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GEO

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Gruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus,

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Atommüll

Wohin damit?

Seit mehr als 50 Jahren türmt sich Abfall aus Atomkraftwerken zum gefährlichsten Müllberg der Welt. Aber das für alle Zeiten sichere Endlager ist weit und breit nicht in Sicht. Ein GEO-Report zum Stand der Suche, der Aktionen, Visionen und Illusionen

von Jörn Auf dem Kampe und Jürgen Bischoff

Aschfahl steht die Sommergerste auf den Hügeln von Lothringen, es streicht ein kalter Wind über die Äcker im Nordosten Frankreichs. Inmitten der Felder das Dorf Houdelaincourt, einsam wie eine Hallig: graue Häuser, 372 Seelen. Drei Straßen, eine Tankstelle, ein Metzgerladen, derzeit verwaist.

Robert Fernbach, im elften Amtsjahr Bürgermeister von Houdelaincourt, blickt von einer Anhöhe auf sein Dorf hinab und sieht lauter Verheißungen: „Am Kanal könnten wir den Hafen und den Bahnhof bauen“, sagt er. „Und dort die Schienen legen.“ Atommüll soll über sie rollen.

In jeder Woche zehn Waggons, unter anderem mit Abfall der höchsten Gefahrenstufe, in Glas und Metall eingeschlossen. Es ist der Schrott, der in den heute 58 französischen Meilern angefallen ist und weiter anfällt. Einfahren soll er in ein Grab, das Pariser Regierung und Stromkonzerne ins Tongestein des Departements Meuse schlagen wollen, knapp 200 Kilometer von Freiburg entfernt. 2025 soll die Untertagehalde betriebsbereit sein. Der Abraum aus der Tiefe wird mehr als ein Jahrzehnt lang Schiffsbäuche füllen.

Frankreich will Stauraum für die Ewigkeit. Und Houdelaincourts Bürgermeister freut sich. Mehr Jobs, mehr Köpfe, mehr Steuern. Alles denkbar, sagt Fernbach. Schon sind die ersten Wohltaten zu besichtigen, etwa im Örtchen Bure. Die Stromkonzerne des Landes haben dort Laternen finanziert, um die Gassen des 94-Einwohner-Dorfs zu erleuchten. Auf einem Hügel erhebt sich nun das Gemeindehaus „Bellevue“. Einem Raumschiff gleich, mit Panoramablick über die Wiesen und mit Ledergestühl. Und in Fernbachs Rathaus hat das Geld geholfen, das gesamte Interieur zu verjüngen.

Reicht das, um sich für ein Endlager mit tödlichen Hinterlassenschaften kaufen zu lassen? Robert Fernbach, 63, Elsässer, ehemaliger Soldat, Haarkranz und Bart exakt gestutzt, hat diese Frage schon oft gehört. Und antwortet mit ein wenig Druck in der Stimme: „Bei Gemeinden, in denen ein Atomkraftwerk gebaut wird, fragt sich niemand, ob Geld im Spiel ist. Natürlich geht es auch darum.“

Und um Strategie. Ursprünglich schrieb ein Gesetz vor, dass in Frankreich mehrere Standorte auf Tauglichkeit für ein atomares Endlager untersucht werden müssen, doch es gab Widerstand. Nur im Departement Meuse waren 18 der 19 betroffenen Gemeinden dafür. Daraufhin trieb die Agentur für die Verwaltung radioaktiven Abfalls, ANDRA, Erkundungsstollen für ein Forschungslabor in den Ton. Und die Regierung in Paris änderte das Atomgesetz: Ein einziges Labor soll nun genügen. In La Meuse. Die Gegend ist politisch geeignet: arm an Bevölkerung und Bedeutung. Ihre Bewohner gelten als obrigkeitshörig und desinteressiert.