DER ERZENGEL JΩHANNES

ELEND GEHT DIE WELT ZUGRUNDE

NICOLE STURM

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

IN NOMINE

Image

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Erzengel Johannes

Elend geht die Welt zu Grunde

Nicole Sturm

Copyright: 2016 Nicole Sturm

Covergestaltung: Odi

ISBN XXXXXXXXXXXXX

epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

 

_Inhalt

Am Anfang war das Vorwort

Inlandsflug

Die letzte Lektion

Hochmut, Bitch

Fahrstuhlmusik

Adam, der Letzte

Edel geht die Welt zu Grunde

Ultramarinblau

Der falsche Weg

Der Situation angemessen

»Du kommst aus der Hölle frei«-Karte

Klopf Klopf

Petrus

Die Helden

Die Küche der Verdammten

Honigtau

Ansage

Nägel, Holz, Tinte

Prügelei im Tempel (Johannes 2:13–16)

Der Putzteufel

Legion

Heilige Scheiße!

Respekt im Aufzug

Geheimnisse

Lammwolle Rot

Let's get this Party started

Was dein ist, ist mein

Federn und Blut

Monolog mit Gott

Flügelschlag

Grundlegende Umstände

Frei und schutzlos

Wenn der Kuchen redet

Unsinn

Nur noch Schlamm

Warum.

Segen

Dumm aus der Wäsche II

Dumm aus der Wäsche I

Mit Schwung

Der erste Stein

Im Namen des Vaters

Waffenkammer

Legion nach Hause telefonieren

Zugucken?

Maikäfer flieg

Daunenschnee

Da kommen wir her

Kennst du die Antwort?

Gottes Drecksarbeit

Splittermine

Bis gleich

Hitler töten

So oder so

Ungeduldig und bösartig

Unverkäuflich

Zug

Es ist ein Hund

Ich kann warten

Kratzen

Auch du nicht

Kindheit

Reizbar und nachtragend

Eva

Mach bloß keine Scheiße

Handwerk

Fortwährender Verfall

Der tote Knopf

Jesus!

Positiv denken

Es ist nicht alles Kalb das glänzt

Bitte nochmal

Der König ist tot

Wartezeit

Drohen

Nullsicht

Klartext

Mehr als ich dachte

Haja-Ah-Ar-Rat-Tata

Unboxing

Brot & Fisch

So funktioniert das nicht

Wille

Glitzerkleber

Aufschlag

Der Kühlschrank der Pandora

Schreie von oben

Bam! Du Hurensohn!

Gottes Drecksarbeit II

Wo ist der Priester?

Immerhin Gott

Letzte Worte

Offenes Grab

Abgrund

Die Bergpredigt

Gut und Böse

Leben 3

Jesu Tod

Auf die Plätze,

Haja-Ah-Ar-Rat-Tata II

Abgehen!

Erzengel

Holz

Das siebte Siegel

Vor der Himmelspforte

Hinter der Himmelspforte

Alpha

Image

 

 

Am Anfang war das Vorwort

»Wer keinen Fick vertragen kann, soll auch keinen Fick geben!«

- Evangelium nach Matthäus 7:1, Die Bibel

 

N

 

och bevor der Teufel sein Werk begann, weilte das Böse schon mitten unter uns. Es haust in den Seelen und nährt sich an Zorn und Missgunst. Es wächst mit und wegen uns. Entsagt dem Hass oder es wächst über uns hinaus. Der »Point of no Return« wird überschritten in 3, 2, 1 …

_KAPITEL 1

Inlandsflug

_Autobahn // Gestern

H

ast du als Kind mal Autos gezählt? Wenn man jemanden überholt kriegt man einen Punkt und wenn man überholt wird verliert maneinen Punkt. Wir sind scheiße gut!

Der Fahrer kann ihn weder hören noch sehen und wenn er ihn hören könnte, würde er ihn anschreien »seine Schnauze« zu halten. Er steht ein wenig unter Stress, da er seit zwei Minuten von der, technisch ebenbürtigen, Autobahnpolizei verfolgt wird. Im Handschuhfach liegt eine Schreckschusspistole und im vermüllten Kofferraum ein halbes Kilo Heroin, dass bei 210 km/h durch die mit Panzertape umwickelte Tüte geschüttelt wird.

Können wir an der nächsten Tanke mal halten? Ich hätte gerne ein Eis.

Der gefallene Engel auf dem Beifahrersitz kann nicht anders als über sich selbst zu lachen, dabei vollführt der Fahrer ein filmreifes Überholmanöver.

Drück drauf, der Wagen muss um drei wieder bei Sixt sein.

Das dreckige Grinsen mischt sich mit ehrlichen Vergnügen. Noch ist kein Mensch zu Schaden gekommen, nur ein paar Kratzer im Lack und ein abgefahrener Seitenspiegel sind zu beanstanden. Gewarnt von Sirene und Blaulicht fahren die meisten, der anderen Wagen, auf dem Standstreifen und lassen Verfolger und Verfolgten passieren.

Ich schnalle mich mal besser an.

Scheiß Bullen!

Ja ich weiß, scheiß Bullen. Du hast jetzt genug Menschen den Schock ihres Lebens verpasst. Bist du bereit?

Der gefallene Engel faltet seine Finger ineinander, dreht die Handflächen nach vorne und streckt die Arme kurz durch. Der Fahrer hört das Knacken nicht.

Dann los. Bei Druckverlust in der Kabine fallen automatisch Sauerstoffmasken von der Decke.

Mit einem ohrenbetäubenden Knall platzt der vordere linke Reifen. Der Wagen kommt ins Schleudern, prallt gegen die Leitplanke und überschlägt sich graziös und befreit. Während es gegen die Schädelwand gepresst wird, gibt das Hirn des Fahrers, aus Panik, alles frei was irgendwie helfen könnte. Der Beifahrer amüsiert sich köstlich. Nach zwei Drehungen um die eigene Achse, landet der Wagen auf seinen Reifen, dreht sich auf der brechenden Achse und rast, als Geisterfahrer, auf die rechte Spur zu.

Nice!

Der Polizeiwagen kann gerade noch ausweichen, doch der eben erst überholte LKW reißt die linke Seite des Wagens gnadenlos ab. Der Fahrer ist sofort tot und für eine Identifikation per Gesicht nicht mehr zu gebrauchen. Der LKW-Fahrer kämpft mit dem Lenkrad, aber die Physik reißt den, mit roten Friedhofskerzen beladenen, Anhänger erbarmungslos zu Boden. Die andere, fast unbeschädigte, Seite des Wagens kommt währenddessen funkensprühend zum Stillstand. Luzifer öffnet seinen Gurt und reicht nach dem Türgriff.

Ach, was mach ich.

Über sich selbst lachend steigt er über die Handbremse aus dem Auto.

Nächstes Mal fährst du lieber mit der Bahn!

Zufrieden beobachtet er den ersten Polizisten, der versucht den Verkehr hinter ihnen zu sichern, der zweite geht, mit gezogener Waffe, im Laufschritt auf das geteilte Auto zu. Ein angewiderter Blick reicht und er steckt die Waffe wieder ein. Luzifer spricht in seine Gedanken.

Der ist Matsch, der Bastard.

 

_KAPITEL 2

Die letzte Lektion

_Näher als dir lieb ist // Heute Nacht

V

inzenz blasse Finger umfassen zitternd den Türgriff, der matt-schwarzen Limousine. Eine Routine, die der schmächtige Priester, genannt Bruder Rocco, nicht verlernt hat, auch wenn man ihm heutzutage selbst die Wagentüre aufhält. Niemals gab es Zögern oder gar Zweifel, aber in dieser Nacht würde er lieber in Flammen aufgehen, als Monsignore wieder aus dem Wagen zu helfen. In der schwarz getönten Scheibe verhöhnt ihn sein schwitzendes Spiegelbild. Vinzenz, der Eliteschüler, Ausnahmetheologe, der jüngste Exorzist in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche, ein ängstliches Häufchen Elend. Unterlegenheit war ihm bis heute fremd, er hat zwar ein erstaunliches Ego, aber kein dazu passendes Selbstvertrauen. Dieses fehlt ihm nun.

Noch vor siebzehn Stunden stand er, verwundert über das Wiedersehen mit seinem alten Lehrmeister Nepomuk, in den Privatgemächern des Papstes, nun ist er einer der wenigen Menschen, die wissen wo es passieren wird. Drei dieser Privilegierten umgibt eine Energie, die man im Volksmund einen Heiligenschein nennt. Sie, und vier weitere Seelenträger sind jedoch nur Gäste, sowohl in dieser Prophezeiung, als auch im schäbigen Betonblock, vor dem Vinzenz geparkt hat. Die anderen Eingeweihten, abgesehen von ihm und dem Insassen der Limousine, befinden sich ausnahmslos im Vatikan. Vinzenz hält noch immer den kalten Türgriff in seiner ruhelosen Hand. Seine Instinkte und sein Verstand sind sich einig, er will kein Märtyrer werden. Wenn die Verhandlungen scheitern ist er ein toter Mann und selbst wenn sie erfolgreich sind, gibt es keine Garantie darauf die Nacht zu überleben. Im Wageninneren lässt ein faltiger Finger das verdunkelte Glas herunter fahren. Eine Schockwelle zieht durch Vinzenz Körper, als er das Brummen des kleinen Motors, in der hinteren Türe, vernimmt. Das schwarze Priestergewand sträubt sich von seinem Körper, seine Lider trauen sich nicht zu blinzeln. Die Scheibe verschwindet in der massiven Autotür und gibt Nepomuks eingefallenes Gesicht preis. Seine Augen sind eisblau. Die Falten auf seiner Stirn zeugen von Strenge und Sorgen.

Bruder Rocco.

Ja, Monsignore.

Öffnest du einem alten Mann die Türe?

Ja, Monsignore.

Die Scheibe fährt hoch und Vinzenz wirft ein weiteres Mal einen überforderten Blick auf sich selbst. Er zieht am Türgriff und die kalte Nachtluft strömt erneut in den Wagen. Ein maßgefertigtes Paar Schuhe, das über mehr Leichen gestiegen ist als so mancher Soldatenstiefel, tritt zum letzten Mal auf den schwarzen Asphalt. Ein weißer Gehstock und ein Whiskyglas, voller schmelzenden Eis, bleiben alleine im Wagen zurück.

Auf den Schultern des alten Mannes lasten fast tausend Dämonen, dazu dutzende Menschen, Kinder, Alte und Schwache, die den kraftraubenden Exorzismus nicht überlebt haben. Heute werden sie ihn dafür lynchen, davon ist er überzeugt, Flucht ist keine Option. Vor dem nächsten Glockenschlag ist er bei Gott. Ein Haus voller gefallener Engel ist für Nepomuk normalerweise kein Grund zur Panik, aber heute kann er sie nicht vertreiben. Man kann Dämonen aus einem Besessenen vertreiben, aber die oberste Riege der Gottlosen nimmt, in der Welt der Seelenträger, ihre eigene Gestalt an. Sie fürchten sich nicht vor Kreuzen, Gebeten und Weihwasser. Wenn Gott sie nicht verstoßen hätte, könnten sie im Himmel und auf Erden ein und ausgehen, kein Mensch, auch kein Diener Gottes, kann ihnen gebieten. Nur die Engel und Gott selbst können sie in die ewige Hölle verbannen, doch der Herr besteht wohl auf ein bizarres Gleichgewicht. Mit Terroristen und Dämonen verhandelt man nicht, ihnen bleibt aber nichts anderes mehr übrig. Der Atem beider Männer schlägt Pfade in die Luft.

Ist dir schlecht?

Ja, Monsignore.

Musst du dich übergeben?

Nein, Monsignore.

Vinzenz?

Es ist das erste Mal, dass der alte Exorzist ihn nicht mit seinem Ordensnamen anspricht.

Ja, Monsignore?

Sag ruhig Nepomuk. Die Zeit der Förmlichkeiten ist vorbei.

Nepomuk zieht eine Schachtel Marlboro aus seinem Gewand, die Packung ist eingedrückt und nur ein Rest von Kleber zeugt von der Steuerbanderole. Er zieht apathisch die letzte Zigarette aus der Schachtel. Vinzenz zieht reflexartig ein altes Streichholzbriefchen aus seinem Gewand. Er trägt es noch als Glücksbringer mit sich, seitdem er selbst den Exorzismus lehrt. Er öffnet es, bricht ein Streichholz ab und zieht den Kopf über den roten Phosphor. Die aufspringende Flamme erhellt die Gesichter der Gottesmänner. Obwohl es vollkommen Windstill ist, hält Vinzenz schützend eine Hand vor das brennende Streichholz. Der alte Mann nimmt einen kurzen, dann einen tiefen Zug. Die Zigarette löst sich von seinen Lippen.

Schwefel ist der Moschus der Hölle.

Nepomuk bläst den Qualm in die Dunkelheit. Er schnippt die Asche von der Zigarette, die er nun vier Monate verschont hatte. Hinter den beiden fällt eine Sternschnuppe ins leere, verglühendes Gestein rast der Erde hingegen. Für Wünsche ist es zu spät. Vinzenz verliert den Überblick über seine Gedanken. Die geheimen Schriften, über den Nicht Geflügelten an Jesus Seite, kennt er in und auswendig. Johannes und seiner Gefährtin werden Sieg und Fall prophezeit, doch die Bildsprache ist wage und verschwommen. Nur der Vers »Der Satan wird durch das Blut des Priesters schreiten«, ist deutlich genug, um Vinzenz in einen konstanten Zustand der schleichenden Panik zu versetzen. Nepomuks Stimme schleicht.

Wie hieß dein Mädchen?

Monsignore?

Dein Mädchen? Du hattest doch sicher mal eine Freundin bevor du das Zölibat geschworen hast.

Vinzenz sammelt sich, sein goldenes Kruzifix bebt, im Takt seines rasenden Herzens.

Lisa, Monsignore.

Nepomuks Gesicht formt sein letztes Lächeln und seine Lippen wiederholen Vinzenz Antwort.

Lisa.

Nepomuk zieht erneut an seiner Zigarette.

War sie hübsch?

Nepomuks Frage entlässt Vinzenz für ein paar Sekunden aus seinem Schicksal.

Sie war wie ein Engel, Monsignore.

Der Rauch strömt stockend aus Nepomuks Nasenlöchern.

Vinzenz, du wirst die Verhandlungen leiten?

Vinzenz Blick entgleist.

Ich, Monsignore? Aber, aber ich …

Dieses Haus ist voll von Bestien, die sich nach meinem qualvollen Tod sehnen. Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln. Ich würde es genauso machen. An mir werden sie Rache üben, aber ohne mich wird er dich gar nicht erst anhören. Das ist der Deal. Johannes ist unberechenbar. Mach nicht den Fehler ihn wie einen Apostel zu behandeln, er ist nur ein Dämon.

Vinzenz sieht besorgt zu seinem alten Lehrmeister, der ein letztes Mal an der leicht geknickten Zigarette zieht.

Nepomuk?

Ja?

Ich fürchte mich vor dem Antichristen.

Nepomuk lässt die halbe Zigarette neben seinen Fuß fallen.

Es steht geschrieben: Fürchtet euch nicht.

Es steht viel geschrieben.

Nepomuk wendet seinen Blick, seine Furcht vor dem Tod und seine Zweifel, zu Vinzenz. Vor seinem geistigen Auge, sieht der alte Mann den ersten Dämon, den damals sein Lehrmeister aus einem Menschen vertrieben hatte. Es war ein junges Mädchen, das entkräftet nach dem Exorzismus starb. Fast wäre es Nepomuks erster und letzter Versuch geworden. Die Worte seines alten Lehrers springen auf seine Lippen. Er muss nur den Namen austauschen.

Es ist nicht der Moment für Zweifel, Vinzenz.

Vinzenz Augen ruhen auf dem schäbigen Betonpalast vor ihnen.

Ich zweifle nicht Monsignore.

Das Streichholzbriefchen gleitet langsam aus seinen Fingern. Es prallt auf den Asphalt und springt auf einer Ecke wieder nach oben.

Ich habe noch nie gezweifelt.

 

_KAPITEL 3

Hochmut, Bitch

_Hausflur, Erdgeschoss

I

 

ch fick euch beide. Ich fick euch, bis euch die Wichse zu den Ohren rauskommt. Ja! Ich fick euch in zwei, dann seid ihr Vierlinge.

Pablo grinst über beide Ohren. Die zwei Japanerinnen in seinen Armen kichern, sie sind durchaus mit seinem Vorschlag einverstanden. Sechs Beine schreiten im Gleichschritt voran. Vier, von ihnen, werden bedeckt durch pinke Nylonstrümpfe, zwei durch weite schwarze Jeans. Pablos Augen schreiben neongrüne Runen, an die weißen kalten Wände des Flures. Diese Zeichen bestehen aus gestochen scharfen Strichen, dessen Licht nur für Wesen sichtbar sind, die nicht von Menschenhand getötet werden können. Pablo ist ein Mensch, aber er wurde eingeweiht, alles läuft nach Plan. Sein Grinsen trifft den stumpfgetretenen Steinboden. Vor der Türe drückt jemand auf jede der konsequent nicht beschrifteten Klingelknöpfe.

Wisst ihr das Leben, also das Leben, das ist wie…

Lautes Klopfen unterbricht sowohl das Vorspiel, als auch den wahrscheinlich klügsten Satz der nie vollendet wurde.

Sind wir hier im Mittelalter? Klingelt, so wird euch aufgetan. Kannst du mal kurz… Ich hab grad' beide Hände voll.

Pablo greift voller Vergnügen nach der linken und rechten Pobacke seiner Begleiterinnen. Die Dame zu seiner rechten öffnet die Türe. Zwei Männer in schwarzen Kutten stehen davor. Die Blicke des einen huschen zwischen Pablo und den spärlich bekleideten Frauen hin und her. Der Blick des anderen ruht still auf dem Antlitz der wachsenden Schadenfreude.

Seid ihr wegen des Weltuntergangs hier?

Pablos Ausdruck ist durchtränkt von Hochmut. In Hochmut will er untergehen und in Wollust will er ertrinken. Der Herr wird ihm diesem Gefallen tun. Er hat es sich verdient. Vinzenz Kopf dreht sich zu Nepomuk, doch der alte Mann bleibt starr.

Wir suchen Johannes, welchen Nachnamen er sich momentan gibt, ist uns nicht bekannt.

Pablo senkt seinen Kopf, dabei verharrt sein Focus starr in Nepomuks Augen. Das Tier im Menschen zerrt an seiner Stimme.

Stockwerk Neun! Wer suchet, der findet.

Die Runen verbleichen mit einem Luftzug auf den Wänden. Der Raum wird dunkler, jedoch nur für Nicht-Menschen.

Wir haben 'nen weiten Weg bis oben, sie können ja mit dem Aufzug fahren, wenn sie es drauf anlegen wollen. Ich geh Knattern, ihr Lappen. Sayonara!

Pablo schiebt seine Begleiterinnen, die breite Treppe hinauf. Die Asiatinnen tippeln schnellen Schrittes voran.

Wer als erste oben ist, darf als erste oben liegen!

 

_KAPITEL 4

Fahrstuhlmusik

D

 

ie zerkratzten Türen schließen sich unbeeindruckt hinter den Priestern. Der Fahrstuhl tut seine Pflicht. Als die Kabine beginnt sich den Schacht hoch zu quälen, schießt Vinzenz Adrenalinspiegel an die Decke des Aufzugs. Verhandlungen mit Dämonen sind kein Bestandteil der Ausbildung.

 

_1.Stock

Seine Hände zittern, als hätte man ihm eine Schlinge aus Stacheldraht um die Kehle gelegt.

_2.Stock

Ihm wird kalt, eine Gänsehaut krabbelt seine Waden hoch. Er unterdrückt den Schüttelfrost.

_3.Stock

Er sieht in den dreckigen Aschenbecher der 30 Jahre alten Apparatur.

_4.Stock

Die zwei Neonröhren an der Decke des Fahrstuhls flackern zweimal.

_5.Stock

Nepomuk steht, auch ohne seinen Gehstock, fest wie ein Fels, im fahrenden Raum.

_6.Stock

Die Kabine hüllt sich in Dunkelheit. Der Reihe nach sterben die Lampen in den Knöpfen, die zu sechs unbewohnten Etagen führen. Die urzeitliche Etagenanzeige folgt ihrem Beispiel.

_7.Stock

In der Dunkelheit fängt der Motor des Fahrstuhls an, Laute aus den Bronchien zu ringen.

_8.Stock

Die Zeit bleibt für den faltigen Mann stehen. Zigarettenrauch quillt aus seiner Nase.

Ich dachte du holst mich als sie mich in die Röhre geschoben haben, dann dachte ich mich du holst mich, als sie mir die erste Infusion gelegt haben. Warum lebe ich überhaupt noch? … Ich bin zu alt für diese Scheiße! … Mir ist egal ob ich lebend aus dieser Box steige, ich bin hier, wie ihr verlangt habt.

_9.Stock

Die verkratzen Türen Fahrstuhltüren öffnen sich vor den befreiten Priestern. Dumpfe Basswellen dringen in die Kabine.

 

_KAPITEL 5

Adam, der Letzte

_Etage 9, Flur

G

rüner Absinth zieht Schlieren durch Adams Glas. Seine Augenlider sind kurz davor endlich aufzugeben. Er ist am Ende und die Wand ist seine letzte Gefährtin. An ihr ziehen Runen durch den Flur, doch sie leuchten nur schwach zum Takt der klarer werdenden Musik. Seine Beine versagen, er sackt an der kahlen Gefährtin zusammen. Adams Sicht wird trübe, das Licht flimmert auf seiner Netzhaut, seine Lippen werden taub. Gleich ist es soweit. Als er den Fußboden erreicht, treten die Katholiken durch die schwere Metalltüre, ihr Quietschen ist Adams letzter Vorhang. Vinzenz schließt ihn langsam hinter Nepomuk. Adams unscharfer Blick fixiert den rissigen Boden vor ihm. Schleifend streckt er ein Bein nach dem anderen aus. Der Gang des alten Exorzisten ist langsam, aber er lässt sich von der leichenblassen Schnapsleiche nicht ausbremsen. Vinzenz und Nepomuk steigen nichtssagend über ihn. Stotternd dreht Adam seinen Kopf zu ihnen, seine Worte sind klar.

Is' offen.

Man kann den schweren Takt in den schwarzen Kutten hören, in Adams Ohren klingt es als würde man einen Teppich ausklopfen. Seine Stimme wird schwächer.

Er wird euch töten.

Nepomuks Gang bleibt unverändert, Vinzenz Blick trifft eine endlose Sekunde auf Adams Zustand. Der alte Lehrmeister gibt eine Anweisung.

Lass ihn. Er hat sein Schicksal gewählt.

Nepomuks Blick weicht keinen Grad von der weißen Türe am anderen Ende des Flures ab. Adams Stimme flimmert.

Ihr wählt euer Schicksal.

Vinzenz Blick schnallt zurück. Nepomuks Stimme ermahnt ihn.

Er hat es verdient.

Mit seiner letzten Kraft leert er seine Lungen.

Einen Scheiß hab ich verdient. Einen Scheiß hab ich verdient, du dreckiger Kinderficker!

Vinzenz Finger drücken gegen die, im Takt vibrierende, Wohnungstüre. Adams Finger entlassen sein Glas in die Freiheit.

Klack.

 

_KAPITEL 6

Edel geht die Welt zu Grunde

_Wohnküche

G

länzende Pappbuchstaben hängen über dem Türrahmen, sie erinnern an die Happy Birthday-Schriftzüge von Kindergeburtstagen. »Weltuntergang!« Im verqualmten Raum, der offen in das schmucklose Wohnzimmer übergeht, befindet das »Who is Who« der verstoßenen Unterwelt. Es riecht nach erlesenem Cannabis und Schießpulver. Auf der Gästeliste stehen, unter anderem, Baphomet der Götze der Tempelritter, der blinde Erzengel Sammael besser bekannt als Gevatter Tod, Mammon und Melchom, welche die Gier der Menschheit gegen sie richteten, Jahi die Mutter der Hurerei, Abaddon der den Schlüssel zur Hölle mit sich trägt, Nybbas der durch seinen Willen vom Menschen zum Dämon wurde, sowie sein Gegenstück Behemot, den die Menschen, als Rache der Natur, fürchten. Die Menschen die mit ihnen ausgelassen und fröhlich feiern, sind Berufene und Auserwählte. An einem runden Holztisch, der, wie fast alles im Raum, eher auf den Sperrmüll gehört, sitzen zwei Dämonen, zwei Menschen und der Gastgeber Johannes. Ihr Lachen ist ehrlich und kräftig. Auf der mehr oder weniger festliche Tafel thront eine antike Absinthfontaine aus Kristallglas mit verzierten Silberfüßen und Feenemblem. Eine schwachblaue Flamme lodert auf dem Kopf des geschichtsträchtigen Stück Handwerkskunst. Siedender Zucker tropft langsam in die hellgrüne Brühe und schlägt Wellen, die am edel verzierten Kristallglas brechen. Ein silberner Hahn, in Form eines Totenkopfes, ist das Schmuckstück der Apparatur. Daumen, Mittel- und Zeigefinger drehen den Hahn auf, die hellgrüne, fast milchige, Flüssigkeit, läuft, durch die Augen des silbernen Totenschädels, in ein schmuckloses ausgespültes Senfglas, dem drei Colagläser und eine Tasse mit Zwiebelmuster folgen. Die Finger drehen den Hahn zu und die Tränen versiegen. Menschen und gefallene Engel tanzen, trinken und lachen, bis die Exorzisten den Raum betreten.

Die Luft versteinert und bricht an den Schritten der Kuttenträger. Die Nadel des Plattenspielers erhebt sich von dem alten Stück Schellack als wolle sie einen Blick, über die Köpfe der Gäste, auf die Lebensmüden werfen. Allein ein Augenpaar ist nicht auf Nepomuk und Vinzenz gerichtet. Der Gastgeber erhebt sich nur gemächlich von seinem wackelnden Stuhl und zündet seinen Blunt an dem lodernden Zucker an. Er inhaliert den Rauch tief in seinen Verstand und versinkt wieder in seinem schmucklosen Holzstuhl. Er ist in Feierstimmung, er hat schließlich ein halbes Jahrhundert auf diese Nacht gewartet. Die nicht menschlichen Gäste fletschen, mit geschlossenen Mund, ihre kampferfahrenen Zähne. Nepomuk schiebt, ohne Berührungsängste, ein paar Dämonen zur Seite, bis er freien Blick auf Johannes hat. Vinzenz erhascht scheu ein paar Gesichter, die zwar ihren Hass nicht verstecken, aber alle menschlich erscheinen. In rachsüchtiger Absicht tippt eine zierliche Fingerspitze auf seine Schulter.

Vinzenz Verstand fällt, bevor sein Körper vor Angst zucken kann. Die Berührung der Hexe Merga, eine junge exotische Frau mit Dreadlocks, übernimmt, für den Bruchteil einer Sekunde, den Verstand des gelähmten Predigers. Der menschliche Geist ist nicht dazu imstande sich die Hölle auch nur ansatzweise vorzustellen, doch Merga kann es sehr bildlich umschreiben.

Vor Vinzenz geistigem Auge verbrennt seine Haut, der sengende Schmerz schleift sich von den Fingern bis zu seiner Stirn. Grobe Stücke platzen von seinem kokelnden Fleisch ab. Seine Zähne wachsen unaufhaltsam bis der Unterkiefer auskugelt und erbarmungslos abreißt. Beide Unterarme biegen sich über die Gelenke nach hinten bis sie mit einem dumpfen Knall brechen. Die Vision verschwindet so schnell wie sie erschienen ist. Die Hexe nimmt ihren Finger von seiner Schulter. Vinzenz taumelt als er die Kontrolle über sich selbst wiedererlangt, kalter Schweiß fliest seine Stirn hinunter, seine Augen sind weit aufgerissen. Der Geruch von Schwefel und Verwesung kriecht durch seinen Hals. Johannes lehnt sich ein Stück vor.

Halleluja, seht an, seht an, die Pfaffen sind da. Seit Luther warten wir auf euch.

Er haucht die Worte in sein Senfglas voll Edelabsinth.

Ich hatte viel Spaß.

Er nimmt einen schnellen Schluck.

Versteht mich nicht falsch, aber ich dachte wirklich, das würde schneller gehen. Das hat scheiße lange gedauert. Wir hätten schon vor Jahrhunderten verhandeln können, aber ihr lernt ja nie dazu.

Nepomuks Blick verharrt beinah ignorant auf Johannes, während um ihn herum die ersten Augen ihre wahren Farben offenbaren. Der Gottesmann füllt seine Lunge mit der verqualmten Raumluft.

In nomine Patris, et …

Im Kloster lernt man sich zu verbeugen, oder?

Zorn mischt sich in Johannes Stimme. Er nippt wieder an seinem Absinth. Nepomuk beginnt erneut.

In nomine …

Ihr verbeugt euch vor dem Abt, vor dem Altar und vor…

Vinzenz angeschlagener Verstand findet einen Moment der Klarheit und verdrängt eine Sekunde lang seine Furcht.

Gott wird …

Wütende Ehrlichkeit reißt seine Klauen in Johannes Stimme.

Gott wird deine Mutter ficken, Vinzenz. Gott wird dir deine scheiß Augen auspicken.

Nepomuks Stimme erhebt sich im knochigen Körper.

Schweig still Dämon!

Schweig still Exorzist!

Vinzenz weicht erschrocken zurück, als sich Johannes Glas entzündet. Die Stichflamme sprießt über seinen Kopf hinaus, bevor sie in einer brennenden Pfütze an der Zimmerdecke erlischt. Für ihn waren Exorzismen harte Arbeit, aber nie eine Gefahr für ihn selbst.

König Herodes hat sich ausgestreckt, auf den Boden gelegt und gefleht! Du wirst demütig sein oder ich zünde dich jetzt und hier, bei lebendigem Leibe, an.

Johannes kippt sich den restlichen Absinth in den Rachen.

 

_KAPITEL 7

Ultramarinblau

_Harmageddon // 2013 vor Christi

D

 

as erste was er spürt ist das nasse Gras an seinem nackten Körper. Klare Wassertropfen gleiten von den Halmen auf seine Haut. DerRegen peitscht auf seinen Rücken. Ein weißgreller Blitz schlägt im Horizont ein, der Donner sucht bis zum heutigen Tage seines Gleichen. Es ist kalt. Johannes fühlt sich schwach, als er zum ersten Mal nach Luft ringt. Er bereut es. Die Luft will wieder aus ihm heraus. Sie besteht darauf. Die Sterne haben Mitleid, der Mond verspottet ihn. Nach ein paar weiteren bemühten Versuchen zu atmen, richtet er sich zitternd auf, der Mond weicht einen Schritt zurück. Es blitzt ein zweites Mal. Der Donner reißt Johannes zu Boden. Der Engel Mara, schöner als der Nachthimmel über Eden, kniet neben dem jungen Mann. Sie faltet ihren linken Flügel über ihm aus. Ihre Augen werfen ein sanftes hellgrünes Licht auf ihn. Das Wasser prasselt dumpf auf ihre schneeweißen Federn.

Fürchte dich nicht.

Ihr Haar ist verborgen von der Kapuze ihres ultramarinblauen Mantels, nur ihr schwarzer Haaransatz gewinnt Tropfen für Tropfen an Interesse des Nachtgestirns. Es formt eine Korona um ihr verfluchtes Haupt. Johannes Stimme zittert gegen den Regen. Die Engel haben es versucht, aber auf Menschlichkeit kann man niemanden vorbereiten.

Ist, ist das die Hölle?

Mara legt ihre Hand auf seine bleiche Wange.

Nein,…

Ihr Mund muss kein Lächeln offenbaren, ihre Augen genügen.

…aber von hier ist es nicht mehr weit.

Maras Blick lässt die Lava in seinem Gemüt erstarren. Ihre Lippen brechen den Regen. Der Wind kuscht vor ihr.

Ich habe sehr lange auf dich gewartet.

Sie hebt den Flügel ein Stück höher. Seine Augenlider verweigern jeden Befehl.

Wer… Wer?

Der Donner nennt mich Mara.

Wasser stürmt aus dem Himmel.

Und du bist Johannes, der einzige Dämon, dem der Herr eine Seele geschenkt hat. Du bist unser einziger Schutz.

 

_KAPITEL 8

Der falsche Weg

_Rumänien // Vor 13 Jahren

V

inzenz schließt die Holztür hinter seinem Meister Nepomuk. Er will sich bei seinem ersten Einsatz beweisen, sein junges Alter steht immer noch im Mittelpunkt einiger missgünstigen Diskussionen im Vatikan. Das Geräusch der schließenden Türe fährt durch jede dünne Wand des Hauses, doch es stoppt an Nepomuks ledernen Schuhsohlen. Muffig süßlicher Geruch frisst sich aus der Tapete. Das einzige übriggebliebene Möbelstück im Raum ist ein 1,10 Meter breites Bett, indem vor neun Wochen noch der Großvater der Besessenen geschlafen hat. Die Arme und Beine der Besessenen sind mit Gürteln und zerrissenen Hemden an das Bettgestell gefesselt. Die Augen der jungen Frau folgen dem alten Exorzisten als würde ihr Leben davon abhängen. Sie würdigt Vinzenz keines Wimpernschlages. Nepomuk faltet seine Hände um das Gestell zu ihren Füßen.

Dämon, weißt du wer ich bin?

Er liefert sich ein eisiges Wettstarren mit der Besessenen.

Du weißt wer ich bin, nicht wahr?

Der Exorzist lehnt sich auf seine erfahrenen Schultern.

Hast du deine Zunge verschluckt, Dämon?

Die junge Frau öffnet langsam ihren Mund. Ihre gesammelte Spucke läuft ihre Mundwinkel hoch und tropft an die Decke. Vinzenz folgt mit großen Augen dem Verstoß gegen die Naturgesetze.

Scheiße.

Bruder Rocco, du sollst nicht fluchen.

Verzeihung, Monsignore.

Nepomuks Augen haben die der Besessenen nicht verlassen.

Wozu bist du hier?

Der Dämon fletscht langsam seine Zähne. Als die blauen Lippen schwarze Zähne und eiterndes Zahnfleisch freilegen, wird aus dem Drohen ein zaghaftes, aber überlegendes Lachen.

Bruder Rocco wir beginnen.

Ja, Monsignore.

Vinzenz stellt sich an das Kopfende des Bettes. Als er seine Hände zum Gebet faltet, schiebt sich das gesamte Gestell an die andere Seite des Raumes. Die Köpfe der Exorzisten folgen.

Bruder Rocco.

Ja, Monsignore.

Bemüht zieht der junge Geistliche das Bett an seinen vorgesehenen Platz. Der Holzfußboden hätte darunter gelitten, wenn er nicht schon genug gelitten hätte. Vinzenz faltet seine Hände erneut. Eine panische Männerstimme entspringt aus dem teilnahmslosen Gesicht der jungen Frau, die Wörter kratzen und quietschen zur selben Zeit.

Eure Welt steht auf dem Kopf, du wirst es sehen Exorzist.

Eine Pfütze aus Urin sammelt sich in ihrem Nachthemd. Die ersten Tropfen fließen in einem, tiefgelben fast braunen Strahl, an die Decke. Der Dämon verdreht seine Augen und beginnt mit seinem eigenen Exorzismus.

In nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti. Amen.

Der junge Exorzist sieht verwundert zwischen Dämon, Meister und Zimmerdecke hin und her. Sein Mund steht ein Stück weit offen. Nepomuk fährt fort.

Sag mir deinen Namen, Dämon. Ich befehle es dir, im Namen Jesu Christi.

Ich, bin, Luzifer.

Ja, den Witz habe ich schon mal irgendwo gehört.

Du glaubst mir nicht?

Nepomuk und Vinzenz heben die Hände zum Gebet.

Im Namen und in der Kraft unseres Herrn Jesu Christi beschwören wir dich, jeglicher unreine Geist, jegliche satanische Macht, jegliche feindliche Sturmschar der Hölle, jegliche teuflische Legion, Horde und Bande …

Langweilig!

Nepomuk greift nach dem Weihwasserfläschchen in seiner Kutte.

Ihr werdet ausgerissen und hinausgetrieben aus der Kirche Gottes, von den Seelen, die nach Gottes Ebenbild erschaffen und durch das kostbare Blut des göttlichen Lammes erlöst wurden.

Vinzenz übernimmt selbstsicher.

Wage es nicht länger, hinterlistige Schlange, das Menschengeschlecht zu täuschen, die Kirche Gottes zu verfolgen und die Auserwählten Gottes zu schütteln und zu sieben wie den Weizen.

Die Tapete löst sich an den Fußleisten und reißt sich, in Fransen, nach oben. Vinzenz verstummt, sein Lehrer fährt fort.

Dir gebietet Gott, der Allerhöchste, dem du in deinem großen Hochmut noch immer gleichgestellt sein willst. Er, der will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.

Die Stimme des alten Exorzisten droht mit der Faust.

Sag mir Dämon, warum bist du hier?

 

Im Schein der roten Friedhofskerzen stehen drei schwarz gekleidete Halbstarke und eine übergewichtige Gothprinzessin, die selbst für ein Mitglied der Blue Man Group überschminkt ist. Zwischen Grabsteinen und Blumen liegt Ruhe auf den dunklen Wegen.

Ich glaube noch immer, du solltest das aus einem Buch vorlesen und nicht von einem Blatt aus einem Kopierer, so beeindruckst nie und nimmer, den Fürst der Unterwelt.

Sei still ich muss mich konzentrieren.

Das Kerzenlicht flackert auf dem dürren Gesicht.

Antichrist, Luzifer, gefallen und verbannt aus dem Paradies, erhöre mich, dein treuer Diener …

In diesem Moment knallt es und eine Wolke aus Licht verbirgt für einen Augenblick den Beschworenen und Vinzenz. Erschrocken weichen die Teenager zurück, wobei die Gothprinzessin fast über einen Grabstein fällt. Vinzenz Beine sind zu schwach, um ihn zu tragen, er fällt auf die Knie und übergibt sich auf den Kiesweg. Luzifer wischt sich das restliche Licht von der Schulter.

Ich bin Satan, in den Staub ihr Sünder.

Die vier Kinder der Nacht befolgen seinem Befehl und knien sich sofort auf den Boden.

Ich habe euch etwas mitgebracht. Es ist ein Exorzist.

Vinzenz atmet schwer, Luzifers Art zu reisen bekommt einem Menschen nicht sonderlich. Sein Körper zuckt in Panik. Verstört meldet sich der Rädelsführer.

Und was sollen wir mit ihm machen?

Ihr sollt ihm erklären, was falsch ist am Exorzismus.

Verwundert sehen sich die vier Erhörten an. Die Gothprinzessin beginnt.

Ich, ich, ich hab keine Ahnung. Vielleicht wegen den Epileptikern?

Luzifer wendet seinen Blick zu einem unserer bisher stillen Anwesenden.

Er ist stumm, mein Fürst.

Ich weiß, aber wenn er die Antwort hat, darf er sie aussprechen.

Überfordert prallen die Gedanken des Stummen an seine Schädeldecke, er strengt sich an, aber findet keine gute Antwort auf die Frage des Höllenfürsten. Luzifer wendet sich zu dem anderen Schweigsamen.

Und du? Bist du auch stumm?

Scheu beginnt der Seelenträger.

Ein Dämon ist ein gefallener Engel. Auch wenn er Gott nicht mehr folgt, so will er nichts Böses für den Menschen. Das Böse sagt und tut der Mensch. Der Dämon will ihn hindern. Ihr müsst den Menschen heilen, dann wird der gefallene Engel von alleine gehen. Wer den Dämon vertreibt, vertreibt auch das Böse, aber es zieht weiter und nimmt sich einen anderen Menschen. Es ist der falsche Weg.

Luzifer senkt seinem Blick zum Exorzisten.

Hast du gehört, Vinzenz? Das war eine verdammt gute Antwort. Zur Belohnung darf der Seelenträger mir eine Frage stellen.

Er dreht wieder zu dem Halbstarken.

Krass, Boah. Ich muss kurz überlegen.

Ob es einen Gott gibt, hat sich für den Satanisten, nun deutlich geklärt, darum stellt er die zweite Frage die ihm in den Kopf kommt.

Wie ist das so der Teufel zu sein?

Meistens ist es geil, sehr geil sogar, aber wenn ihr solche Dinge tut wie die Inquisition, den Holocaust oder die Sklaverei, kommt in mir immer wieder dieselbe Frage auf. Warum erlaubt Gott euch eine eigene Meinung, wenn er dieses Privileg seinen Engeln verwehrt?

Luzifer streicht sich durch sein Haar.

Vinnie, wir müssen los. Keine Panik, beim zweiten Mal ist es nicht mehr so schlimm.

Der stumme Satansanbeter öffnet seinen Mund.

Machen Sie 's gut.

Du auch.

Mit offenem Mund starren die jungen Seelenträger auf ihren Freund, der zum ersten Mal in ihrer Gegenwart ein Wort gesprochen hat. Luzifer wirft einen letzten Blick in die Runde.

War nett euch kennen zu lernen.

 

Vinzenz steht wieder im Zimmer der Besessenen. Ihre Mutter kniet, vor Glück weinend, auf dem Bett und umarmt ihre befreite Tochter. Nepomuk dreht sich zu seinem Schüler.

Gut gemacht, Bruder Rocco.

 

_KAPITEL 9

Der Situation angemessen

_Wohnküche // Heute Nacht

E

 

in Schritt reicht aus und Samson steht hinter den zwei Exorzisten. Verängstigt drehen sich Vinzenz Augen zur Seite, sein Hals folgt ihnen zögernd. Sein scheuer Blick prallt gegen Samsons Brustkorb. Aus zwei Meter zwanzig Höhe, sehen zwei ausgestochene Augen auf das schwitzende Antlitz des Geistlichen. Die grauen kräftigen Haare des Riesen reichen bis zu seinen Handgelenken. Eine, fast surreal, tiefe Stimme schallt aus der, Fleisch gewordenen, Wand.

Ich bitte sie höflichst sich auf den Boden zu knien. Es ist der Situation angemessen.

Ohne jede Eile legt Samson seine Hand auf Vinzenz kalte Schulter. In einer Bewegung drückt er den Priester, sanft doch bestimmend, in die gewünschte Position. Nepomuks Blick verharrt starr auf Johannes, der sein frisch gezapftes Getränk zum Toast erhebt. Wie eine Person folgt der ganze Raum seinem Beispiel und streckt Flaschen und Gläser in die Luft.

Auf alles was Engel und Dämonen mit all ihrem Wesen beschützen, auf alles Schöne!

Jedes Glas im Raum leert sich. Der Dämon Abaddon leert seine Tasse in einem Zug.

Wir verhandeln nicht bevor der Sünder Respekt zeigt.

Die Stimme des Dämons ist geduldig. Nepomuks Stimme bebt.

Ihr feiert und betrinkt euch, obwohl uns allen die Sklaverei droht und dass unter einer Macht, vor der selbst euer selbsternannter Fürst zittert. Warum sollte ich also Respekt vor euch haben, geschweige denn ihn zeigen? Brennen, eines Tages werdet ihr alle brennen, in Ewigkeit und Gott wird sich daran erfreuen!

Johannes füllt sein Glas erneut.

Da wäre ich mir gar nicht mal so sicher, auf wie vielen Gemälden haben eure Maler mir einen Heiligenschein verpasst? Beim ersten Mal hab ich mich echt nicht mehr ein bekommen, aber egal. Die Sache ist, der Mensch ist Gut und Böse. Wir sind das nicht und im Gegensatz zu euch, erfüllen wir nur unsere Aufgabe. Wir haben jedoch Bedingungen und die Erste lautet, die Exorzisten werden vor den Dämonen knien.

Ich verneige mich nicht vor dir oder irgendeinem anderen Verdammten. Bringen wir es hinter uns, Dämon, ich habe so viele von euch zurück in die Hölle geschickt, was zählt da ein Exorzist? Vinzenz, es reicht, steh wieder auf!