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Uwe Vigenschow ist Abteilungsleiter bei Werum IT Solutions. Daneben ist er auch als Mediator und Fachautor mehrerer Bücher und zahlreicher Artikel aktiv. In dieses Buch sind über 25 Jahre Erfahrung als Entwickler, Berater, Freiberufler, Projektleiter und Führungskraft bei verschiedenen Firmen und in unterschiedlichen Branchen eingeflossen.

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Björn Schneider leitet den Bereich »People & Organisation« bei der Hypoport AG in Berlin. Gemeinsam mit seinem Team aus HR-Referenten und Agile Coaches schafft er bei Hypoport ein Umfeld, in dem das Agile Mindset gelebt und selbstorganisiertes Arbeiten möglich wird. Er entwickelt und moderiert Workshops, führt Team- und persönliche Coachings durch und berät den Vorstand in strategischen Fragen zur Organisationsentwicklung. Davor war er fast 20 Jahre als Softwareentwickler, Projektleiter, Führungskraft, Bereichsleiter, Trainer, Berater, Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens und Coach für Führungskräfte tätig.

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Ines Meyrose ist selbstständige Imageberaterin und Mediatorin. Die Kommunikationswirtin ist Inhaberin der Hamburger Firma image&impression und bietet vielfältige Seminare, Workshops und Vorträge zu Kommunikation und äußerer Wirkung von Firmen und Menschen an. Zuvor arbeitete sie langjährig im Dienstleistungs- und Vertriebsbereich mit Personalverantwortung und als Ausbilderin. Als Moderatorin begleitet sie Projekte und Prozesse, als Mediatorin ist sie im Konfliktmanagement tätig. Individuelles Business-Coaching rundet ihr Portfolio ab. Im Blog auf www.meyrose.de bringt sie aktuelle Themen auf den Punkt.

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Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:

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Soft Skills für IT-Führungskräfte und Projektleiter

Softwareentwickler führen und coachen, Hochleistungsteams aufbauen

3., aktualisierte Auflage

Uwe Vigenschow
Björn Schneider
Ines Meyrose

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Uwe Vigenschow
uwe@vigenschow.com

Björn Schneider
mail@bjoernschneider.de

Ines Meyrose
ime@imageandimpression.de

Lektorat: Christa Preisendanz
Copy-Editing: Ursula Zimpfer, Herrenberg
Satz: Uwe Vigenschow
Herstellung: Frank Heidt
Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de
Druck und Bindung: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:
Print   978-3-86490-395-3
PDF   978-3-96088-001-1
ePub   978-3-96088-002-8
mobi   978-3-96088-003-5

3. Auflage 2016
Copyright © 2016 dpunkt.verlag GmbH
Wieblinger Weg 17
69123 Heidelberg

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die im Buch verwendeten Soft- und Hardware-Bezeichnungen sowie Markennamen und Produktbezeichnungen der jeweiligen Firmen im Allgemeinen warenzeichen-, marken- oder patentrechtlichem Schutz unterliegen.

Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buches stehen.

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Vorwort zur 3. Auflage

Die dritte Auflage haben wir zum Anlass genommen, eine Reihe von Aktualisierungen vorzunehmen. Inhaltlich haben sich die bereits zur zweiten Auflage abgerundeten Themen nicht wesentlich verändert. Soft Skills für IT-Führungskräfte und Projektleiter behandelt in sich geschlossen die weichen, aber für den Projekterfolg um so wichtigeren Aspekte der Führung von Teams und der Leitung von Projekten. Es ist der zweite Band unserer drei Bücher zu Soft Skills in der IT, die mit den Grundlagen in Soft Skills für Softwareentwickler [133] begonnen und mit Soft Skills für IT-Berater [132] ihren Abschluss gefunden haben.

Die hier vorgestellten Ansätze und Techniken gelten universell. Aufgrund der starken Gewichtung der Soft Skills in agilen Vorgehensweisen ist die Nähe der in diesem Buch vorgestellten Themen zu agilem Projektmanagement vorhanden. Ein agiles Vorgehen ist jedoch keine Voraussetzung für die Umsetzung der vorgestellten Techniken. Wer sich sowohl in der Breite als auch in der Tiefe in agiles Projektmanagement einarbeiten möchte, dem empfehlen wir das Buch APM - Agiles Projektmanagement [131] von Uwe Vigenschow.

Die Zielgruppe des Buchs sind angehende, neue und gerade auch erfahrene Führungskräfte und Projektleiter. Während die Erstgenannten Antworten auf viele Fragen finden, die sich bei der Bewältigung der neuen Aufgabe stellen, finden Letztere hier ein Bündel an neuen Ideen und Anregungen, Dinge in ihrem Arbeitsalltag zu verändern. Es lohnt sich auf jeden Fall, neue Blickwinkel und Ansätze kennenzulernen. Viel Erfolg beim Ausprobieren neuer Ideen wünschen

Uwe Vigenschow, Björn Schneider und Ines Meyrose

Mai 2016

Vorwort zur 2. Auflage

Es erfüllt uns mit Stolz, dass auch unser zweites Buch zum Thema Soft Skills in der IT in die zweite Auflage gekommen ist. Das hat uns die Gelegenheit gegeben, die ein oder andere Stelle zu aktualisieren oder zu überarbeiten. Das Resultat dieser Arbeit halten Sie in den Händen. Neben diversen, kleineren Ergänzungen, die sich über das ganze Buch erstrecken, sind die folgenden Teile neu hinzugekommen:

Wir hoffen, damit das Buch noch besser und relevanter für Ihre Praxis gemacht zu haben, damit Sie Ihre Wirksamkeit als Führungskraft oder Projektleiter weiter optimieren können. Viel Erfolg dabei wünschen

Uwe Vigenschow, Björn Schneider und Ines Meyrose

September 2011

Vorwort

Jetzt ist es so weit: Nach Erscheinen des ersten Buchs zum Thema Soft Skills für Softwareentwickler liegt nun ein weiteres Buch zu diesem Themenkomplex vor. Aufbauend auf grundsätzlichen, allgemeingültigen Themen aus dem ersten Buch [133] werden hier die Welt der IT-Projektleiter und die der Führungskräfte betrachtet. Wer das erste Buch gelesen hat und vor allem, wenn es ihm gefallen hat, dem können wir versprechen, dass es jetzt noch spannender und vielschichtiger wird. Wer das erste Buch (noch) nicht kennt, für den haben wir die notwendigen Grundlagen in den ersten Teil integriert, sodass Sie dieses Buch auch unabhängig von der ersten Veröffentlichung verstehen und nachvollziehen können.

Soft Skills sind gerade für Projektleiter und Führungskräfte einer der maßgeblichen Erfolgsfaktoren. So haben z.B. Studien der GPM Gesellschaft für Projektmanagement e.V. ergeben, dass die sogenannten Soft Facts einer der zentralen Erfolgsfaktoren für Projektarbeit sind [34, 35]. Insbesondere das Management der Stakeholder, das Kommunikationskonzept und der Aufbau von internen Lernprozessen z.B. über Retrospektiven werden leider im Alltagsgeschäft oft stark vernachlässigt. Dann geraten Projekte in eine Schieflage oder scheitern gar, obwohl technisch alles richtig umgesetzt wurde. Aus einer Studie der oose GmbH [134, 135], an der einer der Autoren, Uwe Vigenschow, maßgeblich beteiligt war, ergab sich als der zentrale Erfolgsfaktor die Zusammenarbeit zwischen Entwicklung und den Vertretern der Kundenseite. Die Soft Skills spielen dabei eine wesentliche Rolle. Hier setzt dieses Buch an.

Wir sehen dabei ein enormes Verbesserungspotenzial, das der Qualität unserer täglichen Arbeit ebenso zuträglich ist wie der Wirtschaftlichkeit von Projekten. Gerade die Wirtschaftlichkeit ist ein wichtiges Ziel der hier vorgestellten Verfahren. Letztendlich geht es darum, zum richtigen Zeitpunkt die richtige Software ausliefern zu können. Genau an dieser Stelle werden die oben genannten Studien interessant. Erfolgreiche Firmen sind nicht nur in den Hard Skills, sondern gerade in den Soft Skills überdurchschnittlich gut aufgestellt. Es ist also Zeit, sich um die weichen Faktoren zu kümmern! Die Idee des People Driven Development fasst diese Notwendigkeit ganz treffend in einem Satz zusammen [133]:

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Software wird von Menschen mit Menschen für Menschen entwickelt! Dabei ist der direkte Kontakt zwischen den Beteiligten durch nichts zu ersetzen. Das bezieht sich einerseits auf den Kontakt aus der Entwicklung zum Kunden, Anwender, Management, Qualitätsmanagement usw. und andererseits auf die Zusammenarbeit im Team. Um die Arbeit im Team, die Führung von Entwicklungsteams und die Förderung der Weiterentwicklung der einzelnen Mitarbeiter wie auch der ganzen Gruppe geht es in diesem Buch.

Gruppen von Menschen bilden dabei ein komplexes System. Solche Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich nicht vorhersagbar verhalten. Die inneren Kausalketten des Systems sind dafür zu komplex. Ein Weg, damit umzugehen, besteht in einer fortwährenden Veränderung und Anpassung an innere wie äußere Bedingungen. Diese Anpassungen sind meist evolutionär und manchmal radikaler bis revolutionär.

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Als beschreibende Metapher haben wir dafür den Begriff Troja-Prinzip gewählt, da sich die antike Stadt Troja über etwa 5000 Jahre hinweg sowohl evolutionär als auch revolutionär immer weiterentwickelt hat. Homer beschreibt in der Ilias mit dem Trojanischen Krieg eine dieser revolutionären Phasen, aber nicht das Ende der Stadt. Wir sehen viele Parallelen zwischen der Entwicklung einer komplexen Stadt und komplexen Projektstrukturen, die wiederum komplexe Softwareprodukte erstellen und weiterentwickeln. Diese Metapher wird uns daher immer wieder auf den folgenden Seiten begegnen.

Eine Bemerkung zum Schluss: Wenn wir von Projektmanagement sprechen, so bezieht sich das stets auf IT-Projektmanagement bzw. das Projektmanagement von Softwareprojekten. Daher haben wir die Beispiele auch nur aus diesem Bereich gewählt. Natürlich sind die Soft Skills, die wir vorstellen, auch außerhalb der IT für Projektleiter und Führungskräfte im technischen Bereich hilfreich und sinnvoll. Aus unserer Erfahrung können sowohl Hardware- als auch Systems-Engineering-Projekte davon profitieren.

Wir wünschen Ihnen allen viel Spaß beim Lesen dieses Buchs und viel Erfolg bei der Umsetzung!

Uwe Vigenschow, Björn Schneider und Ines Meyrose

August 2009

Struktur des Buchs

Die Arbeit von IT-Führungskräften und Projektleitern ist ein enorm vielschichtiges Thema. Es fließen viele, höchst unterschiedliche Aspekte in unsere tägliche Arbeit ein. Um diese Vielschichtigkeit angemessen zu adressieren, nähern wir uns in diesem Buch dem Themenkomplex mit einer vergleichsweise großen Anzahl an Ideen und Modellen. Dabei gehen wir wie eine Katze um den heißen Brei spiralförmig vor (Abb. 1).

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Abbildung 1: Wie eine Katze um den heißen Brei nähern wir uns immer anspruchsvolleren Themen.

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Wir hoffen so, den roten Faden besser erkennbar zu machen, den wir verfolgt haben. Die ergänzenden Themen sind in Abbildung 1 grau dargestellt und werden im Text durch das nebenstehende Symbol gekennzeichnet.

Dieses Buch besteht aus fünf Teilen und einem Anhang. Jedem Teil ist ein kurzes beschreibendes Inhaltsverzeichnis vorangestellt. Die Teile sind im Einzelnen:

Kontext: Hier werden unsere Soft Skills im Allgemeinen und unsere Kommunikation vertiefend behandelt. Es werden einige Aspekte aus Soft Skills für Softwareentwickler [133] wiederholt, zusammengefasst und ergänzt. Danach nähern wir uns unserem eigentlichen Thema und legen die Grundlagen für die Diskussion komplexer Systeme und Selbstorganisation. Unsere Metapher Troja-Prinzip für Veränderungsprozesse wird eingeführt und erläutert.

Organisatorische Grundlagen: Dieser Teil ist ein Einschub, der sich mit grundlegenden Antworten auf allgemeine Fragen einer Führungskraft befasst. Wie finden wir Ziele und setzen Prioritäten? Wie führen wir Besprechungen sinnvoll und zielführend durch? Wie steuern wir uns selbst?

Entwickler führen: Der Begriff Führung wird seziert und aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Intensiv gehen wir auf die Themen Motivation und Selbstorganisation ein. Ergänzend beleuchten wir das Thema Entscheidungsfindung.

Mitarbeiter weiterentwickeln: Die Möglichkeiten werden aufgezeigt, wie wir einzelne Mitarbeiter dabei unterstützen können, sich weiterzuentwickeln. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Coaching.

Hochleistungsteams aufbauen: Abschließend gehen wir auf den Aufbau besonders leistungsstarker Teams ein. Die Motivation von Hochleistungsteams wird beleuchtet, und die notwendigen Rahmenbedingungen werden untersucht. Weiter erläutern wir die Dynamik in Teams, die uns tagtäglich ein neues, spannendes Arbeitsumfeld schafft.

Anhang: Ausgewählte Hintergründe werden erläutert. Außerdem finden Sie hier zwei Übungen zur Vertiefung des Verständnisses einzelner Aspekte.

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Stellen im Text, die besonders wichtig sind oder auf die wir uns später noch beziehen werden, sind wie in diesem Beispiel mit einem kleinen Ausrufe-zeichen markiert. So möchten wir Ihnen das Wiederfinden erleichtern.

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Als Auflockerung und um bestimmte Aspekte von einer anderen Seite beleuchten zu können, haben wir an diversen Stellen eine kurze Unterbrechung in Form von typischen Aussagen eingebaut. Diese Einschübe sind durch graue Balken eingerahmt und mit einer Sprechblase wie hier am Rand gekennzeichnet.

Ein Buch ist leider viel zu statisch, um mit der Dynamik der Entwicklung auf dem jeweiligen Themengebiet Schritt halten zu können. Daher haben wir eine ergänzende Website www.trojaprinzip.de zum Buch erstellt, auf der Sie weitere Anregungen finden und für eigene Präsentationen viele Abbildungen als Powerpoint-Datei herunterladen können.

Inhaltsverzeichnis

I    Kontext

1        Soft Skills

1.1      Soft Skills vs. Hard Skills

1.2      Bewusstsein und Umwelt

»Ich entscheide immer alles aus dem Bauch heraus!«

»Ich weiß einfach nicht, was die alle von mir verlangen!«

»Unser Organigramm ist nicht das Papier wert ...«

2        Kommunikation

2.1      Das Metamodell der Sprache

2.2      Körpersprache

Das TALK-Modell

»Den kann ich nicht riechen!«

2.3      Metaphern - Sprachblumen pflanzen

3        Komplexe Systeme

3.1      Komplexe Systeme - komplexe Teams

»Bei uns regiert das Chaos, wir löschen nur noch Brände!«

3.2      Retrospektive Kohärenz

3.3      Gruppendynamik

»Meine Kollegen sind super, ich komme toll mit ihnen aus.«

3.4      Teamentwicklung

»Warum lernen wir nie aus unseren Fehlern?«

3.5      Aufgaben: komplex oder kompliziert?

»Das ist mir zu kompliziert, das kann ich nicht bearbeiten!«

4        Selbstorganisation und Troja-Prinzip

4.1      Selbstorganisation von Gruppen

4.2      Das Troja-Prinzip

Das Darwin’sche Prinzip

4.3      Organisation von Teams

Feedback, Supervision und Reflecting-Team

II   Organisatorische Grundlagen

5        Ziele und Prioritäten

5.1      Ziele definieren

5.2      Ziele schriftlich erarbeiten

»Ziele sind gut, aber Zielvereinbarungen funktionieren nicht!«

5.3      Prioritäten setzen

6        Erfolgreiche Besprechungen

6.1      Grundstruktur von Besprechungen

»Verschwenden wir keine Zeit, kommen wir gleich zur Sache!«

6.2      Allgemeine Regeln für die Durchführung

»Eine Agenda ist überflüssig, ein guter Titel reicht!«

6.3      Eine Besprechung vorbereiten

6.4      Eine Besprechung durchführen

»Die meisten unserer Meetings sind so langweilig!«

6.5      Eine Besprechung nachbereiten

7        Zeitmanagement

7.1      Freiräume schaffen - Aufgaben delegieren

»Ich kann nichts delegieren, weil das immer in die Hose geht!«

7.2      Störungen blocken - goldene Stunde

III   Entwickler führen

8        Wie funktioniert Führung?

8.1      Aspekte von Führung

»Informationen bedeuten Macht!«

8.2      Managementfolklore und Realität

8.3      Führungsebenen

9        Kontakt und Motivation

9.1      Führung und Nähe

»Nähe heißt Smalltalk. Das ist so aufgesetzt und überflüssig!«

9.2      Mythos Motivation

»Den Job vom Chef könnte ich auch machen, und zwar besser!«

10      Führung und Selbstorganisation

10.1    Wie sieht eine evolutionäre Führung aus?

10.2    Prozesskompetente Führungskraft

»Führung hat das Ziel, sich selbst überflüssig zu machen!«

10.3    Heterarchie und Hierarchie

»Flache Hierarchien sind toll, dann kann ich tun, was ich will!«

11      Entscheidungen: Über den Rubicon

11.1    Entscheidungen treffen

»Mein Chef entscheidet nichts, er sitzt Probleme aus!«

11.2    Spieltheoretische Grundlagen

11.3    Anwendungsmöglichkeiten der Spieltheorie

11.4    Man müsste mal ...: die Umsetzung

11.5    Entscheidungen in Gruppen

Das Tetralemma

IV   Mitarbeiter weiterentwickeln

12      Möglichkeiten der Weiterentwicklung

12.1    Schulungen und Workshops

12.2    Mentoring und Coaching

»Als Führungskraft bin ich gleichzeitig Coach und Mentor!«

13      GROW - der Coaching-Prozess

13.1    GROW im Überblick

13.2    Stolperstein Zieldefinition

14      Das Individuum im Team

14.1    Grundlagen: Die Typologie weiter vertiefen

14.2    Einzelne Mitarbeiter weiterentwickeln

»Ich setze meine Mitarbeiter nur gemäß ihren Stärken ein!«

15      Weiterentwicklung nach dem Troja-Prinzip

15.1    Wann ist was angemessen?

15.2    Identität wahren

»Meinen Job mache ich jetzt, später jedoch etwas anderes!«

15.3    Eine professionelle Arbeitsethik entwickeln

V   Hochleistungsteams aufbauen

16      Voraussetzungen für Spitzenteams

16.1    Ein Team weiterentwickeln

»Manche Menschen sind wie Hund und Katze. Warum nur?«

16.2    Was macht ein Team zu einem Spitzenteam?

»Mit dem/der kann ich nicht zusammenarbeiten!«

16.3    Das Umfeld für Hochleistungsteams

Critical-Chain-Planungsoptimierung

16.4    Was motiviert die Teammitglieder?

Das Flow-Erlebnis

17      Hochleistungsteams aufbauen

17.1    Die innere Struktur von Hochleistungsteams

17.2    Aufbau und Weiterentwicklung von Teams

17.3    Größe von Hochleistungsteams

»Zu den Kollegen im Führungskreis finde ich keinen Zugang!«

18      Gruppendynamik in Teams

18.1    Gruppen und Teams

»Manche meiner Mitarbeiter rutschen mir ins Abseits!«

18.2    Der bewusste Weg zum Hochleistungsteam

Das Wertequadrat

19      Systemische Ordnung in Teams

19.1    Was bedeutet Systemik?

19.2    Wie sind wir aufgestellt?

»Ich will zuerst meine persönlichen Unklarheiten beseitigen!«

VI   Anhang

A        Theoretische Hintergründe

A.1      Agile Vorgehensweisen

A.2      Die 16 Grundtypen nach Myers und Briggs

A.3      Selbstorganisation von Gruppen

A.4      Körpersprache

A.5      Stress und Stressbewältigung

A.6      Das Rubicon-Modell der Handlungsphasen

A.7      Das vereinigte Feld

B        Übungen

B.1      Metapher: Führen durch Nähe

B.2      Coaching: Time Line

Danksagung

Literatur

Index

Teil I

Kontext

image Soft Skills

Soft Skills werden definiert und gegenüber den Hard Skills abgegrenzt. Danach tauchen wir kurz tiefer in psychologische Themen ab, um mit zwei Modellen für den täglichen Einsatz wieder aufzutauchen: der Vier-Quadranten-Typologie und dem Eisbergmodell.

image Kommunikation

Kommunikation hat ihre Tücken, die das Metamodell der Sprache aufzeigt. Ein großer Anteil unserer Kommunikation läuft nonverbal über den Tonfall und die Körpersprache ab. Über Metaphern versuchen wir, gerade in unseren komplexen Zusammenhängen der Softwareentwicklung in Gleichklang mit den Kommunikationspartnern zu gelangen.

image Komplexe Systeme

In unserer Softwareentwicklung erstellen wir komplexe Systeme. Auch das Entwicklungsteam, ja sogar jeder einzelne Entwickler, stellt ein komplexes System dar. Grund genug, uns diesem Thema intensiver zu widmen. Die Besonderheiten in der Führung von Entwicklungsteams beruhen zu einem großen Teil auf dieser Komplexität.

image Selbstorganisation und Troja-Prinzip

Selbstorganisation ist das Schlagwort hinter einer agilen Softwareentwicklung. Die Prinzipien der Selbstorganisation werden erläutert sowie die Vor- und Nachteile diskutiert. Als dynamisches Beschreibungsmodell für Selbstorganisation in Gruppen und Großgruppen haben wir das Troja-Prinzip entwickelt.

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1 Soft Skills

1.1 Soft Skills vs. Hard Skills

Unsere Soft Skills sind wichtig. Das können wir immer öfter lesen und sei es nur als allgegenwärtige Teamfähigkeit in jeder Stellenanzeige. Doch was ist damit genau gemeint? Was sind Soft Skills? Darunter wird ein ganzes Sammelsurium von Einzelfähigkeiten verstanden. Eine genaue Begriffsklärung ist dabei kaum möglich, da sich z.B. aus verschiedenen Fachbereichen unterschiedliche Sichten ergeben. Für unseren beruflichen Kontext halten wir uns an die im Folgenden skizzierte Beschreibung [56].

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Der Begriff Soft Skills bezeichnet die sogenannten weichen Fähigkeiten (Abb. 1.1). Damit ist meist die soziale Kompetenz einer Person gemeint. Im Gegensatz dazu stehen die Hard Skills, die durch unser spezielles Fachwissen definiert werden. Nur im Zusammenspiel von Hard und Soft Skills können wir unsere tatsächliche Leistungsfähigkeit erreichen.

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Abbildung 1.1: Was sind eigentlich Soft Skills?

Da wir in der Softwareentwicklung typischerweise im Team entwickeln, kommt den diesbezüglichen Soft Skills besondere Bedeutung zu. Dies sind im Wesentlichen:1

Teamfähigkeit beschreibt die Handlungskompetenz, sich einer Gruppe anderer Menschen anzuschließen. Sie beschreibt die Fähigkeit, mit anderen gemeinsam sozial zu agieren und dabei seine Fertigkeiten bei der Bewältigung von Gruppenaufgaben optimal einzubringen.

Kooperationsfähigkeit beschreibt das Zusammenwirken unserer einzelnen Handlungen und schafft so den Rahmen für eine Zusammenarbeit Einzelner oder Gruppen. Dabei wird aus Teilen wie einzelnen Personen oder Gruppen ein neues, zielgerichtet agierendes System gebildet. Kooperationen sind dabei häufig zeitlich begrenzt.

Konfliktfähigkeit beschreibt die Fähigkeit, eine Auseinandersetzung aufzunehmen, konstruktiv zu bewältigen und wenn möglich bereits im Vorfeld zu vermeiden. Dies beinhaltet die Suche nach angemessenen, dauerhaft tragfähigen Lösungen. Als Grundlagen dafür dienen das Schaffen belastbarer Beziehungen sowie die Stärkung von Toleranz und Offenheit. Dazu ist es vor allen Dingen notwendig, keine Scheu vor Konflikten zu haben, um sie frühzeitig und aktiv angehen zu können.

Kommunikationsfähigkeit ist die Fähigkeit und Bereitschaft, konstruktiv, effektiv, effizient und bewusst zu kommunizieren.

Um unser Fachwissen in einer konkreten Projektsituation auch einsetzen zu können, benötigen wir eine ganze Reihe unterstützender Qualifikationen. Diese Fähigkeiten erschließen uns erst die Möglichkeit, unser Fachwissen nutzen zu können, und werden als Schlüsselqualifikationen bezeichnet (Abb. 1.2). Sie setzen sich aus drei Teilen zusammen: Methodenkompetenz, persönliche Kompetenz und soziale Kompetenz.

Methodenkompetenz bezeichnet unseren persönlichen Werkzeugkasten an Techniken und Fähigkeiten, die wir situativ an den jeweiligen Kontext angepasst abrufen und aktiv einsetzen können. Dazu gehören in unserem beruflichen Umfeld Techniken wie die Moderation von Besprechungen mit gleichzeitiger unterstützender Visualisierung wie auch das empfängerorientierte Präsentieren von Inhalten. Natürlich gehört auch unser eigenes Selbstmanagement bzw. Projektmanagement dazu mit Aspekten wie Zeitmanagement oder der Fähigkeit, Strategien zu entwickeln.

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Abbildung 1.2: Unsere Schlüsselqualifikationen ermöglichen es uns, unser Fachwissen einzusetzen.

Persönliche Kompetenz bzw. Selbstkompetenz beschreibt unsere Qualitäten, die eigenen Fähigkeiten wie z.B. unsere Methodenkompetenzen gezielt und sinnvoll im beruflichen Kontext einsetzen zu können. Wir erkennen die Notwendigkeit, in bestimmten Situationen angemessen, individuell angepasst und effektiv bestimmte Fähigkeiten aus unserem Werkzeugkasten anzuwenden. Konkret gehören dazu universell einsetzbare Eigenschaften wie Flexibilität, Initiative, Intuition und Kreativität sowie im beruflichen Kontext geforderte Fähigkeiten wie Führung, Auftreten, Ausdrucksvermögen und unser persönliches Erscheinungsbild.

Soziale Kompetenz bildet den Oberbegriff für ein Sammelsurium unterschiedlicher Fähigkeiten, Einstellungen, Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmale, die für unsere Interaktionen mit anderen Personen erforderlich sind. Hier treffen wir auf Aspekte unserer inneren Haltung wie auch des sichtbaren Verhaltens. Für diesen Bereich spielt der situative Kontext die wesentliche Rolle, ob eine bestimmte Verhaltensweise als sozial kompetent wahrgenommen wird oder nicht. Verhaltensweisen hängen z.B. davon ab, ob wir gerade mit unserem Chef, einer Kollegin oder einem Kunden in Kontakt stehen.

Konkret sind hier Fähigkeiten anzusiedeln wie Einfühlungsvermögen, Kommunikationsfähigkeit oder unsere Integrationsfähigkeit. Dazu kommen Gruppenfähigkeiten wie Teamfähigkeit, Konflikt- oder Kritikfähigkeit.

1.2 Bewusstsein und Umwelt

Im Buch Soft Skills für Softwareentwickler [133] sind wir bereits auf die Stakeholder-Analyse eingegangen. Stakeholder sind Interessenhalter an unserem Projekt. Ein Ergebnis der Stakeholder-Analyse ist eine Tabelle, in der wir die Stakeholder in verschiedenen Rollenfunktionen, z.B. als Unterstützer oder Gegner, mit ihren konkreten Ansprechpartnern auflisten. Daraus kann dann z.B. eine Stakeholder-Map entwickelt werden, in der wir die Stakeholder gruppieren und deren Beziehung zueinander analysieren (Abb. 1.3).

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Abbildung 1.3: Beispiel einer Stakeholder-Map aus [133]

Um mit der Tabelle im Projektverlauf sinnvoll arbeiten zu können, priorisieren wir die Stakeholder. Eine Möglichkeit dazu ist in der Prioritätsmatrix in Abbildung 1.4 dargestellt. Für die Wichtigkeit eines Stakeholders beantworten wir die Frage, welche Auswirkungen es für das Projekt haben wird, wenn wir keinen Kontakt mit dem Stakeholder haben. Dazu kann wie in dem Beispiel noch der Aufwand für den Kontakt einfließen. Letzteres ist vor allem bei räumlich verteilten Projekten besonders interessant.

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Abbildung 1.4: Beispiel einer Stakeholder-Prioritätsmatrix

Und wozu das Ganze? Die Stakeholder-Analyse führt uns direkt zu unseren Gesprächspartnern, über die wir unsere notwendigen Informationen erhalten, die unsere Entscheidungs- und Priorisierungsprozesse beeinflussen oder bei denen wir die spätere Akzeptanz unserer Projektergebnisse sicherstellen.

Das Spannende an dieser direkten Zusammenarbeit mit so vielen verschiedenen Menschen ist, deren Unterschiedlichkeit zu erleben und damit angemessen umzugehen. Die Stakeholder-Map (Abb. 1.3) wird z.B. sehr unterschiedlich bewertet. Die Bandbreite geht von »Das kann man doch nicht machen!« bis zu »Genau das brauche ich!«. Wie kommt es zu dieser Individualität? Ein Aspekt dabei ist, dass wir unsere Umwelt unterschiedlich wahrnehmen und bewerten.

Unsere Wahrnehmungen und Interpretationen der Wahrnehmungen sind subjektiv (s. auch Abschnitt 2.1 ab Seite 21). Dies kann zu Missverständnissen und Irritationen und damit zu unterschiedlichen Bewertungen führen. Dazu kommen noch die individuellen Arten der Bewertungen selbst. Schauen wir uns diese Aspekte kurz in Anlehnung an die Analytische Psychologie nach C.G. Jung2 (1875 – 1961) genauer an. Dies mündet dann in einer einfachen, gut einsetzbaren Typologie, die uns dabei hilft, mit diesen Unterschieden angemessen umzugehen.

Die menschliche Psyche als Gesamtheit aller bewussten und unbewussten psychischen Vorgänge kann durch ein einfaches Modell beschrieben werden (Abb. 1.5). Das Bewusstsein und das Unbewusste teilen sich diesen Bereich. Unser Ich hat dabei Anteil an beiden Bereichen. Unser Bewusstsein und das Unbewusste ergänzen sich nicht nur, sondern sind auch in der Lage, wechselseitig einzelne Aspekte zu kompensieren [57].

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Abbildung 1.5: Unsere Psyche besteht nach C.G. Jung vereinfacht aus zwei sich ergänzenden, doch in ihren Eigenschaften gegensätzlichen Sphären: Bewusstsein und Unbewusstes. An beiden hat unser Ich seinen Anteil. Die Trennlinie ist in beide Richtungen verschiebbar [57].

Die Grenze zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten ist in beide Richtungen verschiebbar. Wir erleben das selbst immer wieder, wenn wir etwas Neues lernen, z.B. einen Bewegungsablauf im Sport. Zuerst müssen wir uns dem Neuen sehr bewusst nähern und alle einzelnen Aspekte ganz konzentriert durchführen. Dies lässt uns dann vielleicht die Bewegung, etwa einen speziellen Schlag beim Tennis, ganz passabel durchführen, doch können wir dabei unsere Aufmerksamkeit auf nichts anderes richten. Beim Sport führt das dazu, dass wir nicht mehr auf unseren Mit- bzw. Gegenspieler achten können und auf einmal ganz überrascht feststellen, dass dieser z.B. bereits ans Netz vorgelaufen ist.

Je mehr wir diese neue Bewegung üben, desto weniger bleibt sie neuartig und wird nach und nach automatisiert. Dabei wird unser Bewusstsein wieder frei für die Konzentration auf andere Reize wie eben die Position anderer Personen. Die Bewegung läuft in ihren einzelnen Facetten mehr und mehr unbewusst ab. Ähnlich schleifen sich auch andere Verhaltensweisen ein, wobei wir uns dieser nicht mehr bewusst sind.

Durch ein Feedback, wie in [133] beschrieben, können wir uns solcher Teile wieder bewusst werden. Dies gibt uns die Chance, Verhalten, das nicht oder nicht mehr zielführend ist, wieder zu verändern und an neue Situationen anzupassen. Dieses Feedback kann beim Tennis vom Trainer kommen und im Berufsalltag von Kollegen, Kunden oder im Privatbereich von unseren Freunden und Verwandten. Die Grenze zwischen unserem Bewusstsein und dem Unbewussten wird also ein Stück weit verschoben. Das Modell des JOHARI-Fensters, das wir bereits in [133] erläutert haben, bildet diese Effekte beispielsweise ab.

1.2.1 Bewusstseinsfunktionen: bewerten und wahrnehmen

Wir können versuchen, unser Bewusstsein durch sogenannte Bewusstseinsfunktionen weiter zu strukturieren. Jung sieht dabei in jedem Individuum vier Grundfunktionen angelegt: Denken, Intuieren, Fühlen und Empfinden. Seine Wortwahl führt teilweise leider zu Missverständnissen, weshalb wir kurz auf diese vier Funktionen eingehen (Abb. 1.6 links) [57].

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Abbildung 1.6: Die Bewusstseinsfunktionen bzw. Funktionstypen als Paare Denken – Fühlen und Empfinden – Intuieren (links) und die sich daraus ergebenden Mischtypen (rechts) [57]

Bei diesen Funktionen geht es nicht um die Inhalte, mit denen sich eine Funktion gerade befasst. Wir fragen also nicht danach, was wir z.B. denken, sondern stellen fest, dass eine bestimmte Person in einer bestimmten Situation diese über den Verstand aufnimmt und verarbeitet und nicht z.B. durch Intuition. Mit den Bewusstseinsfunktionen beschreiben wir die möglichen Erfassungs- und Verarbeitungsmodi für psychische Gegebenheiten. Was genau steckt hinter den vier Grundfunktionen des Bewusstseins?

Denken: Wir versuchen durch Denkarbeit zu Erkenntnissen zu kommen. Wir schaffen begriffliche Zusammenhänge und schließen logische Folgerungen. Wir möchten so unsere Umwelt mit ihren wahrgenommenen Gegebenheiten verstehen und eine Idee für unsere Anpassung an diese Situation bekommen. Aus den Schlussfolgerungen erfolgt eine Bewertung in wahr oder falsch.

Fühlen: Wir erfassen die Gegebenheiten unserer Umwelt durch eine Bewertung nach angenehm oder unangenehm bzw. annehmen oder abwehren. Unser Gefühl in Bezug auf unsere Umwelt steht im Vordergrund. Wir bewerten nach Lust und Unlust.

Empfinden: Wir nehmen Dinge wahr, wie sie sind bzw. uns über unsere Sinneswahrnehmungen erscheinen. Hier finden wir die Ausprägung unseres Sinns für die Realität. Wir fokussieren uns rein auf die Fakten und Details, wie wir sie über unsere Sinne wahrnehmen, und vermeiden dabei Bewertungen.

Intuieren: Wir nehmen Dinge über unsere innere Wahrnehmung wahr und nicht über unsere Sinne. Wir fokussieren dabei auf die Möglichkeiten, die den wahrgenommenen Dingen innewohnen, und nicht auf die Fakten und Details. Auch hier entfällt eine Bewertung.

Denken und Fühlen werden dabei als rationale Bewusstseinsfunktionen bezeichnet, da sie wertend vorgehen. In einer konkreten Situation schließen sich beide Verhaltensformen aus, weshalb sie als Gegenpole in den Abbildungen dargestellt werden.

Die anderen beiden Funktionen werden als irrationale Bewusstseinsfunktionen bezeichnet. Wir nehmen mit ihnen wahr, bewerten jedoch nicht weiter. Auch diese beiden Funktionen schließen sich in einer konkreten Situation gegenseitig aus.

Alle diese vier Bewusstseinsfunktionen sind uns zu eigen, und wir setzen sie individuell und situativ ein. Die Kombinationen aus den beiden rationalen und den beiden irrationalen Funktionen lassen dabei einen individuellen Facettenreichtum entstehen, die sogenannten Mischtypen (Abb. 1.6 rechts).

1.2.2 Die Einstellungsweisen: handeln und orientieren

Neben den vier Bewusstseinsfunktionen hat Jung zwei Möglichkeiten für die Reaktionsweise eines Menschen gefunden in Bezug auf das, was aus seiner Umwelt von außen oder aus ihm selbst von innen an ihn herantritt. Sie beschreiben das typische Verhalten einer Person in Bezug auf Dinge oder Ereignisse in ihr selbst bzw. ihrer Umwelt [57]. Alle psychischen Prozesse sind in einer konkreten Situation durch eine der beiden Einstellungen bedingt:

Extraversion bzw. Extroversion beschreibt die Neigung, in der eigenen Anpassungs- und Reaktionsform sich eher nach äußeren, kollektiv gültigen Normen oder dem Zeitgeist usw. auszurichten. Wir finden hier ein eher positives Verhältnis zu äußeren Dingen. Denken, Fühlen und Handeln beziehen sich auf das äußere Objekt.

Introversion beschreibt ein eher an subjektiven, also inneren Faktoren ausgerichtetes Verhalten. Die Anpassung an die Außenwelt fällt dabei deutlich geringer aus, und das Verhältnis zu äußeren Dingen ist eher negativ. Die Orientierung für das Denken, Fühlen und Handeln geht vom Subjekt aus. Äußere Dinge sind dagegen sekundär.

Im Gegensatz zu den vier Bewusstseinsfunktionen, die durch Erfahrungen und Lernprozesse weiterentwickelt und ausgebaut werden können, sieht Jung die Einstellungsweise als allgemeine psychologische Grundhaltung, die biologisch verankert ist und damit auch viel eindeutiger in Erscheinung tritt bzw. sich nur sehr schwer und langwierig intern umpolen lässt. Ebenso wie die Bewusstseinsfunktionen wirken die beiden Einstellungen in unserer Psyche kompensatorisch. Ist das Bewusstsein eher extravertiert, so finden wir im Unbewussten stärker introvertierte Züge und umgekehrt.

Extreme Positionen in der Einstellung oder den Bewusstseinsfunktionen sind glücklicherweise sehr selten. Das wahre Leben spielt sich zwischen den jeweiligen Extrempositionen ab. So schließen auch die meisten Menschen einen inneren Kompromiss zwischen Subjekt und Objekt, also dem Individuum und der Umwelt bzw. Gesellschaft. Diesen Ausschnitt aus dem Ich bezeichnet Jung als Persona bzw. im Plural als Personae.

1.2.3 Persona: Rollen als Sichten auf das Ich

Mit Persona bezeichnet Jung einen Ausschnitt aus dem Ich, der sich im Zusammenspiel zwischen Individuum und Umwelt in bestimmten Situationen zeigt (Abb. 1.7). Da wir uns an viele verschiedene Umgebungen anpassen müssen und dabei manchmal Erwartungen zu erfüllen haben oder einfach nur bequem sein können, haben wir im Laufe unseres Lebens diverse Personae entwickelt und entwickeln sie auch laufend weiter.

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Abbildung 1.7: Ich, Persona und die vier Funktionstypen [57]

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Wir nehmen verschiedene Rollen wahr, die doch stets nur einen Teil unseres Ichs repräsentieren. So sind wir vielleicht im Beruf Führungskraft, Experte, Konfliktlöser usw. und im Privatleben Vater bzw. Mutter, Beziehungspartner, Fußballtrainer, Fan einer Rockband oder Hausmeister unseres eigenen Hauses. Stets kommen dabei andere Facetten ein und desselben Menschen zum Vorschein. Eine konkrete Persona steht dabei im Spannungsfeld zwischen drei Faktoren: