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Nr. 90

– Im Auftrag der Menschheit Band 89 –

 

Stadt in der Tiefsee

 

Weltraumdetektiv Baggo Arnvill – ein Einzelgänger bekämpft eine unheimliche Macht

 

von Kurt Mahr

 

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Auf Terra, den Welten des Solaren Imperiums und den Stützpunkten der United Stars Organisation schreibt man Mitte März des Jahres 2842, das voller Gefahren und Überraschungen ist.

Seit dem Verschwinden Lordadmiral Atlans, der bei einem Alleingang entführt wurde und dessen Spur trotz fieberhafter Suche noch nicht entdeckt werden konnte, sind für viele Mitarbeiter der USO und ähnlicher Organisationen des Solaren Imperiums schwere Wochen angebrochen.

Nicht genug damit, dass die Agenten und Spezialisten die Galaxis nach dem verschwundenen Lordadmiral durchforschen – sie haben noch eine zweite Aufgabe zu erfüllen: Sie sollen eine Gefahr bannen, die von dem so genannten »Suddenly-Effekt« ausgeht, einem Phänomen, das die plötzliche Ablagerung riesiger planetarischer Trümmermassen auf anderen Himmelskörpern bewirkt.

Was die Unbekannten, die den Suddenly-Effekt verursachen, dabei für einen Zweck verfolgen, ist den Verantwortlichen der USO bereits klargeworden. Dennoch tappen sie im dunkeln, was den Aufenthaltsort der oder des mysteriösen Unbekannten angeht.

Nur Baggo Arnvill, der ehemalige Detektiv und USO-Spezialist, findet mehr heraus – er entdeckt die STADT IN DER TIEFSEE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Baggo Arnvill – Der ehemalige Privatdetektiv kämpft gegen die Häscher des »Grauen«.

Tregiro – Arnvills siebenjähriger Sohn.

Altyrn Massocka und Organest Schernk – Zwei USO-Spezialisten, die Ihren Kollegen Arnvill im Auge behalten sollen.

Dr. Fritz Reinheimer und Meiden – Arnvills Helfer bei einer Tiefsee-Expedition.

Der »Graue« – Arnvills Gegenspieler.

1.

 

Als Baggo Arnvill das rote, breitflächige Gesicht zum zweiten Mal sah, wusste er, dass der Feind seine Spur gefunden hatte. Er war erfahren in solchen Dingen und besaß einen Instinkt, der ihn befähigte, Gefahren früher als andere zu erkennen. Wenn er in einer ziellos umherirrenden Menge ein Gesicht mehr als einmal in unmittelbarer Nähe bemerkte, dann wusste er, dass es seinem Besitzer darauf ankam, ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

Auf den ersten Blick war es kein unangenehmes Gesicht. Es war das Gesicht eines Durchschnittsbürgers, und die Rötung der Haut wies darauf hin, dass der Mann, dem das Gesicht gehörte, unter Kreislaufbeschwerden litt. Er schien ein Büromensch zu sein, echter Durchschnitt. Aber Baggo Arnvill, wie gesagt, hatte Erfahrung. Die unerbittliche Härte des Blicks, die tödliche Kälte der kleinen, beweglichen Augen verrieten den Rotgesichtigen. Er war kein Büromensch. Er war ein Häscher.

Also hatte der Graue seine Spur gefunden. Baggo Arnvill registrierte es ohne Bedauern. Bedauern war eine Emotion, die er nicht mehr kannte. Hass und Rachsucht hatten sie hinweggefegt. Genauso, wie er in ein paar Minuten den Mann mit dem roten Gesicht hinwegfegen würde. Er sah sich um. Die landende Raumfähre, die auf einem Parkorbit hoch über der Erde die Passagiere des Großraumers HYAS-SETT übernommen hatte, entlud ein Gewirr von mehreren tausend Menschen in die weite, hohe Halle des Empfangsgebäudes, zumeist Touristen von Siedlerwellen, die sich im Getriebe des Raumhafens Terrania City nicht auskannten, verzweifelt nach ihren Reiseleitern suchten und wohl auch der Zusage nicht so recht trauten, dass ihr Gepäck ganz automatisch an die von ihnen bezeichneten Hotels geliefert würde. Einige hatten sich mutig dazu entschlossen, dem hilflosen Gewimmel einfach den Rücken zu kehren, und verließen die Halle. Ihnen schloss Baggo Arnvill sich an.

In seiner kräftigen Hand ruhte die Hand seines Sohnes Tregiro, dem man das geringe Alter von sieben Jahren kaum anmerkte, so weltmännisch gelangweilt ließ er den Trubel ringsum von sich abprallen. Als Arnvill sich dem hohen Portal näherte, das unmittelbar ins Freie führte, hatte er sich umgesehen und dabei zum zweiten Mal das rötliche Gesicht in unmittelbarer Nähe bemerkt. Da wusste er, dass es jetzt zu handeln galt. Er durfte den Rotgesichtigen nicht weit kommen lassen. Je rascher er ihn ausschaltete, desto besser war es für ihn.

Vor dem Empfangsgebäude lag ein weitläufiger Park, in den hier und da Mietwagenhaltestellen eingebaut waren. Jenseits des Portals wandte Baggo Arnvill sich nach rechts. Tregiro folgte ihm willig. Ohne, dass der Vater es ihm hätte erklären müssen, wusste er, dass etwas Wichtiges bevorstand. Er war ein weit über sein Alter hinaus gereifter Junge, ein Produkt des Wirrwarrs von bedrohlichen Eindrücken, die seit dem Tod seiner Mutter und der Abreise von Fee III auf ihn eingestürmt waren. Er wusste, dass das Überleben keine Selbstverständlichkeit war, dass man sich anstrengen musste, um zu überleben.

Seitwärts an das Empfangsgebäude schlossen sich eine Reihe niedriger, schmuckloser Gebäude an, die Büros und Kontore zu enthalten schienen. Eines davon befand sich im Bau oder Umbau. Arnvill eilte an der Vorderseite der Gebäude entlang. Er sah sich nicht um. Er wusste, dass der Rotgesichtige ihm folgte. Zwischen zweien der flachen Bauwerke bog er nach rechts ab. Der Zwischenraum zwischen den beiden benachbarten Gebäuden betrug fünf bis sechs Meter. Arnvill fing an zu rennen. So schnell Tregiro laufen konnte, hetzte er um die Ecke, die zur Rückseite der linken Baracke führte. Erst dort blieb er stehen und blickte vorsichtig um die Gebäudekante. Nach wenigen Sekunden sah er den Verfolger auftauchen. Er blickte in den Zwischenraum zwischen den beiden Baracken. Die Sache schien ihm bedenklich vorzukommen. Erst nach einigem Zögern setzte er sich wieder in Bewegung.

Baggo Arnvill hielt seinen Vorsprung. Als der Rotgesichtige zwischen den Baracken hervorkam, hatte er schon das Gebäude betreten, an dem gebaut wurde. Er stand mit Tregiro in einem weiten, kahlen Raum und beobachtete den Verfolger durch eine leere Fensterhöhle. Der Mann mit dem roten Gesicht war offenbar verwirrt. Er wusste nicht, wohin sein Opfer sich gewandt hatte. Er sah sich um. Bisher war noch nirgendwo in der Nähe ein Mensch zu sehen gewesen. Vielleicht wurde hier heute nicht gearbeitet. Auf jeden Fall schien der Rotgesichtige ziemlich sicher zu sein, dass er nicht beobachtet wurde. Er zog den kleinen, handlichen Blaster aus der Tasche und machte ihn schussbereit.

Dann begann er mit der Suche. Er untersuchte eine Tür nach der anderen, fand sie allesamt verriegelt und näherte sich allmählich der Baracke, in der Arnvill wartete. Mittlerweile musste er den Eindruck gewonnen haben, dass es seinem Opfer um nichts anderes ging, als ihn von sich abzuschütteln. Die Zeit drängte daher. Wenn er bei der Suche zu lange brauchte, war Arnvill längst über alle Berge.

Er musterte die im Bau befindliche Baracke von außen. Er blickte durch die Fensterhöhle herein, durch die Arnvill ihn noch vor wenigen Augenblicken beobachtet hatte. Mittlerweile jedoch hatte Arnvill sich und seinen Sohn in einer dunklen Ecke versteckt. Der Rotgesichtige wandte sich ab und betrat durch eine leere Türöffnung das Innere des Gebäudes. Darauf hatte Arnvill gewartet. Er gab Tregiro durch einen Druck auf die Schulter zu verstehen, dass er sich nicht rühren solle. Dann huschte er seitwärts an der Wand entlang, bis er schräg hinter den Rotgesichtigen zu stehen kam, der den weiten, öden Raum aufmerksam musterte.

»Lass die Waffe fallen!«, sagte Arnvill.

Der Rotgesichtige hatte sich in der Gewalt. Er zuckte nicht einmal. Zögernd öffnete sich die rechte Hand. Der kleine Blaster fiel klappernd zu Boden.

»Jetzt dreh dich langsam um!«, befahl Arnvill.

Auch dieser Befehl wurde befolgt. Scheinbar unbewegt musterte der Mann mit dem roten Gesicht den Gejagten, aus dem so unerwartet ein Jäger geworden war.

»Grüß mir den Grauen, wenn du ihn in der Hölle triffst!«, sagte Arnvill mit eisiger Stimme und hob die eigene Waffe.

Entsetzen stand plötzlich im Gesicht des Häschers. Er griff mit der Rechten in die Brusttasche und schrie:

»Nein, nicht ...! Ich ...«

»So seid ihr alle«, schnitt Arnvill ihm verächtlich das Wort ab: »Hart im Geben, und weich im Nehmen!«

Er drückte auf den Auslöser. Die fauchende Entladung des Strahlers fällte den Agenten, noch bevor dieser den kleinen Nadler völlig gezogen hatte. Ohne den Toten auch nur mit einem Blick zu beachten, kehrte Arnvill dorthin zurück, wo er Tregiro in Deckung gebracht hatte. Er nahm ihn bei der Hand und verließ die Baracke. Zwei Minuten später saßen sie beide in einem Mietwagen und waren auf dem Weg in die Stadt.

 

*

 

Für einen Oberst wirkte der Mann erstaunlich jung. Jedes Mal, wenn er sprach, lächelte er. Die breitflächigen Pockennarben gaben seinem Gesicht eher eine zusätzliche Nuance der Männlichkeit, als dass sie es verunzierten.

Ronald Tekener, Oberst der USO, und in diesen Tagen der Verwirrung Stellvertreter des Lordadmirals, von dem niemand wusste, wo er verschollen war und ob er überhaupt noch lebte.

»Ich habe Sie rufen lassen«, lächelte Tekener, »um Ihrer neuen Auftrag mit Ihnen durchzusprechen. Die Einzelheiten erfahren Sie selbstverständlich durch Psi-Schulung. Ich will hier nur die Grundzüge umreißen.«

Die Männer, denen diese Worte galten, konnten gegensätzlicher kaum gedacht werden. Altyrn Massocka, Major der USO, war der typische Bärbeißer, mit mürrischem, hartem Gesicht, starkknochigem Körperbau und einem verkrüppelten rechten Ohrläppchen. Gegen ihn wirkte Organest Schernk, Leutnant der USO, ausgesprochen geziert. Er war mittelgroß, schlank und trug sein glattes Haar sorgfältig gepflegt.

»Zunächst die Hintergründe«, fuhr Tekener fort. »Sie haben von dem Suddenly- und dem Redbone-Effekt gehört. Sie sind komplementär. Beim Redbone-Effekt werden der Substanz eines Planeten gewaltige Fels- und Bodenmassen entrissen. Das geschieht mit Hilfe eines Situationstransmitters, der unmittelbar auf die Oberfläche des Planeten gelegt wird. Am anderen Ende der Transmitterstrecke rematerialisiert das Gestein, gewöhnlich auf der Oberfläche eines erdähnlichen Planeten. Wir haben Anlass zu glauben, dass dieser letztere Effekt, der Suddenly-Effekt, unbeabsichtigt ist. Aber das tut nichts zur Sache. Es ist hier eine unbekannte Macht am Werke, die ein bestimmtes Ziel dabei verfolgt, wenn sie Billionen und Trillionen Tonnen von planetarischem Urgestein durch ihre Transmitter jagt.

Wir glauben, dieses Ziel zu kennen. Vor fünfzigtausend Jahren, als der milchstraßenweite Krieg zwischen den Lemurern und den Halutern tobte, schützten die Lemurer einige ihrer wichtigsten Welten, indem sie die Substanz der Planeten mit Psi-Materie sozusagen impften. Ich will hier nicht darauf eingehen, was Psi-Materie ist. Es gibt Leute, die behaupten, Psi-Materie sei der Stoff, aus dem die Seele des Menschen gefertigt ist. Ich weiß nicht, ob man das so formulieren kann, aber es gibt da sicherlich einen Zusammenhang. Psi-Materie, in der Kruste eines Planeten verborgen, erzeugt in der Umgebung des Himmelskörpers einen psionischen Strahlungsgürtel, der in diesem speziellen Fall halutische Angreifer völlig apathisch machte und ihnen den Angriffswillen raubte.

Es gab viele dieser ›geimpften‹ Planeten. Wir nennen sie Psi-Bastionen oder Psibas. Sie blieben infolge der psionischen Strahlungsgürtel von den Halutern verschont. Die Einschlüsse an Psi-Materie befinden sich auch heute noch in den Krusten dieser Planeten, jedoch ist ihre Wirkung im Laufe der Jahrtausende schwächer geworden und heute kaum mehr nachzuweisen. Immerhin gibt es einen Unbekannten, der sich für die alte Psi-Materie interessiert. Es muss angenommen werden, dass er damit finstere Pläne verfolgt, aber vorläufig wissen wir noch nicht, worauf sie abzielen. Er hat eine Methode entwickelt, die mit dem Gestein der Planetenkruste vermischte Psi-Materie zu isolieren, abzusondern und zu extrahieren. Wir kennen auch diese Methode nicht; aber wir wissen, dass zu diesem Zweck das Gestein durch einen Situationstransmitter geschickt werden muss. Im Augenblick des Durchtritts durch das Transmitterfeld wird die Psi-Materie extrahiert. Der Unbekannte scheint ursprünglich beabsichtigt zu haben, dass das tote Gestein, also die von der Psi-Materie befreiten Felsmassen, nach dem Durchgang durch den Transmitter im Hyperraum verbleiben und niemals wieder zum Vorschein kommen wird. Dabei hat es jedoch anscheinend eine Panne gegeben. Die Felsmassen rematerialisieren im Normalraum, und zwar vorzugsweise auf erdähnlichen Sauerstoffwelten.«

Er musterte die beiden Offiziere lächelnd.

»Sie fragen sich, was das alles mit Ihrem Auftrag zu tun hat, nicht wahr? Nur Geduld! Wir werden schon noch zur Sache kommen. Also – ein Mann, der bis zum Jahre dreiunddreißig, als er in der Versenkung verschwand, als USO-Spezialist arbeitete, glaubt zu wissen, um wen es sich bei dem geheimnisvollen Unbekannten handelt. Er kennt seine Identität nicht – und weiß auch nicht, wo er sich aufhält. Aber er weiß, wie er von seinen Leuten genannt wird: der Graue.

Dieser Graue ist im Besitz einer höchst wichtigen Information. Er kennt die Lage vieler lemurischer Psibas. Er bezieht diese Kenntnis aus einem alten lemurischen Kunstwerk, das man allgemein den Kriegskalender nennt. Allerdings besitzt er nur ein Bruchstück dieses Kalenders. Andere Bruchstücke befinden sich, wenn sie überhaupt noch vorhanden sind, wahrscheinlich in einer der unterseeischen Städte der Lemurer, die vor kurzem in der Gegend des pazifischen Ozeans entdeckt wurden. Das Kalenderbruchstück, das sich im Besitz des Grauen befindet, wurde vor neun Jahren aus einem irdischen Museum gestohlen. Ich bin sicher, dass der Graue sich aktiv damit befasst, weitere Kalenderbruchstücke in die Hände zu bekommen. Je mehr Psibas er kennt, desto mehr Psi-Materie kann er einsammeln.

Diese Erkenntnis macht sich der Mann zunutze, von dem ich vorhin sprach. Baggo Arnvill, trotz seines neunjährigen Verschwindens nach wie vor Mitglied unserer Organisation, ist dem Grauen auf der Spur. Dabei spielt eine Rolle, dass Arnvill schon vor neun Jahren mit den Leuten des Grauen aneinandergeriet. Der Graue verfolgte ihn und sorgte schließlich dafür, dass Arnvills Frau ermordet und sein siebenjähriger Junge entführt wurde. Den Jungen hat Arnvill inzwischen zurück; aber den Tod seiner Frau kann er nicht verwinden. Er sucht nach dem Grauen nicht in erster Linie aus Pflichtbewusstsein, sondern aus Rachsucht. Er stand vor kurzer Zeit hier vor mir. Er bat um Urlaub. Ich gewährte ihn. Jetzt jedoch kommt mir meine Entscheidung nicht mehr so sonderlich klug vor. Ich fürchte, dass Arnvill sich in Dinge einlassen wird, denen er alleine nicht gewachsen ist. Dabei steht zu erwarten, dass der Graue zu erhöhter Vorsicht veranlasst und daher auch für uns schwerer zu schnappen sein wird. Darauf zu achten, dass es nicht soweit kommt, ist Ihre Aufgabe, meine Herren.«

Er schwieg. Auch Major Massocka schwieg. Er hielt nicht viel vom Reden. Leutnant Schernk jedoch hatte tausend Fragen. Die Neugierde ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

»Wenn Sie gestatten, Sir«, sagte er mit gezierter, nasaler Stimme, die der Eitelkeit seiner äußeren Erscheinung durchaus entsprach, »möchte ich einige Fragen stellen.«

»Fragen Sie immer zu!«, lächelte Tekener.

»Dieser Mann Arnvill, Sir – wie beabsichtigt er, sich an den Grauen heranzumachen?«

»Darüber hat Arnvill mich nicht im einzelnen aufgeklärt«, antwortete der Oberst. »Bedenken Sie, dass er sich auf Urlaub befindet und nicht im Dienst. Er ist mir also keine Erklärungen schuldig. Immerhin entnahm ich einigen Andeutungen, dass er beabsichtigt, die Gruppe der lemurischen Städte, die unter der Oberfläche des Pazifiks entdeckt wurden und in der man das einzige bisher bekannte Bruchstück des Kriegskalenders fand, mit einer kleinen Expedition zu durchsuchen. Er hofft, dabei weitere Bruchstücke des Kalenders zu finden und den Grauen für seinen Fund zu interessieren.«

»Wir wären also darauf angewiesen, Sir«, meinte Leutnant Schernk, »uns ebenfalls in die Tiefsee zu begeben, um Arnvill nicht aus den Augen zu verlieren.«

»Das ist richtig. Allerdings haben Sie dabei keine großen Schwierigkeiten zu erwarten. Noch heute geht ohnehin eine Gruppe von rund dreihundert Mann als Sonderkommando zur Erde. Nicht nur der Graue, auch die USO ist an weiteren Kalenderbruchstücken interessiert. Das Kommando wird die Fundstelle durchsuchen. Sie haben also stets einen Rückhalt, wenn es auch geraten erscheint, dass Sie Ihre Verbindung mit der USO möglichst geheim halten.«

»Verstanden, Sir.«

Wenige Minuten später befanden sich Massocka und Schernk in einem der vielen Schulungsräume von Quinto-Center und verleibten auf hypnotischem Wege weitere Detailkenntnisse der Sachlage ihrem Bewusstsein ein.

 

*

 

Baggo Arnvill und sein Sohn Tregiro verbrachten vierundzwanzig Stunden in einem zweitklassigen Hotel der Hauptstadt des Solaren Imperiums. Das Auftauchen des Rotgesichtigen hatte Arnvill zunächst einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Graue seine Spur so rasch finden würde.

Bei seinen weiteren Überlegungen musste er davon ausgehen, dass der Mann, den er draußen am Raumhafen erschossen hatte, nicht alleine gewesen sein konnte. Der Graue war kein Anfänger. Wenn er jemand beschatten ließ, dann tat er es mit einer ganzen Gruppe von Agenten – ganz einfach schon deswegen, weil auf diese Weise die Häscher sich gegenseitig ablösen konnten und es dadurch vermieden wurde, dass ein bestimmter Mann sich dauernd in der Nähe des Verfolgten aufhielt und diesem nach kurzer Zeit auffallen musste.

Baggo Arnvill rechnete damit, dass er auch in diesem Augenblick noch unter Beobachtung stand. Bevor er seinen nächsten Schritt tat, würde er die Verfolger abschütteln müssen. Denn sein nächster Schritt war, Tregiro in Sicherheit zu bringen, so dass er selbst Handlungsfreiheit erhielt. Und dabei konnte er keine Zeugen brauchen.

Mit zärtlichem Blick bedachte er den Siebenjährigen, der halb in den Falten des Viskosebetts verschwunden war und fest schlief. Seitdem er seine Frau Amjana verloren hatte, war Tregiro sein ein und alles. Noch wichtiger als die Rache an dem Grauen, auf dessen Konto Amjanas Tod ging, war Tregiros Sicherheit.

Baggo Arnvill trat vor den Spiegel, der den größten Teil der einen Seitenwand einnahm, und betrachtete sich nachdenklich. Er tat das in letzter Zeit des Öfteren und glaubte, von Mal zu Mal die Konturen eines neuen Wesens sich entwickeln zu sehen. Vor neun Jahren hatte er als Frauenheld gegolten. Er sprach gespreizt, fuhr teure Wagen und trug sich nach der neuesten Mode. Nur ein Teil davon, bekannte er sich selbst gegenüber, war Maske gewesen; der Rest war er selbst. Er hatte ein weiches – um nicht zu sagen: verweichlichtes – Gesicht, und er war fett geworden. Damals betrieb er auf der Erde eine Detektei, die ihm einen Deckmantel für seine Tätigkeit als Spezialist der USO bot. Mit den Kenntnissen, die die USO und die auf dem Asteroiden Satisfy beheimatete »Unabhängige Hilfsinstitution für Bedrängte« ihm verschafften, war es ihm gelungen, manchen Fall zu knacken, an dem sich erfahrenere Detektive die Zähne ausgebissen hatten. Als Gegenleistung übermittelte er die Informationen, die er im Verlaufe der Lösung seiner vielen Kriminalfälle sammelte, an die Datenbanken der USO. Er hatte ein flottes Leben geführt – damals, vor neun Jahren.