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Moonlight Romance
– 26 –

Dem Tode geweiht

Wenn der Dschinn sein Opfer sucht

Helen Perkins

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-626-5

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Undurchdringliche Finsternis umgab sie. Überall waren Geräusche. Ein Schleichen, ein leises, glucksendes Lachen. Knirschende, reibende Laute, als bewegten sich schwere Steine gegeneinander. Leichte Berührungen wie von Spinnen oder anderen Insekten. Sarah schlug danach, wich zurück und konnte doch nicht ausweichen, denn es gab keinen Ausweg. Und dann eiskalte Hände, die sich um ihren Hals legten und zudrückten. Sofort blieb ihr die Luft weg, Todesangst quälte sie. Und da war noch etwas. Sie sah Bilder vor sich, die ihr in ihrer Grausamkeit die Tränen in die Augen trieben. Menschen, die gequält und getötet wurden, brennende Häuser, verödete Städte. Zerstörung in jeder nur möglichen Form. Und das alles überzogen von einem seltsamen bläulichen Licht, dessen Ursprung nicht zu ergründen war…

Der Mond stand groß und voll am tiefschwarzen Firmament und übergoss mit seinem silbernen Licht die gezackte Bergkette. Der rötliche Stein der Region war porös, Zeit und Witterung hatten ihn zu spitzen Abbrüchen und schrundigen Gipfeln geformt. Am Fuß des Gebirges ging er in breite Geröllfelder über, deren feinste Partikel im Laufe von Jahrmillionen zu Sandwüste geworden waren.

Die Wüste breitete sich aus. Zwischen der Stadt, deren Lichter in der Ferne sanft schimmerten, und der Bergkette dehnte sie sich zu einer unberechenbaren Größe. Am Tage von gleißender Helligkeit und Hitze geprägt, war sie nun ebenso lebensfeindlich in ihrer scheinbaren Regungslosigkeit. Kalte Winde strichen von Nord über den Sand, formten beständig neue Dünen, verschoben die Landmarken, sodass selbst Einheimische die Orientierung verlieren konnten, wenn sie sich nicht nach den Gestirnen richteten. Niemand war zu dieser späten Stunde noch unterwegs. Pisten und Straßen, die in die Stadt führten, verliefen in entgegen gesetzter Richtung, fort vom Hochland.

Die Stille wurde nur ab und an durch ein nachtaktives Tier unterbrochen, das Beute gemacht hatte. Und das monotone Wehen des Windes war zu hören.

Später in dieser Nacht aber, als der Mond bereits untergegangen war, als die Wüste und das Hochland in einer stumpfen, tiefschwarzen Finsternis versunken waren, da näherte sich von der Stadt kommend ein Mann. Er ritt auf einem Kamel. Das Wüstenschiff schritt majestätisch durch den Sand, es schien sich auch in der völligen Finsternis orientieren zu können, ohne das Ziel des Weges aus den Augen zu verlieren. Es zögerte nicht, es folgte einer Richtung, die der Reiter ihm mittels sanften Drucks mit dem Fuß und Bein vorgab. Und dieser Reiter schien sehr genau zu wissen, wohin er wollte.

Er war gekleidet wie ein Einheimischer, doch seine Haut war hell. Und die leisen Kommandos, die er seinem Reittier gab, bewiesen, dass er ein Ausländer war. Er benutzte die Landessprache, aber nicht wie ein Muttersprachler. Das Kamel ging geduldig seinen Weg. Der Mann hätte es gern angetrieben, denn er hatte ein Ziel und die Zeit wurde für ihn knapp. Was er tun wollte, das musste noch in dieser Nacht geschehen. In der flüchtigen Spanne zwischen Monduntergang und Sonnenaufgang.

Doch Kamele waren bekanntermaßen stur. Und sein Exemplar schien diese Eigenschaft in besonderem Maße zu besitzen.

Endlich hatte der Mann sein Ziel erreicht. Er stieg hastig ab, während sein Reittier noch in die Knie ging, und strebte dann auf eine Höhle zu, die sich am Fuß der Bergkette befand. Das poröse Gestein wies zahlreiche solcher natürlichen Kavernen auf. Doch es war eine bestimmte, die der Mann für seine Zwecke ausgesucht hatte. Nur dort würde dem, was er vorhatte, Erfolg beschieden sein. Nur dort konnte er finden, was er suchte: Rache! Kurz schweiften seine Gedanken ab, seine Konzentration ließ nach. Emotionen gewannen die Oberhand, während Hass und der Wunsch nach Vergeltung übermächtig wurden. Ein böses Knurren drang über die Lippen des Mannes, das kaum menschlich erschien. Der brennende Hass in seinem Herzen brachte ihn fast um den Verstand. Was geschehen war, schrie nach Vergeltung! Es schien unmöglich, zu vergessen oder gar zu vergeben. Sein Hass wuchs ins Grenzenlose und forderte ein Opfer. Und dafür wollte er in dieser Nacht in jener gottverlassenen Gegend sorgen.

Mit schnellen Schritten näherte er sich der Höhle. Zugleich griff er in seine Tasche und zog eine kleine Lampe heraus, damit er sich orientieren konnte. Er hatte die Höhle bereits mehrere Male aufgesucht, doch stets bei Tage. Er kannte den Platz und seine üble Ausstrahlung sehr genau. Und er wusste auch, wer hier hauste. Gesehen hatte er den Bewohner der Höhle zwar noch nicht, denn der zeigte sich niemals bei Tageslicht. Aber es gab ein sicheres Mittel, ihm zu begegnen. Der Mann grinste kalt, als er tiefer in die Höhle vordrang. Die Wände traten eng zusammen, der Durchgang wurde so schmal, dass der Mann sich hindurch zwängen musste. Dann kam er in eine bauchige Höhlung, die so weit im Fels lag, dass kein Tageslicht eindringen konnte.

Er leuchtete die Höhle ab, sah die Zeichnungen an den Wänden und die Knochen, die hier in großer Zahl den steinige Boden bedeckten. Menschliche Knochen…

Bei ihrem Anblick schauderte der Mann doch zusammen. Kurz schlichen sich Zweifel in sein Denken. War es das wert? Er wusste, dass er sich in Lebensgefahr begab und dass niemand sagen konnte, wie dieses Abenteuer ausgehen würde. Der Moment der Unsicherheit ging vorbei, denn Hass und Rachlust gewannen rasch wieder die Oberhand. Er würde es tun! Er wollte jedes nur mögliche Wagnis eingehen, um seine Rache vollenden zu können!

Nun gab es für den Mann kein Zögern mehr. Flink förderte er verschiedene Gegenstände aus seiner Tasche und baute sie auf dem Boden auf. Es dauerte nur kurz, bis alles fertig war. Er hatte dies oft geübt, denn im Ernstfall wollte er das Ritual im Schlaf durchführen können. So war eine gewisse Routine entstanden, obwohl dies die erste Beschwörung war, die er durchführte.

Als er die kleine Lampe ausknipste, blickte er auf ein exotisch anmutendes Zeichen, das mit weißer Kreise auf den Boden gemalt worden war. An seinen zackigen Enden standen tiefblaue Kerzen, in der Mitte eine schwarze Kerze. Seltsame Gegenstände lagen innerhalb des Zeichens; Federn, Knochen, ein Leinentuch, voll gesaugt mit Blut, ein Bronzedolch. Der Mann nickte zufrieden. Er hatte an alles gedacht, das Ritual konnte beginnen! Er nahm ein schmales, in nachgedunkeltes Leder gebundenes Büchlein aus seiner Tasche und schlug eine markierte Seite auf. Dann begann er, Worte in einer fremden Sprache zu zitieren. Es waren ungewöhnliche, gutturale Rolllaute, die lange niemand mehr ausgesprochen hatte, denn die Sprache war vor vielen Jahrhunderten ausgestorben. Nur wenige Eingeweihte hatten sie erforscht und waren auch heutzutage noch in der Lage, sie zu verstehen. Was die Zaubersprüche in diesem Büchlein aber tatsächlich waren und was sie bewirken konnten, das wusste niemand. Man schob ihre Bedeutung ins Reich der Literatur, ohne zu ahnen, dass es sich um eine mächtige Waffe handelte, um eine direkte Verbindung zu den Mächten des Bösen.

Der Mann wiederholte den kurzen Zauberspruch mehrfach. Zuerst glaubte er, einen Fehler begangen zu haben, denn nichts tat sich. Dann aber legte sich unvermittelt eine eisige Hand auf seine Schulter. Etwas wie eine bläuliche, elektrische Entladung züngelte über seinen Arm und verursachte ein leichtes Kitzeln.

Der Mann erschrak, fing sich jedoch schnell wieder.

»Du bist gekommen, das ist gut«, sagte er in der Landessprache und lachte dabei leise. »Ich habe es also erreicht.«

Der andere trat nun in den Schein der Kerzen und blieb einen Moment lang stumm und reglos vor dem Mann stehen. Er war eine überaus unheimliche Erscheinung. Auf den ersten Blick sah er aus wie ein Mensch, doch dieser Eindruck täuschte. Er war sehr groß und muskulös. Seine Haut war bleich und sein ganzer Körper über und über mit bläulichen Tätowierungen versehen. Auch sein kahler Schädel wies eine Vielzahl traditioneller Motive auf, die scheinbar mit blauer Tinte aufgetragen waren. Sie wirkten wie eine Mischung aus Tatoo und Hautmalerei aus Henna. Doch all diese Zeichen gehörten zu der Erscheinung, sie waren keine Äußerlichkeiten. Ihr Ursprung lag in dem blauen Licht, das in seinen Augen leuchtete. Was er berührte, wurde von diesem Licht gleichsam eingehüllt. Es schien ein eigenes Leben zu führen, denn es schuf auf der Haut des Opfers die gleichen Bilder, die auch den Unheimlichen zierten. Und dieses kalte, blaue Licht, die Wesenheit des Dschinn, war absolut tödlich. Was er berührte, war dem Tode geweiht. Allerdings war es kein schnelles Ende.

Mit dem Wachstum der Körperbilder ergriff der böse Geist Besitz von seinem Opfer. Er drang in sein Denken und Fühlen ein, er lernte es sozusagen von innen kennen. Und er gaukelte ihm dann eine andere Wirklichkeit vor.

Die Träume, die der Dschinn schickte, waren angenehm und genau das, was das Opfer sich wünschte. Sich ihnen hinzugeben, bedeutete allerdings den Tod.

Während der Betäubte vor sich hindämmerte, gefangen in einer Scheinwelt, ernährte der Dschinn sich von seiner Lebensenergie. Solange, bis nichts mehr da war und das Opfer wie eine Kerze erlosch.

Als der Mann zum ersten Mal darüber gelesen hatte, war er fasziniert gewesen. Und nun hatte er den Dschinn ausgesucht, damit der seine Rache vollzog. Er sollte sich ein Opfer suchen, ein ganz spezielles Opfer. Der Tod sollte langsam kommen und sie letztendlich auslöschen, bis nichts mehr von ihr übrig war. Dieser Gedanke hatte den Mann in jener Nacht hierher getrieben.

»Was willst du?«, fragte der böse Geist ihn, während er auf die Kerzen starrte. Das blaue Licht in seinen Augen war schwächer geworden. Er hatte feststellen müssen, dass er dem Eindringling nicht schaden konnte. Der schien immun gegen sein Gift zu sein. Und er trug etwas bei sich, das den Dschinn schwächte, das Macht über ihn ausübte. Es gefiel ihm nicht, was hier geschah, denn diese Höhle war sein Reich. Und hier hatte er bislang ohne Wenn und Aber das Sagen gehabt. Sich nun knechten zu lassen, war ein Gedanke, der ihm zuwider war.

»Ich bringe dir ein Opfer«, erklärte der Mann ruhig. Er fühlte sich sicher, denn er hatte erlebt, dass der Dschinn ihm nichts anhaben konnte. Sein Plan würde funktionieren!

»Du willst dich selbst opfern? Dann lösche die Kerzen und leg das Buch weg«, forderte der böse Geist.

»Oh nein, das ist nicht meine Absicht. Ich fordere dich auf, dieses Opfer zu holen. Du wirst mir zu Diensten sein, sonst musst du es bereuen. Ich kenne einen Fluch, der dich für lange Zeit von dieser Erde verbannt. Tust du, was ich sage, ist alles gut. Aber lege dich nicht mit mir an, dann wirst du erleben, wie ernst ich es meine!«

Die Worte verklangen und Stille trat ein. Der Mann wartete geduldig ab, denn er wusste sich in der besseren Position. Mit einer bedächtigen Geste legte er ein Foto zwischen die Kerzen. Es zeigte eine schöne, junge Frau mit blondem Haar und klaren Augen. Sie lächelte glücklich.

»Sie soll sterben«, sagte der Mann düster. »Und du wirst sie zu dir holen, hierher!«

»Was hat sie dir getan? Warum hasst du sie?«

»Das geht dich nichts an. Wirst du also tun, was ich sage?«, beharrte der Mann, nun langsam ungeduldig. Die Nacht war fast vorbei. Beim ersten Licht des neuen Tages würde der Dschinn verschwinden. Und er wollte ihn nicht gehen lassen, ohne seine Zusage.

»Ich hole sie«, versprach der böse Geist. Dann beugte er sich über den Mann und starrte ihn an. Seine Stimme klang kalt und drohend, als er noch hinzufügte: »Aber ich hole auch dich. Kommst du noch einmal in meine Nähe, dann ist es aus mit dir. Niemand knechtet mich, ohne dafür zu bezahlen!«

Der Mann lachte nur abfällig. »Du wirst mich niemals erwischen. Ich werde leben und sie wird sterben. Damit ist meine Rache vollendet!« Sein Lachen wurde lauter und steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Diskant, der wie das Fanal eines nahenden Unheils wirkte, das schon allzu bald sein Opfer fordern sollte…

*

»Dad, ich bitte dich! So bindet man doch keine Krawatte!« Sarah Cunningham bedachte ihren Vater mit einem liebevoll nachsichtigen Blick, während sie sein Äußeres in Ordnung brachte. »Du bist manchmal wirklich ein zerstreuter Professor.« Sie lächelte. »So, alles in bester Ordnung!«