1.

Inhaltsverzeichnis

»Ich habe Dir eine sehr ernste Mittheilung zu machen,« sagte der Major a. D. v. Trotten zu seinem Sohne, den er in sein Arbeitskabinet gerufen, »setze Dich und höre mich mit Ruhe an – es handelt sich um eine wichtige Lebensfrage für Dich.«

Auf dein sonst so freundlichen Antlitz des alten Herrn lagerte die Sorge, ihre Schatten machten den Blick des sonst so heiter schauenden Auges fast düster.

Eduard war erschrocken, sein Vater gehörte nicht zu den Naturen, welche sich leicht der Unruhe und Angst hingeben, er hatte zahlreichen Stürmen des Lebens Trotz geboten und erzählte gern davon, wie ihn niemals das Vertrauen auf Gott und die eigene Kraft verlassen habe. Der alte Herr war mit einer sehr geringen Pension als Invalide aus der Armee geschieden, hatte in einer Civilanstellung bei der Armeeverwaltung lange gedient, sich den Titel Kriegsrath a. D., einen Orden und die Achtung aller seiner Vorgesetzten und Collegen erworben. Er hatte sich im Laufe der Zeit dann allmählig ein kleines Vermögen zusammengespart und gehörte in G. jetzt zu den angesehensten Personen des Ortes; was ihn beunruhigte, betraf also wahrscheinlich die Angelegenheiten Eduard's, und den jungen Mann beschlich eine Ahnung, als solle ihn ein Schlag da treffen, wo sein Herz am schmerzlichsten zu verwunden war.

Derartige Ahnungen täuschen selten.

»Lieber Eduard,« fuhr der alte Herr fort und blies den Dampf stärker aus seiner Tabakspfeife, ein sicheres Zeichen, daß er Unangenehmes mitzutheilen hatte, »Du weißt, daß man mich in den Verwaltungsrath der projektirten Bahn G.-R.. gewählt hat?«

»Gewiß, mein Vater, das ist ja schon mehrere Wochen her.«

»Ich wollte, es wäre nicht geschehen.«

Eduard schaute überrascht, aber mit steigender Unruhe auf. »Wie?« sagte er, »das solltest Du wünschen? Du freutest Dich ja, eine neue Beschäftigung zu haben, Dich interessiren ja die Arbeiten so sehr, daß Du selbst Deine alten Freunde und Deine Whistparthie darüber vernachlässigst. Ebeling sprach erst neulich darüber –«

Die Stirne des alten Herrn zog sich finsterer in Falten. »Als man mich wählte,« erwiederte er und der Ton seiner Stimme war von Bitterkeit getränkt, »da freute ich mich über das Vertrauen, welches meine Mitbürger mir schenkten, ich ahnte aber nicht, daß ich mir Feinde machen könne, wenn ich mich bestrebte, dies Vertrauen zu rechtfertigen, daß es Leute gäbe, welche mich nur in der Erwartung zu dem Amte vorgeschlagen, daß ich den Titel führen werde, ohne zu arbeiten, daß ich unterschreibe, ohne zu prüfen. Mit einem Worte, ich sollte eine Puppe, vielleicht Schlimmeres sein, sollte meinen ehrlichen Namen verkaufen und prostituiren, bei einem Betruge, bei einer Schurkerei helfen!«

»Unmöglich, Vater!« rief Eduard bestürzt. »Das konnte Niemand von Dir erwarten, ein Jeder kennt Dich als ehrenfest!«

»Ja, aber nicht Jeder wußte, daß ich nichts unternehme, was ich nicht verstehe, daß ich scharfe Augen habe, daß ich keine Arbeit scheue, wenn es heißt, eine Pflicht zu erfüllen. Um Deinetwillen, Eduard, wünschte ich, ein Anderer wäre statt meiner gewählt worden, ein Anderer hätte entdeckt, was ich leider entdecken mußte: das Unternehmen Ebeling's ist ein Schwindel, die Aktionäre sollen betrogen werden, und Ebeling hatte die Stirne, mir in's Antlitz zu sagen, ich wäre sein Feind, wenn ich nicht darüber schweigen wolle!«

Das Antlitz Eduard's war todtenbleich geworden. »Also das ist's,« murmelte er. »Darum war Ebeling in letzter Zeit so kühl gegen mich!«

»Ah, er ahnte also, was ich ihm heute sagen würde, seine Ueberraschung war Heuchelei! Eduard, der Mann ist schlimmer als ich dachte, er log, als er sagte, er sei bestürzt über meine Entdeckung, er sei selber getäuscht worden; er hat mit Bewußtsein bei dem Betruge geholfen. Das Gründungskapital, auf dessen Vorhandensein die Aktionäre bauen, für dessen Existenz meine und meiner Kollegen Ehre bürgt, ist nicht da, existirt nur in Scheinzeichnungen, die werthlos sind. Anstatt dreihunderttausend Thaler sind kaum dreißigtausend Thaler in reellen Werthen vorhanden, obwohl das Gegentheil in den Prospekten garantirt wird. Ebeling versichert, dergleichen käme bei fast allen neueren Gründungen vor, es sei offenes Geheimniß, daß man überall das Gesetz umgehe, welches ein deponirtes Grundkapital fordert, er sagt, es handle sich nur um Zeitgewinn, in einem halben Jahre spätestens werde das Grundkapital in reellen Werthen vorhanden sein. Ich bezweifle das stark, aber wenn ich es auch glaubte, so halte ich mich einfach an die Thatsache, daß ich durch mein Amt verpflichtet bin, Unregelmäßigkeiten nicht zu dulden, und daß man mir zumuthet, wissentlich meine Namensunterschrift einer unwahren Erklärung zu geben. Ich halte das für Betrug und habe daher meinen Austritt aus dem Verwaltungsrath erklärt – findest Du das richtig oder nicht?«

»Ich finde es vollständig korrekt gehandelt,« erwiederte Eduard, »und Niemand kann es Dir verargen, wenn Du lieber ein Amt aufgibst, als etwas unterschreibst, was Du mit gutem Gewissen nicht verantworten kannst.«

»Ich danke Dir, Eduard, für dieses Wort. Ich freue mich, daß Du ebenso denkst und in Ehrensachen keine andere Rücksicht kennst als die ans unser Gewissen. Ich habe, da Ebeling sich sehr erregt zeigt, die schonendste Form gewählt, ich trete aus dem Amt, anstatt im Verwaltungsrathe meine Ansichten zur Sprache zu bringen, ich habe sogar erklärt, daß ich, um Ebeling zu zeigen, wie großes Vertrauen ich ihm persönlich schenke, mein kleines Vermögen nicht zurückziehen, sondern dem Unternehmen lassen will, aber er hat darauf nicht einmal geantwortet, sondern mich in leidenschaftlicher Erregung verlassen.«

»Er wird sich beruhigen, mein Vater, und dann Deinem Charakter die verdiente Achtung zollen, es liegt einmal in seiner Natur, bei Widerspruch aufzubrausen und, wo ihm Hindernisse in den Weg treten, der Leidenschaft die Zügel schießen zu lassen, aber er muß doch schließlich einsehen, daß Du das Recht hast, in Deinen Angelegenheiten Deinem Ermessen zu folgen.«

Trotten schüttelte den Kopf, sein Auge, welches aufgeleuchtet, als der Sohn ihm Beifall gezollt, schaute wieder düster. »Eduard,« sagte er nach kurzer Pause, in der er wohl mit sich selber gekämpft, ob er seine Befürchtungen aussprechen dürfe, »Du thätest wohl, Dich auf eine schwere Prüfung vorzubereiten. Du mußt Dir vor Allem darüber klar werden, ob Dir Marie morgen ebenso viel gelten würde wie heute, wenn sie morgen die Tochter eines Mannes wäre, dessen Ehre nicht mehr rein –«

»Vater!«

»Urtheile selbst, Eduard. Ebeling umgeht das Gesetz. Wird die Sache entdeckt, so ist seine Ehre schon befleckt, gelingt es ihm aber, die Täuschung durchzuführen, das Unternehmen in's Leben zu setzen und es wird durch ein Mißgeschick die Berechnung zu Schanden gemacht, welche den Aktionären sichere Renten ihres Kapitals verspricht, und es fehlt alsdann das Stammkapital, so trifft Ebeling die entehrende Strafe für Betrug.«

»Das ist nicht möglich, Vater, Du siehst zu schwarz. Du beurtheilst die Spekulationen eines Kaufmanns mit den pedantischen Bedenken eines Beamten. Wer gewinnen will, der wagt auch Verluste, ich will zugeben, daß Ebeling dreist im Wagen ist, aber ich halte ihn für unfähig, ehrlos zu handeln.«

»Ich will mich freuen, wenn ich mich täusche,« entgegnete der alte Herr, »aber ich fürchte, daß ich die Menschen besser kenne als Du, obwohl Du Psychologie studirt hast. Der reiche Ebeling hat, glaube ich, lange geschwankt, ehe er Dir die Hand seiner Tochter zusagte, und ich argwöhne jetzt, er that es, weil ich in den Verwaltungsrath gewählt wurde.«

Eduard wechselte die Farbe. »Vater,« sagte er, »der Argwohn, den Du da andeutest, ist die schwerste Anklage, die Du gegen Ebeling erheben kannst, spräche das ein Anderer aus als Du, so wüßte ich nicht, was ich thäte –«

»Ich weiß, was ich sage, Eduard,« erwiederte Trotten mit Festigkeit, »es wäre infam, einen solchen Verdacht auszusprechen ohne Beweise. Aber Ebeling hat mich selber darauf gebracht. Es ist mir nicht leicht, Dir das Gift einzuflößen, welches Dein Vertrauen auf die Menschen zerfressen muß, aber ich kann nicht anders. Ebeling sagte zu mir, seine Tochter werde keinen Mann heirathen, dessen Vater sein Feind geworden, sie könne unter Grafensöhnen wählen; er nannte sie den Preis für meine Nachgiebigkeit. Er stieß diese Worte in der Leidenschaft aus – wir wollen sehen, ob er sie in ruhiger Stunde zurücknimmt, dann werde ich es vergessen, daß er von dem ›Bettelgeld‹ meiner Pension gesprochen.«

Das Antlitz Eduard's verrieth, welcher Sturm in seinem Innern tobte, welche Empörung diese Beschimpfung in ihm hervorrief. Es dauerte geraume Zeit, bis er Herr der mächtig widerstreitenden Gefühle geworden, die seine Brust durchflutheten. »Vater,« sagte er endlich mit dem Ausdruck fester Entschlossenheit, aber doch mit bebender Stimme, »die Tochter trägt keine Schuld an der Denkungsweise und dem Handeln des Vaters, ich liebe Marie und vertraue auf ihr Herz.«

Trotten, der mit ängstlicher, schmerzlicher Sorge seinen Sohn beobachtet, ergriff die Hand Eduard's und drückte sie innig. »Diese Antwort ist Deiner würdig,« rief er, »ich habe nichts Anderes von Dir erwartet. Hoffen wir das Beste, machen wir uns aber auf das Schlimmste gefaßt!«

Das Schlimmste trat denn auch ein. Man brachte dem Major ein kleines Packet, welches ein Diener des Bankiers Herrn Ebeling für ihn abgegeben. Das Päckchen enthielt den Verlobungsring und eine Perlenschnur – ein Andenken von Eduard's Mutter, welches derselbe seiner Braut geschenkt. »Euer Hochwohlgeboren,« so schrieb Ebeling an den Major, »werden es begreiflich finden, daß meine Tochter Beziehungen zu Ihrem Herrn Sohne abbricht, welche ich nur in der Voraussetzung gestattet, daß die Bande, welche unsere Familien vereinen sollten, auch unsere Interessen mit einander verknüpfen müßten. Die Bedenklichkeiten, welche Sie bewogen haben, aus dem Verwaltungsrathe des G..-R..schen Bahnunternehmens auszuscheiden, haben mich gezwungen, kolossale Opfer zu bringen, um das Gelingen des Unternehmens zu retten, denn ich habe trotz Ihrer Zusage ebenso wenig Vertrauen auf Ihre Diskretion, wie Sie den Versicherungen, welche ich gegeben, vertrauen mochten. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, Sie können also in meiner Erklärung nur die Rückgabe eines kränkenden Wortes erblicken.

Unter solchen Umständen sieht meine Tochter sich genöthigt, Ihrem Herrn Sohne sein Wort zurückzugeben und betrachtet sich, ohne eine besondere desfallsige Erklärung zu wünschen oder zu erwarten, auch ihrer Zusage ledig.

Mit aller Form konventioneller Höflichkeit habe ich die Ehre zu zeichnen

Euer Hochwohlgeboren ergebener
Franz Ebeling

Das Antlitz des Majors färbte sich purpurn, als er das grobe Schreiben las. »Der Wisch ist keiner Antwort werth,« murmelte er, »der Mensch schießt sich ja doch nicht – sende Deinen Ring ohne ein Wort zurück, Eduard, zeige ihr, daß Du Deinem Vater ebenso gehorchst wie sie dem ihrigen.«

»Das ist infam!« rief Margareth, die Schwester Eduard's, welche dem Vater das Päckchen gebracht, als sie den Brief gelesen, während Eduard keines Wortes mächtig war, hatte doch die Rücksendung seines Ringes und der Perlen ihm Alles gesagt. »Armer Eduard!« fuhr sie fort, auf ihren Bruder mit warmer, schmerzlicher Theilnahme schauend, »arme Marie! Mache ihr keine Vorwürfe, sie hat gehorchen müssen, Ebeling soll sehr hart sein und keinen Widerspruch dulden. Sie ahnte gestern schon, daß ihr ein Unglück drohe, mit Thränen im Auge klagte sie mir, der Vater schaue so finster, wenn von Dir die Rede sei.«

»Du hast Marie gestern gesprochen?« rief Eduard auffahrend, »sie war nicht leidend? Sie hätte sich schon gestern vor mir verleugnen lassen?!«

»Ich war vor Tische einen Augenblick dort.«

»Du hast mir nichts davon gesagt, daß Du sie in Unruhe gefunden,« versetzte Eduard bitter. »Hättest Du mir das nicht verschwiegen, so hätte ich mich gestern Abend nicht abweisen lassen, ich hätte dann von ihr gehört, was uns bedrohte, hätte sie beschwören können, nur ihre Liebe zu bewahren.«

»Lieber Eduard, sie wußte nichts Bestimmtes und bat mich, Dir nichts von ihrer Unruhe zu sagen.«

»Ebeling wollte mich erst sprechen, ehe er duldete, daß Du Marie wiedersahst,« nahm Trotten das Wort, »er hatte seine Vorbereitungen getroffen, er wird sich um die Thränen seiner Tochter nicht viel kümmern. Wer keine Ehre, keine Scham besitzt, hat auch kein Herz. Mache keine Versuche, Eduard, sie zu sehen. Ebeling wird sie zu hüten wissen, Du setzest Dich nur Beschimpfungen aus und ziehst ihr strengere Behandlung zu, bekämpfe Deinen Schmerz und zeige Dich als Mann, setze gerechten Stolz diesem elenden Hochmuth entgegen.«

Eduard schüttelte den Kopf. »Sie gab mir freiwillig ihr Wort,« sagte er, »sie müßte es freiwillig zurücknehmen, soll ich sie freigeben, Gewalt erkenne ich nicht an. Mag er sie hüten, sie bleibt vor Gott meine Braut, bis sie mir sagt, daß ich nicht mehr hoffen darf.« Damit verließ er das Gemach.

»Lasse ihn gehen,« sagte der Major, als Margareth ihn zurückhalten wollte, »ihm kann der Trost keines Menschen helfen, er muß das selber durchfechten, was ihm das Schicksal sendet. Ich fürchte, er wird sich auch in Marien täuschen. Sie ist ein braves, liebes Mädchen, aber noch zu jung für solche Prüfung. Ihre Thränen werden bald trocknen, sie ist an die Genüsse des Lebens gewöhnt, sie ist eitel. Ebeling wird ihr sagen, daß Eduard ihr nur ein ärmlich Brod bieten kann, wenn er selbst ihr eine Mitgift versagt, und wenn ihr Herz auch einige Zeit blutet, die Wunde wird bald heilen und vergessen sein.«

»Nein, Vater, sie ist nicht schlecht, und das wäre sie, wenn sie ihr Wort bräche –«

»Sie ist ein Kind, Gretchen, obwohl sie so alt wie Du. Sie hat noch nichts Bitteres erfahren als höchstens eine Kränkung ihrer Launen, und ist also auch nicht daran gewöhnt, ernste Dinge ernst zu behandeln. Sie wird vielleicht über die Aufhebung der Verlobung etwas mehr weinen, als wenn ihr der Besuch eines Balles verboten worden wäre, aber sie wird sich darein finden.«

»Du urtheilst sehr hart, Vater.«

»Nein, denn ich mache ihr keinen Vorwurf deshalb. Du weißt es nicht, wie es in einem reichen Hause zugeht, wie ein reiches Mädchen denkt. Es kennt alle Freuden und Genüsse, sein Herz begehrt nach Veränderung, nach buntem Wechsel, es kennt selten die innige Freude, die ein armes Mädchen an einem Geschenke, einer Ueberraschung, einer Hoffnung haben kann, weil ihr selten eine Freude wird.«

»Dann wäre der Reichthum ja mehr als ein Unglück, Vater, dann wäre er ein Fluch.«

»Das ist er, wenn der Mensch eben nichts Anderes hat als das Gold und nach nichts Anderem trachtet, als seine Schätze zu vermehren. Ich habe, das darf ich Dir jetzt sagen, der Zukunft Eduard's mit Sorge entgegengesehen, seit ich Ebeling's näher kennen gelernt habe. In dem Hause wird Jeder nur nach dem gewürdigt, was er besitzt, man taxirt das Vermögen, den Werth eines Titels, die Konnexionen, aber fragt nicht nach der Ehrenhaftigkeit des Charakters. Alles ist auf äußeren Schein und Eitelkeit basirt, und ich wette darauf, Ebeling denkt gar nicht daran, daß er das Herz Eduard's tief verwundet hat, wohl aber glaubt er, Eduard's Hoffnung auf eine reiche Heirath vernichtet und uns ein Haus, in welchem man uns lukullische Genüsse bot, verschlossen zu haben, um uns dadurch empfindlich zu kränken.«

»Vater, Deine Bitterkeit ist entsetzlich. So erbärmlich kann Niemand von uns denken.«

»Ich bin nicht bitter, hätte Eduard weniger tiefe Empfindung, müßte ich nicht fürchten, daß ihm diese Erfahrung das Leben vergiftet, ich würde über die Auflösung der Verlobung eine ungetrübte Freude haben, denn sie war eine Thorheit, Marie war kein Weib für ihn. Die Tochter theilt mehr oder minder die Denkungsweise ihrer Eltern, ist an die Anschauungen derselben gewöhnt. Marie weiß es, daß sie reich und daß Eduard arm ist, sie überschätzt den Werth des Geldes, welches sie ihrem Gatten mitbringt, und hinter ihr stehen ein roher, gefühlloser, hochmüthiger Vater, eine eitle Mutter, da war die Gefahr nahe, daß sie bei einer Reibung Eduard einmal einen Vorwurf machte, den ein ehrenhafter, empfindsamer Charakter niemals ganz vergeben kann: den Vorwurf, daß das Weib den Mann ernährt – hat doch Eduard schon, dem Wunsch Ebeling's folgend, seinen Plan, ein praktischer Arzt zu werden, aufgegeben und sich eine andere Carrière suchen wollen, der Stand eines Arztes, welcher Honorare annimmt, war für Ebeling's nicht vornehm genug.«

Margareth schwieg, die überzeugende Kraft der Worte des Vaters besiegten die Zweifel ihres Herzens, welche mehr aus der Freundschaft zu Marien als aus einem Urtheil, welches sie sich gebildet, entquollen waren.

10.

Inhaltsverzeichnis

Wir gehen einige Stunden in unserer Erzählung zurück und versetzen den Leser nach ***.

Der Staatsanwalt Otto Berg wollte sich eben zum Frühstück begeben – er hatte heute Vormittag noch einer Gerichtssitzung beizuwohnen – als man ihm zwei Schriftstücke überreichte, die ein Bote ans Schloß Seebach gebracht.

»Der General v. Sorben auf Schloß Seebach,« so lautete das erste Schreiben, »an dessen Krankenlager ich gerufen worden, ist soeben in meinem Beisein verschieden. Es liegen die unzweifelhaftesten Symptome einer Vergiftung durch Arsenik vor und deuten alle obwaltenden Umstände auf ein mit Absicht vollführtes Verbrechen.

Ich beantrage daher neben der gerichtlichen Leichenschau das möglichst baldige Erscheinen eines Kriminalbeamten zur Einleitung der Untersuchung, da der muthmaßliche Schuldige leicht in der Lage sein könnte, sich auf dieselbe vorzubereiten oder zu entfliehen.

Evers,
Geheimer Sanitätsrath.«

Das zweite dieser Meldung beigefügte Schreiben war an das Gericht adressirt, aber offen.

»Dem hohen Gerichtshof,« so hieß es darin, nachdem ebenfalls der Tod des Generals gemeldet war, »erlaube ich mir unterthänigst zu vermelden, daß ich ein Komplott zum Morde nachweisen kann. Das Fräulein v. Trotten auf Seebach und ihr Bruder, der Doktor in O., sind die Mörder meines guten seligen Herrn. Aber ich bitte unterthänigst, sie bald durch Gendarmen abholen zu lassen, da ich sonst für nichts stehe. Des hohen Gerichtshofes unterthänigster Diener

Franz Kleber,
Kammerdiener des seligen Herrn Generals (seit zehn Jahren!).«

Der Staatsanwalt war durch diese Nachricht in eine ungeheure Erregung versetzt. Otto Berg war ein Schulfreund Eduard's v. Trotten gewesen und hatte, da seine Eltern ebenfalls in G. gelebt, auch Margareth öfter in Gesellschaften gesehen. Die Erscheinung des schönen Mädchens hatte auf ihn einen unauslöschlichen Zauber geübt, aber er hatte von jeher zu den Menschen gehört, die Damen gegenüber blöde und schüchtern, ihre Gefühle auf eine Weise verrathen, welche eine Verkennung derselben herausfordert. Anstatt zu versuchen, sich Margareth zu nähern, hatte er es eher vermieden, mit ihr in ein Gespräch zu kommen, und dann hatte er, aus Furcht zu mißfallen, sich so wenig natürlich gegeben, daß er langweilig und hölzern erschien. Man wollte endlich in G. wissen, daß Guido Ebeling der Erkorene Margareth's sei, daß es sich nur noch um das Jawort der Eltern Guido's handle, wenn die Verlobung noch nicht stattgefunden, und Otto zweifelte keinen Moment an der Wahrheit dieser Gerüchte, warum sollte auch Margareth einen reichen, schmucken Offizier nicht lieben!

Otto verschloß seine Trauer in der Brust, wie er dort das Geheimniß seiner Sehnsucht geborgen, und widmete sich um so eifriger seinen Berufspflichten, er wollte vergessen, er wollte sich losreißen von Träumen, die ihn früher selig in Hoffnungen gemacht und die jetzt völlig eitel geworden. Er traute seinen Augen nicht, als er den Brief des Kammerdieners las, zuerst hielt er das Schreiben für das eines Verrückten, aber die Meldung des Arztes ließ eine solche Annahme schwinden.

Es lag Otto Berg natürlich fern, eine Schuld Margarethas für möglich zu halten, aber es berührte sein Gefühl schon tief, daß Jemand es wagen durfte, sie anzuklagen.

Seine Berufspflicht behinderte ihn, heute persönlich nach Seebach zu eilen, es stand ihm eine wichtige Gerichtsverhandlung bevor, bei der er sich nicht vertreten lassen konnte. Er ließ sich daher, nachdem er die Sendung einer Kommission zur Vornahme der Leichenschau in Seebach veranlaßt, den Kommissär Huck kommen, um ihm die nöthigen Instruktionen zu geben, einen passenderen Beamten konnte es für die Wünsche des Staatsanwalts in diesem Falle nicht geben. Huck hatte den Ruf eines äußerst geschickten und in seinen Recherchen glücklichen Kriminalisten, aber gleichzeitig auch den eines vortrefflichen Menschen, er hatte oft für das Unterkommen armer Angehörigen eines von ihm verhafteten Verbrechers Sorge getragen, wohl auch in aller Stille aus eigenen Mitteln solche Bedürftige unterstützt.

Berg zeigte dem Beamten beide Schreiben. »Die junge Dame,« sagte er dann, »welche von dem Diener des Ermordeten eines so schweren Verbrechens beschuldigt wird, ist die Tochter eines ehrenwerthen Vaters, genoß in G. des besten Rufes, ich kenne sie und habe stets die Ueberzeugung gehabt, daß sie der Hochachtung werth ist. Seien Sie also doppelt vorsichtig, lieber Huck! ...«

Der Beamte verneigte sich, er wußte jetzt schon mehr als der Staatsanwalt ihm verrathen, denn er kannte Berg genug, um zu wissen, daß derselbe wenig auf Bälle und in Gesellschaften ging, sehr zurückgezogen und solide lebte, daß also dem Staatsanwalt, wenn er von einer Dame in dieser Weise bei einer dienstlichen Angelegenheit sprach, dieselbe sehr werth und seiner Empfehlung sicher auch nicht unwürdig war.

Schon auf der Fahrt nach Seebach fand Huck Gelegenheit, sich über die dortigen Verhältnisse zu orientiren. Der Gerichtsschreiber wußte Mehreres zu berichten, denn er war früher auf dem Landrathsamt beschäftigt gewesen. Er erzählte, daß der General nie lange mit seinen Gesellschaftsdamen ausgehalten habe, daß die Dienstboten dort stets vor der Zeit entlassen oder fortgelaufen wären, nur Kleber habe es verstanden, festen Fuß zu fassen, derselbe beherrsche den General völlig und betrüge ihn tüchtig; wer sein Holz oder Wild oder sonst etwas vom Gute umsonst haben wolle, brauche nur sich bei ihm liebes Kind zu machen, und mancher Herr, der in *** die Nase sehr hoch trage, sei nicht zu stolz, Kleber die Hand zu schütteln und mit ihm »kleine Gefälligkeiten« auszuwechseln.

In einer Ausspannung an der Landstraße, wo der Kutscher einige Minuten anhielt, um eine kleine Unordnung am Hemmschuh, die sich unterwegs bemerkbar gemacht, abzustellen, sprachen die Leute bereits von dem auf Schloß Seebach vorgefallenen Morde, zwei Männer stritten sich sehr laut und heftig. Der Eine, der nach der Tasche, die er unter dem Arme hielt, zu urtheilen, ein Barbier war, behauptete, man habe die Mörderin, ein adeliges Fräulein, schon gefesselt fortgebracht, der Andere, welcher einen Jagdrock trug, verschwor sich hoch und theuer, das Fräulein, welches in letzter Zeit die Wirthschaft auf Seebach geführt, sei ein Engel an Schönheit und Güte, er habe selber gesehen, wie sie armen Taglöhnerfrauen des Gutes Almosen gereicht und ihnen versprochen, dafür zu sorgen, daß sie freies Holz erhalten sollten. »Sie hat auf dem Gute und in *** bittere Feinde,« rief er, »weil sie den Beamten von Seebach auf die Finger sieht und den General nicht bestehlen läßt, aber wer ihr etwas Böses nachsagt, der mag sich in Acht nehmen, daß er nicht vor's Gericht kommt.«

»Eine Unschuldige legt man nicht in Ketten!« spöttelte der Barbier.

»Solche nichtsnutzige Lüge,« lautete die Antwort, »ist zu albern, um darauf zu antworten. Man fesselt kaum einen bestraften Verbrecher, es sei denn, daß er Widerstand leistet, aber nicht eine Dame.«

»Ich hab's gehört, daß sie gefesselt war. In jedem Falle aber hat man sie arretirt, ihre Schuld ist also so gut wie erwiesen.«

»Von wem haben Sie die Nachricht?« mischte sich Huck in das Gespräch.

»Von glaubwürdigen Leuten, in ganz *** spricht man von nichts Anderem. Herr Kleber hat es selbst den Schloßleuten gesagt, daß er die Abführung der Trotten durch's Gericht veranlaßt habe, und der Kutscher vom Doktor Manders weiß es auch.«

»Und doch ist's eine Lüge, oder es wäre eine infame Schurkerei!« rief der Jäger. »Den schuftigen Kleber hätten sie einstecken sollen, da hätten sie vielleicht den Rechten gehabt.« –

Die Eindrücke, welche Huck auf dem Schlosse durch die oben geschilderten flüchtigen Vernehmungen erhalten, bestärkten ihn in der Ansicht, daß es Feinde Margareth's seien, welche auf einen mehr oder minder berechtigten Argwohn hin sich durch ihren Haß dazu verleiten ließen, ihre Schuld an einem gräßlichen Verbrechen für unzweifelhaft hinzustellen, und daß er auch, abgesehen von der Rücksicht, welche ihm das Urtheil des Staatsanwaltes über Margareth auferlegte, die gegen sie erhobene Anklage sehr vorsichtig prüfen mußte, denn wo die Leidenschaft des persönlichen Hasses die Aussagen durchglüht, ist Uebertreibung sicher anzunehmen. Der Staatsanwalt hatte sich gewissermaßen für den Charakter Margareth's verbürgt, der Jägersmann in der Schenke hatte sein günstiges Urtheil über sie motivirt. Alle, welche Margareth angegriffen, hatten auf Huck einen sehr ungünstigen Eindruck gemacht, und das vorurtheilsfreie Urtheil der Vernunft gebot von vorneherein starken Zweifel an der Möglichkeit eines Verdachtes gegen sie, denn der Mensch sinkt wohl von Stufe zu Stufe, der Mensch kann im Rausche heftiger Leidenschaft, in der Verzweiflung rasch zum Verbrecher werden, aber wie sollte es psychologisch zu erklären sein, daß eine junge, vornehme, gebildete Dame sich zu so ruchloser That entschlossen und dieselbe kaltblütig ausgeführt habe?

Andererseits aber war zu beachten, daß nicht nur gewichtige Verdachtsmomente gegen sie sprachen, sondern daß Fräulein v. Stolzenhain, die doch gewiß die Tragweite ihrer Worte beurtheilen konnte, so bestimmt die Anklage erhob, und daß sie, die die Verhältnisse kennen mußte, erklärte, es gäbe außer Margareth Niemand, der ein Interesse an dem Tode des Generals hätte haben können.

Sie äußerte mit derselben Entschiedenheit den Verdacht wie Kleber, nur daß Letzterer weiter ging und auch Margareth's Brüder verdächtigte – das Fräulein und der Diener konnten sich aber wohl schwerlich zu gemeinsamer Aussage verabredet haben, das Fräulein war ja, wie Huck eben erfahren, erst seit gestern auf Seebach.

Der Kommissär begab sich zu Margareth, um dieselbe zu vernehmen. Der Eindruck, welchen dieselbe auf ihn machte, war kein günstiger. Es überraschte ihn sehr, eine junge Dame, auf welche der plötzliche grauenhafte Todesfall im Schlosse und dann die entsetzliche Anklage, die man gegen sie erhoben, einen erschütternden und niederschmetternden Eindruck gemacht haben mußte, gefaßt und anscheinend ruhig zu finden, als baue sie darauf, daß ihr Stand sie gegen eine ernsthafte Anklage schützen müsse. »Ich weiß es,« sagte sie mit Selbstgefühl, »welche infame Verdächtigung man gegen mich erhebt, die Behandlung, die ich erfahren, und die Mittheilungen, die mir mein Bruder gemacht hat, haben mich darauf vorbereitet, das Empörendste für möglich zu halten, aber es wäre unter meiner Würde, ein Wort zu meiner Vertheidigung auf solche Anklage zu sprechen.«

»Um so besser,« erwiederte Huck, »wenn Ihre Darstellung der Vorgänge zur Widerlegung der Verdächtigungen genügt; darf ich um eine möglichst detaillirte Schilderung aller Vorfälle bitten?«

»Ich habe nur wenig zu sagen,« versetzte Margareth. »Ich habe mir durch Annahme der mir auf Seebach angebotenen Stellung eine gesicherte und ehrenvolle Existenz zu verschaffen gehofft, man hatte mich darauf vorbereitet, daß es mir schwer fallen werde, dieselbe dauernd zu behaupten, aber ich vertraute auf Gott und darauf, daß guter Wille viel möglich mache. Ich habe mir dadurch Feinde verschafft, daß ich vielen Unregelmäßigkeiten, die sich hier eingebürgert, ein Ende machte, aber ich erwarb mir die Zufriedenheit des Generals. Ich kannte dessen Abneigung, Verwandte von mir in seinem Hause zu sehen, und ich habe ihm meinen Bruder nicht als Arzt empfohlen, er hätte ihn dann gewiß nicht genommen, so aber that seine Laune das Gegentheil, er ließ ihn rufen und war mit ihm zufrieden.

Der General kannte die Gefahr, welcher er sich aussetzte, wenn er die Towler'schen Tropfen ohne Vorsicht nahm, und ich bin der festen Ueberzeugung, daß er auch gestern diese Vorsicht nicht vernachlässigt hat, er trank zwar, trotz meiner Warnung, sehr viel, aber er weiß auch, wenn er stark getrunken hat, was er thut, er hat sich niemals so berauscht, daß er der Aufsicht bedurft hätte.

Es trafen gestern Verwandte des Herrn Generals ein, die mir zuerst eine befremdend feindselige Haltung zeigten, dann aber, nachdem sie eine längere Unterredung mit dem General geführt, sich freundlicher stellten, besonders verrieth mir die Haltung des Geheimraths v. Sorben, daß der General, wenn er verletzende Zweifel gegen mich gehegt, ihn eines Besseren belehrt habe. Der General dagegen war zerstreut und in einer Laune, in welcher er stets gern zur Flasche griff. Herr v. Sorben weiß es, daß ich ihn vergeblich gebeten, seine Gesundheit zu schonen. Um Mitternacht, nach der Abreise des Herrn Geheimrathes, zog ich mich zurück, einige Stunden später weckte mich die Schreckensbotschaft, daß der Herr General heftig erkrankt sei; ich eilte in's Krankenzimmer und erfuhr dort eine Behandlung, die mich aus demselben vertrieb, das Fräulein v. Stolzenhain gestattete es sogar, daß der Kammerdiener Kleber über meinen Bruder und mich in empörendster Weise sprach.«

»Es ist Ihnen jedenfalls bekannt,« forschte Huck, »daß der General vor einiger Zeit, an einem Tage, wo Sie damit gedroht, ihn zu verlassen, noch am späten Abend sein Testament zu Ihrem Gunsten geändert hat?«

Margareth erröthete heftig, sie war einen Moment in sichtbarer, auffälliger Verlegenheit. »Das weiß ich nicht,« erwiederte sie, »aber man hat es mich errathen lassen, daß etwas vorgegangen, was wider meinen Willen geschehen und mir vielen Haß zugezogen hat. Ich lehnte verschiedene Anerbietungen, die mir der General machte, ab, ich erklärte ihm, daß ich meine Dienste nicht verkaufe, nichts fordere, als eine achtungsvollere Behandlung. Mir wurde gesagt, daß er am späten Abend habe den Arzt rufen lassen. Ich konnte ein Thema nicht anregen, welches der General mit mir erörtert und welches ich durch die entschiedene Erklärung erledigt, daß Verheißungen von Geld mich beleidigten. Was er heimlich gethan, das konnte ich nicht verhindern.«

»Es ist Ihnen nicht unbekannt geblieben,« fuhr Huck fort, »daß der Herr General gestern einen Brief an seinen Notar entsendet. Hat er mit Ihnen darüber gesprochen?«

»Nein. Ich weiß nur, daß er länger als sonst im Arbeitszimmer blieb.«

»Sie wußten es also nicht, daß er einen Brief an seinen Notar expediren ließ?« wiederholte Huck seine Frage und sein Auge fixirte Margareth scharf.

»Ich habe dies schon verneint,« antwortete sie, »was soll die Frage?«

»Sie ist von großer Wichtigkeit. Kleber behauptet das Gegentheil.«

Margareth erröthete wieder. »Dann muß ich es Ihnen überlassen,« versetzte sie gereizt, »wem Sie Glauben schenken wollen.«

»Es wäre besser, einen etwaigen Irrthum aufzuklären. Kleber behauptet, Ihnen begegnet zu sein, als er den Brief in der Hand gehabt, und auf Ihr Befragen Ihnen die Adresse gezeigt zu haben.«

Das Antlitz Margarethas wurde blutroth – war das Verwirrung und Beschämung oder war die Empörung nicht erheuchelt, mit der sie antwortete, daß die Frechheit dieser Lüge Alles übersteige, sie habe sich nie so entwürdigt, um neugierige Fragen über die Handlungen des Generals an einen Diener zu richten, am wenigsten aber an Kleber.

Huck änderte das Thema. »Der General,« sagte er, »liebte es, Sulzen stark mit Essig zu versetzen?«

»Nein,« antwortete sie ruhig, »er nahm niemals viel Essig, und es war ihm daher nicht schwer, demselben ganz zu entsagen, als seine Kur dies forderte, sonst hätte ich der Köchin Speisen zu bereiten, die er nur gesäuert liebt, ganz verboten.«

»Der Geheimrath muß alsdann den Essig sehr lieben,« versetzte Huck, »denn wie ich höre, ist gestern Abend sehr viel Essig verbraucht worden.«

»Dem ist nicht so,« antwortete Margareth. »Der Geheimrath wünschte ein wenig Essig, ich gab ihm selber die Flasche, die ich, seit der General seine Kur brauchte, nie auf den Tisch setzte, und stellte sie dann sofort wieder in's Büffet.«

»Sie wollen sagen, auf die Büffetklappe.«

»Nein, in's Büffet, ich weiß das sehr genau.«

»Kleber behauptet, die Flasche auf dem Büffetbrett gesehen zu haben, als er in den Salon getreten.«

»Die Behauptung ist unwahr. Wie sollte sie dorthin gekommen sein? Gesetzt, der General hätte, was ich für unglaublich halte, während der kurzen Zeit, wo ich abwesend war, sich Essig holen wollen, um noch einmal mit dem Essen zu beginnen und sich die Sülze zu säuern, so würde er die Flasche, die ich in eine Ecke gestellt, kaum gefunden, keinenfalls aber nach dem Büffet zurückgetragen haben.«

»Die Köchin sagt, daß die Flasche, welche voll gewesen, fast leer in die Küche zurückgekommen sei.«

Margareth erröthete jetzt wieder sehr heftig, ihr ganzes Wesen hatte etwas befremdend Auffälliges. »Was soll das heißen?« stotterte sie. »Wer hat die Flasche hinaus getragen? Ihre Fragen sind sehr seltsam. Was soll ich von Dingen wissen, die ohne mein Zuthun geschehen? Ich sage Ihnen, daß ich die Essigflasche, die beinahe noch ganz voll war, selber in das Büffet gestellt, und zwar in eine Ecke, hinter eine Terrine. Ich wollte zu so später Stunde nicht mehr nach der Speisekammer gehen und sie verschließen. Die Sachen, die ich in's Büffet stelle, werden nie hinaus nach der Küche getragen, deshalb stelle ich sie ja in's Büffet, damit sie nicht mit den Tellern und sonstigem Geschirr hinauskommen.«

»Sie erinnern sich an Dinge, welche unbedeutend sein könnten, sehr genau,« erwiederte Huck, »und legen so großes Gewicht auf die Richtigkeit Ihrer Angaben, daß ich vermuthe, Sie kennen die Tragweite derselben. Die anscheinende Bagatelle, ob die Essigflasche zufällig nach der Küche gekommen, erregt Sie sehr.«

Der veränderte Ton des Beamten machte wenig Eindruck auf Margareth, denn es war auch mit ihrer Geduld zu Ende. »Mein Herr,« erwiederte sie, »ich muß wohl erregt werden, wenn ich sehe, daß Sie auf Grund von Angaben Kleber's, die, ich weiß nicht zu welchem Zwecke, völlig aus der Luft gegriffen sind, mir Fragen vorlegen, welche Zweifel an meinen Auslassungen bekunden. Ich bin gewohnt, nichts zu sagen, was ich nicht ganz genau weiß, und stets der Wahrheit die Ehre zu geben.«

Der Kommissär erhob sich. Er zog die Schelle und befahl der eintretenden Zofe, den Gerichtsschreiber herzubescheiden.

»Sie entschuldigen,« wandte er sich dann zu Margareth, die mit äußerstem Befremden eine Erklärung seiner Handlungsweise erwartete, »aber ich muß einem Gebote meiner Pflicht folgen, welches Ihnen sehr peinlich sein wird, aber doch auch Ihr Interesse berücksichtigt. Ihr wahres Interesse fordert, daß Alles, selbst scheinbar Verletzendes geschehe, wenn dadurch der Verdacht, den man auf Sie geworfen, beseitigt werden kann. Ich hoffe, Sie werden meiner Ansicht beistimmen, daß es Sie nicht beleidigen kann, wenn ich eine Form erfülle, die mir die Pflicht gebietet und der sich Jeder unterwerfen muß, der sich in gleicher Lage befindet wie Sie.«

»Was wollen Sie thun?« fragte Margareth erbleichend.

»Ich muß eine Durchsuchung Ihres Zimmers vornehmen,« erwiederte er, sie scharf beobachtend; »ich bin dazu verpflichtet und berechtigt.«

Sie erröthete heftig, aber keine Spur von Unruhe oder Schrecken malte sich in ihren Zügen. »Ich habe keine Geheimnisse,« sagte sie lächelnd, denn sie hatte vielleicht Schlimmeres nach einer so ernst feierlichen Anrede befürchtet. »Angenehm ist mir die Sache natürlich nicht, aber ehe ich einen Verdacht auf mir lasten sehe, bitte ich um Revision meiner Effekten und will auch die Taschen meines Kleides umkehren.«

Hatte Vieles in der Haltung Margarethas einen ungünstigen Eindruck auf den Kriminalisten gemacht, so mußte er jetzt an ihre Unschuld glauben oder argwöhnen, daß sie Dinge, welche sie kompromittieren konnten, längst in Sicherheit gebracht.

Der Gerichtsschreiber erschien und Huck begann mit der Revision, Margareth öffnete bereitwillig ihre Kommoden und Schränke.

Die Revision war leicht zu bewerkstelligen, denn überall herrschte musterhafte Ordnung, Alles war so sauber und zierlich gelegt, daß Margareth sich nicht fremder Einblicke in ihre Habseligkeiten zu schämen brauchte. Da öffnete Huck den Kleiderschrank und bemerkte auf dem unteren Boden desselben weiße glänzende Körner.

»Was ist das?« fragte er, den Blick durchbohrend auf Margareth heftend, nachdem er sie gebeten, heranzutreten.

»Das sieht ja aus wie Zucker,« antwortete sie überrascht, aber völlig ruhig. »Wie kommt der dahin?!«

Es schien unmöglich, daß sie solche Ruhe erheuchelte, wenn sie ein böses Gewissen hatte, die verhärtetste Verbrecherin hätte solche Unbefangenheit nicht zeigen können.

»Ah,« rief Huck, »diese Robe trägt Spuren des weißen Pulvers – dort und dort.«

»Das Kleid trug ich gestern,« versetzte Margareth, »ich habe aber beim Entkleiden nichts bemerkt.«

Der Kommissär revidirte die Tasche des Kleides und fand auch in ihr weiße Körnchen, ferner entdeckte er ein kleines Stückchen Papier von der Größe eines Silbergroschens, an welchem etwas Weißes haftete, und das allem Anschein nach von einer Düte herrührte, denn es bestand aus zwei kleinen zusammengeklebten Hälften, also aus der Naht der Düte. Huck nahm das Stückchen Papier und schlug es vorsichtig in ein weißes Blatt ein, dann kratzte er eine kleine Portion von dem Pulver zusammen, welches auf dem Boden des Schrankes lag, und verschloß denselben.

Seine Miene hatte etwas Strenges, Finsteres. »Sie wissen nicht,« fragte er Margareth, »wie dieses Pulver an Ihr Kleid und in die Tasche desselben gekommen?«

»Nein – ich wüßte mich nicht zu erinnern, daß ich ein Pulver in Händen gehabt. Ich verstehe das nicht.«

»Dieses Pulver ist allem Anschein nach Arsenik,« antwortete der Beamte, und er sprach das inhaltsschwere Wort in drohendem Tone.

Margareth bebte zusammen. Es war ihr jetzt erklärt, weshalb der Kommissär plötzlich einen so seltsamen Ton angenommen, sie begriff, welch' entsetzlichen Verdacht dieser Fund gegen sie hervorrufen mußte, und je unerklärlicher es ihr war, wie das weiße Pulver an ihr Kleid gekommen, um so größer war ihr Schrecken, ihre Angst – sie fühlte, daß Jedermann sie für schuldig halten müsse, wenn sie die befremdende Thatsache nicht erklären könne.

Aber wie sollte sie das! Wie sollte sie erklären, was sie selber nicht begriff! Ihr Muth verließ sie, betäubt, verwirrt stand sie da, gräßliche Ahnungen beklemmten ihre Brust, es schien, als habe sich Alles gegen sie verschworen, als wolle das Schicksal selber ihr Verderben, sie war keines Wortes mächtig.

Wer Argwohn hegen wollte, und der Beamte hatte jetzt die begründetste Ursache dazu, mußte die plötzlich mit ihr vorgegangene Veränderung dadurch erklären, daß die Heuchlerin sich ertappt sah.

»Gestehen Sie!« rief der Beamte. »Sie können Ihre Schuld nicht mehr leugnen, Sie haben dem General das Gift in's Getränk gemischt, die zitternde Hand hat dabei etwas von dem Pulver verschüttet. Gestehen Sie, wann geschah die That?«

Margarethas Antlitz ward todtenbleich, sie griff mit der Hand nach dem Kopfe, als packe sie ein Schwindel, ihre Kniee schwankten und wie ohnmächtig brach sie zusammen. Der Gerichtsschreiber hielt die Schwankende.

»Keine Komödie!« sagte Huck finster, er hielt diese Ohnmacht für Verstellung, aber der Gerichtsschreiber schüttelte den Kopf. »Fühlen Sie,« flüsterte er, »das ist kalter Schweiß an ihrer Hand, sie ist krank –«

Huck sah eine Flasche mit Eau de Cologne auf der Kommode und besprengte die Stirne Margarethas. Sie kam wieder zu sich, aber man sah es ihr an, daß ihr Geist erst wieder den Körper beleben mußte, das Auge hatte seinen Glanz verloren, die Wange schien blutlos und erst nach Verlauf einiger Minuten konnte sie sich aufrichten.

Einen Moment schien es, als glaube sie einen bösen Traum gehabt zu haben, aber der Anblick der fremden Männer raubte ihr bald diesen Trost und die Erinnerung kehrte zurück. »O Gott,« murmelte sie leise, »warum bin ich erwacht. Warum nahmst Du mich nicht zu Dir!«

Der Kriminalkommissär betrachtete sie unverwandten Blickes, er schien mit sich selber darüber im Streit, ob er dieses Weib für eine Verbrecherin halten könne oder nicht.

»Erholen Sie sich,« sagte er in sanftem, ermuthigendem Tone. »Gott, den Sie anrufen, will, daß jede Schuld gesühnt werde. Ein offenes Geständniß ist schon ein Theil der Sühne. Welche unselige Leidenschaft konnte Sie zu einer That verleiten, die so unweiblich ist –«

Margareth ließ ihn nicht aussprechen. »Halten Sie ein!« sagte sie mit weicher, flehender Stimme. »Ich danke Ihnen, daß Sie in freundlicherem Tone zu mir sprechen, aber Sie ahnen nicht, wie Sie mir dadurch doppelt wehe thun. Ich kann Ihnen nichts erklären, kann Ihnen nicht mehr sagen, als was ich selber weiß. Das Kleid ist mein, ich habe es gestern getragen, aber von dem Pulver weiß ich nichts. Ich beklage den Tod des Generals tief, ich war ihm Dankbarkeit schuldig, ich habe nie Ursache gehabt, ihn zu hassen, es lag ja auch in meinem freien Willen, zu gehen oder zu bleiben. Aber hätte ich auch Jemand, den ich hassen mußte, so würde ich mit der sündigen Leidenschaft kämpfen. Wenn Sie mich aber eines Verbrechens fähig halten, vor dem sich jedes Menschen Gefühl empört, so erlassen Sie es mir, darauf zu antworten. Will mich Gott demüthigen, so werde ich hinnehmen, was er mir bescheidet. Beginnen Sie mit mir, was Sie wollen, aber quälen Sie mich nicht mit Fragen, die mich empören und beschimpfen.«

Es lag in ihrem Tone, in ihrem ganzen Wesen etwas, was Huck wider seinen Willen veranlaßte, schonend aufzutreten. Wir sagen, wider seinen Willen, denn er zweifelte kaum an der Schuld Margarethas, sie erschien ihm als eine raffinirte Heuchlerin und er hatte das Gefühl, als könne man sie nur durch ein hartes Auftreten dahin bringen, die Schuld einzugestehen; hatte sie doch vorhin ein belastetes Gewissens durch ihr Erschrecken beinahe zweifellos verrathen.

Aber er vermochte es nicht, dieses schöne zarte Weib wie eine gemeine Verbrecherin zu behandeln, fand er doch selber keine Erklärung dafür, was sie eines so brutalen Mordes fähig gemacht, fanden sich doch Widersprüche schon jetzt, die Zweifel an ihrer Schuld anregen konnten. Er hatte Margareth in anscheinend ruhiger Fassung gefunden – eine raffinirte Verbrecherin hätte bei der Muße, die sie gehabt, jede Spur ihres Verbrechens zu verwischen, das Kleid besehen, das sie gestern getragen, die Tasche gereinigt. Eine vollendete Heuchlerin hätte ferner sich eine Vertheidigung überlegt, den Verdacht auf Andere zu lenken versucht, aber Margareth hatte selbst von den Personen, die sie angeklagt, mit Schonung gesprochen.

»Gestatten Sie mir noch eine Frage,« rief der Beamte plötzlich. »War es möglich, daß Jemand unbemerkt von Ihnen in dieses Zimmer gelangen konnte, war dasselbe unverschlossen und kennen Sie Jemand, haben Sie einen Feind, dem Sie zutrauen, daß er Verdacht auf Sie lenken wollte?«