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Inhaltsverzeichnis

DIE AUTORIN
Danksagung
Dienstag, 23. September
Mittwoch, 24. September, fünfte Stunde
Donnerstag, 25. September
Freitag, 26. September
Freitag, später
Samstag, 27. September
Samstag, abends
Sonntag, 28. September
Montag, 29. September
Dienstag, 30. September
Mittwoch, 1. Oktober
Aufzeichnungen aus T & B:
Donnerstag, 2. Oktober, Damentoilette vom Plaza
Immer noch Donnerstag, etwas später. Pinguinhaus im Zoo vom Central Park
Donnerstag, noch später
Freitag, 3. Oktober, Klassenzimmer
Immer noch Freitag, Mathe
Freitag, richtig spät, bei Lilly
Samstag, 4. Oktober, morgens, immer noch bei Lilly
Später, immer noch Samstag
Samstagabend
Bisschen später
Sonntag, 5. Oktober
Montag, 6. Oktober, 3 Uhr morgens
Montag, 6. Oktober, 4 Uhr morgens
Montag, 6. Oktober, 7 Uhr morgens
Montag, 6. Oktober, 9 Uhr morgens
Montag, 6. Oktober, T & B
Dienstag, 7. Oktober
Mittwoch, 8. Oktober
Donnerstag, 9. Oktober
Freitag, 10. Oktober
Samstag, 11. Oktober, 9.30 Uhr
Samstag, 11. Oktober
Samstag, später
Schon Sonntag, 12. Oktober, Mitternacht
Sonntag, 12. Oktober
Immer noch Sonntag, später
Immer noch Sonntag, noch später
Sonntag, viel später
Montag, 13. Oktober, Mathe
Montag, etwas später, Franz
Immer noch Montag, noch später
Montagabend
Dienstag, 14. Oktober, Schule
Dienstag, Mathe
Noch später, immer noch Dienstag, Englisch
Noch immer Dienstag, Franz
Dienstagabend
Mittwoch, 15. Oktober, Schule
Später am Mittwoch, vor Mathe
Mittwoch, Büro von Mrs Gupta
Immer noch Mittwoch, Englisch
Immer noch Mittwoch, Franz
Mittwochabend
Immer noch Mittwoch
Donnerstag, 16. Oktober, Schule
Donnerstag, Franz
Donnerstag, T & B
Immer noch Donnerstag, Franz
Donnerstagabend
Freitag, 17. Oktober, Englisch
Immer noch Freitag
Immer noch Freitag, T & B
Freitagabend
Samstag, 18. Oktober
Später am Samstag
Samstagabend, Damentoilette im Tavern on The Green
Später, Mädchenklo in der Schule
Sonntag, 19. Oktober
Sonntagabend
Copyright

Danksagung

Die Autorin möchte all jenen danken, die in so vielfältiger
Weise bei der Entstehung dieses Buches mitgeholfen haben:
Beth Ader, Jennifer Brown, Barbara Cabot,
Charles und Bonnie Egnatz, Emily Faith,
Laura Langlie, Ron Markman, Abigail McAden,
A. Elizabeth Mikesell, Melinda Mounsey,
David Walton, Allegra Yelie
und – ganz besonders – Benjamin Egnatz.

DIE AUTORIN

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Meg Cabot stammt aus Bloomington, Indiana, und lebt mit ihrem Ehemann und ihren zwei Katzen in New York City und Key West. Nach dem Studium hoffte sie auf eine Karriere als Designerin in New York und arbeitete währenddessen u. a. als Hausmeisterin in einem Studentenwohnheim. Mit großem Erfolg, denn immerhin ließ dieser Job ihr genügend Zeit, ihr erstes Buch zu schreiben. Inzwischen hat Meg Cabot mehr als 40 Romane verfasst und ist eine der erfolgreichsten Jugendbuchautorinnen der Welt. Ihre Plötzlich-Prinzessin-Romane wurden von Hollywood verfilmt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weitere Informationen zu Meg Cabot und ihren Büchern: www.megcabot.de

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Manchmal hab ich das Gefühl, mein Leben besteht nur aus Lügen. Mom denkt, dass ich meine wahren Gefühle wegen dieser Geschichte verdränge. Ich hab widersprochen: »Quatsch, Mom. Überhaupt nicht. Ist doch alles wunderbar. Und solange du glücklich bist, bin ich es auch.«

Aber Mom blieb skeptisch. »Ich glaube nicht, dass du mir gegenüber wirklich ehrlich bist.«

Und dann hat sie mir dieses Tagebuch in die Hand gedrückt. Ich soll alle meine Gefühle reinschreiben, hat sie gesagt, weil ich ja anscheinend nicht offen mit ihr darüber sprechen will. Meine Gefühle soll ich aufschreiben? Na gut, dann schreib ich eben meine Gefühle auf.

Also: ICH FASS ES EINFACH NICHT, DASS SIE MIR SO WAS ANTUT!

Als würden mich nicht sowieso schon alle für einen kompletten Loser halten. Ich bin praktisch die größte Lachnummer an der ganzen Schule. Sehen wir den Tatsachen doch ins Auge: Ich bin 1,77 m groß, ein Bügelbrett und in der Neunten. Mal ehrlich – schlimmer geht’s doch gar nicht, oder?

Wenn die in der Schule spitzkriegen, was da läuft, bin ich tot. Glasklar. Tot.

Lieber Gott, falls es dich wirklich gibt, dann mach bitte, dass das nie rauskommt.

Das muss man sich mal überlegen. In Manhattan leben so an die vier Millionen Menschen. Dann sind davon ja wohl ungefähr zwei Millionen Männer. Und von diesen zwei Millionen muss sie sich unbedingt Mr Gianini raussuchen. Sie kann sich nicht mit irgendeinem Typen einlassen, den ich nicht kenne. Mit einem, den sie bei D’Agostino oder sonst wo beim Einkaufen kennen gelernt hat. Nein, natürlich nicht.

Sie muss ein Date mit meinem Mathelehrer ausmachen.

Danke, Mom. Echt. Vielen, vielen Dank.

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Lilly hat gesagt: »Mr Gianini ist doch cool!«

Ja, klar. Er ist cool, wenn man Lilly Moscovitz heißt. Er ist cool, wenn man gut in Mathe ist, so wie Lilly Moscovitz. Aber er ist nicht besonders cool, wenn man wegen Mathe durchfällt  – so wie ich.

Er ist auch nicht cool, wenn er einen JEDEN, ABER AUCH JEDEN VERDAMMTEN TAG dazu zwingt, nach der Schule noch dazubleiben, um von 14.30 bis 15.30 Uhr Mengenlehre zu üben, genau in der Zeit, in der man super was mit all seinen Freundinnen machen könnte. Er ist nicht cool, wenn er die eigene Mutter in die Sprechstunde bittet, um mit ihr darüber zu sprechen, dass man wegen Mathe durchfällt, und sich dann privat mit ihr VERABREDET.

Und er ist nicht cool, wenn er dieser Mutter seine Zunge in den Mund steckt.

Zugegeben, ich hab sie das nicht direkt tun sehen. Sie waren bis jetzt ja noch nicht mal zusammen weg. Und ich glaub auch nicht, dass meine Mutter einem Typen erlauben würde, ihr schon beim ersten Date die Zunge in den Mund zu stecken.

Wenigstens hoffe ich, dass sie’s nicht tut.

Letzte Woche hab ich gesehen, wie Josh Richter Lana Weinberger die Zunge in den Mund gesteckt hat. Alles nahaufnahmenmäßig, weil sie an Joshs Spind lehnten, der direkt neben meinem steht. Ich war irgendwie voll angewidert.

Obwohl ich zugeben muss, dass ich nichts dagegen hätte, wenn Josh Richter mich so küssen würde. Vor ein paar Tagen waren Lilly und ich in der Edelparfümerie Bigelows auf der 6th Avenue, um für ihre Mutter so eine Gesichtsmaske mit Fruchtsäure drin zu besorgen, und da stand zufälligerweise auch Josh Richter gerade an der Kasse. Als er mich sah, lächelte er mir sogar leicht zu und sagte: »Hi!«

Er hat »Drakkar Noir« gekauft, ein Männerparfüm. Die Verkäuferin hat mir ein Pröbchen davon geschenkt. Und jetzt kann ich Josh zu Hause und ganz ungestört riechen, sooft und wann ich will. Lilly erklärte das damit, dass Josh an dem Tag wahrscheinlich eine Synapsenfehlzündung hatte, die durch einen Hitzschlag oder so ausgelöst wurde. Ich sei ihm wahrscheinlich irgendwie bekannt vorgekommen, nur habe er mein Gesicht ohne die Betonwände der Albert-Einstein-Highschool im Hintergrund nicht einordnen können. Welche andere Erklärung könnte es sonst geben, hat sie gefragt, dass der begehrteste Zwölftklässler unserer Highschool zu mir, Mia Thermopolis, einer unwürdigen Neuntklässlerin, »Hi« sagt? Aber ich weiß, dass es kein Hitzschlag war. In Wahrheit ist Josh nämlich ein vollkommen anderer Mensch, wenn er nicht mit Lana und den anderen Sportfreaks rumhängt. Die Art von Mensch, dem es egal ist, wenn ein Mädchen zwar keinen Busen, dafür aber Schuhgröße 43 hat. Die Art von Mensch, der über all das hinweg direkt in das tiefste Innere eines Mädchens blicken kann. Ich weiß das, weil ich ihm an dem Tag bei Bigelows in die Augen geschaut und deutlich erkannt hab, dass in ihm ein hochgradig empfindsamer Typ steckt, der sich nur danach sehnt, endlich er selbst sein zu dürfen.

Lilly findet, dass ich eine zu lebhafte Fantasie hab und ein krankhaftes Bedürfnis, mein Leben mit künstlicher Dramatik zu erfüllen. Sie behauptet, dass ich mich so über Mom und Mr G aufrege, sei ein Paradebeispiel dafür.

»Wenn dich die Geschichte echt so nervt, dann sag es deiner Mutter doch einfach«, hat Lilly mir geraten. »Sag ihr, du willst nicht, dass sie mit ihm weggeht. Ich versteh dich nicht, Mia. Du verleugnest ständig deine Gefühle. Warum setzt du dich nicht ausnahmsweise mal durch? Du solltest dir klarmachen, dass deine Gefühle auch was wert sind.«

Ja, klar. Als würde ich meiner Mutter das antun. Sie ist so total happy über diese Verabredung, dass es schon fast zum Kotzen ist. Zum Beispiel kocht sie seit neuestem. Echt wahr.

Gestern Abend hat sie zum ersten Mal seit Monaten Pasta gekocht. Ich hatte schon die Speisekarte von Suzie’s China-Restaurant aufgeschlagen, da sagt sie: »Nix da, Mialein! Heute bestellen wir uns keine kalten Sesamnudeln. Ich hab uns Pasta gemacht.«

Pasta! Meine Mutter hat uns Pasta gemacht!

Sie hat sogar berücksichtigt, dass ich Vegetarierin bin, und die Soße ohne Hackfleisch gekocht.

Also, mir ist das alles ein Rätsel.

 

 

 

Zu erledigen:

  1. Katzenstreu besorgen
  2. Arbeitsblatt »Mengenlehre« für Mr G fertig machen
  3. Lilly nicht mehr alles erzählen
  4. zu Pearl Paint gehen: weiche Bleistifte, Sprühkleber und aufgezogene Leinwand kaufen (für Mom)
  5. Erdkunde: Hausarbeit über Island (5 Seiten, zweizeilig)
  6. nicht mehr so oft an Josh Richter denken
  7. Wäsche wegbringen
  8. Miete Oktober (Mom fragen, ob sie Dads Scheck eingezahlt hat!!!!)
  9. mehr Durchsetzungskraft zeigen
  10. Brustumfang nachmessen

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In Mathe konnte ich heute die ganze Zeit an nichts anderes denken als daran, dass Mr Gianini meiner Mutter bei ihrem Date morgen Abend die Zunge in den Mund stecken könnte. Ich saß nur da und hab ihn angestarrt. Er hat mir eine wirklich babyleichte Frage gestellt – ich bin mir sicher, dass er die einfachen alle extra für mich aufhebt, weil er nicht möchte, dass ich mich ausgeschlossen fühle oder so – und ich hab es nicht mal mitgekriegt. Ich konnte nur stammeln: »Äh? Was?«

Dann hat Lana Weinberger so abfällig geprustet, wie sie es immer tut, und sich zu mir rübergebeugt, sodass ihre blonde Mähne über meinen ganzen Tisch fegte. Ich bin fast von ihrer Megaparfümwolke erschlagen worden und dann zischelte sie mir mit so einer voll fiesen Stimme zu:

»Lahmarsch!«

Nur dass sie es so richtig verächtlich in die Länge gezogen hat. LAAAAAAAAHMARSCH.

Warum müssen gute Menschen wie Prinzessin Diana eigentlich in Autowracks sterben und fiesen Menschen wie Lana passiert so was nie? Ich kann echt nicht verstehen, was Josh Richter an ihr findet. Klar, hübsch ist sie schon. Aber sie ist superfies. Merkt der das gar nicht?

Vielleicht ist Lana Josh gegenüber ja nett. Also, ich wäre mit Sicherheit nett zu ihm. Er ist der absolut bestaussehende Typ an der Albert-Einstein-Highschool. Die meisten der Jungs sehen in unserer Schuluniform mit der grauen Hose, dem weißen Hemd und dem schwarzen Pulli oder Pullunder total beknackt aus. Nur Josh nicht. Den könnte man in seiner Schuluniform glatt für ein Model halten. Ganz im Ernst.

Übrigens ist mir heute aufgefallen, dass Mr Gianini so total riesige, geblähte Nasenflügel hat. Ich frag mich echt, wie man einen Mann mit solchen Nasenflügeln überhaupt attraktiv finden kann. Aber als ich Lilly in der Mittagspause darauf aufmerksam machte, sagte sie bloß: »Hm. Mir sind seine Nasenflügel noch nie aufgefallen. Isst du die Teigtasche eigentlich noch?«

Lilly findet, ich soll aufhören, mich so reinzusteigern. Sie sagt, was mich in Wirklichkeit beunruhigt, sei nicht das Ding mit Mr Gianini und meiner Mutter, sondern die Tatsache, dass wir erst seit einem Monat auf die Highschool gehen und ich in einem Fach schon auf Sechs stehe. Sie hat mir erklärt, dass man das Affektverlagerung nennt.

Irgendwie ist es ätzend, wenn die Eltern der besten Freundin Psychoanalytiker sind.

Heute Nachmittag haben die beiden Doktoren Moscovitz voll versucht, mich zu analysieren. Lilly und ich saßen ganz harmlos da und haben Worttüftel gespielt. Und alle fünf Minuten lief es nach demselben Schema ab: »Möchtet ihr vielleicht eine Cola? Im Fernsehen läuft übrigens ein interessanter Dokumentarfilm über Tintenfische. Ach ja, und, Mia, welche Gefühle löst es eigentlich bei dir aus, dass sich deine Mutter und dein Mathelehrer jetzt privat treffen?«

Ich murmelte: »Och, das stört mich gar nicht.«

Wieso schaffe ich es eigentlich nicht, die Wahrheit zu sagen? Aber was wäre denn, wenn Lillys Eltern meiner Mutter zufällig auf dem Jefferson Market oder woanders in der Stadt über den Weg liefen? Wenn ich die Wahrheit gesagt hätte, würden sie ihr das garantiert alles brühwarm weitererzählen. Ich will einfach nicht, dass Mom weiß, wie peinlich mir die ganze Sache ist. Wo sie doch so glücklich ist.

Das Schlimmste war, dass Lillys großer Bruder Michael alles mitgekriegt hat. Er hat sich sofort halb totgelacht, obwohl ich nicht nachvollziehen kann, was daran so lustig sein soll. Er kicherte voll los: »Echt, deine Mutter und Frank Gianini! Ha! Ha! Ha!«

Na, superklasse. Jetzt weiß es also auch noch Lillys Bruder Michael.

Ich hab ihn natürlich gleich angefleht, das bloß niemandem weiterzuerzählen. Wir sitzen jeden Tag die fünfte Stunde im selben Klassenzimmer ab, weil er wie Lilly und ich an so einem schuleigenen Förderprogramm teilnimmt, das »Talent & Begabung« heißt. Der Kurs ist der größte Witz. Der Leiterin, Mrs Hill, ist es nämlich vollkommen egal, was wir tun, solange wir dabei nur einigermaßen leise sind. Sie hockt die Unterrichtszeit im Lehrerzimmer ab, das direkt gegenüber vom T&B-Raum liegt, und ist jedes Mal genervt, wenn sie rauskommen muss, um uns zusammenzustauchen.

Michael soll die fünfte Stunde dazu nutzen, an der Webzine »Crackhead« zu arbeiten, seiner Internetzeitschrift, und ich müsste Mathe üben.

Aber Mrs Hill prüft sowieso nie nach, was wir in T & B machen, was wahrscheinlich auch ganz gut ist, weil wir die meiste Zeit vor allem damit beschäftigt sind, uns zu überlegen, wie wir unseren Neuen – einen Russen, der angeblich ein Musikgenie ist – in das Lehrmittelkabuff nebenan sperren können, damit wir uns nicht länger Strawinski auf seiner bescheuerten Geige anhören müssen.

Aber es braucht niemand zu denken, dass Michael nur deshalb Stillschweigen über meine Mom und Mr G bewahren würde, weil er und ich Verbündete im Kampf gegen Boris Pelkowski und seine Geige sind.

Im Gegenteil, hat er die ganze Zeit gesagt: »Was springt dabei für mich raus, Thermopolis? Tust du auch irgendwas für mich?«

Aber es gibt nichts, was ich für Michael Moscovitz tun könnte. Ich kann ihm ja zum Beispiel kaum anbieten, seine Hausaufgaben für ihn zu machen. Michael geht in die Zwölfte (genau wie Josh Richter). Er hat sein ganzes Leben lang in allen Fächern nur die allerbesten Noten gehabt (genau wie Josh Richter). Und ab nächstem Jahr studiert er wahrscheinlich in Yale oder Harvard oder an einer anderen Elite-Uni (genau wie Josh Richter).

Was habe ich so jemandem schon anzubieten?

Das heißt aber nicht, dass Michael perfekt wäre oder so. Im Gegensatz zu Josh Richter ist Michael zum Beispiel nicht in der Rudermannschaft. Er ist noch nicht mal in der Politik-AG. Michael hält nämlich nichts von organisiertem Sport oder organisierten Religionen oder überhaupt irgendeiner Form von Organisation. Stattdessen hockt er fast die meiste Zeit in seinem Zimmer rum. Ich hab Lilly mal gefragt, was er da drin eigentlich immer so macht, und sie hat mir erklärt, dass sie und ihre Eltern mit Michael nach dem Motto verfahren: Wer nicht dumm fragt, kriegt auch keine dumme Antwort.

Ich wette, dass er da drin eine Bombe bastelt. Vielleicht hat er vor, die Albert-Einstein-Highschool auf der Abschlussfeier in die Luft zu jagen.

Gelegentlich kommt Michael aus seinem Zimmer raus und lässt ironische Kommentare ab. Manchmal hat er dabei nicht mal ein T-Shirt an. Obwohl er nichts von organisiertem Sport hält, ist mir aufgefallen, dass er gar keinen schlechten Oberkörper hat. Seine Bauchmuskeln sind außergewöhnlich ausgeprägt. Das hab ich Lilly gegenüber aber noch nie erwähnt.

Michael war, glaub ich, nicht beeindruckt von meinem Angebot, im Gegenzug für sein Schweigen mit seinem Sheltie Pawlow spazieren zu gehen oder die leeren Dosen Cola Light von seiner Mutter zurück in den Supermarkt zu bringen (sein Wochenbeitrag zur Hausarbeit), weil er nach einer Weile mit genervter Stimme sagte: »Vergiss das Ganze einfach, Thermopolis, okay?« und in seinem Zimmer verschwand.

Ich hab Lilly gefragt, warum er denn sauer ist, und sie hat geantwortet, weil er mich die ganze Zeit sexuell belästigt und ich nichts davon mitgekriegt hätte.

Wie peinlich! Wenn ich mir vorstelle, dass Josh Richter mich eines Tages sexuell belästigen könnte (schön wär’s!) und ich würde das gar nicht merken… O Gott, manchmal steh ich echt so was von auf der Leitung.

Jedenfalls hat Lilly mich beruhigt. Ich soll mir keine Sorgen machen, dass Michael seinen Freunden in der Schule von Mom und Mr G erzählen könnte, weil er nämlich keine Freunde hätte. Dann wollte sie noch von mir wissen, wieso Mr Gianinis abstehende Nasenflügel mich so stören. Schließlich müsste ja nicht ich sie mir ansehen, sondern meine Mutter.

Ich hab gesagt: »Na hör mal, immerhin muss ich sie mir außer an Samstagen, Sonntagen, Feiertagen und in den Ferien, also QUASI JEDEN VERDAMMTEN TAG, von 9.55 bis 10.55 Uhr und von 14.30 bis 15.30 Uhr anschauen. Und das mit den Ferien gilt auch nur, wenn ich nicht sitzen bleibe und Nachprüfung machen muss.«

Und falls die beiden heiraten sollten, müsste ich sie mir AN JEDEM VERDAMMTEN TAG DER WOCHE EINSCHLIESSLICH SÄMTLICHER FEIERTAGE UND FERIEN anschauen.

 

 

 

Definiere Menge: Zusammenfassung von bestimmten Objekten – den Elementen der Menge – zu einem Ganzen.

 

A = {Prue, Phoebe, Piper}
Eigenschaft, die auf jedes Element zutrifft
A = {x|x ist eine Hexe}

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Lilly Moscovitz’ Liste begehrenswerter Männer

 

(Zusammengestellt während der Erdkundestunde.

Mit Anmerkungen versehen von Mia Thermopolis)

  1. Josh Richter (Einverstanden – 1,80 m Anlass zur Begierde; blondes Haar, das ihm häufig in die strahlend blauen Augen fällt, und ein schnuckeliges, verträumtes Lächeln. Einziger Nachteil: beweist schlechten Geschmack, indem er mit Lana Weinberger zusammen ist.)
  2. Boris Pelkowski (Ganz und gar nicht einverstanden. Dass er als Zwölfjähriger in der Carnegie Hall auf seiner blöden Geige gespielt hat, macht ihn noch lange nicht begehrenswert. Außerdem stopft er sich immer den Pulli in die Hose, statt ihn darüber zu tragen wie jeder andere normale Mensch auch.)
  3. Pierce Brosnan, der beste James Bond aller Zeiten (Nicht einverstanden – ich fand Timothy Dalton besser.)
  4. Daniel Day Lewis in »Der letzte Mohikaner« (Einverstanden. Egal, was passiert, bleibt am Leben!)
  5. Prinz William (O Gott, nee!)
  6. Leonardo in »Titanic« (Puh! Da ist wohl jemand 1998 in seiner Entwicklung stehen geblieben, was?)
  7. Mr Wheeton, der Rudertrainer (Begehrenswert, aber schon vergeben. Wurde dabei beobachtet, wie er Mademoiselle Klein die Tür zum Lehrerzimmer aufgehalten hat.)
  8. Der Typ in Jeans auf der Riesenplakatwand am Times Square (Absolut einverstanden. Wer ist der Typ? Der müsste seine eigene TV-Serie bekommen.)
  9. Der Freund von Dr. Quinn – »Ärztin aus Leidenschaft« (Was ist aus dem eigentlich geworden? Der war echt scharf!)
  10. Joshua Bell, der Geiger (Total einverstanden. Es wäre schon cool, einen Musiker zum Freund zu haben – nur darf er nicht Boris Pelkowski heißen.)

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Ich hab vorhin meine Brust vermessen und überhaupt nicht mehr daran gedacht, dass Mom gerade mit meinem Mathelehrer um die Häuser zieht, als Dad anrief. Ich weiß zwar nicht, warum, aber ich hab gelogen und behauptet, Mom wäre im Atelier. Eigentlich ist das total unnötig, weil Dad natürlich weiß, dass Mom sich mit anderen Männern trifft. Aber irgendwie hab ich es einfach nicht geschafft, ihm das mit Mr Gianini zu erzählen.

Heute Nachmittag saß ich neben Mr Gianini in meinem Zwangsförderunterricht und hab wieder Mengenlehre geübt (Mengenlehre – o Mann, ich möchte echt wissen, wann ich im wirklichen Leben noch jemals Mengenlehre brauchen werde – GARANTIERT NIE!), als er auf einmal zu mir sagte: »Ich hoffe, es ist dir nicht, hm, unangenehm, dass ich gesellschaftlich mit deiner Mutter verkehre, Mia.«

Aus irgendeinem Grund hab ich im ersten Moment verstanden, er sagt: »… dass ich GESCHLECHTLICH mit deiner Mutter verkehre«, und bin sofort knallrot angelaufen. Mein Gesicht glühte richtig. Ich antwortete schnell: »Aber nein, Mr Gianini, das stört mich kein bisschen.«

Worauf Mr Gianini sagte: »Wenn es dich stören würde, könnten wir nämlich gerne darüber reden.«

Ich vermute mal, er hat gemerkt, dass ich gelogen hab, weil ich so rot geworden bin.

Aber ich hab nur behauptet: »Nein, im Ernst, das stört mich nicht. Na ja, okay, vielleicht schon ein kleines bisschen, aber eigentlich finde ich es total okay. Ich meine, es ist ja bloß ein Date, oder? Es wäre ja lächerlich, wegen einer popeligen Verabredung jetzt einen Aufstand zu bauen.«

Und darauf hat Mr Gianini dann gesagt: »Tja, Mia, ich weiß nicht, ob es bei dieser einen popeligen Verabredung bleiben wird. Mir liegt nämlich ganz schön viel an deiner Mutter.«

Und dann, ich weiß selbst nicht, wie es passiert ist, aber ich hörte mich plötzlich sagen: »Das hoffe ich auch sehr. Wenn Sie nämlich irgendwas machen, das sie zum Weinen bringt, dann trete ich Ihnen so was von in den Arsch …!«

O Gott! Ich kann selbst nicht glauben, dass ich einem Lehrer gegenüber das Wort »Arsch« in den Mund genommen hab! Danach lief mein Gesicht noch röter an, als ich es überhaupt jemals für möglich gehalten hätte. Woran liegt es eigentlich, dass ich immer nur dann die Wahrheit sagen kann, wenn ich mir damit unter Garantie Stress einhandle?

Wenn ich so darüber nachdenke, muss ich zugeben, dass mir die ganze Sache schon irgendwie unangenehm ist. Vielleicht hatten Lillys Eltern Recht.

Mr Gianini nahm es aber voll cool. Er grinste und sagte: »Ich habe ganz bestimmt nicht die Absicht, deine Mutter zum Weinen zu bringen, aber falls es doch jemals passieren sollte, dann gebe ich dir hiermit die Erlaubnis, mich kräftig in den Arsch zu treten.«

Das wäre also zumindest irgendwie geregelt.

Um noch mal auf Dad zurückzukommen: Er hat sich am Telefon total komisch angehört. Obwohl er eigentlich immer komisch klingt. Ferngespräche aus Europa sind sowieso blöd, weil man im Hintergrund den Ozean rauschen hört, was mich voll nervös macht. Das ist, als würden die Fische einen belauschen, oder so. Außerdem wollte Dad gar nicht mit mir reden, sondern mit Mom. Wahrscheinlich ist irgendjemand gestorben und er will, dass Mom es mir behutsam beibringt.

Vielleicht ist es ja Grandmère. Hmmm …

Mein Busen ist übrigens seit letztem Sommer um exakt null Komma null Zentimeter gewachsen. Mom lag mit ihrer Vorhersage total daneben. Ich hatte mit vierzehn keinen plötzlichen Wachstumsschub wie sie damals. Wahrscheinlich werde ich nie einen erleben, jedenfalls nicht am Busen. Bei mir wirken sich die Wachstumsschübe nur auf die Vertikale aus, nicht auf die Horizontale. Ich bin jetzt größer als sämtliche anderen Mädchen in meiner Klasse.

Für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass mich doch noch ein Junge bitten sollte, im Oktober mit ihm zum »Ball der Kulturen« zu gehen, kann ich noch nicht einmal ein trägerloses Kleid anziehen, weil da einfach nichts wächst, was es am Runterrutschen hindern könnte.

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Ich war schon eingeschlafen, als Mom gestern Abend von ihrer Verabredung nach Hause kam. Ich bin zwar so lange wie möglich aufgeblieben, weil ich wissen wollte, wie es gelaufen war, aber die Brustvermessungsaktion hatte mich wahrscheinlich doch zu sehr ausgelaugt. Also konnte ich sie erst heute Morgen fragen, als ich in die Küche kam, um Fat Louie zu fressen zu geben. Mom war schon auf, was echt ungewohnt war. Normalerweise bleibt sie länger als ich im Bett liegen, obwohl ja eigentlich ich in der Pubertät bin und diejenige sein müsste, die nicht aus dem Bett kommt.

Aber nachdem sich Moms letzter Freund als stockkonservativer Republikaner entpuppt hat, leidet sie auch unter so einer Art Depression.

Jedenfalls war sie heute schon in der Küche, summte fröhlich vor sich hin und brutzelte Pfannkuchen. Ich bin vor Schreck fast tot umgefallen, als ich sie so früh am Morgen schon kochen sah – und noch dazu was Vegetarisches.

Natürlich hat sie sich prächtig amüsiert. Die beiden waren im Monte’s essen (he, he, da hat Mr G ja richtig was springen lassen!), sind anschließend im West Village rumgeschlendert und hockten bis fast zwei Uhr morgens im Garten irgendeiner Kneipe, wo sie nur geredet haben. Ich hab zwar versucht, ein bisschen zu bohren, um herauszufinden, ob auch geküsst wurde (besonders, was die Zunge-im-Mund-Variante betrifft), aber Mom lächelte nur und guckte peinlich berührt.

Okay. Kotz.

Sie haben sich für nächste Woche gleich noch mal verabredet. Na ja, wenn es sie so glücklich macht, soll’s mir recht sein. Heute dreht Lilly für ihre Sendung »Lilly spricht Klartext« eine kurze Parodie auf den Film »The Blair Witch Project«. Darin geht es um ein paar Studenten, die im Wald nach einer Hexe suchen – nach der Blair Witch nämlich – und danach nie mehr gesehen werden. Alles, was jemals von ihnen gefunden wird, ist ein selbst gedrehtes Video, das ihre Suche dokumentiert, und ein paar Häufchen Zweige.

Lilly nennt ihre Version »The Green Witch Project«. Sie will sich mit einer Handkamera am Washington Square Park postieren und die Touris filmen, die uns fragen, wie man am besten nach »Green Witch Village« kommt (eigentlich heißt es natürlich Greenwich Village – aber nur die wenigsten Touristen wissen, dass man das »w« in Greenwich nicht mitspricht).

Der Plan ist, dass wir sofort loskreischen und in Panik die Flucht ergreifen, wenn die Touristen uns nach dem Weg nach Green Witch Village fragen. Alles, was am Ende des Films von uns zurückbleibt, ist ein kleiner Haufen Subway-Tickets. Lilly sagt voraus, dass die Menschheit nach Ausstrahlung der Sendung Subway-Tickets nie wieder mit denselben Augen betrachten wird.

Ich hab ihr gesagt, dass ich es echt schade finde, dass wir keine richtige Hexe haben, und Lana Weinberger vorgeschlagen. Aber Lilly fand, ihr wäre die Rolle zu offensichtlich auf den Leib geschrieben. Außerdem müssten wir sie dann den ganzen Tag ertragen und das wolle sie niemandem zumuten. Und es sei auch fraglich, ob sie überhaupt mitmachen würde, wo wir doch ihrer Meinung nach an unserer Schule auf der Popularitätsskala ganz unten stehen. Wahrscheinlich hätte sie Angst um ihr Image, wenn sie sich mit uns blicken lassen würde.

Andererseits ist sie so was von eitel, dass sie womöglich jede Chance wahrnehmen würde, ins Fernsehen zu kommen, selbst wenn die Sendung bloß im offenen Kanal läuft, und das um sechs Uhr früh. Da wären dann vielleicht sogar wir als Vermittlerinnen recht.

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Als wir alles im Kasten hatten, haben wir den blinden Typen wieder gesehen, der gerade über die Bleecker Street ging. Er hatte ein neues Opfer gefunden. Eine total arglose deutsche Touristin, die keinen Schimmer hatte, dass der nette blinde Mann, dem sie über die Straße half, sie sofort nach Erreichen der anderen Straßenseite befummeln und dann so tun würde, als wäre es keine Absicht gewesen.

Das ist übrigens wieder mal bezeichnend für mein Glück: Das einzige männliche Wesen, das mich im Leben jemals befummelt hat (nicht, dass es sonderlich viel zu befummeln gäbe), ist blind gewesen.

Lilly will den blinden Typen auf dem 6. Polizeirevier anzeigen. Als ob die sich für so was interessieren würden. Die haben Wichtigeres zu tun. Mörder jagen zum Beispiel.

 

 

 

Zu erledigen:

  1. Katzenstreu besorgen
  2. nachschauen, ob Mom den Scheck für die Miete abgeschickt hat
  3. nicht mehr lügen
  4. Entwurf fürs Englischreferat
  5. Wäsche abholen
  6. nicht mehr an Josh Richter denken

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Heute hat Dad schon wieder angerufen und zum Glück war Mom diesmal wirklich im Atelier, sodass ich kein so schlechtes Gewissen hatte, weil ich ihn am Freitagabend angelogen und ihm nichts von Mr Gianini erzählt hatte. Er klang wieder total komisch, weshalb ich ihn dann irgendwann fragte: »Sag mal, Dad, ist Grandmère vielleicht gestorben?«, was ihn total aus dem Konzept brachte und worauf er sagte: »Aber nein, Mia, wie kommst du denn auf die absurde Idee?«

Als ich ihm erklärte, dass ich darauf komme, weil er sich so komisch anhört, behauptete er: »Ich höre mich überhaupt nicht komisch an«, was gelogen war, weil er sich eben schon komisch anhörte. Trotzdem beschloss ich, das Thema fallen zu lassen und mit ihm über Island zu reden, weil wir das gerade in Erdkunde durchnehmen. Island hat die niedrigste Analphabetenrate der Welt, weil man da außer Lesen nicht viel tun kann. Außerdem haben sie dort diese natürlichen heißen Quellen, in denen die Isländer die ganze Zeit baden. Einmal gab ein Opernensemble ein Gastspiel in Island, alle Vorstellungen waren ausverkauft und insgesamt hatten so um die achtundneunzig Prozent der Bevölkerung die Oper gesehen. Die Leute kannten die Texte auswendig und trällerten die Arien den ganzen Tag vor sich hin.

Ich könnte mir gut vorstellen, eines Tages selbst mal nach Island zu ziehen. Ich hab den Eindruck, es ist echt nett dort. Netter als hier in Manhattan, wo einen manche Leute ohne ersichtlichen Grund anspucken.

Dad dagegen schien von Island nicht sonderlich beeindruckt. Na ja, im Vergleich mit Island schneidet wahrscheinlich jedes andere Land ziemlich verlierermäßig ab. Obwohl das Land, in dem mein Vater lebt, selbst auch ganz schön klein ist. Wenn ein Opernensemble dorthin käme, würden vielleicht achtzig Prozent der Bevölkerung hingehen, worauf man natürlich auch schon stolz sein könnte.

Ich hab meine Information nur deshalb an ihn weitergegeben, weil er Politiker ist und ich mir dachte, dass sie ihm unter Umständen als Anregung für Verbesserungen in Genovia dienen könnte, wo er lebt. Aber ich schätze mal, dass Genovia gar keine Verbesserungen nötig hat. Genovias Haupteinnahmequelle sind Touristen. Das weiß ich deshalb so genau, weil ich in der siebten Klasse mal als Hausaufgabe die wichtigsten Fakten über sämtliche Länder Europas sammeln musste und dabei feststellte, dass Genovia mit Disneyland ganz oben rangiert, was Einkünfte aus dem Tourismus angeht. Wahrscheinlich ist das der Grund dafür, dass die Genovesen keine Steuern zahlen müssen: Die Regierung hat so schon genug Geld. Regiert wird Genovia übrigens von einem Fürsten. In der Nachbarschaft gibt es noch ein Fürstentum, das Monaco heißt. Mein Vater hat mir erzählt, dass wir massenhaft Cousins und Kusinen in Monaco haben, von denen ich bis jetzt aber noch keine kennen gelernt hab, nicht mal bei Grandmère zu Hause.

Ich hab Dad vorgeschlagen, nächsten Sommer doch gemeinsam nach Island zu fahren, statt die Ferien bei Grandmère im Château Miragnac in Frankreich zu verbringen. Meine Großmutter müsste natürlich in ihrem Château bleiben. Aber sie würde Island sowieso grässlich finden. Sie findet es nämlich überall grässlich, wo man keinen anständigen Sidecar serviert bekommt. Das ist ihr absoluter Lieblingsdrink. Den kann sie vierundzwanzig Stunden am Tag süffeln.

Aber alles, was Dad dazu zu sagen hatte, war: »Darüber reden wir ein andermal«, und dann hat er aufgelegt.

Mom hat echt so was von Recht, was ihn betrifft.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Absoluter Wert: der Zwischenraum zwischen einer beliebigen Zahl und der Null auf der Zahlengeraden … immer eine positive Zahl

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Heute hab ich Mr Gianini sehr intensiv beobachtet und nach möglichen Anzeichen dafür gesucht, dass ihm die Verabredung mit meiner Mutter letzten Freitag womöglich nicht so gut gefallen haben könnte wie ihr. Er machte aber einen außerordentlich gut gelaunten Eindruck. Wir besprachen gerade die quadratischen Gleichungen (ich möchte mal wissen, was eigentlich aus der Mengenlehre geworden ist; ich hatte gerade angefangen, sie einigermaßen zu verstehen, und schon nehmen wir was ganz Neues durch – kein Wunder, dass ich so schlecht bin!), als er plötzlich fragte, ob aus der Klasse jemand in der Musical-AG ist und sich für eine Rolle in »My Fair Lady« beworben hat, das im Herbst aufgeführt werden soll.

Etwas später sagte er dann mit dieser glucksenden Stimme, die er immer kriegt, wenn ihn irgendetwas begeistert: »Wisst ihr, wer eine ganz tolle Eliza Doolittle abgeben würde? Du, Mia.«

Ich wäre am liebsten auf der Stelle tot umgefallen. Klar, ich weiß schon, dass Mr Gianini nur nett sein wollte – immerhin umwirbt er meine Mutter –, aber der Gedanke ist so was von abwegig. Erstens haben die ganzen Vorsprechen natürlich schon längst stattgefunden, und selbst wenn ich mich um eine Rolle hätte bewerben können (was ich aber nicht kann, weil ich nämlich in Mathe durchfalle – hallo, Mr Gianini, haben Sie das etwa vergessen?), wäre ich nie genommen worden und schon mal gleich gar nicht für eine HAUPTROLLE. Ich kann nicht singen. Ich kann ja kaum sprechen.

Nicht mal Lana Weinberger, die in der Junior Highschool immer alle Hauptrollen ergattert hat, bekam die Hauptrolle, sondern irgendeine aus der Elften. Lana spielt ein Hausmädchen, eine Zuschauerin bei den Pferderennen in Ascot und eine Nutte, die breitestes Cockney quakt. Lilly ist Inspizientin. Ihre Aufgabe besteht darin, zu Beginn und zum Ende der Pause die Lichter an- bzw. auszumachen.

Mr Gianinis Kommentar hat mich so was von umgehauen, dass ich kein Wort mehr rausbrachte. Ich saß nur da und spürte, wie ich rot anlief. Bestimmt hat Lana deshalb in der Mittagspause, als ich und Lilly zu meinem Spind kamen, neben dem sie auf Josh wartete, so blöd vornehm genäselt: »Oh, hallo Amelia«, obwohl mich seit meiner Kindergartenzeit auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin keiner mehr Amelia genannt hat (bis auf Grandmère).

Als ich mich vorbeugte, um den Geldbeutel aus meinem Rucksack zu kramen, hat Lana wohl einen guten Blick in meine Bluse werfen können, weil sie plötzlich rief: »Och, wie niedlich! Ich sehe gerade, dass wir immer noch keinen BH tragen. Aber vielleicht würden bei deiner Größe ja auch schon Heftpflaster reichen?«

Ich hätte bestimmt ausgeholt und ihr eine verpasst – na ja, vielleicht auch nicht, die Doktoren Moscovitz haben mir ja attestiert, dass ich Schwierigkeiten mit direkten Auseinandersetzungen hab –, wenn nicht genau in diesem Moment Josh Richter gekommen wäre. Mir war klar, dass er alles haarklein mitgekriegt hatte, aber er sagte nur zu Lilly: »Darf ich mal?«, weil sie vor seinem Spind stand und er nicht vorbeikam.

Ich wäre am liebsten zur Cafeteria runtergeschlichen und hätte die ganze Sache vergessen – das war echt genau das, was mir noch gefehlt hatte, dass jemand direkt vor Josh Richter meinen Mangel an Oberweite in die Welt raustrompetet! –, aber Lilly kann solche Sachen nie auf sich beruhen lassen. Sie lief knallrot an und fauchte Lana an: »Warum tust du uns nicht allen einen Gefallen, verkriechst dich irgendwo in einer Ecke und krepierst, Weinberger?«

Klar, dass niemand Lana Weinberger ungestraft vorschlägt, sich in einer Ecke zu verkriechen und zu krepieren. Und ich meine wirklich: niemand. Nicht, wenn man nicht will, dass der eigene Name in Verbindung mit fiesen Sprüchen kreuz und quer über die Wände vom Mädchenklo gekritzelt wird. Wobei das nicht so ein Drama wäre – da werden es ja wohl kaum irgendwelche Jungs zu sehen kriegen –, aber irgendwie ziehe ich persönlich es vor, dass mein Name nicht an allen Wänden steht.

Lilly sind solche Sachen voll egal. Sie ist zum Beispiel klein und pummelig und hat ein bisschen Ähnlichkeit mit einem Mops. Trotzdem ist ihr ihr Aussehen absolut schnuppe. Man muss sich das mal vorstellen, sie hat ihre eigene Fernsehsendung und da rufen die ganze Zeit irgendwelche Idioten an und sagen ihr, wie potthässlich sie sie finden, und fordern sie auf, ihr T-Shirt hochzuheben (sie ist nicht flachbrüstig, sie braucht schon Körbchengröße C), und sie lacht sich darüber nur halb kaputt. Lilly hat vor überhaupt nichts Angst.

Als Lana Weinberger auf Lilly losgehen wollte, nachdem die ihr vorgeschlagen hatte zu krepieren, schaute Lilly sie nur herausfordernd an und sagte: »Na los, beiß mich!«

Das Ganze hätte mit Leichtigkeit zu einem Mädchenringkampf ausarten können – immerhin hat Lilly keine einzige Folge von »Xena« verpasst und kann kickboxen wie ein Champion –, wenn Josh Richter in dem Moment nicht seinen Spind zugeknallt und mit genervter Stimme erklärt hätte: »So. Ich bin weg.«

Plötzlich vergaß Lana alles andere, fetzte ihm hinterher und plärrte: »Josh, warte auf mich! Warte doch, Josh!«

Lilly und ich standen nur da und starrten uns ungläubig an. Ich kann es immer noch nicht glauben. Was sind das nur für Leute und warum bin ich dazu verdammt, Tag für Tag mit ihnen im selben Gebäude eingekerkert zu sein?

 

 

 

Hausaufgaben:

Mathe: Aufgaben 1–12, S. 79
Englisch: Referatthema
Erdkunde: Fragen vom Ende von Kap. 4
T & B: nichts
Franz: Verneinungssätze mit »avoir«, Lektion 1–3 lesen, rien plus
Biologie: nichts

B = {x|x ist eine ganze Zahl}
D = {2, 3, 4}
4ED
5ED
E = {x|x ist eine ganze Zahl, größer als 4, kleiner als 258}