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Über dieses Buch:

Pepolino, der kleine Seeräuber, und der dicke Kapitän erleben ein neues Abenteuer. Sie sind eingeladen auf das große Fest aller Tiere und Fabelwesen. Dort erleben sie, wie ein Drache speit und wie ein Phönix sich verwandelt. Doch als der Gesang einer Sirene den dicken Kapitän fort vom ausgelassenen Fest hin zu gefährlichen Klippen lockt, beginnt eine spannende Rettungsaktion …

Der Kinderbuch-Klassiker – endlich als eBook!

Über die Autorin:

Irene Rodrian, 1937 in Berlin geboren, wurde u.a. mit dem Ehrenglauser des Friedrich-Glauser-Preises und dem Edgar-Wallace-Preis für Kriminalliteratur ausgezeichnet. Ihr Jugendbuch Die Welt in meiner Hand kam auf die Bestenliste für den deutschen Jugendbuchpreis. Seither hat sie sich mit zahlreichen Bestsellern in einer Gesamtauflage von über zwei Millionen und als Drehbuchautorin (Tatort, Ein Fall für Zwei) einen Namen gemacht. Irene Rodrian lebt heute in München.

Ebenfalls bei dotbooks erschienen Irene Rodrians Kinderbücher Pepolino sticht in See und Pepolino auf großer Fahrt und ihre Kriminalromane Meines Bruders Mörderin, Im Bann des Tigers, Eisiges Schweigen und Ein letztes Lächeln.

Die Autorin im Internet: www.irenerodrian.com und www.facebook.com/irene.rodrian

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Neuausgabe Januar 2013

Dieses Buch erschien bereits 1994 unter dem Titel Alle Abenteuer mit dem kleinsten Seeräuber auf allen Meeren und seinem größten Feind, dem dicken Kapitän bei Lentz Verlag in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe 1994 Lentz Verlag in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe 1994 Buchagentur Ambach, 1994 »Pepolino« von Irene Rodrian

Copyright © der Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: © Brian Bagnall

ISBN 978-3-95520-145-6

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Irene Rodrian
Pepolino und der dicke Kapitän

Der kleine Seeräuber – Band 3

dotbooks.

Eine düstere Verlockung

Eine folgenschwere Entscheidung

Eine verlockende Melodie

Eine wundersame Insel

Eine unmögliche Liebe

Ein schweres Vergehen

Eine mißglückte Flucht

Eine vergebliche Suche

Eine unwirtliche Höhle

Ein strenges Gericht

Ein unlösbares Rätsel

Eine unerwartete Auflösung

Eine glückliche Rettung

Ein letzter Wunsch

Ein friedliches Fest

Ein nagelneuer Tag

Lesetipps

Eine düstere Verlockung

Es war an einem regnerischen Septembertag so etwa genau vor fünfhundert Jahren. Schwarzblaue Wolken ballten sich am Horizont zu finsteren Bergen übereinander, schoben sich näher und näher, türmten sich höher und höher und ließen der Sonne keinen Platz mehr. Das Meer sah aus wie schmutzig verknautschtes Eisenblech und schien sich vor der drohenden Gefahr wegzuducken. Noch ein letztes Mal rauschte der Wind durch die hellgrünen Palmwedel, dann erstarb er.

Die ersten Regentropfen fielen herunter. Glasklar und schwer wie dicke runde Murmeln. Platzten auf dem ausgetrockneten Sand und hinterließen kleine braune Kuhlen im hellen Gelb.

Der kleine Seeräuber saß auf der palmgedeckten Terrasse vor seinem Haus und wartete. Er hatte alles getan, was zu tun war. Sein Schiff lag sicher im Schutz der Bucht, das schwarze Seeräubersegel mit dem weißen Totenkopf war abgetakelt, das Deck und der blutrote Rumpf frisch eingeölt und gestrichen. Auch das Dach über seinem Haus war dicht, und die in der heißen Sommersonne aufgeplatzten Risse in den Holzwänden mit Pech verpicht.

»Graus o Graus!« krächzte eine heisere Stimme vom Dach, und Don Poco, der Papagei kam angeflogen und setzte sich neben den Seeräuber. Auf dem Tisch stand ein Honigkuchen mit Mandelsplittern, doch Don Poco hatte zuviel Angst, um ans Essen zu denken.

Der Himmel verdunkelte sich, als wäre plötzlich Nacht. Die dicken, runden Murmeltropfen blieben für einen Augenblick weg, die ganze Welt schien den Atem anzuhalten. Und dann, mit einem Mal: Es war, als würden direkt über ihnen Millionen von hausgroßen Kübeln gleichzeitig ausgekippt. Silbrige Wassermassen, so dicht, dass man keine drei Fuß weit sehen konnte, stürzten vom Himmel. Rauschen. Knattern. Platschen. Der kleine Seeräuber und Don Poco flohen gerade eben noch ins Haus, bevor das Palmendach unter den Fluten zusammenkrachte. Schade um den schönen Kuchen.

Und genauso plötzlich, wie das Unwetter begonnen hatte, so plötzlich war es auch wieder vorüber. Stille und Ruhe. Die Wolken zogen weiter, und von einem kobaltblauen Himmel schien die Sonne und spiegelte sich golden in den Wasserpfützen.

Der kleine Seeräuber machte sich daran, sein Terrassendach auszubessern, und Don Poco pickte die Reste vom Kuchen aus den nassen Palmwedeln hervor. Es hatte sehr sehr lange nicht geregnet, und so ein bißchen Wasser konnte ja nicht schaden.

Da hörten sie aufgeregtes Keckern direkt über sich. Auf einem der Dachbalken saß Mono, das Äffchen. Triefnaß wie eine getunkte Maus. Und keckerte und keckerte.

Anscheinend handelte es sich um eine wichtige Meldung. Don Poco bot Mono ein paar feuchte Kuchenreste an, Mono nahm sie und aß sie, hörte aber nicht auf zu keckern. Der kleine Seeräuber war zu beschäftigt, um zuzuhören. Plötzlich ertönte ein tiefes Grollen. Und direkt gegenüber vom Haus, da, wo der Dschungel begann, teilten sich die Büsche, und ein riesiger Löwe kam heraus.

Mono und Don Poco vergaßen den Kuchen. Und der Seeräuber ließ den Hammer fallen, den er grad in der Hand hielt.

Das war noch nie passiert.

Der Löwe kam zum Haus.

Es war der Löwe, dem der kleine Seeräuber einst einen Dorn aus der Pfote gezogen hatte, und mit dem er seither gut Freund war. Aber so nah ans Haus gekommen war er noch nie. Er stand jetzt da in der glitzernden Nachmittagssonne und warf seinen mähnigen Kopf zurück. Und stieß wieder ein tiefes Donnergrollen aus.

Der kleine Seeräuber verstand die Sprache der Tiere recht gut. Er verstand, dass der Löwe ihm etwas mitteilen wollte, aber was es nun genau war, das verstand er nicht. Er machte eine Kokosnuß auf und bot dem Löwen Milch und Gastfreundschaft an. Der Löwe kam näher und setzte sich zögernd, denn er wußte nicht, ob die Bank vor dem Haus des kleinen Seeräubers auch kräftig genug war, ihn zu tragen. Und wieder ließ er sein donnerndes Löwengrollen ertönen, und weil er grade von der Kokosmilch getrunken hatte, versprühte er einen zuckrig-weißen Regenschleier um sich herum.

Mono, das Äffchen, formte aus dem nassen Kuchen kleine gelbe Honigbällchen und warf sie in die Luft. Fing sie auf und knabberte dran.

Der kleine Seeräuber wurde ungeduldig, und endlich übersetzte Don Poco:

Es gab ein Fest, und da wollten sie alle hin. Das große Treffen aller Tiere und Fabelwesen, das nur alle tausend Jahre stattfand. Das größte Fest überhaupt auf der Welt. Der kleine Seeräuber verstand nicht, was sie von ihm wollten. Er war kein Tier und ein Fabelwesen schon gar nicht. Er war ein Mensch. Ein ganz normaler, wenn auch etwas kleiner Mensch.

»Menschen sind bei dem Fest zugelassen«, erklärte ihm Don Poco, »wenn sie sich in Begleitung von Tieren befinden.« Don Poco plusterte seine Federn auf und tat sich unheimlich wichtig. Aber der kleine Seeräuber hatte schon verstanden. Dieses seltsame Tierfest fand irgendwo statt, wo die Tiere nicht von selbst hinkamen, wenn sie nicht, wie zum Beispiel ein Papagei, Flügel hatten. Oder schwimmen konnten.

Sie wollten also von ihm, dass er sie zu dem Tierfest hinbrachte. Mit seinem Seeräuberschiff.

»Wo soll denn das sein?« fragte der Seeräuber, um Zeit zu gewinnen. Die drei Tiere flüsterten etwas, dann plusterte Don Poco sich wieder auf.

»Zeigen wir dir schon!« krächzte er überheblich.

Der kleine Seeräuber behauptete, darüber erst einmal in Ruhe nachdenken zu müssen und verzog sich ins Innere seines Hauses. Er legte sich aufs Bett und dachte nach.

Das war alles ein bißchen verwirrend. Andererseits hatte er im Moment keine dringenden Pläne. Und neugierig war er natürlich auch. Wenn so ein Tiertreffen nur alle tausend Jahre stattfand ... und er als einziger Mensch war eingeladen ... war er überhaupt eingeladen, oder war er nur so etwas ähnliches wie ein Tier-Transporter? Ein Wassertaxi? Ein Chauffeur?

Vor Tieren allerdings hatte der kleine Seeräuber weniger Angst als vor Menschen. Die Tiere verstanden ihn und sie liebten ihn, wie er sie verstand und liebte. Aber Don Poco hatte auch etwas von Fabeltieren gefaselt. Natürlich, gewöhnliche Tiere werden keine tausend Jahre alt! Und die meisten Fabelwesen waren halb Tier und halb Mensch. Oder noch viel schlimmer. Drachen zum Beispiel.

Der kleine Seeräuber fürchtete sich. Er hätte gern ein Stündchen geschlafen, um danach weiter sein Terrassendach zu reparieren, als wäre nichts geschehen.

Da verdunkelte sich die Tür.

Don Poco, Mono und der Löwe standen vor seinem Bett und sahen ihn fragend an.

»Ist ja schon gut«, seufzte der kleine Seeräuber und drehte sich zur Wand. »Ich nehm euch mit, ich bring euch hin. Nur erstmal muss ich schlafen.« Dann schloß er die Augen und atmete tief und fest. Und, wenn er aufwachen würde, dann wäre alles nur ein dummer Traum gewesen.

Eine folgenschwere Entscheidung

Es wurde Tag.

Am Horizont stieg die Sonne aus dem Meer, golden leuchtend wie eine Kugel aus glühendem Glas. Das Meer glitzerte durchsichtig türkis, und von Süden her wehte eine warme Brise. Das gelbe Schiff mit dem weißen Segel machte gute Fahrt gen Norden, und der dicke Kapitän hätte wohl zufrieden sein können. Er hatte kostbare Seidenballen geladen und geheimnisvolle Gewürze und Spezereien von den Märkten des Orients und war nun auf dem Weg nach Hause zu seinem Handelsherrn, um die teuren Waren abzuliefern. Bisher war die Reise ruhig verlaufen, kein Sturm, kein Gewitter, kein Kampf und kein Überfall. Ein bißchen zu ruhig, denn wovon sollte der dicke Kapitän daheim in der Hafenschänke berichten, wenn er auf der langen Reise weder Gefahren noch Abenteuer zu bestehen hatte.

Der dicke Kapitän dachte an seinen größten Feind, den kleinen Seeräuber. Er hatte ihn lange nicht mehr gesehen und er vermißte ihn ein wenig. Vielleicht sollte er ihn einfach mal besuchen. Hier ganz in der Nähe musste die Insel sein, auf der er wohnte. Aber, während der Kapitän noch überlegte, passierte plötzlich etwas sehr seltsames. Babette, die schwarze Katze, stellte sich auf ihre Hinterpfoten, schaute über die Reling und mienzte. Das eben noch spiegelglatte Meer war aufgewühlt, und der Kapitän hörte merkwürdige Geräusche. Nat-nat-nat. Es waren Delphine. Ein ganzer Schwarm Delphine. Sie schubsten sich und drängten sich dicht an sein Schiff, sprangen hoch, machten Purzelbäume, tauchten unter und schossen wieder nach oben. Und schnatterten nat-nat-nat auf Babette ein, die aufgeregt zurückmienzte. Mienz-mienz-mienz. Das war mehr als ungewöhnlich, denn normalerweise sind Katzen und Delphine nicht eben die dicksten Freunde.

Der Kapitän kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr. Sollte er am Abend vorher womöglich zu tief ins Rumfäßchen geschaut haben? Da endlich entdeckte er etwas, das bestimmt keine Einbildung sein konnte. Ein Schiff mit blutrotem Rumpf und höllenschwarzem Segel, das Schiff des kleinen Seeräubers. »Juchhuuh!« rief der dicke Kapitän erfreut, »endlich wieder mal ein richtiger echter Kampf.«

Und schon schwang er sein großes Schwert.

Da sah er etwas, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Hinten im Heck des Seeräuberschiffes saß ein riesengroßer Löwe mit mächtiger Mähne und spitzen weißen Zähnen. Der dicke Kapitän ließ sein Schwert sinken. »Das ist unfair«, sagte er gekränkt, »ich bin schließlich ganz allein, und meine Babette ist nur eine friedliche Schiffskatze.« »Tut mir leid«, meinte der kleine Seeräuber und hielt sein Schiff neben dem vom Kapitän an, »ich bin nicht hier, um mit dir zu kämpfen, so gern ich das auch wollte, ich bin gekommen, um dich zu einem Ausflug einzuladen.«

»Zu einem Ausflug?« fragte der Kapitän und sprang erschrocken zurück, als sich ein Äffchen behende auf sein Schiff schwang und sofort anfing, auf Babette einzukeckern. Und da erzählte ihm der kleine Seeräuber von dem großen Treffen der Tiere und Fabelwesen, das nur alle 1000 Jahre stattfand. Er verschwieg, dass es ihm selbst dabei etwas mulmig zumute war und dass er sich noch gestern Abend beim Einschlafen gewünscht hatte, der ganze Plan möge sich als Einbildung und dummer Traum herausstellen. Ganz im Gegenteil, er tat so, als würde er sich ganz ungemein auf das große Abenteuer freuen, sowas erlebte man schließlich nicht alle Tage.

Der Kapitän, der immer noch sein dickes Schwert in der Hand hielt, konnte nun natürlich auch nicht zugeben, dass er sich fürchtete. Wo ihm doch schon der zahme Löwe auf dem Seeräuberschiff unheimlich war. Ein Kapitän darf nun mal nie zugeben, dass er sich fürchtet, denn sonst würden ja die anderen Kapitäne im Hafen alle seine Abenteuergeschichten für Seemannsgarn halten.

»Gut denn«, rief er mutig, »munter die Segel gehißt und los geht die Reise!« Und bei sich dachte er: wenigstens habe ich einen Feind dabei, den ich kenne, so wird mir vielleicht nicht allzu Schreckliches geschehen. Der Seeräuber versteht die Sprache der Tiere und kann für mich übersetzen, dass ich keinem Übles will. Und eine Sekunde lang erwog er sogar, dem Löwen ein Stückchen von seinem Pökelfleisch abzugeben, um ihn sich gewogen zu machen.

Auch der kleine Seeräuber war erleichtert, seinen guten alten Feind dabei zu haben. Schließlich wußte ja nur er allein, dass weder der Löwe noch der dicke Kapitän in Wirklichkeit jemandem etwas zuleide tun konnten, aber man sah es ihnen nicht an. Im Gegensatz zu ihm selber sahen sie beide groß und gefährlich aus.

So hißten sie beide ihre Segel, der Kapitän das weiße, und der Seeräuber das schwarze, wendeten ihre Schiffe und kreuzten gegen den Wind. Nach Süd-Süd-Ost. Die Delphine formierten sich zu einem Dreieck, schwammen voraus wie die Spitze eines Pfeils und zeigten ihnen den Weg.

Es war eine wunderschöne Reise.

Der kleine Seeräuber packte einen Korb mit Honigküchlein und Sesambällchen aus, der dicke Kapitän bot Schiffszwieback und Pökelfleisch an, der Löwe grummelte freundlich, und Babette, Don Poco und Mono, das Äffchen warfen auch den Delphinen im Wasser ihren Anteil zu, die hochschnellten und die Brocken im Fluge auffingen.

So verloren Seeräuber und Kapitän allmählich ihre Furcht und stellten sich schon vor, wie aufregend es sein würde, etwas zu erleben, was außer ihnen noch kein Mensch erlebt hatte. Der dicke Kapitän machte sogar heimlich Aufzeichnungen in seinen Seekarten und dachte daran, später einmal sein Schiff für Traumreisen zur Insel der Tiere zu vermieten.

Da verdunkelte sich der Himmel.

Violettschwarze Gewitterwolken ballten sich zusammen und drängten von allen Seiten her auf die Schiffe zu wie feindliche Kriegsheere in dunklen Rüstungen. Blitze zuckten wie Schwerter in die aufgewühlte See, und ein fürchterlicher Sturm erhob sich und tobte, bis die Segel fast rissen und die Bohlen zu bersten schienen. Seeräuber und Kapitän warfen sich zu Boden, schlossen die Augen und glaubten, ihr letztes Stündlein sei gekommen.