Informationen zum Buch

»... ein Meilenstein der Therapie von Partnerschafts- und sexuellen Problemen, ein ›Muß‹ für alle Paar- und Sexualtherapeuten und durchaus auch empfehlenswert für Betroffene.« Psychologie Heute

»Schnarchs Ansichten laufen dem analphabetischen sexuellen Ausdrucksverhalten unserer Gesellschaft diametral entgegen ...« Frankfurter Allgemeine Zeitung

»David Schnarch greift die traditionelle Sextherapie an ... Guter Sex finde aber auch ›jenseits des Orgasmus‹ statt. Soll heißen: Selbst wenn beide Partner korrekt zum Höhepunkt kommen, kann dies unbefriedigend sein. Lösung: mehr Intimität, mehr Intensität.« Focus

David Schnarch

Die Psychologie sexueller Leidenschaft

Mit einem Vorwort von Jürg Willi

Aus dem Amerikanischen von
Christoph Trunk und Maja Ueberle-Pfaff

Logo

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Passionate Marriage. Love, Sex, and Intimacy in Emotionally Committed Relationships« im Verlag Henry Holt and Company, New York

© 1997 by David Schnarch

Für die deutsche Ausgabe

© 2006/2016 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Umschlag: Rothfos & Gabler, Hamburg

Foto: © blurred/Masterfile

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96109-6

E-Book: ISBN 978-3-608-10638-1

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. .

Meiner Ehefrau Ruth Morehouse,
die mir geholfen hat, mehr über Liebe und Ehe zu erfahren,
als ich je zu hoffen wagte

Im Gedenken an

Estelle Schnarch,
meine geliebte Großmutter

Theodore Urban,
mit dem mich eine 27 Jahre währende Freundschaft verband

Inhalt

Vorwort zur deutschen Ausgabe von Jürg Willi

Dank

Einleitung

I. Die Grundlagen

1. Niemand ist zu Beginn einer Paarbeziehung beziehungsfähig – das werden wir erst in der Beziehung selbst

2. Differenzierung: Die Entwicklung des bezogenen Selbst

3. Ihr sexuelles Potential: Starkstromsex

4. Intimität ist nichts für Zaghafte

5. Sexuelles Verlangen: Begehren wollen

II. Instrumente für das Zueinanderfinden

6. Umarmung bis zur Entspannung

7. Liebe und Vorspiel sind nur blind, wenn Sie das unbedingt wollen

8. Orgasmus mit offenen Augen: Kontaktaufnahme beim Sex

9. Wo ist Ihr Kopf beim Sex? Die mentalen Dimensionen der sexuellen Erfahrung

10. Erotik in der Paarbeziehung: Von der Theorie zur Praxis

III. Erkenntnisse zur Paarbeziehung

11. Zweier-Dilemmata und der normale Sadismus in der Paarbeziehung

12. Festhalten am eigenen Selbst: Wie man die Feuerprobe übersteht

13. Paare in der Feuerprobe: Die kritische Masse

14. Sexualität, Liebe und Tod

Hinweise zu Therapiemöglichkeiten

Anmerkungen

Register

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Ich freue mich, daß dieses wichtige amerikanische Buch, das bereits in fünf Sprachen übersetzt wurde, nun auch auf Deutsch erschienen ist. David Schnarch ist ein führender amerikanischer Sexualtherapeut, der durch seine Publikationen, seine zahlreichen Vorträge und Seminare und insbesondere durch seine Fernsehsendungen einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Er verfügt über die Fähigkeit, sexuelle Probleme, die wohl jeder aus eigener Erfahrung kennt, offen und direkt anzusprechen und die Leserinnen und Leser mit neuartigen und einleuchtenden Sichtweisen zu überraschen.

David Schnarch distanziert sich von Übungsprogrammen, wie sie vor Jahrzehnten von den amerikanischen Sexologen Wilhelm Masters und Virginia Johnson sowie von Helen Singer Kaplan ausgearbeitet wurden. Die verhaltenstherapeutisch ausgerichteten sensate focus-Übungen waren auf die Wiedererlangung der sexuellen Funktionsfähigkeit ausgerichtet, also auf die Behebung von Störungen bei Erektionen, Ejakulationen oder Orgasmen. Man konzentrierte sich dabei stark auf das bloße Funktionieren, was durch eine Reduktion der Erwartungsängste erreicht werden sollte. Dabei verlangten die Übungen vom Partner oftmals eine nicht-fordernde Grundhaltung, die sein eigenes sexuelles Erleben behinderte sowie das Aufkommen einer partnerschaftlichen Intimität und Erotik erschwerte. Nachdem dieser Ansatz der Sextherapie zunächst ein weltweiter Erfolg war, wurde es nach einigen Jahren still um ihn, ohne daß neue Methoden an seine Stelle getreten wären.

Durch David Schnarch kommt es nun zu einer Wiederbelebung der Sexualtherapie. Er geht von einer grundlegend anderen Haltung aus. Sein Schwerpunkt liegt nicht in der Wiederherstellung der sexuellen Funktionsfähigkeit, sondern darin, sexuelle Intimität und Erotik zu ermöglichen – ein Gesichtspunkt, der bisher vernachlässigt wurde. Sexuelle Intimität setzt nach seiner Meinung die Fähigkeit voraus, sich dem Partner so zu zeigen (und sich dem Partner so zuzumuten), wie man wirklich ist. Es braucht Mut und Reife, sich dem Partner mit all seinen Gefühlen und Ausdrucksmöglichkeiten anzuvertrauen und sich dabei mit sich selbst zu konfrontieren. Wenn man sich dem Partner offenbart, geht man das Risiko ein, daß er darauf nicht mit Entzücken und Empathie reagiert. Aber man hat keine andere Wahl, man muß das ertragen.

Man kann das Wesentliche des Ansatzes von David Schnarch mit folgendem Beispiel aus seiner Praxis illustrieren: Ein Paar, beide Partner etwas über fünfzig, sitzt bei ihm in der Therapie. Der Mann wagt erstmals offen zu sagen, was ihm den sexuellen Zugang zu seiner Frau erschwert: »Mich stört einfach deine alternde Haut. Ich fühle mich nun mal stärker von junger Haut angezogen.« Die Frau ist verletzt und fühlt sich nach der Sitzung ohnmächtig und deprimiert. Doch dann setzt bei ihr ein Umdenken ein, und sie überrascht in der folgenden Sitzung ihren Mann mit folgenden Worten: »Ich hatte eine schwere Zeit nach der letzten Sitzung. Ich habe mich in der Zwischenzeit eingehend im Spiegel betrachtet und kam dabei zur Feststellung: Ich habe tatsächlich die Haut einer 50jährigen. Doch dann wurde mir klar: Das ist meine Haut, sie paßt zu mir, sie gehört zu mir, ich fühle mich in ihr wohl. Hast du hier etwa ein Problem?«

Wenn Partner eine Liebesbeziehung eingehen, hegen sie insgeheim die Erwartung, der Partner reagiere auf jede intime Offenbarung mit Wertschätzung, Anerkennung und Liebe. Es besteht der Wunsch, diese positiven Gefühle zu erhalten, aber es wird befürchtet, diese Gefühle könnten verlorengehen. Also versucht man, die harmonische Übereinstimmung mit dem Partner zu bewahren, indem man alles vermeidet, was trennend wirken könnte. Man neigt dazu, die Erwartungen des anderen zu erfüllen und sich seinen Wünschen anzupassen. Dies zeigt sich oft bei jungen Paaren, bei denen der Mann häufigeren sexuellen Kontakt haben möchte als seine Frau. Wenn die Frau sexuelle Beziehungen ablehnt, sagt er: »Aber wenn du mich wirklich lieben würdest, so würdest du doch ...« Die Frau möchte nun die Bestätigung erhalten, daß sie begehrenswert ist. Sie befürchtet, vom Mann weniger geschätzt oder gar verlassen zu werden, wenn sie seine Erwartungen nicht erfüllt. So gibt sie seinen Wünschen »aus Liebe« nach und ist eventuell bereit, Theater zu spielen, nur um ihn zufriedenzustellen.

Der übermächtige Wunsch, vom Partner bestätigt zu werden, führt zur Selbstaufgabe. Die Folge davon ist, daß früher oder später bei der Frau eine Reaktion auftritt, bei der sie keine Freude mehr an sexuellen Beziehungen hat, ja sogar jegliche Berührung ablehnt aus Angst, diese könnte gleich mit der Forderung nach Sexualverkehr verbunden werden. So entwickelt sich ein Teufelskreis: Je mehr die Frau körperliche Beziehungen abwehrt, desto fordernder wird der Mann, und je fordernder der Mann wird, desto abwehrender wird die Frau. Beide sind zutiefst verzweifelt und frustriert. Sie finden nicht mehr zueinander. Das führt zur Vermeidung und Störung von Intimität.

David Schnarch zeigt nun, daß Liebesbeziehungen zu einer Differenzierung des Selbst herausfordern. Es bringt nichts, sich den Wünschen des Partners anpassen und in unehrlicher Weise seinen Erwartungen entsprechen zu wollen. Der einzuschlagende Weg ist, zu lernen, dem emotionalen Druck standzuhalten, den die Partner aufeinander ausüben. Man muß lernen, sich dem Partner gegenüber mit echten Gefühlen zu zeigen und in der Intimität bei sich selbst zu bleiben. Das ist eine sehr hohe Anforderung, deren Erfüllung oft schwierig und schmerzlich ist. Aber so gesehen kann man sagen, die Liebesbeziehung ist eine »people growing machine«.

Intimität und enge Bindung sind nach David Schnarch nur möglich, wenn die Autonomie der Partner gesichert bleibt. Wenn dies nicht gewährleistet ist, fühlt man sich gedrängt, die Kontrolle über die Beziehung behalten zu wollen, was Intimität unmöglich macht. Zwar wird in jeder Liebesbeziehung emotionale Nähe ersehnt und auch gefordert, aber das erwachsene Selbst entwickelt sich eher unter der Nicht-Bestätigung durch den Partner. Die Liebenden geben sich nicht nur vorbehaltlose Unterstützung, sondern stehen einander auch kritisch gegenüber. Ein Partner ist kein guter Partner, wenn er einfach »lieb« und nachgiebig ist. Jeder muß über die Fähigkeit verfügen, zu spüren, was er selbst will, und muß es wagen, sich dem anderen in seiner Weise zuzumuten. Erst das eröffnet die Möglichkeit, die Beziehung auch sexuell spannungsgeladen und lebendig zu erhalten.

Ich lernte David Schnarch 2002 am World Council for Psychotherapy in Wien kennen. Wir waren beide überrascht, als wir entdeckten, daß wir in den Grundannahmen über das Wesen einer Liebesbeziehung und der Paartherapie eine hohe Übereinstimmung hatten, ohne daß der eine vom anderen zuvor etwas gewußt hätte. Das ist nicht selbstverständlich, weil der Mainstream der amerikanischen Paartherapie den Hauptakzent auf die gegenseitige emotionale Unterstützung und Empathie des Paares legt. Wo David Schnarch von Differenzierung des Selbst in der Intimität spricht, beschreibe ich in meinem Buch »Psychologie der Liebe« die Herausforderung der persönlichen Entwicklung durch den koevolutiven Prozeß der Partner. Dabei vertrete ich die These, daß nichts die persönliche Entwicklung im Erwachsenenalter so stimuliert und herausfordert wie eine Liebesbeziehung.

Der Übergang vom Verliebtsein und der Utopie des Aufgehobenseins in einer vollkommenen Harmonie mit dem Geliebten zur Erkenntnis, daß diese Sehnsucht nie ganz in Erfüllung gehen kann, ist eine der großen Enttäuschungen des Lebens. Kann diese Enttäuschung aber bewältigt werden, so bildet sich aus der ersehnten absoluten Liebe ein tiefes Band zwischen den Partnern, das die Kraft gibt, sich in der Auseinandersetzung einander zu erklären und damit über sich selbst klarer zu werden. Dabei gibt der kritische Widerstand, den die Partner einander entgegensetzen, einen starken Anreiz zu persönlicher Entwicklung und Differenzierung. Bei allen grundsätzlichen Übereinstimmungen bleiben aber auch genügend Unterschiede zwischen David Schnarchs Ansatz und der koevolutiven Paartherapie, von deren Klärung ich eine fruchtbare Stimulation für die Weiterentwicklung der Paartherapie erwarte.

So wünsche ich David Schnarchs Buch »Die Psychologie sexueller Leidenschaft« eine große Verbreitung sowohl bei allen Interessierten und der großen Zahl Betroffener als auch bei denjenigen, die sich für Sexual-Erziehung in den Medien, Schulen und in der Erwachsenenbildung engagieren, und natürlich auch bei den Fachleuten, also insbesondere bei Psychotherapeuten, Paartherapeuten und Sexualtherapeuten.

Jürg Willi
Zürich, im Januar 2006

Dank

Ein Buch über Liebesbeziehungen handelt immer auch von dem gewaltigen Wagnis, das Menschen eingehen, wenn sie ihr Leben miteinander teilen. Letztlich ist das alles, was wir einander anbieten können. Ich selbst bin in meinem Leben auf diese Weise reich beschenkt worden. Der Gehalt und die Tiefe, die dieses Buch hoffentlich hat, gründen in einer Fülle von Erfahrungen, die ich mit vielen wunderbaren Menschen machen durfte. Die Menschen in meinem Leben sind mir sehr kostbar, und ich schätze sie um so mehr, seit einige geliebte Menschen im hohen Alter oder durch Krankheit gestorben sind.

Ich stehe in der Schuld der mutigen Paare, die mich Zeuge ihrer Mühen und Kämpfe sein lassen: der Klientinnen und Klienten meiner psychotherapeutischen Praxis und der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Paar-Workshops. Mein Dank gilt auch denen, die in meinen Workshops und bei meinen Vorträgen aus ihrem Leben berichten und Eindrücke hinterlassen, die in der Erinnerung haften bleiben. Sie geben mir die Möglichkeit, über die Grenzen meiner eigenen Erfahrung hinauszublicken. Ohne sie wäre mir verborgen geblieben, was für ein komplexes und wundersames Instrument des persönlichen Wachstums die Paarbeziehung ist. Sie haben mir die Ehre erwiesen, mich an ihrem Leben teilhaben zu lassen, und mich oft zu Tränen gerührt. Ich sehe ihren Einsatz und ihre Triumphe als Beispiele dafür, wieviel Heroismus die Differenzierungsschritte des Alltags verlangen, und empfinde sie als eine spirituelle Bereicherung. Wenn ich die Geschichten dieser Menschen hier wiedergebe, tue ich das mit Respekt und großer Hochachtung.

Die wissenschaftliche Leistung von William Masters und Virginia Johnson ist beispiellos und aus Sexualwissenschaft und Medizin nicht mehr wegzudenken. Ich bin insbesondere Dr. Masters dankbar, der mit seiner Arbeit, seiner Kultiviertheit und seiner Integrität tiefen Eindruck auf mich machte. Murray Bowen hat mit seiner Differenzierungstheorie prägenden Einfluß auf mich ausgeübt. Er starb 1990, und ich bedaure sehr, daß wir uns nie begegnet sind. Diese Menschen haben, auf ihre jeweils eigene Weise, den Weg bereitet für das, was Sie in diesem Buch lesen werden. Wer auf den Schultern von Riesen steht, hat es leichter, neue Horizonte zu entdecken.

Ich bin mit guten Freunden gesegnet, die in ihren Berufen und Fachgebieten Großartiges leisten. Ihre Freundschaft und ihr Rückhalt haben mich all diese Jahre getragen. Ich habe mich beim Schreiben dieses Buches auf ihren Sachverstand und ihre Anregungen gestützt: Joshua und Peggy Golden äußerten Kommentare und Vorschläge zu einem frühen Entwurf. Marty Klein machte mich mit dem Autor und Lehrer Hal Bennet bekannt, der mir zeigte, wie man ein Exposé schreibt und seinen Schreibstil verbessern kann. Sally Maison und Walker Meade gingen fortgeschrittene Textversionen durch und halfen mir, einen durchgängigen Ton zu halten; Bernie Zilbergeld steuerte wichtige Verbesserungsvorschläge bei.

Barry Lester ist seit dem Hauptstudium ein enger Freund und Kollege, dem der Schalk im Nacken sitzt und der gerne den Part des Provokateurs spielt. Barry machte mich darauf aufmerksam, wie neue Erkenntnisse zu Beziehungen zwischen Erwachsenen mit neuen Ergebnissen der Entwicklungspsychologie zusammenhängen. Er begutachtete, ebenso wie James Maddock und Noel Larson, das Manuskript. Jim und Noel sind scharfsinnige dialektische Denker, und ihre Anmerkungen und Vorschläge waren von unschätzbarem Wert für mich. Yvonne Dolan und Charlie Johnson unterstützten mich mit Ideen, machten mir Mut, und außerdem waren wir Gäste in ihrem Haus: Sie waren wesentlich an unserem Umzug nach Colorado beteiligt. Damit habe ich von den Menschen, die mir etwas bedeuten, einige der mir wertvollsten genannt.

Dies ist das zweite Buch, das zusammen mit Susan Munro, meiner Lektorin beim Verlag Norton, entstanden ist. Ich danke ihr und Margaret Ryan, die am Lektorat des vorliegenden Buches mitwirkte. Der Text hat durch sie beide sehr gewonnen; ihre Kommentare halfen mir, Unklarheiten und Unsicherheiten auszuräumen, die der Text noch aufwies. Ich danke Christi Albouy für das Tippen einer neuen Manuskriptversion, und meinem Agenten Owen Laster, Vizepräsident der Agentur William Morris, der die Vertragsverhandlungen für dieses Buch führte.

Den innigsten Dank habe ich für die aufgespart, die mir am nächsten und liebsten sind. Es versteht sich sozusagen von selbst, daß das Buch ohne meine Mutter und meinen Vater, Rose und Stan Schnarch, nicht möglich gewesen wäre. Ich meine hier aber mehr als das Offenkundige. Sie haben mir nicht nur das Leben gegeben, sondern mir mit ihrer Güte und Menschlichkeit auch gezeigt, worauf es im Leben ankommt. Ihre Liebe zueinander, zu mir und meinem Bruder Steve hat mir Orientierung gegeben und Kraft, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich bin ihnen dankbar, daß sie mir erlaubt haben, Ihnen aus ihrem Leben zu erzählen.

Meine Frau Ruth und meine Tochter Sarah haben auf vieles verzichtet, damit dieses Buch zustande kommen konnte. Sie ertrugen mich, als meine Nase am Computermonitor wie festgewachsen schien, mein Gehirn in Bergen von Papier versank und ich für nichts mehr Zeit hatte. Sie waren über die Maßen geduldig, verständnisvoll und hilfsbereit. Zur Arbeit an dem Buch kam noch erschwerend hinzu, daß unsere Übersiedlung nach Evergreen genau in diese Zeit fiel. Ruth übernahm einen Großteil der Verantwortung für den Haushalt, und Sarah fand sich mit der enttäuschenden Situation ab, daß ich zwar bei ihr zu Hause (weil mit Schreiben beschäftigt), aber für sie nicht verfügbar war. Ich werde Ihnen die beiden noch voller Stolz und Dankbarkeit vorstellen. Ohne Ruth und Sarah wäre mein Leben nur ein schwacher Abglanz dessen, was es jetzt ist. Von allen Menschen, denen ich zugetan war und bin, haben sie in meinem Herzen die tiefsten Spuren hinterlassen.

Einleitung

Zu Beginn möchte ich mich Ihnen mit einer Geschichte aus meinem Leben vorstellen:

Für die Abschlußarbeit meines Master’s-Studiums an der Michigan State University suchte ich mir einen als charismatisch geltenden Professor als Betreuer aus. Mein Pech war, daß ich zu Ergebnissen gelangte, die sich allenfalls so deuten ließen, daß sie den klinischen Erklärungsansatz meines Mentors nicht bestätigten, und die ihn vielleicht sogar widerlegten. Mein Glück war, daß dem Ausschuß, in dem meine Arbeit diskutiert wurde, Jack Hunter als Statistikexperte angehörte, ein begnadeter Mathematiker, der mir viel mehr beigebracht hat als nur das Interpretieren von Zahlen.

Mein Professor drängte mich, meine Ergebnisse so darzustellen, als seien sie nicht eindeutig; Jack zeigte mir, daß die Daten eine andere Sprache sprachen. Nachdem ich in meiner Abschlußarbeit ein Jahr lang so vorgegangen war, daß in ihr beide Sichtweisen zur Geltung kamen, verfügte mein Mentor, ich müsse die zweite Deutungsmöglichkeit so weit in den Hintergrund treten lassen, daß sie (buchstäblich) nur noch in einer Fußnote erscheine. Empört und in Panik wandte ich mich an die anderen Fakultätsmitglieder des Ausschusses. Sie sagten mir, ich müsse das mit meinem Mentor »abklären«. Einer riet mir unter vier Augen: »Du mußt verstehen, Dave, daß wir mit ihm viel länger leben müssen als mit dir. Gib ihm doch, was er haben will.«

Jack Hunter gab mir einen anderen Rat. Er sagte zu mir: »Dave, sobald du deinen Namen unter diese Arbeit gesetzt hast, steht er da für alle Zeiten. Du hast in jedem Fall die Möglichkeit, noch eine andere Abschlußarbeit zu schreiben. Tu das, was du für richtig hältst.«

»Damit würde ich doch die Arbeit von Jahren einfach wegwerfen!«

»Dann tu das, was du für richtig hältst.«

Es gab Augenblicke, in denen ich böse auf Jack war – und auf mich selbst –, weil er mich ermutigt hatte, das meiner Überzeugung nach Richtige zu tun. Mittlerweile rechne ich diese Erfahrung aber zu den entscheidenden meines Lebens (und hoffe, daß ich sie nie wieder durchmachen muß). Die folgenden zwei Jahre saß ich dann an einer völlig neuen Abschlußarbeit (mit einem neuen Betreuer). In der Danksagung zu meiner Dissertation ging ich, ohne daß ich das damals schon so hätte benennen können, auf das Thema der Differenzierung ein:

Ich habe etwas über qualitätsbewußte Forschung gelernt und außerdem verstanden, daß die emotionalen Kosten, die ich für »vorteilhafte« und »pragmatische« Zugeständnisse zahle, am Ende oft weit höher sind, als wenn ich die Mühe auf mich nehme, zu meinen Überzeugungen zu stehen. Allerdings sind, wenn man für den Preis von zwei Abschlußarbeiten nur einen akademischen Grad erhält, die emotionalen Kosten durchaus erheblich, und ich schätze mich glücklich, daß ich Freunde habe, die in der Zeit, als ich diesen Tribut leisten mußte, Geduld mit mir hatten.

Ich erzähle Ihnen diese Geschichte aus zwei Gründen. Erstens bietet sie ein Beispiel für das, was ich Differenzierung nenne und als einen Eckpfeiler einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung betrachte. Differenzierung bedeutet, daß Sie zu Ihren Überzeugungen und Vorstellungen stehen: Sie versuchen, ruhig und gelassen zu bleiben, sich nicht von Ihren Ängsten bestimmen zu lassen und nicht übertrieben zu reagieren; auch wenn Ihr Gegenüber für Ihr Leben von enormer emotionaler Bedeutung ist (wie etwa jener Professor und Betreuer für mich) und Sie unter Druck setzt, knicken Sie nicht ein. Derartige Fähigkeiten sind in einer Paarbeziehung von allergrößtem Wert.

Ich habe also an der Universität gelernt, was Differenzierung ist – nicht in einem Theorieseminar, sondern durch ein Erlebnis, das mein Leben geprägt und mit dazu beigetragen hat, daß ich jetzt das schreiben kann, was Sie lesen. (Auf den theoretischen Begriff der Differenzierung bin ich dann erst zehn Jahre später gestoßen, als ich schon berufstätig war.) Zu jener Zeit aber war mir nicht klar, wie gut mich dieser Konflikt zum einen auf die Ehe vorbereitete und zum anderen darauf, die Ideen zu entwickeln, die ich Ihnen in diesem Buch vorstellen möchte.

Der zweite Grund dafür, daß ich Ihnen aus meiner Studienzeit erzähle, ist der, daß Differenzierung auch für Sie in doppelter Hinsicht wichtig ist: Wenn Sie sich heißen Sex und eine innige Liebesbeziehung wünschen, müssen Sie sich wahrscheinlich von Sichtweisen lösen, die in unserer Gesellschaft weitverbreitet sind, und differenziertere Vorstellungen entwickeln. Das Geheimnis liegt nicht darin, daß Sie »besser kommunizieren« oder den Wünschen Ihres Partners oder Ihrer Partnerin nachgeben – entscheidend ist vielmehr, daß Sie »an sich selbst festhalten«, das heißt sich selbst treu bleiben. Das ist der zweite wichtige Aspekt der Differenzierung: Um das sexuelle Potential auszuloten, das in Ihrer Beziehung steckt, müssen Sie vermutlich Ihre Differenzierungsfähigkeit steigern.

Um in meiner persönlichen Entwicklung als Therapeut und Dozent (und Ehemann) vorwärtszukommen, mußte auch ich eine Reihe von Differenzierungsschritten bewältigen. Ich stellte nämlich fest, daß in der heutigen Sexual- und Paartherapie – und in den gängigen Vorstellungen über Sexualität und Intimität – Lücken klafften, die mich zur Verzweiflung brachten. Eine systemische Betrachtungsweise von Paarbeziehungen spielte in der Sexualtherapie so gut wie keine Rolle, und Leidenschaft und Erotik im eigentlichen Sinne waren kein Thema. (Haben Sie sich zum Beispiel schon einmal gefragt, was jenseits des Orgasmus liegt? Das vorliegende Buch gibt Antworten auf diese Frage.) Andererseits versagten die meisten Formen der Paartherapie, sobald es um das Thema Sexualität ging. Viele Therapeuten störten sich nicht daran, weil Sexualtherapie und Ehetherapie im wesentlichen als getrennte Fachdisziplinen galten (woran sich wenig geändert hat). Diese unaufgelösten Widersprüche haben aber sehr viel damit zu tun, wie Menschen heute mit ihrer Sexualität umgehen, und prägen unsere gesamte Gesellschaft.

Als mir das klar wurde, war ich in einer ähnlichen Situation wie damals, als Jack Hunter mir seinen Rat gab. Erneut war meine Differenzierungsfähigkeit gefordert. Konnte ich es wagen, von den »bewährten und richtigen« Methoden der modernen Ehe- und Sexualtherapie abzuweichen? Das Endresultat meiner fünf Jahre andauernden Bewährungsprobe war das Buch Constructing the Sexual Crucible: An Integration of Sexual and Marital Therapy (in etwa: Das Konzept der sexuellen Feuerprobe: Eine Synthese von Sexual- und Paartherapie). Viele Ideen, mit denen ich Sie im folgenden bekanntmachen möchte, sind dort ausführlich dargestellt. Ich gebe einen Überblick über die einschlägige Forschung, erörtere Befunde und Argumente und gebe umfassende Literaturhinweise. Es heißt dort:

Die Psychotherapie ist eine Aberration der letzten hundert Jahre. Vor allem die Sexual- und Ehetherapie ist wie die erste Knospe an einem noch unreifen Obstbaum: schon eine Frucht zu nennen, aber ohne Süße und vielleicht, solange die zweite Ernte noch aussteht, besser mit Vorsicht zu genießen. Sie ist auch, wie das nun einmal nicht anders sein kann, ein Kind ihrer Zeit: Ihre »Lösungen« spiegeln eher die Sichtweise wider, mit der wir es gewohnt sind, an Probleme heranzugehen, als daß sie auf einem fundierten Wissen vom Wesen der Ehe selbst beruhen würden.

Constructing the Sexual Crucible ist kein leicht zu lesendes Buch, aber viele haben sich tapfer hindurchgekämpft. Das Buch war in erster Linie für Therapeuten gedacht, aber »Laien« aus der ganzen Welt schrieben mir, es habe ihnen weitergeholfen. Sie ermunterten mich, ein praxisnäheres und für ein breiteres Publikum geeignetes Buch zu schreiben. Therapeuten fragten nach einem Buch an, das sie in der Arbeit mit ihren Klienten verwenden könnten. Das Resultat haben Sie vor sich. Ein großer Teil des hier verwendeten Materials ist neu und in meinem vorherigen Buch nicht enthalten.

In den ersten fünf Kapiteln von Passionate Marriage möchte ich Ihnen ein Erklärungsmodell vorstellen, das bislang unerkannte Sinnzusammenhänge, Funktionen und Perspektiven Ihrer sexuellen Beziehung deutlich macht. Die mittleren fünf Kapitel zeigen konkrete Wege zu einer erfüllteren Sexualität und einer Vertiefung Ihrer Beziehung auf. Die letzten vier Kapitel beschreiben, wie Sexualität und Intimität in einer Liebesbeziehung tatsächlich funktionieren (nämlich als ein komplexes System). In jedem der drei Teile des Buches erwarten Sie Fallbeispiele, wie Sie sie in dieser Art wohl noch nirgends gelesen haben.

Die romantische Liebe ist ein relativ neues Phänomen, über das wir, vor allem im Zusammenhang mit der Ehe, nur wenig wissen. In Die Liebe und das Abendland stellt Denis de Rougemont fest, daß es in der westlichen Kultur keine Geschichtsschreibung einer glücklichen romantischen Liebe zwischen Eheleuten gibt; vor dem zwölften Jahrhundert habe die Vorstellung der romantischen Liebe noch gar nicht existiert. Dichtung und Literatur handeln oft von verheirateten Menschen, die die Liebe außerhalb der Ehe finden, aber meistens wird daraus dann eine Tragödie. Laut de Rougemont betrachten wir die leidenschaftliche Liebe als einen Impuls, dem wir nicht widerstehen können und der uns in seinem Triumph verzehrt und vernichtet. Wir sehen die romantische Liebe als eine privilegierte Form des Leidens, durch das wir uns lebendiger fühlen, weil das Leben durch sie gefährlich, groß und tragisch wird.1

Über lustvolle Sexualität und dauerhafte Intimität in einer Ehe oder stabilen Paarbeziehung wissen wir nur relativ wenig. Bislang war in der Menschheitsgeschichte die Regel, daß eine Ehe von den Eltern des Paares nach gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kriterien vereinbart wurde. Noch nie haben sich Menschen von der Ehe so viel Erfüllung und Glück erwartet wie heute. Die hohen Scheidungsraten zeigen, wie gewaltig unsere Erwartungen sind – und wie wenig wir in der Lage sind, ihnen zu genügen. Viele Zeitgenossen hegen die Illusion, für jedes persönliche Problem (ob es nun um Intimität, Sexualität oder anderes geht) gäbe es eine bestimmte psychologische Technik, und es komme nur darauf an, sie richtig anzuwenden. In Wirklichkeit existieren solche Techniken aber nicht. Vielmehr hat unser Unwissen dazu geführt, daß die Methoden, die wir entwickelt haben, uns offenbar sogar daran hindern, unsere angestrebten Ziele zu erreichen.

Wir werden heute im Durchschnitt älter als unsere Vorfahren und bleiben körperlich und geistig länger in Form. Davon haben wir aber nur wenig, wenn wir in einer »toten« Beziehung leben. Wir müssen Wege finden, sie mit Leidenschaft zu füllen, falls wir nicht nur nebeneinander herleben oder eine oberflächliche Beziehung durch die nächste ersetzen wollen. Immer mehr Paare hoffen (wider alle Hoffnung), daß der Funke der Leidenschaft nicht erlischt, »bis daß der Tod uns scheidet«. Nebenbei gesagt trägt auch AIDS dazu bei, die Idee einer »heißen« Monogamie attraktiver erscheinen zu lassen.

Vielleicht haben Sie selbst zwar einen Sinn für Erotik, sind aber mit einem Menschen verheiratet, für den Erotik offenbar ein Buch mit sieben Siegeln ist. Vielleicht stehen Sie auch ganz am Anfang Ihres Liebeslebens und wollen wissen, worauf es dabei ankommt. Vielleicht fragen Sie sich: »Und das soll alles sein, was mein Liebes- und Sexualleben zu bieten hat?« Fassen Sie Mut: Die Prozesse einer Paarbeziehung greifen auf viel elegantere Weise ineinander, als wir zu glauben wagen. Sie kann ein großes Geschenk sein, ist aber auch ein weit schwierigeres Unterfangen, als das vielen Menschen klar ist.

Wenn Sie neue Schritte gehen wollen, hat das seinen Preis. Sie werden zum Beispiel liebgewonnene Vorstellungen über Bord werfen müssen, die Ihnen das Gefühl der Sicherheit geben oder von denen Sie sich eine Lösung für Ihre Schwierigkeiten erwarten. Sie werden sich von Ihrem bisherigen »Selbst« verabschieden müssen, um der Mensch zu werden, der Sie sein möchten. Vielleicht befinden Sie sich auch bereits in einer konkreten Situation, in der Sie sich entscheiden müssen, ob Sie Schritte dieser Art gehen wollen. Das liegt nicht daran, daß mit Ihrer Paarbeziehung etwas nicht stimmen würde, sondern gehört ganz natürlich zu einer Beziehung dazu.

Es liegt durchaus in meiner Absicht, daß dieses Buch eine sehr persönliche Note hat. Es zu schreiben war für mich eine sehr intensive Erfahrung – ich hoffe, daß das auch für das Lesen gilt. Ich lege Ihnen hier offen, wie ich die Welt sehe, und führe Ihnen das vor, was ich als mein Lebenswerk betrachte. Ich habe mich dabei um dieselbe Art von Respekt bemüht, die ich auch meinen Klienten erweise: Ich sage die Dinge so direkt und aufrichtig, wie ich kann. Was Sie lesen werden, ist mir wichtig. Ich hoffe, es wird auch für Sie wichtig sein.

Mein Ziel ist, Sie dazu anzuregen, »an sich selbst festzuhalten« und Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin zugleich nahe zu sein. Sie haben keine Zeit zu verlieren, aber ich hoffe, Sie werden mit sich selbst dennoch Geduld haben, denn unser inneres Wachstum verläuft äußerst langsam.

Ich möchte Ihr Herz und Ihren Verstand ansprechen und Sie darin bestärken, sich bei Ihren Entscheidungen von Ihrem Gefühl und von Ihrem Urteilsvermögen leiten zu lassen (anstatt das eine oder das andere beiseite zu schieben). Denn für den Prozeß der Differenzierung sind beide Aspekte wichtig. Differenzierung bedeutet auch, die »weibliche« und die »männliche« Seite in uns zu entwickeln. Damit tun wir uns selbst und unserer Gesellschaft einen wichtigen Dienst.

Lassen Sie mich im Vorfeld einige mögliche Mißverständnisse ausräumen.

In diesem Buch ist vor allem von Ehepaaren die Rede, doch es richtet sich ebenso an unverheiratete Paare. Zuweilen benutze ich das Wort »Ehe« als Kürzel für eine enge Paarbeziehung. Drei Gründe sprechen dafür, den Begriff »Ehe« nicht auf eine gesetzlich sanktionierte Lebensgemeinschaft einzuengen: a) Viele Paare sind zwar vor dem Gesetz ein Ehepaar, müssen es aber im eigentlichen Sinne erst noch werden; b) eine Ehe entsteht nicht durch einen einmaligen Akt der Entscheidung – ich würde es eher so ausdrücken, daß ein Paar mit der Zeit immer mehr ein Paar wird; c) gleichgeschlechtlichen Paaren ist in vielen Ländern eine Eheschließung verwehrt.

Die Grundgedanken dieses Buches sind auch auf Singles übertragbar. (Bei einer Einzelberatung gehe ich nach denselben Prinzipien vor wie bei einer Paarberatung.) Differenzierungsprozesse laufen in jeder zwischenmenschlichen Beziehung ab, und es muß sich dabei nicht um eine »feste« Beziehung oder eine Liebesbeziehung handeln. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte meiner Abschlußarbeit. Auch Singles sind immer wieder gefordert, sich von anderen Menschen zu differenzieren, ob nun von Eltern, Freunden, Sexualpartnern oder Arbeitskollegen. Wer aber heiratet oder eine feste Bindung eingeht, der hat anderen Menschen etwas voraus. Denn wenn ein Paar das Gefühl hat, daß das Band geknüpft ist und es kein Zurück mehr gibt, dann steigt sozusagen die Betriebstemperatur der Beziehung.

Ich habe es aufgegeben, gegen den Sexismus anzurennen, der nun einmal in unserer Sprache steckt. An manchen Stellen spreche ich zum Beispiel nur vom »Partner« oder nur von der »Partnerin«, obwohl jeweils auch das andere Geschlecht gemeint ist. Mit derartigen Verkürzungen möchte ich nichts suggerieren. Es geht mir vor allem darum, komplexe Ideen klar und verständlich darzustellen.

Meine Ideen und Anregungen werden nicht alle Leserinnen und Leser auf ein und dieselbe Weise ansprechen. Der Nutzen, den Sie aus diesem Buch ziehen, kann ganz unterschiedlich aussehen. Aus dem für meine Theorie zentralen Konzept der Differenzierung läßt sich ableiten, daß Sie, wenn Ihre Differenzierung bereits weit fortgeschritten ist, nicht viele Anstöße von außen brauchen, um notwendige Veränderungen vorzunehmen. Je niedriger aber der Grad Ihrer Differenzierung ist, desto eher werden Sie sich in Ihrer Beziehung festfahren und miteinander an einen toten Punkt kommen, der nur durch eine Krise – oder eine Therapie – zu überwinden ist. Es ist kein Manko meiner Methode, sondern unvermeidlich, daß Paare unterschiedlich auf sie reagieren.

Viele Menschen haben sich die in Die Psychologie der sexuellen Leidenschaft enthaltenen Ideen und Vorschläge bereits zu eigen gemacht und begonnen, die »Reifungsprozesse«, die ihre Paarbeziehung für sie bereithält, bewußt für sich zu nutzen. Diese Prozesse laufen in jeder Paarbeziehung ab, und normalerweise ist keine Therapie notwendig, damit sie in Gang kommen. Viele Paare, die über die nötige Entschlossenheit verfügen, kommen auch ohne Hilfe von außen erstaunlich gut voran; andererseits kann ein guter Therapeut erstaunlich viel bewirken. Die Lektüre von Die Psychologie der sexuellen Leidenschaft wird Ihnen gute Dienste leisten, ob Sie Ihre Schwierigkeiten nun allein angehen oder sich Unterstützung holen wollen.

Vielleicht hegen Sie wie ich ein Mißtrauen gegen »Experten«, die uns versprechen, wir könnten in zehn Schritten zu einem erfüllten Liebesleben finden. Das ist sicher Humbug, denn wenn es so leicht wäre, warum gelingt es dann nur so wenigen? Eine Ehe oder Paarbeziehung ist kein Kinderspiel. Wenn Sie aber ähnlich gestrickt sind wie meine Klientinnen und Klienten, dann verlangen Sie gar nicht, daß es kinderleicht sein muß – Hauptsache ist, es funktioniert.

»Vertrauen« ist nicht nur in den meisten Paarbeziehungen, sondern auch in der Paar- und Sexualtherapie ein Thema, das oft ungeheuer viel Zeit verschlingt. Deshalb gehe ich die Sache anders an: Ich sage meinen Klientinnen und Klienten, daß es keinen Grund gibt, Vertrauen in eine Methode zu setzen, bevor sie ihre Wirksamkeit bewiesen hat. Solange sie nicht funktioniert, gibt es auch keinen Grund, an sie zu glauben. Und wenn die Methode Wirkung zeigt, sollte für Sie klar sein, daß das nicht daran liegt, daß Sie fest daran geglaubt haben. Es ist umgekehrt: Weil es funktioniert, glauben Sie daran. Ich erwarte von Ihnen also nicht, daß Sie für bare Münze nehmen, was ich Ihnen sage. Vertrauen Sie der eigenen Erfahrung.

Manche Autoren ermuntern Sie, sich sozusagen an der Hand nehmen und von ihnen führen zu lassen. Ich dagegen sage: Vertrauen Sie mir nicht. Denn Sie haben keinen Grund dazu, und es wäre auch Ihrer Differenzierung nicht förderlich. Wenn Sie mir vertrauen, ändert sich bei Ihnen nichts. Entscheidend ist vielmehr, daß Sie Vertrauen zu sich selbst haben (und aus eigenem Impuls aktiv werden). Ziel dieses Differenzierungsprozesses ist, daß Sie bereit und fähig sind, sich selbst zu vertrauen. Wenn Die Psychologie der sexuellen Leidenschaft Ihnen einleuchtet, müssen Sie selbst entscheiden, was Sie mit Ihren Erkenntnissen anfangen wollen.

Wichtig ist nicht, was bei anderen funktioniert, sondern was bei Ihnen funktioniert. Das einzig sinnvolle Entscheidungskriterium ist Ihr eigenes Leben. Ein Vorschlag wäre deshalb, daß Sie beim Lesen Stellen anstreichen, von denen Sie sich angesprochen fühlen. (Ich selbst verwende Doppellinien, wenn mir etwas ganz besonders interessant erscheint.) Lesen Sie das Buch irgendwann ein zweites Mal und gehen Sie wieder genauso vor. Wenn Sie dann genau dasselbe anstreichen, sind Sie entweder einer tiefen Wahrheit auf der Spur, oder Sie haben sich nicht weiterentwickelt.

Falls Sie sich Stellen anstreichen möchten, würde ich Ihnen nicht raten, sich das Buch mit Ihrer Partnerin zu teilen. Denn durch die Markierungen wird es zu einem höchst persönlichen Gegenstand. Ich schlage vor, daß beide Partner (im Sinne einer wechselseitigen Differenzierung) ihr eigenes Buch haben. Das ist sicher sinnvoll, wenn Sie lernen möchten, in sich selbst Halt zu finden.

Sparen Sie sich übrigens die Mühe, Ihrem Partner Passagen anzustreichen, die er lesen soll, oder das Buch aufgeschlagen herumliegen zu lassen, in der Hoffnung, daß er neugierig nachschaut, an welcher Stelle Sie gerade sind. Wenn Sie nicht bereit sind, direkt zu äußern, was Sie beschäftigt, dann sind Sie wahrscheinlich auch nicht so weit, daß Sie im Gespräch über die betreffenden Stellen an sich selbst festhalten können.

Weder dieses Buch noch die Realität einer Paarbeziehung kann sich Ihnen ausschließlich über den Verstand erschließen. Das Wesentliche ist Ihr persönliches Erleben. Die Lektüre des Buches kann Sie nicht zum Experten in Sachen Sexualität und Intimität machen – das bleibt Ihrer Beziehung überlassen. In Kapitel 1 geht es darum, welch ausgezeichnete Lehrerin eine Paarbeziehung ist. Mein Buch hilft Ihnen, die Lektionen dieser Lehrerin zu entschlüsseln. Ich hoffe, die Lektüre und Ihre eigenen Reaktionen darauf werden für Sie eine spannende Erfahrung, an die Sie mit Offenheit, Aufrichtigkeit und Geduld herangehen.

Ich kann mich wirklich glücklich schätzen. Die größten Quellen der Freude sind für mich meine Frau Ruth und meine Tochter Sarah, und daß es mir vergönnt ist, der Autor dieses Buches zu sein, ist für mich ein weiteres großes Glück. Ich sehe es als ein großes Geschenk an, daß ich es heute, an meinem fünfzigsten Geburtstag, zum Abschluß bringe. Das Laub der Espen hat sich golden gefärbt, die Kuppen der Berge sind weiß vom Schnee der letzten Nacht, die Sonne strahlt, und der tiefblaue Himmel ist mit Wolken gesäumt. Beim Weiterlesen werden Sie verstehen, daß das für mich mehr ist als nur ein Wetterbericht. Dies ist der beste Geburtstag, den ich je hatte.

David Schnarch
Evergreen, Colorado

Wenn dich die Liebe ruft, so folge ihr,
auch wenn ihre Wege schwer und steil sind.
Und wenn ihre Flügel dich umfassen,
gib ihr nach, auch wenn das Schwert
in ihrem Gefieder versteckt
dich verwunden kann.
Und wenn sie zu dir spricht, glaube ihr,
auch wenn ihre Stimme deine Träume zerstört,
wie der Nordwind den Garten verwüstet.

So wie die Liebe dich krönt,
so kann sie dich auch kreuzigen.
So wie sie dein Wachstum begünstigt,
so ist sie auch für dein Beschneiden.
So wie die Liebe emporsteigt in deine Höhe
und deine zartesten Äste liebkost,
die in der Sonne zittern,
so wird sie hinabsteigen in deine Wurzeln
und sie erschüttern,
während sie die Erde festhalten.

– Aus: Der Prophet von Khalil Gibran
(Freiburg: Herder, 2002)

I. Die Grundlagen

1. Niemand ist zu Beginn einer Paarbeziehung beziehungsfähig – das werden wir erst in der Beziehung selbst

Phaidra:

Wie steht’s mit dem, was in der Welt man Lieben heißt?

Amme:

Es ist das Schönste, Kind, und auch das Schmerzlichste.

– Euripides, Hippolytos

»Wir kamen zu Ihnen, weil wir Schwierigkeiten mit unserer Sexualität hatten, aber durch Sie haben wir verstanden, daß es dabei um etwas viel Umfassenderes geht.« Am Ende unserer letzten Sitzung sind Karen und ihr Mann dabei, sich zu verabschieden. Mit ihrem dankbarem Lächeln und ihrem Tonfall bekräftigt Karen, daß sich für sie neue Perspektiven eröffnet haben. Sie klingt gewiß nicht so, als hätte sie durch die Therapie einsehen müssen, daß sie neurotischer ist, als sie zuvor dachte.

Die beiden sind per Flugzeug zu mir nach Colorado gekommen, zu dreistündigen Therapiesitzungen an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Wir haben eine lange Wegstrecke zurückgelegt, seit der 57jährige Ken vor drei Tagen unsere erste Sitzung mit seinem trockenen Humor folgendermaßen eröffnete: »Unsere Beziehung ist gut, und wir wollen, daß sie noch besser wird. Karen bat mich damals, ihr Zeit zu lassen, damit sie an unseren sexuellen Schwierigkeiten arbeiten kann, und ich habe ihr 24 Jahre lang Zeit gelassen! Insofern bin ich dafür mitverantwortlich, daß es mit unserem Liebesleben nicht vorwärts geht.«

Die 53jährige Karen läßt auch jetzt die Offenheit erkennen, die sie in den Sitzungen immer wieder an den Tag gelegt hat. »Den ersten Schritt beim Sex zu tun blieb immer mir überlassen. Als wir fünf Jahre zusammen waren, war ich unglücklich damit, wie es bei uns im Bett lief – und zwar derart unglücklich, daß ich mich über die damals führenden Sexualtherapeuten kundig machte. Ken und ich gingen dann zu einem von ihnen. Wir machten Sensate-focus-Übungen, also diese Streichel- und Empfindungsübungen ... und das deckte mein Problem völlig zu. Mein Therapeut hielt uns für ein Vorzeigepaar – wir machen eben immer einen guten Eindruck auf andere, auch wenn es uns in Wirklichkeit gar nicht so gut geht.« Ken nickt. Er hält sich im Hintergrund und überläßt Karen die Regie.

»Wenn wir miteinander schlafen, läuft das immer nach demselben Muster ab«, fügt Ken hinzu. »Ich weiß, ich sollte aggressiver sein, aber ich bin es nun einmal nicht und habe deswegen Schuldgefühle gegenüber Karen. Früher war ich stärker triebgesteuert, wenn ich Sex wollte. In den letzten Jahren ist mein Sexualtrieb aber schwächer geworden.«

»Ein Problem war auch immer, daß es mir an sexuellem Verlangen fehlt.« Karen scheint daran zu liegen, daß jetzt wirklich einmal alles auf den Tisch kommt. »Das Verlangen regt sich bei mir immer erst, wenn wir dann tatsächlich zugange sind. Ich mag die Lust, die ich bei Berührungen und beim Orgasmus erlebe, aber zu Beginn ist es für mich immer ein Kampf. Letztes Jahr habe ich angefangen, Östrogen zu nehmen. Die Scheide wird jetzt besser feucht, aber mein Verlangen ist nicht stärker als vorher. Ich habe sogar ein halbes Jahr lang Testosteron ausprobiert, aber das hat nichts gebracht, also habe ich es wieder abgesetzt.«

Karen ist groß, hat eine mollige Figur und ist gut gekleidet. Ihr ungezwungenes Lachen und ihre liebenswürdige Art sorgen wahrscheinlich dafür, daß Männer sich in ihrer Gegenwart wohl fühlen, und signalisieren anderen Frauen, daß sie keine Konkurrenz für sie ist. Wenn sie angespannt ist, wiederholt sie die letzten Worte dessen, was man zu ihr sagt, um zu signalisieren, daß sie aufmerksam zuhört. Ihre Offenheit und Zugewandtheit entspringen aber keineswegs einer Unsicherheit. Ich spüre, daß es ein festes Fundament in ihr gibt.

Ken ist größer und schmaler. Mit seinem wuscheligen weißen Haar und dem graumelierten Bart ist er das Urbild des exzentrischen Professors. Abgesehen von der zerknitterten Kleidung ist sein Äußeres gepflegt. Auf intellektuellem Gebiet kann es kaum jemand mit ihm aufnehmen. Seine Arbeit als theoretischer Mathematiker ist so weit entfernt vom Alltag der meisten Menschen, daß sie zum Plauderthema in geselliger Runde völlig ungeeignet ist. Er ist freundlich und entgegenkommend, hat aber Mühe damit, sich anderen mitzuteilen. Er sagt nicht viel, offenbar weil er es gewohnt ist, seine Gedanken für sich zu behalten.

Die beiden verfallen in Schweigen, als werde ihnen plötzlich bewußt, was sie da alles von sich preisgegeben haben. Nach einer Weile frage ich: »Was muß ich sonst noch wissen?«

»Also«, sagt Karen langsam, »ich habe da noch ein anderes Problem, über das zu sprechen mir schwerfällt. Meine sexuellen Phantasien haben mich immer beunruhigt. Ken bekommt das insofern mit, als ich mich in meinen Phantasien verliere, wenn wir miteinander schlafen. Er merkt manchmal, daß ich woanders bin. Wenn sich bei mir keine Erregung einstellt, benutze ich diese Phantasien, um mich zu stimulieren – obwohl ich ein schlechtes Gewissen deswegen habe.«

»Wie oft sind Sie mit Ihren Phantasien beschäftigt, wenn Sie mit Ken schlafen?«

»Seit wir bei Ihrem Paar-Workshop waren, brauche ich die Phantasien nicht mehr so sehr wie vorher. Ich lasse sie allerdings immer noch kommen und gehen, um erregt zu werden und zum Höhepunkt zu gelangen. Jetzt habe ich aber den Wunsch, dabei mit Ken im Kontakt zu sein.«

»Ja, das ist unser großer Fortschritt«, spöttelt Ken. »Jetzt habe ich sie wenigstens die meiste Zeit über für mich. Vorher war sie meistens die halbe Zeit woanders. Jetzt ist das vielleicht noch 25 Prozent der Zeit so.«

»Es ist eher von 95 Prozent auf etwa 50 heruntergegangen«, sagt Karen behutsam. Sie beobachtet, wie er reagiert, denn sie möchte ihm nicht weh tun. »Ich beneide Ken darum, wie leicht er erregt wird. Er ist ein toller Liebhaber. Er hat Geduld und läßt mir Zeit. Und wenn bei mir dann die Erregung stärker wird, nimmt wiederum seine Erregung zu. Ich hätte gern, daß die Erregung bei mir früher einsetzt, schon bevor Ken mich überhaupt berührt.«

Ich kann sehen, wie Karen versucht, Ken in das Gespräch einzubeziehen, auch wenn er sich lieber nur dann äußert, wenn er denkt, daß er etwas von Bedeutung beizutragen hat. Sie vollführt einen Balanceakt, wie er bei Ehepaaren oft zu beobachten ist: Sie versucht ihm zu versichern, daß alles so in Ordnung ist, wie es ist, während sie zugleich auf Veränderung drängt. Sie sitzen nebeneinander auf dem Sofa; wenn sie sich zufällig berühren, weicht keiner von beiden aus. Sie berührt ihn oft mit der Hand, um ihm und sich selbst das Gefühl der Sicherheit zu geben. »Was gibt es sonst noch?« frage ich.

»Vor zwei Monaten habe ich Ken gesagt, daß ich die Art, wie er sich kleidet, nicht sehr sexy finde. Er kauft sich selten neue Sachen zum Anziehen. Ich sagte: ›Ich finde Männer, die sexy aussehen, attraktiv, und ich möchte, daß mir das auch bei dir so geht.‹« Die Anspannung im Raum wächst schlagartig.

»Ich empfinde mich nun einmal nicht als einen Mann mit erotischer Ausstrahlung«, sagt Ken abwehrend, als er denkt, daß er an der Reihe ist. »Und ich will mich nicht verstellen und so tun, als ob.«

»Bei mir ist es ja umgekehrt: Ich tue so, als wäre mit mir erotisch nichts los«, wirft Karen mit Nachdruck ein. »Normalerweise traue ich mich nicht, durchblicken zu lassen, was in mir vorgeht.«

»Na toll!« Ken bemüht sich, die Ironie der Situation zu würdigen. »Du hast kein Verlangen, und mit deiner erotischen Ausstrahlung hältst du hinterm Berg. Mein Verlangen dagegen nimmt ab, und ich wünschte, ich hätte etwas zu verbergen.« Karen berührt ihn mit der Hand, um ihm Mut zu machen. Man sieht ihr an, daß seine Worte ihr weh tun, und als er weiterhin niedergeschlagen dreinschaut, zieht sie die Hand zurück. Ich versuche das Geschehen voranzutreiben.

»Das klingt, als würden Sie beide mit Ihrer Erotik Verstecken spielen. Wie oft schlafen Sie tatsächlich miteinander?«

»In den letzten fünf oder zehn Jahren war’s einmal die Woche.« Ken spricht mit der ruhigen Gewißheit eines Mannes, der sich wohl fühlt, wenn er sich mit Datensammeln beschäftigen kann, aber sein Tonfall läßt erahnen, daß er sich unzulänglich vorkommt. »Als der Trieb bei mir noch stärker war, hätte ich gern jede Nacht bei Karen ›angeklopft‹.«