Jakob Michael Reinhold Lenz: Die Soldaten

 

 

Jakob Michael Reinhold Lenz

Die Soldaten

Eine Komödie

 

 

 

Jakob Michael Reinhold Lenz: Die Soldaten. Eine Komödie

 

Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Pieter de Hooch, Ein Offizier und eine Frau unterhalten sich, 1665

 

ISBN 978-3-8430-5586-4

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7714-9 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7715-6 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1774/75. Erstdruck: Leipzig (Weidmanns Erben und Reich) 1776 (anonym). Uraufführung am 9.12.1863 in Wien.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Herausgegeben von Britta Titel und Hellmut Haug, Band 1–2, Stuttgart: Goverts, 1965–1966.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen.

 

Wesener, ein Galanteriehändler in Lille.

 

Frau Wesener, seine Frau.

 

Mariane,

Charlotte, ihre Töchter.

 

Stolzius, Tuchhändler in Armentières.

 

Seine Mutter.

 

Jungfer Zipfersaat.

 

Desportes, ein Edelmann aus dem französischen Hennegau, in französischen Diensten.

 

Der Graf von Spannheim, sein Obrister.

 

Pirzel, ein Hauptmann.

 

Eisenhardt, Feldprediger.

 

Haudy,

Rammler,

Mary, Offiziers.

 

Die Gräfin de la Roche.

 

Ihr Sohn.

 

Frau Bischof.

 

Ihre Cousine und andere.

 

Der Schauplatz ist im französischen Flandern[182]

 

Erster Akt

Erste Szene

In Lille.

Mariane. Charlotte.

 

MARIANE mit untergestütztem Kopf einen Brief schreibend. Schwester weißt du nicht, wie schreibt man Madam, Ma, ma, tamm, tamm, me, me.

CHARLOTTE sitzt und spinnt. So 'st recht.

MARIANE. Hör ich will dir vorlesen, ob's so angeht wie ich schreibe: »Meine liebe Matamm! Wir sein gottlob glücklich in Lille arriviert«, ist's so recht: arriviert, ar ar, riew wiert?

CHARLOTTE. So 'st recht.

MARIANE. »Wir wissen nicht, womit die Gütigkeit nur verdient haben, womit uns überschüttet, wünschte nur im Stand zu sein« – ist so recht?

CHARLOTTE. So lies doch bis der Verstand aus ist.

MARIANE. »Ihro alle die Politessen und Höflichkeit wieder zu erstatten. Weil aber es noch nicht in unsern Kräften steht, als bitten um fernere Condinuation.«

CHARLOTTE. Bitten wir um fernere.

MARIANE. Laß doch sein, was fällst du mir in die Rede.

CHARLOTTE. Wir bitten um fernere Condinuation.

MARIANE. Ei was redst du doch, der Papa schreibt ja auch so.

 

Macht alles geschwind wieder zu und will den Brief versiegeln.

 

CHARLOTTE. Nu, so les Sie doch aus.

MARIANE. Das übrige geht dich nichts an. Sie will allesfort klüger sein als der Papa, letzthin sagte der Papa auch es wäre nicht höflich wenn man immer »wir« schriebe und »ich« und so dergleichen. Siegelt zu. Da Steffen Gibt ihm Geld. tragt den Brief auf die Post.[183]

CHARLOTTE. Sie wollt mir den Schluß nicht vorlesen, gewiß hat Sie da was Schönes vor den Herrn Stolzius.

MARIANE. Das geht dich nichts an.

CHARLOTTE. Nu seht doch, bin ich denn schon schalu darüber gewesen? Ich hätt ja eben so gut schreiben können als du, aber ich hab dir das Vergnügen nicht berauben wollen, deine Hand zur Schau zu stellen.

MARIANE. Hör Lotte laß mich zufrieden mit dem Stolzius ich sag dir's, oder ich geh gleich herunter und klag's dem Papa.

CHARLOTTE. Denk doch, was mach ich mir daraus, er weiß ja doch daß du verliebt in ihn bist und daß du's nur nicht leiden kannst, wenn ein andrer ihn nur mit Namen nennt.

MARIANE. Lotte! Fängt an zu weinen und läuft herunter.[184]

 

Zweite Szene

In Armentières.

Stolzius und seine Mutter.

 

STOLZIUS mit verbundenem Kopf. Mir ist nicht wohl Mutter.

MUTTER steht eine Weile und sieht ihn an. Nu, ich glaube Ihm steckt das verzweifelte Mädel im Kopf, darum tut er Ihm so weh. Seit sie weggereist ist hat Er keine vergnügte Stunde mehr.

STOLZIUS. Aus Ernst Mutter, mir ist nicht recht.

MUTTER. Nu, wenn du mir gute Worte gibst, so will ich dir das Herz wohl leichter machen.

 

Zieht einen Brief heraus.

 

STOLZIUS springt auf. Sie hat Euch geschrieben –

MUTTER. Da, kannst du's lesen. Stolzius reißt ihn ihr aus der Hand und verschlingt den Brief mit den Augen.[184] Aber hör, der Obrist will das Tuch ausgemessen haben für die Regimenter.

STOLZIUS. Laßt mich den Brief beantworten Mutter.

MUTTER. Hanns Narr ich rede vom Tuch, das der Obrist' bestellt hat für die Regimenter. Kommt denn –[185]

 

Dritte Szene

In Lille.

Mariane. Desportes.

 

DESPORTES. Was machen Sie denn da meine göttliche Mademoiselle?

MARIANE die ein Buch weiß Papier vor sich liegen hat, auf dem sie krützelte, steckt schnell die Feder hinters Ohr. O nichts, nichts, gnädiger Herr – Lächelnd. Ich schreib gar zu gern.

DESPORTES. Wenn ich nur so glücklich wäre, einen von Ihren Briefen, nur eine Zeile von Ihrer schönen Hand zu sehen.

MARIANE. O verzeihen Sie mir, ich schreibe gar nicht schön, ich schäme mich von meiner Schrift zu weisen.

DESPORTES. Alles was von einer solchen Hand kommt muß schön sein.

MARIANE. O Herr Baron hören Sie auf, ich weiß doch, daß das alles nur Komplimenten sein.

DESPORTES kniend. Ich schwöre Ihnen, daß ich noch in meinem Leben nichts Vollkommeneres gesehen habe als Sie sind.

MARIANE strickt, die Augen auf ihre Arbeit niedergeschlagen. Meine Mutter hat mir doch gesagt – sehen Sie, wie falsch Sie sind.

DESPORTES. Ich falsch? Können Sie das von mir glauben, göttliche Mademoiselle? Ist das falsch wenn ich mich vom Regiment wegstehle, da ich mein Semestre doch verkauft[185] habe und jetzt riskiere, daß wenn man erfährt, daß ich nicht bei meinen Eltern bin wie ich vorgab, man mich in Prison wirft wenn ich wiederkomme, ist das falsch, nur um das Glück zu haben Sie zu sehen, Vollkommenste?

MARIANE wieder auf ihre Arbeit sehend. Meine Mutter hat mir doch oft gesagt, ich sei noch nicht vollkommen ausgewachsen, ich sei in den Jahren wo man weder schön noch häßlich ist.

 

Wesener tritt herein.

 

WESENER. Ei sieh doch, gehorsamer Diener Herr Baron, wie kommt's denn daß wir wieder einmal die Ehre haben.

 

Umarmt ihn.

 

DESPORTES. Ich bin nur auf einige Wochen hier, einen meiner Verwandten zu besuchen, der von Brüssel angekommen ist.

WESENER. Ich bin nicht zu Hause gewesen, werden verzeihen, mein Marianel wird Sie ennuyiert haben, wie befinden sich denn die werten Eltern, werden die Tabatieren doch erhalten haben –

DESPORTES. Ohnezweifel, ich bin nicht bei ihnen gewesen, wir werden auch noch eine Rechnung mit einander haben Vaterchen.

WESENER. O das hat gute Wege, es ist ja nicht das erstemal. Die gnädige Frau sind letzten Winter nicht zu unserm Carnaval herabgekommen.

DESPORTES. Sie befindet sich etwas unpaß – waren viel Bälle?

WESENER. So so es ließ sich noch halten – Sie wissen, ich komme auf keinen und meine Töchter noch weniger.

DESPORTES. Aber ist denn das auch erlaubt, Herr Wesener daß Sie Ihren Töchtern alles Vergnügen so versagen, wie können sie dabei gesund bleiben.

WESENER. O wenn sie arbeiten werden sie schon gesund bleiben. Meinem Marianel fehlt doch Gott sei Dank nichts und sie hat immer rote Backen.[186]

MARIANE. Ja das läßt sich der Papa nicht ausreden und ich krieg doch so bisweilen so eng um das Herz, daß ich nicht weiß wo ich vor Angst in der Stube bleiben soll.

DESPORTES. Sehn Sie, Sie gönnen Ihr Mademoiselle Tochter kein Vergnügen und das wird noch einmal Ursache sein daß sie melancholisch werden wird.

WESENER. Ei was sie hat Vergnügen genug mit ihren Kamerädinnen, wenn sie zusammen sind hört man sein eigen Wort nicht.

DESPORTES. Erlauben Sie mir daß ich die Ehre haben kann, Ihre Mademoiselle Tochter einmal in die Komödie zu führen. Man gibt heut ein ganz neues Stück.

MARIANE. Ach Papa!

WESENER. Nein – Nein durchaus nicht Herr Baron! Nehmen Sie mir's nicht ungnädig, davon kein Wort mehr. Meine Tochter ist nicht gewohnt in die Komödie zu gehen, das würde nur Gerede bei den Nachbarn geben, und mit einem jungen Herrn von den Milizen dazu.

DESPORTES. Sie sehen ich bin im Bürgerskleide, wer kennt mich.

WESENER. Tant pis! ein für allemal es schickt sich mit keinem jungen Herren und denn ist es auch noch nicht einmal zum Tisch des Herrn gewesen und soll schon in die Komödie und die Staatsdame machen, kurz und gut, ich erlaube es nicht Herr Baron.

MARIANE. Aber Papa, wenn den Herrn Baron doch nun niemand kennt.

WESENER etwas leise. Willstu's Maul halten? niemand kennt, tant pis wenn ihn niemand kennt. Werden pardonnieren Herr Baron! so gern als Ihnen den Gefallen tun wollte, in allen andern Stücken haben zu befehlen.

DESPORTES. A propos lieber Wesener! wollten Sie mir doch nicht einige von Ihren Zitternadeln weisen.

WESENER. Sogleich.

 

Geht heraus.

 

DESPORTES. Wissen Sie was mein englisches mein göttliches Marianel, wir wollen Ihrem Vater einen Streich spielen.[187] Heut geht es nicht mehr an, aber übermorgen geben sie ein fürtreffliches Stück, La chercheuse d'esprit, und die erste Piece ist der Deserteur – haben Sie hier nicht eine gute Bekannte?

MARIANE. Frau Weyher.

DESPORTES. Wo wohnt sie?

MARIANE. Gleich hier an der Ecke beim Brunnen.

DESPORTES. Da komm ich hin und da kommen Sie auch hin, so gehn wir mit einander in die Komödie.

 

Wesener kommt wieder mit einer großen Schachtel Zitternadeln. Mariane winkt Desportes lächelnd zu.

 

WESENER. Sehen Sie da sind zu allen Preisen – diese zu hundert Talern, diese zu funfzig, diese zu hundertfunfzig wie es befehlen.

DESPORTES besieht eine nach der andern und weist die Schachtel Marianen. Zu welcher rieten Sie mir?

 

Mariane lächelt und sobald der Vater beschäftigt ist eine herauszunehmen, winkt sie ihm zu.

 

WESENER. Sehen Sie die spielt gut, auf meine Ehr.

DESPORTES. Das ist wahr. Hält sie Marianen an den Kopf. Sehen Sie auf so schönem Braun, was das für eine Wirkung tut. O hören Sie, Herr Wesener, sie steht Ihrer Tochter gar zu schön, wollen Sie mir die Gnade tun und sie behalten.

WESENER gibt sie ihm lächelnd zurück. Ich bitte Sie Herr Baron – das geht nicht an – meine Tochter hat noch in ihrem Leben keine Präsente von den Herren angenommen.