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© Piper Verlag GmbH, München 2017

erschienen unter dem Titel »Noch nicht da und schon am Ende«

im Verlagsprogramm Piper Sachbuch

Dieses Werk wurde vermittelt durch Aenne Glienke | Agentur für Autoren und Verlage, www.AenneGlienkeAgentur.de

Umschlaggestaltung: Dorkenwald Grafik-Design, München

Umschlagabbildungen: Petra Dorkenwald

Bildteilfotos: Françoise Hauser, bis auf S. 1 unten (ullstein bild - AP), S. 3 unten (Katrin Schlotter) und S. 6 unten (Sustainable Sanitation Alliance [SuSanA] - https://www.flickr.com/photos/gtzecosan/3232388550/, CC BY 2.0)

Satz: Kösel Media GmbH, Krugzell

Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee

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ANSTELLE EINES VORWORTS: WORUM GEHT’S?

Es ist ein Jammer: Da fährt man ein- oder zweimal im Jahr voller Vorfreude in ferne Gefilde und stellt fest, dass Klausi einem noch immer wie am Frackzipfel hängt. »Klausi« steht in meinem persönlichen Code für Klaustrophobie. Klausi fliegt nicht gerne, und schon gar nicht im hinteren Teil des Flugzeugs, er hasst enge Aufzüge, und U-Bahnen sowieso. Unter dem Strich kann man ihn nur mit Humor nehmen, alles andere wäre zum Heulen. Und Klausi ist keineswegs allein: Fast alle Menschen, die ich kenne, nehmen Ängste, Unverträglichkeiten, Ekel und Abneigungen mit, wenn sie auf Reisen gehen. Neurotischer Kram, der sich nur schwer erklären lässt, auf Unbeteiligte gerne etwas durchgeknallt wirkt und nicht zuletzt für viele nette Anekdoten sorgt, die allerdings oft erst im Nachhinein so richtig lustig sind, wenn man den Peinlichkeitsfaktor überwunden hat.

Falls Sie zu den Menschen gehören, die gar niemanden mit Phobie oder anderen »Macken« kennen, wäre dies übrigens der Moment, einfach mal innezuhalten und darüber nachdenken, warum das so ist. Statistisch gesehen sind Phobiker und alle anderen »Neurotiker« (ein Begriff, der hier durchaus mit einem Augenzwinkern benutzt wird) nämlich in ziemlich guter Gesellschaft. Mehr als ein Sechstel aller Menschen leidet an Phobien, fast ein Viertel an Unverträglichkeiten (oder glaubt es zumindest), viele sind sogar von beidem betroffen. Und selbst für jene, die sich nicht unbedingt in diese Reihe einordnen würden, gilt: Jeder hat seinen ganz persönlichen Horror oder Problembereich, der erst unterwegs so richtig zum Tragen kommt. Spätestens bei der Begegnung mit einer tropischen Spinne im XXL-Format erleben nicht nur Arachnophobiker eine ganz neue Dimension von Panik. Sie reden nur nicht oft darüber. Über die Möglichkeiten des Scheiterns am fremden Umfeld wird generell wenig gesprochen: über das Entsetzen ob der »authentischen« lokalen Toiletten in der Dritten Welt, des ortsüblichen Essens, der gepackten Menschendichte im öffentlichen Verkehr oder über den Ekel vor den riesigen Insekten, von denen im Reisekatalog natürlich nicht die Rede war.

In diesem Buch geht es daher nicht nur um Phobien, sondern auch um all die anderen Ärgernisse, die einem die Reise ganz schön verhageln können.

Manchmal sind es schlicht die Freunde oder komplett fremde Menschen, die dafür sorgen, dass die Reise niemals im Tagebuch unter »Meine schönsten Erlebnisse« verewigt wird: Schon allein das Wissen um die Existenz von Kriminellen und Terroristen lässt jede Reisetasche ohne Besitzer suspekt erscheinen.

Allerdings muss man dazusagen: Ängste sind nicht immer unbegründet, manch eine vermeintlich neurotische Abneigung ist im Grunde gar nicht so falsch. Auch darum geht es in diesem Buch. Mücken und andere Insekten kann man eigentlich gar nicht überschätzen, obwohl sie so klein sind, und Krankheitskeime schon gar nicht, obwohl sie uns oft da erwischen, wo wir gar nicht mit ihnen rechnen. Wenn sie einen niederzwingen, braucht man einen Arzt. Spätestens dann bekommen es auch Unerschrockene in der Dritten Welt mit der Angst zu tun.

Manchmal fürchten wir uns auch vor Dingen, die eigentlich harmlos sind, und stellen uns wie nebenbei und furchtlos den wirklichen Gefahren, weil wir sie gar nicht als solche erkennen: Zwar eint die Angst vor Haien alle Reisenden, die ans Meer wollen; dass man aber weitaus mehr Respekt vor Quallen haben sollte, die es mittlerweile in erschreckendem Ausmaß gibt, ist nur den wenigsten bekannt. Oder dass die schnelle Abkürzung über die Wiese in manchen Ländern die letzte gewesen sein kann. Hätten Sie gedacht, dass jedes Jahr rund 100 000 Menschen weltweit an Schlangenbissen sterben?

Alles in allem geht es in diesem Buch also darum, einen Blick auf die psychische und physische Unbill zu werfen, die auch erfahrene Reisende ereilen kann – und natürlich darum, all die Informationen zu sammeln, die ein Neurotiker zu schätzen weiß: wo man wirklich mit einer verdreckten Toilette rechnen muss, welche Tiere wirklich gefährlich sind und was man im Katastrophenfall tun sollte.

Den einen oder anderen Ratschlag gibt es auch. Falls Sie aber den todsicheren, erprobten Tipp erwarten, der alle Ängste und Probleme hinwegfegt, dann muss ich Sie enttäuschen. Dies ist kein Selbsthilfebuch im Sinne von »Angstfrei in 24 Stunden«. Viele Ratgeber sind sowieso ein Schlag ins Gesicht eines jeden Phobikers, denn sie bagatellisieren die Angst: »Reiß dich zusammen«, ist die Botschaft, »stell dich doch einfach der Angst.« Derartige Ratgeber suggerieren, dass man Phobien auf 200 Seiten ausmerzen kann. Was natürlich letztlich auch bedeutet: Alle, die bei ihrer Angst bleiben, sind irgendwie Weicheier. Menschen, die sich einfach nicht trauen, sich ihrer Schisse zu stellen, unnötig leiden und auch ganz anders könnten, wenn sie sich nur ein bisschen anstrengen würden. Persönlich kenne ich nur Menschen, die, und auch das gilt nicht für alle, graduelle Verbesserungen ihrer Phobien und Abneigungen erreicht haben und die trotzdem verreisen. Sollte man nicht gerade vor ihnen Ehrfurcht haben? Vor jenen, die todesmutig in den Flieger steigen, obwohl sie insgeheim befürchten, die Reise nicht zu überleben? Die sich von vollen Zügen in Indien genauso wenig abhalten lassen wie von wilden Hunden in Ecuador? Oder vor jenen, die tapfer Krabben aus dem Essen puhlen und sich bei Einladungen verwegen dem Verzehr dubioser Fleischsorten stellen? Die sich eben trotz Angst, Phobie und Ekel auf den Weg machen und die Welt erkunden!

Dies tun sie übrigens oft mit großer Sachkenntnis: Phobiker und andere Neurotiker sind meist exzellente Planer, die ihren Mitreisenden viel Arbeit abnehmen. Sie wissen schon Wochen im Voraus, welche öffentlichen Verkehrsmittel vom Flughafen in die Stadt fahren, welches Hotel welche Vorzüge bietet (weil sie längst überprüft haben, in welchem Stockwerk die Zimmer liegen und ob man auch ohne Nutzung der U-Bahn in die Stadt kommt), ob es öffentliche Toiletten gibt, welche Impfungen man braucht.

Und auch in Sachen Besichtigungsprogramm und Nahverkehr sind sie auf Zack. Logisch: Nur durch diesen grenzenlosen Aktionismus behalten sie a) ein kleines bisschen Kontrolle und verhindern b), dass irgendeine gedankenlose Nase ihnen einen Strich durch die Erholung macht und einen Besuch im welthöchsten Kletterpark oder Ähnliches auf die Agenda setzt, was dem Phobiker nachts den Schlaf rauben würde. Und Kontrolle ist definitiv ein Schlüsselwort, wenn es um Phobien geht.

Panikattacken, Ängste und all die anderen Unannehmlichkeiten, die in diesem Buch vorkommen, sind übrigens keine Sache der Moderne. Sie sind nur ein wenig salonfähiger geworden. Eine Lebensmittelunverträglichkeit beispielsweise gehört in vielen Kreisen heute fast schon zum guten Ton. Für die Flugphobie dagegen musste das Flugzeug erst erfunden werden und auch die Angst im Aufzug kann sich in Gegenden mit vorrangig einstöckiger Bebauung kaum entfalten. Ein Blick auf die Geschichte zeigt: Auch prominente Reisende litten an dem einen oder anderen Problem: Charles Darwin beispielsweise war ein Leben lang von Seekrankheit betroffen. Er kotzte sich auf seiner Reise nach Südamerika sprichwörtlich die Seele aus dem Leib, während er nebenbei die Biologie revolutionierte. Aber damit nicht genug, litt er auch noch unter Panikattacken. Wer weiß, wie schrecklich sich Seekrankheit anfühlt, wird sich kaum darüber wundern. Letztlich blieb seine große Fahrt auf der Beagle die erste und letzte Reise seines Lebens, denn er entwickelte eine regelrechte Reisephobie. Oder Edvard Munch, der Maler des Bildes Der Schrei. Der Künstler wurde ebenfalls von Angstzuständen geplagt. Ich stelle mir gerne vor, dass das Bild entstand, nachdem man ihn von der ersten Reihe in die letzte des Flugzeugs umgebucht hatte. Zumindest sehe ich so aus, wenn mir das passiert. Sogar Sigmund Freud, der Angst-Experte schlechthin, litt unter Agoraphobie und schaffte es zeitlebens nicht, sie völlig zu überwinden. In Anbetracht dieser prominenten Leidensgenossen darf man als Phobiker und Angstschisser doch eigentlich ganz gelassen damit umgehen.

WOHER KOMMT’S?

Bleibt die interessante Frage: Warum nur leiden so viele Menschen an Phobien und Ängsten? Unverarbeitete Kindheitserinnerungen, Traumata, negativer Stress ... Die Zahl der möglichen Ursachen für Phobien ist groß, die Zahl der wissenschaftlichen Untersuchungen dazu ebenfalls. Leider lassen sich die Ergebnisse mehr oder minder mit einem Satz zusammenfassen: So ganz genau weiß man es nicht. Es gibt Menschen, die werden von einem Hund gebissen und fürchten Hunde fortan wie der Teufel das Weihwasser, andere stecken es einfach weg.

Vielleicht gehen Phobien auch viel mehr auf körperliche Ursachen zurück, als man derzeit noch annimmt. Ein Risikofaktor für neurologische und psychiatrische Krankheiten kann eine Variante von Adenosin-A1-Rezeptoren im Gen sein, die bei der Signalübertragung im Gehirn eine Rolle spielen. In diese Richtung deuten Untersuchungen des Jülicher Forschungszentrums, die bei Phobikern auf eine erhöhte Konzentration dieser Rezeptoren stießen.

DER KLEINE UNTERSCHIED

Interessant ist auch: Phobien sind unter den Geschlechtern sehr ungleich verteilt: Jede fünfte Frau leidet in Deutschland unter irgendeiner Angststörung, bei den Männern sind es etwas weniger als 10 Prozent. Woher die Unterschiede stammen, lässt sich bisher nicht zweifelsfrei klären. Gut möglich, dass Frauen eher zugeben, dass sie höllisch Angst vor Spinnen, Aufzügen oder anderem haben, weil sie nicht unter dem Druck stehen, sich »wie ein Mann zu verhalten«. Im europäischen Ausland sieht es nicht viel besser aus. Wie es um die Menschen in ärmeren Ländern steht, darüber erfährt man kaum etwas. Vielleicht spielen Ängste einfach keine Rolle, wenn man tagtäglich um das Überleben kämpfen muss? Oder interessiert es einfach niemanden?

Pan war’s

Der Begriff Panik stammt vom griechischen Gott Pan ab, der mit seiner gruseligen Gestalt, halb Mensch, halb Bock, Reisende zu Tode erschreckte. Sie sind der Legende nach also die Ersten, die von Panik heimgesucht wurden.