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Werner Reichel

Wiener Tagebuch

Mein Alltag im roten Sumpf

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Inhalt

Vorwort

1. Kein Platz für Siegfried Marcus

2. Das Zeitungsparadoxon

3. Spucken als kulturelle Bereicherung

4. Die Grünen-Hölle mitten in Wien

5. Die Wiener Zeitmessung

6. Die Kübelpflanzen-Invasion

7. Ein großes Abschiedsfest

8. Ullis Wasser-Kolchose

9. Es lebe der Zentralfriedhof

10. Politisch korrektes Pinkeln

11. Stadt der toten roten Frauen

12. Summer in the City

13. Sommerspritzer

14. Menschlichkeit und Anstand

15. Politischer Straßenkampf

16. Kapitalistenjagd am Treppelweg

17. Das rote Paradies

18. Wo der Klassenkampf besonders heftig tobt

19. Ein Samstag im Multikulti-Spital

20. Macht einfach euren Job. Danke

Über den Autor

Impressum

Vorwort

Ich bin ein typischer Wiener. Geboren und aufgewachsen in Mistelbach im Weinviertel. Rund 40 Kilometer von Wien entfernt. Ein Gscherter also. Wie die meisten Wiener. Mit 18 Jahren zog ich in die große Stadt. Das war Mitte der 1980er-Jahre. Ostösterreich war damals eine Sackgasse, umgeben vom Eisernen Vorhang. Hier endete der Westen. Eigentlich ist er nie so richtig bis in diese Stadt vorgedrungen. Das rote Wien war eine Art Bindeglied zwischen Westeuropa und dem real existierenden Sozialismus im nahen Osten. Auch optisch. Der Sozialismus war auch in Wien durchaus real, die SPÖ herrschte mit absoluter Mehrheit. Seit Jahrzehnten. Dass sich das einmal ändern könnte, war zu dieser Zeit unvorstellbar.

Damals waren die Sozialisten, die zu dieser Zeit auch noch so hießen, Sozialisten und keine Bobos. Bürgermeister war ab Mitte der 1980er Helmut Zilk. Immerhin. Seither hat sich Wien verändert, stark verändert, obwohl oder gerade weil die Roten noch immer im Rathaus sitzen. Jetzt allerdings mit den Grünen als Mehrheitsbeschaffer. Die Bundeshauptstadt ist politisch nicht nur weiter nach links gerückt, es gibt jetzt auch mehr Radwege, weniger Parkplätze und dank der spendier- und schuldenfreudigen rot-grünen Stadtregierung ist Wien zu einem Magnet für Armutsmigranten von Islamabad bis Abuja geworden.

Der typische Wiener kommt jetzt nicht mehr aus den Bundes- oder Kronländern, sondern aus der Türkei, Afrika oder dem fernen Afghanistan. Die SPÖ braucht Wählernachschub. Ihre einstige Klientel, die Arbeiter, haben sie längst vergrault.

Deshalb wächst die Stadt. Knapp zwei Millionen Menschen drängen sich hier mittlerweile. Wien ist jetzt multikulturell bereichert. Mit allem was dazugehört. In einigen Gegenden erinnern nur noch die Fassaden der Gründerzeithäuser daran, dass man sich in Wien in Mitteleuropa befindet.

Und über allem schwebt der linke Geist der rot-grünen Stadtregierung. Man entkommt ihm nicht. Egal ob im Freibad, in der U-Bahn, am Friedhof oder im Museum. Selbst mitten in der Natur, im Wienerwald, grinst die rote Stadträtin Ulli Sima von Schautafeln und erklärt den Wanderern ihr segensreiches Wirken.

In Wien gibt es keine ideologiefreien Räume. Nicht einmal am Klo, wie Sie in diesem Buch noch erfahren werden. Das rote Wien ist wirklich überall. Damit muss man hier leben. Davon handelt dieses Büchlein – von meinen Alltagserfahrungen im roten Wien. Es sind die hier beschriebenen alltäglichen Erlebnisse, Eindrücke und Begegnungen, die einem die großen gesellschaftspolitischen Veränderungen und Umbrüche deutlich, unmittelbar und manchmal auch schmerzhaft vor Augen führen. Den Humor sollte man trotzdem niemals verlieren. Ich hoffe, das ist mir gelungen.

Dieser Band enthält, was ich in den vergangenen beiden Jahren in Wien erlebt habe, was mir aufgefallen ist, was mich geärgert oder amüsiert hat. Veröffentlicht habe ich diese kurzen Texte in meiner unregelmäßigen Kolumne, dem „Wiener Tagebuch“, auf dem erfolgreichsten Polit-Blog des Landes, der Webseite von Andreas Unterberger. Jetzt liegen sie – inkl. einer bisher unveröffentlichten Geschichte – in diesem Buch gesammelt vor. Ich wünsche Ihnen eine vergnügliche Lektüre. Fortsetzung folgt.

Werner Reichel

Wien, November 2019

1. Kein Platz für Siegfried Marcus

Sonntagnachmittag. Ausflug mit meinem Jüngsten ins Technische Museum. Ich war schon länger nicht mehr da. Mit diesem Museum verbinde ich schöne Erinnerungen. Kindheitserinnerungen. Lange her. Jetzt leitet eine Pädagogin und Philosophin das Haus. Ich bin gespannt.

Gleich im Eingangsbereich hinter den Kassen ist einiges los, hoher Lärmpegel inklusive. Grund dafür ist eine Rutsche. Eine mit Geschwindigkeitsmessung. Wir sind schließlich im Technischen Museum. Kinder stehen Schlange und rutschen kreischend und möglichst schnell. Rundherum Mütter, Väter, ausgezogene Schuhe und Kinderwägen. Das Museum ist eine Art Indoor-Spielplatz für die Kleinen. Eh sympathisch, aber irgendwie eine Themenverfehlung.

Wir wenden uns nach links, in eine ruhigere Ecke. Dort erklärt mir eine Schautafel, dass es im „Sinn der historischen Genderbetrachtung“ Aufgabe des Museums sei, Frauen in der Technik sichtbarer zu machen. Löblich. Irgendwie scheint das Museum diese Aufgabe aber nicht sehr ernst genommen zu haben. Beim weiteren Rundgang begegne ich relativ wenigen Ingenieurinnen, Erfinderinnen oder Technikerinnen. Aber vielleicht hat das ja auch einen ganz anderen Grund. Wer weiß.

Mein Sohn und ich wechseln in den ersten Stock, dorthin, wo die großen Generatoren stehen. Hier gibt es auch eine Ecke, die sich der Kernkraft widmet. Wobei das nicht ganz stimmt. Eigentlich geht es in diesem Teil des Museums um die Anti-Atomkraft-Bewegung. Hier gibt es alles, was das Herz eines Alt-Ökos höherschlagen lässt: Plakate, Sticker, Fotos und einen überdimensionalen Atomkraft-Nein-Danke-Button. Über die Atomkraft selbst erfährt man relativ wenig – wozu gibt es Wikipedia –, außer, dass sie sehr gefährlich ist. Gleich in Sichtweite steht ein Hainburg-Gedenkschrein mit Auhirsch Günther Nenning und anderen Helden der 1980er-Öko-Bewegung in Lebensgröße. Im Technischen Museum werden die grünen Fortschrittsfeinde noch in Ehren gehalten. Skurril. Die erneuerbaren Energien werden selbstredend fast ausschließlich positiv dargestellt. Von der desaströsen Energiewende in Deutschland erfährt man hier nichts.

Schnell weiter. Wir landen in einer Smart City, einer linken, urbanen Vision. Hier wird mit Multikulti-Weisheiten nicht gespart. Dieses sinnentleerte Geschwurbel erträgt man nur mit viel Humor. Politisch korrekte Prosa auf jedem Schild. Besonders gut gefällt mir dieses hier: „Ich bin da. Und wir sind Stadt. Städte leben von Zuwanderung. (…) Zuwanderung bringt Fremdes und Neues in die Stadt. (…) Ein Universum an Träumen und Ängsten (…)“ und so weiter. Ich hole schnell meine Eintrittskarte aus der Hosentasche. Ja, da steht es, ich bin im Technischen Museum.

Wir wechseln in den anderen Flügel. Ein weißer Ford Transit parkt direkt neben dem 120 Tonnen schweren LD-Tiegel aus einem alten VÖEST-Werk. Komisch, denke ich, Autos sind doch in den oberen Stockwerken zu sehen. Hat sich wohl verfahren. Doch es ist ein ganz besonderer Kleintransporter. Er hatte einem ungarischen Schlepper gehört. Und warum steht er jetzt im Museum? Ein Taferl klärt auf: „Doch Technik wird auch dazu benutzt, um Grenzen illegal zu überschreiten – ein Beispiel dafür ist ein Schlepperauto.“ Aha. So gesehen könnte man eigentlich alles in dieses Museum stopfen. Punschkrapferl, Blumentöpfe, Zahnstocher, Radiergummi, Kartoffelschäler. Hat auch alles was mit Technik zu tun.

Mein Sohn wird ungeduldig. Verständlich. Wir gehen in den nächsten Stock. Hier widmet sich ein Flügel der Arbeitswelt. Klingt nicht sehr spannend, wir gehen trotzdem rein. Es handelt sich um eine Art Arbeiterkammer-ÖGB-Flagshipstore. Wer sich dort länger als eine Stunde aufhält, der singt am Nachhauseweg die Internationale. Freiwillig. Zu sehen ist etwa ein alter großer Schreibtisch mit dem Schildchen: „Wer im Chefsessel eines großen Unternehmens sitzt – und das ist meist immer noch ein Mann – erhöht seinen Spitzenstatus seit jeher mittels Prestigemerkmalen, die selten funktionale Bedeutung haben.“ Aha. Gewerkschaftsinsiderwissen.

Wir flüchten. Nach so viel Ideologie wollen wir einfach nur die Oldtimer sehen. An die alten Automobile habe ich die besten Erinnerungen. Wir irren herum, finden sie nicht. Alle weg? Nicht ganz. Nach einigen Minuten sind wir am Ziel. Es ist eine Autoecke. Die österreichische Automobilgeschichte zusammengedrängt auf engstem Raum. Die wenigen verbliebenen Exponate stehen, wie in einer Parkgarage, eng aneinander und übereinander gereiht. So eng, dass man sie nicht richtig betrachten kann. Selbst der berühmte Marcus-Wagen wird völlig lieblos präsentiert, als wäre es irgendein Auto. Hätte Siegfried Marcus ein Windradl oder ein Lastenfahrrad zusammengeschraubt, ja dann. Aber so.

Es ist eine Schande. Die Museumsmacherinnen scheinen eine Aversion gegen den motorisierten Individualverkehr zu haben. Nicht ganz, denn der innigen Beziehung von Alban Berg zu seinem „Wagerl“, einem alten Ford A, wird viel Platz eingeräumt. Es geht um die emotionale Beziehung, die man zu einer Maschine haben kann.