image

Effektives Stiftungshandeln

Effektives Stiftungshandeln

Strategien und Tipps nicht nur für Krisenzeiten

Dokumentation des Sonderkongresses

„Perspektive 2015 – Stiftungshandeln in schwierigen Zeiten“

vom 23. bis 24. September 2009 in Hildesheim

Herausgegeben vom

Images

Impressum

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Gestaltung und Satz:

© Bundesverband Deutscher Stiftungen,

 

Inhalt

Dr. Wilhelm Krull

Grußwort

Prof. Dr. Hans Fleisch

Stiftungsorganisation in schwierigen Zeiten

Dieter Lehmann

Lehren für die Vermögensanlage aus den letzten Jahren

Prof. Dr. Birgit Weitemeyer

Gemeinnützigkeitsrechtliche Folgen von Vermögensverlusten

Harald Spiegel

Rechnungslegung und Bilanzierung in unsicheren Zeiten

Prof. Dr. Rainer Hüttemann

Aktuelle Haftungsfragen

Dr. Roland Kaehlbrandt

Intelligent fördern in schwierigen Zeiten

Prof. Dr. Hans Fleisch

Hebelwirkungen für das Gemeinwohl

Anhang

Über die Autoren

Über den Bundesverband Deutscher Stiftungen

Grußwort

von Dr. Wilhelm Krull, Vorsitzender des Vorstands, Bundesverband Deutscher Stiftungen, Berlin

In Ihren Händen liegt die Dokumentation eines Sonderkongresses, den der Bundesverband Deutscher Stiftungen vom 23. bis 24. September 2009 an der Universität Hildesheim veranstaltet hat. Die in vielerlei Hinsicht besondere Veranstaltung und ihre Dokumentation gehören zu einer Reihe von Maßnahmen, mit denen der Verband auf die Umstände reagiert, die die aktuelle Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise auch für die Stiftungen hierzulande mit sich bringt.

Im Chinesischen setzt sich der Begriff „Krise“ aus zwei Schriftzeichen zusammen: „Risiko/Gefahr“ und „Gelegenheit/Chance“. Eine Krise ist definitionsgemäß ein Wendepunkt; sie kann immer auch als Chance begriffen werden, wenn die Betroffenen sie zusätzlich zum Anlass nehmen, ihr Denken, Handeln und Wirken kritisch zu überdenken und sich weiterzuentwickeln.

Beiträge zur Weiterentwicklung des Stiftungswesens zu leisten, gehört satzungsgemäß zu unserem Verbandszweck. Darum wollen wir besonders schwierige Zeiten mit ihren Chancen und Risiken so thematisieren, dass sich daraus Entwicklungsperspektiven ergeben.

Die Lage ist ernst, und sie erfordert auch ein verstärktes Bemühen um Kosteneffizienz. Die aktuelle Lage und die notwendigen Folgerungen betreffen nicht nur den Finanz- und Wirtschaftssektor. Ernst-Wolfgang Böckenfördes berühmtes, vielzitiertes Diktum – „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von den Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ – könnte man in Bezug auf die Krise dahingehend umformulieren, dass die nachhaltige Bewältigung der Krise und ihrer Folgen von Voraussetzungen lebt, die nicht allein vom Staat geschaffen werden können. Und das gilt nicht nur im Hinblick auf die hohe staatliche Neuverschuldung. Vielmehr sind gerade auch Stiftungen in der Verantwortung, ihren Beitrag zur Stabilität und Leistungsfähigkeit der demokratischen Gesellschaft zu leisten, der sie ihre heutigen Aktionsmöglichkeiten und überwiegend auch ihre Existenz verdanken. Die Krisen und der Bedeutungsverlust vieler gesellschaftlicher Institutionen sowie die uns bereits seit einiger Zeit begleitenden Veränderungsprozesse (dazu nur einige Stichworte: Wandel zur Wissensgesellschaft, demografische Entwicklung, Klimaveränderungen, Migration und Integration) stellen uns jetzt und in den kommenden Jahren vor zusätzliche Herausforderungen. Dabei besteht die wohl größte Herausforderung für uns alle darin, individuelle Lebensentwürfe, universale Wertvorstellungen und gemeinwohlorientierte Handlungsperspektiven immer wieder aufs Neue miteinander in Einklang zu bringen. Wie verhält sich z.B. für jeden von uns ökonomischer Erfolg zu Werten wie Solidarität und Gerechtigkeit, ganz zu schweigen von scheinbar obsolet gewordenen Tugenden wie Bescheidenheit und Verzicht?

Aus der aktuellen Situation ergibt sich ein Verantwortungszuwachs für die Stiftungen aber just in einem Moment, wo sie selbst besonderen Belastungen ausgesetzt sind, und zwar vor allem finanzieller Natur. Unsere deutsche Stiftungstradition hat ihren Niederschlag auch in den hiesigen rechtlichen Regelungen gefunden. Dazu gehört das in allen Landesstiftungsgesetzen formulierte Substanzerhaltungsgebot. In anderen Ländern bestehen andere rechtliche Rahmenbedingungen, dort gibt es eine solche Tradition nicht. Dieser Unterschied erklärt zum Großteil, dass die aktuelle Situation auf Stiftungen in anderen Ländern auch andere Auswirkungen gehabt hat. Meldungen über Milliardenverluste, wie wir sie von US-amerikanischen Stiftungen erhalten, sind im deutschen Stiftungswesen undenkbar.

Die Ergebnisse unserer Befragung zu den aktuellen finanziellen Veränderungen bei den deutschen Stiftungen stehen noch aus, aber schon heute lässt sich sagen, dass die Situation hierzulande weitaus weniger dramatisch ist als jenseits des Atlantiks.

Gleichwohl, Vermögensverluste und vor allem teilweise gesunkene und – nicht zuletzt auf Grund der Zinsentwicklung – weiter sinkende Vermögenserträge treffen auch viele deutsche Stiftungen und werfen schwierige Fragen auf. Gefragt ist von uns dabei auch der Blick nach vorn und die Identifizierung von neuen Handlungsmöglichkeiten. So bin ich z.B. überzeugt, dass die Krise den Trend zur Kooperation zusätzlich beflügeln wird; und das ist gut so.

Zu den weiteren guten Nachrichten – die nicht nur mit erhöhter Kooperationsbereitschaft zu erklären sind – gehört, dass der Bundesverband Deutscher Stiftungen auch im Jahr 2009 ein erfreuliches Wachstum an Stiftungsmitgliedern verzeichnet – als einziger europäischer Stiftungsverband. Das stärkt das Gewicht, das wir gegenüber Politik und Öffentlichkeit einbringen können. Diese Entwicklung ermöglicht es, die Beratung, die Kompetenz und die Dienstleistungen für unsere Mitglieder weiter auszubauen. Dazu gehört, dass ein strategisch bedeutsamerer Schwerpunkt der kommenden Jahre (neben der Sicherung des mit Politikberatung in den letzten Jahren Erreichten) sein wird, vermehrt zur Effektivität und Stabilität des Stiftungswirkens beizutragen: mit dem Ausbau der juristischen und sonstigen Beratungskapazität, unserer Internetseite und dem Angebot an Print-Publikationen, der Kooperationsdienstleistungen und mit zusätzlichen und zum Teil neuartigen Veranstaltungen.

Stiftungen „investieren“ im Vertrauen auf die Möglichkeit, die erhoffte positive Wirkung für das Gemeinwohl auch tatsächlich erzielen zu können. Die Chancen, die Hebelwirkung von Stiftungen weiter zu vergrößern, sind noch längst nicht ausgereizt. So hoffe ich auch, dass die Zeit, die Sie in die Lektüre der vorliegenden Kongressdokumentation investieren, Ihnen bereichernde Perspektiven aufzeigen kann, und sich dies für Ihr Stiftungswirken auszahlt.

Stiftungsorganisation in schwierigen Zeiten

von Prof. Dr. Hans Fleisch

Beim Sonderkongress in Hildesheim zum Thema „Stiftungshandeln in schwierigen Zeiten“ waren im September 2009 vor allem drei Botschaften zu hören. Erstens: Keine Panik. Zweitens: Die aktuell schwierige Situation ist eine Chance, u.a. weil sie das Suchen nach erhöhter Effizienz und Effektivität und insbesondere nach Hebelwirkungen beflügelt. Drittens: Wer seine „Hausaufgaben“, insbesondere bei der Stiftungsorganisation, gemacht hat, dem kann auch die Krise meist nicht sehr viel anhaben; oder anders ausgedrückt: die aktuell schwierige Lage zeigt Stiftungen in schmerzlicher Deutlichkeit, wenn und wo sie ohnehin notwendige Verbesserungen vor allem in der Stiftungsorganisation bislang versäumt haben.

Die erste der drei Botschaften bezieht sich vor allem auf die Vermögensbewirtschaftung und Haftungsfragen; diese Fragen werden in anderen Beiträgen dieses Bandes behandelt.

Zur zweiten „Botschaft“, die die Wirksamkeit des Förderhandelns betrifft, sei auf den Beitrag zu Hebelwirkungen verwiesen (siehe Seite 64) sowie auf das Kapitel 12 „Sieben Regeln für den Stiftungserfolg“ im StiftungsReport 2007 (Bundesverband Deutscher Stiftungen [Hg.]: Stiftungs-Report 2007. Berlin 2007, S. 160-173).

Mit den folgenden Ausführungen wird die dritte Botschaft thematisiert. Sie geben einige der Anregungen aus dem diesbezüglichen Workshop beim Sonderkongress wieder. Für eine vertiefende Befassung mit der Thematik Stiftungsorganisation gibt es eine reichhaltige Ratgeberliteratur wie z.B. das Buch „Unternehmen Stiftung“ von Michael Göring (Carl Hanser Verlag, München 2009) oder die Ratgeber des Bundesverbandes. Zudem werden hierzu bundesweit zahlreiche spezifische Veranstaltungen, nicht nur vom Bundesverband, sowie Kongresse und Seminare, z.B. der Deutschen StiftungsAkademie, angeboten.

Das wesentliche Resümee aus dem Treffen in Hildesheim zur „Stiftungsorganisation in schwierigen Zeiten“ lautet: Jeder Stiftung, auch der kleineren, tut es gut, wenn sie (1.) zu wesentlichen Handlungsfeldern eine Strategie entwickelt (hat), (2.) über ein Minimum an Regeln und Plänen verfügt und (3.) sich nicht verzettelt.

Das klingt banal und ist es auch. Aber die Konsequenzen sind nicht trivial. Die Berücksichtigung dieser Hinweise würde nicht wenige Stiftungen aller Größenordnungen stark, meist zum Guten, verändern und eben auch krisenfester machen.

1. Die Stiftung als Unternehmung

Eine gemeinnützige Stiftung ist mit einem kleinen oder mittelständischen Dienstleistungs-Unternehmen zu vergleichen. Die Erforschung der Erfolgsfaktoren von kleinen und mittleren Unternehmen der Wirtschaft ist wissenschaftlich ein gründlich beackertes Feld; die Ergebnisse dieser Forschung sollten darum, auch wenn es wesentliche Unterschiede zwischen Stiftungen und Wirtschaftsunternehmen gibt, für den Stiftungserfolg als Anregung genutzt werden.

Erfolg heißt bei einer gemeinnützigen Stiftung: nachhaltiges Erreichen von Gemeinwohlzielen. Natürlich ist auch ein Wachstum des Kapitals und der Einnahmen ein Stiftungserfolg; aber solches Wachstum ist nur Mittel zum eigentlich Zweck der Stiftung. Entsprechendes gilt für ein gutes Medienecho oder anderes, was zum Stiftungserfolg beiträgt. Worauf es aber letztlich ankommt, sind Gemeinwohlwirkungen.

Der Erfolg einer Stiftung hängt wesentlich von vier Faktoren ab: (1.) ihrem „Eigenkapital“, also ihrem Grundstockvermögen, (2.) der (unternehmerischen) Leitung, (3.) der Strategie bzw. den Strategien sowie (4.) der Stiftungsorganisation. Dabei müssen diese verschiedenen Elemente miteinander harmonieren. Wenn einer der vier Faktoren schwächelt, zieht das auch die anderen in Mitleidenschaft. Aber nicht alle Faktoren sind gleich gewichtig.

Am wenigsten gewichtig ist Finanzkraft. Schwache Finanzkraft lässt sich am leichtesten ausgleichen – Kopf schlägt Kapital: Mit guter Leitung, guter Strategie und guter Organisation kann man auch „ohne viel Moos viel los machen“.

Der wichtigste Faktor ist der „Human Factor“, der Faktor Mensch. Hervorragende Köpfe finden eine gute Strategie, bewirken eine gute Organisation, sie finden auch das Geld, das ihnen zunächst fehlt, und sie sind am ehesten in der Lage, eine Krise zu vermeiden oder zu bewältigen. Nachdenken über Stiftungserfolg muss darum nicht nur in Zeiten der Krise vor allem heißen: nachdenken darüber, wie man gute Leute findet und bindet. Alles andere ist zweitrangig. Gerade auf diesem Feld der Personalstrategie ist die deutsche Stiftungswelt in weiten Teilen von erstaunlich geringer „Professionalität“ geprägt. Meist gibt es überhaupt keine Personalstrategie. Bei großen Stiftungen, die viel Geld zur Verfügung haben, ist eine Vernachlässigung des Human Factors bedauerlich und besonders erstaunlich, aber nicht existentiell gefährlich, eben weil ohnehin viel Geld vorhanden ist; damit kann man viel ausgleichen. Mittlere und kleine Stiftungen, gerade auch ehrenamtlich geführte, können sich die Vernachlässigung der Personalstrategie dagegen nicht leisten.

Die genannten strategischen Erfolgsfaktoren sind bereits im Gründungsstadium zu beachten. So muss beispielsweise die Stiftungsorganisation zur Strategie der Stiftung passen; es werden jedoch im Gründungsstadium mit Stiftungsgeschäft und Stiftungssatzung bereits erste wichtige Eckpunkte der künftigen Stiftungsorganisation festgelegt. Auch ist – abhängig von der Frage, ob die Stiftung auf Wachstum durch Fundraising setzt (oder nicht) – unter Umständen bereits im Gründungsstadium zu entscheiden, ob das gesamte „Startgeld“ der Stiftenden ins Grundstockvermögen fließen soll oder ob ein Teil des Geldes nach Gründung mit einer Zuwendung der Gründer für den Start eines professionellen und damit meist teuren Fundraisings zur Verfügung gestellt wird. Bei der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung in Hannover z.B. haben die Stifter – zwei Unternehmer – den zweiten Weg gewählt: 500.000 DM wurden ins Grundstockvermögen gestiftet, weitere 500.000 DM wurden in den ersten fünf Jahren zur Verfügung gestellt als Brennstoff für den Aufbau einer professionell fundraisenden Stiftung; nach fünf Jahren hatte die Stiftung ein Jahresbudget in Höhe des Fünffachen ihres Grundstockvermögens.

Leitbild

Damit die erfolgsrelevanten Elemente einer Stiftung zueinander passen, muss zunächst einmal das Leitbild geklärt werden. Vom Leitbild lässt sich die sachliche Strategie ableiten, davon wiederum die Personalstrategie. Daran anknüpfend kann die Stiftungsorganisation festgelegt und entwickelt werden.

Das Leitbild gibt Antwort auf die Frage nach dem Selbstverständnis der Stiftung, also dem, was sie im Kern ausmacht und anstrebt. Das Leitbild hat die Funktion, der Stiftung übergreifende Orientierung für miteinander harmonierende Strategien, für „Kultur“, Kommunikation und Organisation zu geben. Das Leitbild muss dem Stifterwillen und dem satzungsmäßigen Zweck der Stiftung entsprechen, es kann sich aber im Laufe der Zeit aufgrund von Erfahrungen und veränderten Umständen wandeln. Es ist zu empfehlen, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob das Leitbild aktualisiert werden sollte.

Im US-amerikanischen Raum wird ein solcher Orientierungsrahmen häufig in Form von vier Aussagen gesetzt:

Vision (Beispiel: Die X-Stiftung folgt der Vision einer Welt, in der alle Menschen Zugang zu sauberem Wasser haben.)

Mission (Beispiel: Die X-Stiftung trägt zur Verwirklichung dieser Vision durch Förderung der Erforschung und Verbreitung neuer Technologien der Wasseraufbereitung bei.)

Strategie (Beispiel: Die X-Stiftung konzentriert sich auf den Aufbau von wissenschaftlicher Exzellenz im Bereich Wasseraufbereitung in Afrika sowie die Kommunikation von Forschungsergebnissen.)

Werte (Beispiel: Die X-Stiftung bekennt sich bei ihrem Tun zu den Werten Qualität, Transparenz und Risikofreude.)

Das Leitbild wird in der Regel nicht schon in der Satzung festgelegt. Es können sich aber in der Satzung – neben der Festlegung des Stiftungszwecks – Anhaltspunkte dafür finden, z.B. in einer Präambel. Weitere Hinweise geben alle übrigen Informationen zum Stifterwillen sowie sonstige Weichenstellungen in der Anfangsphase der Stiftung.