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Über dieses Buch:

Sie lächelt. Sie schweigt. Sie leidet still. Seit ihr Mann begonnen hat, Stefanie sein wahres, brutales Gesicht zu zeigen, hat sie die Kunst perfektioniert, den schönen Schein zu wahren … bis zu jenem Morgen, an dem man seine grausam zugerichtete Leiche findet. Aber wäre sie wirklich fähig zu so einem Verbrechen? Stefanie weiß, dass sie ihren Peiniger auf ein Fest begleiten musste, auf dem sie zu viel trank – danach hat sie keine Erinnerung mehr an das, was geschah. Für die Polizei ist sie die einzige Verdächtige. Stefanie hat nur eine Chance: Sie muss herausfinden, wer ein Interesse daran haben konnte, Alexander zu töten. Und während sie immer mehr über das dunkle Doppelleben des Mannes erfährt, den sie zu kennen glaubte, fragt sie sich voller Angst, wem sie jetzt noch trauen kann – ohne selbst das nächste Opfer zu werden …

Über die Autorin:

Sybille Schrödter ist Juristin, Kabarettistin, Sängerin, Roman- und Drehbuchautorin – und so wenig, wie sie sich auf einen einzelnen Beruf festlegen lassen will, ist sie bereit, sich nur in einem Genre zu bewegen: Sie schreibt Kriminalromane und Thriller (»Weil mich menschliche Abgründe faszinieren«), historische Roman (»Weil es ein Vergnügen ist, in lang vergangenen Zeiten auf die Suche nach starken Frauenfiguren zu gehen«) und – unter verschiedenen Pseudonymen – Familiensagas (»Weil es in jeder Familie dunkle Geheimnisse gibt«) und Liebesgeschichten (»Nach dem Motto: Die Hoffnung stirbt zuletzt …«). Sybille Schrödter lebt in Hamburg.

Die Autorin im Internet: www.sybilleschroedter.de

Bei dotbooks veröffentlicht Sybille Schrödter die Kriminalromane:

Das dunkle Netz des Todes

Was letzte Nacht geschah

Sowie die historischen Romane:

Die Lebküchnerin

Das Erbe der Lebküchnerin

Die Minnesängerin

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eBook-Neuausgabe Februar 2019

Dieses Buch erschien bereits 2004 unter dem Titel Fannis Filmriss im Piper Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 2004 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/isumi1

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-305-1

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Sybille Schrödter

Was letzte Nacht geschah

Kriminalroman

dotbooks.

Die wichtigsten Personen

Alexander Bendert – Startherapeut, Leiter von Gruppenseminaren, von bösen Zungen einfach nur »der Guru« genannt, wurde auf unschöne Weise umgebracht und spielt auch noch nach seinem Tod eine wesentliche Rolle

Stefanie Bendert – von manchen auch Fanni genannt, gerät unter Verdacht, ihren Mann Alexander umgebracht zu haben, kann sich leider nicht an die entscheidenden Minuten erinnern und versucht, Licht in das Dunkel zu bringen

Hauke Johannsen – ermittelt in diesem Fall, kommt dabei an seine Grenzen und macht sich auf eine ganz persönliche Reise

Franz Häberle – geht seinem Kollegen Hauke Johannsen auf die Nerven und würde Stefanie Bendert gern hinter Gittern sehen

Martha Kemper – stand als Benderts Mitarbeiterin stets in seinem Schatten, durfte nie mehr als seine Dauergeliebte sein und kann Stefanie ganz und gar nicht leiden

Benno Kemper – Marthas ungeliebter Nochehemann besitzt nach der Trennung von Frau Martha keinen Cent und ist wild entschlossen, Fannis Herz zu erobern

Doris Bendert – trauert so intensiv um ihren verstorbenen Exmann Alexander, wie es eigentlich seine Witwe tun sollte

Christian Bendert – Alexander Benderts erwachsener Sohn weint seinem Vater keine Träne nach und steckt in ziemlich großen Schwierigkeiten

Renate Faber – Stefanies Mutter will für ihre Fanni nur das Beste

Clemens Wohlrab – taxifahrender Journalist kann Stefanie entlasten und wittert seine große Chance

Marco Dellinger – Alexander Benderts Mitarbeiter in Italien ist Christian Benderts Patenonkel und macht krumme Geschäfte

Verena Wirtz-Johannsen – die Ehefrau von Kommissar Hauke Johannsen ist spurlos verschwunden

Kapitel 1
Nur ein toter Guru ist ein guter Guru

Schweigend betrachtete Hauke Johannsen den vor ihm am Boden liegenden leblosen Körper. Er gehörte nicht zu jenen kernigen Kommissaren, die beim Anblick eines auf diese Weise zu Tode Gekommenen zynische Sprüche klopften, um zu überspielen, dass ihnen dabei immer noch schlecht wurde.

Es war aber nicht das Messer in der Brust des Toten, das seinen Magen rotieren ließ, denn der aufgespießte Zettel mit dem computergeschriebenem Text »NUR EIN TOTER GURU IST EIN GUTER GURU« entbehrte nicht einer gewissen Komik, sondern die rohe Gewalt, die man dem Opfer offensichtlich nach dessen Tod angetan hatte. Sein ganzes Gesicht war mittels eines spitzen Gegenstands systematisch zerstört worden. Johannsens Kollege Franz Häberle war nicht so zimperlich. Mit einer Kippe im Mund beugte er sich tief hinunter, nebelte die ohnehin zerschundenen Wangen des Toten mit seinem Qualm ein und schwäbelte: »Das war aber kein Messer!«

»Ach nee, was Sie nicht sagen«, murmelte Johannsen, den allein der Anblick seines dauerrauchenden Kollegen auf die Palme brachte. Besonders bei eiskaltem Ostwind auf einem Parkplatz am Elbufer gegen drei Uhr morgens. Häberle war einer dieser Wichtigtuer, die Banalitäten wie »Der Baum ist grün.« in den Mund nahmen, als hätten sie gerade die Welt neu entdeckt.

Natürlich war das kein Messer, dachte Johannsen, das würde jeder Laie auf den ersten Blick erkennen! Häberle war ein ausgemachter Idiot, das stand für Hauke Johannsen fest, aber auch wenn er es nicht gewesen wäre, hätte er nicht die geringste Chance gehabt, von ihm akzeptiert zu werden. Häberle war Peter Wotans Nachfolger und Wotan war tot, erschossen während eines Dienstes, den eigentlich Hauke hätte machen sollen, wenn nicht das mit Verena geschehen wäre. Niemals würde Johannsen einen Nachfolger für seinen besten Freund Peter akzeptieren. Und schon gar nicht diese schwäbelnde Karikatur von einem Colombo in seinem zerknitterten Trench. Nicht dass der gebürtige Nordfriese Johannsen etwas gegen Schwaben hatte. Im Gegenteil, er hatte sogar eine Schwäbin geheiratet, obwohl Verena dagegen stets heftig protestiert und sich als Badenserin bezeichnet hatte. Egal, Hauke Johannsen hatte weder etwas gegen Schwaben noch gegen Badenser, aber sein Wissen um diesen Alemannen-Streit nutzte er redlich gegen den neuen Kollegen aus, indem er ihn mit schöner Regelmäßigkeit als »Sauschwoba« beschimpfte.

Dieser hielt ihm jetzt triumphierend mit den Worten: »Sag ich doch, es war kein Messer!« eine Plastiktüte mit einem Damenschuh entgegen. Und was für einen! Einen solchen Absatz hatte Hauke Johannsen in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen: hoch, spitz, dünn, mit Eisen beschlagen und blutbespritzt. Bei der Vorstellung, wie die Täterin damit ein Lochmuster in die Wangen des Opfers gestanzt hatte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Er stutzte. Dieser Highheel, den einer seiner Männer eben im Gebüsch gefunden hatte, engte den Täterkreis erheblich ein. Eine Frau! Oder ein Psychopath, aber der trug höchstwahrscheinlich keine Stöckelschuhe in Größe neununddreißig. Trotz seines ansonsten stets bewährten Ermittlergrundsatzes »Es ist nie das, wovon du auf den ersten Blick denkst, dass es das ist!«, hatte Johannsen im vorliegenden Fall nicht den geringsten Zweifel daran, dass eine Frau dem bekannten und umstrittenen Therapeuten Alexander Bendert das Lebenslicht ausgepustet hatte.

»Ich weiß nur, dass der öfter mal im Fernsehen war, ziemlich mediengeiler Bursche, glaube ich, aber weiß einer von euch, was der genau gemacht hat?«, fragte der Kommissar und sah erwartungsvoll in die Runde.

»Krisenmanagement«, antwortete eine ihm wohlbekannte Stimme. Hauke hatte sie schon von weitem gesehen, aber jetzt stand die junge Streifenpolizistin, die als erste am Tatort eingetroffen war, so dicht neben ihm, dass ihm unweigerlich ihr Parfum in die Nase stieg. Sie benutzte immer noch dieses japanische Zeug mit dem schweren Duft nach Jasmin. Johannsen konnte gar nichts dagegen tun. Augenblicklich tränten ihm die Augen, er musste niesen und konnte gar nicht mehr aufhören. Noch ein Grund, warum ich mich nicht mehr mit ihr treffen will, dachte er, während er in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch suchte. Als der Anfall nach dem dreizehnten Nieser endlich vorüber war, wandte er sich der dunkelhaarigen hochgewachsenen, gertenschlanken Frau zu und versuchte, möglichst unpersönlich zu wirken: »Was heißt das? Krisenmanagement?«

Sabrina Renner antwortete ebenso sachlich, so cool, wie es ihr nur irgend möglich war: »Das heißt, dass dieser Mann für viele die letzte Hoffnung in emotionalen Krisen war. Er hat überall in Deutschland – und sogar im Ausland – Gruppentherapien veranstaltet. Seelenseminare, wenn Sie so wollen ...«

Als sie ihn siezte, tat sie dies provozierend mit einem ironischen Unterton, der ihn unwillkürlich zusammenzucken ließ, aber sie fuhr ungerührt fort: »Die dauerten eine Woche oder eben nur ein Wochenende und haben so Titel wie: Die eigene Mitte und den Weg zum Herzen finden!«

»Den Weg zu seinem Herzen ist aber einer ganz direkt gange!«, unterbrach Häberle die Ausführungen der jungen Frau. Vielleicht hätte Johannsen für diesen derben Scherz sogar ein müdes Lächeln übriggehabt, wenn er von jemand anderem gekommen wäre. So verzog er keine Miene und forderte die Polizistin, vielleicht eine Spur zu unfreundlich auf, ihn weiter über Bendert aufzuklären. Die Polizistin vergaß für einen winzigen Augenblick, mit wem sie hier eigentlich redete, und schilderte ihm in allen Einzelheiten den Ablauf eines der Bendert-Seminare.

»Woher wissen Sie das eigentlich so genau?«, fragte Johannsen verblüfft, nachdem Sabrina ihre detaillierte Schilderung beendet hatte, und musterte die Beamtin prüfend. Große braune Augen, ein voller sinnlicher Mund, ein heller, glatter Teint. Wenn er sie so ansah, hielt er sie immer noch für außergewöhnlich attraktiv, zumindest rein optisch! Trotzdem versuchte er, nachdem er vor mehr als einem halben Jahr nach dem feucht-fröhlichen Sommerfest in ihrem Bett gelandet war, jedes weitere Zusammentreffen mit ihr unbedingt zu vermeiden.

Sabrina Renner kämpfte einen Augenblick mit sich, ob sie lügen sollte oder nicht, aber dann gab sie es seufzend zu : »O.k., o.k., ich gestehe, ich war selber mal in so einer Gruppe. Aber mehr möchte ich dazu nicht sagen. Privater Fall!«

Hauke Johannsen sah die Polizistin fragend an, und wie sie fand, eine Spur zu arrogant. Sie hatte sich fest vorgenommen, Hauke niemals spüren zu lassen, wie tief er sie verletzt hatte. In diesem Augenblick aber, als sich ihre Blicke trafen und sie seine geballte Abwehr beinahe körperlich fühlen konnte, kam ihr mit einem Mal der ganze unterdrückte Zorn über seine Abfuhr hoch, und es platzte ungefiltert aus ihr heraus: »Dumme Sache. Ich hatte mich blöderweise in einen Kollegen aus der Mordkommission verliebt. Eine Wahnsinnsnacht, dann die Nummer: Kennen wir uns? Hat mich in eine Sinnkrise gestürzt. Erst Tränen, dann Therapie. Die Gruppe bei Bendert hat mir drüber weg geholfen. Nach dem Motto. Lassen Sie los, was Ihnen nicht gut tut! Zufrieden, Herr Johannsen?«

Hauke schluckte trocken, denn alle Augen waren nun auf ihn gerichtet. Sabrina hatte zwar nicht direkt ausgesprochen, wer das Schwein war, aber ihr Blick sprach Bände.

»So so!«, murmelte Häberle und fügte gewichtig hinzu, »der Tote heißt also Alexander Bendert und hat Psycho-Seminare für enttäuschte Frauen veranstaltet.« Johannsen meinte, den Anflug eines Grinsens im feisten Gesicht seines ungeliebten Kollegen zu erkennen.

»Wenn wir Sie noch brauchen, dann melden wir uns, Frau Renner«, konnte Johannsen gerade noch mit belegter Stimme hervorbringen, bevor ihn eine neuerliche Niesattacke unbarmherzig überfiel, denn Sabrina hatte wie zufällig einen Flakon aus der Jackentasche ihrer Uniform geholt und sich ganz zwanglos mit ihrem Lieblingsduft eingenebelt.

»Das ist eine prima Idee. Sie melden sich dann, wenn Sie mich brauchen«, wiederholte die junge Beamtin seine Worte, lächelte in die Runde, drehte sich um und ging. Die Männer starrten ihr hinterher.

»Einer muss sich dringend um die Frau kümmern«, befahl Johannsen zwischen ein paar Niesern und konnte gar nicht darüber lachen, als zwei der jungen Kollegen wie aus einem Munde riefen »Aber gerne!« und Anstalten machten, Sabrina hinterherzurennen. »Ha, ha«, fauchte Hauke säuerlich und fügte hinzu: »Einer muss die Frau, die Bendert gefunden hat, diese Mitarbeiterin von ihm, nach Hause fahren.«

»Wie sieht sie aus?«, fragte ein Witzbold von der Spurensicherung und reckte den Hals, um einen Blick auf die Frau, die zusammengesunken ein wenig abseits auf einer Bank hockte, zu werfen.

»Sehr komisch! Ich mach schon«, brummelte Kommissar Johannsen, näherte sich zielstrebig der Bank und setzte sich neben die zitternde Gestalt. Immer noch bedeckte die Frau ihr Gesicht mit den Händen und wimmerte in einem fort. Das war kein Schluchzen, kein Weinen, kein Heulen, kein Japsen, sondern ein jämmerlicher Sirenenton, den Hauke Johannsen kaum ertragen konnte. Ein ehrliches Weinen, ja, ein lautes Schluchzen, ja, aber nicht dieses waidwunde Gewimmer eines verletzten Tieres. Das tat ihm weh. Nicht in den Ohren, sondern tief im Herzen. So hatte er Verena wimmern hören, am Tag, bevor sie spurlos verschwunden war. Hauke wusste, dass es keinen Zweck haben würde, Martha Kemper jetzt zu zwingen, irgendwelche Fragen zu beantworten. Den Impuls, sie anzubrüllen und zu beschimpfen, wie damals, als er Verena durch lautes Geschrei wieder auf diese Welt hatte zurückholen wollen, konnte er allerdings gerade noch rechtzeitig unterdrücken.

»Kommen Sie«, sagte er sanft und fasste sie behutsam am Fell ihres Wintermantels, »Ich bringe Sie jetzt nach Hause!«

Sie wehrte sich nicht, sondern ließ sich von ihm in Richtung Wagen führen, doch als sie sah, dass Bendert gerade in die Zinkwanne gehoben werden sollte, riss sie sich los, warf sich über den Toten und schrie wieder und wieder einen Namen. Johannsen meinte »Stefanie« verstanden zu haben, doch es war nicht der richtige Zeitpunkt nachzufragen, denn sie schlug wild um sich, als man von ihr verlangte, den am Boden liegenden Ermordeten endlich loszulassen und mitzukommen. Es waren zwei kräftige Männer nötig, um Martha Kemper aus ihrer letzten Umarmung mit Bendert zu lösen und zum Wagen zu begleiten.

Kapitel 2
Ein mörderischer Kater

»So antworten Sie mit ›Ja‹!« Das klang ganz und gar nicht nach einer pastoralen Bitte, sondern wie ein knallharter Befehl, der keinen Widerspruch duldete. Sie wollte etwas entgegnen, aber sie konnte nicht, denn die Frau, die da vorn vor dem Altar stand, den man über und über mit üppigen weißen Liliensträußen geschmückt hatte, war eine andere als sie. Nur das Brautkleid, das enganliegende bodenlange Etuikleid aus weiß-glänzendem Satin mit dem aufreizenden Schlitz an der Seite, gehörte ihr. Dieses raffinierte Teil hatte sie sich extra für diesen Tag schneidern lassen.

»So antworten Sie mit ›Ja‹!«, befahl er noch einmal mit schneidender Stimme.

Sie wollte dem Pastor signalisieren, dass sie erst sprechen würde, wenn die fremde Frau verschwunden war, aber immer, wenn sie ihn ansah, verschwamm sein Gesicht, und er wurde zu einer Mischung aus Antony Perkins in »Psycho« und dem Mann, dem sie das Jawort geben sollte. Sie blickte hilfesuchend zur Seite, doch ihr zukünftiger Ehemann, der eben noch neben ihr gestanden hatte, war nun verschwunden. Zu ihrer großen Verwunderung fingen die Liliensträuße am Altar in diesem Moment an zu wachsen an, und wieder hallte die drohende Stimme in der ganzen Kirche wider: »So antworten Sie mit ›Ja‹«.

Sie drehte sich langsam, wie in Zeitlupe, um, und nun waren es ihre eigenen Gesichtszüge, die bei dem Anblick der Gemeinde erstarrten. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt – mit völlig identisch aussehenden Menschen, die sie aus stahlblauen Augen – Alexanders Augen – fixierten und plötzlich begannen, im Chor zu raunen. Sie konnte nichts von dem verstehen, was sie sagten, aber sie spürte die Gefahr, die von diesen Zombies ausging. Sie wollte weglaufen, doch sie konnte sich nicht rühren.

Dann läuteten die Glocken, und sie erwachte von ihrem laut geschrienen »Nein«.

Ihr Herz klopfte bis zum Halse, als sie das Klingeln hörte. Es vergingen einige Sekunden, bis Stefanie begriff, dass sie aus einem Alptraum – einem Traum, den sie schon so oft und in den verschiedensten Varianten geträumt hatte – erwacht war und jemand an ihrer Haustür Sturm läutete. Sie spürte zunächst nur ihre pelzige Zunge, die an ihrem ausgetrockneten Gaumen festzukleben schien, und streckte die Hand mechanisch in Richtung Nachttisch aus. Dort standen mehrere Flaschen Wasser griffbereit, denn dieses Gefühl am Morgen, in der Wüste zu liegen und ohne einen Schluck elendig verdursten zu müssen, gehörte seit Monaten zu ihrem Alltag. Ganz ohne hinzugucken, zog sie eine der drei Plastikflaschen zu sich ins Bett, setzte sich diese mit geschlossenen Augen an den Hals und stöhnte laut auf, als sie ihr nicht einmal mehr einen winzigen Tropfen entlocken konnte. Sie griff sich nun hastig eine zweite Flasche, eine volle Flasche ohne Deckel, aus der bereits sämtliche Kohlensäure entwichen war und sog gierig an dem abgestandenen Nass. Dabei störte sie sich nicht an dem bitteren Geschmack, sondern war froh darüber, dass sie das Aspirin schon gestern Abend im Wasser aufgelöst hatte, damit sie am Morgen nicht komatös nach einer Tablette suchen musste. Ohne ein einziges Mal abzusetzen, trank sie alles bis auf den letzten Tropfen leer. Nachdem sie die Plastikflasche aus dem Bett geworfen hatte, seufzte Stefanie Bendert laut auf, denn langsam meldete sich ihr restlicher Körper, besser gesagt, es meldeten sich die Schmerzen, die er ihr bereitete. In ihrem Kopf arbeiteten diverse Presslufthämmer unter Hochdruck, in ihrem Magen tobte eine Achterbahn, und es gab offensichtlich keinen einzigen Knochen, der den letzten Abend unbeschadet überstanden hatte.

Wieder läutete es mehrmals an der Tür. Sie versuchte vergeblich, sich aufzusetzen, aber zumindest konnte sie auf dem beleuchteten Zifferblatt ihres Weckers die Uhrzeit erkennen und erschrak. Warum klingelte jemand um halb fünf Uhr morgens Sturm? Vielleicht hatte Alexander seinen Schlüssel verloren? Diesen Gedanken verwarf Stefanie allerdings sofort wieder, denn ihr Ehemann gehörte zu jenen ordentlichen Männern, die ihre Kleidung auch noch nach einer durchzechten Nacht penibel über den Herrendiener hängten. Nein, Alexander hatte während der dreijährigen Ehe noch niemals irgendetwas vergessen, geschweige denn verloren. Er hasste Schlampigkeit und würde wohl eher im Hotel übernachten als zuzugeben, dass ihm so etwas Dummes passieren konnte.

Noch einmal klingelte es fordernd, und sie beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, aber kaum hatte sie es unter lautem Stöhnen und Fluchen geschafft, sich langsam aus der Horizontalen zu erheben, wurde ihr schwarz vor Augen. Sofort ließ sie sich auf das Bett zurückfallen und schaffte es gerade noch, die Beine hoch auf das eiserne Betthaupt zu legen, damit das Blut besser strömen konnte. Stefanie musste bei dem Gedanken, dass sich diese kostspielige Investition von einem monströsen Bett jetzt doch noch gelohnt hatte, unwillkürlich grinsen. Alexander hatte sie nämlich knapp ein Jahr nach der Hochzeit mit diesem eisernen Ungetüm überrascht und dazu vielsagend mit einem Paar Handschellen geklappert. Die aber waren dann nicht ein einziges Mal zum Einsatz gekommen, denn Alexander war damals völlig ausgerastet, als sie ihm den Vortritt lassen wollte und lachend erklärt hatte, sie sei eben lieber die Aktive in so einem Spiel. Stefanie erinnerte sich noch genau an den heftigen Streit, der diesem Geplänkel gefolgt war, denn von dem Tag an hatte er nur noch selten mit ihr schlafen wollen.

Der Gedanke daran, wie öde ihr Sexualleben von da an verlaufen war, konnte sie allerdings nicht von ihren dröhnenden Kopfschmerzen und den langsam einsetzenden Erinnerungen an den gestrigen Abend ablenken. Es war jetzt nicht mehr nur ihr Kopf, der entsetzlich schmerzte, sondern auch ihr Knöchel. Obgleich das Bein in Ruheposition lagerte, pulsierte es unaufhörlich im Bereich der rechten Fessel. Als sich ihr Kreislauf ein wenig beruhigt hatte, traute sie sich, ihr Bein anzuziehen und einen Blick auf den Knöchel zu werfen. Sie erschrak beim Anblick dieser blau-rot schimmernden, unförmigen Schwellung und zuckte heftig zusammen, als sie ein lautes Klopfen vernahm. Das Geräusch kam unten aus dem Wohnzimmer. Jemand bollerte rücksichtslos gegen die Terrassentür, und nun wusste sie es mit Sicherheit: Sie war allein zu Hause! Alexander schlief seit drei Tagen unten in seinem Arbeitszimmer und hätte spätestens jetzt von diesem Krach aufwachen müssen. Sollte er seinen Schlüssel doch verlegt haben? Vielleicht hatte er sich nach der Szene, die sie ihm vor dem peinlich berührten Publikum geboten hatte, so sinnlos betrunken, dass ihm ein einziges Mal gleichgültig war, was die Nachbarn dachten.

Stefanie atmete tief durch und versuchte noch einmal, auf die Beine zu kommen. Ihr Kreislauf hatte sich ein wenig stabilisiert, die verstärkte Ladung Aspirin begann, zu wirken, und es gelang ihr unter großen Schmerzen, zum Fenster zu humpeln. Beinahe wäre sie über ihre wahllos am Boden verstreuten Kleidungsstücke gestolpert. Erst jetzt nahm sie wahr, dass sie noch immer ihren Büstenhalter und den Rock von gestern Abend trug. Letzterer war allerdings kaum mehr wiederzukennen, so zerknüllt und zerlegen war er nach den paar Stunden Schlaf. Wie sie sich dunkel erinnerte, hatte sie das Fest gegen ein Uhr verlassen, aber beschwören konnte sie das natürlich nicht. Die Feier war, soweit sie sich dunkel erinnerte, bei ihrem furiosen Abgang jedenfalls noch in vollem Gang gewesen.

Als Stefanie jetzt gegen einen ihrer Schuhe stieß, versetzte sie dem schwarzen Highheel mit dem gesunden Fuß einen dermaßen wütenden Stoß, dass sie fast ins Stolpern geraten und gefallen wäre. Wenn sie sich auch nicht mehr genau daran erinnerte, wann und wo sie sich gestern Nacht verletzt hatte, so ahnte sie doch, dass diese Teile Schuld daran waren. Alexander hatte ihr den Karton gestern kurz vor dem Fest mit dem bellenden Befehl »Anziehen!« in die Hand gedrückt. So unbeherrscht hatte sie ihn noch nie zuvor erlebt. Deshalb hatte sie sich auch verkniffen zu fragen, in welchem Schuhladen auf dem Kiez man ihm diese abgetakelten Hackenschuhe mit den eisenbeschlagenen Stiftabsätzen nachgeschmissen hatte. Trotz ihrer vorsichtig vorgebrachten Einwände, dass diese Dinger nicht zu einer seriösen Party anlässlich seines fünfundfünfzigsten Geburtstages passten, hatte er sie mit den scharfen Worten, so könne wenigstens jeder gleich auf den ersten Blick erkennen, was für eine billige Hure sie sei, vor die Alternative gestellt, die Schuhe anzuziehen oder eine Ohrfeige zu kassieren. Hätte ich doch bloß die Ohrfeige genommen, dachte Stefanie mit einem prüfenden Blick auf ihren schmerzenden Knöchel.

Sie war nun am Fenster angekommen und überlegte, wie sie, ohne gleich selber gesehen zu werden, ihrerseits einen Blick auf die Terrasse riskieren konnte. Das war gar nicht so einfach, denn die Schlafzimmerjalousie war nicht aus billigem Plastik, sondern aus schwerem Holz angefertigt. Das hatte zur Folge, dass sie nicht einfach hindurchblinzeln konnte, sondern die Jalousie wohl oder übel bis in Sichthöhe nach oben ziehen musste. Das tat sie möglichst leise. Wieder klopfte es, noch lauter als zuvor, und sie konnte eine tiefe, fremde Männerstimme laut rufen hören: »Frau Bendert, hallo, wenn Sie da sind, machen Sie auf. Polizei! Hallo!«

Ein Zittern ging durch ihren ganzen Körper. Sie öffnete hastig das Fenster, und ein eisiger Hauch streifte ihren halbnackten Oberkörper. An diesem Märzmorgen war es draußen weit unter Null, und ein starker Ostwind sorgte dafür, dass die gefühlte Temperatur noch erheblich darunter lag. Man wartete täglich darauf, dass es noch einmal schneien würde. Stefanie zitterte jetzt vor Angst und Kälte, beugte sich aus dem Fenster und rief mit belegter Stimme: »Ich komme!« Diese Worte brachte sie einigermaßen klar und ohne erkennbare Artikulationsstörungen heraus. Aus dem Augenwinkel konnte sie auf dem Balkon des Nachbarhauses einen Schatten ins Haus huschen sehen und ahnte, wer sich da gerade so eilig von seinem Spannerposten entfernt hatte: Der neue und überaus neugierige Mieter ihrer Nachbarn, Jens Ottmann!

Als sie die Treppen nach unten humpelte, spürte sie weder den Schmerz im Knöchel noch das Dröhnen im Kopf, sondern in jeder Faser ihres Körpers eine lähmende Angst bei dem Gedanken, dass etwas Entsetzliches geschehen sein musste.

Hauke Johannsen trat nervös von einem Bein auf das andere. Er hatte heute früh in der Eile nur seine Halbschuhe angezogen und spürte seine Füße schon gar nicht mehr. Wahrscheinlich waren seine Zehen schon dort unten an der Elbe abgefroren. Häberle schnippte schweigend die Asche seiner Zigarette in einen der winterlich verwaisten toskanischen Blumenkübel. Ihn schien weder die arktische Kälte zu stören noch die Tatsache, dass sie jetzt bereits seit einer geschlagenen halben Stunde versuchten, in dieses Haus zu kommen. Er kümmerte sich, wie immer, um nichts außer um seine Zigaretten, sprach kein Wort und schien nicht im Geringsten angespannt zu sein angesichts der unangenehmen Aufgabe, die sie zu dieser Adresse im Hamburger Westen geführt hatte. Hauke Johannsen ließ das nicht so kalt wie seinen Kollegen, denn wenn er etwas an seinem Job hasste, war es das Überbringen solcher Nachrichten, und doch war es ihm immer noch lieber, dass er diese Aufgabe selbst übernahm als irgendeinen unerfahrenen Uniformierten vorzuschicken. Wie viele Ehefrauen hatte er schon hysterisch zusammenbrechen sehen! Und was hysterische Frauen anging, so war sein Bedarf für den heutigen Tag bereits gedeckt. Er war auf das Schlimmste gefasst und fauchte Häberle wütend an: »Machen Sie die Kippe aus, Mann, da kommt sie!«

Im Wohnzimmer war das Licht angegangen, und durch die große Terrassentür hindurch konnte Johannsen sehen, wie eine Frau auf sie zu humpelte. Als sie schließlich die Tür öffnete, starrte er sie für den Bruchteil einer Sekunde unverwandt an. Darauf, dass sie seiner verschwundenen Frau ähnlich sehen würde, war er nicht gefasst gewesen, aber er war immerhin Profi genug, die Verunsicherung zu überspielen und sich stattdessen höflich vorzustellen. Wie er den üppigen, blumigen Duft kannte, der von ihr ausging: Shalimar! Das hatte Verena auch immer benutzt, war es doch eines der wenigen Parfums, auf die er nicht allergisch reagierte. Natürlich wollte er ihr die tragische Nachricht nicht hier draußen in der Kälte überbringen, zumal er seine Zehen in den feinen italienischen Schuhen nun gar nicht mehr spürte und sich nach ein wenig Wärme sehnte. Johannsen räusperte sich mehrmals und schlug höflich vor, das Ganze im Haus zu besprechen.

Wortlos nur mittels einer Geste bat Stefanie Bendert die beiden Herren ins Wohnzimmer und deutete auf die schrille Sitzecke. Die Frau steht auf die Sixties – wie Verena, dachte Johannsen, während er sich auf einen der knallorangefarbenen Sitzsäcke fallen ließ. Die Hausherrin versank ihrerseits in einem der knautschigen Sessel, während Häberle, der Vollidiot, fragte, ob man hier wohl rauchen dürfe, worauf sie stumm nickte. Johannsen hätte im Erdboden versinken können, aber sein strafender Blick erreichte seinen Mitarbeiter nicht. Häberle, der immer noch stand, war fieberhaft damit beschäftigt, eine Marlboro aus der Packung zu zerren. Warum kam Johannsen sich nur so linkisch vor? Er hatte solche Situationen, so unangenehm sie ihm auch immer waren, sonst stets im Griff. Es verunsicherte ihn, wie merkwürdig ihn die Frau mit ihren großen grünen Augen fixierte. Warum fragte sie nicht: »Was wollen Sie hier morgens um halb fünf? Ist was Schlimmes passiert? Ist was mit meinem Mann?«

»Sie brauchen einen Aschenbecher!«, nuschelte Stefanie nun kaum verständlich in sich hinein, als sie Häberle mit seiner Zigarette zielstrebig auf ihre Zimmerpalme zusteuern sah, und stand auf. Dabei schwankte sie ein wenig, und Johannsen befürchtete schon, sie könnte das Gleichgewicht verlieren. Nachdem sie Häberle einen teuren Alessi-Aschenbecher in die Hand gedrückt hatte, drehte sie sich abrupt zu Johannsen um und sprach ihn direkt an: »Ist was mit meiner Mutter?«

Jetzt verstand der Kommissar, warum sie bislang geschwiegen hatte, denn das, was ihm entgegenhauchte, nahm ihm fast die Luft zum Atmen. Diese Fahne hätte selbst Tote wieder zum Leben erwecken können! Die Erkenntnis, eine Betrunkene vor sich zu haben, brachte ihm merkwürdigerweise sofort seine ganze Selbstsicherheit zurück.

»Frau Bendert, ich schlage vor, Sie setzen sich«, sagte er und gab sich Mühe, seine Stimme dabei nicht allzu hart und kalt klingen zu lassen. Sie humpelte zu ihrem Sitzsack zurück und ließ sich in das weiche Möbel plumpsen. Einen Moment lang musterte Johannsen sie prüfend von Kopf bis Fuß und empfand die Ähnlichkeit mit seiner Frau nicht mehr als so frappierend. Er hatte sich lediglich durch ihre langen rotblonden Haare, diese grünen Augen und den bekannten Duft täuschen lassen. Trotz des edlen royalblauen Bademantels, an dessen Brusttasche sichtbar ein gesticktes YSL prangte, wirkte diese Frau seltsam verlebt. Sie hatte schwarze Ringe unter ihren schönen Augen, eine ungesunde Gesichtsfarbe, die Haare waren völlig zerzaust ... und dann diese entsetzliche Schwellung an ihrem rechten nackten Knöchel! Wie hatte er sich nur so täuschen können? Er musste endlich damit aufhören, in allen rotblonden Mittdreißigerinnen Verena zu sehen. Sonst würde er eines Tages noch ganz irre. Nun betrachtete er sein Gegenüber nur noch als das, was sie wirklich war: Die besoffene Ehefrau des auf hässliche Weise ums Leben gekommenen Alexander Bendert. Irgendwie beruhigte ihn der Gedanke, dass die Schönen und Reichen auch ihre beschissenen Probleme hatten, wie man an dieser Frau unschwer erkennen konnte. Er musste es ihr sagen, und zwar sofort.

»Geht's meiner Mutter gut?«, kam sie ihm lallend zuvor.

»Frau Bendert, Ihrer Mutter geht's bestimmt gut, aber wir bringen Ihnen trotzdem eine schlechte Nachricht.« Er zögerte, aber dann wollte er es endlich hinter sich bringen und erklärte hastig: »Ihr Mann ist tot. Er ist ermordet worden!«

Johannsen hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass sich die alkoholisierte Frau mühsam aus ihrem Sessel erheben, noch weißer werden und dann einfach zusammenklappen würde.

Als Stefanie nach ein paar Sekunden wieder zu sich kam, sah sie in die besorgten Augen eines wildfremden Mannes, der sich über sie beugte. Sie spürte nur diese entsetzliche Übelkeit, flüsterte: »Mir ist schlecht!« und wollte aufstehen. Der fremde Mann griff ihr entschlossen unter die Arme und half ihr auf die Beine, aber sie befreite sich aus seinem Griff, fauchte: »Lassen Sie mich sofort los!« und humpelte in Richtung Toilette. Als sie im Vorbeigehen in das Gesicht eines anderen Fremden, der hastig an einer Zigarette zog, blickte, wusste sie wieder, was geschehen war, beschleunigte ihren Schritt und schloss sich im Bad ein. Sie wollte allein sein. Ihr war hundeelend. Warum verschwanden die Kerle nicht? Sie war jetzt nicht bereit, mit irgendjemandem zu sprechen, schon gar nicht mit der Polizei. Nachdem sie einen Schwall des zuviel genossenen guten Bordeaux und Teile des üppigen Buffets vom Vorabend in der Toilette losgeworden war, betrachtete sie ihr Spiegelbild und streckte ihm die Zunge heraus. Dann ließ sie sich erschöpft auf den Klodeckel fallen. Vom Kopf her hatte sie begriffen, was geschehen war, aber sie spürte nichts. »Mein Mann ist tot!«, brabbelte sie leise vor sich hin, »Mein Mann ist tot!« Verdammt, warum weinte sie nicht? Warum schrie sie nicht? Warum fühlte sie nichts? Dann hörte sie plötzlich ihr eigenes Lachen, ein kurzes teuflisches Auflachen. Vor ihrem inneren Auge sah Stefanie plötzlich alles glasklar vor sich: Sie schlägt ihm mitten ins Gesicht! Hass und Verachtung flackern in seinen Augen. »Ich wünschte, du wärest tot!«, schreit sie laut heraus – und nun war ihr Wunsch in Erfüllung gegangen.

Johannsen war schon eine ganze Weile nervös vor ihrer Badezimmertür auf und abgegangen, als er dieses irre Lachen hörte, das ganz plötzlich wieder erstarb. Kein Laut drang mehr aus dem Bad.

»Frau Bendert, alles in Ordnung?«, rief er voller Sorge, dass sie sich hinter der verschlossenen Tür vielleicht etwas antun könnte. Man würde ihm den Kopf abreißen, wenn herauskam, dass er sie in diesem Zustand aus den Augen gelassen hatte. Er lauschte. Keine Antwort. »Frau Bendert, wenn Sie nicht aufmachen, brechen wir die Tür auf!«, drohte er in seiner Panik.

»Lassen Sie mich in Ruhe!«, brüllte sie zurück. Warum kapierten diese Deppen nicht, dass sie allein sein wollte? Ihr war der abschätzende Blick des großen blonden Beamten, der ihr die Nachricht überbracht hatte, keineswegs entgangen, und sie dachte nicht daran, sich ihnen noch einmal freiwillig in diesem Zustand zu präsentieren. Keiner konnte sie dazu zwingen, ihre Höhle zu verlassen. »Frau Bendert, bitte, wir haben noch ein paar Fragen an Sie!« Johannsens Stimme klang jetzt flehend.

»Verdammt noch mal, haben Sie überhaupt kein Taktgefühl? Hauen Sie doch endlich ab!«, schnauzte sie zurück. Stefanie hatte jetzt kaum mehr Artikulationsschwierigkeiten und fühlte sich auch sonst mit einem Mal völlig nüchtern. Trotz des pochenden Schmerzes in ihrem Knöchel erhob sie sich von dem Klodeckel, humpelte zu dem Spiegelschrank, zog mit einem gezielten Griff eine Puderdose hervor, versuchte, die Ränder unter den Augen notdürftig zu kaschieren und bürstete sich die zerzausten Haare. Dann kehrte sie ins Wohnzimmer zurück, sah prüfend von dem großen blonden zu dem kleinen dicken kettenrauchenden Beamten und fragte tonlos: »Wie ist es passiert?«

Häberle sah seinen Chef aufmunternd an und ging davon aus, dass er die unangenehme Aufgabe übernehmen würde, der Ehefrau die näheren Umstände von Benderts gewaltsamen Ableben zu erklären. Typisch Häberle, dachte Johannsen grimmig und räusperte sich, bevor er ihre Frage kurz und bündig beantwortete: »Ihr Mann ist auf einem Parkplatz unten an der Elbe bei Teufelsbrück tot aufgefunden worden. Man hat ihn erstochen. Wir müssen Sie bitten, ihn zu identifizieren!«

»Jetzt?« Das schrie sie förmlich heraus.

Johannsen zögerte. Natürlich wäre es ihm am liebsten, wenn sie das so schnell wie möglich hinter sich bringen würden, aber er sah ein, dass man ihr das in diesem Zustand nicht zumuten konnte. »Nein, nein, ich denke, wir machen das am Vormittag, wenn Sie ...« Er konnte sich gerade noch bremsen, zu sagen, wenn Sie Ihren Rausch ausgeschlafen haben. »... also wenn Sie dann ausgeschlafen haben!« Johannsen war sich nicht ganz sicher, ob sie, alkoholisiert wie sie war, überhaupt begriffen hatte, was geschehen war. Es würde jedenfalls wenig Sinn haben, ihr in diesem Augenblick die üblichen Routinefragen zu stellen, wann sie ihren Mann das letzte Mal gesehen hatte und, und, und. Er konnte aber nicht mehr verhindern, dass Kollege Häberle sie nun durchdringend ansah und in strengem Ton fragte: »Frau Bendert, wo waren Sie zwischen ein und drei Uhr heute Nacht?«

»Ach wie süß, das kann ja sprechen«, gab Stefanie zurück und deutete auf Häberle, der sich aber nicht aus der Ruhe bringen ließ und hinzufügte:

»Man hat ihm das Gesicht mit einem Stöckelschuh durchlöchert! Ihrem Schuh vielleicht?«

Das ging entschieden zu weit. Obwohl sie Verena nur noch ganz entfernt ähnlich sah, verspürte Johannsen den starken Impuls, die fremde Frau vor seinem unsensiblen Kollegen zu beschützen.

»Sie brauchen jetzt nicht zu antworten!«, beeilte sich der Kommissar mit einem strafenden Seitenblick auf Häberle zu sagen, »Ich hole Sie gegen zehn Uhr ab, und dann unterhalten wir uns, einverstanden?«

»In Ordnung. Dann bringe ich Sie jetzt zur Tür«, entgegnete sie, fühlte mit einem Mal eine bleierne Müdigkeit in sich aufsteigen und schenkte dem blonden Kommissar mit dem markanten Gesicht ein dankbares Lächeln. Er lächelte zurück und bemerkte beinahe zärtlich: »Schonen Sie bloß Ihr Bein. Wir finden schon hinaus!«

Häberle brummelte: »Wiedersehen!«, schlurfte mit seinen schweren Winterstiefeln über den schneeweißen Hirtenteppich, hinterließ bei jedem Schritt Dreckklumpen, die sich einer nach dem anderen aus den Rillen seiner Schuhe lösten, und drückte, bevor er das Zimmer endgültig verließ, seine Kippe am Stamm der Zimmerpalme aus. Johannsen blieb einen Moment lang unschlüssig stehen.

»Frau Bendert, eine Frage muss ich Ihnen noch stellen!« Seine Stimme klang weich.

»Ich habe meinen Mann nicht umgebracht, wenn Sie das meinen!«, antwortete sie hastig.

»Ich wollte eigentlich nur sicher gehen, ob Sie überhaupt begreifen, was geschehen ist, aber das ist ja offensichtlich angekommen«, entgegnete er förmlich. Dann drehte er sich um und ging in Richtung Haustür. Auf dem Flur blieb er stehen, zögerte einen Augenblick, kehrte noch einmal um und betrat leise das Wohnzimmer.

»Entschuldigung, Frau Bendert, aber sollen wir vielleicht jemanden anrufen? Möchten Sie, dass jemand bei Ihnen ist?« Er bekam keine Antwort und trat näher an ihren Sessel heran. Sie hatte sich ganz tief hineingekuschelt, die Augen geschlossen und atmete gleichmäßig. Er tippte ihr leicht auf die Schulter, aber sie reagierte nicht. Johannsen betrachtete die Schlafende und seufzte. So hilflos wie sie jetzt dalag, sah sie Verena wieder so verdammt ähnlich!

Der Kommissar verließ das Wohnzimmer auf Zehenspitzen und nahm sich fest vor, sich bei den nun folgenden Ermittlungen vom Verstand leiten zu lassen und nicht von der krankhaften Sehnsucht nach einer Frau, die ihn vor knapp zehn Monaten bei Nacht und Nebel verlassen hatte und seitdem spurlos verschwunden war.

Er würde sich erst einmal einen doppelten Espresso genehmigen und dann Benderts Mitarbeiterin einen Besuch abstatten. Wenn er die Reaktionen der beiden Frauen verglich, lag eine gewisse Vermutung nahe, aber Johannsen wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen.

Kapitel 3
Die schwarze Witwe

Martha Kemper hatte in dieser Restnacht kein Auge zugetan. Sie lag in ein pechschwarzes, weites Gewand aus Georgette gehüllt – das einzige schwarze Kleidungsstück, das sie auf die Schnelle zwischen ihren bunten Sachen im Schrank gefunden hatte – zusammengerollt unter einer Wolldecke auf ihrem Sofa und starrte in die Dunkelheit. Jedes Mal, wenn sie die Augen auch nur für ein paar Sekunden schloss, erschien ihr dieses entsetzliche Bild, das sie so gerne vergessen wollte, das sich aber für immer und ewig in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte: Das Messer in diesem Herzen, das nie wieder schlagen würde!

Plötzlich wurde es hell im Wohnzimmer, und sie sah den verschlafenen Benno im Türrahmen lehnen, die Hand am Lichtschalter. Schon der Anblick dieses schlaksigen Mannes in dem lächerlich gemusterten Seidenpyjama, der ihn wie ein Riesenbaby aussehen ließ, machte sie aggressiv.

»Schatz, ist was passiert?«, fragte er scheinbar besorgt und näherte sich dem Sofa. Wenn er sie in den Arm nahm, würde sie zuschlagen. Sie liebte ihn schon lange nicht mehr, hatte ihm bereits vor ein paar Wochen auf den Kopf zu gesagt, dass er endlich ausziehen solle, aber an diesem Morgen konnte sie nicht einmal mehr seinen Anblick ertragen, geschweige denn seinen morgendlichen Atem, den er ihr jetzt ins Gesicht hauchte. Glücklicherweise wagte er es nicht, sie zu küssen. Kein Wunder, denn ihr Gesicht war verzerrt vor Wut und Abscheu. Das hielt ihren Ehemann davor zurück, sich ihr auch nur einen einzigen weiteren Millimeter zu nähern.

Benno zog es vor, auf Abstand zu gehen, ließ sich schwerfällig auf einen der Designersessel fallen, sah sie prüfend und in der Hoffnung an, sie würde ihm endlich erklären, warum sie morgens um sechs in einem scheußlichen schwarzen Paillettenkleid auf dem Sofa lag. Es war unschwer zu erkennen, dass sie geweint hatte. Er nahm sich fest vor, sie nicht mit neugierigen Fragen zu löchern. Das würde sie nur noch aggressiver machen.

Benno begann, wie immer, wenn er unter Anspannung stand, nervös zu hüsteln. Als sie darauf in keiner Weise reagierte, konnte er es nicht länger aushalten: »Bitte, Schatz, sag was. Bist du sauer, dass ich dich nicht zum Fest begleitet habe? Aber du wolltest doch nicht, dass ich mitkomme ... und er bestimmt auch nicht!« Sein Ton klang wie der eines schuldbewussten Kindes, das seine Mutter um Verzeihung anbettelte.

»Tu mir einen Gefallen, halt einfach deinen Mund!«, unterbrach Martha sein Gestammel barsch und zog sich die Wolldecke über den Kopf, als wolle sie sich damit unsichtbar machen oder zumindest demonstrieren, dass ihr seine Gesellschaft in diesem Augenblick noch mehr zuwider war als sonst.

»Aber, Schatz ...« Weiter kam er nicht, denn sie schleuderte die Decke mit einem einzigen Griff von sich, funkelte ihn mit hasserfüllten Augen an und schrie: »Und hör endlich auf mit deinem dämlichen Schatz!«

Benno schluckte trocken. »Dann eben nicht«, sagte er mehr zu sich selber, stand langsam auf und wollte das Zimmer wie ein geprügelter Hund verlassen, als er Martha tonlos sagen hörte: »Alexander Bendert ist ermordet worden!«

»Wie ermordet?«, fragte er dümmlich zurück.

»Sie war es. Sie war es. Sie hat ihn umgebracht!« Martha schluchzte laut auf.

»Wer sie?« Benno war eilig zu dem Sessel zurückgegangen und betrachtete seine Frau, die jetzt hemmungslos weinte, plötzlich mit einem völlig veränderten Blick. Er sah sie kalt und abschätzend an, ohne die geringste Spur dieser sanften Besorgnis. »Wer hat ihn umgebracht?«, wiederholte er ungeduldig und vergaß dabei, die Rolle des defensiven, leicht vertrottelten Ehemanns zu spielen. Martha aber nahm ihn gar nicht mehr wahr und wirkte in ihrem Leiden beinahe schutzbedürftig. Nichts in ihrem verquollenen Gesicht erinnerte an die knallharte Frau, die sie sonst war. Sie bemühte sich nicht einmal darum, ihren Schmerz über seinen Tod vor ihm zu verbergen. Benno fragte sich, ob sie wohl ahnte, dass er ihren ungewöhnlich emotionalen Ausbruch genau als das interpretieren würde, was er war: Ein Geständnis ihrer unseligen Leidenschaft für den Toten! Der Gedanke daran tat ihm nicht weh, nicht mehr, er stellte vielmehr eine intellektuelle Betrachtung an, wie eine sonst so vorsichtige, kühl kalkulierende Frau wie Martha sich derart vergessen konnte. Das bewies, was er schon lange vermutet hatte: Seine Frau war durchaus zu tiefer Leidenschaft fähig, nur hatte er, Benno, es niemals geschafft, sie auch nur annähernd in ihr zu erwecken. Dazu bedurfte es schon eines psychisch derart degenerierten Egomanen, wie Bendert einer gewesen war. Natürlich würde er sich nicht anmerken lassen, was er schon lange wusste und es tat ihm vor allem nicht mehr weh.

Als Martha ihn nun zum ersten Mal an diesem Morgen wirklich ansah, hatte er in seine Rolle zurückgefunden, und sie blickte in das mitfühlende Gesicht ihres Noch-Ehemannes, der mit sanfter Stimme fragte: »Wer hat Alexander umgebracht, Martha?«

In diesem Augenblick wurde sich Martha darüber klar, dass sie in ihrem Schmerz all das preisgab, was Benno niemals erfahren sollte, auch jetzt nicht, wo alles vorbei war.

»Tschuldigung, dass ich so außer mir bin!«, presste sie hervor, während sie sich aus der auf dem Sofatisch liegenden Kleenexpackung ein weiteres Taschentuch hervorzog.

»Es ist nur, weil, weil, ich habe ihn gefunden und ... ich habe doch noch nie einen Toten gesehen!« Martha ließ jetzt zu, dass Benno sich zu ihr setzte und ganz behutsam ihre Hand in die seine nahm.

»Ich habe ihm noch angeboten mitzugehen, aber er wollte sie allein ins Taxi setzen ...«, presste sie schluchzend hervor. Er streichelte ihr sanft die Hand und flüsterte: »Mein armer ...« Den »Schatz« verschluckte er noch gerade rechtzeitig und fuhr voller Mitgefühl fort: »Und du hast ihn gefunden? Das ist ja entsetzlich!«

»Ja, es war doch sein Fest. Da konnte er doch nicht einfach abhauen. Ich bin nach einer halben Stunde hinterher, habe ihn draußen gesucht. Vergeblich. Als er nach einer Stunde nicht wiedergekommen ist, habe ich auf seinem Handy angerufen, aber er hat sich nicht gemeldet, dann habe ich die Gäste nach Hause geschickt. Als alle weg waren, habe ich ihn gefunden, da lag er auf dem Parkplatz ...!«, stammelte sie unter Tränen. Ganz plötzlich hörte sie auf zu weinen und ballte ihre Fäuste. Sag nichts, sag jetzt bloß nichts, sprach sich Benno gut zu. Obwohl er bereits ahnte, wen seine Frau für die Täterin hielt, wollte er es aus ihrem Mund hören! Er erhob sich vom Sofa und begann nervös, im Wohnzimmer auf und ab zu gehen.

»Sie hat es ihm angedroht. Vor uns allen, und wir haben ihn allein mit ihr gehen lassen. Aber woher hätten wir denn wissen sollen, dass sie es wirklich macht? Das konnten wir doch nicht ahnen!«, hörte er Martha nach einer ganzen Weile unerträglichen Schweigens fast entschuldigend sagen.

»Wer hat es ihm angedroht?«, fragte Benno ungeduldig.

»Stefanie!« Sie schrie diesen Namen heraus.

»Martha, weißt du überhaupt, was du da redest? Das ist doch absurd. Warum sollte Fanni ihn umbringen? Sie hat ihn angebetet!«

»Warum? Warum? Warum?«, äffte sie Benno nach und musterte ihn abschätzend, wie er da in diesem albernen Schlafanzug in seinem Sessel saß und um Fassung rang. Was wusste er schon – dieser naive gutgläubige Versager?

Sie hat ihn angebetet, ha! Das war einfach lächerlich! Obwohl Alexander jetzt mausetot in einer Kühlbox lag, spürte sie eine maßlose Wut auf ihn und darüber, dass er seine Frau nicht längst verlassen hatte. Das hast du nun davon, dachte sie und merkte sofort, wie ihre Augen brannten und sich erneut mit Tränen füllten. Sie schrie jetzt gegen ihren Schmerz an: »Ich weiß, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Ich stand direkt daneben. Sie hat sich einen angesoffen, dann vor aller Augen an den Barmann rangeschmissen. Das habe ich gesehen, und nicht nur ich, nein alle, alle haben dieses bizarre Schauspiel mit ansehen dürfen. Bis er ihr gesagt hat, sie soll nach Hause gehen, da hat sie ihm ins Gesicht geschlagen, hat laut gelallt: »Ich wünschte, du wärest tot!«, ist vom Barhocker gerutscht und gen Ausgang gewankt. Er wollte sie nur in ein Taxi verfrachten und zurückkommen, aber er ist nicht mehr gekommen, weil sie ihn umgebracht hat.« Voller Erschöpfung hielt sie inne und drückte eines der bestickten indischen Sofakissen gegen ihren Bauch, als könne sie sich damit vor weiterem Schmerz schützen.

»Aber du sagst doch selber, sie war sturzbetrunken«, versuchte Benno diesen ungeheuren Verdacht zu entkräften. Martha funkelte ihn hasserfüllt an: »Na und? Du hast doch keine Ahnung! Die meisten Morde geschehen im Suff! Und vielleicht hat sie uns ja auch nur was vorgespielt! Aber ich weiß schon, warum du sie verteidigst. Mir kannst du nichts vormachen, mein Lieber, warum ziehst du nicht gleich zu ihr? Ist doch jetzt genügend Platz, wäre doch überhaupt sehr praktisch, dann würden wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, du verschwindest endlich und kannst dich nicht mehr rausreden, dass du keine Wohnung findest ...«

»... aber das habe ich doch gar nicht so gemeint«, unterbrach Benno die verbale Attacke seiner Frau, bevor sie sich noch weiter hineinsteigern konnte, und fügte leise hinzu: »Ich wollte nur sagen, ich kann das nicht glauben, sie bewundert ihn, sie hat nur Augen für ihn ..., das hat sie bestimmt nur so daher gesagt ...«

»Träum weiter, mein Lieber«, giftete Martha zurück, »weiß doch jeder, dass du in sie verknallt bist! Hat Alexander übrigens köstlich amüsiert.«

Benno hatte jetzt große Mühe, seine wirklichen Gefühle zu verbergen. Er hasste Martha dafür, dass sie sich derart schamlos wie Benderts Witwe aufführte, und er hasste sich dafür, dass er sich so entsetzlich klein machte, weil er finanziell von ihr abhängig war.