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Angela Eßer (Hrsg.)

 

Nicht nur der

Hund begraben …

 

 

Die Anthologie zur Criminale Nürnberg-Fürth

 

 

 

 

ars vivendi

 

Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

 

 

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage Mai 2014)

 

© 2014 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat: Eva Elisabeth Wagner

Umschlaggestaltung: ars vivendi verlag nach einem Foto von © plainpicture/neuebildanstalt/Bilderbergwerk

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

 

eISBN 978-3-86913-445-1

 

Inhalt

Kirsten Püttjer & Volker Bleeck – Wallensteins Wiederkehr

 

Roland Krause – Erholungsurlaub

 

Jeff Röckelein – Freie Männer

 

Nina George – Romeo und Julia kamen nur bis Feuchtwangen

 

Petra Gabriel – Das Pergament

 

Sunil Mann – Winterkalt

 

Renate Klöppel – Die Abrechnung

 

Thomas Kowa – Der Puma mit den drei Streifen

 

Barbara Saladin – Des Bankräubers späte Rache

 

Peter Godazgar – Muffe küsst Langschwanz

 

Beate Maxian – Bermudadreieck

 

Lucie Flebbe – Ruhe sanft, Tante Frieda

 

Bernhard Aichner – Dürers Hase

 

Gunter Gerlach – Wie man einen Schatz findet

 

Andreas Gruber – Das tapfere Schneiderlein

 

Regula Venske – Goldherz aus Stein

 

Jutta Siorpaes – Zwei Fremde

 

Sabine Trinkaus – Messer, Hammer, Beil

 

Dank

 

Die Autoren

 

Kirsten Püttjer & Volker Bleeck – Wallensteins Wiederkehr

Mit unaufdringlicher, rhythmischer Melodie meldete sich sein Mobiltelefon. Der Mann ging ran, hörte konzentriert zu, sagte ein paar knappe Worte und legte auf. Auch jetzt noch behielt er das Wallensteinhaus fest im Blick. Sein Cappuccino war unberührt. Dann bezahlte er und ging. Lässig schlenderte er vorbei an dem historischen Haus mit der Aufschrift »Foto Wiech«.

Drinnen legte Bente Everts die örtliche Lokalzeitung Der Bote zurück auf den Tisch und ihr angebissenes Brötchen auf den Teller. Gerade hatte sie einen Artikel über Brandstiftung und den Fund einer stark verkohlten Leiche in einem niedergebrannten Fachwerkhaus an der Türkeistraße gelesen, nicht weit von hier. Jetzt war ihr ein bisschen schlecht und sie fühlte sich unwohl an ihrem dritten Tag allein in Altdorf.

Vor nicht mal einer Woche hatte Antje, ihre alte Freundin aus gemeinsamen Hamburger Tagen, sie angerufen und um Hilfe gebeten. Antjes kleiner Sohn Felix hatte für die gesamte Familie eine vierzehntägige Kreuzfahrt gewonnen, die aber – das war der Haken daran – sehr kurzfristig anzutreten war. Also brauchte Antje jemanden, der sie im Fotogeschäft und Gewürzladen im historischen »Wallensteinhaus« in Altdorf vertreten konnte – und das möglichst gleich.

Antjes »Notruf« kam genau im richtigen Moment. Bente hatte die letzten Jahre auf einer nordfriesischen Hallig verbracht, der Liebe wegen. Doch nun war alles aus, und sie hatte spontan zugesagt, für die nächsten Wochen die Geschäfte und die drei Windhunde zu übernehmen. Als gelernte Fotografin war sie gewissermaßen die ideale Besetzung. Gleich nach ihrer Ankunft hatte sie im Schnelldurchgang alle notwendigen Informationen bekommen, inklusive Tour durch das denkmalgeschützte Haus, von den voll Wasser gelaufenen Tiefkellern bis hinauf zu dem höchsten der vier Speicherböden. »Wallenstein« – bei dem Namen hatte sie an Schule und ihren Geschichtsunterricht denken müssen: Dreißigjähriger Krieg, irgendwas mit den Schweden, Westfälischer Friede und so. Hier aber erfuhr sie, dass die Verbindung zu Albrecht von Wallenstein auf dessen relativ kurze und nicht sehr intensive Studienzeit in Altdorf um 1600 zurückging. Also, intensiv schon, aber eher in Bezug aufs Feiern und Trinken als aufs Studieren.

 

Um Punkt neun Uhr öffnete Bente den Laden. Es lief gleich gut, gerade bei den Gewürzen. Speziell die Mischung »Sex Korn« war gefragt, die entweder von kichernden Frauengruppen oder betont belanglos dreinschauenden Männern gekauft wurde. Und immer wieder erkundigten sich Leute nach dem Wallensteinhaus und waren verblüfft, wenn man ihnen sagte, dass sie es bereits betreten hatten. Irgendwie blieb das Haus für manche wie unsichtbar. Dabei lag es mitten im Herzen von Altdorf am Oberen Markt, in einer Reihe mittelalterlicher Fassaden. Es war eher schmal und hoch, innen ziemlich verwinkelt mit einem engen, langen Innenhof, der bis zur hinteren Straße reichte. Dort, in der einstigen Garage, war das Fotostudio untergebracht.

Am Nachmittag stand plötzlich ein Mann mit Anzug und Aktentasche im Laden. Er zeigte ihr kurz seinen Lichtbildausweis, zog eine Visitenkarte aus seiner Brusttasche und hielt sie ihr entgegen. Bente sah auf die Karte. »Amt für Denkmalschutz, Hornberger«, stellte er sich vor. »Frau Wiech?«

»Äh, nein, Everts«, antwortete Bente, die fieberhaft überlegte, ob Antje erwähnt hatte, dass jemand vom Denkmalschutzamt vorbeischauen wollte. Sie wusste es nicht. Sie konnte sich nur daran erinnern, dass Antje nicht schlecht geschimpft hatte auf diese Behörde. Es ging unter anderem um den Treppenhausturm, dessen Stufen ausgetreten und morsch waren und restauriert werden sollten. Da man entsprechend altes Holz verwenden musste, würde das teuer werden. Der im Hof gelegene Turm war ein architektonisches Highlight, die Spindel in der Mitte aus dem Stamm einer einzigen gewaltigen Eiche gearbeitet. Trotzdem musste man auf dem Weg nach oben zu den Speichern genau darauf achten, wohin man trat, und ging am besten nur an der Innenseite entlang.

Herr Hornberger vom Denkmalschutz wirkte ziemlich verärgert, als er hörte, dass Antje nicht da sei. »Ich hatte Frau Wiech über meinen Besuch informiert«, sagte er in gereiztem Ton, »es geht ja lediglich darum, ein paar Fotos zu machen und ein, zwei Dinge zu protokollieren.« Er klopfte auf seine ausgebeulte Aktentasche. In diesem Moment betrat eine größere Reisegruppe das Geschäft und steuerte zielstrebig das Regal mit den Salzlampen an. Bente sah ihr Gegenüber hilflos an und zuckte mit den Schultern. Er seufzte. »Ich weiß ja, wo ich hin muss.« Sie nickte dankbar und wandte sich den Kunden zu, während er in den Hof ging. Gerade konnte sie noch verhindern, dass eine chinesische Touristin an einer Salzlampe leckte.

Etwa eine Dreiviertelstunde später war der Mann wieder da, staubig und mit nassen Hosenbeinen. »Wo haben Sie sich denn herumgetrieben?«, wollte Bente wissen und deutete auf seine nassen Hosenbeine. »Mussten Sie etwa in den Tiefkeller?«

Verlegen gestand er ihr, dass er wohl falsch abgebogen und dann ausgerutscht sei. Wo, das ließ er offen, es war ihm ganz offensichtlich peinlich. Bente lachte nur und lud ihn auf einen Kaffee ein. Im weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass der Denkmalschutzbeauftragte Hornberger durchaus einen Sinn für die von Gesetzesauflagen gebeutelten Hausbesitzer hatte. »Einige Sachen sind wirklich übertrieben«, sagte er und stellte seine Tasse ab. »Ich kann der Frau Wiech da noch ein paar Tipps geben, ich kenne einen guten Holzhändler im Grunewald.« Dann verabschiedete er sich. Netter Typ, dachte Bente, so viel zum Thema Vorurteile. Sie befestigte die Visitenkarte an der Pinnwand hinter dem Tresen.

Als sie gegen Abend beim Bäcker Riedner ein Krustenbrot kaufte, fiel ihr ein älterer Mann mit Schiebermütze auf, der hinter ihr stand. Sie war sich sicher, ihn am Nachmittag bereits vor dem Fotoladen gesehen zu haben. Vielleicht nicht ungewöhnlich in einem überschaubaren Ort wie Altdorf, aber er wirkte seltsam ertappt, als er ihren Blick bemerkte, drehte sich abrupt um und verschwand in Richtung Untere Brauhausstraße. Der Kunde vor ihr hatte ihre Verwunderung offensichtlich bemerkt und lächelte sie aufmunternd an, während er sein Brot entgegennahm. Dann klingelte sein Mobiltelefon mit einer rhythmischen Melodie. Telefonierend verließ der Mann den Laden.

 

Mitten in der Nacht wurde Bente wach. Irgendein Geräusch hatte sie geweckt. Sie lauschte, doch jetzt war es still. Hatte sie vielleicht nur geträumt? Einer der Hunde sah sie interessiert im Schein des Lichts an, das vom Oberen Markt ins Zimmer drang. Hatte er auch etwas gehört? Und woher konnte das Geräusch gekommen sein? Irgendwie unheimlich war ihr das alte Haus ja schon, so groß, verwinkelt und unübersichtlich. Überall knarzte und knackte es. Und Windhunde, das wusste sie inzwischen, hatten nun ganz und gar nichts von Wachhunden, so zutraulich wie die waren, zu jedem. Die fürchteten sich jetzt wahrscheinlich mehr als sie selbst.

Da war es wieder, diesmal von draußen. Und jetzt hatte der Hund es auch gehört. Bentes Herz klopfte, dann stand sie auf, ging ans Fenster, öffnete es und blickte hinunter. Nichts, da war niemand zu sehen auf dem Platz zwischen Laurentiuskirche und Kultur-Rathaus. Sie setzte sich wieder auf ihr Bett und lauschte in die Dunkelheit. Es knackte erneut irgendwo. Sie beobachtete den Hund, der sich jetzt wieder vor ihrem Bett auf seinen Platz legte. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Sei nicht albern, redete sie sich zu, es ist ein altes Haus, hier rumort es an allen Ecken und Enden. Bente nahm ihren MP3-Player vom Nachttisch, setzte die Kopfhörer auf und lauschte Mozarts kleiner Nachtmusik.

 

Am nächsten Tag war sie früh wach und fühlte sich nicht gut. Nachdem sie in der Nacht endlich wieder eingeschlafen war, hatte sie davon geträumt, dass unheimliche Subjekte sie durch das ganze Haus verfolgten. In ihrem Traum war sie schließlich auf die Straße gelaufen und hatte plötzlich vor einem Scheiterhaufen gestanden, den düstere Gestalten in Brand steckten. Sie hatte Feuerwehrsirenen gehört, ganz deutlich, aber kein Löschfahrzeug entdecken können. Das Feuer war immer weiter zu ihr emporgekrochen, die Hitze unerträglich geworden und dann hatte ihr jemand aufreizend einen Humpen Bier entgegengehalten. Sie hatte versucht, ihn zu fassen zu bekommen, ihn aber nicht erreicht und ins Leere gegriffen. Dann war sie aufgewacht. Was für ein Quatsch. Kopfschüttelnd stellte Bente die zu zwei Drittel leere Flasche Rotwein in den Kühlschrank und kümmerte sich ums Frühstück für Mensch und Tier.

Später am Tag unternahm sie einen längeren Spaziergang mit den Hunden. Am Rossweiher ärgerte sie sich noch über achtlos hineingeworfene Getränkebecher einer Fastfood-Kette, als sie merkte, dass einer der Hunde weg war. Sie ging ein Stück zurück, suchte hinter der Böschung, bei den Bäumen – nichts. Sie pfiff, doch es blieben weiterhin nur zwei Hunde, die sie erwartungsvoll ansahen. Wahrscheinlich hofften sie auf ein neues Spiel. Als sie schon merkte, wie sie leichte Panik ergriff, kam ein Mann um die Ecke, den Hund am Halsband.

»Die büxt wohl gern mal aus«, sagte er lächelnd, während er dem Hund über den Kopf streichelte, »Sie sollten sie besser an die Leine nehmen.« Bente stand dem Fremden etwas verlegen gegenüber, der ihr jetzt die Hand entgegenstreckte. »Sie müssen Antjes Freundin sein. Freut mich. Ich bin Wolf.« Er grinste verschmitzt.

Bente musste zugeben, dass sie seine direkte Art mochte und auch den Typen auf Anhieb sympathisch fand. Aber dennoch war sie überrascht, dass dieser Fremde sie einfach so ansprach. Und woher wusste er überhaupt, wer sie war? Irgendwie kam ihr der Typ bekannt vor.

Er lachte. »Sorry, ich wollte Sie nicht so überfahren. Ich kenne Antje von früher, aus Schulzeiten. Ich bin auch aus Altdorf, lebe aber jetzt in der Stadt, also in Nürnberg.« Er zeigte mit dem Kopf vage in eine Richtung. »Aber ich komme manchmal hierher, als einer von den Kahlfressern.« Er sah ihr fragendes Gesicht und lachte wieder. »So heißen hier die Leute aus Nürnberg, die übers Wochenende nach Altdorf kommen und alles kahl fressen, weil das Essen hier preisgünstiger ist.« Er sah auf sein Mobiltelefon. »Oh, ich muss los. Aber wie sieht’s bei Ihnen heute Abend aus? Ich meine, wenn Sie die da ins Bett gebracht haben?« Er streichelte dem Hund, der noch immer zwischen ihnen stand, über den Kopf. »Wir könnten doch etwas essen gehen. Ich kann zwar nicht alles empfehlen, aber eine ordentliche Mahlzeit kriegt man schon.« Bente nickte spontan, und sie verabredeten sich beim Italiener mit dem einladenden Namen Ben Venuti.

Es wurde ein netter und feuchtfröhlicher Abend. Wolf erzählte peinliche Teenageranekdoten und jede Menge lustiger Storys aus aller Welt, anscheinend kam er ganz gut rum. Auch über die Geschichte Altdorfs und Frankens wusste er einiges zu berichten, nachdem er ihr kategorisch verboten hatte, weiterhin irgendjemanden in der näheren Umgebung als »Bayer« zu bezeichnen.

Bente konterte nicht ganz ernst gemeint, dass für sie alles unterhalb von Bremen sowieso Ruhrgebiet und ab Koblenz quasi Süddeutschland und damit Bayern war.

Wolf empörte sich gespielt, und sie bekam einen Crashkurs in fränkischer Historie, samt Volksheiliger – »St. Kilian und St. Martin, ja, der mit den Laternen« – und grausamer Begebenheiten. Dass beispielsweise die Laurentiuskirche gegenüber vom Wallensteinhaus dem heiligen Laurentius geweiht sei, der auf einem glühenden Rost zu Tode gefoltert worden war, weshalb seine Standbilder ihn noch heute mit einer Art Grillrost zeigten.

Bente fand das pervers, dass die Form der Hinrichtung zu einer Art Markenzeichen werden sollte. Allerdings war die Sache bei Jesus Christus und seinem Kreuz ja eigentlich auch nichts anders.

Wolf dozierte weiter. »Die letzte öffentliche Enthauptung in Altdorf ist übrigens keine zweihundert Jahre her. Die hat erst im zweiten Anlauf geklappt, da musste der Henker selbst noch mal ran, weil sein Geselle nicht richtig zugehauen hatte …«

Bente verzog das Gesicht und bestellte noch ein Stromerbier. In diesem Moment meldete sich Wolfs Mobiltelefon mit einer rhythmischen Melodie. Er zog eine entschuldigende Grimasse und ging vor die Tür.

Als er wieder da war, schrieb er sich kurz ihre Telefonnummer auf und verabschiedete sich dann ziemlich überstürzt und ohne Erklärung. Schade, dachte Bente, als sie über den menschenleeren Markt nach Hause schlenderte, und ich hab nicht mal seine Nummer. Verträumt und ein bisschen angeheitert wollte sie gerade die Ladentür aufschließen, als sie im Fensterglas das Spiegelbild des älteren Mannes entdeckte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte sie noch, was sie tun sollte, dann drehte sie sich abrupt um, doch der Typ war verschwunden. Sie verriegelte die Tür von innen mit allen nur verfügbaren Schlössern und schlüpfte gleich ins Bett, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass es den Hunden gut ging.

Kaum eingeschlafen, wurde sie durch ein dumpfes Poltern wieder geweckt. Sie setzte sich auf und horchte. Kam es aus dem Haus? Oder von der Straße? Sie stand auf, ging zur Wohnungstür, öffnete sie und schaltete das Licht im Turm ein. Sie lauschte in die Nacht, aber jetzt war nichts mehr zu hören. Als sie die Tür gerade schließen wollte, gab es wieder ein Geräusch, lauter und scheppernder, und gleich hinter ihr. Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Hündin Amra, die ihr gefolgt war, hatte den wackeligen Dielentisch samt der Ritterburg darauf umgeworfen. Nun war es still.

In der Nacht träumte sie wieder wild: Ein Henker mit Hundekopf schwang ein Schwert über einem goldenen Grillrost, auf dem Nürnberger Rostbratwürstchen lagen. Drumherum lief ein Laternenumzug, dessen Teilnehmer sich bei näherem Hinsehen als kleinwüchsige Horrorgestalten entpuppten. In ihrem Kopf pochte es, als sie aufwachte.

 

Im Laden fand sie am nächsten Morgen eine unter der Tür durchgeschobene Postkarte mit einer Nachricht von Wolf: »Sorry wegen des plötzlichen Aufbruchs. Wie wäre es mit einem Kaffee im neu eröffneten Biergarten am Waschweiher? So gegen zwölf?« Bente drehte die Karte herum, dort stand in großen bunten Lettern im Grunde gleich die Antwort: »Bassd scho!« Sie hängte die Postkarte an die Pinnwand.

Gerade als sie sich zum Treffpunkt aufmachen wollte, sah sie den älteren Mann schon wieder vor dem Geschäft. Er stand, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, vor der Tür und verschwand, als sie auf die Straße trat, in Richtung Sparkasse, wo er höchst interessiert das im Vorraum ausgestellte Stück »Altdorfer Marmor« betrachtete.

Bente hatte keine Ahnung, was er von ihr wollte, aber inzwischen war er ihr unheimlich. Als sie Wolf davon berichtete, beruhigte er sie: »Zeig mir den Typ beim nächsten Mal, vielleicht kenn ich ihn sogar. Aber wahrscheinlich ist das nichts als Zufall, Altdorf ist ja wirklich nicht so groß.«

Bente war nicht überzeugt. »Deshalb ja. Ich dachte immer, in einem Ort wie diesem ist alles in Ordnung, jeder kennt jeden. Aber kaum bin ich da, wird eine Leiche gefunden, brennt ein Haus nieder, und vom Täter fehlt jede Spur, so steht es jedenfalls in der Zeitung. Ein Mann beobachtet mich, auch nachts, und im Wallensteinhaus rumpelt und pocht es, dass ich kaum schlafen kann.« Sie lächelte. »Sorry, aber ich bin so angespannt, das Haus ist echt unheimlich. Und unübersichtlich – selbst der Denkmalschutzbeamte hat sich im Keller verlaufen …« Sie brach ab, weil sie merkte, dass Wolf nur noch mit halbem Ohr zuhörte, anscheinend hatte er eine Nachricht bekommen. Er entschuldigte sich kurz und deutete auf sein Telefon: »Tut mir leid, aber das ist echt wichtig.«

Am Abend kramte Bente ihr eigenes Mobiltelefon heraus. Zwar hatte sie Antje versprochen, das Ding nur in dringenden Fällen zu benutzen, und sie war nicht mal sicher, ob es auf dem Kreuzfahrtschiff so etwas wie ein Netz gab, aber sei’s drum. So kurz und knapp wie möglich berichtete sie ihr in einer SMS über den verpassten Termin mit dem Mann vom Denkmalschutz, und dass sie ein paarmal mit Wolf, Antjes altem Schulfreund, unterwegs gewesen sei, »ein echt netter Typ«. Dann schlief sie ein und träumte von Altdorfer Marmorkuchen.

 

Am nächsten Morgen hatte sie noch vor Ladenöffnung einen Fotojob im Studio hinten im Hof, und auch danach ging die Ladentür nicht mehr zu. Die Leute kauften Gewürze, als gäbe es kein Morgen mehr, dazu Bilderrahmen und Salzlampen. Ihr Handy piepste. Sie drückte auf die Tasten und las die gerade eingegangene Mitteilung: »Zeit, Pause zu machen.« Im nächsten Moment betrat Wolf den Laden, mit einer verführerisch duftenden Tüte von der Metzgerei Nießbeck. »Dich schickt der Himmel«, strahlte sie und warf das Handy auf die Sitzbank, »ich muss eh grad mit den Hunden raus.« Sie griff nach den Hundeleinen, ihrem Schlüssel und sah ihn dann erwartungsvoll an: »Und? Können wir los?«

Als Antwort zeigte er nur wortlos auf seine Postkarte an der Pinnwand: »Bassd scho!«

Sie gingen, und Bente bekam nicht mehr mit, dass ihr Telefon hinter ein Polster gerutscht war und jetzt nutzlos vor sich hin blinkte: eine neue Nachricht. Von Antje. »Wieso Denkmalschutz? Der Termin ist nächsten Monat. LG Antje. PS: Ich kenne keinen Wolf.«

 

An das Handy dachte Bente nicht mehr. Sie hatte den gesamten Nachmittag mit Wolf verbracht und fühlte sich in seiner Gegenwart unbeschwert und sicher. Sie war froh, als Wolf da­rauf bestand, noch auf ein Glas Wein mit ins Wallensteinhaus zu kommen. Denn noch immer musste sie an den älteren Typen denken, dem sie auch heute wieder begegnet war und der sie aus irgendeinem Grund beobachtete. Und nicht nur das machte ihr Angst.

Wolf zog gerade am Korkenzieher, als ein dumpfes Pochen aus der Tiefe des Hauses zu hören war. Beide schwiegen und lauschten. Nichts.

Als Bente ihr Glas entgegennehmen wollte, war es erneut zu vernehmen. Sie zitterte und griff nach Wolfs Hand: »Da! Genau wie neulich, hörst du?« Ein dumpfes Hämmern, einmal, zweimal, dreimal, dann war wieder Ruhe.

Wolf drückte beruhigend ihre Hand, stand auf und blickte in den Hof.

»Was ist das?«, fragte Bente.

Wolf zuckte mit den Schultern und nahm die Taschenlampe, die auf Antjes Küchentisch lag. »Ich werde mal nachsehen«, sagte er und knipste die Lampe kurz an. Er steckte sein Handy ein und schlich hinunter in den Hof. Alles war still.

Bente bemerkte, wie Angst in ihr aufstieg. Wer war da unten, und wo war Wolf hin? Dann fiel ihr ein, dass ihr Telefon immer noch irgendwo im Laden liegen musste, wo sie es zuletzt gesehen hatte. Sie kletterte die steile Treppe im Innern des Hauses hinunter und tapste im Dunkeln durch den Laden. Das Handy hatte sie schnell gefunden, doch als sie zur Tür sah, schrak sie zusammen und duckte sich an die Wand. Stand da nicht jemand und blickte in den Laden? Mit eiskalten Fingern suchte sie den richtigen Knopf an ihrem Handy, um die Tastensperre zu lösen. Ihr Blick ging erneut zur Tür, doch wer auch immer da gestanden hatte, war jetzt verschwunden. Was wollte der nur? Dann sah sie, dass sie eine Nachricht von Antje hatte.

Wolf ging durch den hinteren Teil des Ladens zum Kellereingang. Das dumpfe Hämmern hatte wieder eingesetzt. So leise wie möglich stieg er die Treppe hinunter. Im hinteren Teil des Kellers, der zur rechten Seite abknickte, war ein Lichtschein zu sehen, als würde jemand eine Taschenlampe mit der Hand abdecken. Wolf schlich weiter, bis er zu dem Mauervorsprung kam, hinter dem es in den tiefer liegenden Keller ging. Vorsichtig ließ er kurz seine Lampe aufblitzen und trat um die Ecke.

 

Bente blickte ungläubig auf das Handydisplay. Wieso kannte Antje Wolf nicht? Kann man einen Freund aus Schultagen einfach so vergessen? Oder hatte er ihr Unsinn erzählt? Aber warum? Ihre Gedanken überschlugen sich: Wenn Antje ihn nicht kannte, wer um Himmels willen war dieser Typ, der jetzt mit ihr hier im Wallensteinhaus war? Von dem sie außerdem nicht mal wusste, wo genau er sich jetzt aufhielt? Sie merkte, wie sich ihr Hals zuschnürte, sie hatte Angst, eindeutig. Ich muss etwas tun, ratterte es ihr immer wieder durch den Kopf. Ich muss etwas tun, nur was?

Mit weichen Knien ging sie in den hinteren Teil des Ladens. Die Tür zum Keller stand offen. War Wolf da drin? Warum? Er würde ihr ein paar Fragen beantworten müssen, wenn er wieder auftauchte. Gerade als sie nach der Klinke der Kellertür greifen wollte, flog diese auf und eine schwarze Gestalt stürmte heraus. Bente verharrte für einen Moment und konnte sich nicht rühren. Dadurch verstellte sie dem Eindringling den Weg. Er stieß sie brutal zur Seite, sodass sie mit dem Kopf gegen die Wand prallte und unsanft in einer Ecke neben dem Schreibtisch landete. Ein PC-Bildschirm und ein Becher mit Stiften fielen krachend zu Boden. Benommen rappelte sie sich auf und suchte ihr Telefon, um die Polizei zu rufen, doch dann hörte sie ein Geräusch aus dem Keller. War das Wolf? Bentes Herz raste. Sie stieg die Kellertreppe hinab und sah ihn auf dem Boden liegen. Er war bewusstlos, und an seiner Schläfe war Blut. »Wolf?«, rüttelte sie ihn sanft, »Wolf, wach auf. Bitte!«

 

Dreißig Sekunden später war Wolf wieder bei sich und sah sie leicht verwirrt an. Dann berappelte er sich, versuchte aufzustehen und taumelte zur Treppe. »Wo ist er hin?«, fragte er, während er die Kellertreppe hinaufstieg.

Bente folgte ihm und zeigte in Richtung Turm: »Da rüber. Aber was ist hier eigentlich los? Wer war das? Und was wollte der hier?«

Wolf schüttelte nur den Kopf. »Später. Ich glaube, ich weiß, wo er hin will. Vom vorderen Keller führt ein geheimer Gang bis hinter die Stadtmauer.« Er schnappte sich Antjes alte Schwalbe, die im Hof stand, und startete das Moped mit ohrenbetäubendem Lärm.

Wolf gab kurz Gas, drückte Bente seine Taschenlampe in die Hand und brauste davon in die Nacht, wobei sich kurz seine Jacke zur Seite schob und den Blick auf ein Pistolenhalfter freigab. War Wolf etwa Polizist? Allmählich würde sie gerne mal wissen wollen, was hier eigentlich los war.

Sie ging zurück in den Hof, die Taschenlampe fest umklammert. Jetzt war es still. Unter der Tür, die zum vorderen Keller führte, war immer noch Licht zu erkennen. Sie nahm die ersten Treppenstufen im Turm, um an den Lichtschalter zu gelangen. Plötzlich glaubte sie eine Bewegung hinter sich zu spüren. Sie drehte sich um.

Im Licht der ziemlich funzeligen Treppenhausbeleuchtung stand die schwarze Gestalt von eben vor der halboffenen Tür zum vorderen Keller. Und diesmal erkannte sie ihn. Im selben Moment, in dem auch ihm dies klar wurde, machte er hastig einen Schritt auf sie zu.

Bente reagierte wie auf Autopilot. Sie schleuderte ihm die Taschenlampe entgegen, drehte sich um und rannte den Turm hoch, immer zwei Treppenstufen auf einmal nehmend.

Insgeheim hatte sie gehofft, auf Höhe der Wohnung einen Vorsprung zu haben, um schnell hineinschlüpfen und hinter sich abschließen zu können. Aber als sie im zweiten Stock ankam, war die Tür zu und der Typ gleich hinter ihr. Sie lief weiter, automatisch, ohne wirklich zu wissen, was sie oben eigentlich machen sollte. Sie betete, dass der Speicher nicht versperrt war – und dass die morschen Stufen hielten.

Als sie oben war, hatte sie ihren Verfolger ein Stück abgehängt, gerade hörte sie im Stockwerk unter sich ein Krachen und Fluchen, anscheinend war der deutlich schwerere Mann in eine Stufe eingebrochen. Aber er ließ sich nicht aufhalten. Bente hörte, wie er sich wieder aufrappelte.

Sie betrat den ersten Speicher und verkeilte die Tür mit einem Besenstiel. Das würde ihn hoffentlich ein bisschen aufhalten. Sie rannte die nächste Treppe hoch, dann noch eine und noch eine. Der oberste Speicherboden war unbeleuchtet. Nur durch die Ritzen der Dachziegel fiel noch ein wenig Mondlicht auf den Fußboden.

Bente erinnerte sich an Antjes Worte, hier nur auf den breiteren Längsbalken zu gehen, alles andere sei zu gefährlich. Also huschte sie an der Längsseite entlang und suchte sich ein Versteck hinter ein paar alten Möbeln, kroch in die hinterste, dunkelste Ecke. Atemlos horchte sie noch einmal in die Nacht. Sie kramte ihr Mobiltelefon heraus und wollte den Notruf wählen. Dann hörte sie ihren Verfolger im unter ihr liegenden Speicherboden. Ihre Zeit zum Handeln war knapp. Schnell und fieberhaft überlegte sie, dass es viel zu lange dauern würde, bis sie der Polizei erklärt hatte, wo sie war und worum es ging. Wer auch immer Wolf war, er musste ihr jetzt helfen. Sie drückte auf Wolfs Nummer in ihrem Eingangsordner und wartete. Doch statt eines Klingeltons sprang gleich Wolfs Mailbox an. Schier endlos schien die Ansage zu dauern.

Mittlerweile hatte ihr Verfolger die verbarrikadierte Speichertür überwunden und war auf dem Weg nach oben. Hastig begann sie zu flüstern: »Wolf, ich bin hier oben auf dem Speicher, er ist hier, er ist hinter mir her. Komm schnell!« Sie trennte die Verbindung, weil sie hörte, dass der Mann den obersten Speicherboden erreicht hatte. Sie konnte nur hoffen, dass Wolf seine Mailbox abhörte und alles verstanden hatte. Dann kauerte sie sich in ihr Versteck.

 

Wolf war zurück auf dem Weg durch die Neubaugasse zum Garagentor, als sich sein Mobiltelefon bemerkbar machte. Er hatte eine neue Nachricht auf der Mailbox, offensichtlich war sein Telefon noch auf lautlos geschaltet. Während er das Gerät an sein Ohr hielt, stieß er vor der Tür auf den älteren Mann mit Schiebermütze.

Wolf wusste sofort, dass das der Typ sein musste, der Bente immer beobachtet hatte. Der Mann erklärte hastig, er sei ein Nachbar der Wiechs, die ihn vor ihrer Abreise informiert hatten, dass Bente allein im Haus sein würde. Daher habe er »immer mal nach dem Rechten gesehen«, wie er es nannte. Jetzt aber hatte er seltsame Geräusche gehört. Wolf wollte den übereifrigen und fraglos neugierigen Nachbarn schon wegschicken, als er endlich Bentes Nachricht hörte. Wolf stieß den Mann zur Seite und rannte los.

 

Bente sah, wie ihr Verfolger langsam und vorsichtig in die Mitte des Raumes ging. In der Hand hatte er die Taschenlampe, die sie ihm entgegengeschleudert hatte, und leuchtete damit jetzt die dunklen Ecken aus. Gleich würde er sie entdeckt haben, ihr Versteck war ein Witz. Sie tastete um sich herum, ob da vielleicht irgendetwas war, das sie als Waffe benutzen konnte, aber sie fand nur ein paar Steinchen und Putzbrocken. Ihr kam eine Idee.

Als der Mann schon ein gutes Stück auf ihre Ecke zugekommen war, warf sie ein kleines Steinchen an die gegenüberliegende Wand, so hoch, dass es erst gegen die Wand prallte und dann mit einem Klacken zu Boden fiel. Leise, aber laut genug, dass er sich abrupt herumdrehte und in die Richtung leuchtete.

Bente warf noch ein zweites Steinchen in die hinterste Ecke, und als der Mann sich in Bewegung setzte, schlich sie so lautlos wie möglich in die andere Richtung, zur Tür. Ihr Puls raste. Kurz bevor sie das Treppenhaus erreicht hatte, knarrte eine Diele unter ihr, nahezu ohrenbetäubend, wie ihr vorkam. Dann ging alles sehr schnell – der Mann drehte sich um, sah sie und lief los, Bente ebenfalls.

Sie erreichte die Tür, riss sie auf und stand Wolf gegenüber, der mit gezogener Waffe vor ihr stand. »Vorsicht!«, rief er und zog sie zur Seite. Der Verfolger stürmte auf die beiden zu, doch dann gab es einen gewaltigen Krach – und weg war er. Mit ungeheurer Durchschlagskraft krachte der falsche Denkmalschutzbeauftragte Andreas Hornberger durch drei Etagen und landete mit gebrochenem Genick auf dem untersten Speicherboden.

 

Nachdem er sich mehrfach versichert hatte, dass es Bente gut ging, und er sie außerdem mit einem großen Glas Rotwein versorgt hatte, nahm Wolf sich selbst auch eines und berichtete. Er war tatsächlich eine Art Polizist, allerdings bei einer Sondereinheit, die sich vor allem mit Kunstraub und dem illegalen Handel mit wertvollen historischen Gegenständen und Dokumenten befasste. »Da geht es um Summen, die du dir gar nicht vorstellen kannst, Drogenschmuggel ist ein müder Witz dagegen.« Er nippte am Wein.

Seine Jagd auf der Schwalbe durch die Nacht hatte ihn zu dem Parkplatz hinter der Polizeiwache geführt, der jenseits der historischen Stadtmauer lag. »Es hieß schon immer, dass es eine geheime Tunnelverbindung vom Wallensteinhaus bis hinter die damalige Stadtmauer gibt. Nur waren die Keller geflutet, die Gänge auch. Hineingekommen ist Hornberger mit seiner Taucherausrüstung, so wollte er auch wieder raus. Auf dem Parkplatz stand sein Fluchtwagen bereit. Meine Kollegen sind noch dabei, Spuren zu sichern. Aber dann muss ihm klar geworden sein, dass wir ihn auf der anderen Seite erwarten.«

»Aber was wollte der eigentlich hier?«, unterbrach ihn Bente, als Wolfs Handy wieder melodisch-rhythmisch klingelte. Er drückte auf einen Knopf, sagte aber nichts, hörte nur kurz zu. Dann pfiff er halblaut und fragte: »Habt ihr’s schon aufgemacht?« Nach der kurzen Antwort beendete er die Verbindung. Er hob sein Glas und sah sie an. »Hast du schon mal was von Wallensteins Tagebüchern gehört?«

 

Bente konnte kaum glauben, was sie im Folgenden erfuhr. Der Täter hatte im voll gelaufenen Tiefkeller nach einem Fass gesucht, in dem sich Aufzeichnungen befanden, die der Feldherr Wallenstein während des Dreißigjährigen Krieges gemacht und im Keller versteckt hatte. Bente stutzte. »Aber Wallenstein war doch viel früher hier, als Student, mit gerade mal sechzehn oder so.«

Wolf nickte. »Das stimmt. Aber es gibt Berichte, also eher Vermutungen, dass er später noch einmal hier war. Tilly lag im Dreißigjährigen Krieg auch nicht weit von Altdorf entfernt. Und Wallenstein hat’s hier ganz schön krachen lassen.« Er trank. »Vielleicht hielt er den Keller auch einfach nur für ein gutes Versteck. Jedenfalls wäre der Fund von Wallensteins Tagebüchern eine historische Sensation.«

Bente grinste. »Das hatten wir doch schon mal, da sollten weite Teile der deutschen Geschichte neu geschrieben werden …«

Wolf lächelte verstehend.

»Woher wusste er überhaupt von der Existenz der Bücher?«

»Unser Freund hatte einen Komplizen, einen Historiker. Die beiden haben hier in Altdorf intensiv im Stadtarchiv zur Stadtgeschichte geforscht und sind auf etwas gestoßen …«

Bente nippte an ihrem Rotwein und hörte aufmerksam zu.

»Wir haben in diesem Zusammenhang etliche Personen befragt, und sowohl der Archivar Herr Dannhorn als auch Herr Rösch von den Altstadtfreunden erinnerten sich an ihn – und auch an einen zweiten Mann.«

Bente war gespannt. »Und dann?«

Wolf goss Wein nach. »Na ja, die Akten, die beide einsehen wollten, waren sehr speziell. Sie hatten behauptet, für einen historischen Krimi zu recherchieren, der in Altdorf spielt.«

Sie trank einen Schluck. »Aber was wollte er mit den Tagebüchern? Solch ein Fund lässt sich doch gar nicht so einfach verkaufen.«

»Er hatte einen Auftraggeber. Einen Sammler, Schwede, irgendein schwerreicher Möbelfabrikant.«

Bente sah ihn spöttisch an. »Schwede?«

Wolf lachte. »Der Typ sammelt wohl alles aus dem Dreißigjährigen Krieg. Und zahlt so gut wie jeden Preis. Der Komplize ist übrigens wahrscheinlich unser unbekannter Toter aus dem Haus in der Türkeistraße.«

Bente verzog den Mund. »Und welche Rolle spielst du bei der ganzen Sache?«

Wolf hob entschuldigend die Arme. »Tut mir leid, ich war wohl nicht ganz ehrlich mit dir. Wie gesagt arbeite ich für eine Sondereinheit, die sich auf Kunstraub spezialisiert hat. Wir haben Hinweise von Kollegen aus Schweden und aus Tschechien bekommen, da hatten die beiden zuvor – wie soll ich sagen? – geforscht. Zunächst wollten wir einfach abwarten, ob sie wirklich was finden. Aber dann kamst du ihm in die Quere – und uns.«

Bente richtete sich empört auf. »In die Quere? Was soll das denn heißen?

Wolf legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. »Du warst nicht eingeplant. Du hast alles durcheinandergebracht. Inzwischen wissen wir, dass sogar der Kreuzfahrtgewinn fingiert war. Familie Wiech sollte aus dem Haus sein, damit die beiden Zeit und Ruhe hatten, die Keller zu durchsuchen.«

»Ja und?« Bente wurde ungeduldig.

»Aber dann warst du da, und ihnen lief die Zeit davon, der Schwede wollte Ergebnisse sehen. Es kam wohl zu einem Streit, weil der andere sich weigerte, das Risiko einzugehen, nach dem Schatz zu suchen, während jemand im Haus war.«

»Du glaubst, dass er seinen Komplizen umgebracht hat?« Bente lief ein Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, dass der Typ sie angefasst hatte.

Wolf nickte nur. »Verraten hat er sich auch mit einer seiner falschen Identitäten. Auf seiner Visitenkarte an deiner Pinnwand stand Andreas Hornberger. Wer sich ein bisschen in Altdorfer Geschichte auskennt, weiß, dass so der Scharfrichtergeselle hieß, der die letzte Hinrichtung hier in Altdorf so, äh, verbockt hat.«

»Tja, so viel zum Vorteil soliden Heimatgeschichtswissens.« Bente griff nach ihrem Handy, um nachzusehen, wie spät es war, und in diesem Moment fiel ihr Antjes SMS wieder ein. Sie sah Wolf scharf an. »Wo wir schon bei Namen sind: Antje schreibt, sie kennt keinen Wolf. Dann war das alles gelogen mit alter Schulfreund und so?«

Man konnte sehen, dass Wolf diese Frage mehr als unangenehm war, er rutschte ein wenig hin und her auf dem Sofa. Dann sah er sie an. »Das stimmt, sie kennt keinen Wolf. Ich hieß damals anders …« Verlegen griff er nach seinem Glas und zeigte auf Bentes Handy. »Wenn du Antje geschrieben hättest, du bist mit Hardy unterwegs, hätte sie’s gewusst.«

»Wieso Hardy?« Bente sah ihn ratlos an.

»Wenn man auf den klangvollen Namen Wolfhart getauft ist, hat man für die Mitschüler lieber eine Alternative parat.«

Sie nickte, war aber noch nicht überzeugt. »Und warum nicht damals schon Wolf?«

Er zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, bei Spitznamen weiß man das doch nie. Irgendwie blieb Hardy hängen, vielleicht auch wegen Hardy Krüger – und als ich zu Antje in die Klasse kam, wusste gar keiner mehr, dass ich einen ganz anderen Vornamen hab …«

Sein Handy meldete sich, jetzt erkannte Bente auch den rhythmisch-melodischen Klingelton, Take Five von Dave Brubeck. Wolf stellte ein paar Fragen, hörte zu und legte dann auf. »Ich muss weg, die Kollegen warten. Sie wollen das Fass abtransportieren.«

»Warum eigentlich Fass?«, fragte Bente.

»So hat man damals oft Sachen transportiert oder gelagert, die nicht beschädigt oder nass werden sollten. Solche Fässer waren von innen mit Pech ausgekleidet und hatten manchmal sogar mehrere Böden. Eigentlich sehr raffiniert. Und unser Exemplar hier lag auch nicht im Wasser, es stand in einem zugemauerten Durchgang, warm und trocken. Die Chancen sind ziemlich gut, dass auch jetzt noch erhalten ist, was auch immer darin versteckt wurde.«

Er stand auf, nahm sein Handy und sah sie an. »Äh, ich könnte dich nachher noch anrufen. Nur falls du wissen willst, was in dem Fass ist.« Er stockte und wandte sich fast ein bisschen verlegen zur Tür.

Sie schwieg erst, dann nickte sie lächelnd und gähnte. Erst jetzt merkte sie, wie verdammt müde sie war. »Ruf an, wenn du weißt, was drin ist.«

Wolf nickte und warf ihr eine Kusshand zu, aber da war sie schon auf dem Sofa zur Seite gesunken und eingeschlafen.

Viel später weckte sie das Klingeln ihres Handys. Völlig verschlafen ging sie ran. »Und, was steht in den Tagebüchern?«

Wolf lachte kurz und trocken. »Das weiß nur Wallenstein allein.« Man hörte Geräusche im Hintergrund. »In dem Fass waren jedenfalls keine Tagebücher.«

Bente war jetzt wach. »Was dann?«

Wolf lachte wieder, und diesmal klang es belustigt. »Hopfen. Gut getrockneter, uralter Hopfen. Ganz hübsch, ich schicke dir ein Foto.« Sie verabredeten sich für den nächsten Abend und Bente legte auf. Kurz danach piepte es, sie blickte aufs Display – eine neue Nachricht. Wolfs Nummer erkannte sie sofort, musste aber grinsen, als sie den Absender las. Da stand: »W. Allenstein«.