Roman Nies

Die Pastoralbriefe

Ein heilsgeschichtlicher Kommentar

Treue in Dienst und Glauben

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Die Pastoralbriefe

Ein heilsgeschichtlicher Kommentar

Inhalt

Der erste Brief an Timotheus

Vorbemerkungen

1.

Rechte Lehre, rechter Glauben1
Tim 1,1-12

2.

Wie Ehre und Herrlichkeit werden
1 Tim 1,13-17.20

3.

Das vollumfängliche Heil ist für alle da
1 Tim 2,1-4

4.

Der Zorn Gottes und der Zorn des Menschen
1 Tim 2,8

5.

Schöpfungsordnung ist Heilsordnung
1 Tim 2,5-15

6.

Gemeindemodelle 104
1 Tim 3,1-15

7.

Gottseligkeit oder Irrgeistigkeit 114
1 Tim 3,16; 4,1-3.7-11

8.

Missionierungsfragen 136
1 Tim 4,4-6

9.

Anweisungen zum Dienen
1 Tim 4,12-6,21

Der zweite Brief an Timotheus

Vorbemerkungen

1.

Ermahnungen zur Standhaftigkeit
2 Tim 1,1-18

2.

Ermunterungen zur Treue
2 Tim 2,1-13

3.

Streit und Irrlehren
2 Tim 2,14-26

4.

Endzeitgedanken
2 Tim 3,1-9

5.

Naturalismus kontra Gotteswesen
2 Tim 3,1-9

6.

Die Formen der Frömmigkeit
2 Tim 3,5

7.

Durchhalten!
2 Tim 3,13-17; 4,1-18

Der Titusbrief

1.

Der Aufseherdienst
Tit 1,5-16

2.

Tugend und Heil
Tit 2-3

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Der erste Brief an Timotheus

Vorbemerkungen

In den Pastoralbriefen schreibt Paulus seinen Mitarbeitern, wie sie ihren Dienst für Gott verstehen und ausführen sollen. Glauben, d.h. die vertrauensvolle Hinwendung zu Jesus Christus als Herr über Leben und Tod, als Heiland und Erlöser, steht bei Paulus immer in einem engen Zusammenhang mit der Dienstbereitschaft, denn aus dem Glauben, dem Begreifen, wie das Verhältnis zwischen Christus und dem Menschen sein soll, erwächst unmittelbar das Handelnwollen für diesen Christus. Es geht ja um das Heil nicht nur der eigenen Person, das allumfassend die eigene Persönlichkeit voll und ganz erfassen und durchdringen soll. Es geht um das Heil Israels und aller Nationen, ja, der ganzen unerlösten Schöpfung. So jedenfalls sieht es Paulus. Glauben – das ist Lebenspraxis und Umsetzung der Nachfolge, die bei jedem etwas anders aussehen kann, weil die Berufenen verschiedene Gaben und Aufgaben haben. Treue – das ist die uneingeschränkte Zurverfügungstellung dessen, was man ist und hat für den Gott Israels und damit auch, weil man es sonst nicht könnte, die vertrauensvolle Hingabe.

Dies sagt sich auch deshalb so leicht, weil Paulus, wie alle, die seinem Vorbild gefolgt sind, eine unmittelbare Bestätigung der Richtigkeit dieses Weges bekommen hat. Ob man die im Eifer des Gefechtes immer gleich versteht und erkennt, ist wieder eine andere Sache. Dennoch gilt, das Gehen mit Christus geschieht nie allein und Christus hinterlässt Seine unverkennbaren Spuren im Werdegang des Menschen, der auch zunehmend bewusst gemacht worden sein wird.

Die Treue in Dienst und Glauben hat ein weites Spektrum an Lebenserfahrungen. Sie ist aber auch Gefahren ausgesetzt. Zu allererst Gefahren des Weges selbst. Im Falle von Paulus und seinen Gefährten waren vor allem Juden immer wieder als Widersacher erkannt worden. Sie waren in den kleinasiatischen und griechischen Gemeinden, als auch in Rom und in den übrigen Provinzen des Römischen Reiches die Hüter des Glaubens an den Gott Israels. Die Anhänger Jesu waren zunächst nur als Sektierer betrachtet worden. Daran änderte sich auch nichts, nachdem die Gemeinde um Jakobus, den Bruder Jesu, in Jerusalem beträchtlich angewachsen war und viele Sympathisanten bekommen hatte. Es war eine der ersten Prioritäten dieser Ortsgemeinde, die Juden in Jerusalem und Judäa und dann auch Samarien und Galiläa von ihrer Existenzberechtigung zu überzeugen. Darin waren sie nur mäßig erfolgreich. Jesus hatte ihnen das vorausgesagt (Mt 10,23).

Die Legitimität ihres Anliegens nachzuweisen gelang ihnen also nur teilweise. Ihre erste Errungenschaft war dabei gewesen, dass diese Glaubensrichtung überhaupt als Sekte geduldet war. Das wiederum konnte nur gelingen, weil die Jesusjünger sehr darauf bedacht waren, die Torah zu halten und ein gesittetes Leben zu führen. Man nannte das auch im Volksmund „Gerechtigkeit“. Wenn Jakobus zu den nichtmessianischen Juden sprach, sprach man die gleiche Sprache und Jakobus wurde verstanden, wenn er sagte: „Der Glaube, wenn er keine Werke hat, ist in sich selbst tot.“ (Jak 2,17) und „Der Glaube wirkt mit seinen Werken zusammen und der Glaube wird aus den Werken vollendet.“ (Jak 2,22) Das war damals bei den Juden gängige Meinung und geltende Glaubensmaxime und ist es bis zum heutigen Tag für orthodoxe Juden geblieben, denn das war die Lehre des Alten Testaments. Was die Gemeindemitglieder in Jerusalem, die auch nur das Alte Testament als geschriebenes Wort Gottes hatten, von den übrigen Juden unterschied, war der Glaube an Jesus Christus als Messias.

Ganz anders war die Verkündigung des Paulus zu bewerten. Man verstand ihn als Gegner der Beschneidung und der Torah. Dazu hatte man schwerwiegende theologische und von Gottes Wort her gestützte Einwände gegen die paulinischen Lehren. Darüber hinaus vertrat Paulus aber etwas, was für viele Juden vielleicht sogar noch schlimmer war. Paulus griff die Sonderstellung Israels, nach ihrem Verständnis, an, denn bisher konnte nur ein Jude in den Genuss der Verheißungen und der Bündnisse mit Gott kommen. *1 Paulus lehrte, dass ein Nichtjude kein Jude werden musste und kein Mitglied in der Gemeinschaft des israelitischen Volkes. Das war nicht hinnehmbar. Und das war auch genau der Punkt, der den Jüngern Jesu schwer verdaulich war. Das zeigen einige der Vorkommnisse, die in der Apostelgeschichte, aber auch in den Briefen von Paulus beschrieben werden. *2

Und so hatte Paulus mit den seinen einen Mehrfrontenkrieg auszufechten. Da waren die Heiden, die sich gegen diese Verleumdungen von Paulus, der ihre Götter als Taugenichtse darstellte, zur Wehr setzten; da waren die Behörden, die die öffentliche Ordnung zu schützen hatten, die Paulus mit seinen Reden gefährdete; und schließlich waren da die Juden, die in ihm einen Häretiker erkannten, der Unfrieden und Verwirrung in die Synagogengemeinden brachte, wobei es klar ist, dass es darunter messianische Juden gab, die Paulus als schärfste Gegner erkannte, denn sie vertraten den orthodoxen Glauben an Jesus Christus, so wie er schon seit Jahrzehnten von den Getreuen Jesu gelebt worden war.

Paulus war ein krasser Außenseiter und wurde von den meisten als Störfaktor betrachtet. Es wäre unerklärlich wie es dieser Mann mit seiner Hand voll Freunde geschafft haben konnte, die in der Entstehung begriffene Weltreligion so entscheidend mitzuprägen, wenn man nicht den Beistand, den er für sich behauptete, nicht wirklich gehabt hätte. Nicht die Briefe eines Bartholomäus oder Andreas oder Philippus sind erhalten geblieben, sondern eines Paulus.

Dass Paulus kein Gegner der Torah oder Beschneidung war, wie er immer wieder dargestellt worden war, blieb seinen Kritikern unverständlich. Das nicht zu verstehen, ist überhaupt ein Merkmal dafür, dass man heilsgeschichtlich keinen Horizont hat, unter dem man alles andere eingeordnet hat. Das erklärt die unendlich vielen christlichen Kirchen und Abspaltungen, deren Lehren im Vergleich zueinander wie Kraut und Rüben ins Feld schießen. Paulus zu verstehen, ist der Schlüssel zum Verständnis der Heilsgeschichte Gottes. Wer die Theologie des Paulus nicht verstanden hat, kennt Gott nicht so, wie Er erkannt werden will.