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StiftungsStudie

Aus Fehlern lernen – Potenziale für die Stiftungsarbeit

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

V.i.S.d.P.:

Prof. Dr. Hans Fleisch, Generalsekretär des
Bundesverbandes Deutscher Stiftungen

Herausgeber:

Bundesverband Deutscher Stiftungen

Mauerstraße 93 | 10117 Berlin

Telefon (030) 89 79 47-0 | Fax -81

www.stiftungen.org

post@stiftungen.org

Gefördert von:

Joachim Herz Stiftung | Langenhorner Chaussee 384 | 22419 Hamburg

Software AG-Stiftung | Am Eichwäldchen 6 | 64297 Darmstadt

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend | Glinkastraße 24 | 10117 Berlin

Autorinnen:

Antje Bischoff, Sandra Hagedorn,

Andrea Lassalle, Miriam Rummel

© Bundesverband Deutscher Stiftungen e. V.

Berlin, April 2013

Gestaltung: Jörg Scholz, Köln (www.traktorimnetz.de)

Druck: PrintingHouse, USE gGmbH, Berlin

Dieses Produkt wurde klimaneutral gedruckt. Die durch die Herstellung verursachten Treibhausemissionen wurden kompensiert durch Investitionen in ein Klimaprojekt nach Gold Standard. Das verwendete Papier für den Innenteil ist RecyStar Polar, hergestellt aus 100 % wiederaufbereiteten Fasern – FSC-zertifiziert.

ISBN 978-3-941368-37-8

eISBN 978-3-941368-40-8

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Inhalt

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen

3. Die Ergebnisse der Stiftungsbefragungen

4. Potenziale für die Stiftungsarbeit

5. Anhang

Mit der vorliegenden StiftungsStudie „Aus Fehlern lernen – Potenziale für die Stiftungsarbeit“ wird zum ersten Mal die Fehlerkultur deutscher Stiftungen in den Blick genommen. Für ihren Beitrag zur Studie geht ein besonderer Dank an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des StiftungsPanels sowie an die Stiftungsvertreterinnen und -vertreter, die mit ihrem Expertenwissen zur Qualität dieser Studie beigetragen haben. Für ihre Autorenbeiträge sei auch Dr. Lutz Spandau, Dr. Christof Eichert und Thomas Hoyer ganz herzlich gedankt. Einen herzlichen Dank außerdem an die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen. Darüber hinaus hat Frau Cornelia Feist mit ihrer Arbeit für das StiftungsPanel wesentlich zu dieser Studie beigetragen.

Abstract

Auf Grundlage zweier Stiftungsbefragungen untersucht die vorliegende Studie erstmals die Fehlerkultur in deutschen Stiftungen. Eine quantitative Online-Befragung sowie qualitative Interviews mit Expertinnen und Experten erkunden das Selbstverständnis der Stiftungen in Bezug auf ihre Fehlerkultur, ihren praktischen Umgang mit Fehlern sowie die besonderen Herausforderungen für die Stiftungsarbeit: Wie sehen die in Stiftungen Tätigen den Umgang und die Einstellung zu Fehlern in ihrem Arbeitsumfeld? Was geschieht, wenn Fehler auftreten oder Projekte fehlschlagen? Welche Bereiche werden als besonders fehleranfällig betrachtet, wo finden sich zukünftige Lernpotenziale? Arbeitspsychologie und Managementforschung weisen darauf hin, dass der Umgang mit Fehlern großen Einfluss auf das Lernen, die Innovationsfähigkeit und den langfristigen Erfolg von Organisationen hat. Stärker als die Fokussierung auf vermeintlich risikolose „Best Practices“ und Fehlervermeidung sollten daher Fehler als Lernanlass und Misserfolge als Informationsquelle betrachtet werden. Doch wie sieht die Stiftungswirklichkeit aus?

Wie beurteilen Stiftungsvertreterinnen und -vertreter die Fehlerkultur ihrer Organisationen?

Fehlerquellen in der Stiftungsarbeit sind vielfältig, was jedoch als Fehler angesehen und wie dieser bewertet wird, ist perspektivabhängig. Von den Fachleuten aus der Stiftungspraxis genannte Fehlerquellen reichen von fehlgeschlagener Kommunikation intern wie nach außen über Abrechnungsfehler bis hin zu falschen Zielsetzungen von Projekten. Die Fehlerkultur ihrer Stiftung wird von den Befragten überwiegend als lernorientiert eingeschätzt. Doch nicht überall gelingt es, Fehler konstruktiv zu diskutieren. Vertrauen und Offenheit, auch über Hierarchiegrenzen hinweg, wären hierfür die Voraussetzung. Ebenso eine Arbeitsweise, die Fehler einkalkuliert, da sie Neues ausprobieren will. Streben nach Prestige in der eigenen Arbeit, aber auch Angst vor Beschämung stehen dem teilweise entgegen.

Wie wird in Stiftungen mit Fehlern umgegangen?

Im zwischenmenschlichen Klima der Stiftungen werden kleine Patzer, soweit ersichtlich, zumeist mit Nachsicht behandelt. Kritik wird überwiegend sachlich und konstruktiv geäußert. Statt ausschließlich nach einzelnen Schuldigen zu suchen, werden Fehler in Stiftungen häufig als komplexe Ereignisse verstanden. Nur teilweise werden dabei gezielte Fehlerstrategien eingesetzt. Formalisierte Instrumente zur Fehlervermeidung kommen vor allem bei kapitalstärkeren Stiftungen zum Einsatz. Der Umgang mit Fehlern hängt jedoch nicht zuletzt davon ab, welche Position eine Person in der Stiftung einnimmt. Vorgesetzte bestimmen als Vorbild das Kommunikationsklima und verfügen über Definitionsmacht bei der Beurteilung von Fehlern.

Welche Bereiche der Stiftungsarbeit werden als besonders fehleranfällig eingeschätzt?

Zu den besonderen Herausforderungen für Stiftungen zählen neben der Vermögensbewirtschaftung und Zweckverwirklichung auch die interne und externe Kommunikation als wichtige Bereiche, in denen Fehler gemacht werden können. Kooperationen, Austausch und kritische Reflexion innerhalb der eigenen Stiftung sowie mit anderen Projektbeteiligten bieten ein Lernpotenzial, das es zu nutzten gilt. Die offene Kommunikation von Misserfolgen im Stiftungssektor insgesamt könnte dazu beitragen, dass auch aus Fehlern anderer gelernt werden kann, damit sich Fehler nicht wiederholen. Hier entsteht Bewegung: Mehr als zwei Drittel der befragten Stiftungen sind grundsätzlich bereit, auch öffentlich darüber zu sprechen, was sie aus Fehlern gelernt haben.

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Einleitung

Fehler – schon das Wort macht unruhig, erinnert an Rotstift, an Versagen und Unsicherheit. Fehler werden allgemein als etwas Negatives angesehen. Aber ist tatsächlich immer von vornherein klar, was ein Fehler ist und wie er zu bewerten wäre?

Nein, denn Fehlermachen ist etwas Subjektives. Was für die einen ein Fehler, ist für andere eine kreative Idee. Ein Rechenfehler hat im Matheunterricht eine andere Bedeutung als bei der Berechnung einer Medikamentendosis. Ein Fehler beim Bedienen des Computers ist etwas anders als ein Fehler bei der Einschätzung zukünftiger Projekterfolge. Bedeutende Entdeckungen der Wissenschaftsgeschichte gehen manchmal auf Fehler der Forschenden zurück.1 Die Definition von „Fehler“ ist also in hohem Grade kontextabhängig.

Kontext Stiftungsarbeit

In einer Stiftung können verschiedenste Fehler auftreten. Und auch wenn man von „der“ Stiftung eigentlich nicht sprechen kann, gibt es dennoch Situationen, die jedem Stifter oder Stiftungsvorstand, jeder Stiftungsgeschäftsführerin und jedem Stiftungsmitarbeiter bekannt vorkommen dürften: Vom Abrechnungsfehler oder dem verpassten Termin bis zur ungünstigen Personalentscheidung – so etwas passiert in jeder Organisation. Hier ist recht eindeutig, wenn etwas falsch läuft und meist auch, wer die Verantwortung dafür trägt.

Schwieriger wird es zum Beispiel, wenn Projektziele zu „ambitioniert“ gesetzt wurden. Wenn Stiftungsprogramme und -projekte nicht die angestrebte Wirkung entfalten, wer ist dann schuld? Wo ist der Fehler zu suchen? Wir sprechen oft erst von Fehlern, wenn ein Handeln (oder Nicht-Handeln) einen Schaden angerichtet hat oder hätte anrichten können. Stiftungen befinden sich insofern in einer komfortablen Situation. Sie können – in gewissem Rahmen – ausprobieren, was geht und was nicht. Eine „falsche“ Förderentscheidung richtet selten Schaden an und die meisten Projekte haben eine positive gesellschaftliche Wirkung – wenn auch nicht immer so positiv, wie erhofft.

Der Fehlerbegriff ist dementsprechend auch im Kontext Stiftungsarbeit schwammig. Was ein Fehler ist und wie man am besten damit umgeht, wird nicht nur von Stiftung zu Stiftung, sondern auch von Mitarbeiterin zu Mitarbeiter unterschiedlich beurteilt.

Erkenntnisinteresse der Studie

Immer mehr Stiftungen sind bereit, sich auch untereinander über Fehlentscheidungen, Fehlschläge oder Misserfolge auszutauschen, um im besten Fall voneinander zu lernen und sich weiter zu entwickeln. Dies ist der Eindruck, der entsteht – durch eine wachsende Zahl von Veranstaltungen, Vier-Augen-Gesprächen, Rückmeldungen von Stiftungsexpertinnen und -experten. Zuletzt fand ein reger Austausch beim „Hildesheimer Tag des Stiftungsmanagements“ im September 2012 statt. Die Veranstaltung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen thematisierte Fehlerquellen und daraus resultierende Verbesserungspotenziale für die Stiftungsarbeit. Die Diskussionen auf dem Podium und bei den Workshops zeigten einmal mehr: Fehler können unterschiedliche Ursachen haben und verschiedene Formen annehmen. Auch im Stiftungswesen ist das nicht anders.

Bei Stiftungen handelt es sich mitunter um hochkomplexe Gebilde, gerade weil sie oft in komplexen externen Zusammenhängen wirken. Hier immer alle wichtigen Informationen zur Hand zu haben, ist fast unmöglich. Ebenso wie zu jeder Zeit zu erkennen, warum etwas misslungen ist.

Verbesserungspotenziale für die Stiftungsarbeit aufzudecken, ist das wesentliche Ziel der vorliegenden Untersuchung. Dafür wird der Status Quo genauer unter die Lupe genommen: Die Studie fragt 1., wie es um die Fehlerkultur in deutschen Stiftungen bestellt ist, 2., wie in Stiftungen praktisch mit Fehlern umgegangen wird, und 3., welchen besonderen Herausforderungen sich Stiftungen stellen müssen. Ähnliche Studien zum Umgang mit Fehlern wurden im For-Profit-Sektor bereits häufiger durchgeführt.2 Mit der Untersuchung des Stiftungssektors im Hinblick auf diese Thematik betritt die vorliegende Studie Neuland.

Die Ergebnisse beruhen auf Einschätzungen von Stiftungsgeschäftsführern und -geschäftsführerinnen, -vorständen sowie -mitarbeiterinnen und -mitarbeitern. Zu beachten ist, dass es sich hier um einen Querschnitt handelt, denn die Teilnehmenden der Befragungen sind in unterschiedlichen Stiftungen tätig. Aussagen über einzelne Stiftungen oder die Beschaffenheit ihrer Fehlerkultur sind daher nicht möglich. Die Untersuchung wirft vielmehr einen Blick auf den Umgang mit Fehlern im deutschen Stiftungswesen insgesamt.

Konkret wurden den drei oben genannten Betrachtungsebenen folgende Fragestellungen zugrunde gelegt:

Selbstverständnis: Wie beurteilen Stiftungsvertreterinnen und -vertreter die Fehlerkultur ihrer Organisationen?

Fehlerkulturen in der Praxis: Wie wird in Stiftungen mit Fehlern umgegangen?

Fehler als Herausforderungen: Welche Bereiche der Stiftungsarbeit werden als besonders fehleranfällig eingeschätzt?

Gliederung der Studie

Im zweiten Kapitel werden die theoretischen Grundlagen der Untersuchung vorgestellt. Dabei geht es um die Begriffe „Fehler“ und „Kultur“ im Kontext von Organisationen, Zusammenarbeit, Lernen und Innovation. Grundlegende Fragen sind dabei: Was ist unter einem Fehler zu verstehen, wie und warum entstehen Fehler, wer bewertet dies und was entstehen für Konsequenzen? Handlungstheoretische Überlegungen, Strategien des Lernens aus Fehlern, der Fehlervermeidung und des Fehlermanagements aus Arbeitspsychologie und Bildungsforschung, Organisations- und Managementtheorie werden vorgestellt. Es zeigt sich, wie ein lern- und innovationsfördernder Umgang mit Fehlern aussehen könnte und wie nicht nur Einzelne, sondern auch Organisationen lernen.

Das dritte Kapitel stellt die Ergebnisse von zwei Stiftungsbefragungen vor und diskutiert sie. Es wurden 19 ausführliche Interviews mit Expertinnen und Experten geführt, die in unterschiedlichen Stiftungen arbeiten. Sie beleuchten die ganze Bandbreite der deutschen Stiftungslandschaft, in der große und kleine Stiftungen, fördernde und operativ tätige, mit haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden aktiv sind. Darüber hinaus fand eine quantitative Online-Befragung statt, an der sich 273 Stiftungen beteiligten. Im Mittelpunkt beider Befragungen standen zum einen das Selbstverständnis bezüglich der Fehlerkultur in der eigenen Stiftung, zum zweiten der konkret praktizierte Umgang mit Fehlern und Fehlschlägen sowie schließlich die Herausforderungen: In welchen Bereichen der Stiftungsarbeit wird eine hohe Fehleranfälligkeit gesehen und wie wird dieser begegnet? Wie offen und konstruktiv welche Stiftungstypen in welchen Bereichen mit dem Thema Fehler umgehen und wo hier eher Zurückhaltung gezeigt wird, macht die detaillierte Analyse der Befragungsergebnisse deutlich.

Im vierten Kapitel werden resümierend Tipps für die konkrete Stiftungsarbeit gegeben: Wie kann eine positive Fehlerkultur gefördert werden? In welchen Bereichen bestehen Herausforderungen und Entwicklungspotenziale? Welche Ansätze lohnt es sich zu verfolgen? Welche Rolle spielt das praktische Vorbild der Leitungsebene und einzelner Vorgesetzter? Wie kann Kommunikation zur positiven Fehlerkultur beitragen? Was und wem nützen formalisierte Instrumente zu Fehlerkommunikation, Fehlermanagement, Wirksamkeitsprüfung? Was bringt der Austausch zwischen Stiftungen oder die öffentliche Kommunikation über Fehler? Sechs Empfehlungen zeigen schließlich Ansätze für Stiftungen auf, die ihre Fehlerkultur (noch) konstruktiver gestalten wollen.

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Theoretische Grundlagen

Fehlerforschung

In unterschiedlichen Wissenschaften befasst man sich mit Fehlern, ihrer Entstehung, ihrer Bedeutung und ihrer Vermeidung.345678