EIN MUSKELMANN FÄLLT UM. Es war heiß in der Bude, viel zu heiß. Die Hitze klebte an den Wänden wie Blut in einer Schusswunde, und der Ventilator lag offensichtlich in den letzten Zügen. Als ich einigermaßen zu mir kam, hockte ich in Unterhosen, die mir wie üblich 2 Nummern zu groß waren, in einem chinesischen Alabasterkübel, in dem sich außer mir noch ein riesiger Gummibaum breitmachte, dessen an den Rändern zerfressene Blätter mit Fliegenschiss und Staubschlieren verkleistert waren. Ich hockte da und glotzte auf einen dunklen Fleck zwischen meinen Rheumasocken. Ein paar besoffene Kakerlaken dösten zwischen den Scherben einer Whiskyflasche. Für euch ist die Party auch bald vorbei, dachte ich. Es war heiß in der Bude, und ich fand, es war viel zu spät. Ich stemmte mich mühsam hoch und fühlte mich eine ganze Stange älter als meine 29. Musste wohl eine oder zwei Nächte out gewesen sein. Die Bude lag voll mit Gestalten, die vor sich hin verwesten. An der Wand sah ich ein Plakat, auf dem sich Allen Ginsberg und Timothy Leary auf dem Rücksitz eines Mercedes-Cabriolets abknutschten. Darunter lag einer in einem grünen Turnhemd und meditierte über einer 3 Monate alten Ausgabe von Bild am Sonntag. Ich hinkte zu ihm rüber.

»Peter Boenisch ist auch nicht mehr so schön wie früher«, seufzte der Junge träumerisch, ohne mich anzusehen. Ich zog ihn an den Haaren hoch und drehte ihm das Gesicht zur Wand.

»Sieh dir mal die 2 Rauschgiftonkels auf dem Fahndungsfoto hier an, Sonny. Die hättest du mal sehen müssen, nachdem wir sie in der Mangel hatten. Die haben jedes Buscopanzäpfchen einzeln hergebetet, das sie ihren Omis aus dem Hintern stibitzt haben.«

Der Typ reagierte nicht. Was solls, dachte ich, die Brüder kommen in jeder Verpackung. Ich ließ ihn fallen und bahnte mir einen Weg zum Kleiderständer an der großen doppelseitigen Tür, wo mein Mantel hing. Am Kleiderständer hielt sich ein ziemlich groß gebauter Kerl mit verschrumpeltem Greisengesicht fest. »Na, Miesepeter, war der Stoff mit Strychnin verschnitten?« Er gab ein röchelndes Grunzen von sich. In seinen Mundwinkeln hatte sich grauer schaumgummiähnlicher Schmant gebildet. Die Iris in seinen Augen rutschte hin und her wie ein Fisch, der in der Wasserlache am Grund eines ausgetrockneten Tümpels nach Sauerstoff schnappt. Das war Canino, der Muskelmann der Eddie-Mars-Bande, beziehungsweise das, was die Sucht noch von ihm übrig gelassen hatte.

Ich griff mir meinen Trenchcoat, und während ich reinschlüpf‌te, trat ich dem Großen auf die Zehen und sagte laut und deutlich: »Sag deinem Boss, er soll mal die Tapeten wechseln, Canino, sonst macht Marlowe den alten Eddie bald alle.« Seine Pupillen klickten einen Moment lang ein. Er starrte mich mit einem Blick an, der 2000 Lichtjahre alt war,

Ich rempelte einen Zeitungsverkäufer mit einem Packen Tanger Times auf dem Arm. Einer von diesen Pakistani mit einem Mund voller Goldzähne. Er zeigte auf meine Socken und kicherte, »No tickie no shirtie, yuk yuk!« Ich rollte eine Times zusammen und rammte sie ihm in den Magen. Dabei trat ich voll in einen Batzen frische Hundescheiße rein. Ich war echt genervt.

Auf den Boulevards von Casablanca flammten die Neonlichter auf.

 

MARLOWES BÜRO IN BAY CITY. »WENN SIE LUST HABEN, KOMMEN SIE RUHIG VORBEI, ES WIRD NIEMAND DA SEIN AUSSER IHNEN.« Ich hatte mein Büro in einem der Hinterhäuser eines Wohnblocks am Hafen, den die Stadtbehörden von Bay City – von Gangstern wie Eddie Mars geschmiert – zum Abbruch freigegeben hatten. Die Demolierungstrupps der Grundstücksspekulanten hatten schon die meisten Blocks übernommen, und die Gegend sah aus, als hätte ein B-52-Bomber Heimweh nach Vietnam bekommen. In dem Schutt hausten illegale mexikanische Wanderarbeiter samt ihren Nutten, und überall hing der scharfe Geruch von gekochtem Gumbo und der süßliche Duft der Soße aus Sassafras, frischem Zimt und ranzigem Affenfett, mit der sich die Huren vor jeder Nachtschicht einbalsamierten. Ich mochte die Gegend. In ein paar Jahren würde auch hier

Ich öffnete den Sicherungskasten im Hausflur, schraubte die Sicherung rein, ging nach hinten ins Klo und drehte mit einem Schraubenschlüssel das Wasser an. Auf dem Fußabtreter vor meiner Bürotür lag ein grüner Umschlag. Kack, dachte ich, woher wissen die von der Steuer schon wieder, dass ich nach Bay City gezogen bin.

Ich riss den Umschlag auf. Das war nicht vom Finanzamt. Und wenn es eine Rechnung war, dann eine, die ich nicht verstand. In dem Umschlag steckten eine 50-Dollar-Note und ein Zettel, auf dem mit einer Schreibmaschine, bei der das r verrutscht war, geschrieben stand:

Kaufen Sie sich neue Treter. Wir wissen wer Sie sind.

 

WER SICH IN DER WIRKLICHKEIT AUSKENNT, KANN AUCH ZU IHR ZUFLUCHT NEHMEN, DENKT MARLOWE. Na fein, dachte ich, während ich meine Füße in den verdreckten Rheumasocken auf den Schreibtisch hievte. Dann sind wir ja schon zwei, die wissen wer ich bin.

An meinem Büro war nicht viel dran, zugegeben. Aber in meiner Branche zieht man noch das letzte Hundeloch der Straße, den U-Bahn-Schächten und B-Ebenen vor. Das haben Privatdetektive mit Koksern und Schriftstellern gemeinsam: Sie brauchen einen sicheren Unterschlupf in der Anonymität und Dunkelheit der Städte, den Schmelz der Nacht, um im Verborgenen operieren zu können.

Ich goss mir ein paar Fingerbreit »Rotkäppchen« ein, fischte mit dem Bleistift eine tote Fliege aus dem Glas und checkte noch mal die 50-Dollar-Note und den Zettel. Die 50 Dollar waren immer noch 50 Dollar; auf dem Zettel stand immer noch:

Kaufen Sie sich neue Treter. Wir wissen wer Sie sind.

Ich entschied, dass das Ganze keinen Sinn ergab, und schob den Geldschein in meine linke Socke. Anscheinend hatte es jemand darauf abgesehen, mich nervös zu machen. Das bin ich gewohnt. Ich hatte mich gerade zu einem weiteren Fingerbreit Rotkäppchen entschlossen, als das Telefon die Stille zerriss.

 

EDDIE BEISST AN, MARLOWE BEISST DIE ANGST. »Yup?« Am anderen Ende der Leitung schnief‌te jemand durch die Nase, dann hörte ich ein meckerndes Kichern.

»Haben Sie sich schon Ihre neuen Treter gekauft?«

»Haben Sie so was wie einen Namen, oder sind Sie bloß’n anonymer Spender«, fragte ich auf Arabisch, das ich ziemlich flüssig spreche, seit ich für die argentinische Rinderpest-Kommission in Tanger die Public Relation machte.

»Werden Sie eigentlich immer literarisch, wenn Sie Angst bekommen, oder sind Sie seit meiner kleinen Party nicht mehr nüchtern geworden? Heute Abend steigt übrigens wieder eine, falls Sie Lust haben …« Der Mann räusperte sich. Ich starrte den Hörer an. Wieder dieses Schniefen, dieser nach innen saugende Sound, pf‌f‌fnnnooonnnkkkhhh … Ich zündete eine Zigarette an, verschluckte mich fast am Rauch und hustete die Sprechmuschel voll. Hatte einen von diesen mistigen Kifstengeln erwischt, die ich von einem Bekannten bei der Seguridad Nacionál bezog.

»Aha, wieder mal high, Dunkel …«, sagte der Schniefer am anderen Ende und meckerte. Dieses Meckern …

»Ich bin weder high, noch ist es hier dunkel«, sagte ich bissig, »ich kann meine Stromrechnung noch bezahlen, und wenn ich ein paar von den Dingern möchte, die Sie Treter nennen, brauch ich mir drüben in Hollywood bloß welche aus den Mülltonnen der MGM zu fischen.«

»Dunkel«, sagte der Mann, und sein Meckern wurde jetzt richtig penetrant, »seit wann mischen sich denn abgewrackte Hinterhof-Literaten wie Sie in meine Geschäfte?«

Jetzt klickte es endlich. Das konnte nur Eddie Mars sein. Ich spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. Also hatte er angebissen.

Ich hängte ein, bevor er einhängen konnte. Es war so weit. Ich kippte ein volles Glas Rotkäppchen, dann griff ich nach der Kanone in meiner Westentasche.

Meine Nackenhaare sträubten sich, aber es lag nicht an dem mistigen Kif.

Ich hatte keine Kanone.

Ich hatte nicht mal eine Weste an!

 

SHOOT-OUT IN CASA: BYE-BYE, CANINO. Es war immer noch zu heiß in der Bude. Die Hitze pappte auf meiner Haut wie heißer Teer auf einem Gelynchten. Der Deckenventilator stand still, und der Gummibaum schwitzte Blut.

Sie hatten die Party mit neuem Personal aufgefrischt, halb verhungerte Statisten aus den großen Filmstudios, denen der Alkohol zu schnell zu Kopf stieg und die jetzt, im Stadium der ersten Lähmung, mit verrenkten, fast spastisch zuckenden Gliedern Tango tanzten. Ich rührte keinen Tropfen an. Ich wartete.

Auf einem altmodischen Vertiko in der Ecke stand ein hoher Vogelkäfig, in ihm ein ausgestopf‌ter Geier, in dessen Schnabel ein Raucherstäbchen qualmte. Sein betäubender Duft mischte sich mit dem Geruch von gekochtem Gumbo, das Lohnkellner in rosa Fräcken servierten, mit den Parfüms der Mädchen, die schweigend und mit

»So siehts aus, hombre. Der Beste gewinnt«, hörte ich jemand sagen. Neben dem Steinway, auf dem ein weißhaariger Neger mit geschlossenen Augen einen Blues klimperte, stand ein Mann – mitternachtsblauer Serge-Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, schwarze Seidensocken. Er zog an einer gewöhnlichen Bruyère-Pfeife, während er seinen schwarzen Filzhut um den Zeigefinger seiner rechten Hand kreisen ließ. Er lächelte mich durch eine Rauchwolke an. Ich hatte ein komisches Gefühl, lächelte aber zurück. Wenn du das Gesetz nicht brechen kannst, zeig ihm die Zähne.

»Canino oder Constantine, auf wen tippen Sie?«, fragte der Mann mit der Pfeife und deutete auf einen alten Fernsehapparat mit Teakholzgehäuse, der auf einem Küchenstuhl vor sich hin flimmerte. Wenn man genau hinsah, konnte man auf der Mattscheibe einen Krankenwagen mit rotierendem Blaulicht erkennen; dann eine Bahre, die von mehreren Langhaarigen, die mit Maschinenpistolen bewaffnet waren, in den Wagen geschoben wurde; und auf der Bahre irgendeine gekrümmte Figur unter einer Decke. Der Wagen fuhr rasch an. Das nächste Bild zeigte einen Mann, der wie Timothy Leary aussah. Er trug einen Sarong und hatte einen Fez auf dem Kopf. Es war Leary. Er winkte aus einem Skilift und schien sich ausgesprochen gut zu amüsieren. Ich sah keinen Zusammenhang.

»Ich weiß nicht«, sagte ich vorsichtig. »Ich seh da keinen Zusammenhang.«

Ich zuckte zusammen. Dann ging es Schlag auf Schlag. Der Geier spuckte das Räucherstäbchen aus und kreischte mit überraschend klarer Aussprache: »Wir wissen, wer Sie sind. Wir wissen, wer Sie sind. Wir wissen …«

In der großen doppelseitigen Tür stand Canino – kalkweißes Gesicht, Motten in den Augen, eine Kanone in jeder Hand. Jemand schrie: »Lass die Knarre fallen, Marlowe, du hast keine Chance!« Der Klavierspieler öffnete seine Augen, griff nach unten, sagte: »Wenn du klar machen willst, mach los!«, und warf mir eine Luger zu. Der Mann mit der Pfeife ließ sich fallen und feuerte sein Magazin leer. Ich tat dasselbe. Canino bekam ein rotes Muster auf sein Gestell, und der Neger spielte einen Boogie. Der Fernseher zersplitterte, der Geier kreischte: »Neue Treter … neue Treter …«, dann war alles vorbei.

Marlowe stand auf, klopf‌te sich den Staub vom seinem Anzug und fuhr sich mit dem Daumen über die Oberlippe.

»Gute Arbeit, amigo.« Er nickte und zeigte mit dem Kinn auf meine Füße. Die Socken waren halb verschimmelt.

»Vom nächsten Honorar können Sie sich sogar’n paar neue Rheumasocken leisten.«

»Und Eddie?«, fragte ich.

»Constantine?«, fragte Marlowe zurück. »Ach, der wird Mühe haben, ’ne neue Rolle zu kriegen.«

»Wo sind die Treter«, kreischte der Geier, »die Treter, die Treter …«

 

DER LOKALREPORTER ZIEHT DAS RESÜMEE: GEFAHR GEHÖRT ZUM GESCHÄFT WIE MAYONNAISE ZU POMMES FRITES. Der weißhaarige Lokalreporter schob seinen leeren, mit Ketchup verschmierten Teller über den Tresen.

»Noch mal dasselbe, Schätzchen.«

Die mexikanische Serviererin mit der Hasenscharte auf der Oberlippe sah ihn hasserfüllt an und knallte zwei angebrannte Hamburger auf den Teller. »Chingao!«, sagte sie und spuckte haarscharf an der Tischkante vorbei auf den Boden.

Er nickte ungerührt und machte sich über das Essen her. Sein Hemdkragen stand vor Dreck, und die Ärmel seines Heringsgräten-Jacketts waren mit Schnapsflecken und Druckerschwärze verschmiert. Er aß gierig und genehmigte sich zwischendurch einen Schluck von seinem abgestandenen Bier.

»Einmal in der Woche steig ich mit der Kleinen ins Bett, verstehen Sie.«

Ich tat so, als ob ich verstünde.

Er wischte sich mit der Papierserviette das Ketchup vom Mund und schob sich ein Streichholz zwischen die Zähne.

»Meine Frau hats auf der Brust, deshalb.«

Ich nickte. Die Serviererin beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. In der Musikbox knackte es, dann hörte man Bing Crosby und Bob Hope mit Off on the Road to Morocco.

»Das hätten Sie tun können«, sagte ich.

»Dann hätten Sie aber keine Story gehabt.«

»Vielleicht«, sagte ich.

Er nahm wieder einen Schluck von seinem lauwarmen Bier.

»Waren Sie schon mal da unten?«

»Privat«, sagte ich.

Flack überlegte, ob er noch was essen sollte. Es war gegen eins, kurz vor der Sperrstunde.

»Und schließlich«, sagte er, »müssen Sie ja mal mit dem Milieu vertraut werden. Wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Ich denke schon.«

Er lächelte die Serviererin an. Es war kein schönes Lächeln. »Mach mir noch’n paar Pommes frites, Schätzchen, mit viel Mayonnaise drauf.« Sie sagte wieder »Chingao!« und spuckte ihm vor die Füße, nahm aber den Teller mit und schlurf‌te in Richtung Küche. Die Platte war zu Ende.

»Für mein Alter hab ich ganz schön Glück«, sagte Flack zufrieden und schnief‌te geräuschvoll durch die Nase: Pf‌f‌fnnnooonnnkkkhhh.

Hinten warf die Serviererin eine Schüssel tiefgefrorene Kartoffelscheiben in heißes Fett.

Flack nahm das Streichholz aus dem Mund und leerte sorgfältig sein Bierglas.

»Andernfalls kauft Ihnen nämlich keiner Ihre Story ab«, sagte er, als ob er lange darüber nachgedacht hätte. »Und wovon wollen Sie sonst schon leben, hn?«

»Ich wünsch Ihnen was, Flack. Gute Nacht.«

Ich winkte der vermuff‌ten Mexikanerin zu und ging raus in den Regen. An der Ecke sah ich mich noch mal um. Die Frittenbude war hell erleuchtet, eine sorgfältig ausgeleuchtete Insel auf einem öden Film-Set, und ich konnte Flacks gierige Mundwinkel erkennen, während er die Pommes frites in sich hineinschob, und die Mexikanerin, die sich mit dem Daumen über die Hasenscharte strich. Ich ging den Boulevard runter und gab acht, dass ich mit meinen neuen Schuhen in keine Pfütze trat. Dann hielt ein Taxi, und ich ließ mich nach Casa fahren.

von Jürgen Ploog, Carl Weissner und Jörg Fauser

Es war Oktober, und das Licht gab der Stadt etwas von der Beleuchtung eines Aquariums, eine Beleuchtung, von der die Wintermonate in Kalifornien leben.

Chandler steckte sich eine Zigarette an, schluckte den Rest des Whiskys und machte sich dran, in den Packard zu klettern, der unter dem Vorbau des Hauses stand. Ein paar Blätter von einem Jacarandabaum klebten auf der Motorhaube.

Eine Fahrt durch Los Angeles vermittelt etwas vom Gefühl einer Unwirklichkeit, das von einer leeren Bühne ausgeht. Alles könnte passieren, alles passiert, und es ist viel mehr, als am nächsten Morgen in der Zeitung steht. Man drückt das Gaspedal, um die Schallmauer zu durchbrechen, aber nichts ändert sich als das Licht an den Hügeln im Norden von Westwood Village. In der leichten Brise lag der Geruch von Exkrementen, Salzwasser und einer runtergekommenen Blonden, die sich ihr geblümtes Kleid zurechtrückte. Am Wilshire Boulevard hielt er kurz, um eine Zeitung zu kaufen. In den kurz nachlassenden Verkehrslärm flüsterte jemand: »Privater Striptease?«

Früher mal, da hatte er was übrig für die Stadt. Als es noch Bäume entlang den Boulevards gab. Hollywood, das

Irgendwann hatten die Schieber und Zuhälter übernommen, machten ungeheuren Wind, um es dazu zu bringen, nichts zu tun. Schwule Herrenausstatter, lesbische Modeschöpferinnen, die Stadt gab nicht viel mehr her als eine tote Batterie.

Als Chandler 1946 Los Angeles verließ und in ein kleines Kaff an der See zog, war das auch für Marlowe das Zeichen, den Aussatz, der die Stadt befallen hatte, schärfer als bisher wahrzunehmen. Er fuhr in der Rush Hour den Sunset Boulevard Richtung Westen entlang und bahnte sich einen Weg durch überkandidelte Rennfahrerimitationen, die in ihren aufgemotzten Schlitten mit den leeren Visagen von Leuten hockten, die irgendwohin rasen müssen, wo sie wieder ins Leere starren können.

Es war nicht mehr die Stadt, in der ein Mann wie Marlowe Straßen entlangging in dem Gefühl, dass es einen Sinn hatte, die Gefahr zu seinem Geschäft zu machen.

Früher hatte es noch einen Sinn, nicht bloß einen Wagen zu sehen, sondern ihn zu beschreiben, nicht irgendeinen Schmetterling auf einer x-beliebigen Blume, sondern genau hinzusehen und einen großen schwarz-goldenen Schmetterling zu beobachten, der Flugübungen auf einem Hydrangea-Busch machte, seine Flügel auf und ab bewegend und dann durch die bewegungslose duftig-satte Luft davonflatternd; nicht bloß Regen, sondern Regen, der gegen die Fenster trommelte und in einer schweren Welle wie geschmolzene Gelatine niederrauschte; nicht nur ne blonde

Und kraft dieser sehr menschlichen und sehr männlichen Moral entstand zwischen den Abenteuern Marlowes und der Stadt, in der sie spielten, eine sehr eigene, dif‌fizile, erregende Intimität, die sich auf den übertrug, der dem Mann und seinen Abenteuern nur auf dem Papier folgen konnte …

Marina del Rey, lausiges namenloses 12-Zimmer-Hotel am Strand, Nähe Yachthafen, grauer Sand, wenig Badegäste. Lag den ganzen Nachmittag im Zimmer auf der Matratze, Seegras, eine Sprungfeder kam an einer Stelle durch und pokte sich in die Rippen … ihm war alles egal, halbleere Flasche mexikanischen Fusel in der Hand, paarmal aus Langeweile zu onanieren versucht, ging nicht, hatte schon zu viel intus, na ja …

Gegen Abend rappelte er sich hoch, ging in die Ecke zum Waschständer und kippte sich ne Portion kaltes Wasser ins Gesicht. Nach einer Weile gings ihm ein bisschen besser, aber nur ein bisschen. Er brauchte einen Drink, einen

Es gab keinen Fahrstuhl. Die Korridore stanken, und das Treppengeländer war schmierig. Er ging runter ins Foyer, schmiss seinen Zimmerschlüssel auf den Tresen und sagte, er sei bedient. Der Typ hinter der Rezeption quittierte das mit einem müden Nicken, er hatte eine Warze auf dem linken Augenlid, und ein mexikanischer Laufbursche in zerschlissener Montur kam hinter dem staubigsten Gummibaum ganz Kaliforniens hervor und schnappte sich Marlowes Koffer. Er hatte keinen Koffer bei sich, deshalb blieb dem Mexikaner nichts anderes übrig, als ihm die Tür aufzuhalten und ihm sein schmierigstes Lächeln zu schenken. Thanks for nothing, Buster.

Marlowes Büro an der Ecke Sunset und Ivar, einen Block westlich der Vine Street, war, wie der Detektiv selbst, einfach und ganz aufs Wesentliche beschränkt. Vier Stühle, ein Schreibtisch, Telefon, Waschbecken und fünf Aktenordner (drei davon leer), das war alles. Den speziellen Marlowe-Touch gaben die Netzvorhänge an den offenen Fenstern und der Wandkalender. Die Vorhänge flatterten wie die Lippen eines zahnlosen alten Mannes im Schlaf. Das Kalenderblatt zeigte ein Selbstporträt Rembrandts. Sein Gesicht

Wenn er sein Büro verließ, stand Marlowe auf einer der ältesten und längsten Durchgangsstraßen der Stadt. Früher war Sunset ein Trek gewesen, der unten im Pueblo angefangen hatte und sich dann nach Nordwesten hinzog, 22 Meilen den Hügeln entlang zur See. Wenn der Detektiv heute derselben Route folgte, fuhr er an den Antiquitäten-Läden mit ihren glitzernden Auslagen und den Nachtclubs mit ihrem verchromten Neongefunkel vorbei und kam ein paar Minuten später in die Terrassen von Beverly Hills.

Hier lebten, in Tausenden von Villen und Bungalows, die Reichen, unter denen Marlowes erbittertste Feinde waren. Mit ein paar Ausnahmen – der alte General Sternwood, Mavis Weld, der Filmstar aus der Gosse, und natürlich Linda Loring – symbolisierten die Reichen die Schattenseiten, den Terror von Los Angeles.

Sie hatten sich vor dem Rest der Menschheit hinter hohen Mauern verschanzt »mit einer speziellen Sorte Sonnenschein, sehr still, der für die oberen Klassen in lärmgeschützten Containern gefiltert wurde«. Ein Tag mit den Reichen war für Marlowe immer eine aufreibende Sache, und er war froh, zu seinem schäbigen Büro mit dem schalen heimischen Geruch nach Staub und Rauch zurückzukehren, dem Geruch der Welt, in der Männer leben und arbeiten.

Der Las Olindas Klub sah ungefährlich aus wie ein Pappbecher. Ein paar sauber hintereinander parkende Wagen, verwehte Monterey-Zypressen vor dem Eingang, große

Die Cocktail-Stunde ist die Stunde der Einsamen. Sie sehen aus, als müssten sie sämtliche Innereien zusammennehmen, um den Abend zu überstehen. Der Barmann hat Zeit für überflüssige Fingerfertigkeiten, lässt das Glas über die Theke bis kurz vor den Gast rutschen und macht ein Gesicht, als würde er Schmetterlinge fangen.

Es wurde dunkler, und die Lichter an den umliegenden Hügeln flackerten, »das harte Weiß wilder Lilien«, sagte er. Das gefiel ihr. Er grinste, trank etwas von seinem Tequila und setzte dann wieder sein Gesicht auf, das jede Frage zuließ. »Schwierigkeiten?«

Sie trug ein hochgeschlossenes schwarzes Abendkleid, hatte zarte weiße Schultern, war etwas weniger als schön und etwas mehr als hübsch. Ein orangefarbener Schal hing hinter ihr über der Stuhllehne.

Das war so gegen 9 Uhr abends. Draußen schlug ihm ein Schwall lauwarme abgestandene Luft entgegen, ein paar dicke Bäuche schoben sich über den Gehsteig, auf der anderen Straße lief das Bingo-Spiel auf Hochtouren, und ein paar Matrosen plus Girls kamen aus dem Laden des belgischen Fotografen, wo sie sich vermutlich rittlings auf einem Kamel aus Pappmaché hatten ablichten lassen. Der Schrei eines Hot-Dog-Verkäufers durchschnitt die Luft

Er ging runter, und nach einer Weile konnte man schwach den Ozean riechen, gerade so viel, als hätten sie das bisschen Duft hier konserviert, um einen daran zu erinnern, dass hier mal ein schneeweißer Strand war, wo die Wellen anrollten und satte kremige Gischt über den nassen Sand verteilten und eine würzige Brise blies und man noch was anderes riechen konnte als nur abgestandenes Fett und kalten Schweiß.

An anderen Tagen musste Marlowe in die runtergekommene Gegend am Bunker Hill, zu den Geschlagenen und Ausgepowerten. Diese Tage waren genauso deprimierend wie die bei den Reichen, aber hier war der Detektiv mitleidiger und weniger zynisch. Die Häuser waren zu billigen Apartmentschuppen verkommen, vor denen alte abgewrackte Männer saßen, die, mit Gesichtern wie verlorene Schlachten, ins Leere starrten. Und aus den Türen kamen manchmal Frauen, die jung hätten sein sollen, aber aussahen wie schales Bier. Hier gab es Dreck und Elend und jede Menge Beschiss, und der Tod auf diesen gemeinen Straßen war tatsächlich gemein.

Aber diese Gemeinheit beschränkte sich weiß Gott nicht auf Bunker Hill. Da gab es zum Beispiel Geigers Porno-Buchladen in einer feinen Gegend am Hollywood Boulevard, wo sich die richtige Art Leute für zehn Dollar am Tag ihre künstlerisch wertvollen Wichsvorlagen ausleihen konnte. In Santa Monica hatte Dr. Sonderborg sein

Er fuhr mit der eiernden Strandbahn raus zur Mole und setzte sich an den Strand, wo es still und kühl war und ein großer brauner Haufen Seetang vor sich hin moderte. Draußen auf dem Meer dümpelten die schwimmenden Spielkasinos, sie machten gerade die Lichter an, und er überlegte zum hundertsten Mal, wie er da ohne spezielle Einladung (aber mit Knarre) an Bord kommen sollte. Er fuhr mit der nächsten Bahn zurück, fast bis in die Nähe des Hotels. Falls ihn jemand beschattete, tat er es ohne Beinarbeit. Jedenfalls fiel ihm nichts auf. Was ihm dagegen auf‌fiel, war der Hot-Dog-Verkäufer, der an seinem weißlackierten Barbecue-Wagen ein paar Dutzend Wienerwürste mit der Gabel kitzelte und dabei seinen Singsang abzog.

»Get hungry, folks, get hungry. Nice hot doggies. Get hungry …«

Er hatte ziemlich viel Kundschaft für die Jahreszeit. Marlowe musste eine Weile warten, bis er ihn für sich allein hatte.

»Wie heißt der Kahn, der da am weitesten draußen liegt?«, fragte er und wies mit seiner Nase in die allgemeine Richtung.

»Könnte sich ein Mensch mit einigem Zaster da draußen irgendwie die Zeit vertreiben?«, fragte er mal so ins Blaue hinein.

»Fragt sich, mit was.«

Er lachte, als hätte er einen Witz gemacht. Er legte ein bisschen Knurren rein, Marke harter Bursche, als Zugabe, für alle Fälle.

»Hot Doggies«, sang der Verkäufer. »Nice hot doggies, folks.« Dann senkte er die Stimme. »Weiber?«

»Nix. Ich dachte eher an eine Kajüte mit wehenden Vorhängen, würzige Brise, gutes Essen … und niemand, der einen belästigt. So ne Art Urlaub.«

Der Verkäufer schob seinen Karren ein paar Schritte weiter. »Ich versteh kein Wort«, sagte er über die Schulter. Er bediente wieder ein paar Kunden. Weiß nicht, warum ich mich mit ihm abgebe. Er hatte einfach so was im Gesicht, das einem eine bestimmte Ahnung gab.

Der Verkäufer brachte wieder seinen Singsang. Dann machte er einen Schritt nach hinten zu Marlowe und musterte ihn aus den Augenwinkeln.

»Jetzt sollte ich eigentlich Turkey in the Straw pfeifen«, sagte er. Pause. »Aber das würde was kosten.«

»Wie viel?«

»Fünfzig. Minimum. Es sei denn, Sie haben Dreck am Stecken.«

»Das hier war mal ne gute Stadt«, sagte Marlowe, »wo ne Menge Gras über Sachen wuchs und sogar ziemlich schnell.«

»Keine Ahnung«, sagte Marlowe. Er warf ihm einen Dollarschein auf die Platte. »Tun Sie’s dem Baby aufs Sparbuch. Oder pfeifen Sie mir Turkey in the Straw vor.«

Der Mann griff sich den Schein, faltete ihn der Länge nach, in der Breite und dann noch mal. Er legte ihn auf die Platte zurück, krümmte seinen Zeigefinger über den Daumen und schnalzte Marlowe das Ding gegen den Bauch. Es fiel lautlos in den Sand. Marlowe bückte sich, hob es auf und legte es wieder hin.

»Man schnalzt mir keinen Greenback an den Bauch. Man gibt ihn mir in die Hand. Na, wie wärs damit?«, sagte Marlowe und lehnte sich an den Tresen.

Der Mann nahm den zusammengefalteten Schein, faltete ihn auseinander, strich ihn glatt und wischte ihn mit seiner dreckigen Schürze ab. Dann machte er seine Registrierkasse auf und tat ihn rein.

»Es heißt, Geld stinkt nicht«, sagte er. »Manchmal frage ich mich, ob das stimmt.«

Marlowe sagte nichts. Der Mann fertigte wieder ein paar Kunden ab. Es wurde rasch kühl.

»Die Royal Crown können Sie mal abhaken. Ist nur was für kleine Hamster, die mit ihren Haselnüssen spielen. Sie sehn mir aus wie’n Privatschnüff‌ler. Aber das ist Ihr Bier. Ich hoffe, Sie sind ’n guter Schwimmer.«

Marlowe drehte sich um und ging weg. Montecito. Schöner Name. Hm. Und keine Rettungsringe an Bord.

Er suchte sich ein Restaurant, das nicht nach altem Fett roch, und fand eines mit einer roten Neonreklame über

Eine aufgedonnerte Schwuchtel mit roter Perücke drapierte sich über einen Flügel von der Größe eines Bungalows, kitzelte lasziv die Tasten und sang Stairway to the Stars mit einer Stimme, bei der die Hälfte der Sprossen fehlte.

Er schlürf‌te einen lapprigen Martini hinter dem Seegrasvorhang und setzte sich dann ins Restaurant. Das 85-Cent- Dinner schmeckte wie eine alte Mülltüte und wurde serviert von einem drahtigen narbigen Kellner, der aussah, als würde er einen für einen Vierteldollar bewusstlos schlagen, für 60 Cents die Kehle durchschneiden und für anderthalb Dollar plus Mehrwertsteuer eine Seebestattung in einem Kübel Zement besorgen. Er beschloss, sich nach einem umzusehen, der dazu aus der Bibel lesen konnte.

Denn stilvoll sollte es mindestens sein.

Es war jetzt etwas nach 9 Uhr, und man brauchte nur seinen Arm auszustrecken, um in eine Unterhaltung verwickelt zu werden. An der Bar war es laut, der Barmann verschüttete ein Glas, und schräge Typen, die wie Dealer aussahen, verschwanden eigenartig unauf‌fällig auf dem Herrenklo. Einer von ihnen war Bradschinkel, der einem mit seinen gezirpten Hi auf die Nerven fiel. Aus einem toten Winkel des Vorraums verfolgte Canaris, der Grieche, den Betrieb. Ein Glanzfleck wanderte über sein pomadisiertes schwarzes Haar, und es sah aus, als würde der Wedel der Zierpalme in dem Übertopf aus Messing neben ihm leicht zittern.

»Mein Laden gefällt Ihnen wohl nicht?«, sagte er.

Draußen hing ein Oktobermond unter einem verschmierten violetten Himmel. Bradschinkel stand vor einer Plymouth-Limousine, die Hose seines dunklen Anzugs um die Knöchel, und die eine der beiden Nutten wischte etwas vom Wagensitz, bevor sie einstieg. Es sah aus, als hätte er sich nach einer Überdosis übergeben.

Chandler traf auf seinen alten Freund Jones, den Taxifahrer. »Na, was Besonderes heute Abend?«

»Uh, nichts außer den üblichen engröckigen Blondinen mit gelackten Schiebern, die dir für ein Trinkgeld einen überziehen würden. Ein angenehmer Abend für schmutzige Geschäfte.«

»Recht habense«, sagte Jones und gab Gas, ein Schatten wischte dabei über sein teigiges Profil, das vor den Lichtern des Hollywood Boulevard wie ein Gipsabdruck wirkte. Mit der Dunkelheit wurde alles in dieser Stadt aufdringlicher. Die Mädchen. Die Gerüche. Die Schieber und die Bullen.

Das Büro lag zwischen dem Sunset Boulevard und der Ivar Avenue. Jemand hatte auf dem Schreibtisch ein zerrissenes Foto liegenlassen, daneben stand ein halbvolles Glas Portwein. Marlowe wischte den leichten Ekel weg, der an allem klebte, was mit diesem Fall zu tun hatte. Lisa Maxwell war wahrscheinlich einen guten Fick wert, wenn mans

Ein eiskalter Mond glänzt zwischen den Regenwolken über Haidhausen, und die Raben auf der Friedhofsmauer triefen vor Hunger und Mordlust.

»Hermes mit 40 für 10 im dritten Rennen?«, fragt ein Mann, der im Stehausschank Rendezvous eine zerknitterte Rennzeitung studiert, seinen Nachbarn.

»Keine Chance«, erwidert dieser und leert sein Schnapsglas.

Beide Männer ‌tragen identische schwarze Filzhüte und graue Regenmäntel. Grabstein-Luggi und Sargnagel-Sepp, die berüchtigten Detektive, die seit ihrer Pensionierung im Auf‌trag einer privaten Ordnungstruppe in Flughäfen und Hühnerställen, in Hundeasylen und auf Mülldeponien nach Rauschgift, Renitenz und ihrer Vergangenheit forschen, sind wieder unterwegs. »Heiße Spur in Haidhausen« war heute morgen die Order gewesen. Und so lauern die beiden Oldies, getarnt als Rennsportfans, seit sieben Uhr früh in den Stehausschänken und Wirtshäusern zwischen Rosenheimer Platz und Spichernstraße auf verdächtige Zeichen.

Eine Musikbox orgelt durch den engen Raum. An der Box lehnt ein schmächtiger Jüngling mit zerzaustem Haar und einem melancholischen Mund. Er drückt immer wieder dieselbe Platte.

»Wahrscheinlich ein Geheimzeichen«, denkt Sepp laut. »Knöpfen wir ihn uns doch mal vor.«

Während die Schnüff‌ler sich den jungen Mann, der übrigens Anselm heißt und Gehilfe des Kohlenhändlers Octavio Durst in der Breisacher Straße ist, vorknöpfen, strampelt sich jener Kohlenhändler aus einem alkoholischen Alptraum und entdeckt einen Raben auf seinem Fenstersims. Der Rabe starrt den Kohlenhändler unentwegt an; dabei rinnen ihm Tränen aus dem Schnabel.

Octavio, der glaubt, sein letztes Stündchen habe geschlagen, stimmt mit gewaltig krächzender Stimme ein Lied an, das er von seinem Großvater, einem Oberförster im Thüringischen, beizeiten gelernt hat:

Grab nur die Grube

Und pflanze die Veilchen,

Mein Durst geht tiefer,

Ich wart noch ein Weilchen.

Inzwischen ist die Vernehmung des Anselm im Stehausschank Rendezvous, wo immer noch die Musikbox orgelt, bereits weit gediehen. »Du gibst also zu«, drängt Sargnagel-Sepp, »dass der Kohlenhändler manche Geschäfte in der Nacht abwickelt?«

Der Wirt stellt drei Obstler auf den Tresen: »Gehts, jetzt nehmts schon mein’ Stehausschank als Revierstuben …«

»Halt d’Fressen«, zischt Grabstein-Luggi, »zu dir

Der Anselm hat auf den Kohlenhändler eine Sauwut. Der hat ihm nämlich seine Eva, die Tochter einer Gewürzkramerin vom Pariser Platz, ausgespannt; und weil ihm die Eva seitdem die kalte Schulter zeigt, kennt der Anselm, was den Kohlenhändler betrifft, kein Pardon.

Also plaudert er, er plaudert, was ihm eben in den Sinn und auf die Zunge kommt; er plaudert, indes der Himmel über Haidhausen in der Nacht versinkt und die Totengräber mit Würmern an den Stiefeln aus dem Friedhof wanken und die Tauben auf den Dächern und die Witwen in ihren Betten den Schnee schon spüren, der morgen fallen wird.

Wenig später schleichen die Detektive, Filzhüte tief in der Stirn, Schussfinger am Abzug ihrer Korkpistolen, in den Hof des Kohlenhändlers.

Wo alles finster ist. Nur im Hinterhaus, im zweiten Stock, schimmert mattes Licht durch ein Fenster. Kaum haben sich die Detektive dem Eingang genähert, öffnet sich das Fenster. Im Licht erkennt man die Umrisse einer fetten Mamsell, die eine lila Perücke trägt; und noch ehe die beiden Oldies überhaupt etwas machen können, ergießt sich ein Eimer voll Spülwasser über ihre Hüte. Und die lila Mamsell keift: »Octavio! Ich glaub, da sind die Spezis wieder, die dir immer dein Brennholz klauen!«

Wortlos, weil völlig durchnässt, dringen Sepp und Luggi in den Hausflur ein und erreichen über die knarzende Treppe die Wohnungstür des Kohlenhändlers.

Unterdes segelt eine einsame Regenwolke über die