatte Sophie sich Anerkennung und gewisse Privilegien erworben, die ihr normalerweise von Geburt an zugestanden hätten, wäre sie nicht eines der illegitimen Kinder ihres Vaters gewesen.

Wie zum Beispiel eine Universitätsausbildung – für ihre Halbgeschwister so etwas wie ihr Geburtsrecht, während sie und ihre Mutter verborgen im Abseits leben mussten. Ein Umstand, der Sophie darin bestärkt hatte, der ganzen Welt zu beweisen, dass sie nicht auf das Geld und die Unterstützung ihres Erzeugers angewiesen war. Ihr Journalismus-Studium hatte sie als Jahrgangsbeste abgeschlossen, doch jetzt, nach drei Jahren beim Herald, die sie hauptsächlich mit Kaffekochen und kleinen Artikeln über regionale Ereignisse gefüllt hatte, war ihr anfängliches Triumphgefühl etwas geschrumpft.

Trotzdem hielt sie an ihrem Enthusiasmus fest, der ihre einzige Chance war, auch noch den Rest der abgesteckten Strecke bis zur Spitze ihrer Karriereleiter zu bewältigen. Und darum würde sie auch jetzt nicht klein beigeben. Das tat sie für sich und für Isabelle.

Immerhin hatte der Scheich ihr skandalträchtige Fakten über die Chatsfields in Aussicht gestellt. Keine schlechte Sache, obwohl es implizierte, dass sie noch eine Weile mit dem Mann auskommen musste, der sich ihr bisher als ziemlich harter Knochen präsentiert hatte. Und jetzt schien er auch noch zu erwarten, dass sie über seine Hochzeit schrieb, die offenbar demnächst in … wo war das noch? … in Surhaadi stattfand.

Also sollte sie allmählich damit anfangen, sich auf die neue Umgebung einzustellen. Ab sofort würde sie die Starreporterin sein, für die sie sich bereits ausgegeben hatte, obwohl dieser Scheich-Hochzeit für Sophies Geschmack ein bisschen zu viel Bling-Bling anhaftete. Für eine aufstrebende investigative Journalistin keine wirkliche Herausforderung, aber gemäß dem lateinischen Sprichwort galt: Per aspera ad astra.

In diesem Fall wohl eher: Durch sandige Wüstenpfade zu den Sternen.

„Welchen Drink bevorzugen Sie?“, fragte Zayn.

„Oh, irgendetwas Rotes würde ich sagen. Womit stoßen Sie für gewöhnlich auf eine gelungene Entführung an? Mit Champagner?“

„Die meisten würden dafür wohl etwas Härteres wählen.“

„Aha! Also geben Sie zu, mich entführt zu haben!“, rief sie triumphierend.

Gelassen schlenderte Zayn zu einem reich ornamentierten Barschrank. „Ich sehe keinen Grund, sich über semantische Spitzfindigkeiten auseinanderzusetzen. Das ändert ohnehin nichts.“ Er wählte eine Flasche Rotwein aus und öffnete sie.

„Vielleicht muss ich ja auch einfach nur ein bisschen Dampf ablassen.“

Er hob die Brauen. „Ich wüsste nicht, aus welchem Grund. Es läuft doch fantastisch für Sie. Es sei denn, in New York wartet ein verschmähter Liebhaber, den Sie heute Abend treffen wollten.“

Was für eine lächerliche Vorstellung! Aber sie musste ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden, dass sie für romantische Tändeleien wenig übrighatte. Wo sollte sie auch die Zeit dafür hernehmen? Vielleicht, wenn sie endlich ihr selbst gestecktes Ziel erreicht hatte. Und natürlich einen Mann fand, dem sie traute. Aber auch nur vielleicht …

„Für heute Abend stand nichts in meinem Terminkalender.“

„Dann würde ich doch denken, dass es für eine Journalistin Ihres Formats wesentlich reizvoller ist, im Privatflieger eines Scheichs Rotwein zu trinken als zu Hause auf dem Sofa zu hocken und sich Sitcoms anzusehen.“

Der Punkt ging eindeutig an ihn, aber das würde sie ihm nicht verraten.

„Mag sein. Hauptsache, bei diesem … Überraschungstrip kommt am Ende eine brauchbare Story für mich heraus. Womit kann ich denn jetzt genau rechnen? Seit Sie behauptet haben, im Besitz brisanter Informationen über die Chatsfields zu sein, waren Sie in dieser Hinsicht ziemlich schweigsam.“

Sophie hörte die Motoren des Jets dröhnen und spürte, wie sich ihr Magen hob. Sie war an so etwas nicht gewöhnt. Außer ein, zwei kurzen Inlandsflügen konnte sie keine weiteren Erfahrungen vorweisen. Hätte man sie gefragt, müsste sie selbst bei der Flugzeit und Entfernung zwischen New York und Surhaadi passen.

„James Chatsfield ist ein elender Mistkerl. Was das betrifft, können Sie mich ruhig als Quelle angeben und wörtlich zitieren.“

„Verzeihen Sie, Scheich Zayn“, erwiderte Sophie plötzlich professionell und förmlich. „Aber soweit ich informiert bin, existiert bereits eine ausführliche Dokumentation über James Chatsfield, deren Inhalt ich sehr gut kenne. Darin sehe ich wenig echtes Potenzial. Was ich suche, ist das Verborgene … ein Geheimnis.“

Der Jet nahm Fahrt auf, und Zayn wies auf einen der ledernen Sitze. „Besser, Sie nehmen Platz und schnallen sich kurz an“, riet er ihr und schien das Thema damit abschließen zu wollen.

Derart lässig wollte Sophie sich zwar nicht abwimmeln lassen, sie kam seiner Aufforderung aber trotzdem nach. Ihr Sitz war wirklich so bequem, wie er aussah. Ein Detail, das sie in ihrem journalistischen Unterbewusstsein unter der Sparte Lokalkolorit abspeicherte, um es in ihrem Erlebnisbericht Meine Reise im Privatjet des Scheichs von Surhaadi einsetzen zu können. Er selbst schien kein Problem mit dem Start des Jets zu haben, schenkte den gewünschten Rotwein ein und reichte ihn ihr. Als er sich ihr gegenübersetzte, fiel Sophie auf, dass er kein Glas in der Hand hielt.

„Ich glaube, uns beide verbindet mehr, als ich anfangs dachte“, gestand sie überraschend und nahm einen Schluck von ihrem Wein. Er war exzellent und hatte nur wenig mit dem zu tun, was sie sich ab und zu gönnte. „Uns beide gelüstet es nach Chatsfields Blut …“, fuhr sie fort, „… und ich kann es kaum erwarten, dass Sie mir helfen, es fließen zu sehen.“