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Stifterinnen

Vera Bloemer

Stifterinnen

Frauen erzählen von ihrem Engagement – ein Lesebuch

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Wegen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in diesem Buch nicht durchgängig eine geschlechtergerechte Sprache. Mit der männlichen Form sind (sofern nicht anders angegeben) immer auch Frauen gemeint.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

IMPRESSUM

VERLAG

AUTORIN

BILDNACHWEIS

Soweit nicht anders angegeben, liegen die Bildrechte der Porträtfotos bei der jeweiligen Stifterin. artinaction (Foto G. Kröner); S. Brucklacher (Foto H. Breuninger); Cornelsen Verlag (Foto R. Cornelsen); Englert (Foto I. Gräfin zu Solms-Wildenfels); Kai Horstmann (Foto B. Krebs); Enno Hurlin (Foto S. Arnade); Initiative Bürgerstiftungen/Wolfgang Quickels (Foto M.L. Stoll-Steffan); Sandra Mulzer (Foto H. Berg); Marc Schneider (Foto E. Nannen); Madeleine Wittgenstein (Foto S. Völker)

ISBN 978-3-941368-12-5
EPUB ISBN 978-3-941368-32-3

Inhalt

Vorwort von Hans Fleisch

Einführung

Wie weiblich ist die Stiftungslandschaft? Ein Überblick von Mira Nagel

Einleitung

Frauen stiften mit Engagement und Empathie

„Ich würde es immer wieder tun!“

Förderung psychosomatischer MS-Forschung – Einsatz für ein selbstbestimmtes Leben mit MS: Dr. Sigrid Arnade und die Stiftung LEBENSNERV

„Es ist für mich ein Geschenk, etwas Sinnvolles zu tun“

Weltnaturerbe Wattenmeer und die Umwelt durch Stiftungen bewahren: Henriette Berg und die Stiftung Schutzstation Wattenmeer

Dreiklang Erben – Spenden – Stiften

Einsatz für Frauen und Regenbogen-Philanthropie: Ise Bosch und filia. die frauenstiftung

„Es artet in Arbeit aus, aber es ist eine schöne Arbeit“

Neue Horizonte für Kinder mit KinderKunstKlubs: Birgit Breuel und die Philip Breuel Stiftung

Stiftungsarbeit als Lebensaufgabe

Gastgeberin und Sozialunternehmerin: Dr. Helga Breuninger und die Breuninger Stiftung GmbH

Wer Frauen stärkt, verändert die Welt

Dr. Eva Brinkmann to Broxten und die Stiftung maecenia – Frankfurter Stiftung für Frauen in Wissenschaft und Kunst

Die Kräfte wuchsen mit der Aufgabe

Nicht das Leben mit Tagen, sondern die Tage mit Leben füllen: Christine Bronner und die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München

„Freude ist das Einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt“

Engagement für den Denkmalschutz: Ruth Cornelsen und die Cornelsen Kulturstiftung

Stiften bringt Musik ins Leben

Menschen stark machen und junge Künstler fördern: Ulrike Crespo und die Crespo Foundation

Hilfe für Menschen ohne Lobby

Medizinische Versorgung für Obdachlose in Berlin: Dr. Jenny De la Torre und die Jenny De la Torre-Stiftung

Wunder gibt es immer wieder

Mit Vernetzung und Kooperation gegen Kinderarmut: Katja Ebstein und die Katja Ebstein-Stiftung für eine enkeltaugliche Zukunft

„Hexlein, jetzt zaubere du!“

Krankheit und Sucht als Chance für Weiterentwicklung: Dr. Edda Gottschaldt und die Oberberg Stiftung

Keine Gentechnik auf Acker und Teller!

Für eine biologisch vielfältige, sichere und nachhaltige Welt: Susann Haltermann und die Stiftung GEKKO

„Work in Progress – so soll es sein!“

Anstöße für soziale Bewegungen – gesellschaftlichen Wandel fördern: Dr. Barbara Krebs und die Bewegungsstiftung

Vom Militär zum Stiftungswesen

Im Einsatz für die weibliche Hälfte der Menschheit: Dr. Carolin Krings-Lazovsky und die Donnation-Frauenstiftung zu Berlin

Bekenntnis zum Stifterwillen

„Menschen fördern“ als Motto: Dr. Gabriele Kröner und die Dr. Hans & Else Kröner-Stiftung für Gesundheit. Fortschritt. Soziales

Große Sprünge für Kinder

Gemeinsam Zukunft aufbauen: Ann Kathrin Linsenhoff und die Ann-Kathrin-Linsenhoff-UNICEF-Stiftung

Eine Stiftung ist ganz Ohr

Einsatz für gutes und beschwerdefreies Hören: Gabriele Lux-Wellenhof und die Gabriele Lux Stiftung

Ein Weg, der sich lohnt

Entscheidung für ein engagiertes Leben, unterwegs in vielen Themenfeldern: Liz Mohn und ihre Stiftungen

Besuchermagnet an der Nordseeküste

Für die Kunsthalle Emden: Eske Nannen und die Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo

Rückgabe und Heimkehr

Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft: Dr. Hilde Schramm und die Stiftung ZURÜCKGEBEN

„Brain Gain“ als Königsweg

Förderung werdender weiblicher Eliten: Dr. Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels und die Ingrid zu Solms-Stiftung

Mit Empörung und Begeisterung

Ermutigung von Frauen, Führungspositionen zu übernehmen: Dr. Helga Stödter und die Helga Stödter-Stiftung

Hebelwirkung für Bürgerengagement

Vor Ort gemeinsam Gutes tun: Dr. Marie-Luise Stoll-Steffan und die Wiesbaden Stiftung

Stark trotz Asthma!

Sandra Völker und die Sandra Völker-Stiftung für asthma- und allergiekranke Kinder

Philanthropie mit dem Kochlöffel

Für gesunde Kinder und was Vernünftiges zu essen: Sarah Wiener und die Sarah Wiener Stiftung

Basiswissen Stiftungsgründung

Literatur

Adressen und weiterführende Informationen

Über den Bundesverband Deutscher Stiftungen

Über die Autorin

Vorwort

VON PROF. DR. HANS FLEISCH

GENERALSEKRETÄR DES BUNDESVERBANDES DEUTSCHER STIFTUNGEN

Seit jeher haben Frauen, soweit ihnen dies rechtlich möglich war, gestiftet, doch blieb es bis vor wenigen Jahrzehnten eine Ausnahme. In größerem Umfang ist stifterisches Engagement von Frauen erst seit den 1990er-Jahren zu beobachten – zeitgleich mit der „dritten Welle der Frauenbewegung“ und dem sogenannten „Stiftungsboom“. Allerdings verfolgen nur wenige Stiftungen ausdrücklich Ziele der Frauenbewegung; die Zwecke der von Frauen errichteten Stiftungen sind meist von denen der anderen nicht sonderlich verschieden. Bei den gut bezahlten Geschäftsführungsposten der gemeinnützigen Stiftungswelt ist dennoch nahezu dieselbe Dominanz von Männern zu verzeichnen, wie sie auch die Chefposten der Wirtschaft kennzeichnet.

Und doch sind Veränderungen mit Händen zu greifen: Während bis in die 1970er-Jahre das Rahmenprogramm bei Stiftungentreffen noch „Damenprogramm“ hieß, sind heute rund die Hälfte der am Fachprogramm Teilnehmenden Frauen. Die größte Veränderung ist bei den Stiftenden zu verzeichnen. Wenn sich der Trend fortsetzt, wird das Stiften weiterhin zunehmend Frauensache sein. Die Aufgabe, auch in anderen Bereichen des Stiftungswesens die Diskriminierung von Frauen zu beseitigen, ist damit nicht gelöst, aber die Voraussetzungen für einen solchen Fortschritt werden besser.

Dafür und für eine angemessene Wertschätzung von Stifterinnen ist es hilfreich, spezifisch die Rolle von Frauen als Stiftende bewusster und bekannter zu machen. Schon insofern gebührt der „Anstifterin“ dieses lesenswerten Buches, Dr. Vera Bloemer, großer Dank.

Möge das Buch viele Leserinnen und Leser finden – und auch zum Stiften anregen!

Einführung

Wie weiblich ist die Stiftungslandschaft? Ein Überblick

VON MIRA NAGEL

Stifterinnen und Stifter haben die Möglichkeit, die Welt in ihrem Sinne mitzugestalten und nutzen diese Chance. Heutzutage entscheiden sich immer mehr Menschen, ihr Vermögen in eine Stiftung einzubringen – und der Frauenanteil unter den Stiftenden wächst. Die Motive einer Stiftungsgründung sind vielseitig: Oft steht der Wunsch im Vordergrund, der Gesellschaft etwas zurückzugeben; und immer möchten Stifterinnen und Stifter etwas Wirkungsvolles für das Gemeinwohl tun und sich für ein Thema engagieren, das ihnen am Herzen liegt.

Der Begriff der Stiftung ist gesetzlich nicht definiert, allerdings verfügen Stiftungen jeder Art über einheitliche charakteristische Merkmale. Gemeinsam ist Stiftungen verschiedener Rechtsformen, dass die gestiftete Vermögensmasse entsprechend dem Stifter- oder Stifterinnenwillen einem bestimmten Zweck dauerhaft gewidmet wird.

Neben der klassischen Stiftungsform, der rechtsfähigen Stiftung bürgerlichen Rechts, gibt es auch die Treuhandstiftung (nicht rechtsfähige Stiftung), die Stiftungs-GmbH und den Stiftungsverein. Die unterschiedlichen Stiftungsformen unterscheiden sich in der Kontrolle durch staatliche Behörden, der notwendigen Vermögenshöhe, der satzungsgebundenen Zweckverwirklichung sowie spezifisch steuerrechtlichen Privilegien. Wer sich für eine Stiftungsgründung näher interessiert, findet ausführliche Informationen im Ratgeber „Die Gründung einer Stiftung“ und anderen Publikationen, die der Bundesverband Deutscher Stiftungen herausgibt (siehe Literaturliste S. 257).

So vielfältig wie die Stiftungsformen sind auch die Menschen, die Stiftungen ins Leben rufen. Allerdings kann man immer weniger von einer typischen Stifter- oder Stifterinnenpersönlichkeit sprechen, wie die Porträts in diesem Band verdeutlichen. Stiftungen werden von Personen aller Altersgruppen und ganz unterschiedlicher sozialer Milieus errichtet. Vermutlich allen gemeinsam aber ist die Freude durch die Stiftung. Die in diesem Band porträtierte Stifterin Ann Kathrin Linsenhoff antwortet denn auch auf die Frage, was sie im Nachhinein bezüglich ihrer Stiftung anders machen würde: „Ich würde sie viel früher gründen.“

Stifterinnen in Vergangenheit und Gegenwart

Die Entwicklung der tausendjährigen Tradition des Stiftungswesens von einem christlich-karitativen zu einem bürgerlich-philanthropischen Bewusstsein spiegelt sich gleichwohl in der Rolle der Frau im Stiftungswesen wider. Zu den ältesten von einer Frau mitgegründeten Stiftungen gehört das bis heute existierende St. Katharinen- und Weißfrauenstift in Frankfurt am Main, das 1227 von Wicker Frosch und Katharina zum Rebstock errichtet wurde. Es förderte bedürftige Frauen: Den Zeitumständen entsprechend standen stets bestimmte Zwecke im Vordergrund, z.B. „Brautgeschenke an arme Mädchen der Stadt und Umgebung bis zu zweistündiger Entfernung“ oder „Aufmunternde Belohnung für Bedienstete“. Stiftungen setzten sich für Hilfsbedürftige ein, für „Witwen und Waisen“, „Betreuung von bedürftigen oder minderbemittelten Frauen über 55 Jahre“, „ledige, verheiratete und verheiratet gewesene Töchter und Frauen“ oder „alte, bedürftige Damen in Altersheimen“. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit waren es wohlhabende Witwen, Ehefrauen und Töchter von Landesherren, die für Klöster, soziale Einrichtungen und Bildungszwecke stifteten.

Im 19. Jahrhundert verschob sich die gesellschaftliche Verantwortung von den Kirchen auf das aufstrebende Bürgertum. Von Frauen ins Leben gerufene Stiftungen entstanden beispielsweise im Umfeld der frühen deutschen Frauenbewegung. Anlässlich des Rücktritts von Marie Stritt als Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine wurde im Jahr 1910 die Marie-Stritt-Stiftung gegründet. Der Zinsertrag sollte der ehemaligen Vorsitzenden als Einkommen zur Verfügung stehen, das Stiftungskapital aber in Vereinsbesitz bleiben. Infolge der Inflation wurde die Stiftung jedoch 1923 aufgelöst.

Christliche Nächstenliebe und soziale Fürsorge waren weitere Beweggründe für Frauen, in dieser Zeit zu stiften. Die Stifterin und Witwe eines Teppichfabrikanten Clara Hoffbauer kaufte 1889 ein 40 Hektar großes Gelände auf der Potsdamer Halbinsel Hermannswerder. Dort errichtete sie bis 1901 durch Investitionen von weit über einer Million Mark ein Diakonissen-Mutterhaus, sechs Waisenhäuser, eine Schule, ein hochmodernes Krankenhaus, ein Maschinenhaus mit Wasserturm, einen Gutshof, Stallungen, Verwaltungsgebäude und eine Friedhofskapelle. 2010 jährt sich der Geburtstag der Stifterin zum 180. Mal, und die Hoffbauer Stiftung hat längst ihr hundertjähriges Jubiläum gefeiert.

Insgesamt stieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Zahl der Stiftungen in Deutschland auf über 100.000. Doch Weltkriege, Inflation, Währungsreformen sowie unterschiedliche Gesellschaftssysteme stoppten diese Entwicklung und brachten herbe Rückschläge für die Stiftungslandschaft. Erst in den 1980er-Jahren erlebte das Stiftungswesen in Westdeutschland einen erneuten Wiederaufschwung. Über 17.300 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts gibt es heute in Deutschland (Stand: 31.12.2009). Hinzu kommen eine Vielzahl von Stiftungen anderer Rechtsformen. Das bis zu Beginn der 1980er-Jahre männlich dominierte Stifterprofil verändert sich durch den zunehmenden Eintritt von Frauen ins Stiftungswesen. Denn immer mehr Frauen stiften: Vor 1949 wurden 12 Prozent der Stiftungen von Frauen, 81 Prozent von Männern initiiert, und bei 7 Prozent der Gründungen traten Frauen und Männer als gemeinsame Stifter auf. Inzwischen sind Frauen als Stifterinnen an etwa 60 Prozent der Stiftungserrichtungen zumindest beteiligt und ein Viertel der bestehenden Stiftungen wurde allein von Frauen gegründet. So ist seit der Jahrtausendwende auch eine stetige Vermehrung und Vernetzung von Frauenstiftungen festzustellen.

Neben der zunehmenden wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen hängt dies sicher auch mit dem im Jahr 2000 verabschiedeten Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen zusammen, mit dem sich die steuerlichen Rahmenbedingungen für Stifterinnen und Stifter verbesserten. Der erhöhte Anreiz zum Stiften durch den Gesetzgeber setzte sich 2001 mit der Verabschiedung des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen fort, das rückwirkend zum 1. Januar 2000 in Kraft trat und in einer anschließenden Novellierung der Landesstiftungsgesetze mündete. Im Jahr 2007 wurde dann mit dem Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements die umfangreichste Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Stiftungen und das Stiften seit Gründung der Bundesrepublik erreicht. Die 2007 im Vergleich zum Vorjahr 26-prozentige Steigerung der Zahl neu errichteter Stiftungen ist ein Ergebnis der politischen und strukturellen Reformen.

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STIFTUNGSGRÜNDUNGEN IN DEUTSCHLAND 1959-2009

Dargestellt sind heute noch existierende rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts.

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FRAUEN UND MÄNNER ALS STIFTENDE

Für diese Grafik wurden 5.078 Stiftungen mit natürlichen Stiftern berücksichtigt, bei denen Angaben zur Beteiligung von Frauen oder Männern vorlagen.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Stifterinnen und Stiftern

Ein Buch über das Engagement von Stifterinnen in Deutschland lässt die Frage nach geschlechterspezifischen Tendenzen in der Philanthropie entstehen. Welches sind die Motive und Beweggründe von Frauen, eine Stiftung ins Leben zu rufen? Und unterscheiden diese sich in erheblichem Maße von denen männlicher Stifter?

Die wichtigsten Motive für eine Stiftungsgründung teilen weibliche und männliche Akteure gleichermaßen: Sie möchten etwas bewegen, Verantwortung übernehmen und häufig konkrete Probleme lösen. Daneben gibt es nur wenige nennenswerte Geschlechtsunterschiede in der Philanthropie. Interessanterweise möchte die Mehrzahl der Stifterinnen (56 Prozent) anonym bleiben, unter den Stiftern haben nur 40 Prozent diesen Wunsch. Für Frauen spielen häufiger persönliche Gründe eine wichtige Rolle bei der Stiftungsgründung: 49 Prozent der Stifterinnen wollen durch die Gründung das Andenken an eine ihnen nahestehende Person wahren. Unter den Stiftern geben dies nur 26 Prozent als Motiv für die Stiftungsgründung an. Hingegen nennen deutlich mehr Stifter als Stifterinnen (45,5 Prozent gegenüber 32,3 Prozent) als Beweggrund, der Gesellschaft durch die Stiftungsgründung etwas zurückgeben zu wollen. Beachtliche Unterschiede bestehen auch hinsichtlich der Nachkommenschaft: 56 Prozent der Frauen haben zum Zeitpunkt der Stiftungsgründung keine Kinder, wohingegen nur 35 Prozent der Männer kinderlos sind.

Darüber hinaus ist interessant, ob und wie sich die Zwecke der von Männern und Frauen gegründeten Stiftungen unterscheiden. Die in der Forschungsliteratur häufig genannte Annahme, dass männliche Stifter mehr in die Bereiche Kunst und Kultur sowie Bildung und Erziehung investieren, während Frauen häufiger für soziale Zwecke stiften, lässt sich schwach bestätigen: 40 Prozent der Stifter und knapp über die Hälfte der Stifterinnen stiften für soziale Zwecke. Für Kunst und Kultur hingegen stiften nur rund 23 Prozent der Frauen und 35 Prozent der Männer. Bei Bildung und Erziehung ist der Geschlechtsunterschied noch weniger ausgeprägt: 31 Prozent der Stifterinnen gegenüber 27 Prozent der Stifter engagieren sich mit ihrer Stiftung für diesen Stiftungszweck (vgl. Schulze 2009, S. 176).

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FRAUEN UND MÄNNER ALS STIFTENDE IN DEKADEN

Für diese Grafik wurden 4.231 Stiftungen mit natürlichen Stiftern berücksichtigt, bei denen Angaben zur Beteiligung von Frauen oder Männern und zum Gründungsjahr vorlagen.

Das Ziel, mit der Stiftungsgründung speziell in irgendeiner Weise die Rechte der Frau stärken zu wollen, wird – wenig überraschend – von deutlich mehr Frauen als Männern genannt. Allerdings geben dies mit gut 14 Prozent nur wenige Frauen als Ziel ihrer Stiftungsgründung an – und immerhin 6 Prozent der männlichen Stifter haben sich dieses Ziel ebenfalls auf die Fahnen geschrieben.

Bei Fragen der Zufriedenheit mit der eigenen Stiftungsarbeit und dem persönlichen Engagement, das Männer und Frauen in ihre Stiftung einbringen, lassen sich bis auf feine Nuancen keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen. Ausschlaggebend für eine Stiftungsgründung und die eigene Stiftungsarbeit ist demzufolge also weniger das Geschlecht als vielmehr die persönliche Neigung und Interessenlage der Stifterin oder des Stifters.

Frauen, Geld und Initiativen

Lange Zeit wurden Frauen und Geld nicht zusammengedacht. Das lag vordergründig an den Strukturen des Erwerbs- und Erbrechts und war letztendlich in der für Frauen nicht vorhandenen Möglichkeit begründet, über eigenes Kapital auch selbstständig zu verfügen. In den letzten Jahrzehnten verbesserte sich die private Einkommens- und Vermögenssituation von Frauen. Sie treffen in vielen Bereichen die Konsum- und Investitionsentscheidungen, erwirtschaften durchschnittlich 5 Prozent mehr Rendite auf Depots und melden seltener Insolvenz an. Mittlerweile sind mehr als die Hälfte der Erben Frauen. Grund dafür ist, dass nicht mehr die Kinder (wie noch 1960), sondern vermehrt Witwen als Haupterbinnen eingesetzt werden. Wegen einer häufig ambivalenten Beziehung zum Geld setzen Erbinnen sich oft auch mit dem Verhältnis zur Macht auseinander. Ihr Stiften ist geprägt von gezieltem und selbstbestimmtem Handeln jenseits von wohlmeinendem, aber naiven „Gutmenschentum“.

Zunehmend wird Geld von Frauen auch als Mittel der politischen Partizipation eingesetzt. So wurden in den USA reiche Erbinnen wie Tracy Gary aktiv, um tatkräftig das philanthropische Engagement zu steigern. Ebenfalls formierte sich in den USA aus der Frauenbewegung in den 1970er-Jahren das Women’s Funds Movement, zu dem zahlreiche Frauenstiftungen gehören, die in der Regel von Frauen für Frauen gegründet wurden, so 1972 die Ms. Foundation for Women in New York und 1977 die Astraea Foundation. Mit dem Women’s Funding Network gibt es inzwischen sogar eine Dachorganisation mit 150 Mitgliedsorganisationen, die weltweit jährlich 60 Millionen Dollar für Frauenprojekte ausgeben – rund 500 Millionen Dollar in den letzten 20 Jahren. Viele der Stiftungen wurden von nicht vermögenden Frauen initiiert, und reiche Erbinnen schlossen sich an. In den Niederlanden entstand 1983 Mama Cash, eine Stiftung von Frauen für Frauen, gegründet mit dem Ziel, weltweit die Situation von und für Frauen zu verbessern. In Deutschland gibt es das Erbinnen-Netzwerk Pecunia, in dem sich Erbinnen vernetzen, von denen viele auch Stifterinnen sind oder sich anderweitig für das Gemeinwohl engagieren (siehe S. 261).

Frauen im Bundesverband Deutscher Stiftungen

Seit Jahrzehnten sind Frauen in den leitenden Gremien des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen (Vorstand und Beirat) vertreten, und ihr Anteil ist gegenüber früheren Jahrzehnten gewachsen, sie sind dort aber, wie in den hauptamtlichen Führungspositionen der größeren Stiftungen, nach wie vor in der Minderheit. Heute sind ein Drittel der ehrenamtlichen Gremienmitglieder sowie ein Drittel der Leitenden von Arbeits- und Gesprächskreisen des Bundesverbandes Frauen. Das hauptamtliche Leitungsteam der Geschäftsstelle des Bundesverbandes besteht zur Hälfte aus weiblichen Führungskräften.

Seit 2007 bietet der Bundesverband Deutscher Stiftungen mit dem Forum Frauen und Stiftungen allen Frauen, die sich im Stiftungswesen engagieren, sowie allen Stiftungen, die sich für Frauen einsetzen, eine spezifische Plattform. Themen wie inhaltlich stimmige Geldanlagen, strategisch ausgerichtete Projektarbeit, nachhaltige Frauenförderung und Geschlechterfragen in der deutschen Stiftungslandschaft stehen hier u.a. im Zentrum der Diskussion. Dem Networking unter Frauen dient ein jährliches Vernetzungstreffen auf dem Deutschen StiftungsTag, mit dem auch ein neues Veranstaltungsformat etabliert wurde.

Zwei Auszeichnungen verleiht der Bundesverband Deutscher Stiftungen als Anerkennung an Menschen aus dem Stiftungssektor: Die Medaille für Verdienste um das Stiftungswesen ehrt das Lebenswerk bedeutender Persönlichkeiten. Für vorbildliche stifterische Einzelleistungen verleiht der Bundesverband des Weiteren den Deutschen Stifterpreis. Am 2. Juni 1993 erhielt Lonny Bayer als erste Frau die in unregelmäßigen Abständen verliehene Medaille für Verdienste um das Stiftungswesen. Nach dem Tod ihres Mannes, dem Chemiker Dr. Otto Bayer, gründete sie 1984 die Otto und Lonny Bayer Stiftung, die Menschen in sozialer Not unterstützt. Nach ihrem Tod im Jahr 1997 wurde die Otto und Lonny Bayer Stiftung zur Haupterbin ihres Vermögens.

Den vom Bundesverband seit 1994 vergebenen Deutschen Stifterpreis erhielt am 12. Mai 2000 als erste Frau die Geschäftsführerin der Kunsthalle Emden und der Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo. Eske Nannen ist in diesem Band porträtiert (siehe S. 194ff.) Am 11. Mai 2007 überreichte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück den Deutschen Stifterpreis an Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christiane Nüsslein-Volhard. Die 1995 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnete Biologin errichtete 2004 die Christiane Nüsslein-Volhard-Stiftung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in Wissenschaft und Forschung.

Hilfestellungen und Ideen zum Thema Stiften und Stiftungen finden Sie auf der Internetseite und in den Publikationen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen (siehe Anhang dieses Buches). Wir danken den im Folgenden vorgestellten Stifterinnen für ihr Engagement und vor allem für die Offenheit, für dieses Buch von ihren Erfahrungen zu erzählen. Wir hoffen, dass ihr Vorbild viele Leserinnen und Leser zum Stiften und zum Engagement im Stiftungssektor inspiriert – auf dass die weibliche Seite des Stiftungswesens noch weiter wächst.

Unser besonderer Dank gilt der Autorin dieses Bandes, Dr. Vera Bloemer, die im Herbst 2008 erstmals mit der Idee auf den Bundesverband Deutscher Stiftungen zugekommen ist, ein Buch mit Porträts deutscher Stifterinnen zu verfassen. Durch ihr persönliches Engagement kam diese Publikation zustande, die die Literatur zum Stiftungswesen bereichert und eine Lücke schließt.

Mira Nagel ist Referentin im Verlag des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen und betreut das Forum Frauen und Stiftungen.

Einleitung

Frauen stiften mit Engagement und Empathie

VON DR. VERA BLOEMER

Wer gibt sein Geld und Wissen, wer nutzt die ihm zur Verfügung stehenden Mittel für eine bessere Welt? Es sind Stifterinnen und Stifter, die als Vorbilder unserer Zeit ihr Vermögen, ihre Zeit, ihre Kontakte und ihr Know-how zum Wohle der Gemeinschaft einsetzen.

Dieses Buch stellt faszinierende Frauen vor, die mit ihrer Begeisterung anstecken und Berge versetzen. Im Rahmen meines ehrenamtlichen Engagements lernte ich Stifterinnen kennen und wurde neugierig: Was motiviert diese Frauen? Welchen Hintergrund haben sie? Warum und wofür kämpfen sie? In diesem Buch sind nur einige porträtiert, die für viele stehen, die einen besonderen Weg eingeschlagen haben.

Heute bieten die Stifterinnen ein neues Frauenbild: Visionärinnen, Vordenkerinnen mit Selbstbewusstsein und Mut, die das erarbeitete oder geerbte Vermögen der Allgemeinheit, einer Zielgruppe oder für ein spezielles Thema stiften. Sie gehen ein unternehmerisches Risiko mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen ein und kämpfen für den Erfolg ihrer Ideen. Es finden sich oft unkonventionell kreative Lebensstrategien mit beispielhafter Werteorientierung.

Die in der Gegenwart aktiven Stifterinnen agieren meist eher in der Stille. Das sollen die vorliegenden Porträts ändern und in den Fokus nehmen, was diese Frauen geschaffen haben. Es fehlen Vorbilder und Beispiele, denn zu selten wird von den Frauen gesprochen, denen es mit dem ererbten oder selbst erwirtschafteten Vermögen ein Herzensanliegen ist, sich in ganz verschiedenen Bereichen zu engagieren. Sie bieten ihre Zeit, ihr Wissen, ihre kreativen Ideen zusammen mit ihren finanziellen Möglichkeiten. Sie wollen etwas bewegen.

In den letzten Jahren kann man von einem Stiftungsboom sprechen. Dabei treten vermehrt Frauen als Stifterinnen auf. Wer sind diese Frauen? Wofür stehen sie? Und was sind ihre Motive, ihre Anliegen, ein Lebenswerk in Form einer Stiftung einzubringen und weiterleben zu lassen?

Philanthropie

Der klassische Philanthrop ist jemand, der für andere etwas Gutes tut, altruistisch handelt. In den Vereinigten Staaten wird der Begriff auf reiche Menschen angewendet, die einen Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke einsetzen. Als moderner Mäzen und Philanthrop gilt z.B. der Amerikaner Andrew Carnegie, der diese Einstellung gelebt hat. Er prägte den Satz: „Wer reich stirbt, stirbt in Schande.“ Er stammt aus seinem Buch „Das Evangelium des Reichtums“, das der Stahlindustrielle 1889 veröffentlichte. Trotz guter Absichten der daraus resultierenden Spenden und Stiftungen gab es immer wieder Kritik bezüglich möglicher Einflussnahme und Gefahren. Denn wie Thomas Druyen es in seinen Forschungen und seinem Buch „Goldkinder. Die Welt des Vermögens“ aufzeigt, sind es private Initiativen, keine demokratischen Organisationen, die in der Regel den persönlichen Einstellungen der Stifter entsprechen.

Die Bereitschaft für philanthropisches Engagement hat auch in Deutschland eine Tradition und nimmt zu. Die hohe Zahl an Stiftungsgründungen der letzten Jahre unterstreicht dies, wenn auch die Anzahl und Größe der Stiftungen in den Vereinigten Staaten viel höher ist. Schätzungen zufolge verfügen die privaten Haushalte in Deutschland über etwa zehn Billionen Euro Vermögen, von denen etwa 25 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre vererbt werden. Und da kommt hoffentlich auch das Thema Spenden oder Stiften auf die Agenda.

Die Porträts der Stifterinnen in diesem Buch zeigen, dass Frauen sich mit Herz und Verstand engagieren: Sie geben nicht nur ihr Geld, sondern bringen sich voll ein. Sie betonen die Dankbarkeit und sind sich des Privilegs bewusst, stiften zu können und für ihre Stiftung zu arbeiten. Einige der interviewten Stifterinnen verdeutlichen, dass es Frauen nicht darum geht, Höchstleistungen Einzelner auszuzeichnen, sondern anstelle von Ergebnissen eher Prozesse zu fördern. Diese Frauen greifen für die gesellschaftliche Entwicklung relevante Themen auf und schaffen einen Raum für tragfähige, nachhaltige Ergebnisse. Hier können die Stiftungsporträts einen tieferen Einblick geben.

Eingrenzung der Stifterinnen- und Stiftungsporträts

Das vorliegende Buch soll Frauen vorstellen, die mit Stiftungen ein Werk geschaffen haben, das mehr öffentliche Beachtung verdient. Beschrieben werden Stiftungsinitiativen, aber auch die Initiatorinnen selbst: interessante Persönlichkeiten, die sich zurücknehmen zugunsten einer großen Idee und selbst nicht unbedingt im Rampenlicht stehen. Sie wollen ihr Erbe, ihr erwirtschaftetes Vermögen oder ihre Popularität für eine gute Sache einsetzen, um mit ihrer Stiftungsarbeit Themen aufzugreifen, Gutes zu bewirken, ihre Umwelt positiv zu gestalten und zu verändern. Durch Kreativität und hohes Engagement zeichnen sich die Stifterinnen aus, die immer ein langfristiges und nachhaltiges Ziel vor Augen haben.

In diesem Buch werden Stifterinnen aller Altersgruppen vorgestellt, die aus vielen Bereichen kommen. Sie sprechen über ihre Erfahrungen, auch über die Bereicherung und Freude, die sie aus ihrer Stiftungsarbeit schöpfen. Im Rahmen von Gesprächen habe ich sie zu den Themenbereichen der Stiftung, zur Stiftungsgründung und zur Zielsetzung ihrer Stiftungen befragt, zu ihrem Lebensweg, ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung, ihrer Beziehung zu Geld und dazu, welchen Stellenwert die Stiftung in der eigenen Biografie hat. Mein Ziel war, die Stifterinnen selbst zu Wort kommen zu lassen, sie möglichst authentisch zu porträtieren.

Es geht in dem vorliegenden Buch nicht um eine Bewertung oder Evaluation der Stiftungsaktivität und Projektarbeit. Grundsätzlich ist es bemerkenswert, wenn Menschen die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen finanzieller, persönlicher und fachlicher Art einsetzen und diese im Rahmen einer Stiftung zum Wohle der Allgemeinheit oder einer bestimmten Zielgruppe zur Verfügung stellen, wobei eine kritische Auseinandersetzung nicht fehlen sollte.

Vielfältige Palette der Stifterinnen und Stiftungen

Bei der Auswahl der Stifterinnen habe ich eine möglichst große Vielfalt der Themen angestrebt. Kriterium war, dass die Frauen für ein persönliches Gespräch zur Verfügung stehen und bereit sind, sich und ihre Stiftung in diesem Buch vorzustellen. Die positive Resonanz hat mir Mut gemacht, sowohl bekannte Persönlichkeiten als auch Frauen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, zu interviewen. Die Ziele der dargestellten Stiftungen sind breit gefächert: Sie setzen sich z.B. für Kinder, Medizin, Umweltschutz, Kultur und vieles andere ein. Nicht nur die Themenbereiche sind spannend, sondern auch die geförderten Zielgruppen und Projekte im In- und Ausland. Die Stifterinnen waren, als sie stifteten, im Alter von Anfang 20 bis Mitte 60, zum Zeitpunkt der Gespräche Anfang 30 bis Ende 80 und – ob jung oder alt – sprühend vor Engagement. Was den Gründungszeitpunkt der in diesem Buch besprochenen Stiftungen angeht: Die jüngste ist erst ein Jahr alt, die älteste verfügt über eine 40-jährige Stiftungstradition.

Die vorgestellten Stifterinnen haben ihr eigenes Vermögen in die Stiftung investiert, und durchweg alle bringen neben dem finanziellen auch berufliches Know-how mit ein. Die Stiftungsmittel kommen sowohl aus erarbeitetem als auch aus geerbtem Geld. Mal ist ein Preisgeld die Basis für den Kapitalstock – wie etwa bei Jenny De la Torre – oder ein kleiner Betrag, der im Rahmen einer Zustiftung oder Gemeinschaftsstiftung die Entscheidung bewirkt. Viele Stifterinnen spenden weiterhin regelmäßig oder führen zusätzliche Ressourcen der Stiftungsarbeit zu.

Die verschiedenen Lebenswege zeigen, dass die Stiftungsgründung nicht selten mit einem Schicksalsschlag im Zusammenhang steht – oder mit einem Thema, das der Stifterin am Herzen liegt und meist mit dem eigenen Fachgebiet zu tun hat. So sind die Stiftungsanliegen häufig mit viel Herzblut verbunden. Die Stiftungsgründung erfolgt teils parallel zur beruflichen Tätigkeit, teils erst im Anschluss an die Karriere – als neues Aufgabenfeld, wo sich die Gründerinnen mit ihren Ideen und Anliegen voll einbringen. Der Wunsch zu gestalten, etwas zu bewegen, wurde in allen Gesprächen deutlich und zeigte, dass in der Biografie der Stifterin das Stiftungsziel einen besonderen Stellenwert einnimmt, als Ergänzung oder oft auch als einer der Höhepunkte des persönlichen Wegs.

Die Stiftungsgründung basiert meist auf einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, sodass eine gewisse persönliche Reife die Voraussetzung bildet. Ein Großteil der Stifterinnen empfindet die Stiftung als logische Folge ihrer persönlichen Entwicklung und als einen wichtigen Teil des eigenen Lebenswerks. Dabei schauen alle mit Dankbarkeit auf die Möglichkeit, etwas gestalten und geben zu können und so viel Bereicherndes durch das Engagement zurückzubekommen. Viele Stifterinnen bedauern, diesen Schritt nicht früher gemacht zu haben.

Ausgestaltung der Stiftungen

Die Form der Stiftung wurde gewählt, da sie in den Augen der Stifterinnen die nachhaltigste und am meisten Vertrauen erweckende Organisationsform darstellt. Vorherrschend ist der Wunsch, eine Idee dauerhaft und solide zu verwirklichen und mit dem Kapitalstock eine feste finanzielle Basis für die Arbeit zu schaffen. Nach der Gründung ist die Stiftung an ihre Satzung gebunden, die die Stifterin zum Zeitpunkt der Stiftungserrichtung festlegt und die danach nicht mehr (oder nur noch unter besonderen Umständen) geändert werden kann – hierüber wacht die staatliche (bzw. bei kirchlichen Stiftungen kirchliche) Stiftungsaufsicht. Die Wahl des gemeinnützigen Zwecks erfordert daher sorgfältige juristische und strategische Überlegungen. Demgegenüber ist ein Verein flexibler, dessen Mitglieder in einem demokratischen Prozess über Satzungszweckänderungen abstimmen können. Bei aller Begeisterung für das Tagesgeschäft der Stiftung erscheinen manches Mal der rechtliche Rahmen und die Zusammenarbeit mit der Stiftungsaufsicht mühsam.

Die Stiftungen sind sowohl fördernd tätig, d.h., sie unterstützen Personen oder Projekte anderer Institutionen, als auch operativ, d.h., sie führen eigene Projekte durch. Dies ist in der Satzung festgelegt und nach Priorität der Stifterinnen gewählt. Zum Stiften gehört unternehmerischer Geist: Wer eine Stiftung gründet und so privates bürgerschaftliches Engagement im gemeinnützigen Sektor zeigt, entwickelt eine Idee, handelt und agiert häufig korrektiv zum Staat, setzt privates Geld auf eigenes Risiko ein.

Je nach finanziellem Grundstock wird entweder eine unselbstständige Stiftung unter einem Treuhanddach oder eine rechtlich selbstständige gemeinnützige Stiftung gegründet. Die Entscheidung für eine eigene Stiftung hängt meist mit dem spezifischen Thema zusammen, aber auch dem Grad des Engagements, das die Frauen eingehen wollen. Die Freiheit der Ausgestaltung ist in der eigenen Stiftung höher, doch einige Stifterinnen entscheiden sich bewusst für eine Zustiftung oder wählen die Gemeinschaftsstiftung, um Know-how, Arbeit und auch Finanzen zu bündeln und damit als Gruppe eine höhere Wirkung zu erzielen, als das in der Regel mit einer eigenen Stiftung möglich wäre. Das Vorurteil, dass Stifter sich selbst ein Denkmal setzen wollen, um der eigenen Eitelkeit Ausdruck zu verleihen, kann ich aus den Gesprächen nicht bestätigen, dazu gäbe es bequemere Formen.

Die Stifterinnen agieren in den Gremien als Vorstand, Geschäftsführerin oder in der Projektarbeit; die aktive Arbeit macht für sie den Reiz aus. Die Erfolge der Stiftungsarbeit sind vielfältig, seien es positives Feedback der Geförderten, die mit dem Geld etwas Wichtiges bewirken konnten, oder Resonanz in der Öffentlichkeit. Doch die meiste Zufriedenheit schenkt der Austausch mit den Menschen, mit den Geförderten, den Projektmitarbeitern, dem Netzwerk, den anderen Stiftern. Es öffnet sich eine bereichernde Welt. Nicht unerwähnt sollen die Stifterinnen sein, die mit ihrer Stiftung anonym bleiben wollen und im Hintergrund Gutes tun. Auch sie haben meinen vollen Respekt.

Frauen sind gefragt

Engagement braucht ein Profil, und manchmal entsteht die Idee für eine Stiftung durch ein praktisches Beispiel, eine Geschichte, ein Vorbild, eine Erfahrung. Die Porträts in diesem Buch erlauben, einmal hinter die Kulissen zu schauen und zu sehen, welcher Elan und welche Kraft von den Frauen ausgeht, die oft Schicksalsschläge erfahren und angenommen haben, zu ihrer Geschichte stehen und etwas aus ihrer Lebenssituation gemacht haben – für sich, für andere und für ein Thema, für das sie mit Herz und Verstand all ihre Ressourcen einsetzen. Jede Stifterin und jede Stiftung ist individuell und einzigartig.

Das Buch möchte zum Nachdenken und Nachmachen anregen. Die Lektüre soll andere Frauen und Männer motivieren, kann auch Mut machen, bestehende Initiativen zu unterstützen und sich im Rahmen der eigenen Möglichkeiten einzubringen – durch Zustiftungen, Spenden, eigene Stiftungen oder Mitarbeit. Um eine Stiftung zu gründen, bedarf es einer soliden finanziellen Basis, doch als Zustifter kann man oft schon mit einem kleinen Betrag starten – es muss ja nicht gleich der ganze Sparstrumpf oder das Vermächtnis sein. Möge der Enthusiasmus der in diesem Buch vorgestellten Stifterinnen möglichst viele Leserinnen und Leser anstecken!

Für mich war es ein Geschenk, diese Stifterinnen persönlich kennenzulernen. Dabei traf ich authentische, bescheidene, aber für ihr Anliegen begeisterte und engagierte Frauen, die mit Dankbarkeit und Freude von ihren Projekten und Erfolgen sprachen, die mit der Stiftungsarbeit bewirkt werden können. Vielleicht lässt sich auch eine Form der Wertschätzung und Hochachtung mit diesem Buch zurückgeben – den Frauen, die vorbildhaft die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen eingesetzt haben, um Not zu lindern, zu helfen, zu verändern, zu gestalten, für Einzelne und für die Gemeinschaft. Das verdient höchste Anerkennung und Respekt.

Danken möchte ich allen Stifterinnen für die Offenheit und das Vertrauen, das sie mir und meiner Buchidee entgegengebracht haben, ebenso auch dem Bundesverband Deutscher Stiftungen, der sich zur Veröffentlichung des Buches bereit erklärt hat, insbesondere seinem Generalsekretär Prof. Dr. Hans Fleisch für die Ermutigung und der Verlagsleiterin Benita v. Behr für die engagierte Begleitung des Projekts und für ihr sorgfältiges Lektorat. Mir war es eine Freude, die Stifterinnen zu treffen, meine Zeit und mein ehrenamtliches Engagement einzubringen, und ich hoffe, dass der Begeisterungsfunke überspringt, damit andere „angestiftet werden“ – Stifterinnen sind glückliche Menschen.

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PORTRÄTIERTE STIFTERIN Dr. Sigrid Arnade

STIFTUNG LEBENSNERV – Stiftung zur Förderung der psychosomatischen MS-Forschung

GRÜNDUNGSJAHR 1991

STIFTUNGSKAPITAL 90.000 Euro

AUFGABENGEBIET Wissenschaft und Forschung, Medizin, Öffentliches Gesundheitswesen

ZIEL / ZWECK Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Psychosomatik in Bezug auf Multiple Sklerose, Förderung einer ganzheitlichen Sicht der Erkrankung MS, Förderung der Eigenverantwortung der MS-Betroffenen

ZIELGRUPPEN Menschen, die mit Multipler Sklerose leben, Wissenschaftler

SCHWERPUNKTE Vergabe von Förderpreisen für Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der psychosomatischen MS-Forschung, Förderung und Herausgabe von Veröffentlichungen, die sich auf den Stiftungszweck beziehen, Förderung und Unterstützung von Projekten und Initiativen, die im Sinne des Stiftungszweckes arbeiten

FÖRDERND UND OPERATIV TÄTIG

SPENDEN UND ZUSTIFTUNGEN ERWÜNSCHT

KONTAKT

Stiftung LEBENSNERV

Krantorweg 1 | 13503 Berlin | Telefon (030) 436 35 42

lebensnerv@gmx.de | www.lebensnerv.de

„Ich würde es immer wieder tun!“

Förderung psychosomatischer MS-Forschung – Einsatz für ein selbstbestimmtes Leben mit MS: Dr. Sigrid Arnade und die Stiftung LEBENSNERV

„Mir macht es Spaß zu kämpfen. Wenn andere entnervt sind, bin ich in meinem Element. Ich setze mich mit Themen auseinander, habe Durchhaltevermögen und will gewinnen.“ Sigrid Arnade strahlt Stärke aus, sie ist hoch motiviert und engagiert bei ihrer Stiftung LEBENSNERV, die sich für Menschen einsetzt, die mit Multipler Sklerose (MS) leben – beim Kampf für die Durchsetzung der Rechte behinderter Frauen und als vollberufstätige Journalistin. Was für andere eine Schreckensvision ist, die Diagnose MS in jungen Jahren, berufsunfähig im erlernten Job, auf den Rollstuhl angewiesen, meisterte sie und wurde Vorbild für viele mit und ohne Behinderungen. Ihr Einsatz erfordert Bewunderung, Hochachtung und macht Mut.

Multiple Sklerose – ein Rätsel für Medizin und Forschung

„Die Diagnose Multiple Sklerose wird bei den meisten Betroffenen bereits im Alter von 20 bis 30 Jahren gestellt“, erklärt die Stifterin. Es handelt sich vermutlich um ein Konglomerat von Ursachen, eine multifaktorielle Erkrankung, bei der eine Entzündung des Zentralnervensystems an verschiedenen Stellen vorliegt, Gehirn und Rückenmark werden befallen. Zwei Drittel der etwa 120.000 Erkrankten in Deutschland sind Frauen. Unterschiedlichste Symptome können sich zeigen: Bewegungsstörungen, stellenweise Sensibilitätsverlust, Gleichgewichtsstörungen, schnelle Ermüdbarkeit, Mastdarm- und Blasenstörungen sowie andere Beschwerden. Hinzu kommen oftmals Sehstörungen und Behinderungen des Sprechens. MS kann mit keiner Untersuchungsmethode bewiesen oder ausgeschlossen werden. Die Diagnose erfolgt aufgrund mehrerer Befunde und des Verlaufs, der meist durch Schübe gekennzeichnet ist. Der Krankheitsverlauf lässt sich nicht prognostizieren. 30 bis 40 Prozent der Erkrankten führen ein relativ normales Leben, wenn ein gutartiger Verlauf vorliegt.

Trotz jahrelanger Forschungen gibt es noch keine medizinische Erklärung für diese Krankheit. Die medikamentöse Behandlung setzt derzeit auf Inferone mit unterschiedlichem Erfolg und entsprechenden Nebenwirkungen. „Forschung und Medizin betrachteten nur die körperliche Seite, eine ganzheitliche Betrachtung kam überhaupt nicht vor“, stellt die Stifterin fest. Dies erschien 1991 zwei Frauen viel zu einseitig, sie wollten neue Perspektiven in die Diskussion und das Leben der Betroffenen bringen. „LEBENSNERV will vermitteln, dass selbstbestimmtes Leben und persönliches Wachstum mit MS möglich sind“ – so Sigrid Arnade zur Zielsetzung der Stiftung.

Stiftung LEBENSNERV

Sigrid Arnade und Susanne Same, beide MS-Betroffene, trafen mit ihrer gemeinsamen Stiftungsgründung einen Nerv, indem sie den Fokus darauf legen, die seelischen und die körperlichen Aspekte zu berücksichtigen: „Wir haben uns und andere Erkrankte gefragt, was gut tut, was hilft. Welche Einflüsse haben persönliche Lebensumstände?“ Die Krankheitsdiagnose bedeutet für alle Betroffenen einen signifikanten Einschnitt. Die Erfahrung der Stiftung LEBENSNERV zeigt – und dies bestätigen Forschungsergebnisse –, dass Betroffene psychisch besser zurechtkommen, wenn sie selbst die Verantwortung für die Gestaltung ihres Lebens mit der Krankheit übernehmen und lernen, scheinbar gegebene Begrenzungen zu verschieben.

Die Stiftung LEBENSNERV verbindet eine ganzheitliche Sicht der Krankheit MS und MS-Betroffener mit der Philosophie der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. Die Stifterinnen wollen Menschen mit MS anregen, ihr Leben mit der Erkrankung und nicht gegen die Erkrankung eigenverantwortlich und aktiv zu gestalten.

Anfang der 1990er-Jahre war dies eine völlig innovative Sichtweise, und die Stiftung fand regen Zuspruch. „Damals existierte ein therapeutischer Nihilismus, es gab nichts, das wirklich half. Trotz heute neuer Medikamente kommen immer wieder Erkrankte an den Punkt, an dem sie merken, dass trotz Therapien keine Besserung erfolgt und ein Stillstand eintritt. Da ist es umso wichtiger zu erkennen: Man kann selbst etwas tun und ist nicht hilflos ausgeliefert. Das war und ist für die Betroffenen eine ganz wichtige Erfahrung“, erklärt Sigrid Arnade.

Stiftungsarbeit als Peer-Ansatz

Seit ihrer Gründung kooperiert die Stiftung mit Fachleuten wie Neurologen und Psychologen. „Mit unseren Informationen und Erfolgen haben wir das Thema hoffähig gemacht und in die Debatte eingebracht“, weiß die Stifterin nicht ohne Befriedigung festzustellen. Einer der Grundsätze ist, dass die Stiftung den Peer-Ansatz verfolgt: Gleichbetroffene entscheiden selbst über die Arbeit und Ausrichtung der Stiftung in ihren verschiedenen Rollen als Experten, Akteure und Erkrankte.

Eine Gruppe Engagierter wurde nach dem Peer Counseling-Prinzip zu Beratern ausgebildet, die Betroffenen und deren Angehörigen bei Fragen zur Verfügung stehen. Voraussetzung für eine Beratertätigkeit ist, dass man selbst von MS betroffen, chronisch krank oder behindert ist. Gut zehn Frauen sind als Beraterinnen im Rahmen des Peer Counselings aktiv, einige haben darüber auch einen neuen Job gefunden.

Die Stiftung bietet eine Plattform, um Vernetzung und Information über eine ganzheitliche MS-Betrachtung zu ermöglichen. Dafür gibt sie die zweimal jährlich erscheinende Zeitschrift FORUM PSYCHOSOMATIK heraus, stellt Interessierten eine Literaturliste sowie Adressen psychosomatischer Kliniken zur Verfügung. Auch ein Film wurde von Betroffenen selbst produziert und unter dem Titel „Schluss mit lustig? Unterwegs mit MS“ der Öffentlichkeit präsentiert, um eine eigene Perspektive zu zeigen.

In der Fachwelt und bei Betroffenen bringt sich die Stiftung LEBENSNERV ins Gespräch, indem sie alle zwei Jahre einen Forschungspreis ausschreibt, Arbeitsgruppen und Symposien organisiert.

Wer keine Kinder hat, hat viele Kinder

Sigrid Arnade erklärt, worauf es den Initiatorinnen der Stiftung ankam: „Unser Ziel war die Gründung einer Wissenschafts-, Gesundheits- und Sozialstiftung. Wir wollten etwas Gutes tun, den entmündigenden Aspekten in der Medizin gegenüber Patienten entgegenwirken und den emanzipatorischen Ansatz der Frauenbewegung auch für MS-Betroffene praktisch umsetzen.“ Die beiden Gründungsstifterinnen Sigrid Arnade und Susanne Same legten 100.000 DM zusammen, eine hatte etwas geerbt, die andere ihre Behindertenrente angespart, und gemeinsam legten sie den Kapitalstock. Im Rahmen der Aktion Zustiftung konnte der Stifterkreis auf 36 Zustifter und das Stiftungskapital auf 90.000 Euro erhöht werden. Dabei machten die Stifterinnen die Erfahrung, wie mühsam es ist, zusätzliche Mittel zu akquirieren: „Größere Zustiftungen sind selten; andere, die Geld haben, gründen lieber eine eigene Stiftung. Jeder verfolgt sein eigenes Thema, dabei wäre es hilfreicher, die Kräfte zu bündeln“, so Sigrid Arnade.

Für die regelmäßige Arbeit ist die Stiftung auf Spenden und ehrenamtliches Engagement angewiesen. „Bei meinen vielen Aktivitäten ist die Stiftung das älteste Projekt und nimmt wie ein erstes Kind eine besondere Rolle ein“, erzählt Sigrid Arnade. Am Anfang stand die Frage: Verein oder Stiftung? Für LEBENSNERV wurde letztere Rechtsform gewählt. Sigrid Arnade hat diese Entscheidung nicht bereut: „Die Rechtsform Stiftung ist bestechend, man kann selbst unabhängig schalten und walten, die Energie geht in die Projektarbeit. Bei Vereinen stehen oft die Mitglieder und zwischenmenschliche Themen im Vordergrund. Begrenzte Finanzen sind für eine kleine Stiftung immer ein Problem, doch die Stiftungsarbeit ist für die Akteure mit dem Gefühl verbunden, dass mehr Gestaltungsspielraum und finanzielles Wachstum möglich sind.“

Einige Stiftungsprojekte werden auch mit staatlichen Zuschüssen durchgeführt. Dazu ist viel Zeiteinsatz erforderlich, doch der lohnt sich, denn so konnten innovative Seminare für MS-Erkrankte angeboten werden.

Salutogenese und Empowerment