Über Erwin Strittmatter

Erwin Strittmatter wurde 1912 in Spremberg als Sohn eines Bäckers und Kleinbauern geboren. Mit 17 Jahren verließ er das Realgymnasium, begann eine Bäckerlehre und arbeitete danach in verschiedenen Berufen. Von 1941 bis 1945 gehörte er der Ordnungspolizei an. Nach dem Kriegsende arbeitete er als Bäcker, Volkskorrespondent und Amtsvorsteher, später als Zeitungsredakteur in Senftenberg. Seit 1951 lebte er als freier Autor zunächst in Spremberg, später in Berlin, bis er seinen Hauptwohnsitz nach Schulzenhof bei Gransee verlegte. Dort starb er am 31. Januar 1994. Zu seinen bekanntesten Werken zählen sein Debüt »Ochsenkutscher« (1950), der Roman »Tinko« (1954), für den er den Nationalpreis erhielt, sowie die Trilogie »Der Laden« (1983/1987/1992).

Informationen zum Buch

Ein eigensinniger Träumer.

Der eigenwillige Held machte den Roman berühmt. Ole Bienkopp glaubt an Gerechtigkeit. Für ihn ist vernünftig, was Menschen nutzt. Voll Trotz und Zorn tritt er gegen den allmächtigen Parteiapparat an, der ihn im Stich gelassen und tödlich enttäuscht hat. Allein versucht er, einen Plan umzusetzen, der ihm gut, den anderen aber schädlich erscheint.

»Renaissancehafte Lebenslust und scharfe politische Aktualität« Lew Kopelew

»Es ist unmöglich, Strittmatters Roman nachzuerzählen, denn seine Besonderheit ist die lebensvolle Einheit von Dichtung und Wahrheit, eine geradezu renaissanceartige Lebenslust und scharfe politische Aktualität. In diesem Buch findet man alle Farben und Düfte der Erde, den Atem der Felder und Wälder. Eine originelle Sprache, die bald brodelt und kocht, bald frei dahinfliegt, deren Wortschatz und Tonfall an Sagen, an Volkslieder erinnern und stellenweise ganz natürlich in Versmaß übergehen. In diesem Buch entstehen absolut authentische Bilder aus dem Bauernleben in den schwierigen Anfangsjahren der DDR.« Raissa Orlowa, Lew Kopelew

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Erwin Strittmatter

Ole Bienkopp

Roman

Inhaltsübersicht

Über Erwin Strittmatter

Informationen zum Buch

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Erster Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Zweiter Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Impressum

Erster Teil

1

Die Erde reist durch den Weltenraum. Der Mensch sendet eiserne Tauben aus und harrt ungeduldig ihrer Heimkehr. Er wartet auf ein Ölblatt von Brüdern auf anderen Sternen.

Was ist ein Dorf auf dieser Erde? Es kann eine Spore auf der Schale einer faulenden Kartoffel oder ein Pünktchen Rot an der besonnten Seite eines reifenden Apfels sein.

Der Bauer Ole Bienkopp, dieses große Kind, friert zuweilen. Er sucht Wärme bei seiner Frau. »Was muss ich tun, damit du mich in dein Bett nimmst und wärmst?«

Anngret ist in üppigen Jahren; nicht gerade ein glühendes Eisen, aber sie weiß, was sie will. »Könntest du dir einen Bart wachsen lassen?«

Einen Bart? Was ist ein Bart? Eine Zierde? Ein Versteck? Resthaar vom Affen? Gebüsch in der Gesichtslandschaft, das seichte Stellen oder Untiefen zudeckt?

»Einen Bart?« fragt Ole.

»Einen englischen Bart«, sagt Anngret.

»So einen, wie ihn Sägemüller Ramsch trägt? Niemals!«

»An den hab ich nicht gedacht«, sagt Anngret.

Ole kann den Wunsch seiner Frau nicht übergehn. Er will gewärmt werden. Er lässt sich eine sogenannte Schifferkrause wachsen. Der Schifferbart wird hart.

Anngret verzieht die Nase, wenn Ole ihr damit zu nahe kommt. »Schneid das Gestrüpp an deinem Kinn ab!«

Ole tut es. Er will gewärmt sein.

Die Bienkopps leben wie die Tauben, wenn man bedenkt, dass auch diese Friedensvögel ab und zu zanken, wild girren und mit den Flügeln schlagen.

Anngret ist auf das Ihre bedacht und hat herrische Anwandlungen. Vielleicht verfolgt sie besondere Ziele mit der Vermehrung ihres Wohlstandes?

Ole ist stark, arbeitsfroh und lebenslustig. Er schöpft aus dem vollen, jedoch an gehäuften Schätzen liegt ihm nichts. Was er hat, sollen auch andere haben. Er verborgt Maschinen, Zugvieh, Saatgut und ist nicht ohne Grund Vorsitzender der GEGENSEITIGEN BAUERNHILFE, im Dorf kurz BAUERNHILFE genannt.

Die BAUERNHILFE hält einen Stier für das Dorf. Der Bull ist mächtig und macht seine Sache. Breite Brust, Beine wie Säulen, Hörner wie eine Heugabel und Volldampf in den Adern. Die Kühe sind zufrieden. Die Bauern sind zufrieden. Anngret ist nicht zufrieden. Ja, was will sie denn?

Anngret geht zu Jan Bullert, dem die BAUERNHILFE den Zuchtstier zur Pflege anvertraute. »Wo steht geschrieben, dass euer Stier auf dem Throne sitzen und sich die Kühe kommen lassen darf?«

Jan Bullert lacht, dass es im Stallgang schallt. »Willst du menschliche Sitten beim Vieh einführen? Soll der Stier nachts durchs Fenster zu deiner Kuh steigen?«

Anngret spuckt wie eine gereizte Katze. »Mach deine Witze mit Leuten, die zu dir passen!« Sie besteht darauf, der Stier der BAUERNHILFE soll bei Bedarf zu ihr in den Stall gebracht werden. Sie besitzt fünf Herdbuchkühe; sie kann es verlangen.

Jan Bullert denkt nicht daran, mit seinem Stier von Haus zu Haus zu ziehn wie ein Leiermann. Das Geplänkel zwischen ihm und Anngret hängt kichernd in der Luft. Anngret geht verbissen umher.

Wieder kommt einer von Oles Frosttagen. »Was muss ich tun, damit du mich in dein Bett nimmst und wärmst?«

»Wenn du mir meine Arbeit erleichtern und erlauben wolltest, dass ich einen Bullen aufstall …«

Ein Bull für fünf Kühe? Das ist für Ole eine Fressmaschine mit Hörnern, unausgenutzter Dampfdruck, ein Explosionsherd im Stall. »Es ist doch ein tüchtiger Zuchtbull im Dorf«, sagt er. Anngret antwortet nicht. Sie geht umher, gertenschlank und verführerisch, eine mit Rauhreif überzogene Gerte.

»Allerdings …«, sagt Ole schließlich … »Wenn der Stier dir die Arbeit erleichtert …«

»Ausgezeichnet. Danke!« Anngret hat gewonnen.

Ole wird gewärmt, oder er wärmt sich selber. Wer kann das wissen?

2

Das erste Jahr nach dem Großen Kriege war für die Dorfleute wie das Jahr Null. Es sah so aus, als begännen alle ihr Leben von vorn. Gerechtigkeit in allen Stücken, bitte; nur keinen Krieg wieder. Anton Dürr, Ole Bienkopp und andere Gerechtigkeitsprediger hatten es leicht.

Altbauer Serno kam gemagert, mit lappiger Haut vom Treck zurück. Er sah jetzt aus wie ein halb geleerter Zweizentnersack und war sich nicht zu schade, eigenbeinig hinterm Pflug mit den zwei geretteten Pferden einherzutrampeln. Sein Leberleiden war verschwunden.

Sägemüller Ramsch arbeitete eigenhändig an der Gattersäge und schnitt Dachlatten zum Ausbessern kriegsbeschädigter Haus- und Stalldächer. Die Dachlatten schenkte er für ein paar Zigaretten her. Allerdings waren Zigaretten um diese Zeit eine wertbeständige Währung.

Mampe-Bitter, der ehemalige Dorfschneider, kehrte saufselig und singend heim. Er hatte nichts verloren; er hatte nichts zu verlieren. Was er brauchte, würde er finden. Die Welt und der Wodka lagen vor ihm.

Nicht zu reden von den fünfzehn Neubauern, die im Jahre Null unter den gleichen Bedingungen in eine neue Zukunft marschierten: Jeder hatte sechs Hektar Land, etwas Wald und etwas Wiese aus den Vorräten des geflüchteten Herrn von Wedelstedt erhalten. Die Dorfstraße war wie eine Startlinie, auf der der Gang in ein neues Glück begann. Die neuen Bauern halfen einander und lebten in Frieden wie ausgebildete Christen. Alles hätte gut gehn können zur Freude der Menschen im Himmel und auf Erden.

Aber welche Hexerei! Ein Jahr später löst sich das gedrängte Feld der Glücksucher auf. Es gibt Fußkranke, Auskenner, Leute, die mit den Ellenbogen nach rechts und nach links, nach vorn und nach hinten stoßen, Leute, die sozusagen auf vier Beinen voran hasten, den Kopf um eine Länge voraus.

Seitdem sind mehr als fünf Jahre vergangen, und mit dem neuen Glück breitete sich neue Ungleichheit aus.

Sophie Bummel treibt ihre magere Kleinkuh auf Bienkopps Hof. Die Kuh ist brünstig, so gut das bei ihren mageren Rippen und Hüften geht. Die Neubäuerin Bummel hofft, den freigebigen Ole anzutreffen, aber der ist nicht daheim. Es ist Oles Frau Anngret, mit der sie reden muss. »Anngret, liebe Anngret, lass deinen Berg von einem Bullen auf mein Kühchen springen!«

Anngret badet sich in den Bittworten wie Kleopatra in der Stutenmilch. Sie denkt dabei merkwürdigerweise an Sägemüller Ramsch, einen studierten Menschen und Herrn.

Weshalb treibt Sophie mit ihrer Kleinkuh nicht zur BAUERNHILFE, zum staatlich angestellten Bullen? Die Arbeit des Gemeinschaftsbullen muss bar bezahlt werden. Sprunggeld, Sophie hat kein Bargeld im Hause. – Ist sie nicht Bäuerin auf sechs Hektar Land aus der Bodenreform wie Anngret? Das wohl, aber Sophie zählt zu den Fußkranken beim Gang ums Glück. Ihr Mann Franz Bummel hat kleine Leidenschaften, und die fressen Fünfmarkscheine.

Anngret steht auf der Wohnhaustreppe und schaut auf Sophie Bummel und ihre Kleinkuh hinab. »Ist sie gesund, deine Kuh? Hat sie keinen Katarrh unterm Schwanz, keine Tuberkeltierchen im Leib?«

Die abgehetzte Sophie wischt ihrer Kuh mit der Schürze die Augen aus. »Meine Kuh frisst wie ein Raubtier. Wird sie da krank sein?«

Ja, ohne nichts und wieder nichts kann auch Anngret ihren Bullen nicht auf Sophies Kuh springen lassen. Der Stier kostet sein Geld, wurde bar bezahlt und nutzt sich ab. »Wirst du im Frühjahr zwei, drei Tage Möhren bei mir jäten für den Sprung?«

Sophie Bummel verspricht's.

Anngret holt den Stier aus dem Stall. Sie lässt ihn auf die kleine Kuh springen. Man möchte sagen, die Funken stieben. Die magere Kuh bricht fast zusammen. Anngret lacht lüstern. Die abgehetzte Sophie lächelt. Für ein zufriedenes Lachen fehlen ihr zwei Vorderzähne.

3

Jan Bullert spitzt die Ohren: Ein Gegenstier ist ins Dorf gezogen. Bullert trifft seinen alten Hütebruder Bienkopp. Sie reden vom Wetter, von Kraut und von Rüben, sie reden von Frauen, sie reden vom Vieh und seiner Vermehrung. »Ist euch der Bull der BAUERNHILFE nicht vornehm genug?« fragt Jan Bullert. Ole, der Vorsitzende der BAUERNHILFE, hat zwei Jahre zuvor veranlasst, dass der Gemeinschaftsbull angekauft wurde. Nun dieser Bull seiner Frau! Bienkopp fuchtelt verlegen und findet in der Not eine Ausrede: »Die Frauen sind gleichberechtigt, sagt das Programm.«

»Na und?«

»Wetz deine Worte an Anngret!«

Bullert, der Stierhalter der BAUERNHILFE, setzt sich nicht mit Anngret auseinander. Der Gegenstier schmälert seine Deckgeldprozente. Bullert verbrämt den Umstand politisch: Der Gegenstier ist privat, er ist reine Feindarbeit. Bullert beschwert sich beim Sekretär der Partei.

Die Partei heißt EINHEITSPARTEI DER SOZIALISTEN, aber niemand im Dorf nimmt sich den Atem für ein so umständliches Wort. Jedermann sagt: Partei. Jedermann weiß, was gemeint ist.

Der Parteisekretär heißt Anton Dürr. Anton ist Waldarbeiter, klein und knorrig – ein Kiefernzapfen. Er kann sowohl scharf-gütig als auch gütig-scharf sein. Klein von Wuchs und groß im Verstehen. Ein heller Kopf, eine Fackel für Blumenau, ein Mann an allen Schaltern des Dorflebens. Er hat viel hinter sich und viel vor sich. Die Genossen vom Parteisekretariat in Maiberg bemühen sich um Anton. Soll so ein Hellkopf und Draufgänger nicht ein Amt in der Stadt übernehmen? Anton schaut kaum von der Arbeit auf.

»Im Walde werden auch Köpfe gebraucht!«

Kreissekretär Krüger versucht es bei Anton. »Wenn die Partei nun beschließt?«

Anton wird traurig. Er ist der Sohn wandernder Landarbeiter, der die Dorfschulen häufiger als die Hosen wechselte. Er ist nicht geübt im Schreiben. Das ist die Wahrheit.

Kreissekretär Krüger lässt sich nicht abschütteln. Das Leben ist kein stinkender Teich. Es ist ein Fluss. Was nicht ist, kann werden. Auch Karl Krügers Eltern waren keine Gelehrten. Karl schrieb in seiner Jugend alle Ungerechtigkeiten auf. Das tröstete. Viele Ungerechtigkeiten – er lernte das Schreiben dabei. Was tat's, wenn er das Wort arbeitslos zunächst mit einem doppelten O schrieb? Das Absperren der Armen von der Arbeit blieb mit einem einfachen und mit einem Doppel-O eine Ungerechtigkeit! Leute in China lernen mit sechzig Jahren schreiben. Wie alt ist Anton? Knapp fünfundfünfzig. »Geh zum Genossen Lehrer! Lern schreiben!«

Anton Dürr besieht seine harzigen Hände. Er schleicht abends zum Lehrer. Der Lehrer will mit ihm in die Schulstube. Dort hängt die Wandtafel. In der Schulstube ist's Anton zu hell.

Der Lehrer schreibt Buchstaben an den Ölfarbensockel seiner Küche. Das Nachschreiben fällt Anton schwer, schwerer als das Nachsägen von krummen Linien eines Holzhauerblaustiftes.

Anton übt auch daheim. Zuerst singt er laut den Holzhackertanz.

»Wirst du närrisch?« fragt seine Frau Emma. »Die Kinder schlafen!« Das wollte Anton feststellen. Die Kinder sollen nicht sehn, wie der Vater mit Pfeil und Bogen des Abc-Schützen, gewissermaßen wie ein Wilddieb, durch die Wälder der Gelehrsamkeit strolcht.

Anton setzt sich, schreibt und ächzt. Er schwitzt. Emma sieht ihm über die Schulter. »Soll das ein Y oder ein J sein?«

»Ich habe mehr an ein J gedacht.«

Emma ist nicht zufrieden. »Wenn das ein J ist, so ist der Ochs eine Kuh ohne Euter!«

4

So geht's an guten Abenden, wenn Anton daheim ist. Er ist nicht oft daheim. Er hat Sitzungen, Besprechungen und muss die unsichtbaren Wunden der verschiedensten Dorfleute heilen. Operationen und Desinfektionen!

Da ist zum Beispiel Sägemüller Ramsch, der unzufrieden und tückisch umhergeht. Er behauptet, die kommunistische Dorfregierung behindere die Entfaltung seiner Geschäfte. Zuwenig Zaunholz, zuwenig Derbstangen und Rohmaterial. Ramsch wird seine Leute entlassen, wird sie Anton und seinen Genossen als Arbeitslose vor die Tür setzen, bitte.

Anton macht Blockpolitik, redet mit Ramsch. Geht's dem Sägemüller wirklich nur ums Wohl der Sägewerksarbeiter, oder geht's ihm um andere Dinge? Zäune sind ein gutes Geschäft. Ob Gitter, ob Lattenzäune – für einen Sägemüller hängt Geld drin. Anton und Ramsch reden und streiten in aller Öffentlichkeit. Das Dorf hört zu. Dieser und jener lernt etwas, aber der Sägemüller nicht; er besitzt Maschinen und Macht.

Kaum ist Anton mit dem örtlichen Sägemüller fertig, da beschwert sich der Leiter des volkseigenen Sägewerkes aus Maiberg. Sägemüller Ramsch wird vom Revier Blumenau bevorzugt mit Zaunholz und Derbstangen beliefert. Wo bleibt die Gerechtigkeit? Wo die gewerkschaftliche Überwachung?

Anton Dürr kann Ungerechtigkeiten nicht ertragen. Er befragt Förster Flunker: »Nach welchen Gesichtspunkten verteilen wir Rohholz?«

»Nach Plan«, antwortet Flunker, doch er sieht dabei in die Waldwipfel, als seien die Krähen dort oben wunderseltene Auslandsvögel. In der Schenke schaut der Revierförster ins Bierglas, als suche er auf dem Glasgrunde nach Stichlingen. Anton legt sich gewissermaßen auf die Lauer.

Der Förster besucht zuweilen Sägemüller Ramsch. Der Sägemüller macht Gegenbesuche bei den Förstersleuten. Freundliche Grüße von Haus zu Haus … Ramsch trinkt beim Revierförster ein paar Gläschen selbstgezimmerten Honigschnaps. Sie plaudern über die Waldwirtschaft früher und heute. Eine Stunde. Der Sägemüller geht wieder. »Good bye!«

»Weidmannsheil!«

Am Morgen findet die Förstersfrau beim Fegen des Wohnzimmers einen Hundertmarkschein. Sie überlegt angestrengt, wer ihn verloren haben könnte. Sie kommt und kommt nicht drauf. »Am Ende ist es mein eigener Hunderter«, sagt der Förster. »Richtig, ich habe ihn an der Hosentasche vorbeigesteckt.« Die Förstersfrau ist flinker. »Nein, jetzt kommt mir fast ein, dass der Schein aus meiner Einkaufstasche fiel!«

Das Finderglück wiederholt sich nach dem nächsten Besuch des Sägemüllers. Alles hätte gut gehen können, aber da verliert der Sägemüller einen verfallenen Hunderter. Der Schein stammt aus der Zeit vor dem allgemeinen Geldumtausch. Die Förstersfrau hat es eilig, sieht nicht genau hin und rafft auch diesen Findling ein. Sie zieht ihn im Konsum aus der Geldtasche. Das Konsumfräulein, die Genossin Danke, erkennt mit geübtem Blick die Krankheit des Hunderters. »Leider.« Die Förstersfrau errötet bis in den Blusenausschnitt. Soll sie als Betrügerin dastehen? »Gemeiner Kerl!«

»Wer, bitte?«

»Sägemüller Ramsch!«

Im Konsumladen stehen Dorffrauen.

»O Gott!«

5

Aber Gott half nicht. Die Geschichte dringt bis an Anton Dürrs Ohren. Ist's jetzt üblich, dass der Revierförster sein Gehalt vom Sägemüller bezieht? Die Ruhelosigkeit der Försteraugen wird erklärbar.

Bevor Anton und seine Männer aber Förster Flunker um Rechenschaft bitten können, packt der Mann seine Koffer, greift seinen Dackel und verschwindet mit der Frau in der Sonnenuntergangsrichtung.

Anton muss vorläufig auch noch die Arbeit des Revierförsters übernehmen. Das hat er von seinem Gerechtigkeitssinn.

Anton tröstet sich: Ein Leben ohne Schwierigkeiten ist ein Ballon ohne Ballast. Hat man nicht gehört, dass so ein Gassack ohne Beschwernisse abtreibt?

Mehr als zwei Zentner Ballast für Antons Leben sind zum Beispiel Altbauer Serno und sein Gehabe. Serno beschäftigt schon wieder zwei Mägde und einen Kutscher. Er wurde wieder dick, hat sein Abonnement auf ein Leberleiden, fürchtet den Tod und zwinkert mit Gott. Er lässt die Kirche auf eigene Rechnung rosarot streichen. Keine Ausgabe ohne Einnahme! Serno träumt davon, dass er wieder die Preise für Brot, Wurst und Fleisch bestimmt.

Anton riecht es. Wozu hat er die Hakennase? Er sorgt sich. Soll die Geldgier sonstwo herrschen, aber nicht hier, wo er und seine Leute das Leben leiten. Der Ballast an Antons Lebensballon wird zu schwer. Er muss ihn um einige Sorgensäcke entlasten. Er geht zu seinem alten Waldbruder Bienkopp. Bienkopp ist fast aus dem gleichen Holze wie Dürr. Auch Bienkopp sorgt sich. Er sorgt sich nicht um die dicken, er sorgt sich mehr um die dürren Bauern.

Da ist Franz Bummel, ein Pferdekaupler, ein Kartenspieler, ein Lebemännchen; viel unterwegs und wenig zu Hause. Die Frau und die Kuh als Gespann. Sein Acker ist gut, seine Wirtschaft schlecht. Er erntet ein Drittel von dem, was er müsste. Kann das in dieser Notzeit angehen? Es wird alles benötigt, was wachsen könnte.

Anton und Ole schütteln ihre Sorgensäcke voreinander aus: diese runzeligen Sorgen, lappig und dürr wie Kümmererferkel. Zum Teufel mit ihnen! Aber wie? Es muss was geschehn! Aber was?

Anton blättert daheim in seinen Büchern wie der unsichere Arzt vor der Diagnose. Er liest, dass er schwitzt.

Drei Tage, dann kommt er wieder zu Ole. Er lächelt verschmitzt. Hat er den Stein der Weisen gefunden? Her mit dem Stein!

6

Jan Bullert sitzt auf der Hausbank vor Dürrs Kate. Eine Beschwerde. Anngret Bienkopp, diese Dame, hat einen Gegenbullen aufgestallt.

Anton wird zornig. Was ist mit dem Stein der Weisen? Wirft Bienkopp damit Fensterscheiben ein? Er schickt Anton II, seinen Sohn, aus. Ole soll in die Morgensprechstunde kommen. Pünktlich!

Antons Sprechstunde findet im Walde statt. Er benutzt seine Frühstückspause, um dies und das zu klären. Am Abend hat er andres zu tun, nicht zuletzt muss er schreiben und krakeln lernen, jawohl!

Ole erscheint nicht pünktlich zu Antons Frühstückspause. Er hat seine Arbeit. Ist Anton ein Fürst?

Pünktlicher ist der Sägemüller, aber er ist nicht bestellt. Ramsch trägt eine Häherfeder hinter dem grünen Hutband. Sein Gesicht ist von studentischen Säbelnarben durchzogen. Diese geistigen Wunden sind blass in der Morgenstunde.

»Was willst du?«

Der Sägemüller möchte mit Anton reden. »Secret, you understand!«

»Was für Zeug?«

»Es handelt sich um die Flucht von Förster Flunker und so weiter.«

Förster Flunker ist weg. Vielleicht weiß Ramsch besser als Anton, weshalb.

Der Sägemüller setzt zu großen Worten an.

»Du bist nicht geladen«, sagt Anton; denn er sieht Bienkopp kommen.

Der Sägemüller hat sonst nicht über Respektlosigkeit im Dorfe zu klagen. Ein Wutzittern packt ihn. »Du wirst mit mir sprechen! Ich warte!«

Anton kümmert sich nicht um den wütenden Sägemüller. Er geht mit Ole hinter einen Heidhügel. Sie stehen im froststarren Beerenkraut. Ole lächelt. Anton, der Kienzapfen, spreizt sich.

Ein Wortwechsel lodert auf wie Feuer im Wind. »Was soll Anngrets Großtuerei mit dem Bullen?«

»Etwas muss ein Weib bemuttern.«

»Nehmt euch ein Kind an!«

»Das will Anngret nicht.«

Der Wortwechsel läuft eine Weile im Kreise.

Der Sägemüller plaudert indes mit den Waldarbeitern: »Schönes Holz!«

»Schönes Holz.«

»Bauholz, wie?«

»Bauholz, ja.«

»Stämme wie Lichte!«

»Ja, Stämme wie Säulen.«

Die Plauderei will nicht recht vom Fleck. Der Sägemüller zieht ein Fläschchen hervor. Aus seiner Tasche kullern Zigarren.

Das Geplauder wird munterer. Der Sägemüller kann sich wohl ein wenig setzen?

»Allemal!« Mampe-Bitter-Gelegenheitsarbeiter, Botengänger und Quartalssäufer – schiebt Antons Frühstück beiseite.

Der Sägemüller trinkt einen Schluck und gibt die Flasche den Leuten. »Please!« Er betrachtet die Bäume. Er schwärmt für Bäume. Sein Dasein sind Bäume. »Jetzt kommt wohl diese Kiefer, diese Riesin, an die Reihe oder was?«

»Jetzt kommt die weg! Siehst ja, die Säge sitzt schon dran!«

Der Sägemüller geht und bestaunt die Kiefer. Er kommt zurück, und er setzt sich wieder, aber vorher trägt er Antons Thermosflasche und den Rucksack noch zur Seite. Er will wohl Antons Frühstück nicht mit Füßen treten. »Ja, prost denn! Trinkt nur, trinkt!«

Die Aussprache hinter dem Heidhügel ist ruhiger geworden. Anton, die harzige Stirn voller Falten: »Was ist mit dem Stein der Weisen?«

Knisterndes Geheimnis. Ole kratzt Ausreden zusammen. Ob auch erlaubt ist, was Anton da will, ist die Frage.

Anton, der Umkrempler, ist nicht eingerichtet, auf Anweisungen zu warten. »Der Baum wächst von unten!«

Aber Ole ist nicht Alleinherrscher über sechs Hektar Land, fünf Herdbuchkühe, zwei Pferde, zwanzig Schweine und all das scharrende und schnatternde Geflügelvolk. Die Wirtschaft gehört zur Hälfte der Frau. Kann Anton sich das nicht denken?

»Überzeug deine Frau!«

»Überzeugen heißt streiten.«

»Na und?«

»Anngret zürnt lange.«

»Na und?«

»Ich friere zuweilen.«

»Nimm lange Unterhosen!«

»Du willst nicht verstehn. Ich muss mich wo wärmen.«

»Na und?«

»Ich wärm mich bei Anngret.«

»Die Rockhängerei war immer dein Fehler. Ich dachte, du würdest Anngret bemeißeln; jetzt seh ich: Noch immer bemeißelt sie dich.«

Ole ist beleidigt. Er hat hier sein Herz aufgetan. Das war kein Vergnügen. Er fängt an zu brüllen. Aus seinem Munde springen die Speicheltröpfchen.

»Du konntest Anngret von jeher nicht leiden!«

»Na und?«

»Viel Freunde hast du nie gehabt!«

»Was weiter?«

»Von heut an hast du noch einen weniger.«

»Danke, mein Feind!« Anton lässt Ole stehn. Er hüpft über gefällte Stämme zu seinen Männern an der Motorsäge. Die Säge knurrt schon wieder. Sie beißt sich in den Fuß der dicken Kiefer. Am Rand des Kahlschlages verschwindet Sägemüller Ramsch.

Anton sucht hastig nach seinem Frühstück.

»Wer hat mein Frühstückszeug verschleppt?« schreit er ins Motorgeknatter.

»Da liegt es!« ruft Mampe-Bitter.

Anton springt zu seinem Brotsack.

»Zurück!« schreit Mampe. »Zurück!«

Die Kiefer stürzt. Ihre Krone begräbt den kleinen Anton. Frostkristalle wirbeln durch die Luft. Ole sieht, wie sich ein Arm des alten Freundes abwehrend aufreckt. Die harte Hand, die sich im Schreiben übte, ist zur Faust geballt.

Die Waldarbeiter ziehen ein graues Männchen unter dem Baum hervor. Froststaub bedeckt Antons harzige Hosen, die ausgeblichene Blaujacke und das Gesicht. Die Kameraden beklopfen, befühlen und behorchen den verunglückten Brigadier. Sie suchen nach einer Spur Leben in Antons Körper wie nach einem Fünkchen Feuer im tiefen Moorgrund. – Nichts. Anton ist tot.

Ole sitzt wie gelähmt auf einem Stamm und zittert.

7

Anton Dürr spreizt sich noch im Tode und beschäftigt die Öffentlichkeit: Die Tür in Dürrs Waldarbeiterkate ist zu schmal. Man müsste Antons Sarg kippen und kanten.

Auf dem Friedhof von Blumenau gibt's keine Leichenhalle. Emma Dürr will Antons Leiche im Kirchturm unter den Glocken aufbahren. Sie geht Altbauer Serno um Erlaubnis fragen. Der dicke Serno ist Kirchenratsvorstand. Er hat eine Unterredung mit Sägemüller Ramsch. Emma muss warten, bis sie vorgelassen wird.

Altbauer Serno sitzt auf einem runden Spezialstuhl. Sein Gesäß quillt durch die Lehnenspeichen. Auch Sägemüller Ramsch ist noch da. Er liest das »Kirchliche Sonntagsblatt«.

Emma Dürr trägt ihre Bitte vor. Serno hört fromm und freundlich zu. Seine Hände ruhn auf dem Bauche wie auf einem prallen Sack.

»Wird dein Dürr mit kirchlichen Ehren begraben, wird er?«

Emma zupft an ihrem Trauerkopftuch. »Mit Ehren!«

»Wird der Herr Pfarrer ihm das Geleit geben?«

»Jemand vom Kreis wird am Grabe sprechen.«

»Soso, ein Freidenker!« Der Zweizentnermann brennt sich eine Zigarre an. Die Witwe wischt mit ihrem Trauerrock unruhig auf dem Rohrstuhl hin und her. Sie muss den Begräbniskuchen zum Bäcker bringen. Ramsch beherrscht die Kunst, mit einem Auge im Kirchenblatt zu lesen und mit dem anderen Auge zu zwinkern. Der dicke Serno schöpft Luft auf und spricht wie ein Engel der Verkündigung aus einer Zigarrenqualmwolke: »Du weißt, ich bin sozial gesonnen. Bin ich?«

»Mag sein!« sagt Emma, und sie möchte lachen, wenn's nicht um Antons Leiche ginge.

»Darfst deinen Dürr in unsern Kirchturm legen.«

Emma dankt nicht. Sie geht.

»Halt, eine Ausbedingung noch!«

Die Bedingung: Am Abend soll der tote Anton in seine Grabgrube gesenkt werden. Am Morgen darf er wieder unter die Glocken. »Keine Leiche über Nacht unterm Dach der Kirche! Altes Gesetz!«

Emma hackt um sich. »Wir haben eine neue Ordnung.«

Sägemüller Ramsch hebt sein zerstudiertes Gesicht aus dem Kirchenblatt. Die Narben werden breit und freundlich. »Neue Ordnung hin – neue Ordnung her. Kirchengesetz bleibt Kirchengesetz! Dein Mann geht sonst um und so weiter, he will be a ghost, und das wirst du nicht wollen.

Emma will keinen umgehenden Mann. Er soll begraben werden und seine Ruhe haben. Das Hinein- und Hinaustragen der Leiche ist ihr zu unruhig.

8

Weltraumkälte. Bienkopp geht umher und friert. Immer wieder sieht er Antons kleine Faust, eine eiskalte Faust gegen die Wetterwolken erhoben. Nun wird sein Freund und Genosse unversöhnt und allein bei den Toten hausen.

Anngret hantiert geschmeidig. Anton Dürr war nicht ihr Freund. Dem Toten keine Nachrede! Beim Hantieren streift Anngret den trauernden Mann. Bienkopp klappern die Zähne. »Was muss ich tun, damit du mich in dein Bett nimmst und wärmst?«

Anngret hat auch am Todestage Antons ihre Wünsche. Ihr Mann soll zum Begräbnis Langstiefel anziehn. Ole hasst solche Lederwaden seit dem Krieg. Sie riechen nach Kommandos, stinken nach Ungerechtigkeit.

Anngret turtelt und macht sich begehrlich. Es handelt sich nicht um Offiziersstiefel; Bauernstiefel, klobig und pelzgefüttert. »Hier sind sie übrigens!«

Bienkopp sieht den warmen Schafpelz der Stiefel. Er friert zu sehr. Vorm Fenster stöbert Neuschnee nieder. Er verspricht, die Stiefel anzuziehn.

Es klopft. Emma Dürr ist da. Ein klagendes Hühnchen in der Winternacht. »Antons Leiche kommt nicht zur Ruhe. Hat er das verdient?«

Bienkopp wird jäh ins Leben zurückgerissen. Frieren und Schlottern sind vergessen. Er kann etwas für den verstorbenen Genossen tun. Ist er nicht Kreistagsabgeordneter, Vorsitzender der BAUERNHILFE, ein Mann mit einigem Gewicht? »Das wolln wir sehen, wo die Leichen lagern!« Er lässt Antons Sarghäuschen in den Kirchturm unter die Glocken bringen. Heraus, wer dagegen ist!

9

Am nächsten Morgen steht der verschlossene Sarg in seiner künftigen Grabgrube. Emma hat keine Tränen mehr. Geht Anton um?

Schwere Gedanken drücken Bienkopp nieder. Wer zerrt Antons Leiche umher? Wer legte Antons Frühstück in die Fallrichtung des Baumes? Er lässt den toten Genossen wieder in den Turm bringen.

Für die Nacht stellt Bürgermeister Nietnagel den Dorfwächter im Kirchgarten hinter den Grabkreuzen auf.

Vor Mitternacht macht der Wächter eine Pause für ein zweites Nachtmahl. Eine halbe Stunde später kehrt er auf seinen Posten zurück: Der Tote liegt in der Grabgrube.

Gemunkel im Dorf, verstecktes Geraune: »Der tote Dürr geht um; man hat das Kirchspielgesetz nicht eingehalten.«

Bienkopp ruft seine Genossen zur Leichenwache. Die nächste Nacht sitzen Bürgermeister Nietnagel, Jan Bullert, Wilm Holten und Bienkopp wie schwarze Engel auf alten Grabhügeln und versagen sich sogar das Rauchen.

Es geschieht nichts. Jan Bullert empfiehlt eine List: Sie gehen zur Schenke, als sei ihnen das Wachen über geworden. Vor der Schenkentür kehren sie um und schleichen zum Kirchgarten zurück.

Eine Eule schreit. Sie schreit dreimal, und ihr Ruf dringt aus dem Kirchenanbau, aus der Sakristei. Das Turmtor flügelt sich auf. Der Sarg des toten Dürr kommt. Er schwebt nicht, wie es Pflicht von Erscheinungen und Gespenstern ist. Er stakt auf vier Beinen heran, ächzt, keucht, stolpert, flucht und befiehlt preußisch: »Gleichschritt halten!«

Die Genossen ducken sich hinter den Grabkreuzen. Sie mühn sich, den selbstsicheren Sarg nicht zu erschrecken. Sie wollen nicht, dass Antons Leiche hingeworfen und geschändet wird.

Der Sarg nähert sich. Man kann zwei Gestalten erkennen, die ihn tragen. Wilm Holten, der jüngste Leichenwächter, kann seine Voreile nicht im Zaum halten. »Aha!« sagt er.

Der Sarg stürzt. Die Gestalten preschen davon. Getrampel wie von einem Belgierpferd und einem Traber.

Die Leichenwächter umstellen die Kirche. Bienkopp sieht die Gestalt mit dem Trabergang durch die Grabreihen fliehn. Er setzt hinterher, schlägt mit der Faust zu, trifft einen Hut und fühlt die Härte eines Männerkopfes darunter. Von wegen – Gespenst!

Der Hutmann taumelt, rafft sich auf und entschwindet. Die Leichenwächter suchen den Kirchgarten ab. Die Gestalt mit dem Belgierpferdgetrampel ist fort und verschwunden – wie von der Erde gefressen.

Die Genossen tragen Antons Sarg gemeinsam unter die Glocken und sorgen dafür, dass keine Hand mehr das kleine Haus des toten Freundes berührt.

10

Es wird ein langer Leichenzug. Außer den Freunden des Verstorbenen sind viele Neugierige gekommen. Sie wollen das weltliche Begräbnis erleben. Auch die Kirchenräte Ramsch und Serno stehen steif und schwarz berockt im Trauergefolge.

»Seht, der Sägemüller ist da!« flüstern die Leute.

»Hat Anton ihm nicht Derbstangen und Zaunholz verkümmert?«

»Einem Toten wird vergeben.«

Die alten Frauen sind neugierig auf die Predigt ohne Pastor. Anton und Emma II, die Dürrkinder, stehen übernächtig und blass zwischen Bienkopp und der kleinen Mutter. Sie weinen. Bienkopp zerbeißt seinen Schmerz. Auf den Friedhofstannen sitzen zwei winterträge Krähen. Sie schielen zu den roten Papierrosen der Kränze. Der dicke Serno hat die Hände auf dem Hügel seines Bauches gefaltet, obwohl es nichts zu beten gibt. Man singt das Lieblingslied des Verstorbenen: »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit …«

Die Fichtenzweigkränze duften. Eine Abordnung vom Kreissekretariat der Partei brachte einen Kranz – groß wie ein Kutschwagenhinterrad. Die Männer der Abordnung singen laut und herausfordernd. Der Sägemüller singt nicht. Er greift sich an die Kehle und krächzt: »Erkältet!«

Karl Krüger spricht vom Leben Anton Dürrs: »Der kleine nimmermüde Mann! Ein gewisser Jesus, sofern es den gab, hätte seine Freude an ihm gehabt.« – Die Krähen in den Tannwipfeln quarren. Der dicke Serno möchte die gottgesandten Vögel streicheln. Wie klug sie die lästerliche Predigt stören! Karl Krüger spricht vom Schicksal: »Schicksal gibt's nicht, Genossen, Freunde! Das Schicksal wird angefertigt wie die Wunder. Ein Kind stirbt am Scharlach. Schicksal? Keineswegs! Der Arzt wurde zu spät geholt. Ein Mann fährt mit dem Motorrad gegen einen Baum, ist tot. Schicksal? Keineswegs! Die Straße hatte Schlaglöcher. Das Schicksal hat Ursachen, und das böse Schicksal nährt sich von Versäumnissen. Unser lieber Genosse Dürr wurde von einem Baum erschlagen. Schicksal? Keineswegs! Vielleicht wurden die Arbeitsschutzbestimmungen nicht beachtet. Man muss das untersuchen, Genossen!«

Sägemüller Ramschs Langstiefel trampeln unruhig auf den ausgestreuten Tannenzweigen umher. »Kalt!«

Karl Krüger sieht auf den nussbraunen Sarg des Freundes. An seinen Wimpern hängen die Tränen wie Tautropfen. »Da liegt er nun, der kleine Mann. Er wurde von edler Unruhe getrieben und säte edle Unruhe aus. Hat er umsonst gesät? Das liegt bei uns. Lasst uns unruhig sein in seinem Sinne!«

Die alten Frauen schluchzen. Sie vergessen, dass dort der ehemalige Kutscher Karl Krüger steht, nicht der Pastor. Sie schneuzen sich und kommen auf ihre Rechnung. Umsonst schüttelt Serno den dicken Kopf.

Auch manche Männer kämpfen mit ihren Tränen. Beim letzten Gruß für den Toten nehmen sie die Hüte ab. Auf der Halbglatze des Sägemüllers klebt ein Pflaster. Bienkopp nickt zufrieden: Lasst die Toten ruhn! Aber dann sieht er die Langstiefel des Sägemüllers. Er vergleicht sie mit den seinen: gleicher Schaftschnitt, gleiche Länge, gleiche Ledergüte. Bienkopp schaut sich um. Grinsen die Leute ihn nicht schon aus? Anngret hat ihn zum Nachäffer und Popanz gemacht. Er kehrt sich ab und lässt Begräbnis Begräbnis sein. Auf der Dorfstraße rennt er fast. Ihm ist, als ob er in glühenden Pantoffeln liefe.

11

Daheim in der Küche schneidet sich Bienkopp die Langstiefel von den Beinen. Er fährt mit der Schere die Schäfte hinunter bis zu den Zehen. Seine Frau sieht stumm zu, wie der Schafpelz nach außen quillt. Bienkopp pellt Waden und Füße frei und wirft die Lederlappen in den Brennholzkasten vor dem Küchenherd.

Frau Anngret nimmt das Lappleder, trägt es auf den Dachboden und hängt es an einen Balken. Sie setzt sich auf einen Kornsack und weint. Die zerschnittenen Langstiefel sind eine Niederlage für sie.

Unten in der Schlafstube zieht Bienkopp sich um und wirft die Stiefelhose zum Fenster hinaus. Er will auch den schwarzen Rock hinterherwerfen, aber da besinnt er sich: Der Rock hat wohl nichts mit den Stiefeln zu tun. An die Füße tut er ausgetretene Schnürschuhe, die er sonst zur Arbeit trägt.

Als er das getan hat, geht er in die Küche, spricht mit der Katze, spricht mit dem Hund, stopft seine Pfeife, raucht wie eine Kleinbahnlokomotive und wartet. Er erwartet seine Frau vom Dachboden zurück, denn er hat ihr ein paar Worte zu sagen. Sie hat ihn zum Popanz gemacht; und das ist nicht wenig.

Es vergeht eine Stunde. Draußen dunkelt es. Bienkopp stopft sich die achte Pfeife. Er wartet immer noch auf Anngret. Schließlich steigt er auf den Dachboden. Im grauen Mondlicht sitzt die Frau auf einem Kornsack. »Anngret!«

Keine Antwort. Trotz fährt in Ole. Diesmal ist er nicht an der Reihe, Verzeihung zu erbitten. Soll Anngret im Mondlicht bleichen, bis sie zur Einsicht kommt!

Ole wandert in seinen ausgetretenen Schnürstiefeln durch den gefrorenen Neuschnee. Der Wolfsspitz folgt ihm. Bienkopp ist's, als ginge etwas Wärme von diesem treuen Tier auf ihn über.

12

Die Erde reist durch den Weltenraum. Der Mensch sendet eiserne Tauben aus und harrt ungeduldig ihrer Heimkehr. Er wartet auf ein Ölblatt von Brüdern auf anderen Sternen.

Im Wirtshaus von Blumenau trinken Männer in schwarzen Röcken, Leichenträger und Totengräber. Ab und an lallt einer, ab und an lacht einer. Anton Dürrs Freunde dämpfen den Schmerz mit Schnaps ab; seine Feinde feuern die Freude mit Schnaps an. Alle zusammen feiern ein Fest, und das heißt Leichenfellversaufen.

Bienkopp ist kein Wirtshaussitzer, aber an diesem Abend treibt's ihn ins Schenkengetümmel.

Die Schenkentür quietscht. In ihren Angeln sitzt Frost. Dampfschwaden quellen Bienkopp entgegen.

Bei der Tür sitzt Ramsch. Er ist angetrunken und streckt die Beine von sich. Bienkopp muss über die fellgefütterten Langstiefel des Sägemüllers steigen. Er ist versucht, darauf zu speien.

Stimmengebräu, Gelächter und Gelall. »Bienkopp!« Jan Bullert macht einen Platz für Ole frei. Bullerts Gesicht glüht wie ein Schaufelblatt im Schmiedefeuer. »Bienkopp, wir müssen uns versöhnen!«

Bienkopp stößt mit Bullert an. Ihre Adamsäpfel hüpfen im Trinktakt. Bullert legt seinen Arm um Ole. »Wer trägt die Hosen, reschpektive – wer hat sie an bei euch? Du oder Anngret? Der Bull muss weg! Machen wir morgen Bullbegräbnis! Abgemacht?«

Ole antwortet nicht. Er ist zu nüchtern für die Bullenpredigt. Aber sie trinken und versöhnen sich.

Bürgermeister Nietnagel sorgt, dass Ole beim Trinken nachholt, was die anderen ihm voraus sind. »Zornsdorfer Korn bringt dich nach vorn!« heißt es auf dem Reklameschild über der Theke. Ole ist uneins mit sich selber und der Welt; er sträubt sich nicht. Er trinkt.

In den blauen Wolken aus Pfeifen- und Zigarrenqualm hält sich ein Wicht versteckt. Er hüpft von Tisch zu Tisch, zischelt einem Bauern etwas ins Ohr und zupft den anderen an der Nase. Ole setzt sein Glas zum Trunk an. Der Wicht schwingt sich auf den Glasfuß und hilft kippen. Der Wicht heißt Bauernstreit. Er wird zudringlicher. Bienkopps Trinkzüge werden hastiger. Drei Biere und drei Korn verschwinden.

Der Sägemüller trägt seinen Hut auch in der warmen Schenkstube. Americanlike. Die Beine hat er auf dem Stuhlsitz seines Botengängers Mampe-Bitter stehn. Mampe hockt auf der Stuhlkante. Der Sägemüller hebt sein rechtes Bein und winkt damit dem Wirt. »Go to the devil, Gotthelf, eine Stubenrunde und so weiter!«

Bienkopp wendet sich ab. Die verfluchten Stiefel! Ein reines Schicksal! Er will kein Bier von Ramsch. Er nicht!

Bürgermeister Nietnagel feuchtet sich die Finger am Bierschaum und zwirbelt seinen Bart auf. »Du tlinkst nicht, Ole? Tlink man, tlink, mach einmal Klassenkämpferpause!«

Auch Wilm Holten schiebt das Freibier von sich; Ramsch ist sein Chef, sein Freibier stinkt ihm. »Von dem nicht einen Schluck!«

Der Sägemüller klatscht sich auf die Stiefelschäfte. »Hahoo, gelungen: Mein Bier taugt meinem Knecht nicht. Die Hand hoch, wer mein Bier nicht will!«

Dreizehn Hände heben sich. Bienkopp springt auf. »Hand hoch, wer Bier von mir will!«

Wieder heben sich dreizehn Hände. Fünfundzwanzig Männer sind in der Stube. Mampe-Bitter wünscht Bier von beiden Parteien.

Der Wirt stellt sechsundzwanzig saubere Gläser auf den Schanktisch. Der Bierhahn spuckt. Bienkopp stockt auf. »Noch dreizehn Korn auf meine Rechnung!«

»I kill you!« krächzt der Sägemüller. »Hallo, dreizehn Doppelte für mich!«

Das Bier zischt, schäumt und perlt. Die Schnäpse funkeln. Der Streitwicht kichert.

Bürgermeister Nietnagel erhebt sich. »Wir tlinken jetzt ein letztes Mal auf Amton. Leicht sei ihm der Sand!«

Bei der Gegenpartei bringt Serno den Trinkspruch aus. Er ächzt sich von der Bank. »Aufs Leben trinken wir, aufs Leben! Ihr habt's gesehn am Dürr; habt ihr es nicht? Rasch tritt der Tod den Menschen an. Der kleine Mensch fällt einen Baum, doch wie der Baum fällt, liegt in Gottes Händen.«

Bienkopp zittert. »Dann hat wohl euer Gott auch Antons Frühstück in der Hand gehalten?«

Großes Hinhören. Der Schankhahn zischt, und Sägemüller Ramsch springt auf. Seine Narben laufen blau an. »Verletzung heiliger Gefühle. Leute, Gotteslästerung!« Er zieht einen Ochsenziemer unterm Tisch hervor und geht auf Bienkopp los. Bienkopp steht auf und höhnt: »Komm her mit deiner Gänserute! Tu deinen Hut herunter, zeig deine Beulen, Leichenschänder!«

Der Lehrer stellt sich zwischen Ramsch und Bienkopp. »Ich wünsche keinen Glaubensstreit, Genossen!«

Der Sägemüller rempelt Lehrer Gürtler an. »Ich bin nicht dein Genosse, merk dir! Die Kirche lassen wir nicht schmähen und so weiter. Drauf, Leute! To the guns!« Ramsch senkt den Kopf und geht zum Angriff über. Ein Tisch fällt um. Der Ziemer surrt durch Tabaksqualm. Ein Bierglas fliegt. Bienkopp duckt sich. Das Bild des Präsidenten fällt ihm auf den Rücken. Der Ziemer surrt. Sein Hieb trifft Bienkopp. Ein hohler Knall – Blut spritzt aus Bienkopps Stirn. Er taumelt, kann sich nicht mehr halten, stürzt über eine Bank und fällt zu Boden.

Der Wirt brüllt: »Feierabend!« Er trommelt mit dem Bierschaumlöffel auf den Schankhahn. Niemand beachtet ihn.

Der Kampf geht weiter. Der Lehrer wehrt sich, ficht und boxt. Bienkopp liegt lang. Sein Kopf ist taub. Er sieht das Kampfgetümmel über sich. Er sieht die gottverfluchten Sägemüllerstiefel. Jetzt treten sie nach ihm, und kein Genosse merkt es; denn Bienkopp liegt in einem Wald von Männerbeinen. Die Stiefel treffen ihn, am Leib, am Kopf. Für Bienkopp wird es dunkel, und er brüllt: »Wer hat die Lampe ausgeschlagen?« Da sehn sie ihn und zerren ihn ins Freie.

Jan Bullert und Wilm Holten schleppen Bienkopp durch die Wintermondnacht. Der graue Wolfsspitz folgt mit eingezogenem Schwanz.

Hinter winterkahlen Pflaumenbäumen leuchtet Bienkopps gekalktes Neuhaus. Vor dem Eingang steht eine Laube. Die Träger setzen Bienkopp auf die Laubenbank. Sie fürchten Anngret, und sie gehn so still davon wie nachmittags beim toten Dürr.

Die Laubenbank ist kühl. Bienkopp kommt zu sich. Er tastet nach der Stirn, hat Blut an seinen Händen. Wo ist er hier? Er hockt vor seinem Haus in Anngrets Laube. Sie wünschte sich zwei Jahr zuvor die Sommersitzgelegenheit. Sie wollte eine Laube, wollte, wollte, weil Sägemüller Ramsch auch eine hatte.

Ach, Anngret hat mit Ole, wer weiß wie sehr, in dieser Laube sitzen wollen. Es wurd nichts daraus. Die Arbeit und die Wünsche … keine Zeit. Das Bauernleben ist wohl so. Das Bauernleben? Ole, lebst du noch?

Er will ins Haus. Sein rechtes Bein ist steif und schmerzt. Er wankt und hält sich an der Hauswand und greift dort in die Wildweinranken. Die Spatzen fahren aus den Reben in die Winternacht.

13

Ole Bienkopp kam eintausendneunhundertundfünf Jahre nach dem von Gott gezeugten Schreinersohn Christus auf die Welt. Er nahm sein Kreuz auf sich und stolperte davon.

An seinem ungewöhnlichen Namen war die Mutter schuld. Sie las jahrsüber den Kalender drei- bis fünfmal; besonders die Geschichten aus fernen Ländern. In einer Kalendergeschichte kam ein schöner Sklave vor. Er hieß Ole, war aufständisch und wurde hingerichtet. Mutter Hansen wollte diesem schwarzen Menschensohn noch nachträglich etwas Gutes tun: Sie ließ ihren einzigen Sohn unter Schwierigkeiten auf den Namen Ole taufen.

Ole war ein Träumer, aber keiner von jenen, die an den Ecken des Lebens sitzen und auf Wunder warten. Er versuchte, seine Träume mit Taten in das Leben zu zwingen. Das ging unterschiedlich aus.

Als ihn seine Beine schon trugen, knüpfte sich der kastanienköpfige Junge eine Schaukel aus Ziegenstricken und hängte sie an einen Kiefernast. Im tollsten Schwingen breitete er die Arme aus und suchte sich über die Baumkronen zu erheben. Er landete mit blutendem Gesicht im Heidesand. Großes Geschrei um den zerschellten Traum.

Die Mutter: »Was ist?«

»Ich bin beim Fliegen ausgerutscht.«

»Dummling, kein Mensch kann fliegen!«

Ole breitete seine Arme aus. »Siehst du denn meine Schwingen nicht?«

Die Mutter sah die Schwingen nicht.

Die Schule war dem jungen Ole ein dumpfer Lernkeller. »Zu dünnes Sitzfleisch!« sagte der Lehrer, und seine Schnurrbartenden hingen herunter wie die Flügelfedern eines eingeregneten Hofhahns.

»Wo warst du gestern?«

»Ich wartete am Waldrand auf euch.«

»Soll die Schule deinetwegen zwischen Blaubeeren und Gestängel stattfinden?«

»Ja, Herr Küster.«

Der Lehrer gerbte Oles Sitzfleisch. Er tat es nicht mit der beim Gerben üblichen Eichenlohe, sondern mit Haselrinde, hinter der noch Holz saß. Verzeiht ihm die Unkenntnis; er war ein ausgedienter preußischer Feldwebel.

Oles Heimatdorf Blumenau war damals der Besitz von zwei Herren. Über den Wipfeln der Wälder herrschte der Himmelsherr. In den Wäldern und auf den Feldern herrschte Baron von Wedelstedt.

Oles Vater Paule, ein gottesfürchtiger Sozialdemokrat, arbeitete in den Wäldern des Barons. Der Himmelsherr und der Gutsherr zeichneten ihn für seine Gottesfurcht mit einem Haumeisterposten aus.

Aus dem Kriege im vierzehnten Jahre des 20. Jahrhunderts hielten die ringgeschmückten Hände des Barons seinen frommwilligen Vormann und Haumeister Hansen zunächst heraus.