RONALD M. HAHN

 

 

HARDCORE-WESTERN

I. Das Fort der scharfen Weiber

 

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag/Edition Bärenklau

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

DAS FORT DER SCHARFEN WEIBER 

In Kürze als E-Book im Apex-Verlag/Edition Bärenklau erhältlich 

 

Das Buch

 

 

„Was wird nun aus dem Fort?“, fragte Doc Bayard.

„Die Army hat’s verkauft.“ Van Husen stieß einen Seufzer aus. „An die personifizierte Sünde.“ 

„Ach, wirklich?“ Bayard zupfte sich interessiert an der Nase. „Darf ich fragen, was Sie damit meinen?“

„Das sage ich lieber nicht“, erwiderte der Lieutenant errötend. „Außerdem sind es ja nur Gerüchte.“

„Sie scheinen Ihnen trotzdem nicht zu behagen.“

Van Husen seufzte noch einmal. „Nun ja, nach allem, was man so hört, macht der neue Verwendungszweck von Fort Doyle unseren ruhmreichen Streitkräften wenig Ehre.“ Van Husen errötete und sagte hinter vorgehaltener Hand: „Ich hab es zwar nur aus dritter Hand, aber wenn es stimmt… wird hier ein Sündenbabel entstehen. Mit roten Laternen.“ Er hüstelte. „Wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Gütiger Gott“, sagte Bayard mit gespielter Empörung. „Meinen Sie etwa ein Bordell?“ 

 

Als dem Lebenskünstler Doc Bayard während einer Fahrt durch den Westen bewusst wird, dass man mit 44 Jahren nicht mehr unsterblich ist, will er im nächsten Nest aussteigen und ein neues Leben anzufangen. Das Nest heißt Chickenville – doch was ihn dort erwartet, hat er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt...

Der Autor

 

Ronald M. Hahn, Jahrgang 1948.

Schriftsteller, Übersetzer, Literaturagent, Journalist, Herausgeber, Lektor, Redakteur von Zeitschriften.

Bekannt ist Ronald M. Hahn für die Herausgabe der SF-Magazine Science Fiction-Times (1972) und Nova (2002, mit Michael K. Iwoleit) sowie als Autor von Romanen/Kurzgeschichten/Erzählungen in den Bereichen Science Fiction, Krimi und Abenteuer.

Herausragend sind das (mit Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs und Wolfgang Jeschke verfasste) Lexikon der Science Fiction-Literatur (1980/1987), die Standard-Werke Lexikon des Science Fiction-Films (1984/1998, mit Volker Jansen), Lexikon des Horror-Films (1985, mit Volker Jansen) und das Lexikon des Fantasy-Films (1986, mit Volker Jansen und Norbert Stresau).

Für das Lexikon der Fantasy-Literatur (2005, mit Hans-Joachim Alpers und Werner Fuchs) wurde er im Jahr 2005 mit dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. Insgesamt sechsmal erhielt Hahn darüber hinaus den Kurd-Laßwitz-Preis – dem renommiertesten deutschen SF-Preis - , u.a. für die beste Kurzgeschichte (Auf dem großen Strom, 1981) und als bester Übersetzer (für John Clute: Science Fiction – Eine illustrierte Enzyklopädie, 1997).

Weitere Werke sind u.a. die Kurzgeschichten-Sammlungen Ein Dutzend H-Bomben (1983), Inmitten der großen Leere (1984) und Auf dem großen Strom (1986) sowie – als Übersetzer – der Dune-Zyklus von Frank Herbert.

Ronald M. Hahn lebt und arbeitet in Wuppertal. 

 

 

 

Ronald M. Hahn

DAS FORT DER SCHARFEN WEIBER

 

 

1.

 

Als Doc Bayard begriff, dass sich die zweite Hälfte seines vierten Lebensjahrzehnts rapide näherte, ließ er den sieben Tage alten Minneapolis Star auf die Knie sinken und schaute aus dem Fenster.

Es war dunkel draußen. Dicke Regentropfen klatschten gegen die Scheibe. Der von grauen Dampfwolken eingehüllte Waggon ratterte über die Schienen. Der Zug fuhr durch eine Gegend, die so ungemütlich war wie Kanada im Winter.

Gottverdammich, dachte Bayard. So kann es doch nicht ewig weitergehen! Irgendwann bist du fünfzig. Dann dauert es nicht mehr lange und du stehst vor deinem Schöpfer. Und wenn es so weit ist – mit welchen Heldentaten willst du dich dann brüsten? 

Na schön, er hatte sich im Laufe seiner vierundvierzig Lebensjahre nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Er hatte aber auch nicht das Leben eines Banditen geführt. Doch wenn er ehrlich zu sich war, musste er zugeben, dass er auch nie zum Wohle der Menschheit unterwegs gewesen war. Auch wenn er keine Banken ausgeraubt und weder Züge noch Postkutschen überfallen hatte… Wenn er an die zahllosen Trottel dachte, die seine flinken Hände in den Spielhöllen von Minnesota, Kansas und Iowa um ihre Barschaften gebracht hatten, musste er sich gelegentlich doch schütteln.

Aber war es etwa seine Schuld, dass sein Vater es nicht für nötig gehalten hatte, ihm und seinen sechs Geschwistern zu erläutern, dass es gar nicht übel war, wenn erwachsene Menschen einen ordentlichen Beruf erlernten, statt bis zum fünfundzwanzigsten Lebensjahr auf Universitäten rumzuhängen? Bayard schnaubte leise. Wäre es nach seinem alten Herrn gegangen, säße er vielleicht jetzt noch dort und speiste, wenn er vom Studieren müde nach Hause kam, mit einem silbernen Besteckt von Meißener Porzellan. Leider aber war sein Vater vor zwanzig Jahren ziemlich schnell in die Pleite gerast. Inzwischen gehörte das feine Bankhaus Bayard & Delacroix seit Anno Domini 1875 dem noch reicheren Bankier Mr. J.P. Morgan in New York.

Nur deswegen wanderte Bayard seither rastlos durch die Welt, vertrödelte seine Zeit in Lokalitäten, in denen die Zoten dicker waren als die dort tätigen Damen und hielt sich – eines echten Mannes unwürdig – mit dem Kinderkram über Wasser, den er am besten beherrschte: dem Kartenspiel.

Es muss jetzt ein Ende haben, dachte Bayard. Es wird Zeit, dass ich was Ernsthaftes unternehme. Ich fahre nicht nach Denver. Am nächsten Bahnhof steig ich aus, und wenn er ‚Hell’s Gate1 ’ heißt. Ich habe fünfhundert Dollar in der Tasche. Damit fange ich ein neues Leben an. Er faltete entschlossen die Zeitung zusammen, zupfte an seinem schicken schwarzen Binder, richtete seinen grauen Stetson und reckte den Hals. 

Die wenigen Passagiere, mit denen er den Waggon seit Cheyenne teilte, waren bereits aufgestanden und standen auf den Zehenspitzen, um ihr Gepäck aus den Netzen zu holen.

Bayard tat es ihnen gleich. Er hievte die beiden grünrot karierten Reisetaschen herunter und stellte sie neben sich auf den freien Sitzen ab. Der Zug verlangsamte sein Tempo. Der Lokführer ließ die Pfeife ertönen, um sämtliche Köter, Kojoten und Kühe zu warnen, die sich eventuell auf den Bahnhofsschienen lümmelten. Schließlich kreischten die Bremsen, und zwar so schrill und schauerlich, dass Bayard sich fragte, ob man vielleicht ein Geschäft damit machen konnte, der Eisenbahngesellschaft Schmieröl zu verkaufen.

Während er in gebannter Spannung nach dem Schild Ausschau hielt, das ihm sagte, wie die nächste Ortschaft hieß, steckte er sich einen schwarzen Zigarillo an. Dann, er hatte gerade zum ersten Mal inhaliert, tauchte das Schild urplötzlich auf.

WILLKOMMEN IN CHICKENVILLE.

Auch das noch. Bayard war so erschreckt, dass er sich ernsthaft überlegte, ob er noch eine Station weiterfahren sollte.

Nichts da, ermahnte er sich streng. Gesagt ist gesagt. Ein Bayard hält sein Versprechen. Nur rückgratlose Kreaturen werfen sofort das Handtuch, wenn nicht alles optimal ihrem Geschmack entspricht. 

Trotzdem schüttelte sich. Die Passagiere nahmen ihre Koffer und strebten zum Ausgang des Waggons. Bayard schloss sich ihnen flink an. Er klemmte den Zigarillo zwischen seine makellosen Zähne, ergriff die beiden Reisetaschen und stieg aus. Auf dem abendlichen Bahnhof – er bestand eigentlich nur aus einer langen Baracke – war es ungemütlich und kalt. Ein Blick zum Himmel sagte ihm, dass er bedeckt war. Kein einziger Stern war zu sehen. Der von langen Lagerschuppen umgebene Gleiskörper Chickenvilles war so finster, dass die Zuginsassen sich nach der Laterne richten mussten, die der backenbärtige alte Bahnhofsvorsteher schwenkte.

Bayard biss fest in seinen Zigarillo und bahnte sich unter mürrischen Flüchen einen Weg. Die anderen Reisenden schienen sich gut hier auszukennen. Wahrscheinlich wohnten sie hier – er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Fremder freiwillig in diesem Nest ausstieg. Als er das Bahnhofsgebäude fast erreicht hatte, rempelte ihn jemand von der Seite an und er verlor auf dem unebenen Boden das Gleichgewicht.

Bayard entglitt der Griff seiner linken Reisetasche. Er hörte einen leisen Aufschrei. Neben ihm fiel irgendwas dumpf zu Boden.

Gottverdammte Kacke!“ 

Bayard schaute sich um. Es erschreckte ihn, als er erkannte, dass die Verwünschung nicht aus einer Männerkehle gekommen war. Die blitzend grünen Augen der unbekannten Remplerin maßen ihn fast vorwurfsvoll, als er sei er an der Katastrophe Schuld. Dann ging sie in die Hocke und musterte die Bescherung. Der metallene Verschluss ihres Koffers war aufgesprungen, ein Teil ihres Privatbesitzes lag auf dem Boden verstreut.

Bayard registrierte mit Entzücken, dass der gewagte Ausschnitt ihrer schwarzen Spitzenbluse die mangelnde Länge ihres Rockes mehr als wettmachte. Außerdem stellte er fest, dass an ihren kleinen Öhrchen große goldene Ringe baumelten. Der Fluch, den sie ausgestoßen hatte, sprach freilich dagegen, dass sie eine wohlhabende und gebildete Lady war.

Trotz der Dunkelheit erkannte Bayard einige der Dinge, die aus ihrem Koffer gefallen waren. Sie entzückten ihn noch mehr. Als Gentleman, fand er, war es nur recht und billig, wenn er der Lady ein wenig zur Hand ging. Also stellte er seine Reisetaschen ab, ging neben ihr in die Hocke und half ihr beim Einsammeln. Dies machte ihm besondere Freude, da der erste Gegenstand, den er fand, ein altrosafarbenes Höschen aus feinster Seide war.

Was machen Sie da?“, fauchte die Frau, als sie sah, wie interessiert Bayard ihr Höschen betrachtete. 

Ich will Ihnen nur helfen, Lady“, erwiderte Bayard, ohne den Zigarillo aus dem Mund zu nehmen. Die anderen Passagiere waren weitergeschlurft, als hätten sie nichts gesehen. Bayard nahm an, dass sie nur bequem waren, was seiner Meinung nach von einer schlechten Kinderstube kündete. Er reichte der Lady das altrosafarbene Höschen. 

Kann ich helfen?“ Der Bahnhofsvorsteher eilte mit der Laterne heran. „Sind Sie gestürzt, Lady? Haben Sie sich verletzt?“ 

Die Lady riss Bayard das Höschen aus der Hand und stopfte es in den Koffer. „Was fällt Ihnen ein, in meinen Intimitäten rumzuwühlen!“ Ihre grünen Augen blitzten ihn an. „Ich kenn Sie doch nicht mal!“

Intimitäten?“, echote Bayard schockiert. 

Ich werde Ihnen leuchten, Lady“, warf der Bahnhofsvorsteher ein. „Bücken kann ich mich leider nicht – ich hab’s nämlich im Kreuz.“ Er seufzte. „Ist ’n altes Kriegsleiden.“ 

Ich helf der Lady schon“, sagte Bayard und hob das nächste Höschen auf. Es war schwarz und aus Spitze. 

Danke.“ Bevor die Laterne allzu viel Licht auf den Ort warf, an dem die Katastrophe passiert war, rafft die Lady drei weitere Höschen zusammen. Wie Bayard merkte, sahen sie noch lasziver aus als die beiden ersten.  

Erst jetzt, im gelben Schein der Laterne, erkannte er, dass die neben ihm hockende, leicht hektische Frau sehr attraktiv war. Er schätzte sie auf Ende zwanzig, Anfang dreißig. Sie hatte ein schmales Gesicht und schulterlanges rotes Haar.

Unter ihrer Spitzenbluse wölbten sich zwei pralle Hügel, bei deren Sichtung in Bayards Hose spontan die Wollust ihr verdorbenes Haupt reckte. In seinem Kopf entwickelten sich spontan Phantasien von dermaßen unglaublicher Obszönität, dass er sich schüttelte. Keine Frage: Diese animalische Reaktion musste damit zu tun haben, dass er sich seit einer Woche kein Vergnügen mehr geleistet hatte. Er nahm sich vor, sich demnächst – an langen Winterabenden – dafür zu verachten.

Das nächste, was in seine Hand fiel, war das gerahmte Foto eines finster dreinblickenden, ziemlich dunkelhäutigen unrasierten Kerls mit einer langen schwarzen Mähne, dem man auf den ersten Blick ansah, dass er nicht zu einem Anwalt ging, wenn er sein Recht durchsetzen wollte. Da er Bayard auf den ersten Blick unsympathisch war, drehte er das Bild herum und reichte es der Lady. „Bitteschön.“

Danke.“ Die Lady seufzte dumpf, dann verschloss sie den Koffer und stand auf. 

Bayard tat es ihr gleich. Sie standen nun im Schein der Laterne des backenbärtigen alten Zausels da und schauten sich an.

Offenbar gefiel der Lady, was sie zu sehen kriegte, denn nun besänftigten sich ihre Gesichtszüge und sie stellte  ein Lächeln zur Schau.

Entschuldigen Sie, dass ich Sie angerempelt habe – aber mir ist auf dem dämlichen Schotter der Fuß umgeschlagen.“ 

Bayard verzog das Gesicht zu einem freundlichen Grinsen. Seine Phantasien liefen Amok. Die Unbekannte war nicht nur attraktiv – ihre grünen Augen wiesen auch das geile Glitzern auf, das Frauen kennzeichnete, die wussten, was sie wollten. „Oh, aber ich bitte Sie! Freut mich, mich Ihre Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Bayard.“

Ich bin… ähm… Mrs. Peccato.“ Die Lady nahm Bayard nun noch näher in Augenschein, und er hatte urplötzlich den deutlichen und herzerwärmenden Eindruck, dass sich nicht nur zwischen seinen Schenkeln etwas regte. Sie schauten sich eine ganze Weile an. Hätte sich der Bahnhofsvorsteher nicht mit einem dezenten Hüsteln eingemischt, wären sie wohl noch länger neben dem Gleis stehen geblieben. 

Willkommen in Chickenville, meine Herrschaften.“ 

Bayard und Mrs. Peccato tauchten aus ihrer Trance auf und fuhren wie zwei ertappte Jugendliche herum, die man beim Fummeln erwischt hat.

Gibt’s hier ein Hotel?“, erkundigte sich Mrs. Peccato. Ihre Stimme klang nun ein wenig heiser – um nicht zu sagen erregt. 

Aber gewiss, Lady.“ Das backenbärtige Männlein tippte munter an seine Dienstmütze. „Ich empfehle Ihnen das Grand Hotel. Es ist bei den Reisenden sehr beliebt und auch sehr komfortabel.“ Der Stationsvorsteher wandte sich um und deutete auf einen schmalen Gang, der sich zwischen dem Bahnhofsgebäude und einem Lagerschuppen dahin zog. Dahinter lag offenbar die Innenstadt – falls ein Ort mit dem Namen Chickenville überhaupt über dergleichen verfügte. „Es ist fast genau gegenüber, auf der Main Street. Sie können es nicht verfehlen.“ 

Danke.“ 

Stets zu Diensten.“ 

2.

 

Bayard nahm er seine Reisetaschen auf und marschierte neben Mrs. Peccato über die Main Street. Zu dieser späten Stunde – es war fast zehn – war sie mehr oder weniger verlassen. Zwei oder drei Saloons hatten noch geöffnet. Man hörte das schräge Geklimper einiger Pianos, das Klirren von Gläsern und dann und wann ein lautes Lachen.

Im Horseshoe-Saloon, der dem Bahnhofsgebäude wirklich gegenüber lag, öffnete sich die Schwingtür. Eine schlaksige Gestalt, die von einem großen Mann mit einer weißen Schürze und einem noch größeren Bauch sowie einem bullig wirkenden Soldaten gehalten wurde, flog im hohen Bogen auf die Straße und fiel klatschend in den Dreck.

Bayard und Mrs. Peccato blieben fasziniert stehen, als er sich spontan aufrappelte und der Lokalität, die auf einen Gast wie ihn offenbar verzichten konnte, mit der Faust drohte. „Wir sprechen uns noch, ihr Lumpen!“

Aus dem Horseshoe-Saloon kam ein Knurren. Der aufgebrachte Trunkenbold nahm sofort die Beine in die Hand und tauchte in der Finsternis unter.

Bayard und Mrs. Peccato schauten sich an.

Hier herrschen raue Sitten“, sagte Bayard, ohne den Zigarillo aus dem Mund zu nehmen. „Ich schlage vor, Sie bleiben an meiner Seite. Ich könnte Sie eventuell vor Grobianen beschützen.“ 

Mrs. Peccato kicherte irgendwie erheitert, dann deutete sie mit dem Kopf auf ein dreistöckiges Holzgebäude. Über der Treppe, die zum Eingang hinauf führte, stand auf einem großen Schild in schwarzen Buchstaben: GRAND HOTEL.

Zwei Oldtimer, die auf der Veranda saßen, Bier aus Flaschen tranken und an Maiskolbenpfeifen nuckelten, fraßen Mrs. Peccato mit Blicken auf, als sie an Bayards Seite die knarrenden Stufen hinauf ging.

Hinter dem Empfangstresen in der Lobby stand ein ältlicher Gentleman mit einem Kneifer auf der Nase. Er trug einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, der dringend nach einem Bügeleisen verlangte. Auf seiner Krawatte waren Soßenflecken.

Sir? Lady?“ 

Ich brauche ein preiswertes Zimmer für die Nacht“, sagte Mrs. Peccato und schaute sich um. „Hast du was auf Lager, Kumpel?“ 

Der Nadelstreifenmann runzelte angesichts der vertraulichen Anrede die Stirn. Bayard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er hatte schon an von Mrs. Peccatos Unterwäsche gesehen, dass sie nicht von Gestern war. Frauen, die solche Höschen trugen, hatten seiner bescheidenen Erfahrung nach Haare auf den Zähnen. Nun, im Licht der Hotelhalle, sah er ihr Gesicht noch besser als im Laternenschein: Das Rouge auf ihren Wangen und das obszön-verlockende Rot ihrer schmalen Lippen hätten am Tag gewiss den örtlichen Frauenverein für Anstand und Sittlichkeit gegen sie aufgebracht. Ja, keine Frage: Mrs. Peccato verbreitete die Schwüle jener Bars, die man vorwiegend in den Großstädten des Ostens fand. Außerdem strahlte sie die Laszivität jener Frauen aus, die ihr Geld verdienten, indem sie entweder auf Tischen tanzten oder sich auf selbigen vernaschen ließen. Er fragte sich, ob sie wirklich verheiratet war oder nur so tat, um vor aufdringlichen Gentlemen sicher zu sein.

Zum Glück hatte der Nadelstreifenmann ein preiswertes Zimmer für sie. Für Bayard, in dessen fransenbesetzter Wildlederjacke fünfhundert Dollar knisterten, hatte er auch ein so genanntes Fürstenzimmer. Es war sündhaft teuer und kostete einen ganzen Dollar pro Nacht.

Ich nehm es.“ Bayard sonnte sich in dem neugierigen Blick, den Mrs. Peccato ihm zuwarf. Geld regierte die Welt, und je mehr ein Mann davon hatte, desto interessanter wurde er für die Frauen. 

Was halten Sie davon, Mr. Bayard “, sagte Mrs. Peccato mit einem schlüpfrigen Lächeln, als sie die Treppe nach oben nahmen, „wenn ich Sie für meine Ungeschicklichkeit entschädige, indem Sie mich noch zu einem kleinen Umtrunk an der Hotelbar einladen?“ 

Ihre Frechheit war liebenswert.

Nichts lieber als das.“ Bayard wuchtete seine Reisetaschen durch die Tür des Fürstenzimmers. „Vielleicht kriegen wir auch noch was zu spachteln?“ 

Dann bis gleich.“ Mrs. Peccato zwinkerte ihm zu, öffnete ihren roten Mund und machte Bewegungen mit der Zunge, die nicht weit davon entfernt waren, obszön zu wirken. 

Bayard betrat schmunzelnd das adrett eingerichtete Zimmer, schloss die Tür und packte seine Sachen aus. Er spülte sich an der Waschschüssel den Staub der Reise vom Leib, zog ein paar frische Sachen an und ging wieder nach unten.

Die Hotelbar war fast leer. Sechs männliche Gäste standen an der Theke und würfelten mit dem Keeper, einem Burschen mit einer gewaltigen Wampe, grässlich pomadisiertem Haar und einer Zahnlücke, die so breit war, dass man eine Havanna in sie rein klemmen konnte.

Bayard genehmigte sich ein Bier und erkundigte sich, ob die Küche noch offen war.

Gewiss doch, Sir.“ Der Keeper reichte ihm die Karte. „Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen?“ 

Bayard nahm an einem gemütlichen Tisch am Fenster Platz und ließ den Blick durch die Bar schweifen. Nicht nur die Umgebung war angenehm: auch die Gäste. Sie wussten sich zu benehmen. Weit und breit war kein Raufbold zu erspähen. Er sah nicht mal jemanden, der sich an der Theke festhalten musste. Nach den drei wilden Jahren in Minneapolis empfand er die hiesige Atmosphäre als sehr entspannend.

Und so wird es in Zukunft immer sein, dachte er, als er allein an seinem Tisch und sein Taschenmesser zückte, um sich die Nägel zu reinigen. Immerhin hatte er eine Art Rendezvous. Da galt es, sauber zu sein.