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B. H. Bartsch

Mein - Für immer

Gay Fantasy Romance





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Mein - Für immer

 

 

Mein –

Für immer

 

B. H. Bartsch

Gay Fantasy

 

Copyright © 2016 B.H. Bartsch

All rights reserved.

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

 

Dieses Buch enthält homosexuelle Inhalte und ist daher nur für volljährige Leser geeignet.

 

 

Sämtliche Personen und Handlungen sind fiktiv und frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Begebenheiten sind nicht beabsichtigt und daher nur zufällig.

 

 

E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Vielen Dank.

 

 

Fiktive Personen können auf Kondome verzichten. Im wahren Leben gilt: Safer Sex

 

 

Mein Dank geht an meine Familie, die mich in meinem Schreibphasen ertragen und unterstützen und sich ab und zu mal das Essen selber zubereiten müssen, an meine überaus fleißigen Betaleserinnen, an Bernd und Bonny und an alle meine treuen Leser. Eure Meinungen, Kommentare und lieb gemeinten Tritte in meinen Allerwertesten haben dieses Buch erst möglich gemacht. Ihr seid toll, denn ohne euch würde das Schreiben nur halb so viel Spaß machen. Danke dass es euch gibt.

Schoki und Kekse hinstell….

 

 

 

 

1. Auflage/November 2016

 

 

 

Zum Inhalt

 

Bennet ist als Empath geboren und hat nie das Leben in einem Rudel kennengelernt. Mit einem gebannten Wolf in seinem Körper muss er nach dem Tod seines Großvaters seine Heimat verlassen. In seiner Trauer beschließt er, nach Jasper in Kanada zu fahren. Dort trifft er auf das Geburtsrudel seines Vaters, aber auch auf einen alten Feind seiner Familie.

 

Jim ist Alpha seines Rudels mit Leib und Seele. Er liebt seine Freunde, seine Unabhängigkeit und geht in seiner Arbeit als selbstständiger Bauunternehmer auf. Doch eines Tages trifft er auf Bennet, seinen Gefährten. So weit, so gut, nur Bennet ist ein Mann.

Schaffen die beiden es, die Hürden zu nehmen und ein Paar zu werden? Kann Jim sich an einen Mann als Gefährten gewöhnen und ihn vor allen Widrigkeiten beschützen?

 

Länge ca. 50500 Wörter.

 

 

 

Kapitel 1 - Die letzten gemeinsamen Tage

Bennet

 

»Junge, das war mein letzter Sommer.« Großvater blickt in die Sonne, die dabei ist, hinter den Bäumen unterzugehen. Seine Wörter dringen nur langsam in mein Bewusstsein ein.

»Was meinst du damit, das war dein letzter Sommer?« Meine Stimme zittert. Da ist wieder dieses Gefühl, das sich in mein Herz einschließt. Trauer und eine große Sehnsucht.

Das ist immer da, wenn ich mit Großvater spreche. Ich kenne es nicht anders.

»Bennet, es wird Zeit, dass wir über das Unausweichliche reden. Meine Tage sind gezählt. Die blinde Maja hat es mir schon vor Monaten vorhergesagt. Ich spüre es in den Knochen. Es werden nur noch wenige Tage sein, die mir hier auf Erden bleiben.« Der Schock über seine Worte schießt mir in die Knochen. So schnell?

»Aber viel wichtiger ist, dass du von hier weggehst. Hörst du? Joseph wird dich töten, wenn er dich in die Finger bekommt.«

»Grandpa, ich verstehe nicht?« Mein Puls ist in die Höhe geschnellt, eigentlich weiß mein Kopf, was Opa meint, aber ich muss es hören, hören, um es Wirklichkeit sein lassen zu können. Ich verstehe nicht, was ich diesem Joseph getan habe, alles, was ich weiß, ist, dass er der Alpha vom dem Rudel ist, dem Opa einmal angehört hat.

»Es ist die einzige Möglichkeit, dein Leben zu retten, bevor er dich herausfordert.«

»Herausfordern? Mich? Aber mein Wolf kommt nicht an die Oberfläche. Er tut es einfach nicht. Nie!«

»Ich weiß, aber er wird dich trotzdem herausfordern, ganz sicher sogar. Er wird es ohne Rücksicht auf deine Umstände tun und hat nur stillgehalten, weil er es seinem Vater versprochen hat und ich noch da bin.«

»Ich verstehe das alles nicht. Warum musst du sterben? Ich begreife einfach nicht, was das alles mit mir zu tun hat. Versteh mich nicht falsch, ich liebe dieses Fleckchen Erde, es ist unser Zuhause, hier bin ich groß geworden, aber nun soll ich hier weg, weil es diesem Joseph nicht passt, dass ich hier bin? Was habe ich damit zu tun?« All diese Fragen, auf die ich immer keine Antworten bekam. Im Schweigen ist mein Großvater ein Meister.

»Okay, ich glaube es wird Zeit, dir die Geschichte zu erzählen, die vor deiner Geburt passiert ist. Ich kann verstehen, dass du Antworten auf deine Fragen willst, aber ich war bisher der Meinung, dass es besser ist, wenn du gewisse Dinge nicht erfährst. Aber nun ist die Zeit gekommen, denn wenn ich nicht mehr da bin, wer soll dir dann deine Fragen beantworten?«

Er räuspert sich, hält inne und sein Blick scheint in die Vergangenheit zurückzukehren. Just in diesem Augenblick verstärkt sich das Gefühl in meiner Brust. Es zerreißt mich förmlich.

»Meine Tochter, deine Mutter, war eine starke Wölfin. Sie war zwar zierlich, aber wer den Fehler machte, sie zu unterschätzen, hatte einen großen Fehler gemacht. Sie war kräftig, klug, durchsetzungsstark und wunderhübsch, sie war mein ganzer Stolz. Ich war damals der Beta des White-Rock-Rudels. Unser Alpha war damals mein bester Freund. Sein Sohn Joseph war ein paar Jahre älter als deine Mutter. Er umwarb sie, da war sie gerade mit der Highschool fertig, aber sie lernte dort deinen Vater kennen. Sie gingen schon ein paar Monate miteinander. Craigh war ein ruhiger und besonnener Wolf. Ein Empath, so wie du. Die beiden waren Gegensätze, die sich wie Magneten angezogen haben, und dennoch waren sie ein Paar, das gut miteinander harmonierte. Sie passten zueinander und gaben ein schönes Bild zusammen ab. Als deine Mum sagte, dass sie aufs College gehen möchte, entschloss sich Craigh mitzugehen. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen. Deine Mum wurde schwanger und alle Pläne waren gestrichen. Craigh bekam im Sägewerk bei deinem Großonkel Arbeit. Er wollte seine Familie ernähren. Hat zu deiner Mutter gehalten und bei deiner Großmutter und mir ganz offiziell um die Hand deiner Mum angehalten. Er war ein wirklich feiner Kerl. Bob, unser Alpha, war damals dabei, als Craigh uns bat, deine Mum heiraten zu dürfen. Er saß bei uns im Wohnzimmer und er wusste, dass Joseph um deine Mutter gebuhlt hatte, aber sie hatte nie einen Blick für den jungen Mann übrig. Ihr Interesse galt eben deinem Vater. An diesem Tag veränderte sich das Verhältnis zwischen mir und Bob. Er war wütend, dass wir unseren Segen zu der Hochzeit gegeben haben.«

Wehmut und Trauer spiegelt sich im Gesicht meines Großvaters wider, zur gleichen Zeit wütet sie in meinem Herzen. Ein Empath so wie du. Was meint er damit?

»Drei Wochen später starb dein Vater auf dem Weg zur Arbeit. Die Umstände zu dem Unfall wurden nie geklärt, warum dein Vater mit seinem Wagen von der Fahrbahn abgekommen ist. Mein Verdacht, dass ein anderes Auto involviert war, wurde nicht berücksichtigt, obwohl die Spuren eindeutig waren. Warum hatte Joseph einen Tag später einen neuen Wagen? Warum wurden die Indizien nicht untersucht? Der Fall wurde schon drei Wochen nach dem Unfall zu den Akten gelegt. Deine Mum war sehr unglücklich. Joseph hat sich weiter um deine Mutter bemüht, aber irgendwann war sie es leid, sagte ihm, dass er sie in Ruhe lassen soll, dass sie kein Interesse an ihm hätte. Das war kurz vor deiner Geburt. Er konnte nicht verstehen, dass sie kein Interesse an einer Beziehung mit ihm hatte, aber er wollte sich nicht abweisen lassen, wollte nicht akzeptieren, dass Sophie ihn nicht einmal mochte. In der vorletzten Vollmondnacht vor dem berechneten Termin deiner Geburt eskalierte die Situation. Ich musste eingreifen und Joseph in seine Schranken weisen. Bob, seinem Vater, gefiel mein Handeln nicht. Er war der Meinung, dass der zukünftige Alpha des Rudels das Recht hätte, seine Gefährtin auch gegen ihren Willen auszuwählen, er hätte das schließlich auch gemacht. Es kam zum Streit zwischen mir und Bob. Joseph war der Meinung, dass das Wort seines Vaters Gesetz wäre, aber es gibt einen Kodex, an den sich alle Wölfe halten müssen und der besagt, dass ein gesagtes Nein akzeptiert werden muss. Wenn ein Weibchen Avancen abwehrt, dann muss diese Zurückweisung akzeptiert werden. Joseph war außer sich wegen der erneuten Zurückweisung durch deine Mutter. Er griff sie am Arm, doch sie riss sich los und schlug ihm mit ihrer rechten Hand ins Gesicht. Ihr Verlobungsring verletzte ihn, riss ihm die Haut an seiner Wange auf, er blutete! Er tobte vor Wut. Dann holte er aus und schlug sie so hart, dass sie rückwärts auf einen gefällten Baum fiel. Der abgesägte Ast durchbohrte ihren Oberkörper …«

Er schluckt hart und seine Augen sind feucht. Er hält kurz inne und dann schließt er die Augen. Tränen rinnen über seine Wangen. Seine Trauer lässt mir die Luft aus den Lungen weichen. Eine Agonie sucht mich heim. Meine Arme und Beine schmerzen unerträglich. Von meinem Herzen ist bald nur noch ein zusammengequetschter Haufen Muskeln übrig.

»Es war plötzlich totenstill. Niemand war in der Lage, sich zu rühren. Der Schock lähmte alle.« Wieder stoppt er kurz und sammelt sich.

»Ihre Augen waren weit aufgerissen. Blut lief ihr aus dem Mund. Ihre Hände lagen schützend auf ihrem Bauch. Die blinde Maja war diejenige, die sich als Erste bewegte. Sie ging zu deiner Mutter und hielt ihren Kopf. Sie flüsterten etwas, dann starb deine Mutter und du wurdest ihr aus dem Leib geschnitten. Es war das Furchtbarste, was ich in meinem Leben erleben musste, aber zugleich wurdest du geboren und hast das alles nur knapp überlebt. Warst so klein und hättest eigentlich noch acht Wochen im Bauch deiner Mutter bleiben sollen. Aber wir hatten die Wahl, deine Mutter zu verlieren und dich zu retten oder euch beide zu beerdigen. Ich legte mit sofortiger Wirkung mein Amt nieder. Bob verbannte uns aus dem Rudel und wir hatten achtundvierzig Stunden Zeit, das Land zu verlassen. Unser Territorium war nicht groß, dennoch blieben wir in der Nähe, weil ich hier meine Arbeit im Sägewerk hatte. Der Bruder deiner Großmutter ist ein feiner Kerl. Er hat uns Arbeit gegeben und das Land, auf dem wir seitdem leben. Aber jetzt ist es Zeit für dich, die Zelte hier abzubrechen, denn Bob hat sein Amt ein paar Jahre später an Joseph abgegeben. Der schwor in der Nacht deiner Geburt, dass er dich töten wird, sobald ich nicht mehr da wäre. Er gab dir die Schuld, dass deine Mutter nichts mit ihm zu tun haben wollte. Ich nannte ihn einen dummen Jungen, der ein angekratztes Ego hatte, weil er von einer Frau abgelehnt wurde. Ich will ihm seine Gefühle für deine Mutter gar nicht absprechen. Ich glaubte ihm, dass er in deine Mum verliebt war, aber sie liebte ihn eben nicht. Ich wollte für mein Kind immer nur das Beste. Aber er nahm sie mir. Durch die Verbannung nahm Bob uns das Rudel, Schutz und Gesellschaft. Wir Wölfe brauchen einander. Ich spüre sie, aber sie kommen nicht zu uns. Sie sind immer in der Nähe. Aber dennoch bin ich einsam, mein Junge. Ich bin alt, müde und ich spüre mein Ende. So ist der Lauf der Zeit, aber ich mache mir Sorgen um dich. Dein Wolf, er ist da drin, ganz tief in dir.«

Er legt seine Hand auf meine Brust und schaut mich mit seinen grauen Augen an.

»Irgendwann kommt er an die Oberfläche und dann fordert er seine Daseinsberechtigung ein. Auch du wirst dich wandeln, da bin ich mir sicher. Weißt du, ab und zu träume ich von dir als Wolf. Du hast die Augen deines Vaters und die Haarfarbe, den Rest hat dir deine Mutter vererbt.«

Ein verträumtes Lächeln schleicht sich in seine Züge. Die Sonne ist beinahe untergegangen und der Wald kommt langsam zur Ruhe. Großvater erhebt sich und dreht sich zu mir um. Seine Knochen tun ihm weh. Schon lange. Aber er hat sich nie beklagt. Dennoch hallen seine Worte in meinem Kopf. »Und dennoch bin ich einsam.« Ja, das bin ich auch, aber ich kenne es nicht anders. War immer mit Großvater allein. Großmutter starb, als ich in die Junior-Highschool kam. Ich weiß wohl, dass das Rudel in der Nähe ist, aber viel zu tun hatte ich mit ihnen nie. Sie schnitten mich, sprachen nie mit mir. Warfen mir verachtende Blicke zu. Großvater trichterte mir schon früh ein, gewisse Grenzen niemals zu überschreiten.

Das Leben am Rande der Gesellschaft hat uns geprägt. Finanziell hatten wir nie Sorgen, aber einsam war unser Leben. Am Anfang kamen noch welche von den älteren Rudelmitgliedern zu Besuch, aber die Besuche blieben irgendwann aus. Entweder sie starben oder sie wollten keinen Ärger mit ihrem Alpha riskieren und ignorierten uns wie alle anderen auch. Nur die blinde Maja blieb uns treu und kam uns besuchen. Sie ist so eine Art ”Seherin”, ziemlich weise und sehr freundlich. Schon als kleiner Junge habe ich mich immer gefragt, wie sie sich im Wald zurechtfindet, obwohl sie nichts sehen kann. Als Kind war sie mir unheimlich, aber dann war ich dankbar für ihre Besuche, denn Großvater hatte durch sie Kontakt zu unseresgleichen. Irgendwie zog er aus ihren Besuchen Kraft für die Zeit, die wir allein verbrachten.

»Es ist schon spät, ich glaube, wir sollten zurückgehen.« Grandpa lächelt und dreht sich zu mir um. Ich nicke, stehe auf und blicke noch einmal auf den See, der von Bäumen gesäumt wird. Hier bin ich groß geworden und ich dachte immer, dass ich hier auch mal begraben werde. Das Land gehört uns, aber bleiben kann ich nicht. Wehmut schleicht sich in mein Herz.

»Ob ich irgendwann wieder zurückkommen kann? Ich meine, wenn Joseph nicht mehr Alpha ist?«

»Ich weiß es nicht, mein Junge. Ich weiß es wirklich nicht. Aber eines ist sicher. Dieses Land gehört dir und nur du entscheidest, was damit passiert. Ich bin dir nicht böse, wenn du es verkaufst. Was willst du mit dem Land, wenn du es nicht nutzen kannst?« Der Gedanke macht mich traurig, denn es ist wirklich schön hier. Langsam gehen wir zurück zu unserer Hütte, in die wir im Laufe der Zeit viel Arbeit gesteckt haben.

»Wo soll ich hin?« Die Erkenntnis, dass ich bald heimatlos bin, lässt mich erschaudern.

Aber das Schlimmste ist, dass Großvater bald nicht mehr da ist.

»Nach Kanada. Geh dahin, wo dein Vater herkam. Ich bin mir sicher, dass du dort oben dein Glück finden wirst.« In dieser Nacht schlafe ich nicht. Meine Gedanken fahren Karussell.

 

 

»Bring dir Kartons mit, wenn du Feierabend machst. Wir müssen deine Bücher einpacken. Die willst du ja wohl nicht hierlassen?« Großvater plant schon seit Tagen meine Abreise. Er will unbedingt verhindern, dass mir was passiert und dass ich von hier verschwinde, sobald ich ihn unter die Erde gebracht habe. Die Stimmung ist furchtbar. Immer wenn ich ihn anschaue, dann könnte ich mich vor seine Füße werfen und heulen. Aber ich musste ihm versprechen, tapfer zu bleiben. Fällt mir momentan echt schwer.

Ich winke ihm zu, schwinge mich in meinen Pick-up und fahre arbeiten.

 

 

Ich arbeite im Buchladen. Nach der Highschool habe ich am hiesigen College Office Administration studiert. Als Mr. Horrace vor ein paar Jahren eine Aushilfe suchte, bewarb ich mich und wurde prompt genommen. Heute muss ich ihm sagen, dass ich die Stadt verlassen werde und diese Woche meine letzte sein wird.

 

Und so vergehen die Tage. Ich mache die Frühschicht und am Nachmittag packe ich meine wenigen Habseligkeiten zusammen. Großvater kommt mittlerweile nicht mehr aus seinem Bett. Er schläft viel und Appetit hat er gar keinen mehr. Ich lese ihm vor und verbringe so viel Zeit wie möglich mit ihm. Er verschmäht das Essen und trinkt viel zu wenig.

Ja … seine Zeit ist abgelaufen.

Traurig trage ich das unangetastete Essen wieder zurück in die Küche und räume die Reste in den Kühlschrank. Als ich zurück in sein Zimmer komme, liegt er in Wolfsgestallt zusammengerollt auf seinem Bett. Die Verwandlung muss ihn fast alle Kraft gekostet haben. Ich setze mich neben ihn, kraule ihn zwischen und hinter den Ohren, seinen Kopf legt er auf meine Schenkel, blickt mich traurig an, holt tief Luft, schnaubt noch einmal, dann schließt er für immer seine Augen und lässt mich mutterseelenallein zurück. Plötzlich fühle ich eine schrecklich große Leere und Stille in mir. All diese Emotionen, die mich immer wieder heimgesucht haben, sind verschwunden. Da ist jetzt nur noch eine tiefe Traurigkeit und die Erkenntnis, dass zurückgelassen zu werden und nicht mitgehen zu können, das Herz zentnerschwer werden lässt.

 

Ich weiß nicht, wie lange ich dort gesessen habe, es ist schon dunkel, als ich mich von ihm löse und Onkel Orin anrufe. Es war sein Wunsch, als Wolf zu sterben und auch als Wolf neben Großmutter begraben zu werden.

 

Einsam war unser Leben und genauso einsam war auch seine Beerdigung. Nur die blinde Maja und Omas Bruder kamen am frühen Morgen und haben sich von ihrem langjährigen Freund und Weggefährten verabschiedet.

»Egal was passiert, glaube immer daran, dass alles gut wird. Ich habe es gesehen.«

Maja tätschelt meinen Oberarm und lässt mich zurück. Onkel Orin drückt mich an sich und reicht mir einen Umschlag.

»Hier drin findest du die Adresse in Kanada, wo dein Vater herkam. Wenn ich dir beim Verkauf des Grundstückes helfen soll, dann ruf mich an, mein Junge. Pass auf dich auf und lass dir nicht so viel Zeit mit deiner Abreise. Du musst hier weg.« Er dreht sich noch mal um, schaut zu Großvater hinüber und lässt mich auch schließlich allein.

Tränenblind mache ich mich an die Arbeit, das Grab meines Großvaters zu verschließen.

 

 

Als ich fertig bin, meinen Wagen mit den drei Bücherkisten und den wenigen Habseligkeiten zu beladen, die ich mitnehmen möchte, höre ich Motorengeräusche. Keine zwei Minuten später stehen drei Autos vor unserem Haus und Männer, allesamt groß und kräftig, steigen aus und bewegen sich leise und unauffällig auf mich zu. Mir sträuben sich die Haare, ich wittere Gefahr und ahne, dass das, was jetzt kommt, kein Spaziergang wird.

Irgendetwas zerrt in mir, lähmt mich, lässt mich regungslos die Männer anstarren, die langsam auf mich zukommen. Mein Puls rast und Angst übernimmt die Kontrolle.

»Bennet Hollister? Ich gehe davon aus, dass du weißt, wer ich bin?«, knurrt mich der finster dreinschauende Typ an.

»Ja. Ja, ich weiß, wer Sie sind. Was wollen Sie?« Ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme zittrig klingt.

»Sehen, ob du genug Eier in der Hose hast, dich mit mir zu messen. Los, verwandle dich, stell dich mir wie ein richtiger Wolf.« Seit langer Zeit spüre ich mal wieder, dass da ein wildes Tier in mir lebt. Es ist, als sei es gerade erst erwacht. Verschlafen, abwartend und noch nicht bereit sich dem Feind zu stellen. Joseph umkreist mich. Blickt auf mich herab, angewidert und höhnisch.

»Los, du Köter. Du willst der Sohn deiner Mutter sein? Lächerlich. Schau dich an. Ein abgebrochener Zwerg. Nicht größer als eins siebzig und eine Figur wie ein Weib.« Seine Worte treffen mein Ego, aber viel mehr schmerzt seine Ablehnung mir gegenüber. Viel zu nah steht er vor mir. Schaut mich an und schubst mich nach hinten. Ich werde aufgefangen und wieder nach vorne gestoßen. Ich falle und versuche mich aufzufangen. Immer wieder stoßen sie mich hin und her. Lachen mich aus. Plötzlich steht ein riesiger graubrauner Wolf vor mir.

Joseph. Er fletscht die Zähne, beginnt mich zu umkreisen, lässt mich nicht aus den Augen. Schnappt nach mir. Die Männer lachen und treiben den Wolf weiter an. Sie grölen und schreien. Immer wieder versucht er mich zu beißen, will mir wehtun, mich verletzen und er schafft es auch. Das Zerren in meinem Innern nimmt zu, Wut übernimmt mein Denken. Ich bin es leid, immer wieder gebissen zu werden. Das Opfer zu sein. Ich greife nach der Schaufel, die an mein Auto angelehnt steht, und hole aus. Schlage zu, als der Wolf sich zu seinen Leuten umdreht. Treffe ihn an der Flanke, aber das scheint ihn nicht wirklich zu beeindrucken. Er springt auf mich zu, verbeißt sich in meiner rechten Wade und zerrt an dem Muskel. Der Schmerz raubt mir den Verstand. Plötzlich reißen Hände an meinem Haar und ziehen meinen Kopf nach oben. Fäuste treffen mein Gesicht, meine Brille wird mir von der Nase geschlagen, Füße treffen mich in die Rippen. Mein Blick verschwimmt. Agonie überfällt meinen Körper. Die Luft wird mir aus den Lungen gepresst, mein Kopf schlägt auf dem Boden auf und dann wird es um mich gnädig dunkel.

 

 

Als ich wieder zu mir komme, liege ich noch immer dort, wo mich der Alpha und seine Männer zusammengeschlagen haben. Wasser rinnt mir übers Gesicht. Es regnet. Großvaters Grab trübt wieder meinen Blick und Tränen fluten meine Augen. Womit habe ich das alles verdient? Tastend suche ich meine Brille, finde sie und stelle erleichtert fest, dass sie noch heil ist. Als ich mich zum Haus schleppe, sehe ich, dass die Haustür aus den Angeln gerissen ist. Möbel liegen zertreten vor der Tür, die Scheiben in den Fenstern sind zerbrochen. Der letzte Rest an Haltung geht mir verloren, dann schleppe ich mich weinend ins Haus, wo nichts mehr aussieht wie noch vor ein paar Stunden.

Mein Körper schmerzt, meine Seele schreit. Ich breche zusammen und lasse meinen Tränen freien Lauf.

 

 

Stunden später stehe ich im Badezimmer und blicke in den zersprungenen Spiegel. Mein Gesicht schillert in allen Farben und ist extrem geschwollen, genauso wie meine Rippen. Ein Cut über meiner Braue hat bereits eine Schorfkruste gebildet. Die Bisswunde an meiner Wade macht mir allerdings Sorgen. Sie tut höllisch weh. Der Bastard hat ordentlich an meinem Muskel gerissen. Ich heile nicht so wie ein typischer Wolf. Bei mir dauert es länger. Liegt wohl daran, dass ich mich nicht verwandeln kann. Wie dem auch sei. Ich habe mir alles an Medikamenten eingepackt, was ich gebrauchen kann. Die Kisten mit meinen Büchern und die zwei Taschen mit meinen persönlichen Sachen habe ich bereits in den Pick-up gestellt. Fehlt nur noch der Schaukelstuhl, den mein Dad meiner Mum gebaut hatte, und die Metallkiste, die wir unter den Bohlendielen in Grandpas Schlafzimmer versteckt haben. Dort sind alle wichtigen Unterlagen und Bargeld, eine Menge Bargeld versteckt, falls wir mal fluchtartig das Land verlassen müssten. Als ich alles in meinem Wagen verstaut habe, vernagele ich Türen und Fenster und gehe ein letztes Mal zum Grab meiner Großeltern.

»Hey, Grandpa, viel haben Joseph und seine Schläger von unseren Sachen nicht übrig gelassen. Das meiste haben sie zertreten und kaputt gehauen. Mir blutet das Herz. Es ist doch unser Zuhause. Gott …« Wieder Tränen.

»Ich werde dich so vermissen. Danke für die zweiundzwanzig Jahre mit dir. Ich wünsche dir und Großmutter die Ewigkeit, die ihr so sehr verdient habt. Ich liebe euch und wenn ihr meine Eltern seht, dann sagt ihnen, dass ich sie gern in meinem Leben gehabt hätte. Ich muss jetzt los, sonst kommen sie wieder und dann habe ich vielleicht nicht so viel Glück.«

Mit einem letzten Rundgang ums Haus, wo ich die Trümmer unserer Möbel aufgeschichtet habe, und einem Blick über den See verlasse ich meine Heimat und fahre Richtung Norden.

Kanada. Mein Ziel ist Jasper im Jasper National Park. Ich hoffe, dass ich dort zur Ruhe komme und mir ein neues Leben aufbauen kann. Mein Dad ist dort geboren. Vielleicht ist das ja ein gutes Omen.

 

 

Es sind weit über siebenhundert Meilen bis in die Provinz Alberta. Angehalten habe ich erst, als ich tanken musste. Der Typ an der Kasse war nicht sicher, ob ich es allein in meinen Wagen zurückschaffe. Ein paar Schokoriegel und ein starker Kaffee, die ich mir an der Tanke geleistet habe, sollten mir helfen, wenigstens noch hundert Meilen weiter zu kommen. Erst als ich die Landesgrenze passiert habe, steuere ich einen Parkplatz an, um ein paar Stunden zu schlafen. Ein Motel ist weit und breit nicht in Sicht.

 

Die Schmerzen in meiner Wade rauben mir den Schlaf. Der Biss hat den Muskel ziemlich zerstört. Ich desinfiziere die tellergroße Wunde und verbinde sie wieder. Mit einem großen Schluck Wasser schlucke ich eine Paracetamol und hoffe, dass die Schmerzen bald nachlassen. Anschließend mache ich mich wieder auf den Weg. Im Prinzip ist dieser Trip eine Fahrt ins Blaue. Ich habe keine Unterkunft, bin mir nicht mal sicher, ob ich dort willkommen bin. Auf jeden Fall möchte ich mich nach meinem Dad erkundigen. Wissen, was er für ein Mensch war.

Weiterziehen kann ich ja immer.

Auf dem Yellowhead Highway, der direkt am Miette River entlangführt, kommt mir seit gefühlten Stunden keine Menschenseele entgegen. Das Navi sagt mir noch circa eine Stunde bis Jasper. Nördlich soll es ein paar Bungalows geben, die man mieten kann. Schlaf, … ich brauche eine Mütze voll Schlaf und etwas Stärkeres als Paracetamol, um meine Schmerzen zu betäuben.

 

Von diesem kleinen verschlafenen Nest namens Jasper hatte ich überhaupt keine Vorstellung. Aber es ist echt idyllisch. Die Häuser sind im Holz- und Landhausstil gebaut. Die Vorgärten sind gepflegt und die Bürgersteige gefegt. Der Herbst zieht ein und die Bäume bekommen ihren charmanten Herbstflair. Es ist wirklich schön hier. In einem kleinen Drugstore habe ich mich mit allem eingedeckt, was ich zum Verbinden für mein Bein benötige. Die junge Verkäuferin hat mich ziemlich skeptisch angeschaut. Habe mich höflich bedankt und das Weite gesucht. Der Zwischenstopp beim Lebensmittelhändler war auch ein Abchecken. Nur schnell ein paar Getränke und Kekse gegriffen und schnell wieder raus. Der Kommentar von dem Alten hinter dem Tresen hat mich aufgeschreckt.

»Wir wollen hier keinen Ärger!« Ja, das war deutlich.

 

 

Ein hartnäckiges Klopfen reißt mich aus dem Schlaf. Mein Kopf brummt und mein TShirt fühlt sich klamm an. Ich schwitze, irgendwas stimmt nicht. Mühsam schleppe ich mich aus dem Bett und noch bevor ich die Tür öffnen kann, wird erneut gegen das Holz gehämmert.

»Ja doch, bin ja schon da.« Ich schiebe den Riegel zur Seite und öffne die Tür einen kleinen Spalt, um zu sehen, wer da so einen Radau macht. Der Typ von der Rezeption schaut mich finster an und reicht mir einen Zettel.

 

»Was ist mit ihm? Er riecht auf jeden Fall krank, als ob er Fieber hätte.« Ich kenne die Stimme nicht und sie ist hier im meinem Bungalow. Habe ich vergessen, die Tür zuzusperren? Mühsam versuche ich die Augen zu öffnen, was mir nur schwer gelingt. Vor meinem Bett steht ein Polizist und hält meine Geldbörse in der einen Hand und meinen Führerschein in der anderen.

»Er hat gestern Nachmittag eingecheckt. Den Bungalow hat er danach nicht mehr verlassen, zumindest stand sein Pick-up die ganze Zeit vor der Tür. Habe sofort eine Meldung an dich weitergeleitet, ihm wie befohlen deine Nummer gegeben und aufgetragen sich zu melden, aber er sah gestern Abend schon ziemlich fertig aus. Warum wandelt er sich nicht, wenn er krank ist? Er würde doch viel schneller heilen, vielmehr würde er gar nicht erst krank werden. Was stimmt mit ihm nicht?«

Ich versuche das Gesicht des Cops zu fokussieren, aber es gelingt mir nicht. Als ich mein Bein bewege, schießt der Schmerz in die Wunde. Tränen lassen mich noch schlechter sehen, als ich es ohne Brille eh schon tue. Die Bettdecke wird zur Seite gezogen und ich kann mich nicht dagegen wehren.

»Bleib ruhig liegen, es kommt gleich Hilfe.« Dieses Mal liegt seine Hand auf meiner Schulter. Immer wieder drifte ich ab.