TINO HEMMANN

DER RAT DER

PLANETEN

II. BUCH

INVASION DER ROBOMUTANTEN

Science-Fiction

Engelsdorfer Verlag

2016

Copyright (2016)

Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte bei Tino Hemmann

Titelgestaltung: Tino Hemmann

unter Zuhilfenahme folgender Lizenzen:

Roboter © Andreas Meyer - Fotolia.com

Mann © Spectral-Design - Fotolia.com

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

www.rat-der-planeten.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Was bisher geschah

Ein Planet namens Erde

Das Ende der Schonzeit

Rückkehr nach Fees

Die Macht der Zwillinge

Universus

Die Höhlen der Löwen

Siege und Niederlagen

Invasionen

Aufrüstung

Die Lebenden und die Toten

Begriffe und Namen in alphabetischer Reihenfolge

Weitere Bücher

Was bisher geschah

»Fünfeinhalb Irre im All« ist der Titel des ersten Bandes aus dem dreiteiligen intergalaxialen Zyklus.

»DER RAT DER PLANETEN«.

Der zwölfjährige Junge, Adam, sieht fremde Gestalten und redet mit ihnen. Eine ist Kaiserin Amelia, die oberste Führerin der Feesen und Herrscherin über das Reich Altoria im Dritten Distrikt des Universums. Eine zweite ist Gladiola, das achtjährige Mädchen mit seidener grüner Haut, das auf dem Wasserplaneten Aurus lebt. Durch Kaiserin Amelia erfährt Adam von einer brisanten Entdeckung seines Bruders Josef Müllermann – dem 26jährigen Mathematiker einer Universität auf dem Heimatplaneten Adams, katalogisiert unter FV1. Müllermann entdeckt ein gewaltiges fremdes Raumschiff, das sich auf dem Weg zu FV1 eine Schneise durch die Galaxis schießt. Gemeinsam, mit dem Kandaren Komsomolzev, dem Chef der Weltraumforschung Samuel Simon, der wunderschönen Biologin Sonja Esther und deren Freund, dem Techniker Emmanuel Tämmler, klauen sie ein zu einem planmäßigen Start bereitstehendes Sternstraßenschiff und verstecken sich hinter dem Mond, um die Fremden beobachten zu können, ohne dabei selbst in Gefahr zu geraten.

Adam ist als blinder Passagier an Bord, wird jedoch schon bald von der Überwachung gefunden und beweist seine unglaubliche Intelligenz. Er freundet sich mit dem schiffseigenen Roboter Kozabim an. Der fremde Koloss ist der Ikonische Kampfkreuzer IKK 8, bewaffnet mit einem Zivilisationszerstörer, der kurz darauf jedwedes Leben auf VF1 auslöscht. Da das Schiff der Ikonier extrem hohe Geschwindigkeiten fliegen kann, kommt man Adams Vorschlag nach, das Sternenstraßenschiff huckepack auf den Kampfkreuzer zu binden und startet mit diesem in die Weiten des Universums.

Zunächst werden Adam und Kozabim über einen ikonischen Molekulartransporter ins Innere des Kampfkreuzers expediert und eingesperrt. Der Junge erhält als Aufsichtspersonen das Thronario Sirena, einen fliegenden, UFO-förmigen Roboter, den er schon bald für seine Zwecke umprogrammiert, und einen kybernetischen Lecoh-Legionär, ein dem Menschen nachempfundener künstlicher Krieger der Ikonischen Armee, den er mit einem Letonator – einer Waffe der Lecoh-Legionäre – zerlegt. Im Abstellraum des Kampfkreuzers entdeckt Adam den Gegenstand einer ihm fremden, von den Ikoniern zerstörten, menschlichen Zivilisation. Was anfangs wie ein Kinderspielzeug aussieht, erweist sich schon bald als unentbehrliche Waffe im Nahkampf. Adam besitzt nun ein Plasmakatapult, eine kleine Schleuder, durch die sich mittels eines Spanndrahtes und je nach Stärke der Berührung eines Auslösers, kleine oder gewaltige Plasmakugeln verschießen lassen. Während sich der Junge befreit und den Raumkreuzer der Ikonier mit dem Plasmakatapult demoliert, versucht Kaiserin Amelia aus dem Dritten Distrikt des Universums Adam zu finden, der von seinen besonderen Fähigkeiten noch nichts ahnt und für den Herrscher der Ikonier – Admiral Alyta – von höchstem Interesse ist. Die Ikonier haben längst den Rat der Planeten unterwandert. Die Ikonier fühlen sich zum Krieg gegen die Menschen um die Vorherrschaft in den drei Distrikten legitimiert, und eine ganze Armada von Kampfkreuzern greift Fees an, einen Doppelplaneten der Menschen.

Adam besitzt die synusischen Fähigkeiten, so wie auch Gladiola, Prinz Sinep – der Sohn der Kaiserin, die Kaiserin selbst und Admiral Alyta über die besonderen Eigenschaften verfügen, die den vom Synus überwachten Korridor zum Ersten Distrikt freigeben können. Alytas und Sineps Kräfte sind jedoch sehr schwach. Daher muss der Admiral über Adam verfügen. Er zwingt den Jungen auf seiner Seite zu stehen, doch Adam denkt nicht daran. Alyta tötet Adams Bruder Josef und Adam schwört Rache. Er spürt den Admiral in dessen Versteck auf, doch der entkommt, nachdem er Adam das linke Bein zerschießt, das sofort durch ein künstliches Bein ersetzt wird.

Der gemeingefährliche Alyta entfesselt einen Krieg zwischen Ikoniern und Menschen, den die Menschen unter Adams Führung fast für sich entscheiden können. Doch Kaiserin Amelia wird heimtückisch ermordet und Sinep von Admiral Alyta entführt. Als der neue Kaiser Adam vor die Abgeordneten des Rates der Planeten tritt, um sie von Alytas rücksichtsloser Expansionslust zu unterrichten, erscheint das Abbild des Admirals, der den Rat durch geschicktes Lügen davon überzeugen kann, dass Adam und die Menschen die Drahtzieher der galaxialen Kriege sind. Plötzlich taucht eine gewaltige Armee auf und zerstört die feesischen Raumschiffstaffeln der Menschen. In höchster Not flüchtet Adam – unterstützt durch Heeroo, einem der Ritter des Groo – von der Station POOR, die den Rat beherbergt.

Die Feesen überlassen Adam das Raumschiff LORIAN. Gemeinsam mit Gladiola, der ursprünglichen Besatzung des Sternenstraßenschiffs und den künstlichen Mitstreitern Heeroo, Sirena und Kozabim tritt Adam die Flucht in den Ersten Distrikt an, um neue Kraft zu schöpfen. Nur durch diese Maßnahme kann Admiral Alyta daran gehindert werden, in diesen bislang unberührten Distrikt einzufallen!

Ganz in der Nähe des Übergangs vom Dritten in den Ersten Distrikt dreht der todgeglaubte Planet FV1 seine Kreise.

Adams synusisches Abbild wird während des Vorbeiflugs von seinem ehemaligen Heimatplaneten angezogen. Dort entdeckt er Prinz Sinep, der als Alytas Gefangener apathisch dahinvegetiert. Auf FV1 sind gewaltige militärisch-industrielle Komplexe entstanden, in denen Admiral Alytas neue Armee produziert wird. Das zu verhindern war dem Jungen unmöglich …

Ein Planet namens Erde

Es war still auf der LORIAN, dem Schiff der Feesen, das sie Adam und Gladiola überließen, um vor den Ikoniern flüchten zu können. An Bord war fast die komplette Mannschaft, die – wie es allen schien, vor Ewigkeiten vom Heimatplaneten FV1 in einem geklauten Raumschiff den Weg in die unendlichen Weiten des Weltalls antrat. Samuel Simon, der 54jährige Kapitän, fast weißhaarig, einst Chef der Weltraumforschung an seiner Universität; Juri Komsomolzev, 33jähriger Kandare, groß, kräftig, stark, schwarze Haare, für die Navigation zuständig und stets die falschen Worte im Mund; Sonja Esther, 19, deren schöne Gestalt die Männermünder sabbern ließ, eine dunkelhaarige, rassige Biologin und Ärztin; ihr Freund Emmanuel Tämmler – genannt Emma – 27jährig, braun, korpulent und für die Technik zuständig. An Bord waren weiterhin Kozabim, ein Roboter von FV1 – ein kybernetisches Objekt zur allgemeinen Betreuung interstellarer Missionen, Herstellungsbezeichnung 2022 K3, dritte Generation, Datenspeicher 850 Terrabyte, Reaktionsgeschwindigkeit eine Nanosekunde und mit 360 Grad Blickwinkel. Mit ihm in Symbiose existierte das einst feindliche, von Ikoniern gebaute und von Adam umprogrammierte, feminin erscheinende Thronario Sirena, das im ständigen verbalen Konflikt mit dem Thronario Heeroo stand, dem Chef der Ritter des Groo, deren einzige Aufgabe es war, das Leben der kaiserlichen Familie zu schützen. Ebenfalls an Bord war die Erinnerung – jene an Adams älteren Bruder Josef Müllermann, einem hochintelligenten Mathematiker und Ingenieur, der im Alter von 26 Jahren von Admiral Alyta ermordet wurde.

In der Kommandozentrale saßen Adam – 12jährig, mit dunklen wuchernden Haaren – und Gladiola, das achtjährige, grünhäutige Mädchen vom Planeten Aurus nebeneinander, denn beide verband eine Eigenschaft, die es dem Schiff möglich machen sollte, den Distriktübergang vom Dritten zum Ersten Distrikt zu schaffen, um sich endlich vor den Ikoniern und vor allem vor Admiral Alyta in Sicherheit zu bringen: Die synusischen Fähigkeiten!

»Die Situation merkwürdig sich entwickelt«, stellte Komsomolzev fest.

»Was ist merkwürdig, Juri?«, fragte Adam.

»Die Systeme normal sie laufen …«, erklärte der Kandare.

»Aber?«

»Deutlich reduziert wird unsere Geschwindigkeit.«

Knirschende Geräusche krochen über die Haut des Raumschiffs. Auf dem Hauptmonitor der Kommandozentrale war lediglich ein schwarzer, dunkler Brei zu sehen.

Adam schloss die Augen und konzentrierte sich. Allmählich entfernte sich das Abbild seiner selbst aus seinem Körper, durchquerte eine dunkle Substanz und gewahrte schließlich einen leuchtenden Schein im Zentrum einer gallertartigen, glänzenden Masse. Nur ein Hauch der Zeit verging, dann flog der Junge über weißem Nebel, während eine weibliche, durchsichtige Gestalt auf ihn zuschwebte.

»Adam? Du bist hier?«, fragte die Frau, deren schwarze Haarspitzen im Bodennebel eintauchten.

Unsicher ruderte Adam mit den Armen.

»Amelia? … Kaiserin … Mutter?«

Gladiolas Abbild näherte sich zögernd.

»Sie ist hier?«, flüsterte das Mädchen.

»Hast du davon nichts gewusst, Gladiola? Ich bin ein Teil des Synus’. Und der Synus ist ein Teil von mir. Ich bin froh, dass ich euch noch einmal sehen darf.«

»Wie ist das, im Synus?«, flüsterte Adam.

»Der Synus ist eine neue Erfahrung, mein Junge. Es gibt keine körperlichen Belange, keine Gefühle, weder Liebe noch Schmerz. Es gibt nur das Wissen und das Wissen über die Vollkommenheit.«

»Willst du etwa die Existenz ohne Liebe und Schmerz als vollkommen bezeichnen?« Provozierend blickte Adam die Kaiserin an.

Sie antwortete nicht auf die Frage. »Sag, wie ergeht es meinem Sohn Prinz Sinep?«, fragte sie stattdessen.

Der Junge druckste herum. »Er … ich …«

»Möchtest du die Wahrheit wissen?«, half Gladiola nach. »Admiral Alyta, dein früherer Mann, er hat Sinep auf FV1 verschleppt. Was auch immer er dort mit ihm angestellt hat, dein Junge reagiert nicht mehr auf unsere Anwesenheit. Alyta hat eine gewaltige Armee geschaffen. Und er wird sie an jedem Tag vergrößern. Er hat dem Rat der Planeten unzählige Lügen aufgetischt, sodass die Abgeordneten Adam und Heeroo lynchen wollten! Er verbreitet großen Hass gegen die Feesen und alle Menschen. Wir wurden gezwungen, in den Ersten Distrikt zu flüchten. Das, liebe Kaiserin, ist die Wahrheit.«

»Sinep ist bei ihm?«

Adam nickte. »Wir sind noch zu schwach, als dass wir etwas ausrichten könnten. Doch hoffen wir, dass es uns im Ersten Distrikt gelingt, neue Kräfte zu finden.«

»Ich kann euch nicht helfen … Ich …« Die Kaiserin wollte Adam berühren, doch ihre Hand durchstieß sein Abbild ohne Kontakt.

»Der Synus mag eine großartige Evolutionsstufe der Menschen sein«, sagte Adam, »doch vollkommen ist er keineswegs. – Dürfen wir den Übergang passieren?«

Das Aussehen der Kaiserin nahm eine andere Gestalt an, deren Gesicht sich unablässig änderte. Ein jedes der Gesichter raunte Worte, die schlussendlich die Meinung des Synus’ als Ganzes wiedergaben:

»Die LORIAN …«

»… darf weiterreisen.«

»… sie darf.«

»Das Ziel …«

»… kennt der Monotyp …«

»Adam geleitet die Menschen …«

»… in den Ersten Distrikt.«

Mit dem letzten Wort verlor sich das Leuchten. Adam und Gladiola öffneten gleichzeitig ihre Augen und fühlten sich von den anderen Besatzungsmitgliedern angestarrt.

Nur Heeroo, der schwebende Chef der Groo-Ritter, behielt die Übersicht. Wie ein UFO flog er von einem Bedienpult zum nächsten und erfasste die Daten. »Die Geschwindigkeit nimmt zu. Wir bewegen uns in den Übergang. Es wird zu heftigen Turbulenzen kommen. Die Besatzung sollte gesichert werden!«

Augenblicklich stürzte jeder zu einem Sitz der Zentrale. Über die Bediensensoren der Sessel schlossen sich die Gurte. Kozabim, der Roboter, fuhr seine Greifer aus und nahm eine merkwürdige Stellung ein, sodass er nicht umstürzen konnte.

Gerade zwei Sekunden lang wurde das Raumschiff ein wenig geschüttelt.

»War’s das schon?« Adam blickte in die Runde. Auf dem Hauptmonitor waren Sterne und Galaxien zu sehen.

»Wir haben den Übergang verlassen. Wir sind im Ersten Distrikt des Universums.« Fast schwang etwas Jubel in den Worten des kybernetischen Objekts Heeroo mit. »Wir müssen unseren Kurs eingeben.«

Adam und Komsomolzev erhoben sich gleichzeitig.

»Wohin wir wollen, nicht sicher ich bin«, gab der Kandare von sich.

»Woher solltest du das auch wissen, Juri.« Samuel Simon, der Kapitän, erhob sich ebenfalls. »Wir sind in einer neuen Welt. Vor uns war erst ein einziges Raumschiff in diesem Distrikt.«

Der kräftige Navigator stemmte die Hände in die Seiten. »Wohin aber wir wollen? Ein Wille sein muss, wenn eine Straße da.«

»Du quatschst wieder einen Scheiß zusammen«, Emmanuel Tämmler schüttelte sein junges Haupt, »da verbiegen sich ja die Balken.«

»Er meint doch nur: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, Emma. Denk doch mal mit!« Sonja Esther lächelte und fasste dem Techniker um die Hüfte. »Außerdem weiß Juri nicht, was du mit den verbogenen Balken meinst.«

»Warum sich biegen die Balken?«, wollte Komsomolzev wissen.

»Sag ich doch.« Die Biologin schmunzelte das Mädchen Gladiola an. »Ach, diese Kerle …«

»Adam weiß den Weg«, flüsterte das Mädchen äußerst ernst, worauf sich alle Blicke auf Adam richteten, der mit verschlossenen Augen vor dem Bedienpult stand und mit den Fingerkuppen unablässig die Sensoren berührte.

Das Schiff reagierte auf die Befehle. Allmählich änderte die LORIAN ihre Richtung.

Nachdem Adam die Programmierung beendet hatte, öffnete er die Augen und trat zwei Schritte zurück. »Gladiola hat wie immer Recht. Der Synus hat mich mit unserem weiteren Weg vertraut gemacht.« Er wandte sich dem schwebenden Groo-Ritter zu. »Heeroo, ist der Distrikt endlich gescannt?«

»Ja, Adam. Die wahrnehmbaren Sektoren sind bereits gescannt und katalogisiert«, antwortete der Computer.

Sirena näherte sich aufdringlich dem Groo-Ritter. »Oh … diese Technik …«, summte das Thronario und flog dich über Heeroo hinweg.

»Aufdringliches Gerät!«, brummelte Heeroo, während er schrill und blau aufleuchtete.

Der Junge grinste. »Lass sie doch baggern, alter Ritter. Und jetzt vergrößere mir Sektor 4320.« Auf dem Hauptmonitor rückte der Arm einer Galaxis in den Mittelpunkt. »Jetzt Planwürfel 47-D!« Das Bild konzentrierte sich auf einen Stern. »Und nun den Planeten XH-3!«

Im Zeitlupentempo schob sich ein Planet ins Zentrum des Monitors. Er leuchtete in einem Blau, auf das Heeroo neidisch sein konnte, Kontinente zeichneten sich ab und Wolkenformationen, am Rand war ein grauer Vollmond zu sehen.

Die Menschen erhoben sich ehrwürdig.

»Das …«, flüsterte Samuel Simon.

»Es sieht fast aus, wie unser …«, setzte die Biologin hinzu.

»… guter alter Heimatplanet«, beendete Tämmler den Satz.

»Er heißt Erde und wird von Menschen bewohnt«, beendete Adam das allgemeine Erstaunen. »Ein sehr ursprünglicher Planet, fast nicht verdreckt, mit viel Wasser und einer idealen Atmosphäre. Doch wir sollten uns bei den Menschen der Erde rechtzeitig anmelden, denn auch diese Zivilisation hat bereits Waffen entwickelt.«

»Frau Bundeskanzlerin?«

Die Kanzlerin schaute genervt auf. »Ich versuche mich gerade auf einen Vortrag zu konzentrieren, den ich auf einer wichtigen Wahlveranstaltung in einem großen Rassegeflügelzüchterverein halten soll! Was also gibt es Unwichtiges?«

»Jemand von der ESOC ist am Apparat. Scheint nicht unwichtig zu sein.«

Mit verdrehten Augen ließ die Kanzlerin einen Stapel Blätter auf den Tisch fallen. Der Sekretär stellte den Anruf bereits durch, als sie fragte: »Was ist das überhaupt – ESOC?«

»European Space Operations Centre in Darmstadt«, flüsterte der Sekretär.

Die Kanzlerin hüstelte, dann nahm sie den Telefonhörer zur Hand. »Bundeskanzlerin Merkel hier. Was ist so wichtig, dass Sie mich gerade jetzt stören müssen?«

»Hier … ähm … Schmitts … ähm …«

»Kommen Sie zur Sache, junger Mann!«

»Doktor … ähm Schmitts. Ich soll Sie davon unterrichten, dass wir ESAC und ESRIN davon informieren müssen …«

»ESAC? ESRIN?« Die Kanzlerin verzog ihr Gesicht zu einem Fragezeichen und schaute den Sekretär an, der alles mithören konnte, während sie den Hörer mit einer Hand zuhielt.

»Das Europäische Raumfahrtforschungsinstitut ESRIN ist das European Space Research Institute«, flüsterte er. »Das ist in Frascati bei Rom in Italien, wenn ich mich nicht irre. Die Leute dort sammeln, speichern und verteilen Satellitendaten von und an die ESA-Partner. Es ist die Informationstechnologie-Zentrale der Organisation. Und im Europäischen Weltraum-Astronomiezentrum ESAC – in Englisch auch European Space Astronomy Centre in Villafranca, Spanien, laufen die wissenschaftlichen Daten aller astronomischen und planetaren ESA-Missionen zusammen und werden dort archiviert. Die Archive nennt man Science Operation Centres kurz SOC.«

Das Gesicht der Kanzlerin lächelte für den Bruchteil einer Sekunde, und der Sekretär war sich durchaus bewusst, dass sie kein Wort verstanden hatte. Sie wandte sich wieder dem Telefonpartner zu. »Jetzt informieren Sie doch mich und nicht irgendwelche anderen, oder?«

»Ähm … ja … Frau Bundeskanzlerin, es ist nur es ist … WIR HABEN KONTAKT … gewissermaßen, quasi!« Dr. Schmitts schrie ins Telefon. Aus dessen Hintergrund hörte die Kanzlerin anhaltenden Jubel.

»Kontakt? Ähm … mit wem?«

»Gewissermaßen, quasi … mit Extraterrestrischen, Frau Kanzlerin.«

»Mit was?«

»Wir haben Kontakt mit Außerirdischen!«

Die Kanzlerin hielt wieder den Hörer zu. »Ist das gut oder schlecht?«, fragte sie den Sekretär.

Der zuckte mit den Schultern. »Wenn wir es für uns nutzen, kann es für die Wahl ganz gut sein.«

»Kommen Sie zu uns und bringen Sie einen vernünftigen Bericht mit, Schmitts!«, rief sie ins Telefon. Der Sekretär machte eine deutliche Fingerbewegung, worauf sie sich revidierte. »Nein, besser wir kommen zu Ihnen ins Operationszentrum nach Darmstadt. Die Presse bringen wir mit.«

»Mister Präsident? Bitte! Wichtig!« Der Sekretär reichte dem amerikanischen Präsidenten ein Telefon.

»Ja?«, fragte der sofort.

»COSEC. Commander Hilton.”

»Central organisation for the supervision of extraterrestrial contacts”, flüsterte der Sekretär, das amerikanische Staatsoberhaupt unterstützend.

»Sprechen Sie bitte, Commander!” Der dunkelhäutige Präsident nahm Platz, während sein Gegenüber redete.

»Ich melde mich aus einem geheimen Büro der NASA in Washington, das bisher keine Bedeutung hatte und nur Geld verbrauchte. Dies dürfte sich am heutigen Tage geändert haben. Mister Präsident! Wir sind uns zu einhundert Prozent sicher, dass wir Kontakt mit einer außerirdischen Lebensform haben.«

»Was haben wir? Wer weiß noch davon?«

»Wahrscheinlich alle, Mister Präsident. Das Signal war klar und eindeutig. Wir können davon ausgehen, dass das europäische digitale Radioteleskop LOFAR – Low Frequency Array – die Sendequelle bereits identifiziert und sichtbar gemacht hat. Wir gehen auch davon aus, dass es sich um einen Flugkörper handelt, der auf direktem Weg zur Erde ist und die Nachricht auch direkt und bewusst zu uns gesendet hat.«

»Okay, Commander Hilton, informieren Sie den zuständigen Einsatzstab, ich nehme Kontakt mit den Vertretern der G7 auf!«

Den gleichen Kontakt konnten alle großen Weltraumorganisationen der Erde nachweisen. Am Morgen des folgenden Tages trafen sich die Vertreter zu einem außerordentlichen und geheimen G7-Gipfel in der deutschen Stadt Darmstadt. Dort einigte man sich darauf, den Fremden zu antworten. Deren Signale konnten zwar empfangen, jedoch nicht entschlüsselt werden. Die Antwort enthielt ein Sprachpaket der wichtigsten irdischen Sprachen, ein Bild- und ein Videopaket sowie eine Willkommensbotschaft in deutscher, englischer, russischer und chinesischer Sprache. Für die Sendung des Signals zeichnete sich die ESA verantwortlich, ein zweites, gleichlautendes Datenpaket wurde über ein neues System der Chinesen verschickt. Dann begann die Zeit des Wartens, während die ersten Medien bereits die obskursten Meldungen verbreiteten, die allesamt von den Regierungen dementiert wurden. Die Vereinten Nationen wurden ebenfalls informiert. In fast allen Krisengebieten der Erde einigte man sich auf Waffenruhen. Die großen Armeen der Weltmächte wurden in die Stützpunkte zurückbeordert und in Alarmbereitschaft versetzt, alle anstehenden Weltraumflüge wurden abgesagt, nur die Chinesen bereiteten weiterhin einen ohnehin gerade anstehenden Flug zum Mond vor.

Mit extrem hoher Geschwindigkeit bewegte sich die LORIAN durch die fremde Galaxis. Noch vier Bordtage, die denen des Doppelplaneten Fees entsprachen, dann würde das Ziel erreicht sein.

Heeroo bewegte sich sanft durch den Raum und schwebte direkt über Adams Kopf, der in einer der Kojen der LORIAN schlummerte, das blaue Leuchten des Thronarios fühlte und dadurch erwachte.

»Adam hat seine Erholungsphase noch nicht beendet. Es ist unvorteilhaft von dir, dass du ihn bereits aufweckst«, summte Sirena vorwurfsvoll, die am Fußende des Bettes schwebte.

»Stör nicht in wichtigen Dingen!«, brummte Heeroo. »Adam, bist du endlich wach?«

Der Junge rieb sich die Augen. »Jetzt ja«, flüsterte er und erhob sich fragend, während er die Arme ausstreckte: »Was gibt’s, ihr Streithähne?« Er lief nackt zu einer milchigen Schallwand und ging hindurch. In der Kabine setzte sofort feiner Regen ein, der aus sechs Richtungen auf seinen Körper strahlte.

Heeroo schwebte draußen vor der Schallwand und Adam hörte seine monotone Stimme. »Die Menschen der Erde haben geantwortet. Wir haben ihr Signal bereits über unsere Langstreckensensoren empfangen und ausgewertet.«

»Und?«, fragte Adam laut. Die Wassermassage wurde immer kräftiger, und als er das Gefühl hatte, sie würde ihm die Haut wegschälen, verschwanden die Strahlen plötzlich.

»Sie nutzen verschiedene Sprachen und haben uns ein paar Bildchen geschickt. Es sind Menschen, deren komplexe Funktionen denen der Feesen gleichen.«

Adam wurde in eine Dampfwolke gehüllt, die einen angenehmen Geruch verbreitete und auf seiner Haut einen Ölfilm hinterließ. Dann setzte der Regen wieder ein und spülte den Körper aus allen Richtungen ab. Das Wasser blieb aus, ein Luftstrom ließ seine Haare wehen und trocknete den Jungen innerhalb weniger Sekunden vollständig. Er stieg aus der Kabine.

Kozabim kam angerollt und hielt dem Jungen eine goldene Rolle hin. »Deine Bekleidung, Adam.«

»Danke, alter Freund.« Adam suchte an der goldenen Rolle einen kurzen Faden und zog daran, sodass sich der einteilige Anzug ausrollte. Er drehte ihn zweimal hin und her, worauf zwei Einstiegslöcher für die Beine auftauchten. »Können wir uns ihre Sprachmuster injizieren?«, fragte er Heeroo, der ihm nicht von der Seite wich.

»Das wurde bereits getan.«

Adam schüttelte den Kopf und stützte sich auf Kozabims rundem Sichtsegment ab, während er in den Anzug der Feesen schlüpfte, der sich sofort auf seinen schmächtigen Körper einstellte. »Dann kann ich jetzt die Sprachen der irdischen Menschen verstehen und sprechen? Ich habe von der Injizierung nichts gemerkt.«

»Ich auch nicht«, stellte Sirena fest.

»Du merkst schließlich nie etwas!« Heeroo leuchtete hellblau.

»Aber bitte …« Sirena flog hinter Adam, als suchte das feminine Thronario Schutz vor dem männlichen.

Der Junge grinste erneut, nahm sein Plasmakatapult und ein kleines feesisches Datenbuch, an das er sich mittlerweile gewöhnt hatte, und drückte beide Gegenstände gegen den Anzug, wo sie verschwanden und doch immer griffbereit waren. »Wenn ihr mit Zanken fertig seid, würde ich gern in die Zentrale gehen.« Er drehte sich noch einmal um. »Und bring mein Frühstück mit, Kozabim!«

»Als 12jähriger Mann mit einem Körpergewicht von 59 Kilogramm und mittelschwerer Aktivität hat Adam einen Energiebedarf von circa 2549 Kilokalorien pro Tag und benötigt deshalb …«

»Ja, ich weiß. Hast du tatsächlich MANN gesagt? Das hast du bisher nie getan, Kozabim. Bring einfach was!«, unterbrach Adam, während er die Zentrale betrat. »Hallo alle zusammen!«

Simon, Gladiola und die Biologin waren anwesend.

»Wir haben …«, begann Simon.

Adam nahm Kozabim ein Gefäß aus dem Greifer und trank die dickflüssige Nahrung. »Lecker«, stellte er fest. »Was ist das?« Und an den Kapitän gewandt: »Ich weiß, wir haben Kontakt.«

»Eine lukullische Sinfonie des Planeten Aurus«, summte Sirena. »Früchte der Kohan-Algen in Harmonie mit dem natürlichen Geschmack des Seels.«

»Das ist von deinem Planeten?«, fragte Adam an Gladiola gewandt. »Was ist das, Seel?«

»Eine Alltagsspeise auf Aurus. Es gab jedenfalls genug davon, denn Seel ist das Sekret eines Unterwassertiers.«

Der Junge verzog das Gesicht. »Willst du damit sagen, dass ich gerade mit Algensaft verdünnte Fischscheiße getrunken habe?«

Das Mädchen lächelte. »Nein. – Aber im Grunde genommen … Ja, doch, hast du.«

»Dann hat es wirklich außergewöhnlich gut geschmeckt. – Heeroo, könnten wir versuchen, einen Sicht- oder Hörkontakt mit der Erde aufzubauen?«

Das Thronario stand im ständigen Kontakt mit den hochentwickelten Instrumenten des Schiffes. »Sie nutzen zur bildlichen Darstellung ein extrem veraltetes System. Wenn wir eine Energiequelle beim Empfänger anzapfen, dann könnte ich ein Hologramm erzeugen. Adam sollte sich dazu in den Aufnahmebereich des Kommunikators begeben, wenn er das Hologramm aus seinem Körper projizieren will.«

»In Ordnung, dann wollen wir sie mal überraschen. Wo genau wird mein Abbild auftauchen?«

Heeroo schwebte über dem Kopf des Kindes. »Sie nutzen viele Abkürzungen, die Menschen auf dem Planeten Erde. Nach unseren Berechnungen erhielten wir eines der Signale über Satelliten, die aus einer Stadt gesteuert werden, die die Menschen der Erde Darmstadt nennen und die uns derzeit zugewandt ist. Die Hauptorganisation nennt sich ESA, scheinbar eine lokale kontinentale Weltraumorganisation, die zugehörigen Satelliten werden von der bodengestützten Organisation ESOC zentral gesteuert, was so viel bedeutet wie Europäisches Weltraum-Organisationszentrum. Europa ist ein Kontinent der Erde. Das Netz der Bodenstationen nennen sie ESTRACK. Ich lokalisiere einen größeren Raum im Kontrollzentrum eines Gebäudes, in dem sich derzeit vierundzwanzig Menschen aufhalten, die an computergestützten Arbeitsplätzen unsere ersten Daten zu entschlüsseln versuchen. Ich übertrage dein Kontaktmuster auf den Hauptmonitor, dann hören und sehen wir, was du hörst und siehst. Die holografische Verbindung wird aufgebaut in fünf … vier … drei … zwei … eins … jetzt!«

Gerade jetzt kamen die restlichen Besatzungsmitglieder in die Kommandozentrale der LORIAN und betrachteten erstaunt das Bild, das auf dem Hauptmonitor entstand.

Die Kommandozentrale verschwand aus Adams Blickfeld. Stattdessen fand er sich in einem großen, halbrunden Raum wieder, der verschlossen war. Über sich sah er die schwache punktuelle Beleuchtung der schwarzen Decke, hinter ihm strahlten mehrere große Plasmabildschirme, die an einer Wand befestigt waren. Und vor ihm, an drei im Halbkreis angeordneten Computerarbeitsplatzreihen, saßen verschiedene Menschen, die alle differenzierte Kleidung und Kopfhörer mit Sprechgeräten trugen. Diese Menschen glichen äußerlich denen, die Adam bisher kennengelernt hatte. Sie alle verharrten mit weit geöffneten Augen und schwiegen erstaunt.

Was sie sahen, war das allmählich entstehende, leicht flackernde, dreidimensionale Diagramm eines zwölfjährigen Jungen, der wie eine zweite Haut einen goldenen Anzug trug. Sie erblickten ein kindhaftes Alien!

Einer der Männer aus der vordersten Reihe erhob sich. Er trug ein weit geöffnetes kariertes Hemd und eine blaue, ausgewaschene Jeans. »Wir … ich … Mein Name ist Thomas Schmitts, i-i-ich bin momentan der Einsatzleiter der … gewissermaßen, quasi.«

Adam lächelte. Er verstand die Sprache des Erdmenschen gut, die Injizierung der Sprachpakete wirkte perfekt. »Du musst dich nicht vor mir fürchten, Thomas Schmitts. Ich bin auch nur ein Mensch, so wie du es bist, und ich komme in Frieden, auch wenn ich noch fast ein Kind bin.«

»D-d-das … ist …«, stotterte Schmitts.

»Mein Name ist übrigens Adam. Ich selbst stamme vom Planeten FV1. Den kennt ihr bestimmt noch nicht, weil er in einem anderen Distrikt des Universums ist. Wenigstens haben die Ikonier unserem Planeten diesen Namen gegeben, bevor sie alles Leben auf ihm auslöschten. Darüber können wir uns aber später unterhalten.« Adams Hologramm kratzte sich hinter dem rechten Ohr. »Ihr wisst wahrscheinlich nicht, was Ikonier sind … Bei uns hieß mein Planet HEIMAT. Er hatte also keinen besonderen Extranamen. Und … weshalb ich hier bin … Die Besatzung meines Raumschiffs, das ist die LORIAN, benötigt für ein Weilchen ein Quartier …, vielleicht auch für ein längeres Weilchen. Damit ihr wisst, wer das alles ist … Das sind genau genommen fünf Menschen, zwei Thronarios – also fliegende kybernetische Dinger – und ein Roboter, der Kozabim heißt und sich manchmal etwas merkwürdig verhält.« Der Junge dachte kurz nach. »Ja«, meinte er schließlich. »Das waren alle. Ich habe keinen vergessen.«

»Wir … ähm …«

»Du musst dich nicht gleich entscheiden, Thomas Schmitts. Es wäre uns nur lieb, wenn die Menschen der Erde uns nicht allzu viel Beachtung schenken würden, falls wir hier sein dürfen.«

Ein anderer Mann, der einen großen Gegenstand auf der Schulter trug, näherte sich.

»Was hast du da? Ist das eine Waffe?«, fragte Adam erstaunt.

»N-n-nein«, beteuerte Schmitts anstelle des Reporters und wies den Kameramann an, zurückzutreten. »N-nnur in Aufzeichnungsgerät … gewissermaßen, quasi.«

»Ach so«, meinte Adam. »Das Ding ist ziemlich groß. Ehrlich gesagt, es wäre auch Quatsch, wenn ihr mich bedroht, weil ich ja nur als Hologramm hier bin. Also bin ich’s nicht wirklich. Unser Schiff fliegt mit einer verdammt hohen Überlichtgeschwindigkeit. Ich weiß leider immer noch nicht, wie die Feesen das machen, jedenfalls sind wir extrem schnell und in ein paar Erdentagen schon bei euch. – Was ist nun, können wir hier irgendwo landen?«

»Wir … ich … bin nicht befugt … gewissermaßen, quasi.«

»Das versteh ich ganz gut, Thomas Schmitts. Wenn ihr soweit seid, dann schickt uns eine Botschaft mit den Koordinaten, wo wir landen können.«

»W-w-wie viel Platz benötigt die L-l-landung?«, wollte Schmitts wissen. »Reicht ein Flughafen?«

Adam dachte wieder nach. »Wenn ich mich nicht verrechnet habe – ich muss mich erst an euer metrisches System gewöhnen – dann ist unser Schiff achthundertzwölf Meter lang und in der größten Ausdehnung zweihundert Meter breit. Viel mehr Platz benötigen wir nicht zur Landung. Vielleicht das Vierfache und einen festen Untergrund. Und ringsherum sollte nichts sein, was wegfliegen könnte.«

Schmitts nickte aufgeregt.

»Dein Kopfnicken, bedeutet das ein JA?«, fragte Adam.

»Genau, es ist ein Ja«, entgegnete Schmitts.

Der goldene Junge vor ihm lachte. »Prima. Wir haben viel gemeinsam. Bei uns heißt das Kopfnicken auch JA. Die Feesen und die Ikonier schütteln sich nämlich, wenn sie JA sagen. Ich komm immer völlig durcheinander, wenn sie sich schütteln. – In Ordnung, dann verschwinde ich jetzt wieder. Wir warten auf euer Signal.« Adam streckte zum Gruß eine Hand aus. »Tschüss erst mal!«

Thomas Schmitts schaute erstaunt auf das durchsichtige Abbild der Hand.

Erneut lachte der Junge. »Ich habe ganz vergessen, dass ich gar nicht wirklich hier bin. Das erledigen wir das nächste Mal. Oder grüßt ihr euch so, wie die Feesen?« Er klatschte die Hände über dem Kopf zusammen.

Adams Gegenüber schwitzte und zitterte. »N-n-nein … mit der Hand. Wir begrüßen uns mit der Hand.«

Das Hologramm des Jungen löste sich bereits auf. »Wir sind uns ja so ähnlich … Bis bald!« Er winkte erneut, dann war er verschwunden.

Noch immer zitternd saß Schmitts vor der Kanzlerin und etwa hundert weiteren Personen.

»Beruhigen Sie sich endlich«, forderte der Chef der ESA und zupfte aufgeregt an seiner Krawatte. »Und kommen Sie zur Sache!«

»Entschuldigung … Ich habe heute mit einem Außerirdischen geredet.«

»Fassen wir zusammen«, sagte Schmitts Chef. »Besser … Fassen Sie zusammen!«

»Zusammen … Heute um 15 : 34 Uhr tauchte in der Zentrale der ESOC, praktisch aus dem Nichts, das dreidimensionale Abbild eines etwa zwölfjährigen, männlichen Wesens auf, das unsere Sprache perfekt beherrschte und im Großen und Ganzen wie ein Mensch aussah. Dieses Wesen nannte sich selbst Adam und sagte erstens, dass es in friedlicher Absicht käme, zweitens, dass es für sich und seine Crew um Asyl bittet, die Crew des Außerirdischen würde aus fünf Menschen bestehen, zwei fliegenden und einem normalen Roboter, und drittens, dass es von uns eine Antwort auf seine Bitte erwartet. Das Wesen fühlte sich durch eine Kamera bedroht, sprach von Feesen und Überlichtgeschwindigkeit und davon, dass sie in ein paar Tagen mit ihrem Raumschiff hier wären.«

»Wollen die in Darmstadt landen?«, fragte die Kanzlerin erstaunt.

Der ESA-Chef verdrehte unbemerkt die Augen. »Das ist jetzt unwichtig, Frau Kanzlerin. Wichtig ist, dass wir uns international abstimmen, ob, wann und wo die Fremden landen dürfen. Wer übernimmt die Verantwortung? Wer informiert sie? Sie warten immerhin auf eine Antwort.«

»Er …«, flüsterte Schmitts. »Der Junge wartet auf eine Antwort. Er kam rüber, wie ein etwas vorlautes, jedoch sehr liebenswertes Kind. Äußerst pubertär … gewissermaßen, quasi.«

Die Kanzlerin blieb ernst. »Genau genommen ist die Einwanderungsbehörde zuständig. Es sind doch Migranten – oder?«

»Oh mein Gott, Frau Kanzlerin! Wir reden hier von interstellaren Kontakten! Ein Traum der Menschheit geht in Erfüllung! Und Sie wollen die Fremden in ein Asylbewerberheim abschieben?«

»Na, aber … Das muss kein Traum sein. Es kann auch ein Albtraum werden. Haben Sie nicht Krieg der Welten gesehen?«

»Nein – habe ich nicht! Wir sind hier nicht in Hollywood! Wir sind in der Realität! Reden Sie mit den Amis, damit wir irgendwo eine Insel finden, wo wir die Fremden unterbringen können. Dann setzen wir uns mit ihnen an einen Tisch und reden. Sie sind hochintelligent und uns entwicklungstechnisch weit voraus. Die ganze Menschheit könnte einen gewaltigen Entwicklungssprung machen, wenn wir uns vernünftig verhalten und wenigstens einmal global denken und handeln. Vergessen Sie Ihren Wahlkampf, Ihre Partei und Ihren bürokratischen Stumpfsinn und handeln Sie!«

Hilfesuchend blickte sich die Kanzlerin um, ihr Blick blieb letztlich bei Schmitts hängen.

Der klappte die untere Lippe heraus und flüsterte anschließend: »Er hat Recht … gewissermaßen, quasi.«

»Wir freuen uns auf Ihren Besuch. Die Menschheit der Erde erwartet Sie. Wir bereiten einen Landeplatz in den beigefügten Koordinaten vor. Die ausgewählte Insel bietet Ruhe und Sicherheit. Ein Team von Spezialisten wird Ihnen zur Seite stehen.«

Adam nickte Heeroo zu, der die Botschaft verlesen hatte. »Noch etwas? Können wir die Koordinaten auflösen?«

»Mit freundlichen Grüßen, Thomas Schmitts, im Namen der Menschheit des Planeten Erde.«

»Dieser Mann ist mir sympathisch«, meinte der Junge.

»Du hast unseren Besuch auch ziemlich unbürokratisch vorbereitet«, stellte Samuel Simon fest. »Sie werden mehr Fragen stellen, als uns lieb ist.«

Sonja Esther grinste und fuhr Adam mit einer Hand über den Kopf. »Manchmal ist der direkte Weg der beste. – Wir sollten uns einigen, was wir den Menschen der Erde sagen können und was nicht.«

»Das wird sich zeigen.«

Gladiola erhob sich und betrachtete das Bild auf dem Hauptmonitor. »Dort werden wir landen?«, fragte sie und zeigte auf die grüne Insel mitten in einem Ozean. Ein Strahlen erhellte ihr Gesicht. »Oh, es ist wie im Traum. So viel Wasser!«

Verschwommen nimmt Adam ein blau schimmerndes Gewässer wahr. Ein junges, nacktes Mädchen steigt aus den Fluten, Tropfen perlen von der grünlichen Samthaut. Gladiola ist eine Frau geworden, wird dem zwanzigjährigen Adam bewusst. Sie läuft über den feinen Sandstrand und wirft sich dem Jungen in die Arme, drückt ihre weichen Brusthügel gegen seinen Körper und kühlt ihn damit ab. Doch seine Hitze entlädt sich an ihr.

»Unsere Insel ist so wunderbar«, ruft das Mädchen und ihre rotgelben Augen flimmern im Sonnenlicht. »Ich liebe dich!« Sie dreht sich mit Adam im Kreis, sodass es dem Jungen schwindelt. Beide lassen sich schließlich in den Sand fallen, liegen auf den Rücken nebeneinander und sehen die große gelbe Sonne.

Plötzlich dreht sich das Mädchen und liegt auf dem Jungen, dem es ganz anders wird. Es küsst seine Stirn und streichelt Adams Schultern. Dann nähern sich ihre grünen Lippen denen des Jungen.

»Nicht, Gladiola«, flüstert Adam. »Wir könnten schließlich Geschwister sein …«

Doch sie küsst ihn, intensiv und noch intensiver, bewegt sich auf seinem Körper, lässt die Lüste in ihm steigen und sein bestes Stück schwellen. »Geschwister? Nein, Adam«, flüstert sie nach einem Zungenkuss. »Wir entstammen verschiedenen Welten. Nur unsere Gehirne gleichen sich. Wir gehören zusammen wie Geschwister, doch wir sind es nicht.« Und schon setzt sie das Liebesspiel fort, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass sie beobachtet werden könnten.

Als Adam dann auf ihr liegt, sich dessen bewusst, dass die Fortpflanzungsorgane aufeinander abgestimmt sind, als er sich zum ersten Mal mit ihr vereint, die Wolllust ins Unermessliche steigt, ein goldener Regen durch seinen Körper rauscht, als seine Spermien in Gladiola eindringen, in diesem Moment begreift Adam, er ist nun ein Mann. Er ist reif für diese Dinge. Und Gladiola ist seine Frau. Das Gefühl in ihm, das Adam befällt, wenn Gladiola in der Nähe ist, bezeichnen die Menschen als Liebe. Adams Arwachseinsein hat begonnen.

Die Schonzeit ist vorbei.

Das Ende der Schonzeit

Vierzehn Erdenjahre waren vergangen. Die kleine, ewig sonnige Insel Sandokhan, in Mitten eines irdischen Ozeans, wurde zu Adams Heimat. In einem gewaltigen, getarnten Hangar versteckte sich die LORIAN, das Raumschiff der Feesen. Nahe dem Meer gab es zwei große, weiße Häuser. In einem wohnten Gladiola, Adam und die Zwillinge, in ihrem Gästezimmer hatte sich der Junggeselle Thomas Schmitts eingerichtet, in dem zweiten Haus lebten Sonja Esther und Emanuel Tämmler, gemeinsam mit einer fünfjährigen Tochter. Simon und Komsomolzev waren seit Jahren unterwegs, hielten Vorträge, arbeiteten mit Wissenschaftlern der Erde zusammen und fanden nie einen festen Wohnort.

Das Leben auf der Erde hatte sich in vierzehn Jahren stark verändert. Nicht nur die Raumfahrtechnik machte einen bedeutsamen Sprung, auch das Miteinander verbesserte sich, wenngleich Adam stets und ständig unter den nach wie vor existierenden Gewaltausbrüchen einiger Menschengruppen litt.

Längst war er kein kleiner Junge mehr, war herangewachsen zu einem stattlichen Mann, schlank und muskulös, unterschied sich in fast nichts zu den hiesigen Menschen. Unweit von seinem Haus, auf der Insel Sandokhan, hatte er ein Denkmal errichten lassen – schlicht und einfach – eine Stele zur Erinnerung an Josef Müllermann, seinen Bruder, der von Admiral Alyta regelrecht hingerichtet wurde. An jedem Morgen verweilte Adam an diesem Ort, blicke in den Himmel und erinnerte sich der Geschehnisse. Wie mochte es den Feesen wohl ergangen sein?

Der Sechsundzwanzigjährige hatte Gladiola wahrlich kennengelernt, all ihre Eigenschaften, ihre Empfindungen und ihre Liebe. Beide genossen den Kontakt miteinander, selbst wenn sie mitunter örtlich voneinander getrennt waren. Ihre synusischen Fähigkeiten waren stark ausgeprägt, sie benötigten keinerlei Konzentration, um sich gegenseitig besuchen zu können.

Acht Jahre war es her, dass Gladiola auf dem Festland zwei Kinder gebar, einen Jungen und ein Mädchen, die auf die Namen Malte und Anna getauft wurden. Die synusischen Fähigkeiten in ihren Gehirnen waren vollständig ausgeprägt. Beide konnten mit ihren Eltern und untereinander gedanklich kommunizieren. Malte hatte vorwiegend die Eigenschaften Adams angenommen, besaß eine klare menschliche Gestalt, verhielt sich frech und ungezügelt. Anna hingegen verfügte über die grüne Haut der Menschen vom Planeten Aurus, war wie die Mutter vom Wasser abhängig, konnte unter Wasser atmen, was Malte nicht möglich war. Sie bewegte sich ritterlich aber grazil, und erblickte vierzig Sekunden vor ihrem Zwillingsbruder das Licht der irdischen Welt.

Beide Kinder wurden von Adam unterrichtet, hin und wieder sprang Schmitts ein. Sie erwiesen sich als äußerst intelligent.

Adam beschäftigte sich ausgiebig mit der Mythologie der Erdenmenschen und stellte fest, dass es Ähnlichkeiten mit der seines Heimatplaneten gab. Parallelen tauchten in der Entwicklung auf, Namen doppelten sich.

Von den Synusiern und den damit verbundenen Fähigkeiten erfuhren die Erdenmenschen nichts, darauf hatten sich die Außerirdischen geeinigt. Einzig und allein Thomas Schmitts war in all die Geheimnisse eingeweiht.

»Gewissermaßen, quasi ist es verdammt warm heute«, sagte Schmitts, trat hinter Adam, der ihn um einen Kopf überragte, und wischte sich mit einem Handtuch – das er sonst über den Schultern liegen hatte – den Schweiß von der Stirn.

Aus den Erinnerungen herausgerissen drehte sich Adam um. »Guten Morgen, Thomas.«

Sirena schwebte geräuschlos über den beiden Männern. »Die aktuelle Temperatur beträgt siebenunddreißig Komma fünf, vier, zwei Grad Celsius. Sie weicht nicht wesentlich vom Durchschnitt der vergangenen Messperiode ab. Die Luftfeuchtigkeit beträgt heute …«

»Lass gut sein, Sirena«, unterbrach Adam. »Wo sind die Zwillinge?«

Das Thronario schwebte zwischen beiden Männern hindurch und hielt über der Stele inne. »Anna habe ich lokalisiert. Sie badet momentan mit Gladiola im Pool.«

»Was ist mit Malte?«

»Ich frage Heeroo, er ist im Haus.«

Ein kurzer elektronischer Kontakt reichte, dann wusste Sirena die Antwort: »Heeroo bittet dich in Maltes Zimmer. Dort hält sich der Junge derzeit auf.«

Sogleich lief Adam durch den warmen Sand auf das Haus zu, überquerte eine Terrasse, winkte den Mädchen im Pool und betrat das angenehm kühle Haus. Thomas Schmitts folgte ihm, während Sirena über dem Pool schwebte.

»Das Frühstück steht bereit«, plärrte der Roboter Kozabim und fuhr schwankend über eine Schwelle.

»Danke, Kozabim, ich komme gleich.« Adam betrat das Kinderzimmer.

Heeroo schwebte dicht unter einer Zwischendecke aus hängenden Bambusstäben und leuchtete intensiv. Mittlerweile erkannte Adam am Leuchten des Thronarios die Verfassung Heeroos, der sich in diesem Moment ernsthafte Sorgen um den Zustand des Jungen zu machen schien.

»Was ist mit dir?«, fragte der Adam und trat an Maltes Bett. Sein Junge lag zusammengekrümmt da, Tränen liefen ihm über die Wangen, die Hände zuckten.

Malte schaute auf. Im Gesicht des Jungen erkannte Adam seine eigene Kindheit wieder. In diesem Moment sah er Schmerzen, starke Schmerzen, die seinen Sohn quälten. Malte redete nicht. ‘Er ist so böse zu mir!’

»He, mein Schatz, beruhige dich!«, forderte der Vater von seinem Sohn. Wer ist böse zum kleinen Mann? Heeroo?«

‘Nein. Heeroo ist meistens ein Lieber. Heeroo ist doch mein Freund.’

Adam streichelte sanft das dunkle Haar des Jungen. »Wer ist dann böse? Wer quält dich, Malte?«

Malte erhob sich und hüpfte auf dem Bett. Stets, wenn er die Matratze mit den Füßen berührte, rief er ein Wort. »Der – alte – Mann! – Er – quält – mein – Onkelchen! – Die – Roboter – sehen – alle – gleich – aus! – Er – will – uns – besuchen!« Der Achtjährige, der viel Ähnlichkeit mit seinem Vater hatte, landete auf dem Hosenboden, kniete sich hin und umarmte schluchzend Adams Hals.

»Er wird seine Robomutanten mitbringen.« Anna sagte diesen Satz. Die Zwillingsschwester stand in der Tür. Orangen leuchteten ihre Augen, grün die Haut. Und doch sah sie ihrem Bruder äußerst ähnlich.

»Komm her!«, forderte der Adam und hob Anna auf das Bett. Sie saß neben Malte und blickte Adam ebenso inbrünstig an. »Der Reihe nach: Ihr beide müsst mir sagen, was los ist! Ihr habt Admiral Alyta gesehen? Seit wann beobachtet ihr ihn?«

»Schon immer«, flüsterte Malte und schielte zu seiner Schwester.

»Ja. Schon immer«, bestätigte das Mädchen und wackelte mit den Füßen.

»Warum habt ihr mir nicht längst davon erzählt?«

Malte flüsterte: »Er hat es uns verboten.«

»Er hat es uns nämlich richtig verboten«, setzte Anna hinzu.

»Er will zur Erde kommen? – Hat er das gesagt?«

Die Zwillinge nickten gleichzeitig.

»Was sind das für Robomutanten, die er mitbringen will?«

»Es sind Roboter mit besonderen Fähigkeiten.«

»Mit synusischen Fähigkeiten«, ergänzte Anna.

»Habt ihr sie gesehen? Wie viele hat Admiral Alyta?«

»Der alte Mann hat sie uns gezeigt. Es sind unheimlich viele. Sie sehen böse aus.«

»Ja, sie sehen böse aus.«