Für meinen Vater und für Robert

gestürzt wurde der große Drache, die alte Schlange, die den Namen Teufel und Satan trägt, der den ganzen Erdkreis verführt; er wurde hinabgestürzt auf die Erde

(Off. 12,9)

Sieben Tränen, zu Diamanten erstarrt, weinte Luzifer, als er aus dem Himmel verstoßen wurde. Sechs sind bereits wieder in seinem Besitz, findet er die siebte beginnt das Armageddon.

Joanna, die ahnungslose Erbin des Steins, steht zwischen Himmel und Hölle. An ihrer Seite, der Engel Ray.

Eine Fantasy-Story mit erfrischenden Dialogen und der Erkenntnis, dass die Liebe die größte Macht ist.

Die Autorin kommt ursprünglich aus der Werbung und ist seit über zwanzig Jahren im Hauptberuf Sprecherin (TV, Rundfunk, Hörbücher etc.) 2011 kam bereits ihr Kinderbuch: Maxi im Weihnachtswunderland auf den Markt, das sie auch selbst vertont hat.

Inhaltsverzeichnis

1

Juli 1889

„Das kann nicht dein Ernst sein! Vater, tu mir das nicht an!“ Victorias Augen füllten sich mit Tränen, während sie auf den gebeugten Kopf des Mannes sah. Dessen Schultern zuckten. Er weinte. „Vicki, ich kann nicht anders. Der Mann bringt mich ins Gefängnis, was soll aus deinen Geschwistern werden? Ihr werdet alle im Armenhaus landen.“ Flehend schaute er seine Tochter an. „Aber du hast doch nichts getan, du bist unschuldig! Wieso glaubt dir denn niemand?“ „Vicki, Edouard de Besancourt hat einen einflussreichen Vater. Wer würde sich gegen Pierre de Besancourt wenden? Die meisten Menschen hier sind von ihm abhängig!“ Victoria versuchte ihre Fassung wieder zu gewinnen. „Also, jetzt noch einmal langsam. Edouard beschuldigt dich, einen Diamanten gestohlen zu haben.“ Jean van Leeuwen unterbrach sie.

„Nicht irgendeinen Diamanten, sondern Devils Tear! Einen der berühmtesten Diamanten der Welt.“

„Und? Was hast du damit zu tun?“

„Ich habe ihn zuletzt in den Händen gehabt! Ich habe ihn verpackt und in den Tresor gelegt. Und jetzt ist er verschwunden…und…und ich kann nichts beweisen, niemand hat es gesehen!“

„Und deshalb will mich Edouard de Besancourt heiraten? Ich bin doch noch nicht mal eine gute Partie!“ „Aber du bist außergewöhnlich schön, er will dich! Und wenn ich dich nicht zu einer Heirat überreden kann, liefert er mich dem Gericht aus. Dann wandere ich ins Gefängnis und ihr ins Verderben…“ Er begann wieder zu schluchzen. „Ihr verliert euer zuhause, denn das Haus gehört den Besancourts, ihr…ihr…“ Voller Verzweiflung hieb Jean auf den Tisch. „Vater“, Victoria kniete sich vor ihn hin, “du hast mir einmal gesagt, dass ich niemanden heiraten muss, den ich nicht liebe. Ich liebe Henri und er wird mein Ehemann werden!“ Jean van Leeuwen sah seine Tochter an.

„Glaub mir Vicki, wenn ich anders hätte handeln können, ich hätte es getan. Wenn es nur um mich ginge, dann wäre es egal. Aber seit Mutters Tod musst auch du an deine jüngeren Geschwister denken. Was soll aus Marie, Christophe, André und Babette werden?“ „Was heißt…heißt du konntest nicht anders handeln? Hast du…du hast ihm zugesagt?“ Er nickte. Diese Ungeheuerlichkeit raubte ihr den Atem. „Nein!“ schrie sie auf, „Dieser Kerl ist so widerlich, ich will ihn nicht, ich will ihn nicht!“ Jetzt weinten beide. Der Vater, weil er der Unglücksbote war und Victoria, die in ihr Unglück gehen sollte.

*

Pierre de Besancourt war entsetzt. Eine Schwiegertochter aus der Unterschicht! Nun ja, die Mutter kam aus Adelskreisen. Die schöne Marie, Comtesse De Lagrange. Pierre de Besancourt lächelte hämisch. Was hatte sich das Weibsstück doch geziert, als er zwischen ihre Beine wollte. Aber ein Besancourt bekam immer was er verlangte! In Erinnerung an diesen Vorfall überlief ihn ein wohliger Schauer. Schließlich musste man als verheirateter Mann doch sein Vergnügen haben. Wenn er an seine unattraktive Frau dachte, die ihm von seinem Vater bestimmt worden war… Gott sei Dank hatte die kleine Lagrange den Mund gehalten und den nicht gerade wohlhabenden van Leeuwen geheiratet. Pierre de Besancourt grinste. Und schon fünf Monate später lag sie in den Wehen. Er stockte. Kruzitürken noch mal! Dann konnte diese Victoria ja eigentlich nur seine Tochter sein, denn die kleine Comtesse war eindeutig noch Jungfrau gewesen und van Leeuwen hatte sie bestimmt nicht vor der Hochzeit bestiegen. Eigentlich sollte er jetzt mit aller Macht eine Ehe verhindern. Ach was, dann schlief sein dämlicher Sohn halt mit seiner Halbschwester, vielleicht kam ja mal was Gescheites dabei raus. Auch musste er zugeben, dass Victoria eine außergewöhnlich schöne Frau war, nicht ganz so schön wie ihre Mutter, aber von großer Anmut und Eleganz. Man musste Jean van Leeuwen bescheinigen, dass seine gesamte Brut wohlerzogen und gebildet war. Es hätte schlechter kommen können. Alle heiratsfähigen guten Partien hätten Edouard niemals freiwillig zum Mann genommen. Sein Sohn war bekannt für seinen Jähzorn, seinen Hang zum Sadismus und außerdem war er nicht gerade ansehnlich. Vielleicht wurde durch diese Heirat alles besser. So gab er letztendlich seinen Segen zu dieser Verbindung.

2

Edouard de Besancourt rieb sich die Hände. Endlich! Endlich hatte er es geschafft. Die kleine van Leeuwen gehörte ihm! Auch wenn er seinen Vater hatte überzeugen und ihm den verliebten Jüngling vorspielen müssen. Vom verschwundenen Devils Tear wusste der Vater nichts. Alles was zählte, war, dass er bald Victorias Körper besitzen würde. Er stellte sich in seiner Fantasie vor, was er alles mit ihr anstellen würde…

Edouard ließ sich in einem Sessel vor dem Kamin nieder.

Mit zufriedenem Grinsen nippte er an einem Cognac. Hell loderten plötzlich die Flammen auf, ein seltsamer Schwefelgeruch lag in der Luft und im gegenüber stehenden Sessel hatte eine dunkle Gestalt Platz genommen.

Edouard erstarrte. „Guten Abend, mein Freund“. Die Stimme klang tief und rauchig. „Gratuliere zu deinem Erfolg!“ Das Glas in Edouards Hand begann zu zittern. „Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wie sind Sie hereingekommen?“

„So viele Fragen auf einmal. Ich bin der, den du gerufen hast. Du wolltest dieses Mädchen, ich will den Diamanten!“

„Diamanten? Welchen Diamanten?“

„Du hast ein schlechtes Erinnerungsvermögen. Warst du es nicht, der die finsteren Mächte heraufbeschworen hat? Du wolltest alles tun, damit du diese Frau bekommst. Und dazu gehört Devils Tear! Du bekommst die Frau, ich den Diamanten.“ Edouard atmete auf. Ein Verrückter, der den Diamanten haben wollte! „Ich habe ihn leider nicht mehr, der Vater dieses Mädchens hat ihn gestohlen, da musst du dich schon an ihn wenden. Mich würde es auch interessieren, wo er geblieben ist.“ Täuschte er sich oder begannen die Augen seines Gegenübers zu glühen wie feurige Kohlestückchen? „Mit mir spielt man nicht, mein Freundchen!“ Wie von Geisterhand bewegte sich der Sessel von Edouard immer näher auf das Kaminfeuer zu. Er konnte weder aufstehen noch sich irgendwie bewegen. Er versuchte zu schreien. Auch das misslang. Schon hatten die Flammen seine Füße erreicht. Er spürte den Schmerz, versuchte verzweifelt den heißen Zungen zu entkommen. Hoffnungslos! Er war dem Feuer ausgeliefert, roch die verbrannten Pantoffeln, roch verbranntes Fleisch.

Der Sessel fuhr ruckartig zurück und Edouard krümmte sich wimmernd zusammen. „Möchtest du eine weitere Kostprobe? Oder bekomme ich jetzt die richtige Antwort?“

„Du bist der Teufel!“ keuchte Edouard.

„Nenn es, wie du willst! Also? Ich warte nicht mehr lange!“

„Ich kann dir den Stein erst geben, wenn ich diese Frau geheiratet habe! Wer weiß, ob sie nicht doch nein sagt!“

Sein Gegenüber lachte. „Nachdem du ihren Vater beschuldigt hast? Mein Lieber, diese Frau hat mehr Mut als du, sie lässt ihre Familie nicht im Stich! Ich gebe dir noch genau diese Zeit: Einen Tag nach deiner Eheschließung will ich den Stein!“

Die Flammen im Kamin loderten noch einmal hell auf, dann erloschen sie und es war stockdunkel im Raum. Edouard saß wie erstarrt in seinem Sessel. Das Cognacglas war ihm aus der Hand gefallen. Seine Füße schmerzten. Jetzt wusste er, warum man es höllische Schmerzen nannte.

*

„Henri, bitte hör mich an, ich muss ihn heiraten! Das Schicksal meiner Familie hängt davon ab.“ Flehend hob sie die Hände. Der junge Mann mit den dunklen Haaren schaute sie finster an. „Na klar, er hat ja auch Geld und kann dir alles bieten! Was habe ich schon, ein armer Künstler. Was war ich doch für ein Narr!“ Victoria versuchte ihn zu umarmen. Er wich ihr aus.

Seine blauen Augen schauten sie verächtlich an. „Geh zu ihm, wir haben nichts mehr gemein.“

„Henri, du tust mir Unrecht und das weißt du auch. Glaubst du ich freue mich auf so eine Ehe, auf so einen widerlichen Kerl? Ich bin diejenige, die sich opfern muss. So glaub mir doch, es zerreißt mir das Herz! Lass uns wenigstens nicht im Gram auseinander gehen!“

„Wenn du mich wirklich lieben würdest, dann wäre dir deine Familie egal, dann würdest du nein sagen. Es findet sich immer eine Möglichkeit und dein Vater kann dich nicht für seine Verfehlung verantwortlich machen. Aber wahrscheinlich witterst du Morgenluft und ein schönes sorgenfreies Leben! Leben Sie wohl, Madame de Besancourt!“ Er verbeugte sich übertrieben tief vor ihr, wandte sich um und ging.

Victoria widerstand dem Drang, ihm nachzulaufen. Dazu war sie zu stolz. Über ihre Wangen strömten die Tränen. Von einem Tag auf den anderen lag ihr Leben, ihre Zukunft, in Trümmern.

3

Das war also der schönste Tag im Leben einer Frau! Victoria stand vor dem großen Spiegel und betrachtete sich. Das weiße Spitzenkleid bauschte sich über ihren Hüften und betonte die schmale Taille. Das enge Mieder aus glatter weißer Seide brachte ihre wohlgeformten Brüste zur Geltung. Am liebsten hätte sie ihr Dekolletee mit einem Tuch bedeckt. Sie fühlte sich nackt und beim Gedanken an Edouards gierige Blicke, drehte sich ihr schier der Magen um. Die geschickten Hände ihrer Schwester Babette hatten aus ihren rotblonden Haaren eine atemberaubende Hochsteckfrisur geformt. Ihre großen grünen Augen füllten sich mit Tränen, als sie an Henri dachte. Er hätte heute neben ihr stehen sollen und nicht dieser hässliche Mann, der auch noch fast einen Kopf kleiner war als sie. Edouard de Besancourt hatte das Gesicht eines Greifvogels, eine leichte Hakennase, ein fliehendes Kinn und seine wasserblauen unsteten Augen, traten aus den Höhlen hervor. Voller Grauen dachte Victoria an die bevorstehende Hochzeitsnacht. Was dort passieren sollte, hatte sie aus Dienstbotengeschwätz aufgeschnappt und was sie dort gehört hatte, ließ nicht gerade freudige Erwartung aufkommen.

Babette betrat das Zimmer. „Vicki“, mitfühlend legte sie der großen Schwester die Hand auf die Schulter. „Ich habe den Schleier mitgebracht“, flüsterte sie fast entschuldigend. Victoria lächelte ihre Schwester traurig an. „Dann los, steck ihn an und bringen wir es hinter uns!“

Das zarte weiße Gebilde verhüllte ihr ovales blasses Gesicht mit den vollen roten Lippen. „Haltung“, dachte sie und straffte ihren Rücken.

Es klopfte. Jean van Leeuwen betrat das Zimmer. Der Anblick seiner Tochter im Brautkleid verschlug ihm den Atem. „Du bist wunderschön, mein Kind.“ Victoria wandte sich um. „Das ist mir egal. Können wir?“ Ihre Stimme war eisig. Jean van Leeuwen schluckte. Er wusste, dass seine Tochter ihm diese Ehe niemals verzeihen würde, er wusste, dass sie sich für ihre Familie opferte. Er reichte ihr den Arm. Babette übergab Victoria den Brautstrauß, weiße Rosen und zartgrünes Reseda.

„Bereit?“, fragte der Vater. Sie nickte. Babette öffnete ihnen die Tür und sie verließ das Haus ihrer Kindheit für immer.

*

Die Kutsche hielt vor der imposanten weißen Villa der Besancourts.

Wie in Trance hatte Victoria die Trauung und die anschließende Feier erlebt. Die Worte des Pfarrers „bis das der Tod euch scheidet“ waren das Einzige, was ihr nachhaltig in Erinnerung geblieben war.

„Komm, meine Schöne!“ Edouard verbeugte sich übertrieben und reichte ihr die Hand zum Aussteigen.

Mechanisch folgte Victoria der Aufforderung. In der großen Empfangshalle hatte sich die gesamte Dienerschaft versammelt.

Sie hörte die Namen und Positionen der Bediensteten, sah die Knickse und Verbeugungen, defilierte an der Reihe vorbei und wurde von einem jungen Ding mit Namen Mona, die Treppe hinaufgeführt.

„Das ist ihr Zimmer, Madame!“ Mona knickste. Victoria betrat einen großen fast quadratischen Raum mit dunkler Holzvertäfelung. Ihr Blick fiel auf ein riesiges Himmelbett mit geschnitzten Pfosten. Im Kamin brannte ein Feuer, denn der April zeigte sich noch von seiner kühlen Seite.

Der einzige vertraute Gegenstand war ihre Mitgifttruhe, die unscheinbar in einer Ecke des Zimmers stand. Mona wies auf einen Toilettentisch. „Ich helfe Ihnen beim Ablegen der Kleider.“ Mit flinken Fingern entfernte sie den Schleier, öffnete sämtliche Häkchen des Kleides, war behilflich beim Ausziehen der Unterwäsche und reichte Victoria ein weites weißes Seidennachthemd. Sie ließ sich auf dem Schemel vor dem Toilettentischspiegel nieder und beobachtete ihre Zofe, wie diese ihre hochgesteckten Haare löste und durchbürstete. „Haben Sie noch einen Wunsch, Madame?“ Mona blickte abwartend. Victoria schüttelte den Kopf.

„Danke, du kannst gehen.“ Das Mädchen knickste und verließ das Zimmer.

Victoria betrachtete sich im Spiegel. Die Kerzen eines fünfarmigen Leuchters begannen zu flackern. Erschrocken fuhr sie herum. Durch eine Tapetentür war Edouard hereingekommen. „Welch bezaubernder Anblick!“ säuselte er. Beim Klang seiner Stimme überlief sie ein Schauer.

Edouard hatte sich auf dem Bett niedergelassen und klopfte auf den Platz neben sich. „Komm her!“ Victoria saß wie festgenagelt auf ihrem Hocker und rührte sich keinen Millimeter. „Komm her“, forderte er jetzt lauter. „Du bist meine Frau und hast zu folgen!“ Zögernd erhob sie sich und bewegte sich langsam auf das Bett zu. Wenn sie gewusst hätte, wie aufreizend das auf ihren Mann wirkte, wäre sie schneller gegangen.

Als sie die Bettkante erreichte, hielt Edouard es nicht mehr länger aus. Er packte sie bei der Hüfte und schmiss sie auf das Lager. Victoria entfuhr ein spitzer Schrei. „Ja, das ist gut, schreien sollst du.“ Er griff mit beiden Händen in ihren Ausschnitt, mit einem Ruck zerriss er die feine weiße Seide. Vergeblich versuchte Victoria die Stofffetzen über ihren entblößten Körper zu ziehen. Edouard nestelte an seiner Hose herum, streifte sie mitsamt der Unterwäsche in einer ungeduldigen Bewegung herunter und stand nun mit entblößtem Unterleib vor ihr. Entsetzt starrte Victoria auf sein erigiertes Glied. Schnaufend, mit hochrotem Kopf und glasigem Blick warf er sich auf sie. Zitternd presste sie die Beine zusammen. Brutal griff Edouard zwischen ihre Schenkel und drückte sie auseinander.

Victoria fühlte Panik in sich aufsteigen. Sie wollte schreien, da traf Edouards Faust sie mit voller Wucht mitten ins Gesicht. Sie spürte den metallischen Geschmack von Blut in ihrem Mund und versuchte ihrem Peiniger zu entkommen. Victoria strampelte mit den Beinen, trat nach ihm, robbte zur Bettkante. Mit der Ferse erwischte sie seine Schläfe. Einige Sekunden lang hielt er inne, dann verzerrte sich sein Gesicht zu einer teuflischen Fratze. „Du kleines Miststück!“ brüllte er. Er schlug erneut nach ihr, traf aber nur ihre Schulter. Victoria raffte die Stofffetzen über ihrer Brust zusammen, rutschte weiter nach hinten und glitt über die Bettkante hinaus. Der Aufprall auf den kalten Boden war schmerzhaft. Sie hörte ein schleifendes Geräusch und dann tauchte Edouard vor ihr auf. In den Händen hielt er seinen Gürtel. Mit wutverzerrtem Gesicht holte er aus und schlug damit auf Victoria ein. Schützend hob sie ihre Arme vor das Gesicht. Trotzdem traf die Gürtelschnalle ihren Mund. Sie fühlte wie ihre Lippe platzte und das Blut am Kinn hinunterlief, wie das Leder Striemen auf ihren Oberarmen hinterließ. Etwas in ihrem Inneren schrie: Wehr dich! Die Schmerzen ignorierend erhob sie sich. Nackt stand sie vor ihrem Peiniger, den Blick fest auf ihn geheftet. Wie in Trance bewegte sie sich auf ihn zu. Edouards zum Schlag erhobener Arm erstarrte. Unsicherheit flackerte in seinen Augen auf. „Du willst mich bedrohen, mich, deinen Ehemann?“ Kleine Speicheltropfen flogen aus seinem Mund. Er ließ den Gürtel fallen und stürzte sich auf Victoria. Sein Körper riss sie erneut zu Boden. Sie versteifte sich und blickte ihm regungslos in die Augen. Er versuchte sein Glied in sie hineinzuzwingen, aber es war erschlafft. Als er bemerkte, dass seine verzweifelten Bemühungen nichts zustande brachten, ließ er von ihr ab. „Du… du Hexe, das wirst du mir büßen!“ Er raffte seine Sachen zusammen und floh förmlich durch die Tapetentür.

*

Schweratmend richtete Victoria sich auf. Erst jetzt ließ der Schock nach und sie begann unkontrolliert zu zittern.

Ihre Augen irrten durch den Raum, auf der Suche nach einer passablen Waffe. Ihr Blick fiel auf ihre Truhe. Hastig öffnete sie den Deckel, schob Aussteuer und Schmuck beiseite, bis sie den schweren wunderschön ziselierten Brieföffner ihrer Mutter gefunden hatte. Er war wie ein Dolch geformt, wenn auch nicht scharf wie ein Messer, aber lang und spitz. Dankbar presste sie das kalte Metall an ihre Brust. Die Tapetentür! Sie musste sie irgendwie verriegeln! Sie öffnete sich nach innen, hatte weder Schloss noch Klinke. Victoria stemmte sich gegen ihre Truhe und schob sie vor die Tür.

Auch wenn es kein direkter Schutz war, so würde sie durch den Lärm geweckt werden. Ihre neue Zofe Mona hatte bereits ihre Kleidung in den Schrank geräumt. Victoria suchte nach einem Nachthemd und zerrte ein hellgrünes hochgeschlossenes Baumwollteil hervor. Die zerrissene weiße Seide ließ sie auf dem Boden liegen. Das Mädchen hatte den Krug in der Waschschüssel mit Wasser gefüllt und Victoria goss etwas davon in die Schale. Sie tauchte einen weißen Lappen hinein und trat vor ihren Toilettentisch. Sie erschrak, als sie ihr lädiertes Gesicht sah.

Die Unterlippe war blutig und hatte fast den doppelten Umfang, an ihren Nasenlöchern klebten dicke Blutkrusten und die Umgebung ihres linken Auges war schwarzblau und begann anzuschwellen. Vorsichtig tupfte sie das Blut ab. Ihr Körper schmerzte und überall zeigten sich dunkle Striemen, wo Edouards Gürtel sie getroffen hatte. Sie schleppte sich zu ihrer Bettstatt, zog die Decke bis zum Kinn und fiel in einen unruhigen Schlaf, den schweren Brieföffner fest umklammert.

4

Edouard schäumte vor Wut. Unbeherrscht warf er seine über dem Arm hängenden Kleider auf den Boden seines Zimmers. Das hatte er sich anders vorgestellt! Frauen sollten gefügig sein, ihm zu Diensten! Er war schließlich der Mann und in diesem besonderen Fall, der Ehemann! Er öffnete eine Cognacflasche und trank direkt daraus. Hinter sich spürte er einen eiskalten Luftzug. Er fuhr herum. Die bekannte dunkle Gestalt stand vor ihm. Edouard verspürte in diesem Moment keine Angst, sondern nur unbändigen Zorn. „Wenn du glaubst, du könntest jetzt deinen Diamanten bekommen, dann irrst du dich! Meine Ehe ist noch nicht vollzogen!“

Der Dunkle lachte leise. „So ungeschickt, wie du vorgegangen bist, wirst du sie nie erringen!“

„Woher weißt du…?“

„Ich habe es mit angesehen, sie ist stark, sie ist mutig!“ Edouard stieg die Schamesröte ins Gesicht. Er hatte gesehen, wie er auf der ganzen Linie versagt hatte! Seine Wut auf Victoria stieg ins Unermessliche.

„Bestraf sie, “ schlug der Dunkle vor, „aber bestraf sie unsichtbar. Wunden und Verletzungen schaffen Mitgefühl für sie. Triff ihre Seele!“ „Wenn du doch alles weißt, siehst und über alles Macht hast, “ Edouard überlegte kurz, „wieso nimmst du dir Devils Tear nicht einfach?“ Der Dunkle schnaubte. „Weil ich den Stein freiwillig aus den Händen eines Menschen empfangen muss. Ich kann ihn mir,“ er seufzte, „nicht einfach nehmen!“ Es fiel ihm hörbar schwer, dies zuzugeben. Edouard sah darin eine Chance. „Ha, also bist du gar nicht so mächtig. Hab ich dich sogar in der Hand?“

Der Dunkle schnaubte. „Ich glaube, du weißt immer noch nicht, was ich dir alles antun kann! Bekomme ich meinen Diamanten nicht, wirst du dir wünschen nie geboren zu sein!“ Er sprach mit einer sanften Stimme, beinahe freundlich. „Du kannst mich mal!“ schrie Edouard und warf die Cognacflasche nach ihm. Geschickt wich die Gestalt aus und die Flasche zerschellte an der Wand. Augenblicklich spürte er Finger an seinem Hals, die ihm die Luft abschnürten. Mit nur einer Hand hob der Dunkle ihn die Höhe. Hilflos zappelte Edouard in der Luft, versuchte vergeblich die Umklammerung zu lösen, seine Augen traten hervor, er lief blau an. Die Tür zum Herrenzimmer wurde aufgerissen. Aus den Augenwinkeln konnte er im Gegenlicht seinen Vater erkennen. Nie war er ihm so willkommen gewesen wie jetzt. Die Gestalt ließ ihn einfach fallen und verschwand. Edouard war hart aufgeschlagen, er japste nach Luft.

Sein Vater drehte die Gaslampe auf. Verächtlich betrachtete er seinen am Boden liegenden halbnackten Sohn. „Statt dich hier zu besaufen, solltest du lieber deine Gemahlin besteigen und einen Stammhalter zeugen. Aber selbst zum Ficken bist du zu dämlich!“ Er drehte sich um und verließ das Zimmer.

Edouard brachte keinen Ton hervor. Er hatte das Gefühl Luft-und Speiseröhre klebten zusammen an den Halswirbeln.

Was für ein Scheißtag! Und das war sein Hochzeitstag! Erst verweigerte sich ihm die Frau, dann hatte dieser Gehörnte auch noch alles mit angesehen, sein Vater hielt ihn für einen betrunkenen Versager und körperlich war es ihm auch schon mal besser gegangen. Was hatte dieser dunkle Mistkerl gesagt? Bestraf sie…aber bestraf sie unsichtbar!

Ja, das war es! Sie sollte leiden! Wie hieß doch gleich noch der Kerl, in den sie verliebt war? Gleich morgen würde er Mona danach fragen.

5

Victoria erwachte mit schmerzenden Gliedern. Sanftes Morgenlicht fiel durch einen Spalt in den Vorhängen. Es klopfte leise an der Tür. Sie zog die Bettdecke mit der linken Hand bis zum Kinn, in der rechten hielt sie den Brieföffner. „Herein!“ Ihre Stimme war nur ein Krächzen. Mona schlüpfte ins Zimmer. „Guten Morgen, Madame! Darf ich die Vorhänge…“

Ihr Blick war auf das geschundene Gesicht von Victoria gefallen. „Oh, mein Gott, Madame, was ist passiert!“ Victoria sah sie mit einem Auge an, das andere war vollkommen zugeschwollen. „Es geht schon, danke!“ Mona knickste. „Ihr Mann schickt mich, ich soll ihnen beim Ankleiden helfen und sie dann in den Salon begleiten.“ Ja, war dieses Scheusal denn von allen guten Geistern verlassen? Jetzt sollte sie auch noch vorgeführt werden?

Victoria atmete tief durch. „Dann bring mir das braune Kleid mit den hellblauen Bändern.“ Das hatte wenigsten lange Ärmel und war hochgeschlossen. Sie nahm vor ihrem Toilettentisch Platz. Aus dem Spiegel blickte ihr ein Monster entgegen. Blau-rot unterlaufene Wangenknochen, ein Auge schwarz-blau zugeschwollen, die Unterlippe war doppelt so dick und hatte in der Nacht noch nachgeblutet.

Vorsichtig griff Mona zur Bürste und richtete ihr das Haar. Jeder Bürstenstrich tat weh. Das Mädchen steckte links und rechts ein Kämmchen in die rotblonden Locken und zupfte ein paar davon in die Stirn.

Trotz aller Bemühungen sah sie immer noch entsetzlich aus.

Sie erhob sich so würdevoll wie möglich und wies Mona an, ihr den Weg zum Salon zu zeigen.

Ein offensichtlich gut gelaunter Edouard saß am Frühstückstisch.

„Ah, Gott zum Gruße, meine Schöne, nimm Platz! Es tut mir sehr leid, dass du heute Morgen ein wenig derangiert aussiehst.“ Victoria funkelte ihn mit einem Auge an. Bevor sie etwas sagen konnte, hatte er ihre Hand ergriffen und tätschelte sie. „Zu dumm auch! Jetzt muss erst alles abheilen, bevor er dich malen kann!“

„Malen? Wen? Mich?“

„Aber natürlich, meine Liebe. Alle Besancourts werden für die Ahnengalerie verewigt, selbstverständlich auch du!“

Sie beugte sich vor. „Dann solltest du dir das Schlagen abgewöhnen, sonst wird es nie ein Bild von mir geben!“

Edouard überhörte ihre Worte. „Ich hoffe, in zwei Wochen bist du wieder so weit hergestellt, das Monsieur Madin dich malen kann!“

„Wer? Wer…soll mich malen?“ Sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen.

„Ein Henri Madin, soll ein aufstrebender junger Künstler sein. Und“, er machte eine affektierte Handbewegung, „ich gebe gerne neuen Talenten eine Chance. “

Mit einem hämischen Lächeln schritt er aus dem Zimmer und ließ eine fassungslose Victoria zurück.

*

Victoria war sichtlich um Haltung bemüht. Alles in ihrem Inneren war in Aufruhr. Hinter dieser Tür wartete Henri. Sie zögerte die Klinke herunterzudrücken, hätte am liebsten die Flucht ergriffen. Sie holte tief Luft und trat ein.

Mitten in der Bibliothek stand eine Staffelei mit einer noch weißen Leinwand, daneben auf einem Tisch lagen Pinsel und Farben.

Victoria schluckte, als sie in das blasse Gesicht von Henri sah. Er verbeugte sich. „Madame.“ Seine vertraute Stimme klang ernst und traurig.

Kein Fünkchen Hohn oder Spott war darin zu hören.

„Henri, “ ihre Stimme war ein heiseres Flüstern.

„Nehmen Sie bitte dort Platz, Madame.“ Er wies auf einen zierlichen Rokokosessel. „Das Licht ist dort am besten.“ Victoria blieb auf dem Weg dorthin vor ihm stehen. „Henri, lass das siezen. Du weißt, dass ich nicht freiwillig in diese Ehe gegangen bin. Wir waren uns so nah, nimm mir nicht die schönen Erinnerungen.“

Flehend blickte sie ihn an. Henris Gesicht blieb ausdruckslos, nur die Sehnsucht in seinen blauen Augen, verriet seine Gefühle.

Als er keine Anstalten machte, ihr zu antworten, ging sie zu dem Sessel und nahm darauf Platz.

„Dreh dein Gesicht ein bisschen mehr zu mir und leg deine Hände in den Schoß.“ Ein Lächeln huschte über Victorias Gesicht. Er hatte sie wieder mit dem vertrauten Du angeredet!

Sie hörte, wie er mit Holzkohle ihre Gestalt skizzierte. Beide sprachen kein Wort und trotzdem waren plötzlich in diesem Raum Wärme und Harmonie.

Victoria seufzte. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich wohl.

Die Stunde ging viel zu schnell vorbei. Henri bedeckte die Leinwand mit einem Tuch und versperrte ihr damit die Sicht auf das Bild. Als er ihre enttäuschte Neugier wahrnahm, huschte erstmals ein Lächeln über sein Gesicht. Scheu lächelte Victoria zurück. Er verbeugte sich und sie stand wieder draußen im dunklen Flur.

Alles in ihrem Inneren jubelte. Sie wusste, dass er sie immer noch liebte und dass sie ihn morgen wiedersehen würde. Die Tür zu Edouards Arbeitszimmer stand offen. Es sah aus, als habe er auf sie gewartet. „Meine Liebe, ich hoffe, es hat dir gefallen?“ Sein Blick war lauernd. Victoria schaute ihn so freundlich wie möglich an, nickte und beschleunigte ihren Schritt. Edouard blickte nachdenklich hinter ihr her.

*

Victoria hatte es sich in ihrem Bett gemütlich gemacht. Das Klopfen an ihrer Zimmertür ließ sie hochfahren. Bevor sie herein sagen konnte, stand Edouard bereits im Raum. Sie starrte ihn an und ihr Herz schlug angstvoll.

„Du kannst dir sicher denken, weshalb ich hier bin?“ Sie schluckte. „Eine Ehe ist eine Ehe und muss auch vollzogen werden. Als Ehefrau hast du die Pflicht, solltest du dich weigern, lasse ich sie annullieren und…“er machte eine Kunstpause, „dein geliebter Vater wandert doch noch ins Gefängnis!“ Er hatte ihr Bett erreicht und schob die Decke weg. Victoria schaute ihn voller Abscheu an. „Du kannst meinen Körper haben, alles andere bekommst du nie! Und wage es ja nicht, mich noch einmal zu schlagen…“

„Aber, aber, meine Liebe, das war doch nur, weil du so widersetzlich warst, da musste ich dir doch zeigen, wer der Herr ist!“

Während er sprach, hatte er seine Kleidung abgelegt und stand nun nackt vor ihr. Sie betrachtete seinen Bauchansatz, die dünnen Ärmchen und seinen riesigen Penis, der rot aus dem dichten Haarbusch hervorstand.

Er folgte ihrem Blick. „Ja, “seufzte er, „das ist mein bestes Stück!“. Er umfasste ihn mit einer Hand und begann diese auf und ab zu bewegen. Er keuchte und kroch auf sie zu, schob ihr das Nachthemd nach oben, streifte den weißen knielangen Schlüpfer hinunter und tastete mit gierigen Blicken ihren nackten Körper ab. Victoria lag völlig erstarrt vor ihm. Als seine Hand in ihren Schambereich griff, zuckte sie kurz zusammen. Denk an Henri, flüsterte sie sich in Gedanken zu. Edouard drückte ihre Schenkel auseinander. Sein Blick wurde glasig. Er bohrte einen Finger in ihre Scheide. Victoria wandte das Gesicht zur Seite und fixierte einen imaginären Punkt an der Wand.

Dann durchfuhr sie ein höllischer Schmerz. Edouard war in sie eingedrungen. Während er sich keuchend auf ihr bewegte, liefen ihr die Tränen über die Wangen.

Sein Orgasmus ließ nicht lange auf sich warten. Mit einem wohligen Grunzen rollte er von ihr herunter. Er verschnaufte kurz, erhob sich und verließ das Zimmer. Mit einem Würgegefühl in der Kehle schwang Victoria die Beine aus dem Bett. Als sie aufstand, rannen Blut und Sperma an der Innenseite ihrer Schenkel herunter. Voller Ekel kroch sie zur Waschschüssel und wusch die Körperflüssigkeiten fort.

Sie war gerade damit fertig, als unvermittelt Edouard wieder im Zimmer stand. Er betrachtete sie abschätzig. „Was willst du noch, “ fuhr ihn Victoria an. Er lächelte böse. „Ich will mich erkenntlich zeigen. Das ist doch so, wenn zufriedene Männer von einer Hure heruntergestiegen sind, oder?“